Die Gartenlaube (1853)/Heft 49

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[533]

No. 49. 1853.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Aus dem Müglitzthale.

Eine historische Erzählung aus den letzten Jahren des siebzehnten Jahrhunderts.
Von Eduard Gottwald.

Die Segnungen eines vierzigjährigen ungetrübten Friedens hatten die unzähligen Brandwunden der Verwüstung geheilt, welche die Schreckensjahre des dreißigjährigen Krieges über Sachsen gebracht. – Neu erstanden aus Trümmer und Asche waren die von den östreichischen und schwedischen Kriegsvölkern im Vertilgungskampfe niedergebrannten Städte und Dörfer, und schon längst wieder führte der Landmann von den mit Blut getränkten und Jahre lang wüste gelegenen Feldern die goldnen Früchte der Ernte in die neu und geräumiger erbauten Scheuern. Ueberall, wo Elend und Verzweiflung an wild zerstörter Stätte gejammert, da hatte frischer Lebensmuth und gläubiges Vertrauen auf bessere Tage wieder Platz genommen, und selbst in jenen Gegenden, über welche der Krieg seine Flammengeißel am schonungslosesten geschwungen, war nichts mehr zu finden von Brandstätten und Schutthaufen, wie sie die Kugeln und Pechkränze der Papisten und Lutheraner hinterlassen, oder wie sie die beute- und mordsüchtige Faust der wilden Nachzüglerrotten in die von den Kämpfen der feindlichen Heere verschont geliebenen Wohnungen der unglücklichen Bewohner geworfen. Zu jenen am Härtesten geprüften Gegenden, in welche noch lange nach Beendigung des dreißigjährigen Krieges die versprengten Haufen der Marodeure in Räuberbanden verwandelt, ihr Unwesen trieben, gehörte auch das Meißner Hochland und hauptsächlich die an Thälern, Schluchten, Wäldern und Felspartieen so reichen Aemter Pirna, Hohenstein, Lauenstein, Altenberg und Dippoldiswalde. Aber hier war auch überall Friede und Ruhe wieder heimisch geworden, auch hier überall in Dörfern und Städten reges geschäftiges Leben und durch Fleiß begründeter Wohlstand, und nur selten noch traf der Wanderer auf seinen Wegen in den einsamen von der Kirnitzsch und Sebnitz, von der Biela, Gottleube, Müglitz, Weißeritz und Döllnitz durchströmten Felskesseln, Schluchten und Thälern auf ein wüstliegendes Bauergut oder auf eine dem Verfall anheim gegebene Mühle. –

Aber ein solch’ verfallenes, von der Armuth der [534] Bewohner zeugendes Besitzthum war eine zum Dorfe Fürstenwalde gehörige Mühle, welche eine Stunde vom Städtchen Lauenstein entfernt, in einem nach Nordwesten sich verflachenden Thale nahe der böhmischen Grenze lag, und von dem Müller, Gottlob Bär, den Namen führend, unter der Bezeichnung „die Bärenmühle“ den Bewohnern der Umgegend bekannt war.

An einem rauhen Septembertage des Jahres 1692 standen die Räder dieser Mühle still, sowie schon längere Zeit vorher das Geklapper derselben die ernste Ruhe, welche in der schaurig-wilden Thalschlucht herrschte, in der dieselbe stundenweit entfernt von den Wohnungen der Menschen lag, nicht unterbrochen hatte. Das Schindeldach, welches das Wohngebäude deckte, war lückenhaft und dürftig ausgeflickt und mit durch Steine beschwerte Bretter bedeckt, die einer Umfriedung entnommen waren, deren letzte Reste in einigen verfaulten Planken und Pfählen bestanden, und den Hof der Mühle von einem kleinen Garten trennten, dessen reinlich gehaltene Fußwege und von Unkraut gesäuberte Beete, an deren Endpunkte eine Geisblattlaube sich befand, auffallend abstachen gegen den Verfall des Mühlengebäudes, und das Vorhandensein eines Wesens verriethen, dessen Hand sich sorgsam der Pflege dieses kleinen Raumes gewidmet und es zum Lieblingsplätzchen sich erwählt zu haben schien. – Schuppen und Stallgebäude wetteiferten mit einander an Hinfälligkeit, im Hofe selbst lagen Balken, Schutt- und Steinhaufen, und nur der Weg zum Gärtchen war frei von Gerülle und längst nicht mehr in Gebrauch gewesenen landwirthschaftlichen Geräthschaften. Einige Hühner scharrten emsig auf einem Düngerhaufen, welcher dicht hinter dem offenen Thorwege sich erhob und mit Kürbispflanzen bedeckt war, während der Haushahn, auf einem Pfeiler des Thores stehend, sein heiseres Gekräh erhob und ein halb verhungerter Kettenhund mißgünstig eine Katze betrachtete, die auf der am Hause befindlichen Steinbank sich mit Wohlbehagen zusammengerollt hatte und, Dank der in der Mühle und dem Gehöfte überhand genommenen Mäuse und Ratten, das einzige frei von Nahrungssorgen sich fühlende Geschöpf in diesem Besitzthum zu sein schien, welche letzteren um so drückender auf dem Müller lasteten, der jetzt mit seiner Tochter und einer alten Magd in das kleine Wohnzimmer des Erdgeschosses trat und an einem Tische Platz nahmen, auf welchem eine Schüssel mit Mehlbrei, ein Brot und ein Stück Quark das frugale Abendbrot dieser Familie bildeten. Schweigend setzten sich diese drei Personen zu Tische, schweigend verzehrte jedes derselben seinen Theil der Mahlzeit und schweigend trug die Magd die leergewordene Schüssel und den Rest des Brotes hinaus, indeß die Tochter, ein zur lieblichen Jungfrau heranreifendes Mädchen von siebzehn Jahren, von schlankem Wuchs und zartem Körperbau, sich an ein Spinnrad setzte, welches im Hintergrunde des Zimmers stand, und von Zeit zu Zeit mit banger Besorgniß ihr von langen braunen Locken umwalltes blasses Antlitz erhob und mit stiller Wehmuth den Müller betrachtete, welcher allein am Tische sitzen geblieben war und starr für sich hinsehend, mit seinem Messer eine Brotrinde gedankenlos zerschnitt und die Stückchen derselben aufeinander häufte. –

Kummer und Noth hatten des Müllers Haar vor der Zeit grau gefärbt und die hohe kräftige Mannesgestalt desselben gebeugt, obgleich er nicht älter als fünfzig Jahre war. Früher im Wohlstand, hatte der plötzliche Tod seiner Frau, mit welcher er stets glücklich gelebt, ihn mit finsterer Schwermuth erfüllt und ihm sein Stillleben daheim verbittert, so daß selbst seine Tochter, das einzige Wesen, an welchem der gramerfüllte finstere Mann mit inniger Liebe hing, ihn nichts mehr fesseln konnte, wie früher fleißig sein Geschäft zu betreiben und sein Hauswesen zu überwachen. Indeß der Müller Zerstreuung in den Wirthshäusern der Umgegend suchte und oft spät in der Nacht erst heimkehrte, war Agathe, welche, als die Mutter starb, noch nicht dreizehn Jahre zählte, mit einer alten Dienstmagd allein, während ein Mühlbursche, dem die Führung des Mühlengeschäfts unbewacht überlassen blieb, dasselbe nur nachlässig betrieb und seines Weges ging, als die Kunden nach und nach wegblieben und Noth und Mangel an die Stelle des bisherigen Wohlstandes trat, indeß Spiel- und Zechgelage das Vermögen des Müllers verschlangen und nach wenigen Jahren der bisher für reich gehaltene Gottlob Bär ein armer Mann geworden war, der nichts mehr sein nannte, als ein tiefverschuldetes baufälliges Besitzthum, aus welchem ihm wegen rückständiger Zinsen binnen Kurzem sein Gläubiger, der reiche aber hartherzige Kratzhammerbesitzer Urban Fleck bei Lauenstein, zu vertreiben drohte.

Agathe war während dieser den Ruin ihres häuslichen Wohlstandes herbeiführenden Lebensweise des Vaters zur Jungfrau herangewachsen und hatte frühzeitig schon den stillen Harm kennen gelernt, der die frischen Blüthen des jugendlichen Frohsinns vernichtet; die Klagen der alten Magd, welche sie von Kindheit an gepflegt und gewartet, über des Vaters wüstes Treiben, hatten ihr Herz mit bitterem Schmerz erfüllt, und vergebens hatte sie denselben unter Thränen beschworen, abzulassen von dieser zum Verderben führenden Lebensweise. Der Müller war tieferschüttert aus dem Hause geeilt, um der Tochter Kummer nicht vor Augen zu haben, und hatte wohl oft sich gelobt, fern zu bleiben von Wirthshaus und Spielbank, aber je tiefer er in Schulden versank, je verzweiflungsvoller hatte er nach Allem gegriffen, was er noch an Werth besessen und aufzutreiben vermochte, um es im Spiel zu wagen, in wahnwitzigem Hoffen, wieder zu gewinnen, was er seit Jahren verloren.

So war er eines Nachts spät nach Hause zurückgekehrt, sich und seinen Unstern verwünschend, denn wieder hatte er Alles verloren, was er an Geld und Geldeswerth bei sich getragen, aber statt daß er, wie gewöhnlich, seine Tochter nebst der Magd in Schlaf versunken zu finden glaubte, sah er Licht durch die Fensterladen der Wohnstuhe flimmern, und als er in diese eintrat, fand er Agathen und die Magd, beide wach, beide mit von Thränen gerötheten Augen ihn vorwurfsvoll anblickend. Ohne ein Wort an ihn zu richten, ging die alte Magd nach ihrer Schlafkammer. [535] Agathe aber konnte es nicht über sich gewinnen, und mit dem Ausrufe: „Vater, was soll aus uns werden!“ hatte sie demselben sich in die Arme geworfen und unter heftigem Schluchzen ihr Haupt an seiner Brust geborgen. Tief erschüttert durch diese wenigen Worte, hatte er tief aufseufzend die Tochter nach ihrer Kammer geführt und sich voll bitterer Reue auf sein Lager geworfen. Aber von dieser Zeit an war er still daheim geblieben und hatte in Haus und Hof nachgesucht, was noch an Werth vorhanden, und war zum Kratzhammerbesitzer gegangen, so schwer ihm dahin der Weg auch geworden, um diesen zu bitten. als Pfand das Wenige seiner Habseligkeiten anzunehmen statt der längst fällig gewesenen rückständigen Zinsen, da ihm der Schösser zu Lauenstein angekündigt, daß wenn er diese nicht zahle, er ihm auf Antrieb seiner Gläubiger von Haus und Hof jagen müsse, da er die Mühle dem Urban Fleck verschrieben aus Wandelpön. Hohnlachend aber hatte sein Gläubiger ihn abgewiesen und dem Unglücklichen nachgerufen, daß wenn er zum bestimmten Termine die schuldigen Zinsen nicht baar und richtig bezahlt habe, er sorgen möge, wo er ein Obdach erhalte, denn nicht eine Stunde länger würde er ihn dann noch wohnen lassen in dem verpfändeten Besitzthum.

Dies war an demselben Tage geschehen, an welchem nun Abends der Vater am Tisch, die Tochter am Spinnrocken finster und wortlos ihren Kummer in sich trugen.

Endlich brach Agathe dies peinliche Schweigen, stellte den Rocken bei Seite, näherte sich dem Vater und legte liebkosend ihren Arm um dessen Nacken.

„Vater, lieber Vater!“ begann sie mit wehmüthig bittender Stimme, „laßt das finstere Grübeln und schenkt Eurer Agathe nur ein freundliches Wort, schenkt mir Vertrauen, obwohl ich schwach und hülflos gegen das Drängen Eures Gläubigers mich fügen muß in Alles, was uns als Prüfung auferlegt wird.“

„Das eben ist es, was mich noch wahnsinnig machen wird!“ grollte der Müller, ohne sein Auge zu seinem Kinde aufzuschlagen.

„Aber arbeiten kann ich für Euch!“ fuhr Agathe eifrig fort. „Ihr wißt, Vater, daß ich im Spitzenklöppeln und Strohflechten nicht ungeschickt bin, und selbst wenn uns die bösen, harten Menschen hier forttreiben von Haus und Hof, und“ – setzte sie seufzend hinzu – „und auch mein Gärtchen ihnen anheimfällt, so wollen wir darum nicht verzagen. Ich gehe dann nach Lauenstein und bitte für Euch und mich bei der edlen Gräfin von Bünau um Arbeit und Brot!“

„Nimmermehr!“ rief der Müller, und stand heftig auf, ging einige Augenblicke stumm in der kleinen Stube auf und nieder, dann trat er zu Agathen und rief mit gepreßter leiser Stimme:

„Ja, Agathe, es giebt noch einen Weg, die Mühle zu retten, aber ich – ich mag ihn Dir nicht nennen!“

„O, nenne ihn. Vater!“ drängte Agathe mit freudiger Hast; „nenne ihn, wenn er noch offen ist, um ihn betreten zu können.“

Der Müller schwieg, trat an das Fenster der Wohnstube und blickte mit sich selbst kämpfend in die von dem Dunkel des hereinbrechenden Abends überschattete Thalschlucht.

„Du kennst den schwarzen Mattheus, den Müller aus dem Ochsengrunde,“ begann er endlich, ohne sich nach der ihn ängstlich beobachtenden Tochter zu wenden.

„Ja, Vater, was ist’s mit dem?“ entgegnete Agathe, ohne zu ahnen, wohin diese Einleitung führen könne.

„Er ist alt und häßlich von Gestalt,“ fuhr der Vater fort, „und steht im bösen Rufe, allerhand Zauberkünste zu treiben; aber er ist reich!“

„Will uns dieser helfen?“ frug arglos die Tochter.

„Ja!“ seufzte der Müller tief auf „Der will uns helfen, wenn – – “

„Nun, Vater, was will er denn?“ rief neugierig Agathe.

„Er will Dich!“ stöhnte dieser.

„Mich? um Gott, was soll ich bei diesem Manne!“ entgegnete zitternd Agathe, von böser Ahnung ergriffen.

„Er will Dich heimführen als sein Weib,“ fuhr der Müller in bitter grollendem Tone fort; „und an dem Tage, an welchem Du mit ihm zum Altar trittst, will er Zinsen und Kapital abzahlen an den Kratzhammerbesitzer.“

„Wie! sein Weib! ich! o lieber sterben als diesem Manne angehören!“ schrie Agathe entsetzt und sank auf ihren Sessel zurück, von welchem sie während dieses Gesprächs sich erhoben.

„Dies wäre der einzige Weg, der uns noch offen,“ entgegnete der Müller kalt und ruhig, nachdem dies ihm schwer gewordene Geständniß vorüber. „Aber,“ fuhr er bitter fort, „lieber will ich mit Dir und der alten Martha gleich fahrendem Gesindel auswandern und mein Brot vor fremder Leute Thüren suchen, als Dich diesem Unhold opfern.“

Nach diesen Worten trat wieder eine unheimliche Stille ein. Der Müller blieb finster brütend am Fenster stehen. Agathe saß, ihr Antlitz mit beiden Händen bedeckend, hinter dem Spinnrocken und trocknete von Zeit zu Zeit mit ihrer Schürze die hervorbrechenden Thränen tiefen noch nie empfundenen Seelenleidens.

Unterdeß hatte das Dunkel des Abends sich in finstere Nacht verwandelt. Martha, welche von Außen die Fensterladen angedrückt, brachte jetzt den brennenden Kienspan herein, befestigte denselben zwischen der auf dem Kienstock befindlichen Scheere und kettelte die Laden fest, während sie einen sorgsamen Blick auf Agathen warf, und dann kopfschüttelnd das Gemach verließ.

In diesem Augenblicke schlug der Hund im Hofe an und bald darauf klopfte es an die verschlossene Hausthüre.

Erschrocken fuhr Agathe auf und rief: „Ha! wer mag wohl so spät noch bei uns einsprechen wollen?“

„Nun, Räuber sicher nicht,“ entgegnete mit bitterem Hohne der Müller; „denn zehn Meilen in der Runde ist es ja längst bekannt, daß hier nichts mehr zu finden ist.“

Unterdeß war die alte Magd hinausgegangen und hatte durch die verschlossene Thüre gefragt, wer so spät noch Einlaß verlange.

[536] „Ein junges Blut und ehrlicher Leute Kind, der Gegend fremd und todmüde,“ schallte die Antwort entgegen, aber in fremdartigem Dialekt, jedoch lag in dieser Stimme so viel Treuherzigkeit, daß die Magd die Thüre öffnete.

(Fortsetzung folgt.)




Vor der Sündfluth – im Krystallpalaste.

Die Welt hat schon Manches gehört, geschrieben und gelesen über den neuen ungeheuern Krystallpalast, der sich im Süden von London als Universaltempel aller Künste und Wissenschaften, aller Zonen und Nationen erhebt. Jedes Bereich der Künste und Wissenschaften wird körperlich und gleichsam persönlich vertreten.

Das Megatherium.

Selbst die fabelhaften Ungeheuer, die einst Millionen von Jahren vor der mosaischen Schöpfung der Erde sich ihres riesenmäßigen Daseins freuten und über deren in Eis oder in Felsen begrabene Gebeine Jahrhunderte, Jahrtausende, Hunderte von Jahrtausenden und Tausende von Jahrtausenden hinweggingen, ehe die Cuviers der Thierwissenschaft Spuren derselben fanden, selbst diese Schöpfungen vor der Schöpfung werden in ganzer Vollständigkeit und in voller Lebensgröße die ungeheuern Räume des neuen Krystallpalastes füllen helfen. Eins der bekanntesten vorsündfluthlichen Thiere ist im Wesentlichen schon fertig, das sogenannte Megatherium, wie es der Leser hier abgebildet findet. Es ist in Sandstein ausgehauen [537] und wird von den besten Geologen für ein naturtreues Portrait dieser Thiergattung gehalten. Die Originale dazu hat man in verschiedenen Theilen der Erde ausgegraben und daraus das ganze wissenschaftlich gewissenhaft zusammengesetzt.

Es besteht eine gewisse verwandtschaftliche Beziehung zwischen dem Krystallpalast und der Geologie; nämlich die der Großartigkeit und Neuheit.

Die Wissenschaft, welche die Geschichte der Entstehung und Entwickelung unserer Erde bis auf die gegenwärtige Epoche schreibt – denn nichts Geringeres ist die Aufgabe der Geologie – ist die jüngste aller Wissenschaften. Vor dem Beginn unseres Jahrhunderts finden wir nur schwache, und, man darf es wohl sagen, zaghafte Versuche dieser großartigsten aller Geschichtschreibungen.

Plesiosauren und Paläotherium.

Die ganze Erde ist ein sich selbst schreibendes Geschichtsbuch. Die Geologie bemüht sich, es zu lesen und in die Sprache des Menschen zu übersetzen.

In diesem Buche sind die Versteinerungen die Illustrationen, die wie immer das Verständniß des Textes mächtig fördern.

Unsere Abbildungen illustriren einige Abschnitte der Erdgeschichte. Das Megatherium und Paläotherium einen neueren, die Plesiosauren einen älteren.

Das Megatherium gehört zu den Edentaten der Säugethiere, d. h. denen ohne Schneidezähne. Sie stehen zwischen den Säugethieren mit Klauen und denen mit Hufen und zeichnen sich durchweg durch schwerfällige Bewegung, wenig Gehirn und noch weniger Geist, aber durch ein sehr dichtes, oft sogar horniges Fell aus. Sie sind das Verbindungsglied zwischen Säugethieren und Reptilien. Die Edentata findet man jetzt nur noch in tropischen Gegenden, während sie in einer frühern Periode auch in Deutschland und Frankreich lebten. Man scheidet die Edentata wieder in vier Familien. Die Megatherien (die dritte) sind jetzt ausgestorben. Unser Bild stellt den Typus derselben dar, entworfen und modellirt nach einem bei Buenos-Ayres gefundenen vollständigen Skelett, mit Vergleichung anderer, die in Londoner Privatsammlungen aufbewahrt werden. Das Megatherium ist ziemlich so groß wie der Elephant und viel größer als das Rhinoceros, etwa 30 Fuß lang. Die Hirnschale erinnert an die des Faulthiers und ist ungemein klein im Vergleich zu der ungeheuern Körpermasse, die freilich nicht viel Witz brauchte, um sich in der gigantischen Ueberfülle von [538] Wurzeln und Pflanzen zu nähren. Dagegen ist die Schnauze eine Maschine von mindestens 50 Pferdekraft. Der ganze Kopf ist Freßapparat. Und in dieser Beziehung lebt das Megatherium in veredelter Gestalt unter den Engländern und andern civilisirten Völkern rühmlich fort. Es hat blos Zermalmungszähne, jeder 9 Zoll lang und tief in die furchtbaren Balken von Kinnladen eingemauert. Der Rüssel vorn diente theils zum Aufwühlen des Schlammes, theils zum Heranziehen von Zweigen. Die Vorderfüße sind kaum halb so groß als die Ungeheuer von Hinterfüßen, die doppelt so dick sind als beim Elephanten. Die Vorderklauen sind beinahe Fingern ähnlich, die hintern dagegen so groß, daß man von jeder einzelnen ein Butterfaß machen könnte. Die Rückenwirbelsäule dehnt sich in einen mächtigen Schwanz aus. Die beiden Hinterfüße und diese Verlängerung der Rückenwirbelsäule bildeten für den Vordertheil einen Dreifuß von sehr fester Arbeit, um das Thier zu halten, wenn es sich einen guten Tag machen, d. h. die Rinde von den Bäumen schälen oder das junge Gemüse frischer Blätter zu seinem Fleische, d. h. Wurzeln, genießen wollte.

Das ist eins von den „vorsündfluthlichen“ Thieren. Man kennt deren schon viele Arten. Wir fügen in einer zweiten Abbildung nur noch drei der bekanntesten hinzu, wie sie im Krystallpalaste in einem besonders urweltlich eingerichteten Raume unter Leitung von Mr. Waterhouse Hawkins in Lebensgröße ausgeführt und aufgestellt werden.

Der plumpe Vierfüßler im Hintergrunde ist ein Paläotherium, und unterscheidet sich hauptsächlich nur, wie die Figur zeigt, von dem Megatherium durch äußerliche Gestalt, dem es in Lebensart im Uebrigen ziemlich ähnlich gewesen sein mag. Merkwürdig ist das Paläotherium besonders wegen der ungeheuern Verschiedenheit seiner Größe. Man hat Ueberbleibsel dieses Thieres in allen Größen, von der eines Hasen bis zu der des größten Pferdes gefunden. –

Die scheußlichsten Ungeheuer im Vordergrunde gehören zu dem zahlreichen Geschlechte der Plesiosauren, die Fisch und Fleisch, Reptil, Land- und Wasserthier in sich auf eine rohe Weise vereinigten. Die Natur hat sich später eines Bessern besonnen und die geschmacklose Vereinigung verschiedener Thierformen auch in bestimmte Thierarten geschieden. Die Plesiosauren hatten riesige Eidechsenköpfe, darin ungeheure Alligatorzähne, einen Hals, von dem man ganze Riesenschlangen hätte machen können, und einen Rumpf, der an die Körper vierfüßiger Thiere erinnert, wenigstens Rippen, wie ein Kameel und Versuche zu Füßen in Gestalt von Wallfischflossen. Sie schwammen in seichten Gewässern umher, mit dem langen Halse und dem grimmigen Rachen über der Oberfläche umhertuckend und bald Fische, bald ungestaltete fliegende Mißgeburten von Vogel und Säugethier erhaschend und verschlingend. Nach vollkommen erhaltenen Skeletten hat der zoologische Blick das ganze Thier leicht wieder herstellen und vervollständigen können. Nach naturwissenschaftlich und naturgesetzlich geprüften Modellen sind die Exemplare für den Krystallpalast ausgeführt worden. Da die Sammlung sehr reich und wohl die in Entsetzlichkeit für den Laien erhabenste des Krystallpalastes wird und auch das Labyrinthodon, größer wie der zum Ochsen aufgeblasene Frosch – der König der Frösche, das Iguanodon, Mammuths u. s. w. bald fertig sind, haben wir wohl später Veranlassung, diesen Gegenstand wieder aufzunehmen und zu vervollständigen.

Die Geologie wird das Reich dieser unserer Vorfahren noch fortwährend vermehren, so daß man gut thut, sich wenigstens übersichtlich mit ihnen bekannt zu machen. Der Leser, dem jedenfalls in seinem Leben noch einige davon vorkommen werden – wer kann dafür stehen, daß sich nicht noch die ganze Erde unter unsern Füßen in Denkmale der schöpferischen Erdkraft von Millionen von Jahren gestaltet, wie sich die Milchstraße dem bewaffneten Auge in Tausende von ungeheuern Sternen auflöst – der Leser, sag’ ich, braucht nicht zu brummen, wenn er diese Skizze etwas mit wissenschaftlichen Anflügen und Namen beschwert fand. Unsere Mittheilung entlehnten wir aus einem wissenschaftlichen Gebiet, das sich über Millionen von Jahren und über eine gegenwärtige Wissenschaft ausdehnt, die alle Tage reicher, wichtiger, interessanter und unentbehrlicher für Jeden wird, der unter „gebildeten Menschen“ mitzählen will, mag er im Uebrigen seine Pferde vor dem Pfluge oder ganze Staaten regieren.




Bausteine zu einer naturgemäßen Selbstheillehre.

V.
Blutarmuth und Bleichsucht.

Die Blutarmuth ist einer der gefährlichsten Feinde der Menschheit, denn unmerklich beschleicht sie eine Menge von Menschen und in der Regel gerade in dem Lebensalter, wo das Blut für das Gedeihen des Körpers vom allergrößten Werthe ist, im Entwickelungs-Zeitraume nämlich, in den Kinder- und Jungfrauen- (Jünglings-)Jahren. Deshalb schreibt sich aber auch eine große Anzahl von Krankheiten des reifern Lebensalters, von denen die meisten unheilbar sind, schon aus der Jugend her und diese hätten recht wohl verhütet werden können, wenn man damals der Blutarmuth energisch entgegen getreten wäre. Darum ist es Eure Pflicht, Ihr Eltern und Erzieher, recht ordentlich auf den Zustand des Blutes Eurer Kinder und [539] Zöglinge Acht zu haben und nicht das Wohl des Körpers derselben für das ganze Leben untergraben zu lassen. – Um zu einem richtigen Verständniß der Gefährlichkeit der Blutarmuth zu kommen und sich die Erscheinungen bei dieser Krankheit gehörig deuten zu können, muß man sich stets an die Unentbehrlichkeit des Blutes für das Leben des menschlichen Körpers erinnern (s. Gartenlaube No. 39 u. 45) und bedenken, daß dasselbe alle Theile des Körpers ernährt, die Quelle der Eigenwärme ist und rothen Theilen ihre Farbe verleiht, daß sonach Blutarmuth sich vorzugsweise durch schlechtere Ernährung, geringere Wärmeentwicklung und Blässe (Bleichsucht) andeuten muß. Die schlechtere Ernährung ruft sodann eigenthümliche Störungen bald in diesem, bald in jenem Organe hervor und deshalb sind die Krankheitserscheinungen nicht bei allen Blutarmen dieselben.

Krankheitserscheinungen bei der Blutarmuth. Die auffälligsten Erscheinungen schreiben sich vom Mangel der rothen Blutfarbe her und bestehen zunächst in Blässe der Haut. Die zarte Haut ist dabei nicht selten etwas wachsähnlich glänzend, ihre Bleiche hat einen Stich in's Gelbliche oder Grünliche; im Gesicht sehen blutarme Mädchen (Bleichsüchtige) manchmal ihrer hellrothen Wangen wegen „wie Milch und Blut“ aus und es schimmern, besonders an den Händen, die blutleeren Blutadern anstatt dunkelgraublau durch die Haut blaßblauröthlich oder violett hindurch. Die Blässe zeigt sich ferner noch: an den Lippen (besonders an ihrer innern Fläche), dem Zahnfleische, der Schleimhaut, welche die Mundhöhle auskleidet, der innern Fläche der Augenlider und an der Thränencarunkel (dem rothen Hügelchen im innern Augenwinkel). – Die geringere Wärmeentwickelung bei Mangel an Blut gibt sich durch kühle Haut, kalte Füße und Hände, häufiges Frösteln und leichtes Frieren des Patienten zu erkennen. – Die schlechtere Ernährung der Körpersubstanzen ruft außer allgemeiner Abmagerung auch noch in den verschiedenen Organen Erscheinungen gestörter Thätigkeit hervor; so wird die Haut dünn und trocken, die Muskeln werden mager und schlaff, so daß leicht Ermüdung bei Bewegungen und selbst Schmerz in denselben eintritt, den man gewöhnlich für einen rheumatischen erklärt. Das schlechter ernährte Herz klopft weit leichter und stärker; die matten Athmungsmuskeln und blutleeren Lungen bedingen Kurzathmigkeit, Gähnen und Seufzen; die Schwäche des Verdauungsapparates drückt sich durch Appetitlosigkeit, Magenkrampf (oft mit Brechneigung, Beschwerden nach dem Essen, Kollern und Poltern im Leibe und Verstopfung aus; die in ihren Wänden dünnen und schlaffen Blutgefäße zerreißen leichter und deshalb kommt es bei Blutarmen leicht zu Blutungen (besonders Nasen- und Menstrualblutung) und Blutfleckenbildungen in der Haut. Am zahlreichsten und mannigfaltigsten sind aber die Erscheinungen, welche ihren Grund in schlechter Ernährung des Gehirns, Rückenmarks und Nervensystems haben, denn dadurch werden hervorgerufen: Kopfschmerzen (Migräne), Rücken- und Nervenschmerzen der verschiedensten Art, Krampfzufälle (Veitstanz, Epilepsie, Hysterie), Gemüthsverstimmungen (Trübsinn, Verdrießlichkeit, Launenhaftigkeit, Aergerlich- und Weinerlichsein), Schwäche oder widernatürliches Aufgewecktsein des Verstandes, Sinnesstörungen (wie Ohrensausen, Flimmern oder Flecke vor den Augen, Schwindel, Lichtscheu), Ohnmachten.

Die Ursache der Blutarmuth ist, wenn nicht geradezu Blut verloren geht, stets ein Mißverhältniß zwischen dem Verbrauche und dem Wiederersatze von Blut. Hinsichtlich des Verbrauches muß man bedenken, daß Verluste an guten Blutbestandtheilen (wie beim Stillen der Säuglinge, bei hartnäckigem Durchfalle, bei Eiterungen u. dgl.), ebenso wie wirkliche Blutungen blutarm machen können, und daß das Thätigsein der Organe immer mit Blutverbrauch verbunden ist. So wird bei anstrengenden Körperbewegungen, bei stärkern und andauernden geistigen und gemüthlichen Erregungen, bei Schlaflosigkeit und Schmerzen, bei fortwährenden Reizungen der Empfindungsnerven (durch kaltes Wasser, Spirituosa, geschlechtliche Ausschweifungen u. s. f.), bei sehr schnellem Wachsthum, ziemlich viel Blut verbraucht und somit können alle diese angeführten Momente Ursachen der Blutarmuth werden. Was den Wiederersatz des Blutes betrifft, so könnte dieser aus verschiedenen Gründen nicht hinreichend sein; vielleicht weil überhaupt zu wenig Nahrung genossen wird; oder weil die Nahrung eine unzweckmäßige ist und nicht die Stoffe in der gehörigen Menge enthält, aus denen das Blut zusammengesetzt ist; oder weil trotz der an Menge und Beschaffenheit passenden Nahrung diese nicht gehörig zu Blut verarbeitet wird, wie dies bei Krankheiten der Verdauungs- und Respirationsorgane, bei Mangel an Luft, Licht, Wärme, Bewegung und gewiß nicht selten beim Mediciniren der Fall ist. In sehr vielen Fällen von Blutarmuth findet sich gleichzeitig beides, ebensowohl ein widernatürlich vermehrter Verbrauch, wie ein unnatürlich geringer Wiederersatz von Blut als Ursache vor.

Blutarmuth in den verschiedenen Lebensaltern. Daß Kinder blutarm auf die Welt kommen, ist bei unserer jetzigen Erziehung des weiblichen Geschlecht nicht zu verwundern, da man die Mädchen zu viel für die kurze Zeit des Brautstandes und zu wenig für die lange Zeit des Ehestandes vorbereitet. – Im Säuglingsalter und in den ersten Kinderjahren, wo die Blutarmuth entweder von zu wenig oder von falscher Nahrung herrührt, ist sie die gewöhnliche Ursache der sogenannten Hirnkrämpfe und der krankhaften Erscheinungen, welche dem hitzigen Wasserkopfe, dem Zahnen, der Magenerweichung und der Drüsendarre zugeschrieben werden. – Der Schulzeit verdankt die Blutarmuth, und zwar in Folge der falschen geistigen und körperlichen Behandlung der Kinder, vorzugsweise der Mädchen, am häufigsten ihr Entstehen, und schon von dieser Zeit an wird sie dann sehr oft bis in die späteren Lebensjahre verschleppt. – Im Jungfrauen- oder Jünglingsalter scheint die Bleichsucht zum guten Tone zu gehören, so verbreitet ist sie hier. Es wäre aber auch wunderbar, wenn bei der unnatürlichen Lebensweise unserer Jugend natürliches Blut in deren Adern flöß. Daß auch im reifern Lebensalter das Blut nicht seine richtige Menge [540] und Beschaffenheit erlange, dafür sorgen gemeinschaftlich unsere Sitten und unsere Aerzte. – Kurz in jedem Lebensalter spielt die Blutarmuth eine so wichtige Rolle unter den Krankheiten, daß jedes Lebensalter eine besondere Besprechung in dieser Hinsicht verdient und erhalten wird. – Folgen der Blutarmuth. Zum Tode führt die Blutarmuth sehr oft in den ersten Lebensjahren und zwar unter den Erscheinungen einer Hirnkrankheit (mit Krämpfen) oder einer Magen- und Darmerweichung, oder als sogen. Drüsen- und Unterleibsschwindsucht. Nicht selten befördert hier der Arzt den Tod durch Blutegel und Calomel (das scheußlichste und doch beliebteste Mittel unserer Aerzte). In den Schuljahren legt die Blutarmuth den Grund für die spätere körperliche und geistige Schwäche, zur Schwindsucht und zum Buckligwerden. In dem Jünglings- und Jungfrauenalter geht die Blutarmuth leicht in Lungenschwindsucht über und ist Ursache der mannigfaltigsten Nervenleiden. Die Jungfrau wird durch die Blutarmuth für ihren zukünftigen Stand als Gattin und Mutter unfähig, und eine blutarme Frau kann als sensitive oder hysterische Person weder sich selbst noch Anderen das Leben erheitern.

Behandlung der Blutarmuth. Da die Ursache dieser Krankheit stets ein Mißverhältnis zwischen Einnahme und Ausgabe von Blut ist, so muß die Behandlung natürlich darin bestehen, die Blutbildung und den Blutverbrauch in ein richtiges Verhältnis zu einander zu bringen. Zuvörderst ist die Blutneubildung kräftig zu unterstützen und dazu gibt es durchaus keine andern Mittel als zweckmäßiges Essen und Trinken, sowie richtiges Athmen (s. Gartenlaube Nr. 48, S. 527). Was die Kost anlangt, so muß dieselbe vorzugsweise eine thierische sein und demnach hauptsächlich aus Milch und Ei (aber ebenso aus dem Eiweiß wie dem Dotter), aus kräftiger und fetter Fleischbrühe und weichem saftigen Fleische bestehen; stets darf dabei aber der Genuß von Wasser, Fett (Butter) und Kochsalz nicht zu sparsam sein, auch sind die festen Nahrungsmittel recht ordentlich zu kauen. Bei Pflanzenkost sind Mehlspeisen und Hülsenfrüchte den Kartoffeln, Gemüsen, Wurzeln, sauren Sachen u. dgl. weit vorzuziehen. Uebrigens muß sich die Kost sowohl hinsichtlich ihrer Beschaffenheit wie Menge nach der Verdauungskraft des Patienten richten. Darum berücksichtige man, daß reine Milch, weil sie im Magen zu Käse gerinnt, ziemlich schwer zu verdauen ist (beim Säugling ist nur Mutter- oder Ammenmilch von Vortheil), und daß flüssiges Eiweiß sehr leicht verdaut wird, während geronnenes Eiweiß äußerst schwer verdaulich ist; daß Fleischbrühe im Vergleiche zum Fleische selbst weit leichter verdaut werden kann und daß lockeres Weißbrod weniger Verdauungskraft braucht als schweres Schwarzbrod. Demnach würde sich ein Blutarmer mit schwachem Magen vorzugsweise von rohen Eiern und Fleischbrühen (Suppen) zu ernähren und lieber wenig auf einmal aber öfterer zu essen haben. Nach und nach könnte er sich an Fleisch, Milch und Brod gewöhnen. Von den Getränken läßt sich bei Blutarmuth nur das Wasser und Bier anempfehlen, jedoch darf letzteres nicht zu stark (alkoholhaltig) sein. Jedes Getränk, was Herzklopfen und sogen. fliegende Hitze macht, ist zu vermeiden. – Neben der Nahrung ist sodann das Athmen ja nicht außer Acht zu lassen und es muß hierbei ebensowohl auf die Art und Weise zu athmen, wie auf die Beschaffenheit der einzuathmenden Luft die gehörige Rücksicht genommen werden, wie dies früher schon gelehrt wurde (s. Gartenlaube Nr. 17). – Außer der Blutneubildung ist sodann die Reinigung und der Lauf des Blutes durch den Körper in Ordnung zu halten oder wo nöthig in Ordnung zu bringen. Wie dies zu erreichen ist, wurde in Nr. 48. der Gartenlaube gesagt. – Das ganze Blutbilden auf die angegebene Weise würde nun aber doch nicht zur richtigen Blutmenge führen, wenn nicht zugleich auch der Verbrauch von Blut etwas eingeschränkt würde. Deshalb muß man alle angreifenden körperlichen und geistigen Anstrengungen vermeiden, gemüthliche und geschlechtliche Erregungen umgehen, Nachtwachen und Reizmittel fliehen. Gerade dadurch, wodurch sich manche Blutarme zu nützen meinen, schaden sie sich, wie dies ganz vorzüglich mit den kalten Waschungen, Douchen und Bädern (Seebädern) der Fall ist, welche ein gar heftiges Reizmittel für die Hautnerven sind. Ebenso werden dem blutarmen Körper nicht genau angepaßte gymnastische Uebungen, so wie erregende Spirituosa schädlich. Uebrigens verlangt die Blutarmuth in jedem Lebensalter ihre besondere Diät und Lebensweise und deshalb soll nächstens eine ausführlichere Betrachtung dieser folgen. Daß man zur Heilung der Blutarmuth weder einen (Eisenmittel verschreibenden) Arzt, noch auch Arzenei nöthig hat, versteht sich von selbst.

(Ausführlichere Belehrung über den vorliegenden Gegenstand findet man in Prof. Richters Schrift über Blutarmuth und Bleichsucht, die hiermit angelegentlichst empfohlen sein soll.)

(B.) 




Die unbekannten Gewerbe in Paris.

II.
Der Schutzengel. – Herr August.

Ein Schutzengel – ein Schutzengel – was ist ein Schutzengel? Ich will es Ihnen erklären. So nennt man in Paris einen Menschen, der bei den größeren Weinwirthen zur Ueberwachung von Trunkenbolden verwendet wird. Er nimmt sie in seinen Schutz, führt sie heim und haftet dafür dem Weinwirthe, der [541] sie seiner Obhut anvertraut hat. Er muß sie vertheidigen, meist auch zu Bette bringen, mit einem Worte, so lange bewachen, bis sie in Sicherheit und außerhalb des Bereiches der Diebe sind; denn es giebt Leute, denen Nichts heilig ist, die selbst Betrunkene ausplündern ohne Respekt vor Gott Bacchus, dessen warme Verehrer die Trinker sind.

Nicht Jedermann ist zum Schutzengel geboren. Man kann sich keinen Begriff von allen den Eigenschaften machen, die er haben muß. Er muß Proben und Prüfungen bestehen, wo mancher Doctor durchfiele. Ein guter Schutzengel muß nüchtern sein, sonst dürfte er mit seinem Schützlinge trinken, und das Elend wäre fertig.

Die Trunkenbolde wollen immerfort trinken, selbst wenn sie keinen Wein mehr vertragen. Kein Weib, die einen Schmuck haben will, kein Bewerber um einen Platz, wird so viel Künste, Umschweife, Schmeicheleien, gute Worte und Kniffe anwenden, als ein Trinker. Er bietet alle Zärtlichkeiten und Süßigkeiten einer Kokette auf, um zu seinem Ziele zu gelangen und weiter zu trinken. Da muß der Schutzengel fest bleiben, in keiner Versuchung schwanken, kerzengerade seinen Weg gehen, weder Bitten, noch Drohungen, noch Einschüchterungen nachgeben; er muß Muth haben, denn er muß denen gewachsen sein, die der Wein händelsüchtig macht; er muß mitten im Raufe Stich halten, wenn der Säufer auf der Gasse seinem bösen Genius nachhängt und die Vorübergehenden stößt und schlägt, die dann natürlich oft die Geduld verlieren. Und dann, welche Geduld muß er besitzen, um alle Faseleien zu begreifen, zu besprechen, zu bestreiten oder zu billigen, die der Wein in den erhitzten Gehirnen aufstöbert und die wie im Delirium oft aussehen, als spuke der Wahnsinn in den vollen Hirnschalen. Dann muß er die Lieblingsideen seines Schützlings schonen, ihnen schmeicheln, er muß für die tauben verstockten Säufer interessant werden, damit sie ihm zuhören. Ein Schutzengel könnte dann den feinsten Diplomaten Nüsse aufzuknacken geben; wie er es versteht, Einfall auf Einfall zu erwiedern, das Unwahre zu verfechten, um die Wahrheit am Ende zu lehren. Mit diesen seltenen Geistesgaben muß der Schutzengel rare körperliche Vorzüge verbinden. Ist er nicht gewandt, kräftig und flink, so taugt er in vornhinein Nichts, denn oft muß er seinen Mann auf den Schultern davontragen, um ihn der Versuchung und den Balgereien zu entreißen die an den Barrièren eben so häufig sind als auf dem Markte.

Nun bedenken Sie, alle diese Eigenschaften und Tugenden (denn wenn wir nicht die starrste Ehrlichkeit aufgezählt haben, so geschah dies, weil der Schutzengel selbst sie für so natürlich findet, daß er nie davon spricht), diese Gefahren, die er zu bestehen hat, der Verdruß, den er hinunterschlucken muß, werden wie Staatspapiere auf der Börse, gesucht und geschätzt. Und diese Männer, die so hochverehrt sind, verdienen äußerst wenig. Bei den Weinhändlern, die viel Zufluß haben, wo man singt und schreit, ist es Grundsatz, einen Betrunkenen nach Hause führen zu lassen. Dieser muß seinem Schutzengel wenigstens 10 Sous geben, seiner Freigebigkeit aber sind keine Schranken gesetzt. Wer diese Schuld nicht zahlen würde, könnte sich der Gefahr aussetzen, von seinen Zechbrüdern ausgeschlossen zu werden, denn er könnte die allgemeine Sicherheit derselben bedrohen. Denn in der That, sobald ein Mensch den Händen des Schutzengels übergeben ist, kann er am nächsten Morgen getrost sein Geld in seinen Taschen wieder suchen, er wird es finden und wären es 1000 Francs. So lange in Paris die Welt der Trunkenbolde steht, wird Keiner sich über die Ehrlichkeit oder auch nur über die Behandlung seines Schutzengels zu beklagen haben, denn zu allen oben aufgezählten Tugenden dieser Leute gehört auch noch die ausgezeichnetste Höflichkeit. Gewöhnlich haben sie die Kost bei dem Weinhändler, in dessen Boutike sie ihr Standquartier haben und dem sie allerhand kleine Dienste leisten.

Gewöhnlich ist der Schutzengel ein Schlag von Dichtern, ein Träumer, der das beschauliche Leben vorzieht, der Lazzarone von Paris; er ist mit Wenigem zufrieden und träumt von irgend einem geahnten Etwas! In der Regel verdient er wohl nicht mehr als 30–40 Sous des Tages, aber er hat dafür seine Sonntage und die gewissen Familienfeste. Und die Kunden haben Respekt vor ihm und erzeigen ihm allerlei Aufmerksamkeiten. Nie giebt man bei einem Weinhändler einen Schmaus, ohne ihn dazu einzuladen. Er lebt glücklich inmitten dieser allgemeinen Achtung und fühlt den Stolz seines reinen makellosen Gewissens; ohne sich etwas zurückzulegen, macht er nützliche Bekanntschaften für seine alten Tage. Man kennt zwei Schutzengel, die im Testamente mehrerer reichen Säufer bedacht wurden. Diese kamen gewöhnlich in der Schenke zur Gießkanne von Montparnasse zusammen. Trotz ihrer sonderbaren Vorliebe für den schlechten Wein um 6 Sous hatten diese reichen Herren im tiefsten Grunde ihres Herzens Erkenntlichkeit genug für zwei arme Teufel bewahrt, die ihnen so oft die gefährliche Lustbarkeit erspart hatten, unter freiem Himmel zu schlafen.

Neben diesen geraden, kräftigen, schönen Naturen muß ich Ihnen einen kleinen Mann vorführen, der mit seinem dicken Bauche und seinen dünnen Beinen wie ein Amphibium, halb Advokat, halb Angeklagter, in der Nähe des Justizpalastes herumkriecht, ein falscher Kerl, voll Rückhalt und Hinterhalt, versessen auf seinen Profit wie ein Teufel auf eine arme Seele. Dieser Mensch kontrastirt gewaltig mit unseren Schutzengeln.

Ich führe Sie hiermit in eine eigene Welt, die nur lebt, indem sie mit der einen Hand das bürgerliche und das Strafgesetzbuch hält und mit der andern die Früchte seines Betruges einkassirt; diese Leute studiren Jahre lang, um zu wissen, wohin sie den Fuß setzen müssen, um nicht auf einen Paragraphen des Codex zu stoßen, der ihr Schifflein scheitern machen könnte. Das nennt man, in ihrer Diebssprache, Themis in Schweiß bringen; und die Praktiker, die diese Profession ausüben, die also von Rathschlägen leben, die sie geben, um der Strenge der Gesetze zu entwischen, heißen die Lieblinge der Göttin. [542] Diese Leute kennen das Strafgesetzbuch besser als sie je den Katechismus gekannt haben; sie kennen alle Blößen und Klippen desselben, sie haben alle Windungen studirt und spazieren ganz geschickt in dem Labyrinthe der Gesetze herum. Das ist ohne Zweifel kein ehrenhaftes Metier, und ein Bürger aus der Straße oder Vorstadt St. Denis wird seinem Sohne diesen Stand gewiß nicht empfehlen, und wir sprechen davon auch nur, weil wir aus unseren Studien eine möglichst vollständige Gallerie machen wollen.

Herr August ist etwa 35–40 Jahre alt. Ich traf ihn das erste Mal in einer Schenke. Er hat einen Gesichtsausdruck, der keineswegs für ihn einnimmt, große meergrüne Augen, die flach im Gesichte liegen und falsch sind wie die einer Hauskatze, einen falschen Mund, ein falsches Lächeln und ein falsches weißes Haar. Sein dicker Bauch wackelt über dünnen Beinen; ganz schwarz gekleidet, ahmt er so viel als möglich das Benehmen der Herren vom Justizpalaste nach. Aber das Alles ist alt und abgeschabt, denn Herr August kann seine Kleider beim „Hakle-mir’s-h’runter“ (beim Kleiderjuden).

Herr August ist ein ehemaliger Schreiber aus der Provinz. Ohne Pfennig nach Paris gekommen, versuchte er an den Thüren der Boulevardtheater Retourbillete zu verkaufen, und hier lernte er viele kleine Rentner und Müssiggänger kennen; Bummler aller Art, die täglich in Verlegenheit sind, um die Ewigkeit auszufüllen, die zwischen dem Frühstück und dem Diner um fünf Uhr, zwischen dem Zeitungslesen und der Theaterstunde sich ausdehnt.

Eines Tages spazierte er im Justizpalaste und bemerkte eine Menge Leute, die an den Thüren der Gerichtssäle passen, sich mit Bitten und Schmeicheleien an die Municipalen (Stadtpolizei) und Wachtposten wandten, um den Eintritt zu den Sitzungen zu erbetteln. Herr August, der sich auf Mittel und Wege versteht, erkannte augenblicklich, daß hier ein Vermögen zu holen sei; er hatte eine Idee!

Von diesem Augenblicke an brachte er seine Zeit im Justizpalaste zu, sprach die Leute an, die er aus den Kabineten der Instruktionsmagistrate treten sah. Er bot sich an, die Zeugen zur Kasse zu führen, um die zwei Francs zu erheben, die die Justiz den Zeugen bei Strafprozessen auszahlt, und überhaupt Jedem, der ihr Auskunft giebt. Wenn der Zeuge seine zwei Francs hatte und manchmal ein Glas Wein oder eine kleine Tasse Kaffee anbot, wußte August immer noch eine herzbrechende Geschichte zu erzählen und einige Sous auszupressen. Manchmal besteht ein Zeuge nicht auf Erhebung der zwei Francs, dann wechselt August die Batterie und heult eine jämmerliche Beschreibung seines häuslichen Elends inmitten einer zahlreichen Familie vor. Man giebt ihm das unnütze Papier, die Anweisung auf jene zwei Francs. Auf diese Weise, mit dem Sammeln der Assignationen und Citationen, hat August den Fundus seiner Boutike zusammengebracht, von der er jetzt lebt.

Heutzutage lebt August wie ein Domherr; er ist eine ansehnliche Person für das gemeine Volk geworden, das im Justizpalaste am meisten zu thun hat, verdient viel Geld und vermiethet an Gerichtstagen an Neugierige die Citationen der Zeugen, womit sie in die Säle gelangen. Die Posten an den Thüren der Säle haben den Auftrag, nur citirte Personen einzulassen; sie lesen nur die Titel: Citation, und nie den Rest des Papieres, das man ihnen vorweist; man braucht sich nur keck mit dem Papier Citation in der Hand hinzuwagen und kann sofort eintreten, der Posten hat seine Pflicht gethan. Das Alles hatte August bemerkt und er verstand Nutzen davon zu ziehen. Er weiß die Liste der zu beurtheilenden Justizgeschäfte auswendig; er kennt die Tage, wo die ausgezeichnetsten Advokaten oder Magistrate reden werden, und an diesen Tagen ist er von sieben Uhr früh an mit einem dicken Bündel Papiere (alter Citationen und Assignationen) an der Thür des Palastes. Man kennt ihn und er hat sein Publikum; er vermiethet sie zu einem Francs für je eine Sitzung; man zahlt erst, nachdem man seinen Platz eingenommen hat, aber man muß fünf Francs als Pfand geben, die man erst zurückbekommt, wenn man das Papier wieder heimgiebt.

„Und Sie gewinnen mit diesem Handwerke viel Geld?“ frug ich.

„Jenachdem der Prozeß ist; der Prozeß Laroncières hat mir bis 100 Francs täglich eingebracht; ich mußte einen meiner Gehülfen in den Saal schicken, um die Assignationen zurück zu verlangen. Eine und dieselbe Citation habe ich oft in einer Sitzung wohl zehn Mal vermiethet; der Prozeß Soufflard war auch nicht schlecht, aber nicht so viel werth, als der der Fracke.“

„Und die politischen Prozesse?“

„Das hängt von den Personen ab. Uebrigens erinnere ich mich gern auf die Geschäfte, die ich mit Complotten gemacht habe; auch Preßprozesse rentirten sich nicht übel. Weniger brachten die aufrührerischen Schreier ein; was endlich die Verbrechen, die Kindesmorde, Fälschungen, Diebstähle betrifft, so ist das sehr unzuverlässig.“

„Also, so viel ich sehe, wissen Sie immer, was Ihnen ein Todtschlag einbringen wird, wenn Sie nur die Umstände lesen?“

Verbrechen und Verbrechen ist ein Unterschied; die Stellung des Angeklagten entscheidet hier; wenn da ganz einfacher Weise ein Mann so im Vorübergeben seine Frau erschlagen hat, so ist das keinen Heller werth. Eifersüchtige und wilde Männer locken die Damen an. Aber das müssen Sie sehen, wenn so ein Kerl mir seine Geliebte in Fetzen zerschneidet; wenn er sie eines Abends in einem Hausgange abgelauert hat und sie ersticht; wenn er seinen Nebenbuhler erschießt – ach, der Tausend! das ist eine Goldgrube! die haben ein eigenes Publikum, alle Lorgnetten sind auf sie gerichtet, man bittet sie, in die Albums nur zwei Worte zu schreiben, das Parterre ist mit Weibern wie gestopft voll. Wenn sie auch nur erträglich hübsche Burschen sind, und wenn die Sitzungen zwei oder drei Tage dauern, so steigen meine Einnahmen auf das Doppelte. Wenn das Urtheil erst in der Nacht gefällt wird, muß ich Retourbillete austheilen. Ueberhaupt ist die Nacht ganz besonders für solche gerichtliche Schauspiele geschaffen, [543] das schöne Geschlecht bildet sich dann wirkliche Geistergeschichten ein. Nichts ist interessanter, als sich einen Missethäter vorzustellen, der ganz säuberlich sein Weib erdrosselt, das er wirklich lieb hat! Vierzehn Tage kann man davon träumen. Man beneidet das Loos des Opfers, man möchte nur ein einziges Mal eben so geliebt sein, und wäre es auch nur, um einmal davon zu kosten! Ah Lacenaire! Leider werden wir nicht sobald seines Gleichen bekommen! Der Mensch hat Verse gemacht!“ rief August aus und seine Stimme verrieth eben so viel Bewunderung als Bedauern. Er war galant, interessant und sprach sehr gut. Nur zwei Prozesse wie der seinige und ich könnte mich von meinem Geschäfte zurückziehen! Wenn nur die verdammten Sitzungen mit geschlossenen Thüren für gewisse Verbrechen erlaubt wären! da liegen ganze Reichthümer begraben! Ich könnte Millionär werden. Die ganze Welt möchte welche sehen, das ist die Geschichte mit der verbotenen Frucht.“

Eine Art Gespenst, das in einem schwarzen Kleide fackelte, zugeknöpft bis an den Hals, trat in die Schenkstube; seine Beine wackelten wie Orgelpfeifen; es war sein Schreiber. Dieser Mensch vertritt Herrn August, wenn dieser mehrere wichtige Geschäfte hat, rekrutirt für ihn Kunden und verschafft ihm Geschäfte, denn Herr August verbindet mit seiner Stellung auch die Beschäftigung eines Vertreters beim Friedensrichter und verfaßt Bittschriften und Memoiren an’s Ministerium.

Der Spitz, so heißt dieser Gehülfe, hat mehrere Saiten auf seiner Geige. Sobald ein Verbrechen bekannt wird, eilt er auf den Schauplatz desselben, sammelt die Gerüchte, erzählt die Umstände, giebt seine Adresse in den nahegelegenen Weinschenken ab, wiederholt hundert Mal diese Umstände, erfindet welche im Nothfalle, bis man sie wiedererzählt; das gelangt bis zum Magistrat; der Untersuchungsrichter läßt ihn kommen, hört seine Geschichten an und oft sind dieselben nicht zwei Sous werth. Wenn man ihn auch nicht weiter brauchen kann, so bekommt er doch seine zwei Francs dafür. Ich bin überzeugt, daß der Kerl auf’s Evangelium vor Gott und den Menschen schwören würde, daß der Hund, der einen Hasen abgefaßt hat, nicht angefangen hat, sondern daß die Schuld auf Seiten des Hasen war. Und die Hasen haben ein so zänkisches Naturell! Und das ist eigentlich sehr traurig, aber es ist so!

Dieser Mensch untersteht sich nicht, seinem Patron Concurrenz zu machen, denn dieser hat es gar nicht mehr nöthig, die Assignationen zu erbetteln, er kauft sie jetzt und bezahlt sie theurer als der Kassirer des Justizpalastes. August duldet keinen Rivalen, er führt einen unversöhnlichen Krieg gegen diese. Er hat sein kleines Vermögen zusammengescharrt und wird sich bald in die Provinz zurückziehen, um dort eine kleine Race ehrlicher Leute auf die Welt zu setzen.

Als wir uns von August verabschiedeten, blickte er uns mit seiner triumphirenden Miene an und sagte zu seinen Bewunderern: „die habe ich eingetunkt!“

Wirklich hatte er Recht: wir waren verblüfft!




Blätter und Blüthen.

Abdul Medjid, der jetzt regierende Sultan, führt selbst die Oberaufsicht über die verschiedenen Schulen in Constantinopel und besucht persönlich die zahlreichen Prüfungen, nach welchen die Fortschritte der Schüler ermessen werden. In einer großen Halle, mit militärischen Trophäen geschmückt und mit wissenschaftlichen Instrumenten jeder Art versehen, warten hundert junge Männer, oft von fünfzehn zu zwanzig Jahren alt, bescheiden auf den Sultan, den sie eben so sehr lieben wie verehren. Kein Geräusch findet unter ihnen statt – kein Geschwätz – kein Gelächter; alle Augen sind nach dem Thron gewendet, der in der Mitte des Gemaches steht und noch leer ist.

Endlich erscheint Abdul Medjid und setzt sich nieder - in seiner Nähe die Scheiks, die Ulemah’s, die Minister und die ersten Pascha’s. Jeder Zögling tritt in seiner Reihe zu dem Throne vor und antwortet auf die Fragen, welche ihm von einem der Professoren vorgelegt werden, von einem der Minister oder auch wohl vom Sultan selbst. Die Fragen beziehen sich auf Mathematik, Literatur und Kunst. Wenn Abdul Medjid eine Frage stellt, so geschieht dies mit der größten Freundlichkeit. Wenn der Schüler richtig antwortet, erheitert ein leichtes Lächeln das Gesicht des Sultans; begeht er einen Irrthum, so verbessert diesen der Sultan mit Nachsicht und ohne den geringsten Vorwurf. Wenn die Prüfung beendigt ist, werden den Schülern, welche sich besonders ausgezeichnet haben, Belohnungen gegeben.


Talma. Der berühmte französische Schauspieler, der Lehrer Napoleon's, gab manchmal auch Gastrollen in den Provinzen, so einmal auch in Lyon, wo Madame Lebreau als Directrice mit einer ziemlich unordentlichen Bande ordentliche Tragödien gab. Der Schauspieler, welcher die „nobeln Väter“ zu geben hatte, wollte Talma gegenüber sein Fach nicht aufgeben, obgleich er sehr schwer nüchtern zu erhalten war. Es sollte „Semiramis“ gegeben werden, worin der Trunkenbold den „hohen Priester“ zu geben hatte und Talma den Arsoces. Man nahm dem „nobeln Vater und hohen Priester“ ein Versprechen ab, sich vor Ende des Stücks nicht zu betrinken; aber ehe der Vorhang aufging, lag er schon betrunken in seinem Ankleidezimmer. Die Directrice, in Furcht, das Entrée wieder herausgeben zu müssen, stürzte zu ihm und zwang ihn, ein Glas Wasser zu trinken, was ihn furchtbar erbitterte. Das Stück begann nun und Talma erschien, gefolgt vom „hohen Priester“, der nun in den Fall kam, würdig zu antworten. Aber er schwankte und stotterte, half sich aber noch mit Geistesgegenwart aus der Verlegenheit, indem er das Parterre anredete: „Meine Herren. Madame Lebreau war so barbarisch, mich zu einem Glase Wasser zu zwingen. Sie sehen nun selbst ein, daß ich meine hohe priesterliche Würde nicht aufrecht erhalten kann. Ich habe zu viel Achtung vor Ihnen, als daß Sie mir zumuthen sollten, mit einem Glase Wasser im Magen den Orsoes vor Ihnen zu spielen. Hier, Arsoces! (zu Talma) sind Brief, Schwert und Alles, was ich Ihnen erst im vierten Acte hätte übergeben müssen, um den Knoten zu lösen. Machen Sie’s gleich ab. Bedenken Sie auch hübsch, daß Madame Semiramis Ihre gesetzmäßige Mutter ist und schlichten Sie die ganze Tragödie anständig und schnell. Ich für meinen Theil gehe nach Hause und zu Bett, um mich von dem Glase Wasser zu [544] kuriren.“ Die Zuschauer fanden dies so hübsch, daß sie darauf verzichteten, sich ihr Entrée wiedergeben zu lassen.




Ein Ehrenmann. In Nürnberg hat der Besitzer einer Maschinenfabrik, Namens Cramer-Klett, seine Arbeiter in Kenntniß gesetzt, daß alle Diejenigen, welche für einen elfstündigen Arbeitstag unter 1 Gulden Lohn beziehen, vom 1. December ab 8 Procent, Diejenigen mit über 1 Gulden, 5 Procent Theuerungszulage für die Dauer der Monate December bis Monat März erhalten werden. Bei einer wöchentlichen Lohnauszahlung von 7–8000 Gulden an mehr als 1000 Arbeiter ist dies ein eben so namhaftes wie rühmenswerthes Opfer. Ein bedeutendes Fabrikgeschäft in Schlesien soll übrigens ebenfalls seine Arbeitslöhne erhöht haben, auch will man wissen, die meisten andern Fabrikanten des Gebirges würden diesem schönen Beispiele folgen.




Ein leichter Vogel. Diese sprüchwörtliche Bezeichnung einer Person von leichtfertigem Lebenswandel stammt aus Spanien.

War ein Frauenzimmer überführt, durch sein Leben gegen die guten Sitten verstoßen zu haben, und wurde in Folge davon zu einer Strafe verurtheilt, so wurde die Verurtheilte, von den Schultern bis zu dem Gürtel entblößt, auf einen Esel gesetzt und in Begleitung des Scharfrichters, dem zwei seiner Knechte folgten, durch die Stadt geführt. An jedem Kreuzwege, auf den man kam, machte der Zug Halt; eine Gerichtsperson, die denselben eröffnete, las den Namen und das Vergehen der Schuldigen, so wie das über sie gefällte Urtheil mit lauter Stimme vor, der Scharfrichter tauchte einen großen Pinsel in ein Gefäß mit Honig, an dessen Stelle später der wohlfeilere Syrup gesetzt wurde, bestrich damit irgend einen Theil ihres Körpers vom Kopf bis zu dem Gürtel, und seine Knechte streuten aus zwei großen Säcken, die sie bei sich trugen, einige Hände voll Federn verschiedener Vögel über sie. Diese Federn setzten sich natürlich auf der klebrigen Masse fest, und nachdem allmälig alle entblößten Theile des Körpers, selbst Haare und Gesicht nicht ausgenommen, auf gleiche Weise mit Honig bestrichen und mit Federn bestreut worden waren, gewann der obere Theil des Körpers der Verurtheilten allerdings durch seine buntgemischte Befiederung das Ansehen eines riesenmäßigen Vogels von menschlicher Gestalt.

Daher rührt in Spanien noch jetzt die Redensart, die man als den größten Schimpf betrachtet, welchen man einer Frau anthun kann: Sie ist in Honig eingemacht gewesen! – Oder: Sie verdiente in Honig eingemacht zu werden.




Mormonen-Gläubiger. Die Mormonen hinten am Salzsee in Amerika sind Heilige, aber doch sehr weltlich, wenn ihnen Einer geborgtes Geld nicht bezahlen will. Sie mahnen und verklagen dann zwar nicht, stellen aber drei Kerle vor’s Haus, die den ganzen Tag, von früh bis in die Nacht, fürchterlich trommeln und pfeifen. Ein amerikanisches Blatt sagt, daß es ein Schuldner selten länger als drei Tage aushalte. Die Pfeifer kosten nicht viel und sind wenigstens zehn Mal billiger, als der einfachste Prozeß. Das Geld wird dort also tatsächlich ausgepfiffen. Wie heilig!




Weihnachtsbücher. Allen Vätern, die ihren Töchtern zu den reichen Geschenken an Putz und andern glänzenden Kleinodien eine sinnige Gabe für stille beschauliche Stunden beilegen wollen, empfehlen wir das in Leipzig bei Amelang in zweiter Auflage erschienene: Album für Deutschlands Töchter, mit Illustrationen von E. Götze und W. Georgy. Es besteht in einer von glücklicher Hand ausgewählten Sammlung von Liedern und Romanzen der besten deutschen Dichter, wozu die beiden genannten Künstler eben so zart erfundene wie gut ausgeführte Illustrationen lieferten. Die Ausstattung ist in der That so überraschend schön und übertrifft die ähnlicher Bücher so sehr, daß wir augenblicklich keine zweite derartige Sammlung wüßten, die sich dieser an die Seite setzen könnte. Einzelne Landschaftsstücke von Georgy sind kleine Meisterstücke. Der Preis ist im Verhältniß sehr billig. – Für Knaben von zehn bis vierzehn Jahren empfehlen wir die von dem bekannten J. Kell begonnene Bibliothek der Reisen (bei J. Meißner in Leipzig). Sie ist eben so lehrreich wie unterhaltend geschrieben und bildet in den bis jetzt erschienenen sechs Bänden eine der besten Reisebibliotheken für die reifere Jugend. E. K. 



Weihnachtsgeschenk!

Bei Jul. Meißner in Leipzig ist erschienen:

Die
neueren Entdeckungsreisen.
Für die Jugend bearbeitet
von
C. W. Hoffmann, Jul. Kell u. A.
Eingeführt und mit einem Vorworte versehen
von
M. Schweitzer,
vorm. Großherz. Weim. Schulrath.
Mit vielen Stahlstichen.
6 Bde. eleg. in Leinw. geb.

Erster Band: Otto von Kotzebue’s neue Reise um die Welt in den Jahren 1823 bis 1826. 0 Preis 27 Ngr.

Zweiter Band: John Crawfurd’s Gesandtschaftsreise nach Siam und Cochin-China in den Jahren 1821 und 1822. 0 Preis 24 Ngr.

Dritter Band: Reise nach der Verbrecher-Colonie Neu-Südwales. 0 Preis 22 Ngr.

Vierter Band: Reisen in Brasilien. 0 Preis 24 Ngr.

Fünfter und sechster Band: Reisen der Engländer zur Entdeckung einer nordwestlichen Durchfahrt aus dem nördlichen Polarmeere nach dem stillen Ocean. 0 I. Parry’s dritte Reise nach den nördlichen Polargegenden.
II. Beechey’s Reisen nach dem stillen Ocean und der Beeringsstraße. 0 Preis à Band 27 Ngr.



Verlag von Ernst Keil im Leipzig. – Druck von Alexander Wiede im Leipzig.