Die Diätetik der Vegetarianer

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Autor: Otto Funke
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Titel: Die Diätetik der Vegetarianer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29–30, S. 453–454, 470–473
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Vortrag wider Vegetarismus
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[454]
Die Diätetik der Vegetarianer.
Oeffentlicher Vortrag, gehalten in der Universitäts-Aula zu Freiburg von Professor O. Funke.


Meine Damen und Herren!

So oft sich mir bisher die Gelegenheit geboten hat, vor einem solchen Kreise hochgebildeter Laien irgend eines der zahlreichen Räthsel des Lebens zu entziffern, bin ich mit wirklicher Freude an die Lösung meiner Aufgabe gegangen. Nicht so heute, wo ich es unternehme, eine neuerdings wieder einmal unter dem Unfehlbarkeitsstempel mit großem Marktgeschrei als alleinseligmachend angepriesene Diätetik, die Diätetik der sogenannten „Vegetarianer“, oder wie sie sich mit einem nur halbberechtigten Euphemismus noch lieber nennen, der „Freunde natürlicher Lebensweise“, einer physiologischen Kritik zu unterziehen und gegen die dreiste Behauptung, daß ihre Lehre auf lauterer physiologischer Wahrheit ruhe, Protest einzulegen. Ich gehe ohne die gewohnte Freudigkeit an dieses Thema, hauptsächlich, weil mir das kleinlaute Motto vor den Ohren summt:

„Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,
Die Menschen zu bessern und zu bekehren.“

Ich lese es in den prophetischen Mienen der Vegetarier, [455] welche in diesem Saale sich eingefunden haben, daß sie mit dem anderen Motto:

„Die Botschaft hör’ ich wohl,
Allein mir fehlt der Glaube,“

unbeirrt zu ihrem geliebten Kohl zurückkehren und mit gleicher souveräner Verachtung wie bisher auf die „Ritter vom Fleische“ herabschauen werden. Denn kein Vorurtheil in der Welt ist zäher, als das, welches sich Laie und Laiin auf Grund verschleppter Traditionen und eingebildeter Selbsterfahrungen über die Erfordernisse ihrer Leibeswohlfahrt groß gezogen haben, zumal wenn sich dasselbe mit einem respectablen Mäntelchen bunt zusammengeflickter, halb- oder mißverstandener, halb- oder unpassender physiologischer und pathologischer Lehrsätze herausputzen läßt.

Daß ich trotz alledem das bezeichnete Thema gewählt habe, hat einen doppelten guten Grund. Einmal hielt ich es für eine Pflicht, den vielfachen Anfragen, welche an mich wie an meine Fachgenossen von Unbefangenen, aber auch mit anerkennenswerther Ehrlichkeit von Vertretern des Vegetarianismus selbst über die Stellung der Physiologie zu dieser Lehre ergangen sind, öffentlich zu antworten; zweitens – und das lassen Sie mich besonders betonen – verdient diese Lehre in mehrfacher Hinsicht eine ruhige achtungsvolle Kritik. Es ist kein gewöhnlicher Humbug, keine betrügerische Speculation von Charlatanen, kein Mesmerismus, kein Gallismus – auch kein Impfprotest. Es liegt unter ihrer Spreu manch’ Körnlein gesunder Wahrheit und vor Allem ein tiefer sittlicher Ernst, dem wir unseren Respect nicht versagen dürfen. Indem ihre Jünger in vollster Ueberzeugung einer „natürlichen Bestimmung“ des Menschen zu folgen glauben, und eine sittliche Genugthuung darin finden, ihrer Abneigung gegen die Vernichtung fremden Lebens zur Erhaltung des eigenen gerecht zu werden, machen sie am eigenen Leibe mit mancher herben Entsagung die Probe auf ihr Exempel. Nicht in den Motiven, nicht in der Art der Ausübung liegen die Schwächen des Vegetarianismus, sondern in einer unglücklichen Verschmelzung von Wahrem und Falschem und Entstellung von Wahrem zu Falschem in seinen Grundsätzen, in einer durch und durch den Dilettantismus verrathenden Einseitigkeit, Oberflächlichkeit und Mangelhaftigkeit der angestrebten Beweisführung, endlich in der praktischen Unmöglichkeit seiner allgemeinen Durchführung.

Wie lautet nun das Programm der Vegetarianer? Wenn diese Herren nichts weiter behaupteten, als etwa Folgendes: wir kleines Häuflein Sonderlinge haben in Sachen unserer Leibesnahrung für uns beschlossen, ausschließlich von Pflanzenspeise (und allenfalls Milch) zu leben, uns Alles, was vom getödteten Thiere stammt, sowie jedes sogenannte Reiz- und Genußmittel, als da sind: Kaffee, Thee, Bier, Wein, Salz, Pfeffer und dergleichen, zu versagen, weil uns speciell diese (Notabene für unseren Geldbeutel äußerst zuträgliche) Kost, wenn wir uns (mit oder ohne heimliche Ueberwindung) daran gewöhnt haben, behagt, weil uns unsere und unserer Vorgänger Erfahrung lehrt, daß wir dabei ohne merkliche Beeinträchtigung unseres leiblichen und geistigen Wohlbefindens bestehen können, weil unser Gefühl uns verbietet, Veranlassung zur Tödtung lebensberechtigter Thiere zu geben (soweit wir nicht ihrer Haut zur Bekleidung unserer Gehwerkzeuge bedürfen), – wenn, sage ich, darauf das Programm sich beschränkte, so ließe sich nicht viel dagegen einwenden. Wir hätten dann nicht einmal Veranlassung, von ihnen den schwer beizubringenden Beweis zu fordern, daß sie sich besser befinden, als ein mäßiges Menschenkind, welches mit sogenannter gemischter Kost sein Dasein fristet. Aber so zahm und bescheiden ist der Vegetarianismus nicht. Er gebietet dilatorisch: Alle Menschen auf Erden müssen zu ihm übertreten, weil die von ihm vorgeschriebene Lebensweise die einzig gesunde, von Gott und Natur für alle Kinder Eva’s bestimmte sei. Er behauptet, die Autorität Cuvier’s als Medusenhaupt vorhaltend, die ganze Organisation des Menschen, insbesondere die Einrichtung seiner Verdauungswerkzeuge, der Zähne und des Darmcanals sei unzweideutig die eines ausschließlichen Pflanzenessers, wie die des menschenähnlichsten Thieres, des Affen, welcher factisch nur von Vegetabilien sich nähre. Er behauptet, die Pflanzenkost und zwar nur die Pflanzenkost bei Vermeidung aller, auch vegetabilischer Reizmittel biete dem Menschen alle Bedingungen zu einem völlig normalen Ablauf seiner Lebensprocesse, möglichste Sicherheit vor krankhaften Störungen derselben, Garantie für ein hohes Alter in leiblicher und geistiger Gesundheit, wie einem gesunden Menschenverstand eigentlich ohne Weiteres einleuchten müsse, zum Ueberfluß aber noch durch eine bis auf Pythagoras den Weisen und weiter zurückzudatirende Erfahrung und das Experiment am eignen Leibe bewiesen werde.

Nun die Kehrseite des Programms! Der strenge Vegetarianismus verwirft absolut alle animalische Kost, der gemilderte, da das Abstellen und Verurtheilen von Milch, Butter und Käse eine äußerst mißliche Sache ist, nur Alles, was vom getödteten Thier stammt, vor Allem das Fleisch. Warum? Aus drei gewichtigen Gründen: erstens, weil es eben nicht Pflanze, d. h. nicht das Material, für welches angeblich unser Speiseapparat eingerichtet ist, zweitens, weil es „unmoralisch“, ja „kannibalisch“, ein Thier zu tödten, um es zu verzehren, und drittens, weil das Fleisch und Alles, was dazu gehört, ein furchtbares, wenn auch schleichendes Gift für Leib und Seele! Ja, meine Damen und Herren, jedes echte Haar sträubt sich zu Berge, wenn wir lesen, welche Legion scheußlicher Gespenster die Vegetarier aus dem Fleischgenuß über uns „Sarkophagen“[1] – das ist ihr Lieblingsschmeichelwort für uns – heraufbeschwören. Der erste Schluck Bouillon, den man uns als Kindern eingeflößt, war das kleine Steinchen, um welches die rollende Zeit eine Lawine verderblicher Genüsse zusammengeballt hat, welche schließlich Leib und Seele begräbt. In jedem Stückchen Fleisch lauern nicht allein Trichinen und Bandwürmer, Typhus und Schwindsucht und das ganze Heer der Menschenpestilenzen, begierig den Leib zu vernichten, den wir durch die verbotene Speise in ein „Gefäß der Fäulniß“ verwandelt haben, nein, wer Fleisch ißt, riskirt noch weit Aergeres. Ein solches „Menschenraubthier“ wird zum Gourmand, zum Schlemmer, zum Säufer, zum Wüstling, zum Verbrecher! Die Logik dieser entsetzlichen Stufenleiter klingt etwa folgendermaßen: Alle Nahrungsmittel sind Reizmittel, die natürlichen, d. h. eben die, welche die Vegetarier so nennen, gesunde, nützliche, die „unnatürlichen“, in erster Reihe das Fleisch, ungesunde, – von den Beweisversuchen dafür später!

Wer einmal ein Reizmittel genießt, dem geht es, wie bei jeder Sünde, er bleibt dabei nicht stehen, er greift nach weiteren, immer kräftigeren, immer verderblicheren. Er greift zum Salz und zum Pfeffer, und da wir weder als Seekrebse noch als Pfefferfresser organisirt sind, werden diese harmlosen Gewürze, zu denen der „Instinct“ alle naturwüchsigen Völker treibt, selbst in mäßiger Gabe zum Gift. Er greift weiter zum Essig, zum Thee, zum Kaffee, zum Tabak und endlich, indem er sich vom letzten Rest natürlicher Menschlichkeit häutet, – zum Spiritus. Das gesalzene und gepfefferte Fleisch, drastisch durch eine Portion „Gulasch“ repräsentirt, macht Durst; solchen Durst löscht nicht mehr Wasser, Limonade und Mandelmilch, nur Wein, Bier, Schnaps! Und nun verlassen den verpesteten Leib, wie die Ratte das sinkende Schiff, alle guten Geister, nun ziehen sie ein in die verfallende Ruine, die Siechthümer, Blödsinn, wilde Leidenschaften, „carnivore Rohheit“, Irreligiosität und die ganze bunte Sippe der Laster. Daher alle die schwere Noth der Zeit, die mit dem Aufblühen der Cultur wachsende körperliche und moralische Verkommniß, die steigende Hochfluth der Verbrechen, die Zunahme des Wahnsinns, der Selbstmorde etc. etc. „Es ist noch lange nicht vorüber, ich kenn’ es wohl, so klingt das ganze Buch!“ Und woher das Heil? Woher die Abwehr des allgemeinen Menschenbankerotts, die Erlösung für die „verweichlichte, lasterzerfressenen Völker“? Nur in der Rückkehr zur natürlichen Lebensweise, zum Vegetarianismus!

Wer da meinen sollte, ich habe übertrieben oder entstellt, der lese einmal die Tractätchen des Herrn Th. Hahn, und er wird meine Skizze matt und farblos finden gegen die blendenden, saftigen Knalleffecte, mit welchen dieser „Naturarzt“ zu malen versteht. Ueberall findet er bis zum Ueberdruß dem engelreinen Mustervegetarianer gegenüber die ekelhafte Carricatur eines wüsten Schlemmers auf die Wage geworfen, was allerdings wohlfeiler und weit effectvoller ist, als eine objective Abwägung der Vegetarier gegen die Millionen schlichter Menschenkinder, welche mäßig von gemischter Kost leben, und von den verpönten Reizmitteln die wirklich schädlichen entweder meiden oder in bescheidener Dosis genießen. Und Angesichts solchen Gebahrens der Vorkämpfer des Vegetarianismus müssen wir, die wir mit gerechtem wissenschaftlichen Maße messen wollen, es uns bieten lassen, daß ein anderer Prophet dieser Confession uns zuruft: „Wer bei leidlich gesunden Sinnen den Inhalt der Hahn’schen Schriften durchdenken kann und im Wesentlichen nicht von der Richtigkeit (d. h. der ausschließlichen Richtigkeit) der [456] natürlichen Diät überzeugt ist, der entschuldige, wenn ich an seiner Denkfähigkeit oder aber an seiner Wahrheitsliebe zweifle.“ In der That, meine Damen und Herren, eine ganz abscheuliche Alternative, zwischen welche ich mich leichtsinnig begebe. Hier die Scylla der Dummheit, dort die Charybdis der Heuchelei. Sie mögen richten, welche mein gebrechliches Fahrzeug verschlingt! Also zur Sache!

Zur richtigen Würdigung irgend einer diätetischen Lehre gehört streng genommen ein möglichst genaues Verständniß des ganzen Ernährungsprocesses, soweit derselbe von der Wissenschaft erschlossen ist. Ein solches Verständniß müßte ich eigentlich bei Ihnen voraussetzen, oder einleitungsweise zu geben versuchen; ersteres darf ich nicht, letzteres kann ich in der kurzgemessenen Frist nicht, und darin liegt eine gefährlichere Scylla und Charybdis für mich, als die vorhin angedrohte. Zum Glück bewegt sich nur ein Theil der Discussion auf dem Boden der strengen Ernährungsphysiologie, während ein anderer Theil derselben neutrales Gebiet ist, auf welchem der Vegetarianer in schönster Harmonie dem Physiologen die Hände reicht. Immerhin muß ich Sie bitten, einige wissenschaftliche Angaben ohne ausführliche Begründung mit dem guten Glauben, daß ich keinen Schmuggel mit unechter oder zweifelhafter Waare treibe, von mir hinzunehmen.

Um Sie aber doch einigermaßen auf den allgemeinen Standpunkt zu stellen, von welchem aus der Physiolog an eine diätetische Kritik geht, und um Ihnen eine wenn auch flüchtige, doch stellenweise unappetitliche Wanderung durch Küche und Keller unseres Leibes zu ersparen, will ich Ihnen in einem durchweg saubern Bilde, welches ein geistvoller Fachgenosse bis in’s kleinste Detail der Stoff- und Kraftökonomie des Lebens angepaßt hat, die Grundzüge derselben in Kürze anschaulich machen.

Der lebende Körper des Menschen oder Thieres gleicht einem Hause, in welchem eine Dampfmaschine aufgestellt ist, bestimmt, außer gewissen Nebendiensten im Hause selbst, eine äußere Arbeit zu verrichten, z. B. Wasser aus einem Schacht zu heben. Für eine längere Betriebszeit, in welcher Alles in gleichem Stande bleibt, muß gerade wie bei unserem Körper, wenn derselbe z. B. im Verlauf eines Jahres an Gewicht weder zu- noch abnimmt, die Quantität der von außen in das Haus eingeführten Stoffe genau der Quantität der in gleicher Zeit aus demselben ausgeführten Stoffe gleich sein. Ebenso muß, was ich hier nicht näher ausführen kann, die Summe der als Wärme und Arbeit von dem Hause verausgabten Kräfte genau die Summe der eingeführten Kraftvorräthe decken. Was wird in das Haus eingeführt? Erstens Sauerstoff der atmosphärischen Luft, welche durch Thüren und Fenster eindringt, zweitens Wasser zur Speisung des Kessels, drittens das Brennmaterial, sei es Holz, Kohle, Torf, Gas etc., welches bei seiner Verbrennung durch den Sauerstoff die von der Maschine als Wärme und als mechanische Arbeit entwickelte Kraft liefert, ferner Oel oder Fett zum Schmieren des Mechanismus, endlich Eisen und andere Metalle zur Reparatur der abgenutzten Maschinentheile. Die stoffliche Ausfuhr aus dem Hause besteht in Luft, Wasserdampf, den gasförmigen Verbrennungsproducten, unter denen Kohlensäure die Hauptmenge ausmacht, unverbrannten oder halbverbrannten oder unverbrennlichen Resten des Heizmaterials, welche mit Rauch und Asche entfernt werden, endlich den Producten der Abnutzung der Maschinentheile und der Schmiere. Ganz entsprechend gestalten sich die stofflichen Einnahmen und Ausgaben unseres Körpers, ihre Wege und ihre Verwendung.

Wir führen durch die Thore des Mundes und der Nase den Sauerstoff der Luft in unsere Lungen und durch sie in unser Blut ein; wir nehmen Wasser, unvermischt, oder mit Kaffee, Alkohol etc. verunreinigt ein, und endlich verleiben wir uns mit unserer Nahrung dasjenige Stoffgemisch ein, welches dem Brenn- und Reparaturmaterial entspricht. Unsere Nahrung muß uns vor Allem die beträchtliche Menge von Heizstoffen bieten, welche, durch den eingesogenen Sauerstoff verbrannt, die einzige Quelle aller lebendigen Kräfte, welche der lebende Organismus entwickelt und verausgabt, bilden, die einzige Quelle der veränderlichen Kraftmenge, welche durch unsere thätigen Muskeln als mechanische Arbeit zur Erscheinung kommt, sei es als innere Arbeit im Hause, wie die Pumpthätigkeit unseres rastlosen Herzens, sei es als äußere Arbeit, durch welche wir eine Last, z. B. die Last des eigenen Körpers, auf eine bestimmte Höhe erheben, die einzige Quelle der ungleich größeren Kraftsumme, welche in Form von Wärme in stetigem Strome dem lebendigen Maschinenhause entweicht, jedenfalls auch die einzige Quelle der lebendigen Kräfte, welche in unserem Seelenapparate als geistige Arbeit frei werden. Ja, meine Damen und Herren, unsere Seele stehe ihrem eigenen Wesen nach so hoch, wie sie wolle, sie sei das selbstständige immaterielle, unsterbliche Princip, als welches sie definirt wird: so lange sie in dieser irdischen Behausung residirt, ist sie mit der in ihrem unmittelbaren Dienst stehenden Hirnmaschine so sclavisch wie das Stückchen Fleisch, das auf ihr Geheiß arbeitet, dem einen, Alles umfassenden Gesetzbuch der Natur unterthan, vor Allem dem obersten unbeugsamen Paragraphen, den wir das Gesetz der Erhaltung der Kraft nennen, so lange muß sie sich jedes Maß von Kraft, welches sie in ihren herrlichen Erscheinungsformen, Empfindungen, Gedanken, Willensäußerungen entfaltet, von den gemeinen Kräften borgen, welche in der materiellen Speise unseres Hauses schlummern.

Zweitens muß unsere Nahrung das Reparaturmaterial bieten, welches die im Hause aufgestellten Mechanismen immer im dienstfähigen Zustande erhält, die im Dienst abgenutzten Bestandtheile der Gewebe und Säfte des Körpers immer wieder ersetzt.

Drittens endlich soll sie auch Bestandtheile enthalten, welche die Rolle der Schmiere spielen, den Ablauf gewisser Lebensvorgänge, z. B. die Absonderung der Verdauungssäfte, erleichtern, die Abnutzung von Maschinentheilen vermindern.

Es wäre leicht zu zeigen, daß sich auch die stoffliche Ausgabe des Organismus, die Ausfuhr der Verbrennungs- und Abnutzungsproducte, der unverbrauchten und unverbrennlichen Reste des eingeführten Materials etc. vollkommen analog der Ausfuhr des Maschinenhauses gestaltet; es wäre von höchstem Interesse zu zeigen, daß auch die Kräfteabwägung des einen mit der des anderen bis auf’s Kleinste übereinstimmt. Allein, so verlockend die weitere Durchführung des Bildes, so würde sie uns doch zu weit von der Hauptstraße entfernen; unser Thema berührt ja nur die Einfuhr in unser Lebensgebäude und zwar nur denjenigen Theil, den wir soeben als Brenn- und Reparaturmaterial und Schmiere bezeichnet haben. Welche chemischen Stoffe im Allgemeinen den in diesem Sinne zu stellenden Anforderungen Genüge leisten und dadurch die Bedeutung von „Nahrungsstoffen“ erhalten, ist längst festgestellt. Wir kennen auch ziemlich sicher die speciellen Rollen, welche die verschiedenen Arten jener Stoffe spielen, wie weit sie als Brenn- oder Baumaterial dienen; wir haben auf dem Wege der Erfahrung die Mengenverhältnisse ermittelt, in denen der eine und der andere eingeführt werden muß, um unsere Maschine in regelrechtem Gange zu erhalten. Hierüber sind glücklicher Weise auch die Herren Vegetarianer in der Hauptsache wenigstens eines Sinnes mit uns. Soweit sie sich überhaupt um solches physiologisches Detail kümmern und es verstehen, beten sie uns Namen und Charaktere der nothwendigen Nahrungsstoffe nach. Unsere Discussion mit ihnen dreht sich nicht um die Nahrungsstoffe, sondern um die Nahrungsmittel, genauer ausgedrückt, um die Frage, welcher natürlichen Bezugsquelle der Mensch die geeignete Mischung jener nothwendigen Nährstoffe entnehmen soll, gerade so, wie wir auch bei einer bestimmten Dampfmaschine, welche ihre Wärmebildner ja ebenfalls in sehr verschiedener Form, als Holz, Kohlen, Torf, Leuchtgas, beziehen kann, die Fragen stellen: Welches Heizmaterial ist das zweckmäßigste bei der gegebenen Einrichtung der Maschine und der Feuerung insbesondere? Welches giebt am besten aus? Und wenn mehrere im Heizwerth gleich stehen, welches ist das billigste, am leichtesten zu beschaffende? Bringt etwa das eine oder das andere durch besondere Eigenthümlichkeiten oder Beimischungen der Maschine Nachtheil? – Sehen wir also zu, ob in der That der Mensch zur ausschließlichen Vegetarierkost verurtheilt ist.

Ueberblicken wir den Haushalt der Thierwelt im Großen, so tritt uns in ausnahmsloser Gültigkeit der oberste Grundsatz: Leben um Leben, oder Leben durch Tod entgegen. Es ist unleugbare Thatsache, daß die Natur, welche nach der gang und gäben teleologischen Anschauung einen zweckmäßigen Haushaltsplan von Anfang der Dinge an vorschrieb, Mensch und Thier darauf angewiesen hat, das zur Erhaltung des individuellen Lebens erforderliche Material von anderen Trägern des Lebens, Thieren oder Pflanzen, und zwar meistens unter Vernichtung ihrer Existenz, zu entlehnen. Dazu gab sie, wie Sie Alle aus dem Elementarunterricht in der Naturgeschichte wissen, jeder Thierform ihre specifische Organisation, ihre eigenthümliche Ausrüstung mit Mordwerkzeugen und sogenannten Instincten, dem Tiger seine Klauen, sein gewaltiges Gebiß und seinen Blutdurst par excellence, der Spinne ihre Spinndrüsen und den wunderbaren [457] Weberinstinct, der Viper ihre Giftzähne etc. Sie wies, wie das teleologische Raisonnement weiter lautet, in gerechter Vertheilung der durch diesen Grundsatz bedingten Calamität, zur thunlichst gleichmäßigen Sicherung aller Lebensformen vor gänzlicher Vertilgung den verschiedenen Thierarten verschiedene Lebenssphären zum Fouragiren an und sorgte umgekehrt dafür, daß jede Art ihren Tribut an den allgemeinen Haushalt, wenn auch in verschiedenem Betrage, zahlt. Sie gab jedem Thiere seine natürlichen Feinde, aber auch Schutzmittel gegen dieselben, oft in demselben Werkzeuge Angriffs- und Vertheidigungswaffe zugleich, und wenn sie eines ihrer Geschöpfe in letzterer Beziehung stiefmütterlich bedachte und ihm ein unverhältnißmäßig hohes Contingent von Schlachtopfern für die große Speisekammer aufbürdete, so entschädigte sie dasselbe durch eine entsprechend gesegnete Fruchtbarkeit.

Nun, das ist abgedroschene Schulweisheit, mit deren Wiederkäuung ich Sie nicht behelligen will. Ich verwahre mich auch ausdrücklich, daß ich der teleologischen Form, in welcher ich gesprochen, eine höhere wissenschaftliche Berechtigung zuerkenne. Ich habe sie gewählt, weil sie dem Laien am geläufigsten ist und am plausibelsten klingt; ich durfte sie gebrauchen, weil auch das Lehrgebäude der Vegetarianer wesentlich auf teleologischem Fundament ruht. Jedenfalls drängen uns solche Betrachtungen die Ueberzeugung auf, daß die Natur bei der Aufstellung und Durchführung des obersten thierischen Haushaltsprincips keine sentimentalen Rücksichten genommen hat. Die Auferlegung des Zwanges, in dem unvermeidlichen Kampfe um’s Dasein fremdes Leben zu vernichten, hat nach menschlichen Begriffen etwas Grausames, und wer die Gesetzgebung der Natur nach dem Gemüthsmaßstab richtet, legt begreiflicher Weise den Schwerpunkt der Anklage in die Anordnung so massenhafter Opfer thierischen Lebens, während die Vertilgung der seelenlosen Pflanzen höchstens dem zartestbesaiteten Frauengemüth nach der Lectüre von Fechner’s „Nanna“ Kummer erregt. Dieser Standpunkt ist im Allgemeinen ebenso erklärlich als harmlos; der Trieb zu anthropomorphosiren, Alles nach menschlichem Maße zu messen und Allem ein menschliches Gepräge aufzudrücken, zieht sich als rother Faden durch alle unsere Anschauungen von dem, was außer uns ist und gedacht wird. Wenn wir ihn aber auch nicht verdammen wollen, müssen wir uns doch hüten, alle seine naiven Consequenzen zu Recht bestehen zu lassen.

Es ist gewiß naiv, wenn wir den Tiger grausam nennen und es ihm als Charakterfehler anrechnen, wenn er ein Menschenleben nicht respectirt, welches doch sicher auf der ihm aufgezwungenen Speisekarte steht. Aber noch naiver ist es, zu behaupten, es sei sündhaft, zu glauben, daß die Natur auch den Menschen angewiesen haben könne, sein Dasein auf Kosten thierischen Lebens zu fristen, es stehe irgendwo in jenem Urgesetzbuch ein Paragraph, welcher dem Menschen als etwas „Unnatürliches, Unmenschliches“ verbiete, Thiere zu anderen Zwecken als zu seiner Vertheidigung zu tödten. Wahrlich, wenn die Natur die Grille gehabt hätte, dieses Verbot auszusprechen, wenn sie, gleichviel aus welchem Grunde, den Menschen zum reinen Pflanzenfresser bestimmt hätte, sie hätte ihrem Meisterstück einen schlechten Dienst geleistet. Nur dadurch, daß sie den Menschen als Omnivoren (Allesesser) schuf, ihn so organisirte, daß er ebensowohl bei reiner Pflanzennahrung, als bei animalischer, als bei gemischter Kost in voller Gesundheit leben kann und seinen Instinct auf Thiere und Pflanzen aller Art leitete, nur dadurch machte sie es ihm möglich, den Kampf um’s Dasein so glänzend zu bestehen, daß sein Geschlecht die ganze Erde überwucherte, in allen Zonen, den gegebenen Verhältnissen sich anpassend, heimisch wurde und so die vielgepriesene Mission als Herr der gesammten Schöpfung erfüllte. Derselbe natürliche Zwang, welcher die Bewohner der Tropengegend zu vorherrschender Pflanzenkost treibt, gebietet den Bewohnern der kalten Zonen ausschließliche oder überwiegende animalische Kost. Wollen die Vegetarianer etwa behaupten, der Eskimo habe die Grenzpfähle des natürlichen Menschenterritoriums überschritten, oder bilden sie sich selbst ein, sie können ihn noch zum „Freund der natürlichen Lebensweise“ heranziehen und er könne als solcher existiren? Wollen sie ihn lehren, wie er dem mörderischen Klima Getreidefelder und Gemüsegärten abtrotzen kann? Oder wollen sie ihn aus unserem Brodkorb, der ohnehin bei dem geringsten Mißwachs für uns schon hoch genug hängt, speisen? Wollen sie ihn, da er nun einmal nothwendig Fett als bestes Heizmittel verzehren muß, um die enormen Wärmeverluste seines Körpers zu decken, wie jeder Nordpolfahrer an sich erprobt, wollen sie ihn mit Olivenöl versorgen, um ihm den wohlfeilen Thran seiner Fische entbehrlich zu machen? In der That findet man in den Schriften der Vegetarianer schwache Versuche, zu beweisen, daß man auch in nördlichen Ländern bei ihrer Diät bestehen könne. Sie berufen sich auf die ackerbautreibenden Finnen, welche bei Brod und Milch gesund leben. Sie citiren nach Virchow die Arbeiter auf den Hochebenen Norwegens, welche sich von Flachbrod und trockenem Käse nähren. Erstens aber ist z. B. gerade bei den Finnen ein hoher Fleischconsum eine notorische Thatsache, und zweitens sind Milch und Käse eben doch animalische Nahrungsmittel – aber, sagt der Vegetarianer, solche, die wir ohne das sündhafte Morden von Thieren gewinnen! Die Sophistik dieser Ausrede ist wirklich äußerst komisch! Weil die Vegetarianer zugeben müssen, daß es ohne Milch auch bei uns schon nicht wohl angeht, haben sie sich in Betreff der Moralität des Milchgenusses einen Ablaßzettel ausgestellt. Sie tödten kein Thier für ihre Küche, aber sie stehlen consequent aus dem Haushalt des Rindviehs das kostbare Material, welches die Natur den mütterlichen Organismus aus seinen individuellen Einnahmen sich abdarben heißt, um es zur Bestreitung neuen kindlichen Lebens seiner Art zu verwerthen. Die weniger Strengen essen sogar Eier und entlasten ihr Gewissen mit der raffinirten Entschuldigung, es sei keine Sünde, ein Leben im Keime zu zerstören, wie wenn der Dieb, welcher aus der Münze die Silberbarren stiehlt, sich damit rechtfertigen wollte, daß es kein geprägtes Geld sei.

Kehren wir wieder zu unserer ökonomischen Betrachtung zurück und überlegen wir einmal ernstlich, was im Laufe der Zeit wohl werden würde, wenn wir, geblendet von seinen goldenen Verheißungen, uns Alle zum Vegetarianismus bekehrten. Wir tödten keine Schweine mehr, wir geben sie frei, lassen sie wieder verwildern und mit ihrem reichen Familiensegen in ungestörter Gemüthlichkeit von unseren Aeckern sich mästen. Wir schlachten keinen Ochsen und kein Kalb mehr und strapaziren unsern Boden, ihren steigenden Futterbedarf zu erschwingen. Wir geben den Schafen und Ziegen und ihren Kindern und Kindeskindern die freie Weide, wir schießen keine Hirsche, Rehe und Hasen mehr und theilen brüderlich mit ihnen die gemeinschaftliche vegetabilische Vorrathskammer – so lange es ausreicht. Ja, so lange es ausreicht! Es bedarf keiner Sehergabe, um zu prophezeien, daß wir sehr bald verzweifelt fragen müßten: Wo bleiben wir? Lassen Sie es sich von Landwirthen und Nationalökonomen ausrechnen, in welchem Zeitraume etwa, trotz möglichst gesteigerter Productionskraft, trotz ängstlichster Verwerthung jeder brauchbaren Scholle, unser Boden für die an ihn gestellten Anforderungen insolvent werden müßte, noch dazu, wenn über die ganze dichte Bevölkerung Europas das Heil der „natürlichen Lebensweise“ ausgegossen wäre, wenn wir Alle in Urgesundheit Methusalem’s Alter erreichten. Sollen wir dann, weil sie uns zuviel von der ihnen angewiesenen Nahrung fressen, die harmlosen Thiere plötzlich als unsere natürlichen Feinde erklären, die Jäger und Metzger als nothwendiges Uebel wieder zu ehren bringen und wieder zu morden anfangen, ohne jedoch das edle Material unserer Opfer zu verwerthen, in neuem höheren Leben wieder auferstehen zu lassen? Das hieße der Natur in’s Gesicht schlagen, nicht aber ihre Gebote ehren.

[470] Alle die vorangegangenen Erörterungen wären aber fruchtlos, wenn es wirklich wahr wäre, daß unsere Organisation lediglich für Pflanzennahrung eingerichtet, nur diese gesund, die animalische Kost dagegen, in erster Linie das Fleisch, ungesund sei, direct oder indirect jene zahllosen Schäden, deren Keime die Vegetarianerbrille darin erblickt, unserem Leibe inoculire. Ich will Ihnen beweisen, daß dem nicht so ist, daß die gegentheilige Behauptung auf Unkenntniß, Mißverständnissen und den ärgsten Uebertreibungen beruht.

Betrachten wir zunächst unsere Organisation. Hier weisen uns die Vegetarianer im wahren Sinne des Wortes die Zähne. Es ist staunenswerth, mit welchem Fleiß sie in einem Punkte, in welchem sie sich für hieb- und schußfest halten, die Wissenschaft auszubeuten verstehen. Massenhaft kramen sie die Citate von Aussprüchen berühmter Anatomen aus, welche darin übereinstimmen, daß das Gebiß des Menschen gleich dem seines nächsten Verwandten, des Affen, das eines Fruchtessers sei. Armer Schiller! Das todte Gefäß deines hohen Genius, dein Schädel, wird in effigie neben dem des Pavians und Orang-Utangs zur Schau gestellt, um an deinen Kauwerkzeugen zu demonstriren, daß du mit Jenen Nachbarn in dieselbe diätetische Rangordnung gehörst. Ja, meine Damen und Herren, es ist wahr, wir haben nicht die gewaltigen Eckzähne des Tigers, um sie in lebende, thierische Beute einzuhauen und Stücke herunterzureißen, nicht die zusammengedrückten mehrspitzigen Backzähne desselben, um die groben rohen Fleischmassen zu zerfetzen und Knochen zu zermalmen, ebensowenig als wir die plumpen Mühlsteinzähne des Elephanten zum Mahlen von Maiskörnern, die scharfen Doppelmeißel des Bibers zum Abschaben von Baumrinde etc. besitzen. Wir haben mäßig scharfe Schneidezähne, wenig vorragende und mäßig spitze Eckzähne und stumpfhöckerige Backzähne, wirklich alle von ähnlicher Beschaffenheit wie die des Orang, der sie eben gerade zum Fruchtessen benutzt, ein Gebiß, welches auch mit dem der Schweine, factischer Omnivoren, nicht ganz übereinstimmt. Es ist wahr, wir haben ein Gebiß, welches sich ganz vortrefflich zum Zerbeißen und Zerdrücken von Früchten eignet. Aber wer kann behaupten, daß dasselbe Gebiß untauglich sei zur mechanischen Verarbeitung animalischer Kost und vor Allem, da selbstverständlich Milch, Butter, Käse und Eier hier nicht in Betracht kommen, auch des Fleisches unter den bestimmten, natürlichen Verhältnissen, unter welchen wir es unseren Zähnen darbieten? Wo ist die logische Berechtigung des Schlusses, daß, weil die Affen ein ähnliches [471] Gebiß hauptsächlich zum Fruchtessen benutzen, wir es trotz seiner Brauchbarkeit für andere Kost doch auch nur für Früchte verwenden dürfen? Zwingt uns etwa der sonst so perhorrescirte Ahnenstolz, in rührender Pietät von der Diät unserer Stammväter nicht abzuweichen und ihm zu Liebe vielleicht auch auf Milch und Käse zu verzichten? Uebrigens wird diese ganze Berufung auf die Affendiät dadurch total auf’s Haupt geschlagen, daß es factisch unter den Affen einige Arten giebt, welche auch von animalischer Kost, Insecten, Eiern, selbst kleinen Vögeln leben. Daß wir mit unseren Zähnen die Fleischstückchen, welche wir in unsern Mund einbringen, ohne Mühe für die weitere Verdauung hinreichend verkleinern können, wird, denke ich, Niemand bestreiten. Daß wir aber, ohne das exquisite Fleischfressergebiß des Tigers oder Hundes zu besitzen, doch von der Natur bestimmt sein können, außer Früchten auch noch Fleisch zu essen, wird jedem Unbefangenen klar, welcher bedenkt, daß dieselbe „Mutter Natur“ uns außer den Zähnen auch noch andere Werkzeuge zum Nahrungserwerb gab, unsere vollendeten Greifwerkzeuge, welche im Verein mit den künstlichen Werkzeugen, welche der von den Vegetarianern so hoch respectirte Instinct die rohesten Naturvölker fertigen lehrt, uns alle Dienste der specifischen Eck- und Backenzähne des Fleischfressers ersetzen. Kurz, die Beschaffenheit unserer Zähne liefert ganz entschieden nicht den angeblich schlagenden Beweis, daß wir geborene Vegetarianer sind. Es ist gerade so grundfalsch und einseitig, diesen Schluß aus unserer Gebißeinrichtung zu ziehen, als aus der Gegenwart von Eckzähnen welche den meisten Pflanzenfressern fehlen, zu folgern, daß wir von Natur reine Carnivoren seien.

Nicht besser steht es mit allen übrigen Eigenthümlichkeiten unserer Organisation, insbesondere unseres Verdauungs-Apparates, in denen man ein unverkennbares Vegetarianergepräge hat erblicken wollen. Keine einzige spricht unzweideutig für eine einseitige Bestimmung zu vegetabilischer Kost, ebensowenig wie für eine rein carnivore Bestimmung. Es ist ebenso unstatthaft, dem Menschen die vegetabilische Kost zu verbieten, weil er weder den vierfachen Magen des Wiederkäuers, noch den gewaltigen Blindsack des Nagers hat, als ihm den Fleischgenuß zu wehren, weil er wie Pflanzenfresser einen „zelligen Grimmdarm“ hat. Die Beschaffenheit seiner Verdauungsdrüsen und ihrer Säfte ist ebenso gut mit der einen wie mit der andern Kost in Einklang zu bringen, die Länge seines Darmcanals hält die Mitte zwischen dem sehr kurzen Darm reiner Carnivoren und dem für die langgweiligere Ausnutzung pflanzlicher Theile sehr lang gemachten Darm der Pflanzenfresser. Durch directe Beobachtung ist sicher constatirt, daß das Fleisch in unserer Leibesküche ganz in derselben Weise wie bei einem Carnivoren gelöst und verdaut, und seine Verdauungsproducte in mehr als genügender Menge den Ernährungssäften einverleibt werden, während es für den Menschen noch nicht hat nachgewiesen werden können, daß er einen Hauptbestandtheil der Vegetabilien, die sogenannte Cellulose, welche als starre Hülle das in den Pflanzenzellen aufgespeicherte Nahrungsmaterial einschließt, zu verdauen vermag, wie es für Herbivoren dargethan ist. Wenn man behauptet, die animalische Kost enthalte unverdauliche Bestandtheile, so ist dies richtig, aber erstens ist ihre Menge in Ochsenmaulsalat und Schweinsohren zwar beträchtlich, im eigentlichen Fleisch dagegen sehr gering, und zweitens gilt dasselbe geradeso auch für die meisten vegetabilischen Gerichte, ganz besonders für die an Cellulose reichen. Wenn man sagt, grobe Fleischstücke würden im Magen wenig angegriffen, so gilt dies wiederum in höherem Grade noch von groben, nicht gehörig zerkleinerten Pflanzentheilen. Sie werden es begreiflich finden, wenn ich mich im Interesse der Damen nicht auf weiteres Detail in dieser partie honteuse unserer Lebensprocesse einlasse, so gern ich noch manche scheußliche Anklage, welche die Vegetarianer in unsere Eingeweide schleudern, ihnen zurückgeben möchte. Also vorbei, vorbei!

Blicken wir auf die Thierreihe, so finden wir durchgängig mit der specifischen, einer bestimmten Futtersorte angepaßten körperlichen Organisation eine entsprechende psychische Ausrüstung verbunden, d. h. jene außerordentlich mannigfachen, staunenswerthen Triebe („Instincte“), welche die Thiere lehren, die verschiedensten, zweckmäßigen Handlungen zum Erwerb der ihnen zugewiesenen Nahrung vorzunehmen, den richtigen Gebrauch von den betreffenden leiblichen Apparaten zu machen. So gern wir uns nun zur Wahrung unserer aristokratischen Stellung in Bezug auf den Besitz von Instincten von der Gemeinschaft mit den Thieren emancipiren möchten, so geht es doch nicht, wir können nicht Alles, was wir thun, unter den auf Erfahrung und Wissen begründeten, vom Verstand dictirten Handlungen unterbringen. Ganz besonders geht es nicht in der Sphäre, von der wir hier reden. Wir müssen uns bequemen, auch bei der Nahrungswahl und dem Nahrungserwerb des Menschen das Walten eines Instincts, beim Mangel von etwas Besserem, anzuerkennen. Keiner bedenkt sich, den Instinct als Führer des Neugeborenen an die Mutterbrust zu betrachten, aber ebenso klar ist, daß der Mensch auch seine spätere Speise nicht erst auf dem Wege bewußter experimenteller Forschung sich ausprobirt, sondern zunächst instinctiv gewählt hat. Das erkennt auch der Vegetarier an, aber während wir als Ausdruck in die Augen springender Thatsachen aussprechen, daß der Instinct den Menschen gleichmäßig auf vegetabilische wie auf animalische Kost hinleite, behauptet der Vegetarianer in blinder Naivetät, der wahre unverdorbene Instinct dränge den Menschen nur zu Früchten und Milch (über die unbequeme Concession!), das Fleischessen sei die Folge eines durch falsche Gewohnheiten ausgearteten, durch künstliche Dressur ruinirten Instincts. Wo sind die Beweise? Selbstverständlich werden wir den unverdorbensten Instinct bei den von der Cultur noch nicht beleckten Naturvölkern zu suchen haben. Sind das etwa reine Pflanzenfresser? Mit nichten!

Die Vegetarianer citiren allerdings bis zum Ueberdruß als Mustermenschen die Hindus, welche, in der Nähe der muthmaßlichen Wiege der Menschheit aufgewachsen, bei dem realen Instinct, aber freilich auch sonst in vieler Beziehung stehen geblieben sind. Allein unsere ungeleckten Urväter in der grauen Steinzeit waren Jäger und Fischer, und der reine Instinct kam nicht einmal nachträglich mit der Einführung des Ackerbaues ganz zum Durchbruch. Bei den Kirgisen und Kalmücken zeigen sich noch heute wenig Spuren davon, und bei dem Eskimo müssen wir wohl für alle Zeit den total verkehrten Instinct als unverbesserlichen Erbfehler ansehen.

Die Vegetarianer citiren immer schlechtweg die heiße Zone als die Zone des reinen Instincts; bei Lichte besehen stellt sich aber selbst in den Tropen die Zahl der halben Sünder, welche von gemischter Kost leben, enorm groß heraus. Der Araber und Berber ißt Fleisch, wenn er es haben kann, mit Leidenschaft und in Menge und schneidet es sich unter Umständen sogar portionsweise aus dem lebenden Ochsen heraus. Rohlfs hat uns erzählt, daß die Ureinwohner Bornus nicht nur Milch und Eier, sondern auch Fleisch in großen Quantitäten vertilgen, und ebenso wissen wir, daß die Eingeborenen des tropischen Amerikas die Jagd zum Nahrungserwerb betreiben.

Die Vegetarianer berufen sich auf die alten Griechen und haben zum Heiligen des reinen Instincts, den sie anbeten und ansingen, den weisen Pythagoras erkoren, welcher die blutlose Diät zum Dogma erhob und ihr Heil so glänzend an sich erprobte, daß er erst im fünfundsechszigsten Jahre heirathete und noch sieben Kinder zeugte. Sie vergessen aber, daß weder Instinct noch Wissen die Grundlage der pythagoräischen Lehre war, sondern im Wesentlichen Aberglaube. Aberglaube war ebensowohl das Motiv seines Fleischverbots als des Interdicts, zu welchem auch die Vegetarianer entsetzt die Köpfe schütteln, des Verbots eines der besten nahrhaftesten vegetabilischen Küchenartikel, der Bohnen. Die Bohnen verbot er, weil sie der Gottheit heilig waren, das Fleisch, weil er an Seelenwanderung glaubte und Angst hatte, einmal aus Versehen eine selige Tante zu verspeisen.

Die Vegetarianer berufen sich endlich auf unsere Kinder, welche nach ihrer Angabe nach der Entwöhnung von der Muttermilch zum Fleischgenuß erst gezwungen werden müßten. Das ist nicht wahr, es ist – ich appellire an Ihre eigene Erfahrung – bei gesunden Kindern, sobald ihre Zähne ausgebildet sind, nicht einmal die Regel, eher die Ausnahme von der Regel. Doch genug auch hiervon! Der langen Rede kurzer Sinn ist, daß der Fleischgenuß dieselbe instinctive Begründung hat wie der Brodgenuß.

Ich komme zum gewichtigsten Controverspunkte, der positiven Anklage der Vegetarianer, daß das Fleisch ein schleichendes, aber sicheres Gift sei, direct, insofern es neben wenigen brauchbaren Bestandtheilen überwiegend schädliche enthalte, indireet, insofern es die Zufuhr anderer Leib und Seele verderbender Gifte nach sich ziehe. So furchtbar armirt diese Schanze, so leicht ist auch diese Position bei näherer wissenschaftlicher Betrachtung zu nehmen. Will es doch von vornherein nicht zu Kopf, daß dasselbe Material, welches als ausschließliche Nahrung zahlreichen, uns nicht viel ferner als die Affen stehenden Thierarten nicht nur nichts schadet, sondern alle ihre normalen Bedürfnisse befriedigt, die Quelle ihrer zum Theil [472] enormen Kraftentwickelung bildet, aus dem der Fuchs selbst seine sprüchwörtliche Schlauheit unterhält, für uns ein specifisches Gift sein soll, während wir doch beweisen können, daß seine Verdauungsumwandlung bei uns absolut dieselbe, daß unser Blut, in welches seine Verdauungsproducte gelangen, ganz dasselbe, daß endlich unsere Muskeln und Nerven, welche ernährt und mit Kraftvorrath versorgt werden sollen, gleich organisirt sind und gleich reagiren. Doch a priori läßt sich nichts beweisen. Hören wir die speziellen Beschuldigungen!

Die Behauptung, daß das Fleisch überhaupt arm an brauchbaren Stoffen sei, ist einfach eine Unwahrheit, und geradezu komisch ist es, wenn in dieser Beziehung das Fleisch mit Kaffee, Thee und dergleichen Genußmitteln in eine Kategorie geworfen wird. Das Fleisch ist reich an einem der wesentlichsten Nahrungsstoffe, an Eiweißstoff, weit reicher als die Milch, reicher als die meisten vegetabilischen Nahrungsmittel. Wir können den Bedarf an diesem Nahrungsstoff durch ein kleineres Quantum von Fleisch, als z. B. von Brod bestreiten; um ihn durch Kartoffeln oder Rüben zu decken, brauchten wir von diesen mehr als die zehnfache Menge. Das Fleisch ist im Durchschnitt mindestens so reich an Fett wie die Milch; reicher als die meisten Vegetabilien, aber – sagt der Vegetarianer – sehr arm an stärkmehl- und zuckerhaltigen Substanzen, an denen die meisten pflanzlichen Nahrungsmittel überreich sind. Das ist wahr, allein erstens ist es mit dieser Armuth beim Fleisch nicht so arg, wie jene Herren meinen, dasselbe enthält constant eine ansehnliche Menge solcher Substanzen, so daß der Bedarf davon aus nicht übermäßigen Fleischquantitäten bezogen werden kann, und zweitens ist der Ueberfluß vieler Vegetabilien an Stärkmehl insbesondere gar kein Gewinn, da der größte Theil desselben als Ballast eingenommen, der Außenwelt unverändert zurückerstattet wird. Es ist also auch nichts mit dem Vorwurf, daß das Fleisch zu wenig von solchem Heizmaterial führe, aus welchem unsere Muskeln ihre lebendige Kraft schöpfen, da die Vegetarianer glücklich aus den neuesten physiologischen Arbeiten den Nachweis herausgefischt haben, daß die Thätigkeit der Muskeln nicht durch Eiweißkörper unterhalten wird. Kurz, das Fleisch ist für unser Maschinenhaus wie für das des Hundes genügendes Heiz-, Reparatur- und Schmiermaterial zugleich; es leistet allein diese Dienste, um so besser, wenn es neben stärkmehl- oder zuckerreicher vegetabilischer Kost genossen wird.

Die ärgste Beschuldigung gilt der Fleischbrühe; sie sei nicht allein ohne Nahrungswerth, sondern geradezu ein Giftextract des Fleisches. Sonderbar! Diese Behauptung gründet der Vegetarianer auf eine beiläufige Bemerkung derselben Autorität, desselben Liebig, unter dessen Firma jetzt, wie jedes Zeitungsblatt lehrt, das concentrirte Fleischextract als Universal-Stärkungsmittel durch die ganze Welt ausposaunt wird. Was hat Liebig, der uns zuerst durch eine classische Untersuchung die Bestandtheile der Fleischbrühe kennen lehrte, gesagt? Etwa, daß er darunter einen gefunden habe, für welchen durch directe Experimente eine giftige Wirkung auf Thiere constatirt sei? Keineswegs! Nichts weiter, als daß einer darunter sei, das sogenannte Kreatinin, welches zu den organischen Basen, d. h. zu einer Classe von chemischen Substanzen gehöre, zu welcher auch gewisse heftige Pflanzengifte zu rechnen sind. Daß es Liebig nicht in den Sinn gekommen ist, das Kreatinin selbst als Gift zu brandmarken und deswegen den Genuß der Fleischbrühe zu verwerfen, das genirt den Vegetarianer nicht, aus diesem harmlosen Ausspruch aller Logik zum Trotz sein Anathema gegen die Bouillon zu schmieden, ein Beweis, daß in seinen Händen eine wissenschaftliche Angabe oft nicht besser aufgehoben ist, als ein Messer als Spielzeug in den Händen eines Kindes.

Nun, wir stehen jetzt überhaupt nicht mehr auf dem Standpunkte der Zeit, in welcher Liebig jene erste treffliche Arbeit lieferte und sich über die Beziehungen der Fleischbrühe zur Ernährung aussprach. Eine Reihe gründlicher neuer und neuester Forschungen haben uns in den Stand gesetzt, ein vollgültiges, mit schlagenden Beweisen ausgerüstetes Urtheil über den Werth der Fleischbrühe abzugeben, ein Urtheil allerdings, aus welchem sich der Vegetarianer bei der ihm so geläufigen Einseitigkeit der Benutzung viel bequemer als aus Liebig’s Ausspruch einen Fluch zusammenbrauen kann. Es ist wirklich richtig, die Fleischbrühe enthält giftige Substanzen, d. h. solche, welche, in größeren Dosen in den Organismus gebracht, durch ihre Einwirkung auf bestimmte Theile des Nervensystems störend, selbst tödtlich wirken können. Wir können ein Kaninchen tödten, wenn wir ihm das concentrirte Extract aus etwa drei Pfund Fleisch in den Magen pumpen; wir können die Vergiftungserscheinungen sogar an dem fleischfressenden Hunde demonstriren; wir wissen, daß die bekannten Erscheinungen von Aufregung, Herzklopfen und Fieber, welche nach Genuß sehr starker Fleischbrühe bei Menschen vorkommen, die Anfänge dieser Giftwirkung sind; ja, wir könnten einen Menschen mit einer großen Portion Liebig’schen Fleischextractes umbringen. Hört, Hört! Wir haben auch den Hauptverbrecher unter den Elementen der Fleischbrühe entdeckt, nicht in jenem Kreatinin, welches die Vegetarianer durchaus dazu stempeln wollen, überhaupt nicht in einem organischen Bestandtheile, sondern in gewissen Mineral-Bestandtheilen, den Kalisalzen, welche das Fleisch in überwiegender Menge enthält. Allerdings sind auch unter den organischen Bestandtheilen Stoffe, wie die Milchsäure und ein naher Verwandter des Kreatinins, das Kreatin, welche auf unsere lebensthätigsten Gewebe, die Nerven und Muskeln, „ermüdend“ wirken, allein wir dürfen von ihrer Berücksichtigung bei unserer Frage füglich absehen, weil keine Rede davon ist, daß sie selbst nach Excessen im Bouillongenuß in solcher Menge zu ihren Wirkungsstätten gelangten, daß sie Störungen hervorrufen könnten.

Nun, da haben wir’s! werden die Vegetarianer sagen, gleichviel wie der Sünder heißt, es ist doch ein Gift in der Fleischbrühe, ergo anathema sit. Halt, meine Herren! Zufällig bilden dieselben Kalisalze, welche in größerer Dosis eingenommen giftig wirken, einen der werthvollsten, für die Ernährung unentbehrlichen Bestandtheil der Fleischkost. Nehmen wir dem Fleisch seine Kaliverbindungen, so verhungert auch der Hund dabei, sein eigenes Fleisch schwindet und wird nicht durch neuangebautes ersetzt; die Kalisalze spielen eine unentbehrliche Rolle bei der Reparatur seiner abgenutzten Muskeln. Waschen wir aus einer Portion Fleisch mit Wasser alle löslichen Bestandtheile, also die ganze Fleischbrühe sorgfältig aus, und füttern mit dem ausgesogenen Rest einen Hund, so stirbt er; setzen wir aber zu eben diesem Rest künstlich, nicht die organischen Stoffe der Fleischbrühe, sondern nur ihre Kalisalze (und eine Spur von Kochsalz) zu, so lebt er nicht nur ohne Herzklopfen fidel weiter, sondern setzt auch bei entsprechender Menge dieses Futters neues eigenes Fleisch an. Ebenso läßt sich aus Beobachtungen entnehmen, daß auch zur Ernährung des Nervensystems die giftigen Kalisalze unerläßlich sind. Wenn etwa Jemand den abgedroschenen Einwand wagen wollte, daß wir keine Hunde seien, der Nutzen der Kalisalze aber nur für diese dargethan sei, dem entgegne ich, daß uns die Natur mit der Nase darauf drückt, daß wir auch in dieser Hinsicht dem Hunde gleichgestellt sind. Denn in unserer Muttermilch findet sich derselbe Ueberschuß an Kali-Verbindungen wie im Fleisch, und alle Ihre hochgepriesenen vegetabilischen Nahrungsmittel, meine Herren Vegetarianer, sind ebenso mit diesem Gift, dem einzigen Gift der Fleischbrühe geladen, die besten unter ihnen, die Bohnen, am meisten. So steht die Sache! Die Fleischbrühe allein, in ihrer gewöhnlichen Küchengestalt, wie als Liebig’sche Quintessenz, ist kein Nahrungsmittel – das wissen wir längst – sie kann in übertriebenen großen Dosen sogar schaden; aber mit ihrer Quelle, dem Fleisch, zusammen ist sie auch für den Menschen ein kostbares, mustergültiges Ernährungsmaterial, so gut oder besser als manches Vegetariergericht, und das geschmähte Fleisch könnte nur dadurch zu einem Gift für uns gemacht werden, wenn wir ihm seinen Saft nehmen wollten.

Die Fleischbrühe allein gehört ihrer eben angedeuteten Wirkung nach zu den sogenannten Reizmitteln. Lassen Sie mich über diese Classe von Küchenartikeln und das von den Vegetarianern über sie verhängte unbedingte Verdammungsurtheil nur einen flüchtigen Streifzug unternehmen. Auch hierin schütten die Jünger des Pythagoras das Kind mit dem Bade aus. Kein Mensch, und namentlich kein Physiologe wird mit ihnen darüber streiten, daß Kaffee und Thee keinen Nahrungswerth haben, den man ihnen vergeblich anzudichten versucht hat, daß sie in starken Gaben durch ihre aufregende Wirkung, besonders auf das Herznervensystem, schaden. Kein vernünftiger Mensch wird bestreiten, daß bei unseren geistigen Getränken der Heizwerth gegen die schädliche Wirkung des Alkohols in den Hintergrund tritt, daß es ein Leib und Geist verderbendes Laster ist, wenn wir unsere Seelenmaschine soweit unter Spiritus setzen, daß ihr ganzes Räderwerk in Unordnung geräth und den Dienst versagt. Ich bin weit entfernt, zu behaupten, daß mein unzertrennlicher Freund, der Tabak, durch seine Verbrennungsdämpfe [473] meine Muskeln stähle, oder mir Embonpoint verschaffe – soweit sind auch wir Sarkophagen Freunde und Kenner natürlicher Lebensweise. Allein erstens ist es entschieden falsch, zu den nutzlosen Reizmitteln sogar die unzweifelhaft nützlichen, wenn auch vielleicht nicht absolut unentbehrlichen, gewöhnlichen Gewürze, wie das Kochsalz, selbst im bescheidensten Zusatz zu unseren Speisen zu rechnen. Die verleumdete diätetische Ehre dieses Universalgewürzes, zu dessen Erwerb der Instinct alle Bewohner der Erde treibt, welches die Eingeborenen Central-Afrikas so hoch schätzen, daß sie seine Stücken als Münzen benutzen, ließe sich leicht durch wissenschaftliche Thatsachen wiederherstellen; thäte es aber auch mit Seinesgleichen nichts weiter, als die Absonderung unserer Verdauungssäfte zu befördern und so das Verdauungsgeschäft zu erleichtern, so wäre ihm schon ein hoher Werth als Schmiere in unserem Maschinenhaus gesichert.

Zweitens ist es thöricht und unberechtigt, auch den bescheidensten Genuß der übrigen vorhin genannten Reizmittel: Kaffee, Wein, Bier, Tabak, blindlings zu verwerfen. Ich will sie nicht damit in Schutz nehmen, daß der Trieb, sie in irgend welcher Form sich zu verschaffen, wiederum der Ausfluß eines unvertilgbaren Menscheninstincts ist, der sich zu allen Zeiten seit Noah’s ersten inspirirten Gährungs-Experimenten bei allen Völkern geltend gemacht hat. Ich frage nur: Muß denn unsere Maschine, wie der Pendel der Uhr, immer in demselben monotonen langweiligen Tempo arbeiten? Was schadet es ihr denn, wenn sie von Zeit zu Zeit mit etwas stärker gespanntem Dampf etwas rascher pumpt, sobald sie nur in den folgenden Intervallen bei langsamer Arbeit die kleine Luxusausgabe an Kraft aus dem genügendem Vorrath wieder einbringen und etwaige kleine Defecte ihres Mechanismus wieder ausbessern kann! Wahrlich, manche leuchtende, fruchtbringende Idee ist schon aus einem Römer duftenden Rheinweins geboren, welche vielleicht nie den nüchternen Wasserkrügen der Vegetarianer entstiegen wäre; manch’ bitteres Herzweh, das bei Himbeerlimonade tiefer und tiefer gefressen hätte, hat ein Schälchen Kaffee unter mitfühlenden Schwestern gemildert; manche Sorge, manche Grille hat sich mit dem Rauch einer Cigarre verflüchtigt, und das ist auch etwas werth in so mancher armseligen Menschenexistenz. Lassen wir also Gnade für Recht ergehen und diese verlästerten Genußmittel bei verständigem Gebrauch als Seelenschmiere gelten!

Zum Schluß nur noch wenige Bemerkungen gegen einen weiteren Canon im vegetarianischen Verfluchungsedict gegen das Fleisch, der da lautet: das Fleisch ist die Quelle zahlreicher Siechthümer, deren Keime es direct in den Menschenleib einschleppt, oder für deren Invasion es unseren Körper disponirt. Zergliedern wir das Zerrbild, welches die erhitzte Phantasie der Vegetarianer auch hier mit dicken Farbenklecksen uns vormalt, so bleibt abermals eine äußerst unscheinbare reelle Grundlage. Es ist kaum etwas Weiteres daran wahr, als daß mit dem Fleisch gewisse unheimliche thierische Gäste, vor allen die berüchtigten Trichinen, in uns einwandern können. Das ist allerdings schlimm, aber einerseits können wir uns durch sorgfältige Prüfung und genügendes Kochen des Fleisches vor dieser Gefahr schützen, andererseits möchte ich jetzt weniger als je dafür garantiren, daß nicht auch die Vegetabilien die Wirthe niedrigster mikroskopischer Organismen sind, welche, in den Boden des Menschenleibes versetzt, unter verderblichen Krankheitserscheinungen weiterwuchern können. Doch das liegt noch im Schooße künftiger Forschungen. Was die übrigen Krankheiten betrifft, welche die Vegetarianer der Fleischkost zur Last legen, so darf ich es Ihren Aerzten überlassen, Sie gründlich von der Haltlosigkeit solcher Märchen zu überzeugen. Die Vegetarianer führen uns aus allen Zeiten und Himmelsgegenden historische Normalmenschen ihres Glaubens vor; es wäre wohlfeil, ihnen gerade so viele und gerade so gewichtige Beispiele kerngesunder Omnivoren gegenüberzustellen. Es ist eben jeder nach seiner Façon selig geworden. Wenn die Vegetarianer behaupten, heruntergekommene Menschen seien aggressibler für gewisse Krankheiten, so haben sie wohl Recht, aber sie bleiben uns den Beweis schuldig, daß dieselben durch den Fleischgenuß zunächst zu Säufern und Wüstlingen geworden und dadurch heruntergekommen sind. Wenn sie behaupten, die Fleischfresser verfallen der Tuberculose, so will ich ihnen nicht schwindsüchtige Vegetarianer, wohl aber die Thatsachen entgegenhalten, daß die Bewohner von Island und den Faröerinseln trotz überwiegender Fleischkost absolut frei von Tuberculose sind, und umgekehrt unsere warm empfohlenen Vorbilder, die Affen, wenn sie in unser Klima übergesiedelt werden, trotz vegetabilischen Futters fast alle an Schwindsucht zu Grunde gehen. Wenn sie behaupten, die Länder der Carnivoren seien überhaupt die vornehmsten Brutstätten aller Krankheiten, so vergessen sie, daß die verderblichsten Seuchen, Cholera, Pest, gelbes Fieber, Privilegien der Tropengegenden sind, die Cholera von der gepriesenen indischen Urheimath der Vegetarianer aus ihre verheerenden Wanderzüge unternommen hat. Wenn endlich die Herren „Naturärzte“ sich vermessen, alle möglichen Krankheiten mit ihrer Diät bessern oder heilen zu wollen, so werden die „Kunstärzte“ ihnen zwar gern diesen und jenen Herzkranken z. B. in die Cur geben, aber gewiß mit allen Mitteln z. B. einen Diabetiker aus ihren gefährlichen Händen zu retten suchen.

Ich breche ab, denn die Stunde hat geschlagen, welche den Vegetarianer zu seinem ungesäuerten Brod, seinen Früchten und seiner Mandelmilch, meine Sündengefährten zu ihrem Butterbrod mit kaltem Fleisch, ihrem Glas Wein oder Bier, oder vielleicht gar zu einer „Tasse Thee“ ruft. Ich wünsche Freund und Feind einen gleich gesegneten Appetit. Sie, meine Collegen und Colleginnen in der Sarkophagie, vergessen Sie nicht, daß ich Ihnen wohl die Unschädlichkeit des Fleischgenusses garantirt und für einen mäßigen Genuß von Reizmitteln meine Lanze eingelegt habe, für die leiblichen und geistigen Schäden aber, welche ein Trimalchivgelage Ihnen bringen könnte, keine Verantwortlichkeit übernehme. Sie, meine Herren Vegetarianer, beachten Sie wohl, daß ich Ihnen die Möglichkeit einer gefunden Existenz bei Ihrer freiwilligen Selbstkasteiung nicht bestritten habe, daß ich auch Ihnen, die Sie nur als Laienbrüder gläubig auf die Worte Ihrer Magister schwören, die Blößen und Fehler Ihrer Diätetik nicht anrechne. Diesen Ihren Predigern aber sagen Sie, daß es heutzutage nicht mehr so leicht ist, „den Geist der Medicin zu fassen“ und ungestraft auf ihrem Gebiet den Messias zu spielen, daß sich die heutige Physiologie und Pathologie durch den Geist, in welchem ihre Jünger mit rastlosem mühevollen Fleiß das achtunggebietende Lehrgebäude, wie es jetzt dasteht, aufgeführt haben, auch das volle Recht erworben hat, gegen die Einmischung pfuschender Dilettanten ein Veto einzulegen.



  1. Wörtlich: „Fleischfresser“