Die Enthüllung der Domfaçade zu Florenz
Die Enthüllung der Domfaçade zu Florenz.
Es war ein Augenblick, der an die großen Zeiten der alten Republik erinnerte, als am 12. Mai d. J. Morgens um 10 Uhr Angesichts des Hofes und der versammelten Notabilitäten unter den Klängen der „Marcia reale“ die letzte Verhüllung von der Domfaçade fiel und endlich dieser grandiose Tempel, an dem sechs Jahrhunderte gearbeitet haben, vollendet vor Aller Augen stand.
Das Volk, das zwar vom Domplatz abgesperrt war, aber alle Straßenmündungen und die Dächer des Ghetto besetzt hielt, jubelte Beifall und schwenkte die Mützen; die Glocken von Giotto’s Campanile rührten ihre metallenen Zungen zu einem reinen und vollen Accord, der das Ereigniß der harrenden Stadt verkündete, und plötzlich hob sich zur Rechten des Königspaares ein Taubenschwarm mit lautem Flügelschlage in die Luft, umkreiste mehrmals in weiten Bogen die Spitzen des Doms und der gegenüberliegenden Taufkirche und zerstreute sich schließlich in der blauen Höhe droben, um die Freudenbotschaft schnell in alle Theile des Königreichs zu tragen. Zum ersten Male seit langen Jahren öffnete sich das Hauptportal der Kirche wieder, zu dem jetzt breite Marmorstufen hinanführen, und der Erzbischof mit seinem priesterlichen Gefolge in hohem Ornat überschritt die Schwelle, um den Segen über das fertige Haus zu sprechen.
Der Himmel konnte dem schönen Fest nicht günstiger sein; denn obwohl kein Wölkchen die reine Bläue trübte, hielt er doch seine Gluthen zurück und keine Blendung störte den Anblick der Marmorfaçade, die sich durch ihre Weiße noch ziemlich grell von dem Rest des Gebäudes abhebt und die mit ihrem prunkvollen Zierat den unvergleichlichen Glockenthurm Giotto’s verdrängen zu wollen scheint.
Diese Façade, nunmehr die achte, welche der Dom gesehen hat – ihre Vorgängerinnen wurden theils nur halb vollendet, theils bald wieder demolirt oder auch nur provisorisch aufgeführt – lehnt sich in ihrem Entwurfe treu an den Stil des Uebrigen an und ist, wie die nebenstehende Abbildung zeigt, mit einer Fülle von Statuen, Medaillons, Mosaiklünetten, Basreliefs geschmückt, auf die wir hier leider nicht eingehen können. Die majestätische Fronte zieren die Wappenschilder des Hauses von Savoyen, Pio Nono’s, der Familie von Lothringen, sowie aller derjenigen Einheimischen und Fremden, die sich durch bedeutende Spenden oder sonst um die Herstellung der Façade verdient gemacht haben. Der Bau, zu dem König Viktor Emanuel schon im Jahre 1860 den ersten Stein gelegt hatte, ist in Entwurf und Ausführung das Werk des Architekten de Fabris, der bei einem großen Konkurs den Sieg davon getragen hatte, der aber die Vollendung seiner Façade nicht erleben sollte.
Wer die Geschichte der Stadt Florenz kennt, der weiß, wie eng dieser Tempel mit den Geschicken des florentinischen Volks verwachsen ist; denn Santa Maria del Fiore war nicht allein dem Gottesdienst geweiht: hier fanden in alten Zeiten Rathsversammlungen statt; hier wurde die „Göttliche Komödie“ öffentlich gelehrt; hier unter der herrlichen Kuppel des Brunellesco war es, wo die furchtbare Verschwörung der „Pazzi“ ausbrach, welche beinahe die Herrschaft der Mediceer und damit vielleicht das ganze an diesen Namen geknüpfte goldene Zeitalter der Kunst in der Blüthe erdrückt hatte, und unter dieser selben Kuppel schlug sich wenige Jahre später das zerknirschte Volk an die Brust, als Savonarola mit markerschütternden Worten den florentinischen Künsten sein Verdammungsurtheil sprach. Und wie mit seinen Geschicken, so ist Santa Maria del Fiore mit dem Herzen des florentinischen Volkes verwachsen, welches niemals die Worte vergaß, mit denen die gewaltige Republik im Jahre 1296 den Bau dieses Tempels angeordnet hatte: „daß dieses Werk dem großen Herzen der Bürger entsprechen und durch kein anderes in der Welt übertroffen werden solle“. Und wie damals drängten sich auch in unseren Tagen die Bürger von Florenz herbei, um ihr Scherflein zu spenden; wie damals redeten sie ein gewichtiges Wort bei der Ausführung mit; denn als im Jahre 1883 die erstmalige Enthüllung der damals noch unfertigen Façade stattfand, galt es die Entscheidung des Volkes einzuholen, ob der Giebel durch drei von de Fabris geplante verschnörkelte Thürmchen oder durch die einfachere horizontale Linie abgeschlossen werden solle – und wie glücklich das Plebiscit ausgefallen ist, davon wird sich der Leser bei einem Blick auf unsere Abbildung überzeugen.
Am Nachmittag, nach der Enthüllung, fand in der neugeweihten Kathedrale ein feierliches Tedeum statt, und eine reiche Illumination mit prachtvollem Feuerwerk bildete den Schluß des Tages – aber nicht den des Festes. Der auf den andern Tag angesetzte historische Festzug wurde zwar durch einen gewaltigen Regenguß vereitelt; das überraschte jedoch die Florentiner nicht allzu sehr; es waren ja verschiedene Unglückszeichen zusammengetroffen: ein Freitag, ein 13., und der böse Pankraz hatte auch noch Macht.
Am darauffolgenden Sonntag endlich war der Himmel gut gelaunt und schon um zwei Uhr füllte sich die Piazza della Signoria mit mittelalterlichen Lanzenreitern und Bewaffneten zu Fuß, die jedem Ungeladenen den Zutritt versperrten. Unter der berühmten Loggia de’ Lanzi war für die königliche Familie ein reicher Thronhimmel bereitet und dicht daneben hatten die städtischen Behörden, die Vertreter von Akademien etc., Platz gefunden. Der Festzug stellte als Huldigung für das savoyische Königshaus den Empfang des Grafen Amadeo VI. von Savoyen, nach seiner grünen Kleidung „Conte Verde“ genannt, dar, welcher im Jahr 1367 auf seiner siegreichen Rückkehr aus dem heiligen Land Florenz passirt hatte und daselbst durch festliche Begrüßung und ein glänzendes Turnier gefeiert worden war. Bei der Porta alla Croce empfing die städtische Deputation den ruhmvollen „Grünen Grafen“, der durch den Marchese Ginori sehr glücklich dargestellt wurde. Ein Zug von mehr als 1000 Personen zu Pferd und zu Fuß, das kriegerische Gefolge des Grafen, italienische und ausländische Gesandtschaften, die 21 Zünfte mit ihren Fahnen. die edlen Geschlechter der Stadt, die verschiedenen florentinischen Milizen, nach alten Bildern treu kopirt, geleiteten den Ankömmling unter einer sehr mittelalterlich klingenden Musik nach der Piazza, wo an den Stufen des Palazzo vecchio die höchsten Würdenträger der Republik in ihrer Amtstracht, dem alten Florentiner „Lucco“, seiner harrten. Als der gräfliche Stammherr unter der Loggia de’ Lanzi den königlichen Enkel erblickte, hob er wie freudig überrascht den Arm in einer spontanen und herzlichen Begrüßung, die sein ganzes Gefolge aufs natürlichste nachahmte und die von dem Königspaar in liebenswürdigster Weise erwiedert wurde. Die Fahnen wurden geschwenkt; dann ritt der „Grüne Graf“ vor die Stufen des Palazzo vecchio, wo ihm die Schlüssel der Stadt Florenz überreicht wurden, und die herrliche Piazza, deren hohe ernste Paläste mit Teppichen, Gobelins, alten städtischen Wappen und Fahnen und einer Fülle von Blumen über und über geschmückt waren, gab dem unvergeßlichen, reichen und sinnverwirrenden Bild einen Nahmen von solcher Echtheit, daß man sich auf eine Stunde wirklich in jene Zeiten versetzt fühlen konnte.
Einen würdigen Abschluß der historischen Festlichkeiten bildete das prunkvolle Turnier, das am 17. zu Ehren des „Conte Verde“ bei der Porta alla Croce, dem alten Turnierplatz der Florentiner, im Beisein von wohl 30000 Zuschauern abgehalten wurde und wobei die schöne Königin Margherita dem Sieger eine weiße Fahne überreichte.
Es war ein glückliches Zusammentreffen, daß Florenz zugleich mit der Enthüllung der Domfaçade das fünfhundertjahrige Geburtsfest Donatello’s feierte, denn die Namen der größten Florentiner Künstler sind von der Geschichte des Dombaus unzertrennlich.
Leider fehlt uns der Raum, von den übrigen Festlichkeiten zu erzählen, von all den großen Ausstellungen, von der Enthüllung verschiedener Monumente, von den Corsofahrten, Regatten, Pferde- und Velocipedrennen, Illuminationen, Feuerwerken, Galavorstellungen im Theater, dem Kostümballe in der „Sala dei cinquecento“ des Palazzo vecchio und dem Blumenkorso, die Florenz vierzehn Tage in Athem hielten.
Allmählich verrauschten unter Blumenduft und Lichterglanz und den Tönen der Festmusik die letzten Wogen der Florentiner Freudentage, aber im Gedächtniß der Theilnehmer wird ihre glänzende Spur nie verlöschen. Isolde Kurz.