Die Constitutionen der europäischen Staaten seit den letzten 25 Jahren (Band 2)/Polen

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Die Constitutionen der europäischen Staaten seit den letzten 25 Jahren (Band 2) von Karl Heinrich Ludwig Pölitz (Hrsg.)
4. Polen
5. Cracau
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[1]
4.
Polen.

Unter Regenten aus der piastischen und jagellonischen Dynastie bildete, während des Mittelalters, das Königreich Polen die Vormauer des christlichen Europa gegen die asiatischen Völker und Horden. So unvollkommen auch in jenen Jahrhunderten die Verfassung dieses Slavenstaates war; so war es doch für die bürgerliche und politische Entwickelung des übrigen europäischen Staatensystems vortheilhaft, daß der Andrang der Mongolen, der Tartaren, der Osmanen und der Russen gegen Europa, in der Macht der Polen einen bedeutenden Widerstand fand, und daß selbst der teutsche Ritterstaat an der Ostsee dieser polnischen Macht so wenig gewachsen war, daß das halbe Ordensland, Westpreußen, im Thorner Vertrage vom Jahre 1466 den Polen abgetreten werden mußte.

Wie aber im Jahre 1572 der jagellonische Mannsstamm mit dem Könige Sigismund August in Polen erlosch, und Polen ein Wahlreich ward; da sank die Kraft des Reiches unter diesen Wahlkönigen um so tiefer, je größer die aristokratische Anarchie war, die sich über Sarmatien ausbreitete, und je bedeutender, während dieser Zeit, die Fortschritte waren, welche die übrigen europäischen Völker und Reiche in der Civilisation [2] und in der festern Begründung ihrer Staatsformen machten. Denn wenn gleich die von den polnischen Wahlkönigen beschlossenen, sogenannten pacta conventa einen Staatsvertrag zwischen dem Könige und der Republik Polen bildeten, so fehlte es doch diesem Staate, in Hinsicht seiner Verfassung, an einer festen Basis. Denn ein Slavenstaat, der nicht einmal die germanische Staatsform des Lehnssystems kannte, und welchem der dritte Stand abging, durch welchen im germanischen Staatensysteme die landständische Verfassung einen bestimmten politischen Charakter gewann, mußte unaufhaltsam veralten, und seiner endlichen Auflösung entgegen gehen, wenn er nicht durch ein aus seiner Mitte hervorgehendes Princip zu einem neuen politischen Daseyn verjüngt ward.

So stand Polen zu der Zeit, als Stanislaus Angustus Poniatowsky im Jahre 1764 unter russischem Einflusse den erledigten Wahlthron bestieg, nach seiner innern Verfassung im schärfsten Gegensatze gegen das übrige, in raschen Fortschritten seiner politischen Entwickelung entgegen reifende, Europa. Die erste Theilung Polens im Jahre 1772 verkündigte es übrigens, daß das seit beinahe 300 Jahren im europäischen Staatenbunde herrschende System des politischen Gleichgewichts in seiner Grundbedingung des rechtlichen Völkerbesitzes bereits mächtig erschüttert worden sey, und die diplomatische Rolle, welche der russische Gesandte seit dieser ersten Theilung in Warschau übernahm, war nicht dazu geeignet, die innere Desorganisation dieses Slavenstaates zu mindern, und ihn zu einem zeitgemäßen neuen politischen Leben zu erheben.

[3] Allein wie an der Seine im Jahre 1789, mit dem Zusammentreten der ersten französischen Nationalversammlung, die neue politische Form des ältesten christlichen Königreiches im jüngern Europa eingeleitet ward; da erwachte auch an der Weichsel, früher als in den übrigen europäischen Reichen, ein neuer politischer Geist. Die Kaiserin Katharina von Rußland war damals mit der Pforte und mit Schweden in Krieg verwickelt, und diesen Zeitpunkt fanden die Polen besonders günstig, dem drückenden Einflusse Rußlands sich zu entziehen, und durch ein Bündniß mit Preußen ihre künftige politische Existenz zu sichern, weil Preußen in jener Zeit die siegreichen Fortschritte Rußlands und Oestreichs gegen die Pforte nicht ohne Befürchtung für seine eigene politische Sicherheit beobachtete, und deshalb der Pforte, in einem besondern Vertrage, die Integrität ihrer Besitzungen garanrirte.

Schon am 6. Oct. 1788 ward der polnische Reichstag eröffnet, auf welchem sogleich, im Sitzungssaale der Senatoren, nach geheimer Stimmensammlung, durch Mehrheit der Stimmen das bis dahin bestandene freie Veto aufgehoben ward, welches alle frühere Reichstage zerrissen und die beabsichtigten Verbesserungen im politischen Reiche von dem Willen eines einzigen stimmenden Individuums abhängig gemacht hatte. Die von Rußland vorgeschlagene Allianz ward von dem Reichstage abgelehnt, theils weil Preußen dagegen protestirt hatte, theils weil Polen ohne eine gutorganisirte Armee und bei seinen zerrütteten Finanzen an dem Türkenkriege keinen Antheil nehmen konnte. Der Reichstag beschloß am 21. Oct. die Ergänzung der bestehenden Armee von 18,000 Mann bis auf 100,000 Mann, um durch die Kraft und Haltung derselben dem polnischen [4] Reiche seine neue Stellung im europäischen Staatensysteme zu sichern. Zwar ließ am 5. Nov. Katharina durch ihren Gesandten bei dem Reichstage gegen jede Veränderung der polnischen Constitution protestiren; allein die Landboten beharrten bei ihrem Zwecke, die bisherige Constitution zu verbessern, und forderten von dem Könige die Erklärung, ob er das Interesse Rußlands unterstützen wolle, – in welchem Falle sie alle ihn verlassen würden, – oder ob er die Basis der neuen Constitution zur Rettung des Staates gegen fremden Einfluß anzunehmen geneigt sey.

Der König willigte ein, und der Reichstag erklärte am 17. Nov. in einer Note an Rußland, daß er sich als unabhängig und als gesetzgebende Macht betrachte. „Man hoffe, die Kaiserin werde, wenn etwas in der polnischen Verfassung geändert würde, eine Freude über den vollkommnern Zustand der Republik empfinden, und man ersuche sie wiederhohlt, die russischen Truppen schleunigst aus dem Gebiete der Republik zu entfernen, um jede Collision mit der Pforte zu vermeiden.“

Gleichzeitig erhielt am 17. Nov. der Reichstag eine preußische Note, in welcher die neue militärische Organisation gepriesen, und die Republik ermuntert ward, in ihren Einrichtungen im Innern fortzufahren; wobei der König von Preußen erklärte, die Unabhängigkeit der Republik zu garantiren, und in ihre innere Einrichtung, so wie in die Freiheit der Berathschlagungen und Beschlüsse des Reichstages sich nicht zu mischen. In einer officiellen Note vom 10. Dec. 1789 wiederhohlte Preußen das Anerbieten seiner Allianz, doch unter der Bedingung, daß, vor dem Abschlusse derselben, die Regierungsform und die künftige Thronfolge in Polen [5] näher bestimmt würde. Darauf legte der Bischoff von Kaminiec, Kransinski, als Präses der Commission, welche mit der Abfassung der neuen Constitution beauftragt war, dem Reichstage acht Hauptpuncte der neuen Constitution vor, welche am 13. Dec. von dem Reichstage angenommen wurden.

Nach diesen Vorschritten zur neuen Constitution, ward am 29. März 1790 das Bündniß zwischen Preußen und Polen unterzeichnet, nach welchem Preußen, im Falle eines Angriffs, 12,000 Mann Infanterie und 4000 M. Cavallerie, Polen aber 4000 Mann Infanterie und 8000 M. Cavallerie zu stellen, und, wenn dies nicht ausreichen sollte, Preußen sein Hülfscorps auf 30,000 Mann, Polen das seinige auf 20,000 Mann zu erhöhen versprach. Niemand sollte sich in Polens innere Angelegenheiten mischen. Geschähe es dennoch; so versprach Preußen zuerst seine freundschaftliche Verwendung, und, wenn diese fruchtlos wäre, den vertragsmäßigen Beistand. Beide Mächte garantirten sich ihre Besitzungen.

Bei der Verlängerung des Reichstages ward fortdauernd über die einzelnen Puncte der Constitution verhandelt, am 8. Oct. 1790 der Churfürst von Sachsen zum Thronfolger vorgeschlagen, und am 6. Dec. selbst ein Allianzvertrag mit der Pforte entworfen, der aber nicht zur Vollziehung kam. Noch faßte der Reichstag am 3. Jan. 1791 den Beschluß, daß jedes Mitglied desselben mit der Todesstrafe belegt werden sollte, welches überwiesen würde, von einer fremden Macht eine Pension zu ziehen.

Von großer Wichtigkeit war es, daß am 14. Apr. 1791 den polnischen Städten ein Freiheitsbrief ertheilt ward, in welchem sie den größten Theil ihrer [6] alten Privilegien, und noch einige neue zeitgemäße Vorrechte zugestanden erhielten, wodurch der Druck, unter welchem sie bisher geschmachtet hatten, aufgehoben und der ganze Bürgerstand in Polen für die neue Ordnung der Dinge gewonnen und begeistert ward.

Da dieser Freiheitsbrief der Städte im dritten Abschnitte der Constitution vom 3. Mai 1791 seine Bestätigung erhielt, und dadurch einen integrirenden Theil der polnischen Constitution selbst bildete; so muß derselbe der Constitution vorausgeschickt werden.



[16] Die neue Constitution Polens selbst ward am 3. Mai 1791 mit großer Stimmenmehrheit angenommen; nur die Landboten von Kalisch, Suchorzewski, und von Podolien, Zlotnicki, und die Castellane Czetwertynski und Ozarowski, protestirten dagegen. Der König ward von denjenigen Puncten seines Wahlvertrages freigesprochen, welche mit der neuen Constitution nicht vereinigt werden konnten, und darauf die neue Constitution von dem Könige unter dem Throne, und von allen Gliedern des Reichstages, von den Großen des Reiches und von den Bürgern der Hauptstadt in der Kirche beschworen, wohin sie der König geführt hatte.



[31] Diese Constitution trug das Gepräge der polnischen Nationalität, wenn gleich die Rücksichten auf die constitutionellen Arbeiten der ersten französischen Nationalversammlung in derselben nicht zu verkennen sind. Als Eigenthümlichkeit verdient es bemerkt zu werden, daß – der Zeit nach – diese erste polnische Constitution vier Monate früher vollendet, öffentlich beschworen und von dem Könige und der Nation beschworen ward, als selbst die erste französische Constitution von Ludwig 16; denn eine allgemeine Begeisterung hatte damals das polnische Volk und dessen Großen ergriffen.

Allein der Churfürst von Sachsen, welchem die polnische Krone in dieser Constitution bestimmt und durch eine polnische Deputation, an deren Spitze sich der Fürst Czartoryski befand, angeboten worden war, trug Bedenken, diese Krone anzunehmen; denn Rußland war mit den Schritten des polnischen Reichstages völlig [32] unzufrieden, und ohne daß Katharina 2 die neue Constitution bestätigte, war ein friedliches Verhältniß zwischen Rußland und Polen für die Zukunft nicht zu erwarten.

Bald zeigte sich auch die Politik der Kaiserin in Beziehung auf diese Constitution. Unter ihrem Schutze bildete sich aus der Opposition der neuen Constitution der Targowitzer Bund; Stanislaus Augustus ward durch den russischen Einfluß vermocht, diesem Bunde sich anzuschließen, und der Reichstag zu Grodno (29. Sept 1792) verwarf – gleichzeitig mit dem zwischen Rußland und der Pforte abgeschlossenen Frieden – die neue Constitution vom 3. Mai, und beschloß die Herstellung der alten. Unter diesen Verhältnissen hätte Preußen, als Polens Bundesgenosse, den Krieg an Rußland erklären müssen. Allein Preußen war damals in den Krieg gegen Frankreich verwickelt, der in den letzten Monaten des Jahres 1792 eine ungünstige Wendung für die Teutschen nahm. Es führten daher die geheimen Unterhandlungen zwischen Rußland und Preußen zu der zweiten Theilung Polens im März 1793, von welcher Oestreich ausgeschlossen und der Rest von Polen, der diesen Namen behielt, auf eine Macht des dritten Ranges herabgesetzt ward. Der König Stanislaus Augustus mußte auf dem Reichstage zu Grodno die Abtretungsurkunden (Sept. 1793) an Rußland und Preußen selbst unterzeichnen.

Ob nun gleich Rußland mit diesem gebliebenen Reste Polens am 16. Oct. 1793 einen Unionsvertrag unterzeichnete; so wogte doch der Grimm der Polen über diese Theilung in einem Aufstande auf, der von Warschau aus (Apr. 1794) bald den übrigen Provinzen sich mittheilte. Allein vergebens war der Kampf von Kosciusko [33] und Madalinski gegen die Russen und Preußen. Kosciusko gerieth in russische Gefangenschaft; Praga, die Vorstadt von Warschau, ward von Souwarow mit Sturm genommen, und Polen, in der dritten Theilung vom 24. Oct. 1795, aus der Reihe der europäischen Mächte gestrichen.

Wie aber, eilf Jahre später, Napoleon die preußische Macht auf den thüringischen Schlachtfeldern gebrochen hatte, und der Schauplatz des Krieges in das Land jenseits der Oder verlegt ward; da erging, von Napoleons Hauptquartiere aus Berlin (Nov. 1806), der Aufruf Dombrowski’s und Wybicki’s an die Polen zur Insurrection. Ein polnisches Heer verband sich mit den Franzosen, und der Tilsiter Friede, am 8. und 9. Jul. 1807 mit Preußen und Rußland unterzeichnet, rief aus dem größten Theile der polnischen Provinzen, welche in den drei Theilungen Polens an Preußen gekommen waren, unter dem Namen des Herzogthums Warschau einen neuen europäischen Staat zum Daseyn, der im Wiener Frieden vom 14. Oct. 1809 dadurch bedeutend vergrößert ward, daß Oestreich demselben Westgallizien, und einen Theil von Ostgallizien, mit der Stadt Cracau, überlassen mußte. Der Tilsiter Friede, der zugleich die politische Selbstständigkeit der freien Stadt Danzig aussprach, und diese unter den Schutz der Könige von Preußen und Sachsen stellte, bestimmte den König von Sachsen zum erblichen Herzoge von Warschau, worauf Napoleon zu Dresden am 22. July 1807 die neue Constitution des Herzogthums Warschau unterzeichnete.



[46] Wenn die erste polnische Constitution im Ganzen das Gepräge einer Nationalverfassung trug; so leuchtet aus dem Verfassungsstatute des Herzogthums Warschau die Nachbildung der jüngern europäischen Constitutionen, und besonders der französischen, hervor. Demungeachtet berücksichtigte sie Vieles aus den localverhältnissen der polnischen Nation. Sie erhob die katholische Religion zur Staatsreligion, ob sie gleich den freien und öffentlichen Kultus für jede andere Religion aussprach. Sie erneuerte den Namen der Landboten, der Woywoden und Kastellane, obgleich die innere Organisation des Senats, des Staatsraths und des Ministerconseils, und die Einsetzung von Präfecten, Unterpräfecten und Maires, so wie die Einführung des Napoleonischen Gesetzbuches die neue Verfassung der französischen näher brachte. Ein großer Vorschritt zur höhern Civilisation der polnischen Nation war die Vernichtung der Leibeigenschaft, und die Gleichstellung aller Bürger vor dem Gesetze. Kaum darf es aber bemerkt werden, daß die geringe Ausstattung der [47] herzoglichen Krone mit 7 Millionen polnischer Gulden, (den Gulden zu 4 Gr. gerechnet,) für eine in Warschau regierende besondere Dynastie nicht hätte hinreichen können; so wie der König von Sachsen, während seiner sechsjährigen Regierung über diesen Staat, nie einen Gulden der ihm bestimmten Einkünfte für sich bezogen, sondern zum Nutzen des Herzogthums verwendet, und demselben sogar noch ansehnliche Vorschüsse gemacht hat, wie sich dies aus dem am 18. Mai 1815 zu Wien von Sachsen mit Preußen abgeschlossenen Frieden ergab, in welchem diese Vorschüsse zu 2,555,193 fl. berechnet wurden.

Wie, nach dem Wiener Frieden, das Herzogthum Warschau, das bis dahin auf 1851 Quadratmeilen eine Bevölkerung von 2,319,300 Einwohnern umschloß, durch einen Zuwachs von 920 Quadratmeilen und 1,400,000 neuer Bürger verstärkt ward, kamen zu den bisherigen 6 Departementen noch 4 neue Departemente hinzu, so daß seit dem königlichen Decrete vom 17. Apr. 1810 dieser Staat aus 10 Departementen bestand.

Als aber Napoleon am 22. Juny 1812 den von ihm sogenannten zweiten polnischen Krieg gegen Rußland eröffnete, war bereits von ihm der Erzbischoff von Mecheln, de Pradt, als Ambassadeur nach Warschau gesandt, und von dem Könige von Sachsen das dasige Ministerconseil beauftragt worden, in dringenden Fällen seine Rechte und die Verfassung zu vertreten. Der zusammenberufene Reichstag proclamirte am 28. Juny 1812 die Wiederherstellung des Königreiches Polen, mit Einschluß aller derjenigen Provinzen, welche in den drei Theilungen an Rußland gekommen wären.

[48] Allein nach dem Rückzuge der Franzosen aus Rußland ward das Herzogthum Warschau von den nachrückenden Russen besetzt, und dessen Schicksal auf dem Wiener Congresse dahin entschieden, daß dasselbe – bis auf das an Preußen abgetretene Großherzogthum Posen – ganz, unter dem Namen: Königreich Polen mit Rußland vereiniget werden sollte. Der Kaiser Alexander nahm am 30. Apr. 1815 den Titel eines Königs von Polen an, und gab am 27. Nov. 1815 diesem Staate eine neue Constitution.



Anmerkungen (Wikisource)

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