Die Erziehung zur Sparsamkeit

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Valerius
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Erziehung zur Sparsamkeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 63–67
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[63]

Die Erziehung zur Sparsamkeit.

Auch eine Forderung des Lebens an die Schule.

Arbeit und Sparsamkeit, sie sind zwei Schwestertugenden, welche stets das Elend bezwangen und den Wohlstand einzelner Familien und ganzer Völker begründeten. Im Verlauf der Entwickelung der menschlichen Gesellschaft haben sie von ihrem Werthe nichts eingebüßt; sie sind mit jedem wirthschaftlichen Fortschritte noch unentbehrlicher geworden. Früher war der Arbeiter durch Zünfte, Zölle und ähnliche Einrichtungen vor den Gefahren der industriellen Krisen, welche wie plötzliche Stürme über unser wirthschaftliches Leben hereinbrachen, mehr oder weniger geschützt. Heute ist er frei und selbstständig geworden. Der Schutz des Staates wird seiner Arbeit nicht mehr im früheren Maße gewährt. Aber im Kampfe des Lebens braucht er nicht zu verzweifeln. Siegen wird er unbedingt, wenn er täglich zwei Tugenden übt: die Arbeit und die Sparsamkeit.

In der That kennen wir keinen mächtigeren Hebel zur Beseitigung des socialen Elends als die Arbeit und Sparsamkeit der Massen. Und wie auf der Uebergangsstufe der Menschheit von niedriger zu höherer Cultur die christliche Kirche, um das irdische Elend zu lindern, die Tugend der Barmherzigkeit unter den Heiden zu predigen begann, so müssen wir in der Morgendämmerung der ökonomischen Freiheit die auf Arbeit und Sparsamkeit begründete Selbsthülfe lehren – und wie die Kirche um der Seligkeit der anderen Welt willen auf dem Religionsunterricht in der Schule beharrte, so müssen wir, um das friedliche Glück dieser Welt zu erobern, in der Schule unsere Kinder in den Tugenden der Arbeit und Sparsamkeit erziehen.

Zu dem, was über die Erziehung zur Arbeit hier bereits gesagt worden ist (vergl. „Gartenlaube“, Jahrgang 1880, Nr. 4, Seite 64 u. ff.), haben wir nur noch hinzuzufügen, daß der Erfolg der Arbeit dann allein dauerhaft sein kann, wenn ihre Früchte mit weiser Sparsamkeit verwaltet werden. Arbeit und Sparsamkeit ergänzen sich im Leben; sie müssen sich daher auch in der Schule gegenseitig fördern und unterstützen. Um das Wissen der Menschen zu erweitern, dazu reicht schon der Vortrag hin, aber die Tugend lernt man nicht durch Anhören und Memoriren; wer tugendhaft sein will, der muß die Tugend ausüben.

Es mußten daher, wenn die Erziehung zur Sparsamkeit Früchte tragen sollte, Mittel gesucht werden, welche den Schulkindern die Gelegenheit zum Sparen geben – und ein solches Mittel ist in der Errichtung der Schulsparcassen gefunden worden.

Der erste geregelte Versuch, eine Sparcasse für Schüler einzurichten, ist am 4. Mai 1834 in der Stadtschule zu Le Mans (Sarthe) gemacht worden. In einer kleinen Schrift, die 1834 unter dem Titel: „Lesestücke und gesammelte Gebete und Lieder zum Gebrauch im gegenseitigen Unterricht in der Stadtschule zu Le Mans“, erschien, spricht sich der Autor, Herr Dulac, folgendermaßen aus:

„Unter den verschiedenen Mitteln, welche wir angewendet haben, um bei den uns anvertrauten Schülern zum Ziele der sittlichen Erziehung zu gelangen, ist eines, das wir besonders in Erinnerung bringen möchten: die Niederlegung der kleinen Ersparnisse unserer Pflegekinder bei der Sparcasse. Um die Einzahlungen zu erleichtern, haben wir am 4. Mai 1834 in unserer Schule unter der Aufsicht der städtischen Behörde eine Privatcasse eingerichtet, in der sie ihre Ersparnisse Pfennig für Pfennig niederlegen, bis diese, zur Summe eines Franken angewachsen, in der Departementssparcasse angenommen werden.“

Im Jahre 1838 drückte der Verwaltungsrath der Sparcasse von Le Mans Herrn Dulac seine Befriedigung aus über die gemachten Einlagen der Schüler der Stadtschule und selbst der Kleinkinderschule. Der Ruf der Schulsparcassen verbreitete sich bald, und in Amiens, Grenoble, Lyon, Perigueux, Paris, Verona, Weimar (1844), in Württemberg (1846), in Preußen und in der Schweiz (1851), in Ungarn (1860) wurden Schulsparcassen errichtet. Man hat aber dabei unterlassen, die Organisation solcher Cassen genau zu prüfen; man beging Fehler auf Fehler, und entmuthigt ließ man die neugegründeten Cassen wieder eingehen.

Herr Dulac setzte indessen seine Bemühungen unverdrossen fort, und schon im Jahre 1839 gelangte er zu den letzten Verbesserungen.

Inzwischen gewann die Idee der Schulsparcassen einen mächtigen Bundesgenossen. Die internationalen Congresse begannen ihren Einfluß zu entfalten, und bald wurde auch die von Dulac angeregte Frage in den Bereich ihres Wirkungskreises hineingezogen. Auf dem internationalen Congresse für Wohlthätigkeit in Brüssel wurde die Nothwendigkeit kleiner Sparkassen für die geringen Ersparnisse der Kinder in den Schulen anerkannt.

Diese Anregung wußte zuerst Professor M. F. Laurent in Gent in größerem Maßstabe praktisch zu verwerthen. Der Anfang wurde mit zwei Schulsparcassen im October 1866 gemacht, und dank der Initiative durch den Stadt- und Schulrath und zwei freie Gesellschaften für öffentliche Wohlthätigkeit verbreitete sich die neue Einrichtung bald in allen Schulen der Stadt. Nach sieben Jahren waren von den 15,000 Schülern mehr als 13,000 durch die Schulsparcassen zu Büchern der Stadtsparcasse gelangt. Dem Vorgehen Gents folgten bald andere Städte, wie Brüssel, Namur und Lüttich.

Zu verschiedenen Zeiten erklärte die belgische Regierung in öffentlichen Berichten, in denen sie sich anerkennend über die Verdienste M. Laurent’s äußerte, daß man den Schulsparcassen einen großen Theil der in die Nationalsparcasse eingezahlten Gelder verdanke, und zwar besonders durch den Einfluß der Schulkinder auf die Familien. Die Sparbücher der Kinder, so hieß es, seien ein mächtiges Mittel zur Einweihung der Eltern in die Vortheile und den Mechanismus der Sparcasse.

[64] Waren nun diese Erfolge überraschend genug, um unsere vollste Anerkennung hervorzurufen, so erblassen sie im Vergleich zu dem glänzenden, überwältigenden Triumphe, welchen die Idee der Schulsparcasse, durch A. de Malarce von Neuem angeregt, in Frankreich während der letzten Jahre gefeiert hatte. „Als ich (von der Wiener Ausstellung 1873) nach Frankreich zurückkehrte,“ schreibt Herr A. de Malarce selbst, „nahm ich mir vor, auch in unseren Schulen Schülersparcassen einzuführen, und besuchte zu diesem Zwecke Belgien und England. Ich verfaßte nun eine Verordnung nach meinen Beobachtungen über die verschiedenen guten und unvollkommenen Bestimmungen in dem Verfahren der anderen Länder und veröffentlichte dieselbe unter dem Titel ‚Handbuch der Sparcassen in Frankreich‘. Der Minister des öffentlichen Unterrichts sandte diese Schrift den Inspicienten der Akademien und Normalschulen, der Minister des Handels und der Landwirtschaft den Sparcassen und Handelskammern zu. Die Gesellschaft für Stiftungen der Fürsorge, die aus meinen Vorschlag am 14. November 1873 unter dem Vorsitz eines der ältesten Mitglieder, des Herrn Hippolyte Passy, früheren Handels- und Finanzministers, gegründet wurde, richtete am 20 August 1876 einen dringenden Aufruf an die allgemeinen Departementsräte, und von diesen Versammlungen antworteten einundzwanzig umgehend, die für Aufnahme eines Capitals von ungefähr tausend Francs stimmten, um die entstehenden Kosten für Druckschriften zu decken, durch Medaillen und Preise die Lehrer und Bevollmächtigten zu belohnen und die Schüler durch Pfennige für gute Censuren zu ermutigen. Man befolgte das von mir vorgeschlagene und angenommene Verfahren, und Alles ging leicht, als einmal der Anfang gemacht worden war, ohne andere Hülfe als guten Rath, aber unter dem Beistand der ganzen französischen Presse, der Mitwirkung einer großen Anzahl von Bürgermeistern, Ober-Inspectoren, Schullehrern, Delegirten aller Landestheile und mehrerer größerer Sparcassen.“

Gegen das Ende des Jahres 1874 wurde diese Agitation eröffnet, und schon im Jahre 1879 befanden sich nach einer amtlichen Statistik des Unterrichtsministeriums in 81 Departementen 10,440 Schulsparcassen. Die Zahl der sparenden Schüler betrug 224,280 d. h. 30 Procent aller Schüler, die diejenigen Schulen besuchen, in welchen Schulsparcassen eingeführt worden sind. 177,574 Schüler, d. h. vier Fünftel der sparenden Schüler, besaßen ein Sparbuch der großen Sparcasse und haben in derselben 3,602,621 Franken 20 Centimes niedergelegt.

Und welchen Einfluß dieses Erziehungsmittel auf den Sparsinn des französischen Volkes bereits ausgeübt hat, davon belehren uns folgende Zahlen.

Nach amtlicher Statistik betrug im Jahre 1870 die Zahl der Einleger 2,130,768. Nach den Kriege sank sie auf 2,016,552 und erreichte allmählich 1874 die Höhe von 2,170,066. Aber seit 1875 zeigt sich auf diesem Gebiete eine Bewegung, wie sie in Frankreich früher niemals stattgefunden hat. Die Zahl der Einleger stieg jährlich um 200,000 bis 300,000, bis sie im Jahre 1877 2,863,283 betrug. Für 1878 scheint die Zunahme noch größer gewesen zu sein. Das Vermögen der Sparcassen sank von 711 Millionen Franken vor den Kriege auf 515 Millionen im Jahre 1872 hierauf trat eine Besserung ein, sodaß 1874 573 Millionen notirt werden konnten. Aber seit 1875 wuchs der Cassenbestand um 87 Millionen im Jahre 1875, um 109 Millionen im Jahre 1876, um 153 Millionen im Jahre 1877, in welchem er im Ganzen 1 Milliarde 15 Millionen Franken betrug. Diese ungeheuere Vergrößerung der eingezahlten Summen um eine halbe Milliarde Franken in sechs Jahren verdankt Frankreich, wie der jüngste Regierungsbericht besagt, der eifrigen Agitation der Presse und der Einrichtung der Schulsparcassen deren Zahl sich in Monat August 1879 auf 12,000 belief.

Diese Erfolge ermutigten auch andere Länder zu weiteren Anstrengungen. In England übernahm im Jahre 1876 das Postamt die Kosten für die Drucksachen und Inserate zur Verbreitung; in Italien gewährte das Gesetz vom 27. Mai 1875 über die Postsparcassen denjenigen Schuldirectoren, welche am eifrigsten und wirksamsten zur Verbreitung der Schulsparcassen beigetragen hatten, Vorrechte und Prämien „in Anbetracht der guten erziehenden Resultate“. In Oesterreich besteht ein „Sparverein für Kinder“, welcher, von Dr. Roser unterstützt, vornehmlich seit 1877 diesen Zweck verfolgt.

Auch in Ungarn fanden die Schulsparcassen eine günstige Aufnahme. War es doch Franz Deak, der ungarische große Patriot, welcher im Jahre 1873 dem Herrn A. de Malarce versicherte: wie sehr er die Sparcassen als Mittel der Civilisation anerkenne und besonders die Schulsparcassen für die beste Einrichtung halte, um durch eine sparsame und moralische Erziehung der Kinder die Sitten eines ganzen Volkes zu verbessern. Den Bemühungen des königlichen Raths Fr. Weiß, des Präsidenten der Handelskammer, verdankt Ungarn gegenwärtig eine rasche Verbreitung dieses Instituts und die billige Beschaffung der Drucksachen von Seiten der Regierung und der Communalbehörden, die für eine Schule von hundert Kindern nur einer Gulden zweiundachtzig Kreuzer kosten. In den Strom der Agitation sind Portugal und Spanien hingerissen worden, und Nordamerika sucht die Erfahrungen und Fortschritte des Mutterlandes zu seinem Nutzen zu verwenden.

Was hat bis jetzt Deutschland zur Lösung dieser wichtigen Frage beigetragen? Deutschland, welches unter den sparenden Völkern der Welt neben England die erste Stelle behauptet! Deutschland, wo ein einziger Staat, Preußen, im Jahre 1878 ein Sparcassenvermögen von 1,473,062,002 Mark aufzuweisen hatten also rund 660 Millionen Mark mehr als das gesammte Frankreich!

In der Tagespresse fanden wir vor Kurzem eine Notiz, die alle Beachtung verdient. Sie lautet:

„Die Schulsparcassen haben von der Tagesordnung unseres öffentlichen Lebens nicht dadurch verschwinden können, daß einige Lehrerversammlungen sie auf Grund theoretischer Bedenken ablehnten. Dasselbe ist früher in Wien geschehen, und doch brachen sie sich in Oesterreich wie in Ungarn kräftig Bahn. Wir müssen uns überhaupt darein finden, daß, während in Deutschland alle Kraft auf das politische Einheitswerk concentrirt wurde, also von 1866 an, die Länder um uns her in Bezug auf gemeinnützige Schöpfungen aus anderer als Regierungsinitiative Fortschritte gemacht haben, denen wir Mühe haben nachzukommen. Einzelne, wenig beachtete Versuche, das Sparen bei den Schulkindern anzufangen , hat es freilich schon vor 1866 in Deutschland so gut gegeben, wie in Frankreich und England. Aber an der systematischen Agitation, die von Gent zufällig gerade im Jahre 1866 ihren Ausgang nahm, haben wir uns bis jetzt fast nur negativ betheiligt, nämlich durch jene Vota der Pädagogen von Fach. Volkswirte dagegen wie P. Chr. Hansen und Leo Wilhelmi sind literarisch für die Sparcasse in der Schule eingetreten. Neuerdings hat man zu Uelzen in Hannover auch einen praktischen Anfang gemacht. In der untersten Volksschule wurde dort damit in aller Stille im Frühjahr 1878 begonnen, und der nach anderthalb Jahren angestellte Rückblick lautet entschieden ermutigend. Unter 390 Schülern hatten 186, also fast die Hälfte, Einlagen gemacht, und zwar zusammen 1022, darunter 731 unter 1 Mark, 253 von 1 bis 5 Mark, 31 von 5 bis 10 Mark und 7 Einlagen noch höher. Diese höheren Einlagen sind nur in den Oberclassen erfolgt – hauptsächlich im Hochsommer, wo das Beerensammeln den Kindern einen verhältnißmäßig reichen Ertrag abwarf, und im October, wo sie bei der Kartoffelernte halfen. Ein Knabe hat sich so in anderthalb Jahren insgesammt 58 Mark 50 Pfennig erspart. Wo wären die geblieben, ohne die von der Schule gebotene Aufforderung und Gelegenheit zu ihrer Erhaltung? Sämmtliche Lehrer,“ fügt der Bericht hinzu. „sprechen sich äußerst befriedigt über die neue Einrichtung aus und bezeugen einstimmig, daß sie nach keiner Richtung einen ungünstigen sittlichen Einfluß auf die Kinder geübt habe. Von unkindlichen Geiz, Habsucht oder Neid sei nichts zu bemerken; im Gegentheil wirke das Bewußtsein durch eigene Entsagung und durch Verzicht auf ein Vergnügen sich ein Sparcassenbuch erworben zu haben, sittlich hebend auf die Kinder ein. Die sieben Lehrer der Schule haben sich einmüthig dahin ausgesprochen, trotz der nicht unerheblichen Mühe und Arbeit, welche die Sparcasse ihnen bereite, dieselbe nicht wieder entbehren zu mögen. Ein solches praktisches Experiment wiegt wohl eine Verhandlung in einer Lehrerversammlung auf, bei der ja doch Alles auf die Instruction des Spruches durch den Referenten ankommt und dieser bisher in Deutschland nicht aus eigener Erfahrung zu urtheilen vermochte.“

[65] Und dieses unbegründete pädagogische Vorurtheil scheint gegenwärtig in Deutschland thatsächlich zu schwinden. In den Provinzen Schlesien und Preußen ist bereits ein Anfang gemacht worden, der zu den besten Hoffnungen berechtigt.

Man zählt jetzt in Deutschland gegen 250 Jugendsparcassen, wovon fast die Hälfte auf den Regierungsbezirk Gumbinnen kommt. In Schlesien ist neben Glogau namentlich Wüstegiersdorf, Kreis Waldenburg, zu nennen, wo der Waisenhausdirector und Localschulinspector Kranz, im Mai 1878 die Schulsparcassen nach französischem Muster einführte. Es betheiligten sich bis jetzt nahezu 700 Kinder und als Sammler 15 Lehrer. Im Jahre 1878 wurden 3270 Mark und im Jahre 1879 3320 Mark gespart. Ferner giebt es noch einzelne Schulsparcassen in den Provinzen Brandenburg, Sachsen, Hannover und Braunschweig.[1]

Das königliche Provinzial-Schulcollegium von Schlesien machte auf die Sache aufmerksam, und die königliche Regierung von Breslau hat der Angelegenheit einen Circularerlaß vom 7. October 1879 gewidmet. In jedem Fall möchten die einschlägigen Schriften für die Kreislehrer-Bibliotheken angeschafft werden. Als solche werden neben denjenigen des Pfarrers Senckel die von Wilhelmi, Schröter, A. de Malarce etc. genannt. Die königliche Regierung von Gumbinnen empfiehlt ihrerseits die Schrift des Hauptlehrers Elwenspöck zu Memel: „Jugendsparcassen.“

Auf Grund dieser günstigen Erfolge richteten 84 „Freunde und Beförderer der Jugendsparcassen in Deutschland“ durch ihren Schriftführer, Pfarrer Senckel, unter dem 27. November 1879 eine Adresse an den Cultusminister von Puttkammer mit der Bitte: an die königlichen Regierungsbehörden einen die Sache der Jugendsparcassen fördernden Erlaß ergehen zu lassen.

Daraufhin ist unterm 12. April folgende Ministerialverfügung eingegangen.

„Aus Euer Hochwürden Schreiben vom 13. Januar, 6. Februar und 4. März dieses Jahres, sowie aus der Adresse vom 27. November vorigen Jahres habe ich mit lebhaftem Interesse von den erfreulichen Fortschritten Kenntniß genommen, welche die Angelegenheit der Errichtung von Jugendsparcassen bisher gemacht hat. Ich entnehme daraus im Besonderen die Ueberzeugung, daß es den Förderern der Sache auch ohne amtliche Hülfe gelingen werde, derselben in immer weiteren Kreisen Freunde zu gewinnen, und meine daher auch jetzt noch keine genügende Veranlassung zu haben, eine amtliche Empfehlung eintreten zu 1assen, zumal eine wirksame Unterstützung nur von solchen Personen ausgehen kann, welche sich aus freier Entschließung mit der Angelegenheit [66] befassen. Die Druckanlagen, die Specialberichte und Uebersichten sende ich zurück. gez. von Puttkamer.“

In Folge dieses Bescheides sind die Petenten am 2. Juni vorigen Jahres in Glogau zu einer Conferenz, auf der ein Verein zur Forderung der Jugendsparcassen begründet wurde, zusammengetreten.

Die Zersplitterung der auf dieses Ziel hinarbeitenden Kräfte, die Versuche auf eigene Hand, welche hier und dort gemacht werden, sind indessen für die Sache selbst nichts weniger als förderlich. Auch scheint der neue Verein zwischen eigentlichen Schulsparcassen und Kindersparcassen, die unter der Leitung von Geistlichen begründet werden, keinen Unterschied zu machen. So erfahren wir, daß in einigen schlesischen Schulsparcassen zwei Grundsätze eingeführt worden sind, deren Zweckmäßigkeit stark bezweifelt werden muß. Die Einlagen werden grundsätzlich den Schülern erst beim Austritte aus der Schule ausgezahlt, und das ersparte Geld wird von den Lehrern entweder in der Sparkasse „oder anderweitig“ verzinslich angelegt. Gegen den ersten Grundsatz sprach sich schon früher A. de Malarce in folgender Weise aus: „Die Einlagen müssen immer rückzahlbar sein – das ist eins der Grundprincipien der Sparcasse. Ferner ist es wichtig, daß der Schüler, der einige Sous, von denen er freien Gebrauch machen konnte, erübrigt hat, nicht eine Art von Confiscirung fürchten muß, sondern im Gegentheil durch den Gedanken, einst die Früchte seiner Entsagung zu einer nützlichen Ausgabe, zur Hülfe für seine Familie zu ernten, ermuthigt wird. Hierin liegt ein sittlicher Gedanke, welcher auch den richtigen Begriff für ein sparsames Leben giebt, nämlich: sich heute einen kleinen Genuß zu versagen, um vielleicht morgen eine nothwendige Ausgabe bestreiten zu können.“

Nicht „in der Sparcasse oder anderweitig“, sondern einzig und allein in der Sparcasse müssen ferner die gesparten Gelder der Zöglinge angelegt werden, da der Schüler in den Mechanismus der Sparcasse eingeweiht werden und schon in der frühesten Jugend den Weg zu derselben kennen lernen soll.

Die Anwendung fehlerhafter Methoden hat schon einmal den Untergang zahlreicher Schulsparcassen verursacht. Dringend ist es daher zu wünschen, daß, wenn die Regierung die Sache in ihre Hand nicht nehmen will, was leider nach dem Erlaß des preußischen Unterrichtsministers zu erwarten ist, Privatvereine, mit anerkannten fachmännischen Kräften an ihrer Spitze, die Lehrer mit Rath und That unterstützen, auch durch Bewilligung von Prämien ihren Eifer anspornen.

Der Umstand, daß Deutschland spart, verhältnißmäßig mehr spart als andere Staaten, kann uns nicht abhalten, das vortreffliche Mittel zur Erhaltung und Kräftigung dieses Triebes, die Erziehung zur Sparsamkeit, auf das Wärmste zu empfehlen. Andere Völker haben, dem Beispiele Englands folgend, der Sparsamkeit die weitverbreitete Institution der Post dienstbar gemacht. Italien, Schweiz, Holland haben bereits Postsparkassen eingeführt; Frankreich und Oesterreich warten nur noch auf das Votum ihrer Parlamente, um mit einem Schlage Tausende von Sparcassen an den Postschaltern ihrer Städte und Dörfer zu eröffnen. Der Verstaatlichungszug, welcher durch die deutsche Wirthschaftspolitik geht, hat leider diese wohlthätige Einrichtung dem liberalen Bürgerthume theilweise entfremdet und die frühere Begeisterung für die Postsparkassen abgekühlt. Da tritt an jeden gutgesinnten Bürger desto gebieterischer die Pflicht heran, wenigstens die Schulsparcassen allgemein einzuführen und durch sie den Sparsinn der künftigen Generationen zu stärken. Ihre Einrichtung ist leicht durchführbar und äußerst einfach. Weder Kosten noch große Mühe sind bei ihnen erforderlich; nur der gute Wille muß nicht fehlen, und sollte er sich nicht finden, wenn es sich um die Erziehung der Jugend, um das Wohl der Kinder handelt? Sollte er nicht leicht zu erwecken sein auf einem Gebiete, wo der Lärm politischer und religiöser Kämpfe verstummt?

Um aber die möglichst weitesten Kreise unserer Mitbürger zur Theilnahme an dieser dankbaren Arbeit zu ermuntern, wollen wir eine kurze Schilderung einer Schulsparcasse entwerfen, wie sie sich nach jahrelanger Prüfung herausentwickelt hat und wie sie vom Herrn: A. de Malarce empfohlen wird:

„Hat sich der Lehrer dessen versichert, daß die Sparcassenverwaltung seines Bezirks ihre unumwundene Erlaubniß zu diesem Unternehmen giebt, so händigt er jedem seiner Schüler eine kurze Notiz aus dem betreffenden Leitfaden ein – besser ist es noch, dieselbe von ihnen abschreiben zu lassen – deren Zweck es ist, die Schüler und besonders ihre Eltern mit der Einrichtung und den Vorzügen der Schulsparcassen bekannt zu machen – eine sehr nützliche Vorsicht, um allen Mißverständnissen vorzubeugen. Dann schafft er die Sparbücher entweder durch Bewilligung des Magistrats oder der Sparcasse, auch als Geschenk eines Notablen des Ortes an. Hierauf theilt der Lehrer seinen Schülern mit, daß er von einem bestimmten Tage an jede Woche ihre kleinen Ersparnisse in Empfang nehmen wird und monatlich einmal die Monatseinlage eines jeden Schülers, welche einen Franken oder darüber beträgt, in einer runden Summe für jeden Einzelnen auf ein Sparbuch einzahlen werde. Dieses Sparkassenbuch macht den Zögling zum Gläubiger der großen Sparcasse, und befreit in dieser Hinsicht den Lehrer von jedem Vorwurfe und aller Verantwortlichkeit. Dieses Büchlein, aus welchem das Kind sieht, daß es als Erwachsener behandelt wird, weil es wie ein Mann handelt, ist für das Kind, zuweilen auch für seine Familie, ein gutes Erziehungsmittel.

Die Verfahrungsart bei der Amtsverrichtung ist folgende: Einmal wöchentlich an einem bestimmten Tage – Dienstag ist der geeignetste – nimmt der Lehrer des Morgens bei Beginn des Unterrichts die Ersparnisse seiner Schüler in Empfang. Diese regelmäßige periodische Wiederholung macht es den Zöglingen zur Gewohnheit, stört die strenge Ordnung der Classe nicht und spart Zeit.

Der Lehrer hat vor sich auf seinem Pult das Register der Schulsparcasse liegen, ein Heft, in welchem jede Seite für die besondere Berechnung jedes Einzelnen bestimmt ist, und obenan die Seitenzahl, den Namen des Schülers und die Nummer seines Sparcassenbuchs (wenn er ein solches schon besitzt) trägt. Jede dieser Seiten ist für die Monate des Jahres in zwölf verticale und für die Tage im Monat in horizontale Linien getheilt, das heißt: nimmt der Lehrer die Einzahlung nur einmal Per Woche an, so genügen fünf horizontale Linien.

Dem Lehrer zur Seite steht ein Gehülfe oder immer der Reihe nach einer der besten Schüler mit einem Blatt Papier, dessen Vorderseite ein Facsimile einer Seite des Registers trägt. Dieses Blatt wird dem Schüler als ein Duplicat seiner Berechnung mit der Schulsparcasse eingehändigt.

Sind die Sachen so geregelt, so tritt jeder sparende Schüler der Reihe nach an das Pult des Lehrers und legt die kleine Summe, die er einzahlen will, darauf nieder.

Unmittelbar nach jeder Einzahlung trägt der Lehrer die Summe in das Register auf der für den betreffenden Schüler bestimmten Seite ein; dann überzeugt er sich, daß dasselbe im Duplicat, welches der Schüler erhält, geschehen ist, und fordert denselben auf, nach jeder neuen Einlage sein Blatt wieder vorzuzeigen.

Dieses Geschäft nimmt, wenn es wohlgeordnet ist, für sechszig Schüler nicht einmal dreißig Minuten Zeit in Anspruch.

Das Verfahren außerhalb der Schule, das heißt die Abrechnung mit der Sparcasse, ist ebenfalls äußerst einfach.

In den ersten Tagen jedes Monats addirt der Lehrer auf jeder Seite, das heißt in der Berechnung jedes Schülers, die bescheidenen Summen, die in der für einen Monat bestimmten Seitenspalte eingetragen sind. Beträgt die Totalsumme nicht einen Franken, so schreibt er die Zahl der Centimen oben in die für den nächsten Monat bestimmte Spalte, damit dieselbe zu den nächsten Einzahlungen addirt werde. Uebersteigt die Summe einen oder mehrere Franken, so trägt er die übrigen Centimen ebenso ein und schreibt den oder die Franken in das für die große Sparcasse bestimmte Verzeichnis.

Der Lehrer zieht dann die zur Einzahlung bestimmten Summen zusammen, datirt und unterschreibt das Verzeichniß, welches er dann mit dem Gelde und den Sparbüchern derjenigen sparenden Schüler, welche solche schon besitzen, auf die Sparcasse trägt. Das Original des Verzeichnisses behält er selbst.

Die Sparcasse schreibt die Einlagen in die einzelnen Bücher auf die Rechnung und den Namen jedes Schülers ein, und von da an hört die Verantwortlichkeit des Lehrers in Betreff der Einlagen und Bücher der Einzelnen auf.

Will ein Schüler einen Theil oder den ganzen Betrag seines Guthabens zurück verlangen, so genügt hierzu die Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters, welcher dann mit dem Lehrer und dem Agenten der Sparcasse das Sparbuch unterzeichnet.

Hierdurch ist Alles vereinigt worden, um den Mechanismus so einfach und sicher zu gestalten wie möglich; die Arbeit und die Verantwortlichkeit des Lehrers aus das Minimum zu beschränken und der Schulsparcasse einen hohen Werth für die Erziehung zu verleihen.“[2]

In der neuesten Zeit ist ein Project aufgetaucht, welches nach der Meinung Vieler den Mechanismus noch einfacher gestalten soll. Herr Millour aus Brest hat vorgeschlagen, in der Schule Sparmarken, ähnlich unseren Briefmarken, einzuführen, die von den Kindern in der Schule gekauft werden könnten. Wir übergehen dieses Project und viele andere, weil ihnen unserer Meinung nach das erziehliche pädagogische Element vollständig fehlt.

Die Sparcassen überhaupt sind eine noch verhältnißmäßig junge Errungenschaft unserer modernen Cultur. Aber wiewohl sie erst seit dem vorigen Jahrhundert bestehen, haben sie dennoch in Europa gegenwärtig eine Kundschaft von sechszehn Millionen sparender Menschen, welche in ihnen gegen acht Milliarden Mark niedergelegt haben. Das sind Zahlen, die deutlich für die Lebensfähigkeit [67] dieser vorsorglichen Stiftung sprechen und ihre möglichst große Verbreitung wünschenswerth erscheinen lassen.

Als wir vor längerer Zeit einige Kinder Sparhefte anfertigen ließen, um uns zu überzeugen, ob sie den gestellten Ansprüchen genügen könnten, und als wir ihnen den Zweck der Schulsparcasse erklärten, da baten sie uns dringend und wiederholt, wir möchten unseren Einfluß dahin verwenden, daß auch in ihren Schulen recht bald solche Sparcassen eröffnet würden. Wir gaben das Versprechen, dahin zu wirken – und vielleicht gelingt es der Presse, die Gemüther zu erwecken, Bürger und Behörden, Väter und Lehrer dazu zu bewegen, daß sie die Kinder in dieser ernsten Zeit socialer Kämpfe zur Arbeit und zur Sparsamkeit erziehen.

Valerius.
  1. Viele von diesen deutschen „Jugendsparkassen“ sind jedoch auf ganz verschiedenartigen Prinzipien gegründet und, wie einige Sparcassen im Königreich Sachsen, von der Schule getrennt. Wiewohl ihr wohltätiges Wirken, wie es die Berichte der „Kindersparcasse zu Golditz“, begründet im Jahre 1846 und der „deutschen Volkssparbüchse für Jedermann“ in Artern, gegründet 1870, darthun, nicht zu unterschätzen ist, so fehlt ihnen dennoch das erziehende Element, und wir werden in einem anderen Artikel auf dieselben zurückkommen. Freunde dieser Institute werden uns zu besonderem Dank verpflichten, wenn sie uns durch zuverlässige Nachrichten die Klärung und Sammlung des äußerst zersplitterten Materials erleichtern
    D. Red.
  2. Vergl. „Die Schulsparcassen“ von A. de Malarce. Deutsche Ausgabe.