Die Bergleute der Thierwelt

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Titel: Die Bergleute der Thierwelt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 756, 758–759
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Höhlenbauern unter den Tieren
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Die Bergleute der Thierwelt.
I.
Der eigentliche „Bau“. – Die Städte des Prairiehundes. -Die strahlenförmigen Kammern der canadischen Beutelratte. – Die Trichter der Uferschwalbe. – Die Verheerungen des Schiffswurmes. – Die Fallthürspinnen. – Spinnenhöhlen mit Angelthüre. – Der Wespenbau und seine verschiedenen Etagen.


Je höher die Stufe der Civilisation ist, welche ein Volk erreicht hat, je vollkommener wird natürlich auch seine Baukunst entwickelt sein. In der Thierwelt scheint indessen dieser Maßstab nicht zu gelten; gerade bei vielen der niedrigst organisirten Thiere finden wir die künstlichst gebauten Wohnstätten. Die größeren Thiere richten sich meist gar keine besonderen Behausungen her; der Löwe und andere wilde Fleischfresser suchen sich Höhlen und sonstige Verstecke auf, zeigen jedoch nicht das geringste Talent, die gewählten Schlupfwinkel zu verbessern oder zu verschönern, viel weniger sich eigene Wohnungen zu bauen und auszustatten. Ganz ebenso verhält es sich mit dem klugen Elephanten und den übrigen Dickhäutern. Die Vögel dagegen sind bekanntlich Architekten par excellence und ihre Nester oft höchst kunstvoll ausgeführte Bauten. Gewisse Insecten aber, Bienen, Wespen, Ameisen u. a., übertreffen jene noch weit in ihren architektonischen Plänen und Verrichtungen, und selbst auf den untersten Staffeln der thierischen Schöpfung begegnen wir Beispielen des ausgebildetsten Bautalents.

Die einfachste Form von Thierbau ist eine größere oder kleinere Höhlung, der sogenannte Bau, sei es in der Erde, in Stein, in Holz oder sonst worin, wie sich viele Säugethiere, Vögel, einige Reptilien, mehrere Schalthiere, Mollusken, Spinnen und andere Insecten dergleichen zur Behausung anlegen. Bei uns sind die bekanntesten dieser Art von Thierwohnungen die Fuchs-, Kaninchen-, Dachs- und Maulwurfsbaue.

Der „Bau“ kann ein simpler Tunnel sein, an dessen hinterstem Ende das eigentlich Nest hergestellt ist, wie z. B. bei dem Kaninchen; er kann aber auch aus mehreren Kammern, Gängen und anderen Räumlichkeiten bestehen, welche zusammen eine vollständige Wohnung bilden, so u. a. die Festung des Maulwurfs. Diese gehört zu den interessantesten Thierbauten, wie sich die meisten unserer Leser noch aus den meisterhaften Schilderungen Carl Vogt’s erinnern werden.

Ein höchst wunderbares Thier derselben Kategorie ist der in Nordamerika an den Ufern des Missouri und seiner Nebenflüsse heimische Prairiehund oder Wishtonwish, wie er bei den Indianern heißt. Trotz seines Namens, der von den dort umherstreifenden Jägern und Trappern herrührt, darf man sich jedoch unter dem kleinen Thiere nicht etwa eine Hundeart vorstellen, es ist vielmehr ein Nager aus der Sippe des europäischen Murmelthiers. Der Prairiehund, welcher in Rudeln gesellig zusammenlebt, baut sich unter der Erde förmliche Dörfer und Städte, die einen ziemlichen Umfang einnehmen, oft sich über mehrere englische Meilen erstrecken, ja manchmal weite Ländergebiete füllen. Diese Städte bestehen aus einer Menge kleiner Erdhügel von verschiedener Höhe; manche erheben sich wohl sechszehn Zoll über den Boden, andere kaum einen Zoll. Die Form des Hügels ist die eines abgestumpften Kegels mit einer Grundfläche von zwei bis drei Fuß im Umkreis.

Der Eingang zu dem Bau liegt entweder auf dem Gipfel oder an der Seite des Hügels. Anfangs geht die Oeffnung ein bis zwei Fuß vollkommen senkrecht hinunter, von da läuft sie in schräger Richtung abwärts. Die meisten Prairiehunde nehmen immer je einen Bau ein, um den man sie in ewiger Beweglichkeit umherspielen sieht, jetzt den Kopf aus dem Eingangsloche hervorsteckend, dann, bei jedem sich nähernden Schritte, ihn rasch wieder hineinziehend, um ihn bald abermals zum Vorschein zu bringen. Es sind überaus muntere Thierchen, haben aber viele Feinde. Namentlich werden sie von Eulen und Klapperschlangen verfolgt, die häufig den Bau des Prairiehundes zu ihren eigenen bequemen Schlupfwinkeln wählen und darin dann blutige Verwüstungen anrichten. Trotz dieser Nachstellungen ist das Thier außerordentlich fruchtbar; es vermehrt sich erstaunlich schnell, und wenn es einmal von einem Orte Besitz genommen hat, so erstrecken sich die kleinen Erdhaufen, welche den Eingang ihrer Höhlen bezeichnen, bald, so weit nur das Auge sehen kann. Den Winter bringt es in einem Halbschlafe zu; die Eingänge zu einem Baue werden dann sorgfältig verstopft und jedes einzelne Thier macht sich ein festes, [758] rundes Nest von trockenem Gras, mit einem einzigen kleinen Luftloch. In dies warme Lager hüllt er sich ein und schläft darin weich und sicher.

Ein ganz eigenthümlich ausgerüstetes Thier aus dem Mäusegeschlecht darf hier nicht unerwähnt bleiben. Es ist die canadische Beutelratte. Von Gestalt halb Ratte, halb Maulwurf, besitzt sie ihr charakteristisches Merkmal in zwei großen, ovalen Taschen oder Beuteln, an jedem Backen einer, die, wenn mit Nahrung angefüllt und straff gespannt, wie ein aufgeblasener Ballon, dem Thiere einen äußerst seltsamen Anblick verleihen. Diese Beutel öffnen sich in den Mund und stellen eine tragbare Speisekammer vor, in welcher die Ratte ihre verschiedenen Nahrungsvorräthe aufstapelt, um sie je nach Bedürfniß und Neigung zu verzehren. Wie der Maulwurf wirft das Thier kleine Erdhügel auf und zwar immer in regelmäßigen Zwischenräumen, stellenweise alle zwanzig bis dreißig Fuß, an andern Orten ganz dicht bei einander. Für das Nest ist im Bau selbst eine eigene kreisrunde Kammer von etwa acht Zoll im Durchmesser hergerichtet, wo Mutter und Kinder auf einem bequemen Lager ruhen, das aus trockenem Gras und den weichen Bauchhaaren des Thieres selbst bereitet wird. Von diesem Mittelpunkt und Allerheiligsten der Wohnung läuft nun eine große Anzahl von Gängen aus, von denen Tunnel in’s Freie führen. Offenbar erfüllt diese complicirte Anordnung des Baues einen Doppelzweck: einmal dem Thier Gelegenheit zu geben, sich bei nahender Gefahr nach allen Seiten hin retten zu können, und sodann direct zu den Orten zu leiten, wo es seine Hauptnahrung findet. Gelingt es der Beutelratte, in einen Garten zu kommen, alsdann wehe den darin stehenden Pflanzen! Vor ihren langen, scharfen, vorstehenden Schneidezähnen sind die festesten Wurzeln nicht sicher und rasch genug Stauden und Gewächse dem Verderben preisgegeben. –

Auch unter den Vögeln giebt es Ingenieure und Bergleute, die sich Wohnhöhlen in die Erde oder in Baumstämme graben. Wir nennen von den in unsern Breiten lebenden nur die Uferschwalbe, den Seetaucher, den Sturmvogel und die verschiedenen Baumspechte.

Die Uferschwalbe, ein zierliches kleines Thier, das kleinste seiner bei uns heimischen Verwandten, trifft als einer der ersten Frühlingsboten oft schon im März an unsern Flußufern und Seeküsten ein, wo Jedermann ihre Höhlen kennt. Auf den ersten Anblick scheint das Thierchen mit seinen zarten Füßen und dem winzigen Schnabel zu Ingenieurarbeiten nicht eben geeignet, und kein Mensch würde es für fähig halten, in ziemlich harten Sandstein sich Gänge und Canäle zu bohren. Und doch ist dies der Fall; die Uferschwalbe höhlt sich ihre Wohnung in Sandstein aus, an dem die härteste Messerklinge zu Grunde geht. Die Art und Weise, wie der kleine Mineur dabei zu Werke geht, ist sehr interessant.

Mit seinen scharfen Klauen sich an der Sandklippe festhaltend, schlägt er seinen Schnabel so lange in den Stein, bis er eine gehörige Partie des harten Sandes gelockert hat und dieser zu Boden gerollt ist. Bei dieser vorbereitenden Arbeit bleiben die Krallen ganz unbetheiligt und können auch nicht mithelfen, weil er sich mit ihnen an der Sandbank anklammern muß. Sowie das gebildete Loch, das meist so kreisrund ist, als wäre es mit Hülfe des Cirkels gemacht worden, den nöthigen Umfang hat, um den kleinen Körper des Thieres aufzunehmen, verrichtet dieser selbst das fernere Werk und höhlt, sich unaufhörlich drehend, den Bau tiefer und weiter aus. Dabei nimmt der Vogel alle möglichen Stellungen ein; bald hängt er mit seinen Krallen am Rande der Höhle, während der Schnabel vom Mittelpunkt nach außen zu weiter bohrt, bald liegt er auf dem Rücken, bald steht er tief im Innern des Loches, welches die Gestalt des Trichters bekommt, in der Mitte tiefer und enger, als nach dem Rande zu. Alle Bauten der Uferschwalbe, die man untersucht hat, sind an ihrem untersten Ende mehr oder weniger gewunden. Hier in einer Tiefe von zwei bis drei Fuß wird das Nest gemacht, ein Bett von Heu und den weichsten Brustfedern von Gänsen, Enten und anderen Vögeln. Wunderbar ist die Sauberkeit und Genauigkeit, mit welcher die Uferschwalbe den Sand entfernt, den sie unterminirt; niemals fällt nur ein Körnchen aus der Wand der Höhle oder wird etwa der Grund und Boden derselben alterirt. –

Betrachten wir die furchtbaren Werkzeuge, mit denen viele Thiere gewaffnet sind, so wundern wir uns nicht über die Arbeiten, welche sie damit vollführen. Womit aber bringen manche Mollusken ihre wunderbaren Bauten und Zerstörungen zu Stande? Sieht man doch nicht den geringsten Apparat, der ihnen dabei behülflich sein könnte! Wie z. B. gelingt es dem zarten Pholas mit seiner Schale, welche so dünn ist wie Papier und so zerbrechlich wie Oblate, tiefe Höhlen in Felsen zu bohren, die so hart sind wie Kiesel? Man hat darüber verschiedene Ansichten aufgestellt; Einige behaupten, das Thier sondere innerhalb seiner Schale eine Säure ab, die auf Kreide und Kalk zerstörend einwirke, Andere meinen, daß die Löcher lediglich durch die Reibung der Schale gemacht werden, wieder Andere, daß sie den Füßen ihre Entstehung verdanken. Jedenfalls ist eine der beiden letzteren Annahmen die richtige, denn die Säure würde Holz oder Sandstein, in dem das Thier sich ebenfalls einbohrt, nicht afficiren. Höchst wahrscheinlich wird der Fels durch eine unaufhörliche Reibung mit den Füßen oder durch beständige kreisförmige Bewegungen der Schale ausgehöhlt, – eine Procedur natürlich von unbeschreiblicher Langsamkeit. Allein bei so vielen Operationen ist ja die Zeit das wichtigste Element. Sei nun das Verfahren welches es wolle, so viel steht fest, daß das Thier an allen Küstenbauten, an Schiffsländen, an den Schiffen selbst, an Wogenbrechern etc. oft furchtbaren Schaden anrichtet.

Vielleicht noch gräßlicher sind die Verheerungen, welche der Schiffs- oder Pfahl-, auch Bohrwurm[WS 1] hervorbringt, ja geradezu fast unglaublich. Holz von jeder Art und Beschaffenheit wird von ihm zerstört und seine Höhlen befinden sich darin oft so dicht neben einander, daß ihre Scheidewände kaum dicker sind als ein Blatt Briefpapier. Während der Schiffswurm noch bohrt, füttert er den Tunnel mit einer dünnen kalkhaltigen Muschelschale aus und bietet so eine merkwürdige Aehnlichkeit mit den Gewohnheiten der großen weißen Termitenameise dar. Hat das Thier einmal ein Stück Pfoste in Beschlag genommen, so vernichtet es dasselbe so vollständig, daß, zöge man die Muschelfütterung aus dem Holze heraus und wöge jedes einzeln, der mineralische Bestandtheil ebenso schwer sein würde wie der vegetabilische. Der Pfahlwurm hat schon unzählige Schiffbrüche verursacht, denn ohne daß man es merkt, frißt er Planken und andere Holztheile der Schiffe so aus, daß der geringste Zusammenstoß mit anderen Fahrzeugen den stolzen Bau zertrümmert.

Vor uns liegt ein Stück dieses wurmzerfressenen Holzes, derart von den Höhlen des Weichthieres zersetzt, daß ein halbwegs derber Griff mit der Hand es zerbrechen würde. Und dieses Stück Holz gehörte zu einem Hafenbau, von welchem vielleicht Hunderte von Menschenleben abhingen, und war von den unermüdlichen Mineurs so im Verstohlenen ausgehöhlt worden, daß nur ein glücklicher Zufall die Verwüstung entdeckte und gewissem großem Unheile zuvorkam! Um einen Begriff von dem Umfange der Verheerungen zu geben, welche der Schiffswurm stiftet, erwähnen wir, daß die englische Regierung allein für die Wiederherstellung des von ihm in den Häfen von Plymouth und Devonport in einem Jahre angerichteten Schadens achttausend Pfund Sterling aufzuwenden hatte. –

Von den Spinnen sind ebenfalls mehrere Arten zu den Höhlenbauern zu rechnen, die sogenannten Fallthür-Spinnen (Röhrenspinnen), die man in verschiedenen Erdstrichen antrifft. Eine derselben, in Westindien zu Hause, gräbt ein schief abwärts gehendes Loch von etwa drei Zoll Länge und einem Zoll Durchmesser in die Erde. Diese Höhle füttert sie mit einem zähen dicken Gewebe aus, das herausgenommen einem ledernen Beutel nicht unähnlich ist; was aber das Merkwürdigste ist, das Haus besitzt eine förmliche in Angeln gehende Thür, wie der Deckel mancher Seemuscheln, und sie und ihre Familie öffnen und schließen diese Thür beim Aus- und Eingehen. Manche solcher Spinnenwohnungen erfreuen sich sogar zweier jener Thüren. Die an dem einen Ende ist etwas locker und unregelmäßig, wie dieses Ende des Nestes überhaupt, hingegen die andere wunderschön abgerundet und sehr glatt mit erstaunlicher Genauigkeit in die Oeffnung passend. Die Fallthürspinnen sind Nachtthiere; Tags über halten sie sich still in ihren Höhlen und gehen nur nach Dunkelwerden auf Raub aus. Sobald Jemand die Thür aufhebt, eilt die Spinne, die „für Fremde nie zu Hause ist,“ herbei, hakt sich mit ihren Hinterfüßen an das seidene Futter der Thür fest, klammert sich mit den Vorderbeinen [759] an die Seitenwand der Höhle und versperrt so die Thür. Nur offenbare und unwiderstehliche Gewalt vermag die Spinne aus ihrem Hause zu vertreiben, das sie auf das Tapferste zu vertheidigen pflegt. Man kann die Erde unter ihrem Loche ausgraben und das ganze Nest forttragen, ohne daß das Thier es verläßt; auf diese Weise hat man einzelne Exemplare dieser höchst merkwürdigen Bauten aus der Erde ausgehoben und genauerer Beobachtung unterworfen.

Eine vorzügliche Baukünstlerin ist eine in Südaustralien lebende Art von Röhren-Spinnen. Ihre Höhle ist so gleichmäßig rund und glatt, als wäre sie auf einer Töpferdrehschreibe ausgerundet; ihre Thür ein regelmäßiges Halbrund mit einer bis über die Mitte der Oeffnung reichenden Angel. Um den Eingang zu verbergen, ist die ganze Thür ebenso wie die Erde umher mit kleinen Erhöhungen bedeckt, so daß es fast unmöglich wird, die Fugen des Eingangs ausfindig zu machen. Auch die Gestalt der Thür ist merkwürdig. Nach der Angel zu ist sie verhältnißmäßig dünn, auf der anderen Seite dick, solid und schwer, so daß schon ihr eigenes Gewicht genügt, einen festen Verschluß zu sichern. Die Angel selbst ist kein besonderer Theil des Baues, sondern nur eine Fortsetzung der seidenen Röhre, welche die Höhle ausfüttert.

Sehr viele Insecten bauen sich zu gewissen Perioden ihres Lebens in Holz, Sandstein, Erde, in Blätter und Stengel, in Früchte und Blüthen verschiedener Pflanzen ein. So u. v. a. mehrere der bei uns heimischen Ameisenarten, die zum Theil sich sehr umfängliche und verwickelte unterirdische Wohnungen anlegen. Von allen hierher zu zählenden Insecten aber erreicht wohl keines die Baukunst unserer gemeinen Wespe. Jedenfalls ist keiner unserer Leser, der nicht schon ein Wespennest gesehen hätte, aber nur wenige dürften Gelegenheit gehabt haben, dessen Entstehung zu verfolgen.

In den ersten Tagen des Frühlings verläßt die Wespe den Ort, wo sie den Winter verbracht hat, und recognoscirt eifrig die Gegend. Sie fliegt weder hoch noch schnell, sondern gleitet langsam und sorgfältig umher, prüft jeden Erdhang und kriecht in jede Spalte, an der sie vorüberkomme. Endlich findet sie ein Loch, das eine Feldmaus gebohrt hat, oder trifft vielleicht auf die verlassene Höhle eines größern erdbauenden Insects, schlüpft hinein, bleibt eine Weile darin, kommt wieder heraus, schwärmt außen darum herum, geht wieder hinein und scheint ihren Entschluß zu fassen. Sie befindet sich in der That auf der Wohnungsjagd und alle ihre Bewegungen, ihr ganzes Gebahren ähneln sehr dem einer sorgenden Hausmutter, die sich eine neue Wohnung aussucht. Hat sie endlich einen passenden Platz erspäht, so beginnt sie, in einiger Tiefe von der Oberfläche, eine Kammer zu bauen, indem sie den Boden ausbricht und ihn Stück für Stück hinausschafft. Wenn sie derart ein Zimmer nach ihrem Geschmack angelegt hat, fliegt sie davon und begiebt sich nach irgend einem ihr bekannten alten Zaune, der, wenn auch noch nicht verfallen, doch vollkommen dürr und mürbe ist. Auf ihn läßt sie sich nieder und nagt, mit aller Anstrengung ihrer Kräfte arbeitend, die Holzfasern heraus, bis sie ein kleines Bündel davon zusammengebracht hat, das sie mit unsäglicher Mühe zu einer Art von breiähnlicher Masse zerkaut und zusammenknetet. Mit dieser fliegt sie nach ihrem Loche zurück. Und so geht es fort, bis sie von dem Präparat, das, durch eine leimartige Flüssigkeit zusammengeklebt, dem Papiermaché zu vergleichen ist, soviel besitzt, um damit sich an die Auskleidung ihrer Wohnung machen zu können. Dies geschieht nun folgendermaßen. Zuerst wird das Dach ihrer Kammer ausgefüttert, denn die Wespe baut stets von oben nach unten, dann formt sie die Breikugel, die sie aus den Fasern gebildet hat, zu einem Blatte, marschirt rückwärts und walzt es mit ihren Kiefern, ihrer Zunge und ihren Füßen so lange breit, bis es fast so dünn wie Seidenpapier geworden ist. Ein einziges Blatt dieses Papiers würde indeß nur eine sehr gebrechliche und vergängliche Wandverkleidung liefern, welche die Erde nicht vom Herabfallen in das Nest abhalten könnte. Demgemäß ruht das Thier nicht eher, als bis es fünfzehn oder sechszehn Lagen übereinander angebracht und damit die Wand beinahe zwei Zoll dick gemacht hat. Die einzelnen Lagen sind aber nicht mit einander in Berührung gebracht, wie z. B. die verschiedenen Schichten der Pappe, sondern zwischen jeder Lage befinden sich kleine Zwischenräume.

Sobald endlich die Wandverkleidung fertig ist nimmt der Bau der Stadt selbst seinen Anfang, die aus mehreren über einander hängenden Terrassen besteht. Die Biene fügt ihre Waben senkrecht aneinander, die Wespe hängt sie horizontal nebeneinander auf und in einer viel leichteren und eleganteren Weise, als die Bienenwaben aneinander gefügt sind. Jede Terrasse ist wirklich eine schwebende Etage, die mit zwölf bis dreißig etwa einen Zoll langen und einen Viertel Zoll im Durchmesser haltenden Stäbchen aus demselben Material wie das Dach befestigt wird. Jedes Stäbchen hat eine sehr gefällige Form, in der Mitte sich verjüngend, nach oben und unten breiter werdend, jedenfalls um die Tragkraft zu erhöhen, und die Terrasse selbst ist kreisrund und besteht aus einer ungeheuren Anzahl von Zellen, welche aus dem beschriebenen Papiere zusammengesetzt sind und in Gestalt und Größe den Bienenzellen gleich kommen; jede ist ein mathematisch genaues Sechseck und nirgends nur eine Haarbreite unausgefüllten Zwischenraumes. Diese Zellen dienen indeß nicht als Honigtöpfe, wie bei den Bienen, denn, mit Ausnahme einiger ausländischen Arten, bereitet die Wespe keinen Honig, sondern lediglich dem Aufziehen der Brut. Sämmtliche Zellen öffnen sich nach unten, während ihr gemeinschaftlicher Boden eine ebene Fläche herstellt, auf der sich die Insassen der einzelnen Zellen ergehen können. Sobald eine junge Wespe aus ihrer Wiege ausgeflogen ist, wird die Zelle unverweilt gereinigt und dann sofort ein neues Ei hineingelegt. Jetzt hilft die junge Generation thätig beim Weiterausbau des Hauses mit. Neue Terrassen entstehen, die durch Säulen mit den obern zusammenhängen, die Außenwände werden erweitert und Ausgangs des Sommers sind meist zwölf bis fünfzehn verschiedene Zellenetagen vollendet. Die zuletzt gebauten Zellen sind größer als die früher hergestellten; sie sind zum Aufziehen der männlichen und weiblichen Wespen bestimmt. In allen den vorher construirten Zellen nämlich waren nur geschlechtslose Thiere enthalten, welche die eigentlichen Arbeiter sind, während die Männchen, wie im Bienenstocke, sich mit dergleichen niederen Beschäftigungen nicht abgeben. Jede Etage umschließt über tausend Zellen, so daß sich in einem Wespenneste mehr als fünfzehntausend einzelne Zellen befinden. Réaumur hat berechnet, daß ein einziges Nest im Jahre mehr als dreißigtausend Wespen hervorbringt, nur zu tausend Zellen angenommen, von denen jede nach und nach drei Generationen großzieht. Wenn der Winter hereinbricht, ist gar oft der so erfinderisch ersonnene und so kunstvoll ausgeführte Bau noch nicht durchaus vollendet, dient aber jetzt nur noch, um einigen halberstarrten Weibchen Quartier zu geben. Doch auch sie verlassen ihn im nächsten Frühjahr, um nie dahin zurückzukehren; denn niemals wird ein Wespennest öfter als einen einzigen Sommer benutzt.

Soviel von den Bergleuten und Ingenieuren der Thierwelt; in einem zweiten Aufsatze wollen wir von einigen der Thiere erzählen, die, nicht Höhlenbauer, sich entweder in über der Erde hängenden Behausungen ansiedeln oder, und zwar aus den mannigfaltigsten Stoffen, das bauen, was wir im gewöhnlichen Sinn mit dem Worte „Nest“ bezeichnen.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Der Schiffsbohrwurm ist kein Wurm, sondern wie der erwähnte „Pholas“ eine Muschel.