Die Dichterdenkmäler in Weimar

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Autor: August Diezmann
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Titel: Die Dichterdenkmäler in Weimar
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 565–567
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Dichterdenkmäler in Weimar.

Die schwerste Last, die einem Menschen auferlegt werden kann, ist die eines ererbten großen Namens. Die Person eines so Belasteten verschwindet ganz unter dem Namen; er ist niemals er selbst, sondern stets nur der Sohn seines Vaters. Was er thut, vergleicht die Welt mit dem, was sein Vater that; was er vollbringt, bleibt deshalb immer hinter dem zurück, was sein ruhmgekrönter Vater vollbrachte, und wenn er sich scheut, eine Art Wettkampf mit diesem zu wagen, schreibt man es sofort seinem Unvermögen zu. Vor Andern sich auszuzeichnen, ist überall

Ernst Rietschel.

und zu jeder Zeit nur durch mühevolle Anstrengungen zu erreichen, fast unmöglich wird es dem, welcher überdies und vor allem den Glanz seines eigenen Namens überbieten muß.

In ganz ähnlicher Lage befindet sich eine Stadt, die reich ist an großen Erinnerungen. Im rastlosen Wetteifer mit den andern hat sie auch noch mit diesen ihren Erinnerungen zu kämpfen; denn schwer ist es, einen ruhmvollen Namen sich zu erwerben, schwerer, denselben zu erhalten und zu behaupten, am allerschwersten dem bereits erlangten noch größeren Glanz zu verleihen.

Aber – große Erinnerungen sorgsam zu pflegen, das Andenken an eine ruhmvolle Vergangenheit immer frisch und lebendig zu erhalten, ist auch ein Ruhm. Nicht alle können Großes thun, aber Pflicht eines Jeden und Ehre für Jeden ist es, das Große anzuerkennen und darauf hinzuweisen, um die Nacheiferung stets wach zu erhalten.

Weimar, das reicher an Erinnerungen an glänzende geistige Thaten ist, als irgend eine andere Stadt in Deutschland, vergißt zu seinem Ruhme nie, daß es einst die geistige Hauptstadt des großen Vaterlandes war, und ist jeder Zeit bestrebt, sich selbst und die Welt daran zu erinnern.

Jedes Kind dort kennt die Häuser, in denen sonst Wieland, Goethe, Schiller wohnten. Straßen und Plätzen hat die Stadt die Namen ihrer großen Männer beigelegt: der Töpfermarkt ist der Herder-Platz geworden, am Theater die Wielandstraße, der Platz vor dem Frauenthor der Wielandplatz und die Linde dort die Wielandslinde; der „Plan“ heißt nun der Goetheplatz, die „Esplanade“ die Schillerstraße und Schiller’s Haus das Schillerhaus, das die Stadt ankaufte, um es unentweiht dem Gedächtniß des Dichters zu wahren.

Auch das Fürstenhaus Weimars ist jeder Zeit bemüht gewesen, die Erinnerung an die große Dichterzeit lebendig zu erhalten. Ein glänzendes Zeugniß dafür ist, daß die sterblichen Ueberreste Goethe’s und Schiller’s in der Fürstengruft beigesetzt wurden; ein anderes sind die mit Recht berühmten Dichterzimmer im Schlosse. In dem Tempelherrnhause im Park thront überdies Jupiter-Goethe, das kolossale Marmorbild des Dichters, und welchen Reichthum an Büsten und Bildern enthält die Bibliothek! Es braucht nur an die kolossale Büste Schiller’s von Dannecker und an die Goethe’s von David erinnert zu werden.

Die Plätze der Stadt schmücken sich allmählich mit den Erzbildern derer, die den Ruhm Weimars geschaffen haben. Zwar ist bis jetzt noch nichts gethan worden, einen Platz mit einem Bilde Amaliens zu zieren, der eigentlichen Begründerin der geistigen

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Die Goethe-Schillergruppe in Weimar.

Größe Weimars; aber wir hoffen, man werde das bisher Versäumte nachholen. Seit dem Jahre 1850 bereits steht das eherne Bild Herder's, des Predigers der Humanität, an seiner Kirche; am 3. Septbr. d. J. wurde der Grundstein zu einem würdigen Denkmale Karl August's gelegt, den man eben so gut einen bürgerlichen Fürsten als einen fürstlichen Bürger nennen kann; an einem Tage endlich, am 4. Septbr., sank die Hülle von drei ehernen Dichtergestalten, Wieland, Goethe und Schiller. Die Festlichkeiten, unter denen jene Grundsteinlegung und diese Enthüllung erfolgten, sind so vielfach geschildert worden, daß wir hier wohl darüber schweigen können. Nur das eine kann und darf nicht unerwähnt bleiben, was dem Ganzen die Weihe gab und lange in Jedem nachklingen und nachwirken wird, der das Glück hatte, die Weimarischen Septemberfeste mit feiern zu könnnen: [567] ich meine, daß Alle, die aus Osten und Westen, aus Süden und Norden des Vaterlandes herbeigekommen waren, sich einmal – was leider! so selten geschieht – stolz als Deutsche fühlten und bei dem Blicke auf die Gefeierten sich sagen konnten und sich sagen mußten: „sie waren unser.“

Mancher fragt freilich wohl, warum auch Wieland ein Denkmal erhalten, denn es heißt ja, er stehe uns sehr fern. „Er ist,“ sprach der Redner bei der Enthüllung der Wielandstatue, „dem Blüthentage ewig schöner Wirkungen ein vorangehender Morgenbote gewesen und wie sein Leben, so ist sein Name, sein Gedächtniß, sein Bild untrennbar von jenen herrlichen Gestalten, die Karl August’s gepriesene Palatine waren und sein werden. Darum als König Ludwig von Baiern zu Weimarischen Ehrenbildnissen das Erz anbot, geschah es mit der Bedingung, daß der Plan das ganze Viergestirn unseres Ruhmes, Wieland wie Herder, Goethe und Schiller umfassen müsse, um mit ihres Beschützers, des preiswürdigen Karl August’s Gestalt sich zu krönen. Dankbare Erinnerung, in tausend Seelen lebend, hat zusammengewirkt, uns diesen erhebenden Augenblick zu bereiten. Der Künstler Begeisterung, das Aufgebot aller Kräfte unserer kleinen Bevölkerung und des großen Vaterlandes, Darbringungen von Fürsten, von edlen Privatleuten aus allen Grenzen Deutschlands und über sie hinaus haben sich vereinigt zu einem Pulsschlage der Nation. Dieser Puls des edelsten Blutes hat uns hier versammelt, auf daß erhöhet in gediegener bleibender Gestalt Er uns erscheine, dessen Leben hingeflossen ist wie eine Quelle zur Erfrischung und Erheiterung des Geistes der Nation, daß die Verehrung der spätesten Enkel ihn grüße, wie die unserige jetzt – den unsterblichen Wieland.“

Das Erzbild ist ein Werk des Bildhauers Gasser in Wien und es bestand rühmlich die schwere Probe, mit dem Meisterwerke Rietschel’s sich vergleichen lassen zu müssen, dem es noch weit über die hochgespannte Erwartung hinaus gelungen ist, Goethe’s majestätisches Haupt zu bilden,

„Welchem Phöbus die Augen, die Lippen Hermes gelöset,
 Und das Siegel der Macht Zeus auf die Stirn gedrückt;“

wie das gleichsam von dem Abglanz einer idealen Welt verklärte Antlitz Schiller’s zu gestalten,

 „… hinter dem, in wesenlosem Scheine,
 Lag, was uns alle bändigt, das Gemeine,“

und dessen Wangen glüheten

     „von jener Jugend, die uns nie entfliegt,
     Von jenem Muth, der, früher oder später,
     Den Widerstand der stumpfen Welt besiegt.“

Der erste Anblick dieses Doppelbildes, als die Hülle fiel, wirkte zündend auf die erwartungsvoll umherstehenden Tausende, etwa wie ein überraschend geistvoller, ein genialer neuer Gedanke wirkt: er erfüllte die Seele mit inniger Befriedigung, mit rührender Freude und mit stolzer Bewunderung des Großen und Schönen, das der Menschengeist zu schaffen vermag. Aber mit Bewunderung wird man immer und immer wieder vor diese Meisterschöpfung treten.

Was ist in ihr, das so gar mächtig wirkt? Ist es nur die hohe Kunst des Meisters, der jene Dichtergestalten geschaffen? Frankfurt hat sein Goethe-, Stuttgart sein Schiller-Standbild. Beide sind Meisterwerke und beide werden bewundert, aber Niemand wird sie mit den Empfindungen betrachten, welche die Gruppe in Weimar hervorruft. Ist es eine arithmetische Steigerung der Bewunderung, weil hier zwei Statuen beisammen stehen? Gewiß nicht. Ist es der Kranz des Ruhmes, der sie verbunden hält? Auch er ist es nicht. Ist’s, weil dieser Kranz, wie der Redner bei der Enthüllung sprach, zugleich „Dein Kranz ist, mein deutsches Volk, der Kranz, mit dem sie Dich königlich geschmückt haben vor allen Völkern der Erde?“ Nein. Es ist das Band der Freundschaft, das unsre beiden größten deutschen Geister vereinigt, jene Freundschaft, die, als sie noch lebten und wirkten, die glänzendste Zeit unserer Literatur schuf, jene neidlose Verbindung, in der sie, einander gegenseitig unterstützend, fördernd und berathend, neben einander dem höchsten Ziele menschlichen Strebens zu wanderten. Es ist das Gefühl, das, wenn auch sich nicht klar bewußt, in Jedem bei dem Anblick der Gruppe sich regt, daß wir in ihr das Symbol der höchsten Entwickelung der beiden Seiten des deutschen Geistes vor uns haben: jene die ganze Welt umfassende, zu allen Höhen und allen Tiefen dringende, wie die stets nach Idealem strebende und nach höhern Welten sich aufschwingende. Fest im Bewußtsein seiner weltbeherrschenden Macht schaut Goethe auf uns nieder; emporstrebend, als bedürfe er die Erde kaum, blickt Schiller nach oben. Was Beide für Deutschland werden konnten und geworden sind, konnten sie nur durch innige Vereinigung werden. Das wissen, das fühlen wir alle, und mehr als sonst tritt es uns nahe vor ihren vereinigten Erzgestalten in Weimar.

Daß Rietschel gerade dies so bewundernswürdig darzustellen vermochte, ist seine Meisterschaft, die ihn so hoch erhebt. Er hat zwar schon manches Kunstwerk geschaffen, namentlich die Lessing-Statue in Braunschweig, aber keines, das sich mit dieser Gruppe zu messen vermag. Bekanntlich lebt Ernst Rietschel (geb. 15. Feb. 1804 zu Pulsnitz in der Lausitz) als Professor an der Akademie in Dresden, der er auch seine erste Kunstbildung von 1820 an verdankt. Im Jahre 1826 ging er nach Berlin, um da seine Studien bei dem Meister Rauch fortzusetzen, den er 1829 nach München begleitete, um da mit ihm einige Aufträge auszuführen. Ein Jahr später machte er eine Reise nach Italien, aber schon 1831 kam er zurück, um das Monument zu arbeiten, das dem verstorbenen König Friedrich August im Zwinger zu Dresden errichtet werden sollte. Leipzig besitzt drei Werke von ihm, den Fronton an dem Augusteum, das Denkmal Thaer’s und die Kreuzabnahme im Museum. Allgemeinen Beifall fand zuerst sein Lessing in Braunschweig, jenes Bild, das er zuerst in moderner Kleidung, ohne die herkömmliche antike Gewandung, darzustellen wagte. Man erkannte darin ziemlich allgemein einen großen Fortschritt und daß es einer ist, fühlt man vor der Goethe-Schillergruppe, die uns um Vieles fremder erscheinen würde, wäre sie in antiker Gewandung dargestellt.
Diezmann.