Die Berliner Jubiläums-Ausstellung
Die deutsche Reichshauptstadt schickt sich an, während dieser Sommermonate viele Gäste zu empfangen. Sie erwartet dieselben oder hofft auf ihr Kommen zu einem ungewöhnlichen künstlerischen Schauspiel. Die Bühne desselben liegt auf dem zum lustigen Parke umgewandelten, vom Viadukte der Stadtbahn der Länge nach getheilten weiten ehemaligen Sandfelde an der Straße nach Moabit zwischen der Garde-Ulanenkaserne im Norden und dem Justizpalaste im Westen. Es ist dasselbe Terrain, welches schon zweimal als Scene großer, bedeutungsvoller, folgenreich gewordener öffentlicher Schaustellungen im Laufe der letzten sieben Jahre gedient hat: der Berliner Gewerbe-Ausstellung im Jahre 1879 und der Ausstellung für Hygiene und Rettungswesen im Jahre 1882 – von kleineren, gelegentlichen Ausstellungen zu geschweigen. Der Titel aber des für diesen Sommer dort vorbereiteten und in der nächsten Zeit beginnenden Schauspiels heißt: Die Jubiläums-Ausstellung der königlichen Akademie der Künste.
Hundert Jahre sind an diesem 20. Mai seit dem Tage verflossen, an welchem zum ersten Male in Berlin sich die Pforten einer von der Akademie der Künste ins Leben gerufenen Kunstausstellung dem Publikum der preußischen Hauptstadt aufthaten. Hundert Jahre voll gewaltiger, wechselvoller Schicksale, welche Preußen und Deutschland wiederholt im Tiefsten erschüttert, beider Gestalt, Verfassung, politische, sociale, wirthschaftliche und künstlerische Zustände völlig umgestaltet haben. Aber wie das gesammte Vaterland und wie seine Hauptstadt ist auch die Berliner Akademie der Künste in der glücklichen Lage, auf dieses schicksalsreiche Jahrhundert nicht mit Schmerz und Wehmuth über einst Besessenes und Verlorenes, wohl aber mit frohem Stolze zurück zu blicken. Haben jene Geschicke schließlich doch Preußen, Deutschland und Berlin zu einer damals nicht zu ahnenden Größe, Macht und Blüthe geführt, und sind doch diese Umwandelungen nicht ohne mächtigen, tiefgreifenden Einfluß auf die Entwickelung der vaterländischen Kunst wie auf die Stellung und Bedeutung unserer Akademie selbst geblieben.
Aus sehr bescheidenen Anfängen hat sich das Institut entwickelt. Sie liegen in jener Zeit, welche für die gesammte Gestaltung Berlins, für die Erweckung des schlummernden künstlerischen Geistes in dieser Stadt so epochemachend gewesen ist; der Zeit, in welcher die gewaltigsten Schöpfungen der monumentalen Bau- und Bildnerkunst dem Sumpf- und Sandboden des einstigen Fischerdorfs – Dank der Zauberkraft eines der größten kunstlerischen Genien aller Zeiten, Andreas Schlüter’s – erwachsen sind. Der Hofmaler jenes kunst- und prachtliebenden Kurfürsten Friedrich III., des späteren ersten Königs Friedrich I. in Preußen, der Holländer Terwesten, machte im Jahre 1694 seinem fürstlichen Herrn den Vorschlag, die in Berlin thätigen Künstler zu einer Akademie der bildenden Künste nach dem Muster der bereits zu Rom und Paris bestehenden zu vereinigen. Der allmächtige Minister Dankelmann wurde gemeinsam mit Schlüter mit der Ausarbeitung eines Organisationsplanes eines solchen Instituts beauftragt. Das von ihnen entworfene Reglement erhielt die kurfürstliche Bestätigung. Ein Fonds von jährlich tausend Thalern wurde der Akademie für ihre Bedürfnisse zugewiesen, als Lokalität für ihre Sitzungen und Lehrklassen sechs große Zimmer im Hauptgeschoß des „kurfürstlichen Marstallgebäudes auf der Dorotheenstadt“ – des heutigen Akademiegebäudes Unter den Linden. Nehring, der berühmte Baumeister des Zeughauses, richtete diese Räume für ihre neue Bestimmung ein. Am 1. Juli 1699 erfolgte in Gegenwart des ganzen Hofes die Einweihung. In der Stiftungsurkunde heißt es wörtlich: „Für die mehrere Etablirung und desto nützlichere Fortpflanzung aller Künste und Wissenschaften in den kurfürstlich brandenburgischen Staaten soll eine Kunstakademie dienen, um zur Aufnahme der Bildhauer-, Mahler- und Architekturkünste mit zu wirken.“
Nach kurzer Blüthezeit ereilte diese Schöpfung König Friedrich’s I. ein trauriges Los. Die Sparsamkeit, die Kunst- und Luxusfeindlichkeit seines Sohnes und Nachfolgers, des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I., bereitete ihr dasselbe. Er setzte die königlichen Zuschüsse auf ein Minimum herab. Ja, er verlangte sogar noch eine jährliche Miethszahlung von 50 Thalern seitens der Professoren für die Akademieräume an den Fiskus. Aber officiell aufgehoben wurde das Institut dennoch nicht. Es siechte so hin bis zur Thronbesteigung Friedrich’s II., von dem es sich die Heraufführung einer neuen glücklicheren Zeit versprechen zu können glaubte. Die Erfüllung dieser Hoffnung blieb freilich trotz der kundgegebenen wohlwollenden Absichten des neuen Herrschers noch ziemlich lange vertagt, wenn derselbe ihr auch 1745 schon in dem französischen Hofmaler Le Sueur einen neuen, von ihm hochgeschätzten Direktor gab und ihre Einkünfte einigermaßen verbesserte. Aber erst im letzten Lebensjahre des Königs, 1786, gelang es dem Etats- und Kriegsminister von Heinitz, dem obersten Vorgesetzten und eifrigen Protektor der Akademie, das Projekt zu einer völligen Neu-Organisation und eine Bewilligung von Fonds zur Erhöhung der Lehrergehalte und den sonst nothwendigen Ausgaben bei seinem Monarchen durchzusetzen. Im zwölften Paragraphen des neuen Reglements wird Paragraph 13 des alten, von 1699 datirenden Reglements, welches jeden akademischen Künstler verpflichtet, alljährlich ein Kunstwerk seines Faches der Akademie zum Eigenthum anzufertigen, aufgehoben und statt dessen das „wo möglich" alljährliche Stattfinden einer öffentlichen Ausstellung von Kunstwerken in den Räumen der königlichen Akademie angeordnet. Noch im Mai und einem Theil des Juni desselben Jahres fand, wie schon oben erwähnt, die erste dieser akademischen Ausstellungen in jenen neustädtischen Marstallgebäuden statt. Am 18. Mai ging der Eröffnung eine feierliche Sitzung der akademischen Körperschaft vorauf, in welcher Daniel Chodowiecki, der berühmte Kupferstecher, damals Direktor der Akademie, eine kurze Anrede an die neuernannten Ehrenmitglieder der Akademie hielt und die Gegenstände (drei Scenen aus der Fridericianischen Heldenzeit) mittheilte, welche als Konkurrenzaufgaben für Bildhauer zur Darstellung in Zeichnungen oder Reliefs gewählt worden seien.
Am 19. Mai wurde die Kunstausstellung durch die Königin, den Prinzen und die Prinzessin von Preußen, die anderen Prinzen und Prinzessinnen des königlichen Hauses und eine Menge von Kavalieren und Damen des Hofes besichtigt, wobei Minister von Heinitz diese Herrschaften an der Spitze der in corpore versammelten Akademiker empfing und die gesammte studirende akademische Künstlerjugend den hohen Besuchern vorstellte. Tags darauf fand die Eröffnung für das Publikum statt. Kunstwerke von Rohde, Chodowiecki, W. Weil, Frisch, Tassaert, Meyer, Krüger, Berger, Rosenberger, Arleton, den auswärtigen Akademikern Graf Liszewsky, Vanloo, Philipp Hackert, Darbes; Bildnisse von Cunningham und Frank, Kupferstiche von Cunego und Townley; Zeichnungen von Prinzessin Luise und von den Prinzen Friedrich Wilhelm, Heinrich, Ludwig und August scheinen die größte Anziehungskraft für das Publikum gehabt zu haben.
Das Jahr der ersten akademischen Kunstausstellung zu Berlin war bekanntlich auch das des Todes des großen Königs. Sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., bewies dem Institute, das sich nach dem neuen Reglement vom 26. Januar 1790 „Akademie der bildenden Künste und mechanischen Wissenschaften“ nannte, eine viel lebhaftere Gunst. Von Neuem wurde es darin wiederholt, daß „von Zeit zu Zeit, womöglich alle Jahre“ öffentliche Ausstellungen von Kunstwerken der [332] einheimischen und fremden Künstler durch die Akademie in ihren Räumen veranstaltet werden sollten. Die Eröffnungstermine und die für diese Ausstellungen gewählten Jahreszeiten haben wiederholt gewechselt. Bis 1793, mit einziger Ausnahme des Jahres 1788, war es der Mai und Juni, dann wieder, mit einziger Ausnahme der von 1808, der September und Oktober. In dem Jahr des furchtbaren Zusammenbruchs der preußischen Macht fand die Eröffnung der durch alle Kriegsunruhen nicht verhinderten akademischen Kunstausstellung 14 Tage vor der Schlacht bei Jena statt. In der Vorrede des Katalogs spricht die Akademie noch das stolze Vertrauen aus, daß die unbesieglichen Waffen des vaterländischen Heeres unter seinen Feldherren und dem besten der Könige den Preußen bedrohenden Feind bald und rasch zerschmettern und der Welt den für die Künste doppelt zu ersehnenden Frieden geben würden! 1808, während der französischen Occupation, mußte der Ausstellungskatalog neben dem deutschen Text auch einen französischen bringen. Seit 1800 waren wieder die zweijährigen Zwischenpausen zur Regel geworden. Nur in den Jahren 1838 bis 1840 wich die Akademie davon ab, um dann wieder zu dem gewohnten Modus der zweijährige Perioden zurückzukehren. 1850 wird einmal wieder der Versuch einer im Mai eröffneten Frühlingsausstellung gemacht. Aber von 1852 ab erhielt die Herbstzeit von Neuem den Vorzug.
Nach der 1875 vollzogenen gründlichen Reorganisation der Berliner Akademie wurde die fernere Benutzung der Räume des Gebäudes für die Kunstausstellungen unmöglich. Zum Ersatz wurde das Fachwerkgebäude, die sogenannte „Kunstbaracke“ am Kantianplatz hinter dem Museum und den Packhofgebäuden auf der Westseite der Spreeinsel aufgeführt und die nächste Herbstausstellung dorthin verlegt. Dort wiederholten sich die Ausstellungen wieder alljährlich. 1882 unterblieb die Veranstaltung aus der durch den Brand des Wiener Ringtheaters erweckten Sorge um die Feuergefährlichkeit jenes Nothbaues. Im folgenden Jahre bestimmte das Ministerium, im Einvernehmen mit der Akademie, die noch unbenutzten Räume im neuen riesenhaften Gebäude des Polytechnikums an der Charlottenburger Allee zu einer in den Mai und Juni verlegten Kunstausstellung. Der Versuch mißglückte vollständig. Noch einmal kehrte man zu dem Fachwerkhause am Kantianplatz zurück und ließ die Ausstellung des Jahres 1884 dort, und zwar im September und Oktober, stattfinden. Im vorigen Jahre aber fiel sie gänzlich aus.
Inzwischen war jener Glas- und Eisenpalast auf dem erwähnten fiskalischen Terrain für die Hygiene-Ausstellung erbaut, von der Regierung erworben und zum dauernden „Landes-Ausstellungsgebäude“ erhoben worden. In ihm schien das rechte Haus für die Jubiläums-Kunstausstellung gegeben zu sein. Allerdings mußte es zu diesem Zweck manchen inneren Umwandlungen unterzogen und durch Anbauten bedeutend erweitert werden. Letztere bestehen besonders in einer der nordöstlichen Schmalseite des langen Gebäudes angefügten Halle von 56 Meter Länge bei 55 Meter resp. 46 Meter Breite. Von der mittelsten Eingangsthür in der Südwestseite zum Vestibül, unter der mächtigen Glas- und Eisenkuppel des Palastes, blickt man nun in der Achsenrichtung durch einen Gesammtraum von 190 Meter Länge; eine Perspektive, welche durch die dort an der Schlußwand des Anbaus aufgestellte Statue Friedrich’s des Großen vom alten Gottfried Schadow, zwischen den Statuen Zieten’s und des Dessauers von demselben Meister, ihren effektvollen Abschluß erhält. Jener Kuppelraum hat durch die Architekten Kayser und von Großheim im Verein mit einigen ausgezeichneten Malern und Bildhauern eine prächtige architektonische, malerische und plastische Innendekoration erhalten und ist so zum würdigen Schauplatz des feierlichen Eröffnungsaktes gestaltet worden. Der mittlere Raum des Palastes, welcher auf dies Vestibül folgt (im Lichten 57 Meter breit), ist in verschiedene, theils quadratische, theils achteckige Oberlichtsäle gegliedert. Er wird in seiner ganzen Länge von 2 je 17 Meter breiten Seitenschiffen flankirt, welche durch schräg gegen die Seitenfenster gerichtete Schirmwände in zahlreiche, ziemlich gut beleuchtete Kabinets für kleinere Bilder getheilt werden. Ein halbkreisförmiger Korridor, der den Palast ursprünglich gegen Norden hin abschloß, ist besonders zur Aufnahme architektonischer Entwürfe und Modelle bestimmt. Hier führt unter Anderem Baurath Otzen eine vollständige gothische Kapelle auf.
Gleichzeitig mit dieser akademischen Kunstausstellung werden auf anderen Stellen des weiten Terrains noch andere hochinteressante künstlerische Schaustellungen stattfinden. In jener westlichen Parkecke, welche seit der Hygiene-Ausstellung der damals dort so zahlreichen Kneipen wegen den Namen des „nassen Dreiecks“ führt, werden im Auftrage einer Aktiengesellschaft durch die Architektenfirma Kyllmann und Heyden ein paar sehr originelle Gebäude errichtet. Die Gestalt des einen (vergl. Anfangsvignette) erinnert an einen ägyptischen Tempel. Es beherbergt in seinem Innern Dioramenbilder aus der Geschichte der neuesten Afrikareisen und der deutschen Kolonialerwerbungen. Das andere enthält ein Halbpanorama des antiken Pergamon zur Blüthezeit der Attalidenherrschaft. Als Façade ist diesem Gebäude eine Kopie der östlichen Säulenvorhalle des Zeustempels zu Olympia in den wirklichen Größenmaßen des Originals mit dem Giebel vorgesetzt. Das Ganze aber steigt auf der Plattform eines Unterbaues auf, dessen Frontseite mit der in seinen Körper einschneidenden breiten Stiege und mit seinem Hochrelieffriese des Gigantenkampfes unterhalb des Simses eine Kopie der betreffenden Seite des (rekonstruirten) Sockels des Zeusaltars am Burgberge von Pergamon ist.
Die rühmlich bekannten Maler G. Koch und Kips in Berlin haben ihre Naturstudien der pergamenischen Landschaft an Ort und Stelle aufgenommen und führten mit deren Hilfe das große Halbrundgemälde aus, welches die Erscheinung dieser Höhen und Ebenen im zweiten Jahrhundert vor Christo mit ihren Tempeln, Palästen, Altären, Theatern, Häusern und Mauern veranschaulicht.
Es lag ursprünglich in der Absicht der Akademie, der Jubiläums-Ausstellung officiell den Charakter einer internationalen zu geben. Die Abneigung der Reichsregierung gegen die zur Veranstaltung einer „Weltkunstausstellung“ erforderlichen Schritte bei den anderen Mächten, gegen die all diese zu richtende Einladungen etc., ließ den Senat diesen Plan aufgeben. Aber man hat dafür die Künstler der einzelnen Länder gleichsam privatim durch einen dazu ausgesendeten Vertrauensmann, den Kunsthändler Herrn Fritz Gurlitt, zur Betheiligung, wenn auch innerhalb peinlich eng gezogener Schranken, einladen lassen. Von Seiten der französischen Künstler ist diese Einladung abgelehnt worden. Die englischen, belgischen, holländischen, skandinavischen, russischen, spanischen, italienischen und österreichisch-ungarischen habe ihr bereitwillig entsprochen. Die einheimischen, besonders die Berliner, Künstler sind unzufrieden, daß ihnen nur für 300 Gemälde mittleren Umfangs der erforderliche Platz im Palast angewiesen werden konnte. Das Ausstellungsgebäude müßte eben die doppelte Ausdehnung haben, wenn es allen Raumansprüchen genügen sollte. Ein nicht geringer Theil des darin vorhandenen Platzes wird übrigens auch noch von der retrospektiven Ausstellung von deutschen Kunstwerken aus den letzten hundert Jahren okkupirt und bleibt somit denen aus der Gegenwart entzogen. Außer der Malerei, der Bildhauerei, der Architektur und den reproduktiven Künsten ist hier diesmal auch den dekorativen die gebührende Berücksichtigung geworden. So dürfen wir mit Bestimmtheit erwarten, daß das Bild des moderne Kunstschaffens im Vaterlande, welches die Ausstellung gewährt, ein allseitig Umfassendes sein wird. Wir haben noch keinen Grund zum Zweifel daran, daß dies Gesammtbild uns die erfreuende Gewißheit geben werde: auch die deutsche Kunst hat sich in diesen hundert Jahren wacker vorwärts gearbeitet und kann heut mit vollauf berechtigtem Selbstgefühl in den Wettkampf mit der jedes anderen modernen Kulturvolkes eintreten.