Die Freundin eines edlen Menschen

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Autor: Ludwig Kalisch
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Titel: Die Freundin eines edlen Menschen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 174–176
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Jeannette Straus-Wolf, langjährige vertraute Freundin und Correspondentin Ludwig Börnes
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Die Freundin eines edlen Menschen.

Von Ludwig Kalisch.

Der Einfluß edler Frauen auf hochbegabte Männer gehört zu den wohlthuendsten Erscheinungen in Literatur und Kunst, in der Geschichte und im Leben der Gegenwart. Unsere großen Dichter, unsere gepriesensten Künstler und Weisen stimmen überein in der Anerkennung dieser heilvollen Wirksamkeit, die in Goethe’s Spruch gipfelt: „Das Ewigweibliche zieht uns hinan!“ Ein solches Emporziehen aus dem sich selbst genügenden Dahinleben zu seinem so bedeutenden schriftstellerischen Berufe hat auch Ludwig Börne, der berühmte geist- und charaktervolle, freisinnige Publicity, erfahren, und wir begehen nur eine Erinnerungsfeier der Dankbarkeit, wenn wir unseren Lesern das Bild der Frau vorführen, die mit ihrem Herzen den Geist eines Börne zur Tatkraft zu erheben und bis an sein Ende zu stärken und zu erquicken vermochte.

Ich lernte Madame Strauß, die Freundin Börnes, im Jahre 1849 kennen. Sie lebte damals sehr zurückgezogen in Fauteuil, jenem als Lieblingssitz vieler ausgezeichneter Geister weltberühmt gewordenen Dorfe am Eingang zum Boulogner Wäldchen bei Paris, und empfing nur einige Freunde und politische Gesinnungsgenossen. Ich muß gestehen, daß mein erster Besuch bei ihr mich etwas enttäuschte. Ich hatte mir eine von Geist sprudelnde Dame vorgestellt, deren Unterhaltung wie ein Raketenfeuer prasseln würde, ich sah aber nur eine Frau, die im Gespräch mehr sich als Andere belehren wollte und die in ihren Bemerkungen eine sehr warme Empfindung, doch nichts weniger als einen lebhaften Geist verriet. Sie befragte mich viel über die deutschen Zustände und äußerte dabei, sie habe eine große Freude empfunden, als sie in den Blättern gelesen, daß in den Märztagen die in Frankfurt versammelte Jugend eine Ehrenwache vor Börnes Geburtshaus gestellt. Börne war der Ausgangspunkt, war der Zielpunkt aller ihrer Gespräche. Sie bezog Alles auf ihn, sie leitete Alles von ihm ab. Sie lebte nur in der Erinnerung an ihn, und diese Erinnerung ließ sie das Leben ertragen.

Mein erster Besuch bei ihr, der mehrere Stunden gedauert [175] hatte, war die Einleitung zu einem freundschaftlichen Verhältniß, das meinen ersten Aufenthalt in Paris höchst angenehm machte. Ich speiste jeden Sonntag in Auteuil und sah auch während der Wochentage Madame Strauß sehr häufig. Ich hatte gehört, daß sie es gewesen, die ihren Freund veranlaßt hatte, die Schriftstellerfeder zu ergreifen, und ich fragte sie, ob dem wirklich so sei?

„Das ist wahr,“ erwiderte sie. „Börne hatte die Gewohnheit, mir bei seinen Besuchen von seiner Lectüre zu berichten; er war indessen mit derselben selten zufrieden. Die damalige Tagesliteratur war auch in der That nicht geeignet, seinen Geist zu. befriedigen oder ihm eine besondere Achtung vor der Gesinnungstüchtigkeit der Schriftsteiler einzuflößen. Da habe ich wieder recht dummes Zeug gelesen sagte er gewöhnlich, und indem er die Schrift nannte, schüttelte er eine solch’ beißende satirische Lauge über dieselbe und ließ dabei so viel Witzfunken sprühen, daß ich nicht müde ward, ihm zuzuhören.

Eines Tages nun – es war im Jahre 1817 – als er wieder seinen Unwillen über ein so eben erschienenes Buch in humoristischer Weise ausdrückte, diesmal aber noch geistvoller, noch witziger sprach, sagte ich ihm: Männer von Talent und Ueberzeugung sollten der Talent- und Charakterlosigkeit nicht allein das Wort gönnen. Das Publicum liest eben das, was man ihm bietet, und es würde gewiß eine bessere Lectüre wählen, wenn begabte Männer ihm eine solche böten. Sie sollten schreiben!‘

,Das will ich auch thun‘ antwortete er, und bald darauf erschien seine ,Wage‘, die so viel Aufsehen erregte und seinen Namen, so schnell berühmt machte. Mich überraschte der glänzende Erfolgs dieser Zeitschrift durchaus nicht, ich war vielmehr fest überzeugt, daß ein Mann, der so geistvoll sprach, auch geistvoll schreiben und sich bald einen weiten Leserkreis erwerben würde. Börne’s Unterhaltung,“ fuhr sie fort, „war eben so reich an witzigen, humoristischen Wendungen, wie seine Schriften. Er sprach ebenso geistvoll, wie er schrieb, aber er entfaltete seinen Geist im Gespräch nur vor denen, für die er ein besonderes Interesse hatte.“

Eines Tages klagte mir Frau Strauß über Augenweh. Ihr Gesicht hatte durch das Lesen und Abschreiben der Börne’schen Manuskripte sehr gelitten. Börne schrieb eine fast mikroskopische Hand. Die Buchstaben sind so klein und dünn und die Zeilen so dicht, daß sie auch dem schärfsten Auge eine große Anstrengung bereiten. In seinen Pariser Briefen, die bekanntlich an die Frau Strauß gerichtet waren, hat Börne mit dem Raum noch mehr gegeizt. Frau Strauß zeigte mir die Originalbriefe. Es war an denselben fast kein Rand zu bemerken, nur die für das Siegel bestimmten Stellen waren leer gelassen. Frau Strauß copirte diese Briefe mit der ihr eigenthümlichen Gewissenhaftigkeit und mit der Verehrung, die sie vor dem Talente ihres Freundes hegte. Sie behielt die Originale, und die Abschrift wanderte zu Campe nach Hamburg. Als ich diese Briefe sah, drückte ich meine Verwunderung aus, kaum ein Wort in denselben gestrichen zu finden.

„Börne hatte die Gewohnheit,“ sagte sie, „seinen Gegenstand reiflich zu durchdenken und vollständig im Kopfe auszuarbeiten, so daß er beim Schreiben wenig oder nichts mehr änderte.“

Auf meine Frage, ob Börne auch mit anderen Personen in Briefwechsel gestanden, antwortete sie, daß er wohl hie und da, wo es die Höflichkeit oder eine buchhändlerische Angelegenheit nothwendig erheischte, einen Brief schrieb, sonst aber mit Niemandem eine Correspondenz unterhalten. „Wie er im Gespräch sich nur dann gehen ließ,“ fuhr sie fort, „wenn er sich in vertrautem Freundeskreise befand, sonst aber äußerst wortkarg war, so konnte er auch blos brieflich mit denen verkehren, denen er innig zugethan war. In seiner Jugend hatte er eine Leidenschaft zu der Gattin des Hofraths Herz in Berlin gefaßt, in dessen Haus er einige Zeit als Student gewohnt. An diese Frau hatte er eine Reihe glühender Briefe gerichtet. Ich wandte mich an sie, um sie zur Veröffentlichung dieser Briefe veranlassen; sie versicherte aber, dieselben verbrannt zu haben.“

Frau Strauß hielt die hinterlassenen Manuscripte Börne’s, als die kostbarsten Reliquien, hoch und theuer; wenn indessen ein warmer Verehrer desselben sich von ihr verabschiedete, schnitt sie wohl ein Streifchen von denselben ab und schenkte es ihm zum Andenken. Dies geschah nicht ohne gewisse Feierlichkeit. Sie that dann, als ob sie einen Coupon von einem bedeutenden Werthpapiere gelöst hätte. Ein solcher Papierstreifen war gewöhnlich den Aphorismen Börne’s entnommen und enthielt einen abgeschlossenen Gedanken.

Als die Familie Strauß von Frankfurt a. M. nach Paris übersiedelte, theilte Börne mit derselben die Wohnung. Er war schon sehr leidend und bedurfte der sorgfältigsten Pflege, die ihm natürlich auch zu Theil wurde. Bei diesem vertrauten Zusammenleben hatte Frau Strauß die Gelegenheit, das edle Herz ihres Freundes genauer kennen zu lernen. Eines Tages’ kommt Börne tief ergriffen aus seinem Studirzimmer und gesteht über einen Vorfall geweint zu haben, den er so eben in den Denkwürdigkeiten der Frau Campan gelesen. Bei den Hochzeitfestlichkeiten Ludwig des Sechszehnten nämlich befand sich auf der Place de la Concorde, wo unter dem furchtbaren Gedränge so viel Menschen umkamen, ein Brautpaar. Der Bräutigam, in verzweifelter Besorgniß um das Leben seiner Braut, bittet diese im entsetzlichen Wirrwarr, sich auf seine Schultern zu stützen. Zwei Arme schlingen sich um seinen Hals. Mit der ungeheuersten Anstrengung trägt er die Bürde auf seinem Rücken, und als er, dem Gedränge entkommen, die Gerettete auf eine Bank niederläßt, sieht er, daß er eine Unbekannte gerettet. Seine Braut war ein Opfer des Todes geworden!

Börne war an demselben Tage schwermüthig und niedergeschlagen.

Sei es Ueberdruß, sei es seine immer mehr überhandnehmende Krankheit, genug: Börne schrieb in Paris sehr wenig und außer der Übersetzung der „Worte eines Gläubigen“ von Lamennais und „Menzel der Franzosenfresser“ hat er dort keine deutsche Schrift verfaßt; hingegen schrieb er ziemlich viel französisch, „Sein erster französisch geschriebener Artikel,“ sagte mir Frau Strauß, „war eine Kritik des deutschen Bauernkrieges von Wachsmuth. Er las ihn mir und meinem Manne vor, und als wir unsere Bewunderung darüber aussprachen, rief er: ,Ja wohl, Euch gefällt er, aber Raspail wird gewiß darüber spotten?“ Strauß brachte den Artikel zu Raspail, der damals den „Réformateur“ redigirte, mit dem Auftrage Börne’s, jede nöthige Stiländerung daran vorzunehmen, den Sinn aber unverändert zu lassen. Raspail las den Artikel und ließ ihn sogleich, ohne auch nur eine Silbe daran zu ändern, im Réformateur abdrucken. Für dasselbe Blatt schrieb Börne auch einen Artikel über, oder vielmehr, gegen Heine und gab dann die „Balance“ heraus. Börne’s sämmtliche in französischer Sprache geschriebene Artikel wurden nach seinem Tode gesammelt und mit einer von Cormenin geschriebenen Vorrede herausgegeben.

Wer es versucht hat, in einer fremden Sprache zu schreiben, namentlich in der schweren französischen, die nur selten ein Ausländer mit Geschmack und Eleganz handhaben lernt, kennt die außerordentlichen Schwierigkeiten, die sich diesem Versuche entgegenstellen. Börne hat indessen mit seinen französisch geschriebenen Artikeln wahrhaftes Aufsehen erregt und seinen Namen, der schon vorher in den demokratischen Kreisen Frankreichs mit Hochachtung genannt worden war, auch außerhalb dieser Kreise bekannt gemacht. Die Franzosen verehrten in ihm den großherzigen Schriftsteller, der die Culturbestrebungen Frankreichs und Deutschlands vermitteln, der beide Länder durch das Band der Eintracht verknüpft sehen wollte, weil er durch diese Eintracht allein die Freiheit und den Frieden in Europa für gesichert hielt. Börne liebte Deutschland so heiß wie irgend Einer, aber er glaubte nicht, daß, wenn man Deutschland liebt, man Frankreich nothwendig hassen müßte. Die Deutschtümelei und die Franzosenfresserei erregten seinen Zorn. Unter den Franzosen war es besonders der Bildhauer David von Angers, der sich ihm in innigster Freundschaft anschloß. David liebte Deutschland und theilte die politischen Ansichten Börne’s. Er verfertigte Börne’s Büste in Marmor, eine der gelungensten Arbeiten des Künstlers, die er nach dem Tode Börne’s für dessen Grab auf dem Père Lachaise in Bronze ausführte.

„Gegen Goethe,“ sagte mir eines Tages Frau Strauß, „hegte Börne einen Groll, der mit den Jahren wuchs.“ Die olympische Ruhe Goethe’s erschreckte ihn. Er verkannte dessen Dichtergröße durchaus nicht, er war aber darüber empört, daß ein solches Genie sich nicht an die Spitze der Freiheitspartei stellte. Er, dessen ganzes Leben einem Parteikampfe gewidmet war, den er mit großer Leidenschaft führte, wollte überall nur leidenschaftliche Parteikämpfer sehen. Die Ruhe Goethe’s, die er irgendwo steinerne Ruhe nennt, schien ihm hassenswerther als die heftigste Reaction. Er sah darin eine herzlose Gleichgültigkeit. Dies war freilich ein großer Irrthum, der jetzt, wo so viele Börne’sche Standpunkte glücklich überwunden, noch größer erscheinen [176] muß. Börne liebte von Goethe’s Werken nur den Werther, Götz von Berlichingen und Egmont. Diese Dichtungen las er mit Vergnügen und hielt sie sehr hoch, weil er in denselben viel Jugendfeuer und die Sprache der Leidenschaft fand. Die übrigen Schöpfungen des großen Dichters ließen ihn kalt. Wilhelm Meister erregte sogar seinen Unwillen, und selbst Faust konnte ihm keinen Beifall abgewinnen. Er äußerte zu wiederholten Malen, daß seine Ansichten über dieses Werk von denen aller Anderer abwichen, und er würde sie gern mittheilen, wenn seine gereizten Nerven es ihm gestatteten. Seine Nervenleiden wuchsen indessen mit jedem Tage und erlaubten ihm selten, seine Gedanken zu Papier zu bringen. Das Schreiben wurde ihm am Ende unmöglich, da er, wie er sagte, mit dem Blute seines Herzens und dem Safte seiner Nerven schrieb. Er gehörte zu den Naturen, in denen der Geist ätzend auf den Körper wirkt. Er wußte sehr wohl, daß die politische Polemik ihn aufgerieben und ihn abgehalten, nach anderen Richtungen hin zu wirken. Das erfüllte ihn mit Kummer. Eines Tages, und zwar kurz vor seinem Tode, ging er, mit beiden Händen sich den Kopf haltend, eine Weile im Zimmer auf und ab und rief dann mit dem Ausdruck tiefsten Schmerzes: „Gott! ich hätte noch so viel zu sagen über Welt und Menschen, aber die leidige Politik gönnt mir nicht Ruhe noch Rast.“

Nach dem Tode Börne’s zog Frau Strauß nach Auteuil und kam nur nach Paris, wenn sie durch eine dringende Angelegenheit dazu genöthigt wurde. Fast beständig war sie in ihrem Zimmer eingeschlossen und stöberte in den Handschriften Börne’s herum. Sie gab damals die zwei letzten Bände seiner hinterlassenen Briefe heraus, und diese Beschäftigung regte sie noch mehr auf. Ich befand mich einst im Lesecabinet in der Passage de L'opera, als Strauß zu mir kam und mir mittheilte, daß seine Gattin mich draußen erwarte. Ich fand sie in großer Angst und am ganzen Leibe zitternd. Und was war die Ursache dieser fürchterlichen Bestürzung? Sie hatte soeben die zwei Bände der hinterlassenen Briefe vom Verleger erhalten und in denselben viele Druckfehler gefunden. Sie hielt die Auflage für verstümmelt und fürchtete eine Niederlage für den Ruhm ihres Freundes. Ich hatte große Mühe, sie zu trösten und ihr begreiflich zu machen, daß seit der göttlichen Erfindung Gutenberg’s kaum ein Buch gedruckt worden, in welchem nicht sinnentstellende Druckfehler zu finden, daß die Werke Goethe’s und Schiller’s gar viele Druckfehler enthielten und daß das Publicum sich nicht daran stieße. Um sie aufzuheitern, zählte ich ihr eine Reihe komischer Druckfehler auf und hatte endlich das Vergnügen, sie etwas beruhigt zu sehen.

Das Publicum kennt von dem Briefwechsel Börne’s mit der Frau Strauß nur seine Briefe, nicht die ihrigen. Sie hat auch niemals ihren Freunden eine von ihr geschriebene Zeile mitgetheilt. Ich glaube indessen, daß sie auf Börne mehr durch die seltenen Vorzüge ihres Herzens als durch ihre geistigen Eigenschaften gewirkt habe. Wie anregend sie in frühern Jahren gewesen sein muß, sollte ich einst selbst erfahren. Ich war mit mehreren Freunden an einem Sonntag bei ihr zu Tische. Es wurden, da die Hitze sehr groß war, einige Siphons eau de Seltz servirt, und ich, der ich an das wirkliche Selterswasser gewohnt war, fand dieses künstliche Mineralwasser herb und beißend. Ich machte dabei die Bemerkung, daß die Fabrik nicht die Werkstätte der Natur zu ersetzen vermöge, und mochte vielleicht für diesen Gemeinplatz eine glückliche Form gefunden haben. Nach einigen Secunden sagte mir Frau Strauß: „Was Sie eben gesagt, ist sehr hübsch, und Sie sollten es niederschreiben.“ Ich nickte bejahend; sie kam aber während der Tafel noch einige Male darauf zurück und ich mußte ihr endlich versprechen, sogleich bei meiner Rückkehr den Gedanken auf’s Papier zu werfen.

Unbegrenztes Wohlwollen war der Hauptzug ihres Charakters und bekundete sich in Allem, was sie sprach. Man weiß, wie sehr Heine in seinem Buch über Börne sie mißhandelte, wie grausam er ein reines edles Verhältniß in den Schmutz zu treten und die Lacher auf seine Seite zu ziehen suchte. Nun, man hat oft von Heine bei Frau Strauß gesprochen, niemals aber habe ich von ihr ein hartes Wort gegen ihn äußern hören. Sie sprach im Gegentheil immer voll Bewunderung von seinem Talente und erzählte gern von seinem ersten Besuch bei ihr in Frankfurt, als er, mit Börne innig befreundet, ihr ein Exemplar, seines Buchs der Lieder überreichte. Einmal, da man auf Heine’s Schrift gegen Börne zu sprechen kam, sagte sie lächelnd, sie begreife nicht, warum Heine ihr ein blatternarbiges Gesicht angedichtet; ob denn ein Weib blos durch ein blatternarbiges Gesicht das Zwerchfell der Männer erschüttern könne? Sie wenigstens finde gar nichts Komisches daran, ein armes Wesen durch die Spuren einer fürchterlichen Krankheit entstellt zu sehen.

Frau Strauß war nicht blatternarbig und hatte auch nicht die geringste Aehnlichkeit mit dem Zerrbilde, das Heine als ihr Portrait gegeben. Sie war, als ich sie kennen lernte, eine etwas untersetzte Matrone mit sanften, schwermüthigen Gesichtszügen, die sich nur selten belebten. Ihre Stimme hatte etwas Sympathisches. Man hörte gern zu, wenn sie sprach, und war überzeugt, daß ihr die Worte aus dem Herzen kamen.

Frau Strauß war nicht nur sehr wohlwollend, sie war auch sehr wohlthätig. Die Reaction von 1849 hatte unzählige Deutsche in’s Exil getrieben. Viele von ihnen kamen nach Paris und befanden sich in der traurigsten Lage. Die edle Frau half, wo sie helfen konnte, ohne es an die große Glocke zu hängen, ohne jemals der Opfer, die sie gebracht, auch nur mit einer Silbe zu erwähnen. Die Unglücklichen, denen sie das schwere Loos zu erleichtern suchte, erfuhren nicht, woher ihnen die Wohlthat kam. Frau Strauß ließ ihre Spenden den Hülfsbedürftigen durch vermittelnde Personen zufließen, auf deren Verschwiegenheit und Zartgefühl sie rechnen konnte, und erst nach ihrem Tode hat man erfahren, wie freigebig sie gewesen.

Im Juli 1850 ging ich nach England. Ich verabschiedete mich von ihr mit der Ahnung, sie nicht wieder zu sehen. Die siegreiche Reaction versenkte sie in düstere Schwermuth, die mit jedem Tage bedenklicher wurde. Sie fürchtete beständig von den Häschern des Despotismus überwacht zu sein, und als die Nachricht von dem Staatsstreich zu ihr gelangte, hüllte sich ihr Geist in ewige Nacht. Noch mehrere Jahre siechte sie hin, bis endlich ein milder Tod ihr Auge schloß. Daß größere Publicum kennt die Freundin Börne’s kaum dem Namen nach, sie verdient es aber gewiß, zu Deutschlands edelsten Frauen gezählt zu werden.