Die Entdeckung

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Hanns von Gumppenberg
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Entdeckung
Untertitel:
aus: Das teutsche Dichterroß, S. 133–136
Herausgeber:
Auflage: 13. und 14. erweiterte Auflage
Entstehungsdatum: 1901
Erscheinungsdatum: 1929
Verlag: Callwey Verlag
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Digitalisat auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[133]
DIE ENTDECKUNG
Ein Seelenstand

Langsam schlenderte er, ganz langsam. Beinahe langweilig. Schritt um Schritt querauswerfend, links, rechts, und wieder rechts. Und um die Ecke, und wieder zurück. Ganz langsam.

Wie gesagt: beinahe langweilig.

Die Maximiliansstraße hinauf, und wieder zum Hofgartentor. Und wieder, und dann zurück, und wieder zurück. – Aber endlich, vor dem Tor, die Schritte zusammenwerfend, querein, hielt er an, sah hinauf und hinunter, hinunter und hinauf, und wieder, lange. Und dann streckte er sich und gähnte.

Gähnte.

Gähnte schwelgend, langausarbeitend, mit Behagen, beinahe.

Und da kam etwas Reinigendes, Zufriedenstellendes.

Erst nur wie Ungeduld, und so unbestimmt.

Aber doch etwas.

Etwas wie Ärger, daß er mit plötzlichem Antrieb die Halbschuhe scheuern ließ, rasch und rascher, wieder queraus.

Aber dann blieb er dennoch stehen. Denn jetzt wußte er es immer deutlicher.

Das heißt: es wollte kommen. Es keimte herauf, mit ersten weißgrünen Hoffnungsspitzen, durch die schweren Schollen seiner Empfindung, zerbröckelnd, siegreich.

Es war ein Wunsch, ja. Ein Verlangen, beinahe.

Und da war es wieder, wahrhaftig!

Und wuchs immer höher.

Höher.

Leider. Denn es war ihm noch nicht klar.

[134] Und doch war es etwas. Und schon da, beängstigend, beinahe.

Und er wußte noch immer nichts.

Nichts, ganz unzweifelhaft.

Und es sollte doch sein! Er sollte ja doch ringen darnach, ehrlich, lebhaft, beinahe.

Das wußte er, freilich. Nun ja. Und endlich mußte es doch klar werden. Dennoch.

Es kam ja nur auf ihn an. Er brauchte ja nur zu warten. Und er wartete ja bereits, ohnedies.

Sonst konnte es nicht kommen. Woher denn sonst?

Vielleicht redete er es sich eben nur ein, das Ganze.

Vielleicht nur vom Gähnen. Es war so unvermutet gekommen. Eine Störung, Medizinisches, Zirkulation, oder dergleichen.

Oder Liebe? Eine Kokotte?

Nein. Er mußte lächeln. Die Lederwangen zurück, schlaff, quappelig, runzelnd, wie die Hautringe einer Griessuppe, und die Zähne vor, grellweiß ans Tageslicht.

Eingesetzt, natürlich. Schon lange.

Oder Hunger, vielleicht?

Er lächelte wieder, lachte, beinahe. Davon kam er ja. Er konnte sich erinnern. Der Kellner, und fünf Mark hatte es gemacht. Ein Knopf war abgesprungen, von dem Frack, ganz oben, und er hatte ihn aufgezogen, zum Nachtisch, unbarmherzig, und kein Trinkgeld obendrein.

Das wußte er also doch. Und genau.

Aber was? Es blieb doch seltsam.

Hin und her, bohrend, ohne Beschwichtigung, wie Geburtswehen, beinahe, und immer seltsamer.

Als sollte etwas Ganzes dabei herauskommen – ganz etwas Ganzes.

[135] Wenn er nur einmal das Gefühl hatte, auf der Zunge, namentlich, dann konnte es ja wohl herauskommen. Denn dann kam wohl auch schon der Begriff.

Auf der Zunge, ja. Das Gefühl, und auf der Zunge mußte es kommen. Auf weichen, träumerisch himmelblauen Fittichen der Erfüllung. So mußte es kommen, wahrhaftig!

Experimentieren, also.

Und er durchschmeckte, durchspürte, durchstöberte, durchstocherte, durchschnupperte sich, selber sich selbst, peinlichst, ob er nichts entdecke, in tausend qualvollen Reizungen, mit hochgezwungenen Brauen, vorgedrücktem Rückgrat und eingekniffenen Hüften, gekrampft, beinahe.

Aber da kam es, allmählich.

Allmählich.

Aber sicher.

Beseligend.

Erlösend.

Berauschend, wie feiner Duft ..

Nein – die Zunge!

Die Zunge mußte er festhalten. Nur keine Zersplitterung, jetzt.

Zwar, allerdings, es schien etwas wie Geruch dabei, neben dem Geschmack.

Aber festhalten, und standhaft! Die Zunge! nur die Zunge. Und er klemmte sie zwischen die falschen Zähne, daß sie festlag, leiszitternd, in keuchender Erwartung, mit ahnenden Poren und gereckten, tastenden Wärzchen.

Wenn er nur die Spur nicht verlor!

Wenn er nur nicht ermüdete, wenigstens!

Da!

Der Lohn, der Sieg! Immer deutlicher.

[136] Der Form nach walzig, heranrollend, näher und näher – braun, schmutzigbraun, lechzend, verzückt, ermattet, verröchelnd, verstöhnend, mit einem Stich ins Aschgraue, aber nur ganz leise.

Aber waren das nicht die Augen? Die Zunge? Ja so.

Also.

Und er schloß die Lider, schwer herab, wie lackierte und verschwollene Jalousieen, aber kräftig, mit Entschluß.

Die Zunge! Nur die Zunge.

Das war es.

Und da kam es, von der anderen Seite.

Von der richtigen.

Auf der Zunge, ganz nur. Untadelhaft.

Typisch, beinahe.

Tropenarom, kraftbrenzelnd, und doch knospenhaft zärtlich und mild wie ein junger Kuß ...

Manila!

Ja.

Da warf er die Lider zurück, gierheulend wie ein hungriges Raubtier, endlich über der Beute, und stürzte den Blick herum, und erhaschte ein Ladenfenster, und riß die Tür’ auf, schmetternd, und durchwühlte den Vorrat mit bebenden Fingern, und, abgeschnitten, angebrannt, hinaus und fort, saugend, jauchzend, pustend, in kurzen, wilden Bissen, gehässig, beinahe. Und immerfort.

Ja, das war es.

Und nicht einmal bezahlt, nämlich!

Vergessen, in der Eile. Gleichviel.

Aber das war es.


von einem guten Schüler Hermann Bahrs