Die Entstehung des Deutschen Städtewesens

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Autor: Ernst Bernheim
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Titel: Die Entstehung des Deutschen Städtewesens
Untertitel: Eine Kritik der Sohm’schen Theorie
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 6 (1891), S. 257–272.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br
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[257]
Die Entstehung des Deutschen Städtewesens.
Eine Kritik der Sohm’schen Theorie.
Von
Ernst Bernheim.


Wenn ein Gelehrter von hervorragender Bedeutung seinem Geiste einmal die Zügel schiessen lässt, wie Sohm in seiner jüngst erschienenen Festschrift „Die Entstehung des deutschen Städtewesens“, kann man trotz allen inneren Widerspruchs an den überraschenden Combinationen, den scharfsinnigen Gedankenwendungen, der eindringenden Fragestellung immerhin seine Freude haben und mag seinen Widerspruch zurückhalten; allein wenn man sieht, dass diese Schrift von vielen Seiten als eine wissenschaftliche That, als „die Lösung des Räthsels der Sphinx“ betrachtet und zum Ausgangspunkt weiterer Speculationen gemacht wird, so hat man allen Anlass, mit Entschiedenheit gegen solche Verwirrung des Urtheils aufzutreten. Da dies von Anderen, die vielleicht mehr dazu berufen wären, nicht zu geschehen scheint, suche ich im Folgenden nachzuweisen, dass die Grundgedanken, auf denen Sohm’s Buch beruht, durchaus unhaltbar sind. Dies kann, wenn auch noch so sachlich, nicht ohne Schärfe geschehen; für diejenigen, welche sich scharfe Polemik nicht anders als mit persönlichen Motiven verbunden zu denken pflegen, bemerke ich daher ausdrücklich, dass nicht die entferntesten persönlichen Beziehungen zwischen dem Verfasser und mir bestehen, nicht einmal irgend eine Berührung auf gemeinsamem Arbeitsgebiet, wodurch ja zuweilen auch eine Art persönlicher Missstimmung hervorgerufen werden kann.

[258] Sohm bezeichnet es (S. 17) als die wesentliche Aufgabe seiner Abhandlung, das mittelalterliche Markt- und Stadtrecht zu den Grundgedanken des Fränkischen Reichsrechts in Beziehung zu setzen.

Wie führt er das aus?

Er sagt: das Gebiet, für welches in einem Ort das Marktrecht gilt, wie das Marktrecht selbst, heisst Weichbild; es wird auch Burgrecht genannt. Diese Ausdrücke sind identisch; sie bezeichnen ihrer ursprünglichen Bedeutung nach das Gebiet, für welches Burgrecht gilt; das Weichbild ist das Zeichen, welches besagt, dass das Gebiet eine Burg ist, d. h. nicht ein befestigter Platz, sondern eine Burg im Rechtssinn. Was ist eine Burg im Rechtssinn? Es ist der Ort, der das besondere Burgrecht hat. Was dies für ein besonderes Recht sei, zeigt uns das Symbol für dasselbe, eben das Weichbild (das Kreuz mit Handschuh, Schwert, Fahne, Schild, Hut u. dgl. oder auch eins bezw. mehrere mit einander verbundene dieser Symbole), welches als Leibzeichen des Königs nachgewiesen ist: es ist das Zeichen[1], dass nach Fränkischem Amtsrecht eine Beschlag- und Besitznahme von Seiten des Königs erfolgt ist, dass hier das Gebiet der Königsburg beginnt, dass hier das Recht herrscht, welches in der Königsburg, am Hofe des Königs gilt – die Stadt ist des Königs Eigenthum, des Königs Haus, und der König ist ideell darin anwesend. Aber diese Vorstellung ergibt sich nur nach Fränkischem Amtsrecht; das Volksrecht verbindet nicht eine so weitgehende Vorstellung mit dem Symbol des Kreuzes, weil es das Rechtsmittel der Beschlagnahme eines Grundstückes überhaupt nicht kennt, es verbindet nur die Vorstellung mit jenem Leibzeichen des Königs, dass der König in der Stadt anwesend sei (nicht die, dass die Stadt seine Burg sei). Aus diesen verschiedenen Vorstellungen je des Amtsrechts und des Volksrechts ergäben sich je verschiedene Folgen für die Gestaltung des Markt- und Stadtrechts, zunächst im Strafrecht. Die Folge aus der ersteren Vorstellung würde sein, dass auf schwere Vergehen in der Stadt peinliche Strafe erfolgte, denn von altersher werden solche Vergehen, die in der Königsburg, am Hofe des Königs in dessen [259] Anwesenheit begangen sind, als schwerer Burgfriedensbruch principiell mit Todesstrafe geahndet; die Folge aus der Vorstellung des Volksrechts würde sein, dass die öffentliche Geldbusse des Königsbannes auf dieselben Vergehen erfolgte, weil von altersher Verbrechen, die ausserhalb des Königshofes, aber in der persönlichen Nähe des Königs begangen sind, mit dieser Geldbusse geahndet werden. Thatsächlich finden wir im 10. und 11. Jahrhundert in den Städten die letztere Strafbestimmung herrschend, welche dem Volksrecht entspricht; aber seit dem 12. Jahrhundert „tritt die peinliche Strafe in den Vordergrund“, welche dem Amtsrecht entspricht und „die Vollendung des Weichbildrechts bedeutet“.

Alle specifischen Erscheinungen des Markt- und Stadtrechts erklärt Sohm aus dieser Doppeltheorie des königlichen Eigenthums an der Stadt und der Anwesenheit des Königs in derselben: die zum Markt reisenden Kaufleute haben Königsschutz und -frieden, weil sie zum Könige reisen; als des Königs Burg ist das Marktstadtgebiet eine Freistatt und von der Gewalt des öffentlichen Gerichts, des Landgerichts, kraft öffentlichen Rechts ausgenommen; auch wenn der Markt vom Könige einem anderen Herrn überlassen worden, bleibt doch die Gewalt desselben über die Stadt eine vom König abgeleitete, gilt doch die Stadt immer als Königsburg, alle Marktgerichte, alle Stadtgerichte sind königliche Gerichte, in Folge dessen ist der ordentliche Stadtrichter, der Schultheiss (Amtmann, Villicus) stets ein öffentlicher Beamter u. s. w.




Wir übersehen jetzt die Ausführungen Sohm’s zur Genüge, um zu erkennen, dass die Grundanschauung desselben jene Doppeltheorie von der Anwesenheit des Königs in der Marktstadt und von der Eigenschaft der Marktstadt als Königsburg ist. Mit dieser haben wir es zu thun, denn mit ihr steht und fällt Sohm’s ganzes System vom ersten bis zum letzten Satz. Man sollte meinen, eine so wesentliche Grundanschauung müsste auf einigermassen sicherem Boden stehen. Das ist indess durchaus nicht der Fall. Vielmehr befinden wir uns auf dem schwankenden Boden von Combinationen, denen nicht nur wesentliche thatsächliche, sondern auch logische Elemente und Zwischenglieder [260] fehlen und die sich über entgegenstehende Thatsachen hinwegsetzen. Das ist von jedem der beiden Theile der Theorie zu erweisen.




1. Weil das Kreuz, das Symbol des Markt- und Stadtrechts, nachweislich das Leibzeichen des Königs ist, soll man nach volksrechtlicher Anschauung den König als anwesend in der Stadt betrachtet und gemäss dieser Vorstellung die aus der Anwesenheit des Königs folgenden Rechtswirkungen haben eintreten lassen. Es handelt sich hier also um das, was technisch eine Rechtsfiction zu nennen wäre[2]. Das Vorhandensein einer solchen Fiction lässt sich auf verschiedene Weise darthun. Entweder documentirt sich die betreffende Rechtsanschauung und -überzeugung in irgend welchen Quellen der Zeit direct ausgesprochen oder indirect angedeutet – davon ist im vorliegenden Fall nicht die Rede, nicht die geringste Spur derart findet sich in den Quellen. Oder dieselbe ergibt sich ohne Weiteres aus den bei dem betr. Rechtsakt vorkommenden Symbolen, d. h. im vorliegenden Fall, es ergäbe sich ohne Weiteres, dass ein Abzeichen der königlichen Person und Autorität die Anwesenheit des Königs mit den entsprechenden Rechtswirkungen bedeute – auch davon kann hier nicht die Rede sein. Zwar werden wir einräumen, dass durch ein solches Abzeichen irgendwie die persönliche Autorität des Königs als gegenwärtig vorgestellt werde, aber dies kann auf sehr verschiedene Weise, in verschiedener Richtung und in verschiedenem Grade geschehen: z. B. sagt das Magdeburger Stadtrechtsbuch an einer Stelle, die noch weiterhin zu besprechen ist, das Kreuz werde errichtet, auf dass man sehe, es sei des Königs Wille; es lässt sich also keineswegs ohne Weiteres aus der Anwendung jenes Symbols schliessen, dass man die damit verbundenen Vorstellungen bis zur Fiction der Gegenwart des Königs in Person nebst deren Folgen getrieben habe, sondern das wäre erst anderweitig zu beweisen. Endlich lässt sich die Existenz [261] einer derartigen Fiction dadurch darthun, dass man zeigt, es können gewisse Rechtsinstitute oder -verhältnisse gar nicht anders als unter Annahme derselben erklärt werden, und dies ist der einzige Weg, den Sohm zum Beweise einschlägt. Wir müssen von vornherein geltend machen, dass es recht misslich ist, wenn gerade die Thatsache, die man durch eine Hypothese erklären will, zugleich die einzigen Beweise für deren Berechtigung hergeben soll, wie es hier der Fall ist, doch kann immerhin die Erklärung der Thatsache durch die Hypothese so einzig möglich und unbedingt einleuchtend sein, dass dadurch die letztere zugleich als berechtigt erwiesen wird. So liegt es hier nun keineswegs. Die Thatsache, um die es sich handelt, ist nämlich die nach Stadtrecht herrschende öffentliche Strafe der königlichen Bannbusse für schwere Vergehen in der Stadt: diese eben erklärt Sohm, wie wir wissen, als Folge der Fiction von der Anwesenheit des Königs in der Stadt. Allein diese Erklärung ist weder die einzig mögliche, noch ist sie unbedingt einleuchtend. Sie ist nicht die einzig mögliche: Jedermann weiss, dass bisher eine mindestens ebenso zulässige andere Erklärung gegolten hat[3], und so lange Sohm die Zulässigkeit derselben nicht widerlegt hat, was er gar nicht versucht, kann seine Hypothese nicht als unentbehrlich, nicht durch solche Unentbehrlichkeit als bewiesen gelten. Sie ist ferner durchaus nicht einleuchtend: es bleibt uns geradezu ein Räthsel, wie es überhaupt möglich sein soll, dass in diesem so wichtigen Punkte des Stadtrechts die volksrechtliche Anschauung gegen die amtsrechtliche habe aufkommen und herrschen können, da ja doch nach Sohm von Anfang an das Stadtrecht das Recht der Königsburg, die Stadt des Königs Eigenthum sein soll, und da Sohm S. 31 ausdrücklich sagt, die ursprüngliche amtsrechtliche Vorstellung sei im 10. und 11. Jahrhundert (da man die Städte urbes regales nannte) „noch frisch, im allgemeinen Rechtsbewusstsein lebendig“ gewesen. Wer ist es denn, der die volksrechtliche Vorstellung inzwischen gehegt und vertreten und ihr entsprechend das Stadtrecht gebildet hat? Wie soll man sich die Entstehung dieses Stadtrechts aus volksrechtlicher Anschauung heraus denken? Statt einer Erklärung [262] gibt uns die Sohm’sche Hypothese ein Räthsel, und es gebricht derselben somit an jedem Rückhalt.




2. Der zweite Theil der Theorie, welche Sohm zur Grundlage seiner Ausführungen macht, besteht in der Annahme, dass nach Fränkischem Amtsrecht das Marktstadtgebiet mittelst des Kreuzes (Weichbilds) als vom König beschlagnahmt gelte[4]. Dies begründet Sohm zunächst durch einen Schluss aus der Sache selbst: das Kreuz auf dem Markt bedeutet Beschlagnahme durch den König, weil das Zeichen fiscaler Beschlagnahme eines Grundstückes auch ein Kreuz ist. Drücken wir diesen Schluss abstract aus, so behauptet Sohm damit: wenn ein und dasselbe Symbol zur Bezeichnung zweier Rechtsverhältnisse angewandt wird, so sind diese wesentlich identisch. Es ist wohl einleuchtend, dass dieser Schluss unzulässig ist. Denn es kommt nicht selten vor, dass dasselbe Symbol eine Grundvorstellung vertritt, aus der sich Rechtserscheinungen von sehr verschiedenartiger Bedeutung entwickelt haben, die also, trotzdem sie durch dasselbe Symbol bezeichnet werden, gar nicht identisch sind. Und das ist nach Schröder, auf den sich Sohm hierbei (S. 30 Note 47) beruft, gerade der Fall hinsichtlich der Bedeutung des Kreuzes als Symbol des Marktrechts und der Beschlagnahme: eine gemeinsame Grundbedeutung liegt vor, das Kreuz ist Wahrzeichen des königlichen Bannes, daraus haben sich die verschiedenen Anwendungsweisen desselben als Zeichen des Vermögensbannes und des Marktfriedensbannes entwickelt. Und nicht allein diese. Wird doch auch bei Hegung des öffentlichen Gerichts ein Symbol aufgerichtet, das sich von vorkommenden Formen des Weichbilds und des Beschlagnahmesymbols nicht unterscheidet[5], [263] zum Wahrzeichen, dass jetzt der öffentliche Gerichtsbann dort herrscht, nicht etwa zum Zeichen, dass der Gerichtsherr die Stätte des Gerichts augenblicklich mit Beschlag belegt habe. Wird doch auch im Lager des Reichsheeres das königliche Banner bezw. der Schild aufgepflanzt (die ebenfalls sowohl als Symbol der Beschlagnahme wie des Marktrechts vorkommen) zum Zeichen, dass der königliche Heerbann gilt. Nach dem Schlusse Sohm’s müssten alle diese Fälle, in denen dasselbe Symbol erscheint, identische Rechtsverhältnisse sein. Der Schluss ist offenbar nicht statthaft.

Sehen wir uns nach Sohm’s anderen Beweisen für die Existenz der fraglichen Rechtsanschauung um.

Er führt S. 29 f. eine Stelle des Magdeburger Stadtrechts aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts an, wo es heisst: „Do gap in (den kouffleuten) der kunig also gethan recht als er tegelichen in seinem hoffe hatte“, und er meint hierin den Ausdruck der Anschauung zu finden, dass das Marktstadtgebiet gleich der Königsburg gelte – ohne Voreingenommenheit lässt sich aber aus dieser Wendung nur folgern, dass man das der Stadt verliehene Recht als Verleihung königlichen Rechtes betrachtete: sagt doch dasselbe Magdeburger Buch am Schlusse derselben Stelle, es werde desshalb ein Kreuz auf den Markt gesetzt, „dorumb das man sehe das es des kunigs wille sei“, und noch deutlicher die Celler Handschrift des Buchs: „das man sehe das da ein wicvride si unde henget da des kunigis hantziken durch das man sehe das es des kunigis wille si“, also keine Spur von der nach Sohm’s Meinung an dem Symbol des Kreuzes haftenden Vorstellung, gerade an dieser Stelle, welche die Bedeutung des Symbols ausdrücklich erklärt.

Sohm stützt seine Ansicht ferner durch den Hinweis darauf (S. 31), dass im 10. Jahrhundert alle Marktstädte als urbes regales bezeichnet worden seien und motivirt dies gegenüber der später üblichen engeren Bedeutung dieses Begriffs damit, dass im 10. Jahrhundert die ursprünglichen Vorstellungen (vom Eigenthum des Königs an allen Marktstädten) noch im allgemeinen Rechtsbewusstsein lebendig gewesen seien. Aber wie denn? Sagt [264] Sohm nicht ausdrücklich S. 39, es habe nach Volksrecht (das doch auch das „allgemeine Rechtsbewusstsein“ repräsentirt) die Marktstadt nicht als Eigenthum des Königs, nicht als Königsburg gegolten, und sagt er nicht S. 41 ausdrücklich, diese volksrechtliche Vorstellung sei gerade im 10. und 11. Jahrhundert herrschend gewesen, habe erst im 12. und 13. Jahrhundert jener amtsrechtlichen Vorstellung Platz gemacht?! Die Bezeichnung urbes regales soll also dem König eigene Städte im Sinne der fraglichen Anschauung bedeutet haben zu der Zeit, als diese nicht herrschte – und doch zugleich auch herrschte –, soll aber diese Bedeutung verloren haben gerade zu der Zeit, als diese Anschauung zur unbedingten Herrschaft gelangt war! Aus diesen sich kreuzenden Widersprüchen wird man mit dem besten Willen keine Stütze für Sohm’s Ansicht gewinnen können, vielmehr wird man veranlasst sein, die Bezeichnung urbes regales in der üblichen Weise aufzufassen als Ausdruck der Thatsache, dass die Marktstädte durch königliches Privileg oder mit Zulassung des Königs gegründet sind, eine Thatsache, die mehr und mehr vergessen wurde, als die Fürsten sich immer häufiger herausnahmen, auf eigene Hand Märkte zu gründen, so dass die Bedeutung von urbes regales sich dann in der bekannten Weise beschränkte.

Es bleibt nur noch eine Position Sohm’s übrig. Er erklärt (S. 41, 43) die bedeutende Aenderung im städtischen Strafrecht, die sich seit dem 12. Jahrhundert durch das Auftreten der peinlichen Strafen an Stelle der Königsbannbusse vollzog, dadurch, dass seit dieser Zeit die amtsrechtliche Anschauung durchgedrungen sei, der zufolge, wie erwähnt, jedes schwere Vergehen in der Stadt als ein Verbrechen im Hause des als anwesend gedachten Königs peinlicher Ahndung unterlag. Wir würden, wie vorhin S. 261, zugeben, dass die Existenz der fraglichen Fiction, wenn ihr auch andere Beweise mangeln, auf diesem Wege wohl erwiesen werden könnte, wenn diese Erklärung einleuchtend, zwingend, unentbehrlich wäre. Keine von diesen Bedingungen trifft jedoch ein. Vor allen Dingen leuchtet nicht ein, bleibt vielmehr räthselhaft, auf welchem Wege diese amtsrechtliche Fiction mit ihren Folgen sich nach so langer Herrschaft der volksrechtlichen Anschauung geltend gemacht haben soll, so dass sie das geltende Strafrecht wesentlich umgestaltete. [265] Auf diese Frage, die offenbar von der grössten Dringlichheit ist, erhalten wir direct gar keine Antwort, nur indirect deutet Sohm S. 33 auf die engere Verbindung hin, welche bekanntlich im letzten Theile des 11. Jahrhunderts die Städte mit dem Königthum der Salier gegen die Fürsten, besonders die Bischöfe, zusammenführte. Wenn wir diese Andeutung im Sinne Sohm’s verfolgen, so müssten wir zunächst annehmen und erwarten, dass sich in den Privilegien, welche die Könige der Zeit den Städten oder Stadtherrn verliehen haben, jene amtsrechtliche Anschauung sich geltend gemacht und von dorther ihren Einzug in die Sphäre des Stadtrechts gehalten habe. Keine Spur davon! Im Gegentheil: wo die Könige der Zeit in Privilegien und Satzungen für die Städte strafrechtliche Dinge berühren, vertreten sie durchaus den Standpunkt, dass für den Bruch des öffentlichen Friedens, des königlichen Bannes in der Stadt die Geldbusse des Königsbannes zu erlegen sei[6]. Und denselben Standpunkt sehen wir die Könige auch im 10. Jahrhundert in ihren zahlreichen Marktprivilegien einnehmen[7], zu einer Zeit also, da sie nach Sohm, wie vorhin erwähnt, die Marktstädte in Folge der amtsrechtlichen Anschauung urbes regales genannt haben sollen! Wo lebt und herrscht denn dieses [266] angebliche Amtsrecht, wer ist als Träger desselben zu denken, wenn in den betreffenden Erlassen der Könige selber keine Spur davon zu finden ist? Es sind einzig fürstliche Gründungsstatuten, die Sohm S. 41 ff. als Belege für das Eindringen der amtsrechtlichen Fiction mit ihren peinlichen Strafbestimmungen anzuführen gewusst hat, und er rechtfertigt diese Vertretung des amtsrechtlichen Standpunktes seitens der Fürsten dadurch, dass sie ihre Befugniss, ihre Banngewalt durch ausdrückliche oder wenigstens vorausgesetzte Verleihung des Königs erhalten haben. Aber, so müssen wir fragen, wie sollen die Fürsten darauf verfallen sein, sich als Vertreter einer Anschauung von Amtsrecht zu geriren, welche die Könige selber in dieser Materie zu der und aller vorhergehenden Zeit nachweislich nie bethätigt haben? Um eine so auffallende Erscheinung glaublich zu machen, müsste doch wenigstens in den betreffenden fürstlichen Urkunden irgend eine positive Spur derartiger Anschauung nachzuweisen sein. Auch das ist nicht der Fall. Geben wir die von Sohm S. 41 ff. angeführten Urkunden durch, so treffen wir nirgends auch die allerentfernteste Andeutung, dass die darin festgesetzten peinlichen Strafbestimmungen von jener angeblichen amtsrechtlichen Vorstellung ausgehen. Im Gegentheil: wo sich eine Andeutung des Rechtsgrundes für die Androhung dieser peinlichen Strafen findet, weist dieselbe in eine ganz andere Richtung: im Freiburger Stadtrecht heisst es „Si quis infra urbem pacem urbis infregerit“, in dem Statut von St. Omer wird es als „secundum leges et consuetudines villae“ bezeichnet, dass nach Talion gerichtet werde, im Rechte von Medebach ist ausdrücklich auf den Gottesfrieden Bezug genommen. Also nirgends etwas von einem königlichen Amtsrecht, welches der Marktherr zu vertreten gewillt ist, sondern überall der Hinweis auf den localen Rechts- und Friedenszustand, den man durch schärfere Strafmittel zu sichern sich bemüht, gerade so, wie man es zur selben Zeit auf dem Lande durch locale Gottes- und Landfriedenssatzungen that. Diesen Hinweis auf den Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung des Strafrechts, den wir hier und in zahlreichen späteren Stadtrechten deutlich ausgedrückt finden, meint Sohm S. 46 durch die Behauptung entkräften zu können, dass Gottesfrieden bezw. Stadtfrieden gleichbedeutend sei mit Königsfrieden, eine Behauptung, für die er einen triftigen Beweis schuldig [267] bleibt, da er a. a. O. nur einige Belege für die identische Bedeutung von Gottes- und Stadtfrieden anführt, die Identität von Gottesfrieden mit Königsfrieden aber nur dann aus dieser Gleichung folgen würde, wenn wir die Identität von Stadt- und Königsfrieden in diesem strafrechtlichen Zusammenhang als feststehend voraussetzen, was nur nach Sohm’s amtsrechtlicher Straftheorie der Fall wäre, die wir bisher keinen Anlass hatten, als bewiesen gelten zu lassen. Wer ohne Voreingenommenheit die Wandlung im städtischen Strafrecht, um die es sich hier handelt, im Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung des Strafrechts der Zeit gemäss den ausdrücklichen Hinweisen der Quellen verfolgt, wird sich nicht gedrungen finden, die bisher übliche Erklärung zu Gunsten der Sohm’schen Theorie aufzugeben, geschweige denn, dass er dieselbe als einleuchtend und unentbehrlich zur Erklärung der betreffenden Thatsachen für dadurch zugleich bewiesen hielte.




Somit glaube ich gezeigt zu haben, dass diese zweite Theorie wie die erste, dass die ganze Doppelconstruction, welche Sohm zur Grundlage seiner Anschauungen macht, unhaltbar ist: die Existenz und Wirksamkeit derselben ist weder nachweisbar in Aeusserungen der zeitgenössischen Quellen, worin sich die betreffende Rechtsanschauung verriethe, noch ergibt sie sich aus der Anwendung und Bedeutung des Marktstadtsymbols von selbst, noch erweist sich ihre Berechtigung dadurch, dass sie zum Verständniss der zunächst dadurch zu erklärenden Erscheinungen des Stadtrechts unentbehrlich wäre und dieselben einleuchtender erklärte als die bisher üblichen Theorien.

Dabei habe ich noch abgesehen von mehreren gewichtigen Einwendungen, welche gegen einzelne, hier nicht speciell berührte Ausführungen Sohm’s bereits erhoben worden sind: Georg Kaufmann[8] macht geltend, dass keineswegs, wie Sohm annimmt, ein Ort mit ständigem Markt nothwendig und eben nur darum eine Stadt sei, und dass ausser dem ständigen Weichbild, das nach Sohm Symbol der ständigen Marktberechtigung ist, vielfach ein specielles Marktkreuz bei der jedesmaligen Markteröffnung vorkommt, [268] Einwendungen, welche auch J. E. Kuntze[9], und zwar anscheinend unabhängig von Kaufmann, erhoben hat. Es liegt nicht im Plane meiner Kritik, auf alle fraglichen Momente einzugehen: wenn das ganze Gebäude stürzt, kommt es nicht darauf an, ob es in allen Theilen schadhaft ist; und es stürzt, wenn jene Grundanschauungen, mit denen wir uns beschäftigten, sich als unhaltbar erwiesen haben.




Ich muss aber den Widerspruch gegen Sohm’s Arbeit noch allgemeiner und tiefer fassen.

Indem Sohm sich jener weittragenden Constructionen zur Erklärung der rechtsgeschichtlichen Vorgänge bedient, macht er stillschweigend eine principielle Voraussetzung, welche durchaus nicht zugegeben werden kann. Er setzt nämlich voraus, dass die betreffenden Rechtsanschauungen dem Bildungsgrade und der juridischen Denkweise jener Zeiten zugänglich gewesen seien. Die Frage, ob das in der That anzunehmen ist, lässt sich aber nicht von der Hand weisen, da, wie wir gesehen haben, die Existenz jener Rechtsanschauungen durch irgend welche Zeugnisse der Zeit, in denen sich dieselben kundgäben, nicht nachweisbar ist. Man wende nicht ein: ihre Existenz wird dadurch erwiesen, dass sie sich in damaligen Rechtsvorgängen wirksam zeigen. Es ist zunächst der heutige Forscher, der sie als die Elemente solcher Wirkungen abstrahirend zu erkennen meint, und die Richtigkeit dieser Erkenntniss hängt davon ab, inwieweit es ihm gelingt, darzuthun, dass thatsächlich diese und nur diese Elemente wirksam gewesen sind. Ich glaube gezeigt zu haben, dass Sohm dies bei weitem nicht gelungen ist, und selbst wenn man seinen Deductionen zustimmt, wird man wenigstens zugeben müssen, dass sie nicht die einzig mögliche Motivirung und Erklärung der betreffenden Rechtserscheinungen darbieten. In solchem Falle ist die Vorfrage geboten, ob der Forscher überhaupt berechtigt ist, solche Rechtsanschauungen als wirksam anzunehmen, die er nicht darauf hin geprüft hat, ob sie in der betreffenden Zeit wahrscheinlich oder auch nur möglich waren. Wie die gesammten [269] Geistesfähigkeiten haben sich doch auch die Rechtsanschauungen und -begriffe jedes Volkes erst allmählig von naiverer, roherer zu bewussterer, feinerer Ausbildung ausgestaltet und jede Zeit jedes Volkes trägt das Mass ihrer Befähigung in ihren eigenen Leistungen. Ich bestreite in diesem Sinne, dass die Menschen des früheren Deutschen Mittelalters zu so bewusster, auf die längst verdunkelten Grundbegriffe zurückgreifender Anwendung und zu so allseitig consequenter Durchführung von Rechtsprincipien, befähigt und aufgelegt waren, wie Sohm ihnen das zuschreibt, und ich meine es erhärten zu können durch den Hinweis auf alles, was uns von der juristischen Technik jener Zeit vor Augen liegt.

Vergegenwärtigen wir uns zunächst rückblickend, eine wie bewusst consequente Rechtsdialektik die fraglichen Fictionen voraussetzen. Der Marktstadtbezirk gilt ursprünglich nach officiellem Amtsrecht als vom König beschlagnahmt, und des zum Zeichen steht das Kreuz da; nach Volksrecht verbindet man nicht diese Vorstellung, der zufolge Verbrechen in der Stadt peinlich zu strafen wären, mit demselben Kreuz, man sieht darin nur ein Leibzeichen des Königs, das dessen Gegenwart bedeutet, und zieht daraus – wie anders als mit einem gewissen bewussten Gegensatz gegen jene Vorstellung? – die Folge, dass Verbrechen in dem Stadtbezirk so bestraft werden, als ob sie in der persönlichen Nähe des Königs geschehen wären. Nachdem diese volksrechtliche Anschauung und das derselben entsprechende Strafrecht lange Zeit geherrscht haben, besinnt man sich allmählig ohne ersichtlichen Anlass auf das amtsrechtliche Princip und gestaltet mit haarscharfer systematischer Consequenz nach diesem das Strafrecht um, mit solchem dialektischen Abstractionsvermögen, dass man sich in der Deduction nicht einmal dadurch stören lässt, dass in concreto mit der Gründung der Märkte in weitaus den meisten Fällen, wie Sohm selbst S. 32 betont, die Verleihung an einen Marktherrn verbunden war und daher das Eigenthum des Königs an der Marktstadt, um Sohm’s Ausdruck zu gebrauchen, „ein bloss formelles, lediglich in der rechtlichen Vorstellung bestehendes“ sein konnte.

Welche Befähigung zu abstract systematischem, bewusstem juristischen Denken setzen alle diese Operationen voraus! Und wie wenig entspricht eine solche Voraussetzung dem Geiste jener Zeit!

[270] Sehen wir uns nur die damaligen Leistungen in dieser Sphäre näher an!

Wie vermissen wir jede systematische Ordnung in allen Gesetzen des Deutschen Mittelalters von dem wirren Durcheinander der Fränkischen Capitularien bis zu den Reichsgesetzen der Staufer, ja selbst bis zur goldenen Bulle Karl’s IV.! Welch’ unfreies Haften an äusserlich sinnlichen Merkmalen und Symbolen, vom Strafrecht und Process der Lex salica bis zu den Strafbestimmungen der Landfrieden und Städterechte! Welch’ ungelenker Formalismus im Vertragsrecht, im Processverfahren, in den Executionsordnungen. Und wie sichtlich schwer wird es dem mittelalterlichen Geiste, wenn es einmal darauf ankommt, aus bestehenden Rechtsinstituten und -verhältnissen die Grundbegriffe zu abstrahiren: Generationen mühten sich ab, bis man erkannte und klarzustellen wusste, welche verschiedenen begrifflichen Momente geistlichen und weltlichen Rechts in dem Akte der Investitur der Reichsprälaten zu scheiden seien; in hilfloser Verlegenheit suchte man nach dem Rechtsgrunde für die Unabhängigkeit Deutscher Königswahl und -würde gegenüber den päpstlichen Ansprüchen; erst im Laufe von Jahrhunderten kam man zu einer sehr unvollkommenen begrifflichen Unterscheidung von Reichsgut und königlichem Hausgut. Durchweg folgen die theoretischen Anschauungen nur schwerfällig und langsam, nur gewissermassen Schritt für Schritt genöthigt, den praktischen Rechtsbedürfnissen: weit entfernt von dem Trieb nach einheitlich systematischer Durchbildung der Rechtsmaterien begnügt man sich überall mit der Umgestaltung des Nächstdringenden[10], überlässt man die wichtigsten Entwicklungen dem regellosen Walten localer Mächte oder den gelegentlichen individuellen Bestimmungen von Privilegien, Rechtsurtheilen, Weisthümern. Man erträgt ungestört die grössten Unklarheiten und Unbestimmtheiten in wichtigsten öffentlichen Rechtsverhältnissen, wie z. B. in der Begrenzung der königlichen, herzoglichen, gräflichen Befugnisse gegen einander, in den Competenzen des Reichstages, in der Stellung der Reichsabteien zum Reich, im gesammten Unterthanenverhältniss u. s. w.; man unterwirft den Inhalt der kaiserlichen Gewalt jener ungeheuer sach- und begriffswidrigen [271] Fiction der Fortdauer des Imperium Romanum. Erscheint doch selbst bis ins Einzelne die Wiedergabe so vieler Rechtsbegriffe durch meist nur halb zutreffende Lateinische Ausdrücke als ein Beweis für den Mangel an innerem Bedürfniss scharfer begrifflicher Erfassung dieser Dinge. Daher kommt es denn auch, wenn einmal ein ungewöhnlicher Kopf, wie der Verfasser des Sachsenspiegels, systematische Gedanken und Theorien entwickelt, dass man sich kritiklos davon imponiren lässt, dieselben blindlings aufnimmt, wenn sie auch noch so einseitig den realen Verhältnissen zuwiderlaufen. Und dies hängt noch mit einer anderen Schwäche des damaligen Rechtsbewusstseins zusammen, der naiven Unkenntniss der Rechtsentwicklung im Ganzen und in ihren einzelnen Erscheinungen, die uns überall charakteristisch entgegentritt. Konnten doch Rechtsinstitute und -verhältnisse relativ jungen Ursprungs, selbst solche, die fast noch unter den Augen der lebenden Generation entstanden waren, als Einrichtungen längst vergangener Zeiten, zum Theil ganz anderer Cultur angesehen werden, wie z. B. die Investitur der Reichsprälaten einmal als Einrichtung des alten Testaments, ein andermal als Verleihung Papst Hadrian’s I., oder wie die verschiedensten Institute und Satzungen weit aus einander liegender Zeiten als Schöpfungen des einen Karl des Grossen; liess sich doch die königliche Kanzlei von Fälschern die unglaublichsten Rechtsanachronismen insinuiren, um dieselben durch erneute Beurkundung als vollgültig zu bestätigen; acceptirte man doch – und hierher gehört zum Theil das eben vom Sachsenspiegel Gesagte – ohne Weiteres Doctrinen, die auf ganz irriger Beurtheilung der gegenwärtigen Verhältnisse und ihrer rechtlichen Grundlagen beruhten. Sogar die Bedeutung der geläufigsten Rechtssymbole wurde verkannt: konnte doch gerade jenes Stadtkreuz, das nach Sohm eine so bestimmte und nachdrücklich festgehaltene Bedeutung als Leibzeichen des Königs hatte, häufig als ein geistliches Symbol, als Kreuz Christi, gedeutet werden, eine Thatsache, die Sohm selber S. 45 anführt, ohne zu bemerken, wie sehr sich dieselbe gegen seine Voraussetzungen kehrt.

Wir können nach alledem jene Voraussetzungen Sohm’s nicht zugeben: wir können mit modernem Denken concipirte Theorien und Begriffe, deren dereinstige Existenz an und für sich in keiner Weise nachgewiesen ist, zur Erklärung historischer [272] Erscheinungen nicht zulassen, wenn dieselben nicht nachweislich dem Denkvermögen und Bildungsgrade der betreffenden Zeit entsprechen. Selbstverständlich, mögen wir – man verwechsle das nicht – Theorien und Begriffe, die unserer Bildungssphäre entnommen sind, zur Beurtheilung und somit auch zu schärferer Erkenntniss vergangener Erscheinungen anwenden, aber sobald man sie als derzeitig wirksame Elemente postulirt, ohne geprüft zu haben, ob sie damals zeitgemäss waren, geräth man in Gefahr, den Menschen der Vergangenheit die eigenen modernen Gedanken unterzuschieben und deren eigene einfachere, ungebildetere Gedanken, auf die eine allseitige unbefangene Betrachtung der Thatsachen hinweist, einseitig zu verkennen[11]. So verfällt man in eine deductive Behandlung concreter historischer Probleme, welche der Rechtsgeschichte ebenso fern bleiben sollte, wie jedem anderen Zweige der Geschichtswissenschaft.




Ich kann nach alledem den Weg, welchen Sohm in seiner Schrift zur Erklärung der Entstehung des Deutschen Städtewesens eingeschlagen hat, nur für durchaus verfehlt halten, und ich erachte es für die Aufgabe jedes Forschers auf diesen Gebieten, sich klar zu machen, ob dem so ist oder nicht, weil es sich hierbei nicht nur um die Auffassung der Städteentwicklung, sondern auch um principielle methodische Fragen handelt. Nach meiner Meinung – und ich hoffe mit derselben nicht allein zu stehen – würde eine allgemeinere Nachfolge auf diesem Wege einen bedenklichen Rückschritt der rechtsgeschichtlichen Forschung bedeuten.




Siehe auch den Artikel von W. Varges in DZfG Bd. 6 S. 86–90: Weichbildsrecht und Burgrecht.

Anmerkungen

  1. Ich nenne es im Folgenden der Kürze wegen immer nur Kreuz schlechtweg.
  2. So bezeichnet es auch J. E. Kuntze in seiner Schrift: Die Deutschen Stadtgründungen u. s. w. (1891) S. 52. Sohm sagt allerdings wiederholt „der König ist in der Stadt“, will damit aber ohne Zweifel doch nicht behaupten, dass man gemeint habe, der König sei faktisch anwesend, sondern gebraucht diese pointirte Wendung nur, anstatt den Sachverhalt genauer auszudrücken: man sah es so an, als ob der König in der Stadt anwesend sei.
  3. Vgl. G. Waitz, Deutsche Verfassungsgesch. Bd. VI, 453 ff., Bd. VII, 391; R. Schröder, Lehrbuch der Deutschen Rechtsgeschichte (1889) S. 705 f.
  4. Wenn wir Sohm’s Ausdrücke S. 30 genau nehmen, so handelt es sich hier ursprünglich nicht um eine Fiction, sondern nur um die analoge Anwendung des Rechtsmittels der Beschlagnahme; indess wird man doch sagen müssen, dass im 12. Jahrhundert, als nach Sohm neue Rechtswirkungen davon erst ins Leben traten, der vorliegende Rechtsgrund nicht mehr anders als eine Fiction genannt werden kann.
  5. Ich erinnere daran, was ich oben S. 258 bemerkte, dass ich das Weichbild nur der Kürze wegen schlechtweg als Kreuz bezeichne, wie es auch Sohm thut, dass aber dasselbe keineswegs immer ein Kreuz ist, sondern durch die verschiedenen oben angeführten Gegenstände vertreten wird, worüber man vgl. R. Schröder, Weichbild, in: Historische Aufsätze dem Andenken von Georg Waitz gewidmet (1886) S. 319 f.
  6. Hier ist vor allem massgebend das Privileg Heinrich’s II. für Worms vom Jahre 1014 (bei H. Boos, Urkundenbuch der Stadt Worms Bd. I S. 33), wörtlich bestätigt von Heinrich III. und Heinrich IV., worin der König die Busse von 60 solidi, die von den Grafen z. Th. unberechtigter Weise von denen erhoben worden, die in furto pugna vel aliqua criminali causa culpabiles erfunden sind, untersagt, ausgenommen in publicis civitatibus, so dass als regelmässige öffentl. Strafe für die betr. Vergehen in den Städten die Königsbannbusse bestätigt wird; ferner das Privileg Heinrich’s V. für Staveren vom Jahre 1108 (bei G. Waitz, Urkunden zur Deutschen Verfassungsgesch. S. 25), worin die Geldbusse für homicidium als zu Recht bestehend bestätigt wird, also jedenfalls von peinlicher Strafe nicht die Rede ist.
  7. S. die zahlreichen Beispiele bei G. Waitz, Deutsche Verfassungsgesch. Bd. VII S. 379 Note 4 und S. 380 Note 1, ferner die besonders einschlagende Urkunde des Abts von Reichenau v. J. 1073 (bei Dümgé, Regesta Badensia Anhang S. 111), worin auf Grund eines Privilegs Otto’s III. statuirt wird, dass diejenigen, „qui furtum rapinam invasionem lesionem molestationem percussionem inviolationem infra terminum ejusdem oppidi facere praesumpserint, secundum regiam constitutionem imperiale bannum persolvere cogantur“.
  8. Zur Entstehung des Städtewesens, im Index Lectionum des Sommersemesters 1891, Münster i. W., S. 9 ff.
  9. Die Deutschen Stadtgründungen oder Römerstädte und Deutsche Städte im Mittelalter, Leipzig 1891, ein Buch, das auch nicht frei von phantastischen Combinationen ist. G. Schmoller, JbGVV 1890, S. 1001 f. constatirt nur ganz kurz in einigen Hauptpunkten seinen Widerspruch.
  10. Vgl. z. B. die Darlegung von A. Heusler, Institutionen des Deutschen Privatrechts Bd. II (1886) S. 5 ff., speciell die Note 6.
  11. Vgl. F. Walter, Deutsche Rechtsgeschichte 2. Auflage 1857 S. 184 Note 8: „Um den Geist des Deutschen Rechts [im früheren Mittelalter] zu fassen, muss man sich in eine Zeit zu versetzen verstehen, wo das Recht ohne Rechtsschulen und ohne Bücher bloss durch die Urtheile der Schöffengerichte, durch die Fragen und Antworten im gehegten Ding und durch einige Rechtssymbolik überliefert wurde. Jede Theorie, die über den Gesichtskreis des gesunden Bauernverstandes hinausgeht oder die gar ein Studium aus Büchern erfordert, kann man schon aus diesem Grunde von vorne herein als irrig verwerfen.“ Wenn wir auch nicht so weit gehen wollen, sind diese Worte doch recht beachtenswerth. Eine exakte Untersuchung der Theorien, insbesondere der Fictionen, im ältern Deutschen Recht wäre sehr zu wünschen. Soviel ich weiss, hat man bisher nur die Fictionen des Römischen Rechts näher untersucht.