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Die Gartenlaube (1855)/Heft 26

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1855
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 26. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.


Eine pariser Geschichte.
Nach wahren Thatsachen mitgetheilt von Feodor Wehl.
(Schluß)


Zunächst waren ihm die Erkundigungen sehr ungünstig, die man über ihn einzog. Emil, Graf von Luckner, genoß eben nicht eines untadelhaften Rufes. Aus der Familie jenes unglücklichen Generals stammend, welcher in der ersten französischen Revolution den Tod auf dem Schaffotte fand, war er jung, der Aeltern durch eine verderbliche Krankheit frühzeitig beraubt, in ein ziemlich zügelloses und wüstes Leben eingeführt worden. Er hatte mehrere Liaisons mit leichtfertigen Frauenzimmern, viele Duelle und anderweitige Ehrenhändel, die ihm nicht immer ein gutes Ansehen gaben, gehabt, war durch Spiel und Wetten mehrfach ruinirt, von Schulden überhäuft, bereits zum Oefteren nur durch die Gnade einer reichen Tante mütterlicher Seite von einem schmählichen Untergange gerettet worden, und befand sich, wie sich zeigte, auch jetzt wieder in sehr derangirten und mißbehaglichen Umständen.

An sich, mußte man ihm freilich lassen, hatte er etwas sehr Einnehmendes, Offenes, das Herz der Menschen Gewinnendes. Er war zu jener Zeit eben vierundzwanzig Jahre geworden und repräsentirte sich in diesem Alter als ein hoher, schlanker, elegant und distinguirt aussehender Lion, dem feine Manieren und eine aristokratisches Air überaus vortheilhaft ließen. Seine Hände und Füße waren ungemein fein und zart; sein Gesicht, obschon ein wenig bleich und verlebt, zeigte sich doch anziehend und fesselnd durch seinen Anflug von Genialität, den ein hochstrebender Geist und ein kühnes Gemüthe selbst denjenigen Zügen noch aufzudrücken pflegen, die sonst durch wilde Verschleuderung der Jugend, die zarter Schönheit und den milderen Reiz derselben eingebüßt haben.

Wenn man Graf Luckner in die blaßblauen, großen, an den Rändern ein wenig gerötheten, meist müde und übernächtlich aussehenden, aber doch hellen, offenen und unschuldsvoll blickenden Augen sah, wenn man seine lässig und ein wenig hohlklingende, aber nicht destoweniger doch herzlich und warm tönende Stimme hörte, sein etwas heiseres, aber stets heiter herausplatzendes Lachen vernahm, seine frei, hohe, von blondwolligem Haar umrahmte Stirn, seinen graziösen, keckgeschnittenen Mund mit einem Zuge, der bald sorglos, bald verachtend, zumeist aber gutmüthig aussah, bemerkte, so fühlte man sich allerdings unwillkürlich zu dem Ausspruch bewogen: dieser Jüngling kann kein so niederträchtiger Räuber und Mörder sein, als hier vom hohen Gerichtshof behauptet wird. Wenn man indeß wieder den Auseinandersetzungen und Folgerungen eben dieses hohen Gerichtshofes Gehör und Eingang gab, so mußte einem wieder die Schuld des Graf Luckner so erwiesen, so unbestreitbar scheinen, daß man nicht umhin konnte, gerade nur in ihm den Urheber und Ausführer des schauderhaften Verbrechens zu sehen.

Alfred Gautier, der so räthselhaft Ermordete, war allen Zeugnissen und eingeholten Nachforschungen zufolge ein durchaus braver, tüchtiger und ehrenhafter Mensch gewesen, der, wenn man es so nehmen will, nur die eine Schwäche hatte, Graf Emil von Luckner auf eine beinahe abgöttische Weise zu lieben. Er hatte denselben vor einigen Jahren in Nizza kennen gelernt und seitdem überall und jeder Zeit als seinen besten und intimsten Freund behandelt, ihm mehrfach Geld geliehen und andere dergleichen Dienste erwiesen, alles Dinge, die der Angeklagte auf das Bereitwilligste einräumte und wofür derselbe sich noch stets vom aufrichtigsten Danke beseelt zeigte. Er war der natürliche Sohn eines kleinen Handwerkers, den dieser mit einer Wäscherin zeugte, die kurz nach der Entbindung starb. Der Vater, der das Kind zuerst nicht als das Seine anerkennen wollte, nahm sich nach dem Dahinscheiden der Mutter desselben denn doch noch an, ließ es kümmerlich erziehen und in eine Handlung treten, in welcher der junge Mensch später sich von solchem Nutzen und glücklicher Verwendbarkeit zeigte, daß er nach einer zehnjährigen Mitbetheiligung und zeitweisen Leitung des Geschäfts sich zum Compagnon erhoben und dadurch zu einem so vermögenden Manne gemacht sah, daß er im Stande war, seinem Vater auf seine alten Tage und der ganzen Familie, die dieser in einer zweiten, späteren Ehe erzeugt hatte, eine bedeutende Rente auszusetzen.

Daß ein Mann dieser Art, als er von einem so schnellen und geheimnißvollen Tode ereilt wurde, nun doppelt und dreifach die Theilnahme und das Bedauern der großen Menge zuertheilt erhielt, was sonst in dergleichen Fällen den Manen des in Schaden gekommenen anheimfällt, versteht sich von selbst, und um so mehr, wenn wir hier noch anführen, daß sich bei der Besichtigung seiner Leiche ein Umstand, oder genauer gesagt, eine Sache zu Tage legte, welche über ihn und sein Ende ein noch seltsameres und eigenthümlicheres Mysterium breitete als es an und für sich schon sein Tod darbot. Man fand nämlich auf der Brust des Todten an einer feinen, goldenen Kette die Hälfte eines Ringes, der offenbar eine Bedeutung hatte, die man indeß nicht zu erforschen im Stande war, da der Vater nichts davon wußte, und Graf Luckner sich nur erinnern wollte, von dem Verblichenen gehört zu haben, daß dieser Reif, von dessen Mutter stammend, ihm von einer Freundin derselben lange nach deren Tode mitsammt einem Zettel übergeben worden sei, welcher ihn einst zu einer wichtigen Entdeckung führen könne.

[334] Da aber weder der Zettel noch die Freundin der Mutter zu ermitteln gewesen waren, so blieb denn natürlich die ganze Sache im Dunkeln, und Graf Emil Luckner nach wie vor der Mordthat allein und ausschließlich verdächtig.

Zu den Zeugenaussagen wurden unter anderen Personen natürlich auch die Beiwohner jenes Festmahles gezogen, von dem nach Haus gehend Alfred Gautier an der Seite des jungen Grafen seinen Tod gefunden. Alle, und besonders ein Italiener, ein Fürst von Benevent, waren von der Unschuld des Angeklagten überzeugt und thaten, was sie konnten, den Verdacht von ihm abzulenken. Sie lobten sein gutes Herz, seinen chevaleresken Charakter, seine Uneigennützigkeit und hoben dazwischen hauptsächlich seine Gleichgültigkeit gegen das Geld hervor.

„Dieser Freund, Graf Luckner,“ rief der oben genannte italienische Fürst bei seiner Vernehmung aus, „kann unmöglich das ihm zur Last gelegte Verbrechen begangen haben. Wenn es auch wahr ist, daß er Schulden hat und gerade jetzt sich in mißlichen Umständen befindet, so wußte er doch zu gut, daß ich, wie alle seine Freunde bereit waren, ihn aus dieser, wie jeder andern Verlegenheit herauszureißen, als daß er seine Zuflucht zu einer so gemeinen Schandthat hätte nehmen sollen, obenein gegen einen Freund, wie ihm Alfred Gautier einer war, der gewiß als der Erste ihm zu Dienst gestanden hätte, Geld zu seiner Disposition zu stellen.“

Trotz dieser emphatischen Auslassung mußte freilich der Fürst von Benevent so gut wie die andern Genossen Graf Emil Luckner’s zugeben, daß sie den Dolch, mit dem der Mord verübt worden war, bei dem Angeklagten, und zwar noch an dem Tage des Verbrechens selbst gesehen hatten. Graf Luckner’s Wohnung war für das verabredete Souper zum Sammelplatz bestimmt gewesen, und bei dieser Gelegenheit hatten die sich Einfindenden die Waffe an ihrem gewohnten Platz gesehen; auch Graf Luckner gestand, sie bemerkt zu haben; wer und wie sie von da fortgenommen, gab er an, nicht zu wissen.

Der Angeklagte und Alfred Gautier waren zusammen und zwar zuerst von dem Festmahl fortgegangen, die andern hingegen alle bis gegen den Morgen hin geblieben. Nur der Fürst von Benevent hatte sich, während ihres fernern Beisammenseins, auf eine kurze Zeit entfernt, aber nur um einem dringenden Bedürfniß zu genügen, zu welchem Ende er in den Hof hinunter mußte, von wo er, wie sowohl der Wirth als einige Kellner bezeugten, nach Verlauf von nur geringer Zeit zu seinen Kameraden zurückgekehrt war.

Hier also lag durchaus kein Grund irgend einen Verdacht zu schöpfen. Alle diese Männer, die da zusammen gewesen waren, durften und mussten für Freunde des Gemordeten gelten. Keiner war von ihm beleidigt, durch ihn beeinträchtigt, Niemandem unter dieser Tafelrunde konnte sein Tod einen Vortheil bringen. Nur der Eigenthümer des Dolches, der allein mit Alfred Gautier nach Haus ging, dem Getödteten Geld schuldig war, und eine bedeutende Summe von diesem noch in Händen hatte, konnte ein Interesse bei dem plötzlichen Hinscheiden seines Freundes haben.

Der Staatsanwalt hob bei der Anklage besonders hervor, daß es seltsam sei, wie keiner der übrigen Freunde Gautier’s von jenem Gelde wußte, das dieser dem Grafen Luckner zur Aufbewahrung übergeben haben sollte, und wieß dann noch mit Nachdruck auf jenen Paß hin, den der Angeschuldigte bei sich führte und zu dem sich des öffentlichen Aufrufes ungeachtet nicht nur Niemand gemeldet hatte, sondern den man obenein für gefälscht und trügerisch erkennen mußte, da die Unterschriften der Ortsobrigkeiten und die Visa der Gesandten nur nachgeahmt und nirgends ächt waren.

Graf Luckner erwiederte hiergegen nichts, als daß er weitere Auskunft über diese Dinge nicht zu geben vermöge.

„Gautier,“ behauptete er, „habe ihm den Paß und die Banknoten mit dem Bemerken überantwortet, daß er ihm später sagen wolle, was es damit auf sich habe. Mir ist’s,“ setzte er bei dieser Gelegenheit hinzu, „als hätte Gautier bei Ueberreichung dieser Effekten den Namen des Fürsten von Benevent genannt, doch kann ich das nicht versichern. Ich war von dem Festmahl ermüdet und im Kopf nicht ganz frei, so daß es also kein Wunder ist, wenn ich mich hierbei verhört haben sollte.“

„Es muß dies leider wohl der Fall sein,“ entgegnete der hier zur Aussage aufgerufene Fürst von Benevent, indem er betheuerte: „weder von dem Gelde, noch von dem Passe etwas zu wissen.“

Von allen Freunden des Grafen Luckner war es übrigens eben dieser italienische Fürst, der sich die Freisprechung desselben am Angelegentlichsten sein ließ. Er sprach, wo er konnte, zu dessen Lobe und hing sich mit Eifer an alles, was dazu dienen mochte, irgendwie die aufgestellte Anschuldigung zu entkräften. Er war es denn auch, der da sagte. „daß Graf Luckner, wenn er ja Alfred Gautier ermordet, doch schwerlich bei diesem geblieben sein würde. Auch wäre es ja auffällig, daß, wenn er wirklich der Thäter sei, der Dolch, mit dem er doch das Verbrechen verübt haben solle, eine ganze Strecke weit von ihm entfernt aufgefunden worden sei.“

„Dies alles,“ entgegnete hierauf der Staatsanwalt , „wirft durchaus die Anschuldigung nicht um. Der Graf ist wahrscheinlich zuerst geflohen und nur darum zu dem Verwundeten zurückgekehrt, weil er bei seiner Flucht den Dolch verloren, diesen hat suchen wollen und sich nachher durch das Hinzukommen von Menschen zum Bleiben genöthigt sah. Man erinnere sich an die auffallende Verlegenheit und Zögerung, die Graf Luckner bei seiner Verhaftung zeigte, und von welcher der Polizeiagent nach seiner Pflichtmeldung gethan. Wenn der Angeschuldigte ein reines Gewissen gehabt, woher wäre ihm die Scheu und Angst vor einer Arretierung gekommen?“

„Es sind viele Dinge, die gegen mich zeugen,“ ließ sich hierauf Graf Luckner selbst vernehmen, „und ich finde es bei einer Verkettung der Umstände, wie sie sich hier vor Augen legt, nur gar zu begreiflich mich schuldig zu wähnen. Oft scheint mir selbst alles so zu treffen und zu passen, daß ich in Versuchung gerathe, der gegen mich eröffneten Anklage Recht zu geben. Der Herr Staatsanwalt hat gesagt, daß ich wahrscheinlich zuerst geflohen und bei der Flucht den Dolch verloren habe. Diese Annahme stimmt, wie ich bekennen muß, bis zu einem gewissen Grade zu. Als ich nämlich meinen Freund plötzlich an meiner Seite überfallen sah, hatte ich natürlich keine Ahnung davon, daß er tödtlich verletzt sein könne. Mein erster Gedanke war, den Missethäter, der eilig davon stürzte, einzuholen und festzuhalten, um ihn der strafenden Gerechtigkeit zu überliefern. In dieser Absicht stürzte ich hinter dem Elenden her, und merkwürdiger Weise ungefähr bis dahin, wo man der Beschreibung nach zu schließen den Dolch gefunden hat. Ware es nicht meine Gewohnheit, ihn nur auf Reisen bei mir zu tragen, und zeigte er nicht Spuren von Blut, so würde ich gern bekennen dürfen, daß ich ihn an Ort und Stelle bei dem plötzlichen Innehalten im Nachsetzen verloren habe. Die Nutzlosigkeit der Verfolgung einsehend und das entsetzliche Schmerzgeheul meines Freundes hinter mir vernehmend, kehrte ich um. Als ich zu ihm kam, fand ich ihn schon leblos in seinem Blute am Boden, und kurze Zeit darnach mich und ihn von Neugierigen umringt. Daß ich verdutzt und erschrocken war, als der hinzugekommene Polizeiagent mich an der Begleitung meines unglücklichen Freundes hinderte, kann und will ich nicht leugnen. Ich war in Angst, daß er nicht sorgsame Pflege finden werde, und glaube dieses Bedenken auf dem Wege zur nächsten Wache gegen meinen Verhafter auch kundgegeben zu haben, kann es genau indeß nicht sagen, denn ich muß eingestehen, daß das Ergebniß, nach dem übermüthig verbrachten Abend, mich ganz außer Fassung brachte.“

Der zum Zeugen aufgerufene Polizeiagent meinte, einer solchen Aeußerung des Grafen sich nicht zu erinnern und gab nur an, ihn kleinlaut und resignirt gefunden zu haben.

Diese und ähnliche Zwischenfälle änderten. also nichts in der Sache, und nachdem der Prozeß beinahe zwei Wochen gedauert, kam er vor den Geschworenen zum Spruch, welcher auf „Schuldig“ lautete und den Angeklagten zur Galeerenstrafe verdammte.

Als Graf Luckner dieses Urtheil mitgetheilt wurde, zeigte er sich tief erschüttert. Bleich und mit strömenden Thränen, die Hand zum Schwure gen Himmel erhebend, sagte er:

„Ich bin unschuldig, der höchste Richter im Himmel weiß es. Was aber meine Geschworenen anbetrifft, so zürne ich ihnen nicht. Sie haben nach Pflicht und Gewissen gesprochen. Der Himmel vergebe ihnen. Er geht streng mit mir in’s Gericht. Er bestraft mich nur dafür, daß ich meine Jugend nichtsnutzig und liederlich verbracht. Hätte ich von je auf Reinheit der Sitten, guten Ruf und die Würde meines Namens gesehen, so würde man weniger geneigt gewesen sein, sich von einem bestrickenden Anscheine gegen mich einnehmen zu lassen. Es ist mein vergangenes Leben, was gegen mich spricht. Ich muß mich fügen.

Seine Schönheit, die edle Haltung und der warme, offene Ton, mit dem er dies reumüthige Bekenntniß vor den Schranken des Gerichtes ablegte, gewann ihm die Herzen fast aller diesem Auftritte [335] beiwohnenden Menschen. Die rohesten, hartgesottensten Männer fühlten sich ergriffen, die Frauen weinten und schluchzten laut, darunter besonders eine, die bei allen Verhören zugegen gewesen und den Graf Luckner stets mit dem größten Interesse beobachtet hatte.

Diese eine Dame, die durch ihre Theilnahme für den Angeklagten bereits zum Stadtgespräch, und in dieser letzten Sitzung der Assisen das Augenmerk aller Anwesenden geworden, war die einzige Tochter des bekannten bonapartistischen Generals Lagrange, die Baronin Stephanie, die von einer befreundeten Familie für den Prozeß importirt und in die erste Verhandlung desselben mitgenommen, bald eine heftige Leidenschaft für den so gräßlich Beschuldigten in sich hatte entstehen fühlen.

Sie hatte gleich nach der ersten Session anonym an Emil Luckner geschrieben und ihm mitgetheilt, wie sie ganz gewiß von seiner Unschuld überzeugt sei und den festen Glauben besitze, ihn freigesprochen zu sehen. Nach der dritten, vierten und fünften Verhandlung wiederholte sie diese Versicherungen, die nun vernichtet zu finden, sie auf das Höchste betrübte. In Thränen aufgelöst, verließ sie den Saal, um von da sogleich zu Emil in das Gefängniß zu fahren.

Graf Luckner hatte sie nie gesehen, und war nun erstaunt, unter den mit Bedauern zu ihm drängenden Freunden auch eine fremde Dame von distinguirtem Aeußeren zu finden, die ihn ersuchte, ein paar Worte mit ihm allein sprechen zu dürfen.

Nachdem die Freunde sich unter Beileidsbezeugungen[WS 1] aller Art von ihm entfernt, entdeckte sich diese Dame ihm nun als Schreiberin jener anonymen Briefe, dabei versichernd, daß sie noch immer trotz der Schulderklärung der Geschworenen an seine Unschuld glaube, und bereit stehe, mit ihm zugleich nach Brest zu gehen, dort, so viel es gehe, sein schreckliches Loos zu erleichtern und mit ihm des Tages zu harren, an dem einst seine Enthebung von dem ihm zur Last gelegten Verbrechen erfolgen müsse.

Man kann sich denken, wie gerührt Graf Luckner von den Worten und dem Benehmen der Dame war und wie flehentlich er sie bat, ihn seinem Schicksale zu überlassen und von ihrem Vorhaben abzustehen. Allein, wie vergebens das Alles war, bewieß am Besten, daß man Baronin Stephanie zugleich mit dem Zuge der eingeschmiedeten Galeerensclaven Paris verlassen und nach Brest abreisen sah.

Briefe und Zeitungscorrespendenzen aus dieser letzteren Stadt meldeten bald darnach, daß man täglich eine schöne und elegante Dame in der Freistunde der Sträflinge nach dem Lager kommen und dort viel mit einem in Eisen geschlossenen jungen Manne verkehren sehe, der wegen eines Raubmordes zu lebenslänglicher Galeerenstrafe verurtheilt sei. Man schilderte auf das Rührendste die zarte Sorgfalt und Liebe, die sie dem Verbrecher beweise, und unterließ dabei nie zu bedauern, daß ein Heroismus so seltener Art keinem würdigeren Gegenstande gewidmet sei.

Da die pariser Journale, durch solche und ähnliche Briefe angeregt, sich veranlaßt sahen, die Sache ihrem wahren Verhältnisse nach zu schildern, so kam es bald, daß die ganze Welt über den Hergang in Kenntniß gesetzt und davon unterrichtet war, daß der Sträfling Niemand anders, als der ehemalige Graf Luckner, und die Dame, die schöne und geistreiche Baronin Lagrange sei.

Eine Menge Poeten griffen den Stoff auf und machten Novellen und Gedichte daraus. Auch George Sand soll davon zu einem ihrer besten Romane veranlaßt worden sein. Alles dies und Anderes hinderte aber nicht, daß man schließlich des seltsamen Paares vergaß und seine Aufmerksamkeit andern Geschichten und Tagesereignissen zuwieß. Im Jahre 1827 wenigstens gab es ohne Zweifel gewiß nur noch sehr wenige, die sich jener Mittheilungen und der Personen, von denen sie handelten, erinnerten. Dennoch war es gerade um jene Zeit, als dieselben plötzlich wieder in den Vordergrund zu treten begannen.

Der Fürst von Benevent nämlich, der noch während des Graf Luckner’schen Prozesses seinen Vater an einem Schlagflusse plötzlich und unerwartet verloren, war, nachdem er seine reiche Erbschaft in Italien angetreten und einige Jahre im Orient auf Reisen gewesen, nach Paris zurückgekehrt, wo er in der Rue du Bas ein großes Hotel bezogen und ein ansehnliches Haus zu machen begonnen hatte. Natürlich, und wie sich von selbst versteht, waren die früheren Genossen aus dem Luckner’schen Kreise wieder an ihn herangetreten, doch auffallender Weise nicht zuvorkommend und in der frühern Vertraulichkeit aufgenommen worden. Man fand im Gegentheil sogar, daß er diesen ehemaligen Kameraden lustiger Tage geflissentlich und wenigstens, so viel es ohne Anstoß zu erregen möglich war, aus dem Wege ging. Die große Welt und die Leute der Gesellschaft konnten, da der Fürst vorsichtig verfuhr und die im Geheim Gemiedenen bei seinen Bällen und großen Diners noch regelmäßig einzuladen pflegte, den Widerwillen gegen diese ehedem so geflissentlich aufgesuchten Freunde weniger bemerken, als es bei diesen selbst der Fall war, die sich aus seiner Intimität gedrängt sehend, gar wohl und zu ihrem Aerger inne wurden, daß sie an Ansehen und Gunst auf das Merklichste bei ihm verloren.

Am Meisten erboßt darüber war ein gewisser Edmond de Lavalle, ein Wüstling höchsten Grades, aber sonst ein Mensch von Geist und weichem Herzen. Dieser hatte, um hinter die Ursache der Abneigung zu kommen, welche der Fürst von Benevent gegen ihn und seine guten Freunde zu Tage legte, sich mit gutem Geschick an den alten Kammerdiener zu machen gewußt, welchen jener mit der Erbschaft seines Vaters zugleich in seine Dienste genommen.

Dieser Kammerdiener, ein ächter Italiener, war ein äußerst listiger und verschlagener Mensch, der den größten Einfluß auf seinen Herrn ausübte. Da er, wie die meisten Italiener, aber zugleich auch Eitelkeit und einen fast lächerlichen Ehrgeiz besaß, so liebte er es mit dieser Herrschaft über seinen Herrn zu prunken und von dem vornehmen Umgange desselben sich eine gewisse Aufmerksamkeit widmen zu lassen. Aus diesem Grunde kam es denn nun auch, daß die angelegentliche Mühe, die sich Edmond von Lavalle gab, ihn für sich geneigt und gestimmt zu machen, wirklich einen hohen Grad von Zuneigung für diesen in ihm entstehen mochte. Er ließ sich gern die Plaudereien dieses Cavaliers gefallen und war erfreut, wenn er ihm irgendwie dienen und sich in Folge dessen gelegentlich etwas gegen ihn, wie es in der Volkssprache heißt, herausnehmen konnte.

Nachdem dieses Verhältniß Jahr und Tag gedauert, kam Edmond von Lavalle einmal am Morgen im Hotel des Fürsten vor, um sich nach dessen Befinden zu erkundigen. Da er den Herrn des Hauses nicht vorfand, den Kammerdiener aber in sehr gesprächiger Laune traf, so ließ er sich mit diesem in eine launige Plauderei ein, in deren Verlauf er ihm auch von einem Scherze erzählte, den er sich mit einigen Freunden machen wollte, und zu dem er mehrerer anonymer und mit fremder Hand geschriebener Billete bedurfte.

Der zu allen Intriguen und Hintersteckereien stets bereite Italiener stellte sich ihm hier sogleich zu Dienst und warf, um seine Fähigkeit dafür zu beweisen, verschiedene Schriftzüge mit verstellter Hand auf ein gerade daliegendes Stück Papier. Edmond von Lavalle ihm dankend und versprechend, die Sache mit ihm weiter verhandeln zu wollen, steckte mechanisch die ihm gegebene Schriftprobe in die Tasche und empfahl sich.

Am Abend desselben Tages, beim Auskleiden, zog Lavalle dieselbe hervor und begann sie, im Bette liegend, rein nur, um noch einen Zeitvertreib zu haben, zu mustern. Bei dieser Musterung blieben seine Blicke, zuerst ihm selbst unbewußt, auf einigen der geschriebenen Worte hängen. Nach und nach, sie aufmerksamer betrachtend, kam es ihm vor, als ob er sie schon einmal auf irgend einem wichtigen Aktenstücke gesehen, doch konnte er sich durchaus nicht erinnern, auf welchem etwa. Nachdem er lange so vergeblich her und hingesonnen, löschte er endlich sein Licht, warf sich auf die Seite und sagte, sich selbst belächelnd. „Ach was! Wahrscheinlich sind es die Einladungen des Fürsten, auf denen ich diese Schrift gesehen!“

Mit diesem Machtspruche wollte er seinem Grübeln und Nachdenken ein Ende und die Einleitung zum Schlafe machen. und wirklich war er auch nahe daran zu entschlummern, als er plötzlich wie von einer Tarantel gestochen in die Höhe fuhr, in Eile wieder Licht anzündete und die Schriftzüge auf’s Neue in Augenschein zu nehmen begann. Kaum hatte er sie einen Augenblick angestarrt, als er aus dem Bett aufspringend, laut ausrief:

„Diese Schrift habe ich auf jenem Passe gesehen, den man bei Emil Luckner gefunden!“

Durch diese Entdeckung, er wußte eigentlich selbst nicht warum, ganz außer sich gebracht und des Schlafes beraubt, setzte er sich, da es zu spät war, noch irgend etwas in der Sache zu unternehmen, in eine Causeuse, sich ein Glas „Brandy and Water“ bereitend und eine Cigarre anzündend.

[336] Früh am Morgen, nachdem er ein wenig in seiner aufrechtsitzenden Stellung geschlafen, begab er sich zu einem Freunde, der damals mit in dem Luckner’schen Prozesse als Zeuge aufgerufen gewesen war. Diesem zeigte er, ihm seine Vermuthungen mittheilend, die Verdacht erweckende Schrift, und da auch er eine Aehnlichkeit mit der jenes Passes fand, so verfügten sich Beide nach dem Bureau des Assisenhofes, wo sie den Inspector des Aktenverschlusses in’s Vertrauen zogen und in Gemeinschaft mit demselben die Register nachschlugen, die vergilbten Beweisstücke hervorsuchten und ihre Vergleichungen anstellten.

Das Resultat derselben war so bedeutsam und wichtig, daß der Inspektor es für nöthig hielt, dem Präsidenten des Criminalgerichts davon Anzeige und zugleich die Beantragung einer Revision des Luckner’schen Prozesses zu machen. Um nicht unnöthiges Aufsehen zu erregen, wurde die Wiederaufnahme desselben ganz in der Stille und wie es hieß, nur wegen einer nachträglich nöthig gewordenen Regulirung der Thatsachen unternommen.

Die Entlastungszeugen für Graf Luckner mußten sich im Geheimen neuen Verhören unterziehen und hierbei fiel nun gleich, da der Verdacht einmal erregt, ein ganz anderes und mehr gravirendes Licht als ehedem auf das Benehmen des Fürsten von Benevent. Zuerst fand man da, daß seine Abwesenheit doch wohl nicht so kurz gewesen, als man im Trubel des Nachtmahls vermuthet hatte, dann aber entdeckte man bei genauer Untersuchung jener Retirade, in die sich der Fürst zurückgezogen, daß von dieser, durch Uebersteigung zweier Mauern, leicht ein Ausgang nach der Straße zu gewonnen werden konnte.

In der Untersuchung so weit gekommen, war es nun doch nöthig, in diese Wahrnehmung und die Angelegenheit mit dem Passe wo möglich einigen Zusammenhang zu bringen. Um diese Zeit in Erfahrung bringend, daß der Fürst von Benevent wegen einer Jagd auf einige Tage sein Hotel verlassen, hatte man nichts Eiligeres zu thun, als seinen Kammerdiener aus dem Hause zu locken, ohne Aufsehen zu erregen und sofort einem strengen Verhöre zu unterwerfen.

Ueber diesen ganzen Vorgang verdutzt und verworren gemacht, verstrickte er sich gleich bei seinen ersten Aussagen in so viel offenbare Lügen, Widersprüche und faktische Unrichtigkeiten, daß er nach argem Zusetzen endlich mürbe gemacht, schließlich dennoch eingestand, jenen Paß für den Fürsten in Bologna, wo er sich damals mit dessen Vater befand, ausgestellt und nach Paris gesendet zu haben.

Nachdem man so weit gelangt, ließ man den Mitschuldigen eines Verbrechens, dessen Motive man nicht absehen konnte, einstweilen in das Hotel des Fürsten wieder zurückbringen, aber nicht ohne dasselbe mit Polizei so zu umstellen, daß dem Eigenthümer aus diesem heraus einen Wink zu geben zur puren Unmöglichkeit ward.

Arglos, wie er gegangen, kehrte er denn auch am Abend des zweiten Tages in dasselbe zurück, und kaum darin angelangt, wurde der Palast in der Stille von der Polizei umstellt und Niemand mehr ein- oder ausgelassen.

Es war bestimmt, den Fürsten in der Frühe des folgenden Tages zu verhaften. Ehe es indeß dazu kam und während der Nacht ließ der auf diese Weise in seinem Hause gefangen Gehaltene durch einen seiner Leute ein Briefpaket unter der Adresse des Criminalgerichtshof-Präsidenten an einen der Polizisten abgeben, um sofortige Besorgung desselben ersuchend.

Der Präsident, aus dem Bette geholt, übernahm das Gebrachte, öffnete die Siegel und las, wie folgt:

  „Mein sehr geehrter Herr!

„durch meinen Kammerdiener von dem Vorgefallenen unterrichtet, komme ich, des Lebens überdrüssig und gedrängt von meinem Gewissen, Ihnen kurz und unumwunden das Geständniß des Verbrechens zu machen, dessen ich mich schuldig fühle und welches, wie ich wohl einsehe, nicht länger mehr verborgen zu halten bleibt. Da aber die Sache nicht leicht zu übersehen und in ihren Beweggründen sehr eigener Art ist, so müssen Sie gestatte, daß ich ein wenig weit aushole und Ihnen Dinge vor Augen führe, die Ihnen anfangs ungehörig erscheinen, schließlich aber doch als wichtig gelten werden.

„Mein Vater hatte, ehe er sich offiziell vermählte, eine geheime Liaison mit einer Gärtnerstochter zu Sorrent gehabt und mit dieser einen Sohn erzeugt. Die Geburt desselben fiel in die Zeit, in welcher er sich mit meiner Mutter vermählte, und diese, eifersüchtig auf ihre unebenbürtige Nebenbuhlerin und in Besorgniß, daß der Sprößling derselben ihren eigenen zu erwartenden Kindern Eintrag thun könne, wußte es zu machen, daß in dem Hause der Wöchnerin Feuer angelegt und diese, sammt dem Kinde, während man die Flammen zu löschen versuchte, nach Frankreich hinüber entführt wurde. Vom Schreck und den Strapazen der unfreiwilligen Reise erschöpft, erlag die ihrer Heimath und ihrem Gönner entrissene Frau einem raschen und unerwartet frühzeitigem Tode. Ihr Kind aber ward einer armen Wäscherin übergeben, die mit einem kleinen Handwerker in einer ungesetzlichen Ehe lebend und ihr Kind kurz nach der Geburt durch den Typhus verlierend, den verwaisten Knaben für eine beträchtliche Summe als den ihrigen annahm.

„Mein Vater, der von diesen Vorgängen natürlich nichts wußte und wie Alle, die Zeugen der Feuersbrunst gewesen, glaubte, daß seine Geliebte sammt dem Kinde den Tod dabei gefunden, gab, nachdem er lange umsonst geforscht, sich Gewißheit darüber zu verschaffen, endlich seine Nachforschungen auf, und zwar um so mehr und vollständiger, als einige Monate darnach seine angetraute Gattin ihm in mir einen rechtmäßigen Stammhalter schenkte. Von da ab hat er weiter den Verschollenen nicht mehr nachgeforscht und eine ziemlich glückliche Ehe geführt. Eben als ich achtzehn Jahr alt geworden und nach Paris abzugehen im Begriffe war, erkrankte meine Mutter, die, ehe sie verschied, meinem Vater die Schicksale seiner Jugendgeliebten und ihres Sohnes beichtete. Gleich nachdem sie beerdigt, machte er sich nach Paris auf, um dort nach seinem natürlichen Sohne zu forschen. Da aber die Helfershelfer meiner Mutter bei der Entführung ihrer Nebenbuhlerin lange vor ihr gestorben, man Name, Wohnung und ferneres Geschick jener armen Wäscherin aber durchaus nicht kannte, so vermochte er, allem Eifer und aller Mühe zum Trotz, nirgends eine Spur von seinem Kinde zu entdecken.

„Ein Kammerdiener meines Vaters, sein intimster Vertrauter, der sich bei mir die Stellung in unserm Hause sichern wollte, verrieth mir dieses Geheimniß meiner Familie, indem er mir dabei zu verstehen gab, daß, wenn ich das große Vermögen des alten Fürsten mir ungetheilt erhalten wollte, ich dafür zu sorgen habe, daß die Entdeckung meines Bruders niemals stattfinde. Wie er mir gestand, war diese nur vermöge eines goldnen Reifes zu machen, den mein Vater in der Geburtsstunde seines natürlichen Sohnes durchgebrochen, zur Hälfte behalten und zur Hälfte der Mutter für den Neugeborenen übergeben hatte.

„Nachdem mein Vater unverrichteter Sache von seinen Reisen zurückkam, trat ich die meinige an, die sich natürlich nun auch zunächst nach Paris richtete. Hier lernte ich zufällig bei dem Grafen Emil Luckner einen gewissen Alfred Gautier kennen, bei dem ich einmal beim Billardspiel die Hälfte jenes Ringes an einer feinen goldnen Kette aus dem Gilet hervorhängen sah, dessen andere, dazu passende Hälfte mir jener Kammerdiener meines Vaters gezeigt hatte. Natürlich war augenblicklich mein Plan gemacht.

„Ich suchte Alfred Gautier einmal allein auf, ließ mir seine Geschichte erzählen, das Billet seiner Mutter, das ihm von seiner geheimnißvollen Herkunft berichtete, zeigen und erklärte ihm alsdann, daß wenn er mir die ganze Sache unter Angelobung unverbrüchlichen Schweigens gegen Jedermann in die Hand zu geben sich entschließe, ich Willens und im Stande sei, ihn seiem rechtmäßigen Vater in die Arme zu führen. Der harmlose, nichtsahnende Gautier, der zur Zeit, da mein Vater in Paris nach ihm forschte, sich Geschäfte halber in Amerika aufgehalten und von diesem Allen nichts wußte, ging dies gerne ein, überantwortete mir seine Papiere und that auch sonst, was ich von ihm heischte.

„Nachdem ich ihm nun also aufgetragen, sich für den 17. September mit Geld in hinreichendem Maße zu versehen, um damit eine größere Reise unternehmen zu können, übergab ich ihm einen, von dem in mein Komplott gezogenen Kammerdiener täuschend nachgemachten Paß mit dem Bedeuten, diesen und das Geld an den Grafen Luckner zu übergeben, mit dem ich dann das Weitere besprechen wolle, da ich wisse, daß dies sein bester Freund sei.

„Es war an eben diesem siebzehnten September mit Graf Luckner und einigen andern Bekannten ein Souper bei einem Restaurant auf dem Boulevard des Italiens festgesetzt und verabredet worden, mit der Bestimmung, die Wohnung des genannten Grafen als Versammlungsplatz anzunehmen. Bei dieser Gelegenheit wußte

[337]

Brest.

[338] ich mir einen Dolch des Grafen Luckner ungesehen zuzueignen, dessen ich zu meinem höllischen Vorhaben bedürftig war.

„Als es gegen Mitternacht war, zog ich Gautier bei unserm ziemlich laut und rauschend gewordenen Souper bei Seite, indem ich ihm sagte, er möge mit dem Grafen Luckner auf einem Wege, den ich ihm vorschrieb, nach Hause gehen. In der Rue des trois frères, nahe dem Hotel des trois frères, wollte ich dann zu ihnen stoßen und das Weitere mit ihnen Beiden gemeinschaftlich bereden. Doch möge er vorher mit seinem Freunde nicht über die Angelegenheit sprechen. Da ich wußte, daß Gautier gewissenhaft und folgsam war, so durfte ich mich auf sein gegebenes Versprechen verlassen.

„Kaum mochten Graf Luckner und Alfred Gautier zwölf Minuten fort sein, als ich mich, ein körperliches Bedürfniß vorschützend, nach dem Hofe begab, wo ich rasch im Dunkeln über eine Mauer setzte, einen Hof durchschlüpfte und dann durch kleine Nebengassen die Rue des trois frères erreichte, gerade in dem Moment, in welchem mein Opfer in dieselbe eingebogen war. Mich nun rasch mit einer Taffetkappe unkenntlich machend, sprang ich plötzlich aus einem Thorweg hervor, den Dolch dem armen Gautier so tief und fest in die linke Seite bohrend, daß ich beinahe verzweifelt wäre, ihn wieder aus der Wunde hervorzubringen. Indeß war ein tüchtiger Ruck doch hinreichend, ihn frei zu bekommen und damit dem mich verfolgenden Grafen Luckner zu entwischen.

„Erst als ich mich dem mir Nachrennenden um ein gutes Stück voraus wußte, schleuderte ich die Waffe fort und entkam. Nachdem ich nun noch meine Taffetkappe mit einem hineingebundenen Stein rasch in die Seine versenkt, eilte ich auf meinem früheren Wege in den Hof und von da zu meinen Genossen zurück, die meine Abwesenheit kaum bemerkt hatten und daher auch nie auf einen Verdacht gekommen sind.

„Die ganze Schwere desselben fiel, wie ich in Voraus gesehen und berechnet hatte, auf den Grafen Luckner, bei dem man meinen falschen Paß und Gautier’s Banknoten fand, und durch welche Dinge natürlich der Hauptverdacht auf ihn gelenkt werden mußte.

„Wie man sich erinnern wird, ward der Arme zu Anfange des folgenden Jahres zu ewigem Bagnogefängniß verurtheilt, in dem er sich, so viel ich weiß, noch befindet, und aus welchem ihm dies mein Geständniß nun endlich befreien muß.

„Mein Vater, der die an dem Lesen in den Assisenberichten erwähnte Ringhälfte seines Sohn wohl erkannte und vielleicht der einzige Mensch auf dieser Erde war, der in mir den Mörder vermuthete, ward zum Glück für mich beim Lesen der Verhörmittheilungen vom Schlage gerührt. Sein Tod machte mich nun zum unbestrittenen Erben seines großen Vermögens, dessen Besitz mich doch leider niemals glücklich gemacht hat.

„Von meinem Schuldbewußtsein unstät durch die Welt umhergetrieben, habe ich nie wieder eine frohe oder nur ruhige Stunde genossen. Von Reue gequält, von Gewissensbissen gemartert, erliege ich nach ein paar wüster Genußgier geopferten Jahren nun endlich und warhlich nicht ohne eine gewisse Genugthuung für mich selbst dem rächenden Arm der Gerechtigkeit, welchem ich mich gern und so von quälender Hast getrieben, unterwerfe, daß ich dem Urtheilsspruche des Tribunals vorgreifend, die Pistolen bereits geladen habe, die mich nach der Abfertigung dieses meines Bekenntnisses in das Jenseits befördern sollen.

„Wenn sie sich, hochgeehrter Herr, nach Lesung dieser Zeilen, in mein Hotel verfügen wollen, werden Sie nur noch die in ihrem Blute schwimmende Leiche eines unglücklichen Verbrechers finden, der bei dem verwirkten Heile seiner Seele, die Richtigkeit seines Geständnisses beschwörend, seine Seele der strafenden Allmacht Gottes anheim giebt.

 Paris, den 10. October 1827.

 Alphonso, Fürst von Benevent.“

Als nach Lesung dieser Zeilen der Präsident sich in Eile nach dem Hotel in der Rue du Bas verfügte, fand er daselbst die Dienerschaft sowohl wie die Polizeibesatzung in großer Aufregung. Einen Schuß in dem von Innen verschlossenen Schlafgemache des Fürsten vernehmend, war man eben gewaltsam in dasselbe eingebrochen, als der hinzueilende Gerichtshof mit den Andern eintretend, die Leiche des in seinem Schuldbewußtsein verzweifelnden Verbrechers mit zersprengtem Gehirn am Boden fand.

Wenige Stunden nach diesem schaurigen Ereigniß brachte der Telegraph die Ordre des französischen Gouvernements nach Brest, den Grafen Emil von Luckner auf der Stelle aus dem Bagno zu entlassen, da sich dessen vollständige Unschuld ergeben und der König Willens sei, ihn vor aller Welt in seiner Ehre wieder herzustellen.

In einem wahren Triumphe nach Paris gebracht, ward er sowohl wie die heroische Dame, die ihm seine fürchterliche Leidenszeit nach Kräften erleichtert, von dem Monarchen am Hofe empfangen und durch jede nur erdenkliche Gnade ausgezeichnet. Man ging sogar so weit, ihm eines der hervorragendsten Hofämter anzutragen.

Graf Luckner aber, schwer geprüft und durch das, was er erlitten, tief ernst und der Welt abwendig gemacht, lehnte alle Auszeichnungen und Gnaden von sich ab, heirathete in der Stille die Baronin Lagrange und siedelte nach der Schweiz über, wo er in genußvoller Zurückgezogenheit noch viele Jahre gelebt hat.




Französische Hafenstädte.

III. Brest.


Wir haben Toulon, das Brest des mittelländischen Meeres, besucht, wo jetzt russische Kriegsgefangene in dem ungeheuern Arsenale, dem schönsten in Europa, wie man sagt, mit 4000 französischen Arbeitern um die Wette karren, graben und hacken, um die Dockes für Kriegsschiffe zu vollenden; wir sind dann in Marseille gewesen, aus dessen Hafen fortwährend Krieger und Kriegswerkzeuge nach der Krim absegeln und dampfen, und wollen jetzt dem dritten Haupthafen Frankreichs, Brest, eine Visite machen, obgleich den Meisten schon bei dem Namen die Haut schaudern wird, da Brest mehr durch sein „Bagno,“ die Hauptablagerung des socialen und politischen Krankheitsstoffes im französischen Staatskörper berüchtigt als durch seinen Hafen berühmt geworden. Wenn nach Bettina „der Verbrecher des Staates eigenstes Verbrechen ist,“ kann Frankreich schon allein durch sein Brest und sein Cayenne beweisen, daß es unter diesem Maßstabe an die Spitze der Civilisation gestellt werden muß.

Die Lage von Brest an dem Landesende Frankreichs, dem Landesende Englands gegenüber, im Departement Finisterre der Bretagne, ist ungemein günstig für einen Hafen und ein Arsenal des Krieges. Auf dem weiten westlichen Vorsprunge zwischen dem Kanale und dem Golf von Gascogne ist es zur See besonders zugänglich und zugleich durch den engen, wohlbefestigten Hals des Hafeneinganges für unwillkommene Gäste leicht zu schließen. Dieser Hals (Le Goulet), läuft in zwei Röhren weit landeinwärts bis Landerneau und Chateaulin. Die Engländer griffen es 1694 unter Lord Berkley mit einer Flotte von 29 großen und mehreren kleinern Schiffen ohne Erfolg an, weil ihr eigener großer Herzog von Marlborough, dessen Nachkommen noch jetzt jährlich Tausende von Pfunden bekommen, die Franzosen durch Verrath stärker machte als sie waren.

Da das Hafenwasser von Brest Platz und Sicherheit für 500 große Schiffe gewährt, war es immer das Haupt-Rendezvous französischer Kriegsunternehmungen zur See. Von hier kam die große Flotte im Jahre 1792, welche von Lord Howe geschlagen ward. Während des ganzen folgenden Krieges mit England ward es im Blockadezustand gehalten. Die Stadt liegt am Abhange eines Hügels am nördlichen Ende der Meeres-Bucht, von deren Eingange sie imposanter und schöner aussieht als sie wirklich ist. Die Gärten und Sommer-Villa’s zwischen den ernsten Fortificationen freundlich hervorschimmernd, geben einen malerischen Anblick, den Horace Vernet in einem seiner besten Bilder verherrlichte. Die Straßen sind ziemlich weit und wohlgebaut, freilich bei Lichte besehen, ziemlich [339] unerquicklich, da die stolzesten Bauten nur an Gewalt, Krieg, Zerstörung, Staat, Polizei und Verbrechen erinnern. Sie wird durch ein Flüßchen in zwei Theile getheilt: Côte du Brest und Côte de Recouvrance. Die Magazine, Kasernen, Tauseilereien, Segelwebereien, Schmieden, Eisengießereien u. s. w. tragen alle ein militärstrenges, staatliches, unerquickliches Gepräge, weil Arbeit und Arbeiter in bureaukratischer, offizieller, unfreier Weise dirigirt werden und sich dies in den Gesichtern der Leute und selbst der Mauern und Wände ausdrückt. In dem Habitus der celtischen Bretagner, die unter den gemeinen Arbeitern die Mehrzahl bilden, trägt noch das Stumpfe und Ausdruckslose in der Gesichtsbildung viel zu der Trostlosigkeit der hier sich bietenden Eindrücke bei. Keiner aber ist so gewaltig in Trostlosigkeit und criminalistisch anklagend gegen den Bundesstaat westlicher Civilisation, als die Bagno’s, der grünrothgelbschimmernde, kettenrasselnde Tempel für 3000 Verbrecher. Die nicht in Ketten, sondern mit ganz andern Instrumenten rasselnden und in ganz andern Farben schillernden Verbrecher Frankreichs sind nur die äußerliche Kehrseite der Bagno-Galeerensclaven, in der That und Gerechtigkeit aber würden diese beiden äußern Gegensätze, theils zusammenfallen und an dieselbe Kette geschmiedet werden, theils ihre Plätze gegenseitig austauschen. – –

Das Gebäude für die Galeerensclaven ist in seiner Architektur sehr schön und nobel, wie die meisten andern Gefängnisse civilisirter Staaten, welche gleichsam mit ihren Einkerkerungsanstalten „Staat machen“ zu wollen scheinen. Es enthält vier große, hohe, luftige Säle, in denen die Bewohner schlafen, und viele großartige Arbeitsstätten und Plätze, wo die Verbrecher in ganzen Banden und Ketten unter Aufsicht von Soldaten mit gezogenen Säbeln und geladenen Gewehren arbeiten. Die schwersten Verbrecher sind zu Zweien und Mehreren an eine und dieselbe Kette geschmiedet. Die Kette verbindet sie durch dicke, schwere Eisenringe, welche über dem Knöchel um das Bein geschmiedet sind. Auch sieht man einzelne Individuen, die sich Jeder mit 60 bis 100 Pfund Kette umherschleppen. Dieses Kettengerassel, die scheußlichste, bunte Tracht und die Gesichtsbildungen dieser Leute können auf die Ehre Anspruch machen, das entsetzlichste Genrebild zu sein, welches die Staatsästhetik jemals combinirte. In ihren rothen, groben Flanelljacken, die wie Säcke um den Körper schlottern, verherrlicht sich die communistische rothe Republik. Die gelben Beinkleider machen das Roth noch greller; aber daß man’s auch hier noch nicht bis zur völligen Gleichheit und Brüderlichkeit gebracht hat, beweisen die verschiedenen Farben der Kappen. Die graue Kappe ist der Orden der Verdammniß auf Lebenszeit. Der gelbe Aermel an der rothen Jacke zeigt an, daß der Träger zum zweiten Male hierher versetzt ward. Unter der gelben Kappe knirscht die stumme Verzweiflung des Mörders, unter der rothen glimmt die schwache Flamme einer mit den Jahren heller werdenden Erlösung, die freilich unter diesen demoralisirenden, den letzten Funken der Menschlichkeit erstickenden Verhältnissen sehr oft nur zum Fluche einer That wird, welche mit lebenslänglichem Bagno bestraft wird.

Die Jahre lange Unterdrückung jeder Art von Willens- und Meinungsäußerung, der sich dadurch anhäufende Giftstoff von Tücke, Rache, Wuth und Verworfenheit aller Art platzt dann endlich einmal wie eine vulkanische Eruption heraus. Um diese unter den Verbrechern selbst in der Geburt zu ersticken, sind die bewaffneten Soldaten-Compagnien, welche die Aufsicht führen, durch die stets geladenen Kanonen des dahinter liegenden Marine-Etablissements gedeckt. Außerdem gehen in jeden der vier Schlafsäle ein Paar mit Kartätschen gefüllte Kanonenaugen hinein, die mit einer einzigen Lösung die ganze Länge der Säle „fegen“ können. Die tugendhaften Leute außerhalb dieser Wände glauben auf diese Weise sicher zu sein, und wissen nicht, daß sie in derselben Atmosphäre leben, demselben Organismus angehören, der seine Krankheitsstoffe in Gefängnissen aller Art ablagert, sich aber dadurch nicht ausscheidet, sondern mit verschlimmerten Eigenschaften und in den verschiedensten Formen in ihre Atmosphäre, in ihren Organismus zurückkehrt. Viel sicherer wär’s, für die Gesundheit des ganzen Organismus zu sorgen und deshalb auch die Verbrecher außerhalb der Gefängnisse zu absorbiren und zu zwingen, sich den Bedingungen, unter welchen Staatsgesellschaften allein gesund werden und bleiben können, zu fügen.

Vom Bagno den Hügel hinauf erhebt sich das berühmte Marine-Hospital mit 26 großen Sälen, deren jeder 35 Betten enthält. Die erkrankten Seeleute genießen hier unter der Pflege von 40 barmherzigen Schwestern – Soeurs fidèles de la sagesse – größere Bequemlichkeit, als die Marine-Invaliden des Greenwich-Hospitals, auf welches England so stolz ist.

Die Regierungs-Docks sollen ungemein prächtig sein, doch werden Fremde und selbst Franzosen nur in sehr seltenen Fällen zugelassen, so daß man nichts Sicheres über deren Inneres weiß.

Um die Stadt laufen Wälle, welche zum Theil in Parks und Gärten verwandelt wurden und herrliche Spaziergänge mit schönen Aussichten auf Hafen und Meer bilden. In manchen Straßen spielen um grüne Bäume heitere Fontainen, doch ist und bleibt der Charakter der Stadt nicht heiter französisch. Sie ist arm und hängt größtentheils von den Geldern ab, welche die Regierung für Schiffsbauten, Reparaturen und Kriegsschiffausrüstungen hineinleitet. Handel und Gewerbe, die am besten gedeihen, wo die Regierung weder fördert noch fesselt, sind unbedeutend und die Verwundeten und Kranken, welche unlängst von der Krim hier gelandet wurden, trugen auch nicht dazu bei, die Stadt moralisch oder materiell zu heben.




Der Hagel.

Zu den Erscheinungen in unserer Atmosphäre, welche trotz ihres häufigeren Vorkommens noch nicht hinreichend erklärt sind, gehört auch der Hagel. Wer kennt nicht jene verschieden großen, oft aber sehr umfänglichen Eisstückchen, welche meist nach schwülen Tagen aus eigenthümlichen grauen Wolken oft unter heftigem Sturm und furchtbarsten elektrischen Erscheinungen gewaltsam zur Erde geschleudert werden, und in ihren verwüstenden Folgen namentlich der Schrecken des fleißigen Landmannes sind? Man erzählt – und Mancher wohl hat sie selbst gesehen – von Hagelsteinen von ungemeiner Größe, nicht blos Lothe, Viertel- und halbe Pfunde, sondern selbst mehrere Pfunde schwer, die weniger selbstständige gebildete Körper als vielmehr die Trümmer einer durch plötzliche Gewalt zerbrochene Eismasse zu sein scheinen; über weite Landstriche gehende Verheerungen in Flur und Feld durch Hagelwetter sind nicht gar selten. Wer auch nur einigermaßen die wechselnden Vorgänge in unserem Luftkreise beobachtet, kennt in der Regel an Gestalt und Farbe der Wolken gerade dieses drohende Unwetter; in schwüler Sommerszeit wird man häufig den Landmann die besorgten Blicke nach dem mehr und mehr sich umwölkenden, von schweren, bleifarbenen Wolken verdüsterten Himmel richten sehen.

Kennen wir sohin nur zu gut die manchmal schrecklichen Wirkungen der Hagelgewitter und zeigt uns schon das Auge, daß hierbei eine Eisbildung in dem Dunstkreise vorgegangen, indem das Wasser desselben, das bisher in der Form von Dunstbläschen oder Regentropfen in ihm vorhanden war, mehr oder weniger schnell unter dem Einflusse einer niedrigen Temperatur gefriert, – so ist uns damit doch diese niedrige Temperatur selbst im heißen Sommer, in nicht allzugroßer Höhe und ihre Entstehung noch keineswegs klar. Nehmen wir die Eiskörperchen einmal als gebildet an, so begreifen wir, daß eine Entladung zweier über einander stehender Gewitterwolken durch hörbares, vom Winde gefördertes Zusammenstürzen solcher gehäuften Eiskörperchen der obern Wolke sie als Hagel zu Boden fallen läßt, wobei sie auf ihrem Wege das Wasser der untern Wolke mit sich fortreißen, dadurch wachsen, und so, wenn die erstere Wolke hoch gestanden, auch beträchtlich dick gewesen, unten nicht selten als schwere Eismassen ankommen. Einige leiten die Entstehung des Hagels von der Kälte ab, die werde, wenn sich die Luft in jene dampferfüllten Räume ergieße, welche die zertrümmerten Dunstbläschen öffnen.

Eine andere Erklärung Blanchet’s scheint uns viel einfacher und die Bildung des Hagels hinreichend klar zu machen. Es giebt nämlich verschiedene Richtungen der Luftströme, die wir horizontale und perpendiculäre, letztere wieder aufsteigende und herabsteigende, wie sie auch A. v. Humboldt längs beobachtet hat, nennen können. [340] Die perpendiculären Luftströmungen bewegen die Luftschichten von einer beträchtlichen Höhe und führen auf diese Weise in die Ebene die Temperatur der hohen Regionen der Luft herab. Von der Existenz der herabsteigenden Ströme haben wir einen sicht- und fühlbaren Beweis in den Sturmregen, die sich mit äußerster Gewalt auf die Oberfläche der Erde entladen; an dem beträchtlichen Sinken der Temperatur nach großen Stürmen; man sieht nicht selten die Temperatur in einem Augenblicke um 10 bis 15 Grade fallen: eine Verschiedenheit, die zu groß ist, um einzig der Kälte zugeschrieben zu werden, die von der Verdunstung des Regens entspringt, und ihren Grund in der herabgeströmten kalten Luft der obern Schichten der Atmosphäre hat. Es bedarf indeß für dieses Herabkommen kälterer Luft im Allgemeinen eine besondere Bodenbildung, und wir werden sogleich sehen, wie das vorzugsweise Auftreten des Hagels allerdings mit einer solchen in Verbindung steht.

Versuchen wir das Gesagte noch durch eine naheliegende Vergleichung deutlicher zu machen, welche die Entstehung der Winde überhaupt erläutert. Wenn man in einem Zimmer mit Kamin Feuer macht, so wird man einen in dem Kanale des Kamins aufsteigenden Strom haben, in Folge der Ausdehnung der Luft; ferner wird der durch diese Ausdehnung verdünnte Raum die dichte Luft im untern Theile des Zimmers herbeiziehen, so daß sich diese dichtere Luft in jenen Raum mit verdünnter Luft stürzen und so eine Strömung durch Anziehung erzeugen wird. In dem Innern des Zimmers wird die ausstrahlende Wärme die Luft gleichfalls ausdehnen und leichter machen; es bildet sich ein nach oben gehender Strom; die Luft wird durch die Spalten und die kleinen Oeffnungen im obern Theile zu entweichen suchen. Im untern Theile wird sich in gleicher Weise je nach der verschiedenen Temperatur eine Ausgleichung mit den benachbarten Localitäten durch die Oeffnungen, Thüren etc. herzustellen suchen. Die gleiche Erscheinung nun begegnet uns bei den großen atmosphärischen Strömungen, den Winden. Die Hitze der Sonne erzeugt die Winde durch die Ausdehnung. Diese und also die Verdünnung in einem gegebenen Medium erzeugen die Winde, indem die dichtere Luft seitlich an die Stelle der dünneren stürzt, also in der Regel eine horizontale Strömung bewirken wird, indeß der durch Ausdehnung entstandene Wind sich genau in der Richtung der Ausdehnung fortpflanzt. In den Zimmern wird man den Luftzug für gewöhnlich in den untern Theilen haben; er kann aber auch in den obern stattfinden. Man öffne nur ein Fenster in dem obern seitlichen Theile eines sehr warmen Zimmers, und man wird die kalte Luft sich mit Heftigkeit durch die untere Parthie dieser Oeffnung hereinstürzen sehen. Ebenso verhält es sich mit den Winden; für gewöhnlich sind die durch die Verdünnung der Luft herbeigezogenen Strömungen horizontal; unter Umständen können sie aber auch schief sein; ja sie können nach Maßgabe der Steigung der Gebirge, welche die Thäler einschließen, selbst perpendiculär werden.

Kehren wir nun zum Hagel zurück. Man denke sich ein von Bergen eingeschlossenes Thalbecken. Eine Reihe sehr heißer Tage habe in ihm eine sehr hohe Temperatur erzeugt, die Luft sich mit einer sehr großen Quantität von Dünsten gesättigt. Diese Luft nimmt allen Raum bis zu einer gewissen Höhe ein, sie verbreitet sich längs der Berge und bedeckt deren Gipfel. Vom Westen her öffnet sich in das beschriebene Thalbecken ein Thal von weniger hoher Temperatur. Es bildet sich also von dieser Seite ein Strom, welcher kältere Luft gegen die erhitzte Luft des ersteren Beckens führt; dadurch entstehen jene drohenden, gehäuften, oft Gebirgen ähnlichen Wolken, die man Cumulus (Haufenwolke) nennt. Die Luft des zweiten Thales wird also in das Thalbecken hinabsteigen, um daselbst die Stelle der ausgedehnten Luft einzunehmen; hat der kalte Luftstrom einmal die Flanke der Berge gewonnen, so stürzt er sich mit ebenso viel mehr Kraft als der Temperaturunterschied größer ist, in das Thal; die so begonnene Strömung reißt aber im selben Augenblicke die höheren Schichten der Atmosphäre nach sich; und auf diese Weise können mehrere tausend Fuß hohe, direkt perpendikuläre Schichten in Bewegung kommen. Man weiß aber, daß in solcher Höhe die Temperatur eine sehr niedrige ist. Von der andern Seite hatten sich an der obern Fläche der großen mit Dünsten geschwängerten Luftmasse Federwolken (Cirrus) gebildet. Der kalte Strom aus den obern Regionen reißt jene Massen von Graupeln, welche die Federwolken zusammensetzen, mit fort oder läßt deren neue entstehen, und nöthigt sie, eine stark mit Dünsten geschwängerte Atmosphäre zu durchwandern; auf diesem Wege bedecken sich die Graupelkörner mit diesen Dünsten, welche bei der niedrigen Temperatur der in Bewegung befindlichen Luft gefrieren; auf diese Weise geht die Graupel in den Zustand des Hagels über. Die Strömung kommt endlich bei dem Winde an, der an der Oberfläche des Bodens herrscht und den Hagel dann so lange mit fortführt, bis die Reibung die Kraft der Strömung selbst vermindert hat oder jener Wind einen entgegengesetzten trifft, welcher dann das Herabfallen des Hagels auf die Erde veranlaßt.

Uebereinstimmend mit dieser Ansicht kommen denn auch die Hagelwetter sehr häufig in Ländern mit tiefen Thälern vor, wo sich beträchtliche Verschiedenheiten in der Temperatur erzeugen können; sie sind dagegen erfahrungsmäßig selten in ebenen Ländern, in Holland, in Preußen, in Rußland, wo das Gleichgewicht sich allmälig bildet. Der Hagel ist noch seltner auf dem offenen Meere, wo unaufhörliche Strömungen fortwährend das Gleichgewicht wieder herstellen. In den Ebenen ist die Entstehung perpendiculärer Strömungen viel schwieriger.

[Fig. 1]

Auch die Form gewisser Hagelkörner spricht für das eben Dargelegte. Man trifft solche aus concentrischen Schichten zusammengesetzt, die an dem hintern Theile eine Vertiefung haben (s. Fig. 1): es sind Körner, die geradeaus herabgefallen sind; sie sind vornen und an den Seiten gewachsen, indem sie die Dünste auf ihrem Wege aufnahmen; der Teil A., weil rückwärts befindlich, konnte nicht wachsen. Es ist ebenso mit Hagelkörner, die in ihrer hintern Parthie mit Spitzen besetzt sind (Fig. 2).

[Fig. 2]

Die Electricitätstheorie kann diese Gestaltungen nicht erklären, da nach ihr lauter runde Körper sich bilden müßten. Es ist daher nicht wahrscheinlich, daß die Electricität eine thätige Rolle bei der Bildung des Hagels spielt. Die Electrictität ist das Resultat entweder der Reibung der Luft in den Parthien, wo die Ströme sich treffen oder des Uebergangs des Wassers aus dem Dunstzustande in den Zustand des Eises: sie ist eine Wirkung und nicht eine Ursache. Möglicherweise trägt sie zur Stärke des Stromes bei. Haben die Hagelkörner einmal einen gewissen Raum gerade durchlaufen, so ist es ihnen schwer, umzukehren, da die gewichtigste Parthie ihrer Kugel sich vornen befindet. Hagelgewitter kommen meistens nur am Tage vor; ihre Hauptbedingungen finden sich nur in dieser Zeit; Nachthagel ist etwas sehr Ungewöhnliches. Weiter hat eine Reihe von Beobachtungen gezeigt, daß die stärksten Hagelwetter, welche die größten Hagelkörner mit sich führen, zwischen 3 und 4 Uhr Nachmittags fallen; dies ist der wärmste Moment des Tages; es ist der, wo die Luft am Meisten verdünnt ist, wo sie am Meisten mit Dünsten gesättigt ist und wo diese Dünste sich am Höchsten in die Atmosphäre erheben. Alle diese Umstände tragen dazu bei, den heftigsten Luftstrom und die größten Hagelkörner zu erzeugen. Man könnte beinahe die Größe des Hagels nach der Stunde seines Falles bestimmen. Aus dem Vorhergehenden folgt von selbst, daß der Hagel im Winter eine sehr seltene Erscheinung ist, und daß er nicht den extremen Klimaten angehören kann; man kann ihn ein Erzeugniß der gemäßigten Zone nennen, da er zumeist (doch nicht ausschließlich) nur innerhalb der Breite von 60 Grad vorkommt. Die Berggipfel gemäßigter Klimate sind beinahe frei von Hagel.
Dr. L. 
[341]

Pelissier,
Befehlshaber der französischen Armee im Orient.

[342]

Amerikanische Briefe.

II. New-York. (Schluß.)
Der Verfall des Republikanismus in Amerika und dessen Neigung zum Absolutismus. – Der Wahlcensus für die Aristokratie des Gesindels. – Die „Rowdies, runners, suckers und strikers.“ – Bestrafte Verbrecher als Beamte. – Die Praxis bei den Wahlen. – Das Municipal-Reform-Comitee in New-York. – Das Verbrecher- und Regierungs-Viertel „five points“. – Wie die ankommenden Einwanderer empfangen, beraubt und geschunden werden. – Guter Rath für Auswanderer. – Ein aus dem Meere gezogener deutscher Bruder. – Aussichten.

Ehe ich von meinen Reisen durch Virginien, über den Sclavenmarkt von Richmond, durch Washington und den Congreß, dem Besuche bei Pierce im weißen Hause, durch Boston, Lowell, Rhode Island, Philadelphia und die Städte vieler Menschen, über das Wasser vieler Seen und Kanäle und die tausendmaligen, durch Wälder und über Sümpfe hingeworfenen eisernen Bahnen und von meinen Total-Eindrücken die Sahne abschöpfe, um sie dem Leser oder vielmehr der schönen Leserin in der Gartenlaube zum Thee oder Kaffee vorzusetzen, bleibt noch manche charakteristische Erscheinung New-Yorks übrig, die man nicht übergehen darf, wenn mein Zweck, ein getreues Bild von Amerika, so weit ich es kennen lernte, zu skizziren, erreicht werden soll.

Ich spreche nicht von untergeordneten Eigenthümlichkeiten, den in den Straßen umherlaufenden Eisenbahnen, den übervollen Omnibus mit Damen auf dem Schooße der Herren, dem Schmutze und Hausauswurfe auf den Trottoirs von Broadway, Pearl-, Nassau-, Fulton- und andern prächtigen Straßen trotz der 1600 beschäftigten Magistrats-Schmutzkarren, die 1853 über 250,000 Dollars kosteten, und sonstigen Skandalen magistratlicher Betrügerei und Nachlässigkeit. Diese Betrügereien und Nachlässigkeiten führen mich auf die Wurzel alles amerikanischen Republikanismus, die hervorgehoben und gezeigt werden muß, so unangenehm die Operation auch sein mag. Der amerikanische Republikanismus geht, wie der englische Parlamentarismus, durch seine eigene Ausartung zu Grunde. Das ist ein hartes Wort für freisinnige Herzen, aber was haben wir davon, wenn wir uns selbst betrügen und Hoffnungen der Freiheit für Thatsachen nehmen?

Die Sache ist, daß in Amerika gerade durch das allgemeine Wahlrecht dieses erste politische Recht freier Männer zu Grunde geht. Es ist in New-York unerträglich geworden. Der amerikanische Republikanismus ist eine verfaulte, hohle oder von Schmutz erfüllte Form ohne Republikaner, der sich ebenso wenig halten kann, als der Körper, aus dem das Leben gewichen, so daß zerfressende Luftarten und Würmer sich dessen bemächtigen, um seine Bestandtheile den ewigen Elementen zurückzugeben. Die Republikaner sind „alle geworden“, wie lange kann sich da noch der Republikanismus halten? Unter der Sclaverei des Mammon, des Geldmachens, der Baumwolle erstarb jede republikanische Tugend. Die Staats- und Stadtangelegenheiten verfielen, vermittelst des allgemeinen Wahlrechts, durch den Census der Fäuste, der Knüttel, der Bestechung und Verworfenheit aller Art auf organisirte Räuberbanden beschränkt, den gewissenlosesten, frechsten Wucherern und Schacherern, welche die letzten Reste republikanischen Sinnes austreiben und eine strenge, reinigende, absolutistische Regierung als Erlösung erscheinen lassen.

Dieser Proceß ist morgen noch nicht zu Ende, aber er hat sich unter republikanischen Formen bereits so weit ausgebildet, daß es nur irgend eines Ruckes und Stoßes bedarf, um den ganzen Plunder zusammenzustürzen. Der umgekehrte Census in England für die Abkömmlinge der normannischen Eroberer, die Lords, die Aristokratie, für den großen Grund- und Geldbesitz führt zu demselben Ergebnisse. England und Amerika arbeiten sich einem absolutistischen Attila in die Hände, der wahrscheinlich als „Gottesgeißel“ wirthschaften und die Staats- und Communal-Tempel von Wucherern und Wechslern, von dem altersschwachen, aristokratischen und dem plebejen, „scrophulösen Gesindel“ reinigen wird, um einer schöneren, freiern Entfaltung socialer und politischer Zustände Platz und Stelle zu verschaffen. Man braucht deshalb in unsern Andeutungen keine Schwarzsehkunst zu vermuthen. Uebrigens lasse ich Thatsachen reden.

Die Wahlberechtigten des allgemeinen Wahlrechts treten in New-York am Exclusivsten auf. Der Census zu Gunsten organisirter Banden, die unter dem Namen „Rowdies,[1] Runners, u. s. w.“ floriren, ist in New-York am Weitesten durchgeführt. Die Aristokratie des „Gesindels“ genießt hier ihre politischen Privilegien ganz unbestritten. Sie beherrscht die staatlichen und städtischen Wahlen, und da diese nicht hinlängliches Brot geben, macht sie auch in Industrie und Handel, zerschlägt gegen Pränumerando-Zahlung dem Concurrenten eines Geschäfts Fenster und Thüren, plündert jährlich 300,000 Einwanderer aus und schleppt sie concurrirenden Eisenbahn- und Dampfschiff-Compagnien in die Klauen. Außerdem treibt sie noch die Profession, Eigenthum und Leben in New-York überhaupt unsicher zu machen, und mit Allem, was die alten mittelalterlichen Ritter und Räuber keusch und verschämt in einsamen Wäldern und polizeilich nicht geschützten Kreuz- und Hohlwegen thaten. Magistrat und Polizei sind ja von ihnen gewählt und außerdem viel zu sehr mit ihrer eigenen Sicherheit, mit ihrer eigenen Amtskuhmelkerei beschäftigt, als daß sie diese zu „Stadtleuten,“ politischen Corporationen avancirten Rinaldo’s, Kohlhase’s, Käsebier’s und Guitzow’s in ihren noblen Passionen beeinträchtigen könnten.

Ich habe mir eine Stelle des „New-York Herald“ vom 28. November ausgeschnitten, welche in der Uebersetzung so lautet: „Die Unsicherheit des Lebens ist in New-York sprüchwörtlich geworden, und bei Vielen ist es schon keine Frage mehr, ob es nicht besser sei, unter der Tyrannei eines einzigen aristokratischen Despoten zu leben, statt unter den Knütteln ruchloser, schmutziger Haufen. Unsere Polizei ist die schlechteste in der Welt. Es ist notorisch, daß sie selten zu finden sind, wenn ein Verbrechen begangen worden ist, daß sie sich davon schleichen, wenn sie merken, daß sie als Arme der Gerechtigkeit zu Hülfe gerufen werden könnten. Wenn eine Bank oder ein reiches Individuum um Geld beraubt ward, finden sie es leicht wieder, weil sie dann auf gute Belohnung rechnen. Mit dem Glück und den Gliedern gewöhnlicher Bürger, von denen sie bezahlt werden, geben sie sich nicht ab. Ihr Gehalt ist neuerdings gesteigert worden, ihre Wachsamkeit nicht. Das ganze Uebel liegt in einer Nußschale, in dem verfluchten System der Politik, der Wahlen, welches seine Aeste und Zweige über alle anderen Lebenskreise ausdehnt, da die Rowdies viel Geld brauchen und von der Politik allein nicht leben können. Zerhacke die Wurzeln und der Giftbaum wird fallen!“

Das „Municipal-Reform-Comitee,“ bestehend aus den angesehensten Bewohnern New-Yorks, welches sich 1853 bildete, um die Fällung dieses Giftbaums zu versuchen oder den politischen Augiasstall zu reinigen, erließ unlängst einen Aufruf um Hülfe, worin folgende charakteristische Stellen vorkommen: „Die betrübendste Thatsache unter uns ist beinahe absolute Vernachlässigung ihrer politischen Pflichten von Seiten der Wähler von Ehre und Ehrlichkeit. Unsere politischen Beamten vom Höchsten bis zum Niedrigsten gehen aus Primärwahlen in Primärversammlungen [2] hervor, in denen verhältnißmäßig wenige gewissenlose Personen beider großen Parteien (der Whigs und Demokraten, d. h. der Centralisationsgesinnten der politischen Macht und der Separatverwaltungs-Interessenten für Staaten und Städte) durch Gewaltmittel oder Betrügereien die Candidatenernennungen und dann auch die definitiven Wahlen beherrschen. Die Niederträchtigkeit dieses Primärwahlsystems übersteigt allen Glauben. Bis vor einigen Jahren [343] standen die Primärwahlen unter der Leitung der beiden großen Parteihäupter selbst; jetzt existiren bekanntlich große wohlorganisirte Banden ehrloser Subjekte, die ihre Dienste jedem Candidaten, jeder Partei an den Meistbietenden verkaufen. Wenn eine demokratische Magistratsperson des einen Stadtbezirks seine Wiederwahl sichern will, wendet sie sich an eine whiggistische Magistratsperson eines andern Bezirks, der ihr seine Rotte unter der Bedingung leiht, daß ihr der Demokrat für seine Wiederwahl seine Rotte leihe. So werden beide wieder gewählt. Die ehrlichen Bürger, die nach Ueberzeugung stimmen wollen, müssen Gott danken, wenn sie überhaupt an den Wahlkasten herangelassen werden. Doch man hindert sie in der Regel nicht besonders, denn auch die größte Stimmenmehrheit der Unabhängigen hat nichts zu sagen. Die Wahlinspectoren stecken dann ganz offen ein paar Hände voll Stimmzettel in den Kasten, um sich die Majorität zu schaffen, oder verzählen sich oder werfen die Zettel ihrer Gegner in’s Feuer. Wo diese Mittel bedenklich erscheinen, müssen Helfershelfer ein Dutzendmal jeder unter beliebigen Namen stimmen oder man schleppt „Grüne“ herbei (nicht Wahlberechtigte) und giebt ihnen ein paar Cents für die Mühe, die ihnen zugesteckten Zettel in den Stimmkasten zu werfen. In manchen Wahlbezirken ist’s sogar schon lebensgefährlich, nicht „nach Vorschrift“ zu stimmen, weshalb die gekauften Rowdies und deren gekaufte Helfershelfer ausschließlich die politische Freiheitsbühne beherrschen, da sich alle anständigen Bürger von jeder Betheiligung an den Wahlen fernhalten. „Sauger“ und „Schläger“ machen ein Gewerbe daraus, in Verbindung mit angeworbenen Fremdenlegionen die Comitee’s in der gewünschten, bezahlten Weise zusammenzusetzen, was ihnen fast ohne Ausnahme gelingt. Sie verkaufen nicht nur ihre Stimmen den Meistbietenden, sondern auch oft an andere, minder hohe Bieter zugleich. Außerdem ist es eine bekannte Thatsache, daß die Nominations-Comitee’s (welche die „regulären“ Candidaten ernennen) eben so käufliche Artikel sind, als Vieh und Negersclaven, nur mit dem Unterschiede, daß diese nur einmal verkauft werden, während jene Wahl-Unholde sich im Handumkehren so oft verkaufen, als sie Narren zum Betrügen oder Stellenjäger finden, die sie bezahlen.

„Es läßt sich denken, was für Gesindel unter diesen Umständen an’s Staats- und Stadtruder kommen, z. B. ein bankerotter Branntweinverkäufer, der sich als Vater des Stadtviertels „five points,“ der Verworfenheitshöhle von New-York 80,000 Thaler baares Geld machte und dafür eine – Staatssenatorstelle kaufte. Der Theilnehmer eines Mordes und als solcher eine Zeit lang flüchtig, ist Mitglied des Gemeinderaths. Der Stadtverordneten-Candidat Holmes ermordete am Tage vor seiner Wahl einen Policeman. Von den vier Bürgermeister-Candidaten erwies sich einer, Fernando Wood, als sechsfach gerichtlich bestrafter Fälscher und Betrüger. Ein Herr Barker, Candidat der Know-nothings, ergab sich als derselbe, der sein Schnittwaarengeschäft, nachdem er es zum dreifachen Werthe versichert, abgebrannt hatte. Erst neulich kam es im Congreß wieder zur Sprache, daß Staatsbeamte, wenn sie ihre „auf Zeit“ erschwindelten Aemter verlassen, ihre Rechenschaftsbücher und auch den baaren Vorrath von Kasse mitzunehmen pflegen. „Die Bücher sind ihr Privateigenthum,“ sagen sie, in denen allein Rechenschaft über die mitgenommenen Gelder zu finden wäre. Thatsachen der Art ließen sich in’s Unendliche häufen. Sie reichen hin, um zu der Annahme zu berechtigen, daß irgend ein energischer, als despotischer Retter aus dieser „Freiheit“ auftretender Charakter von allen „anständigen“ Bewohnern als Heiland begrüßt werden, und so die absolute Staatsform auf einmal wie über Nacht fix und fertig erscheinen würde. Die Stimmung ist ganz danach, die ganze staatliche und sociale Maschinerie arbeitet darauf hin.

„Ich mache besonders auf ein interessantes Zeichen dieser Art aufmerksam. In Amerika finden die englischen Lordsstammbaumbücher Tausende von Käufern, und jede amerikanische Familie, die eine Verwandtschaft zehntausendsten Grades mit einer solchen Familie des „Stammlandes“ ausfindig machen kann oder auch nur im guten Glauben eine solche Verwandtschaft annimmt, lässt auf jede Seite der Kutschenthür ein großes Wappen anmalen und zwei reichbetreßte Diener hinten stehen. Jeden Tag kann man von 11 Uhr Vormittags an in Broadway Hunderte solcher Equipagen fahren und vor Conditoreien und Frühstückssälen halten sehen, in denen die Damen der guten Gesellschaft Zuflucht gegen Langeweile suchen, bis der Geld machende Mann und Vater und Gesellschaft nach Hause kommt. Diese furchtbar und lächerlich ausgebildeten aristokratischen Gelüste nähren sich nicht von republikanischen Tugenden. Sie gedeihen nur als Trabanten und Monde königlicher Sonnenpracht. Die Know-nothings sind wesentlich aristokratischen Schlages. Sie wollen eine breite Aristokratie der Eingebornen gegen die spätern Einwanderer überhaupt staatlich und social etablirt und mit Privilegien ausgestattet wissen. Nur beiläufig erwähne ich die Sympathien aller „guten“ Yankees für Rußland und die entschiedene Russenfreundschaft des New-York Herald, der Times Amerika’s, ebenso die Eifersüchtelei und Kleinstaaterei der einzelnen Staaten gegen einander, die gern demokratisch unabhängig sein möchten mit einem Staatsoberhaupte für sich. Die Hauptsache ist und bleibt und vergrößert sich: die immer unerträglicher werdende Wirthschaft der bis in’s Tiefste, Breiteste und Frechste corrumpirten republikanischen Beamten und Formen. Jeder Anständige, jeder Freie verabscheut diese Karikatur der Freiheit und steht einer „starken Regierung,“ einer Freiheit aufhebenden Gewalt aus Freiheitsliebe als einer Wohlthat entgegen.

„Wie der europäische Absolutismus als Wohlthat, als Fortschritt aus dem Faustrechte hervorging, wird die Freiheit der Fäuste und des Geldes darin auch in Amerika zu diesem Ergebnisse führen, obwohl wir annehmen, daß die allgemeine Bildung und Rührigkeit der Amerikaner, d. h. einer neuen Mischung von Europäern, Asiaten und Afrikanern auf neuem, zur Freiheit aufforderndem Boden ein Absolutismus der Freiheit, statt der Knechtschaft werden mag. Tyrannei und Despoten für die Freiheit haben wir mehrere in der Geschichte. In Amerika wird sich vielleicht der größte Held der Art als Heiland bewähren.

„Ich bin im „regierenden“ Viertel New-Yorks , den „five points“ (fünf Punkten) den „seven Dials“ (sieben Straßenecken) Londons entsprechend, gewesen. Jede große Stadt hat ihre Augiasställe des Auswurfs, der Armuth und des Verbrechens, aber diese five points haben etwas für sich: das Gefühl und Bewußtsein, daß sie herrschen und die Republik begraben. Armuth und Verbrecher sind hier stolz und frech. Sie wissen, daß sie als Rowdies oder Gehülfen derselben Fabrikanten der Obrigkeit sind. Arbeitslöhne stehen ungemein hoch, 40 bis 90 Silbergroschen täglich für bloße Handarbeit und grobe Handlangerei. Dienstboten, Tagelöhner, Handwerker, Mechaniker werden bis nach Californien hinüber über viele Tausende von Meilen stets gesucht und jeder Gefundene mit Gold aufgewogen. Die „Fünfpunkter“ sehen mit stolzer Verachtung aus ihren Schmutzhöhlen und Lumpen auf diese Noth der Industrie und des Ackerbaues herab: sie leben vom „allgemeinen Wahlrecht“ und in den Zwischenpausen von allerlei aristokratischen Passionen und Prokliken, von ihrem Witz und der Flasche. Ihr Witz ist praktisch und bewährt sich in allerlei Gaunerei, Diebstahl und organisirter Gewaltthat. Sie bestehen aus allen Nationen, haben aber alle eine besondere Bruderliebe für Einwanderer, denen sie zum Theil entgegenfahren, um sie gleich auf dem Schiffe so fest zu umarmen, daß sie nicht eher wieder loskommen, bis der letzte Groschen heraus ist. In diesem großartigen Betrugs- und Ausplünderungssystem ist Methode und Organisation. Im Durchschnitt kommen täglich tausend Einwanderer in New-York an (1853 über 370,000), diese müssen gegen 10,000 Bewohner der „fünf Punkte“ und eine Menge „solide“ Leute außerdem ernähren. Die Hudson- und Erie-Kanal- und eine Menge Eisenbahn-Compagnien bezahlen Tausende von Rowdies zum Einfangen von Einwanderern, die dann natürlich nicht nur das ausgelegte Geld ersetzen, sondern auch die Compagnien ernähren müssen. Unabsehbare Massen von Grog-Kneipen, Bier- und Logirhäusern, Kellern und Läden drängen sich in engen Gassen um die Bollwerke, auf denen die Einwanderer in einem unabsehbaren Gewirre von Kindern, Kisten, Kasten, Tonnen, Schiffen, Booten und Kähnen, von deutschen, irländischen, englischen, schottischen, französischen und amerikanischen Brüdern aussteigen. Verwirrt und blaß mit ellenlangen Bärten, beladen mit Kindern und Karren und unendlichen Massen Gepäck suchen die deutschen Bauern vergebens festen Fuß zu fassen. Drei- und vierfach werden sie gepackt und hin- und hergezerrt, daß sie dahin, dorthin sich wenden, mit dem Schiffe, dem Dampfboote, der Eisenbahn fahren und zunächst hier, nein da, dort logiren sollen. Wohin er sich auch wendet, von allen Seiten lauert schamloses Raubgesindel auf seine lebenslang mühsam zusammengescharrten und Jahre lang in Strümpfen und Töpfen versteckt gehaltenen Thaler.

[344] „Sobald ein Schiff von den „Narrows" (der engen Meereszunge zwischen Staten Island und New-York) auftaucht, rüsten sich die „Runners" (die gemietheten Einfänger von Auswanderern) zu einem Ausfall auf ihre Beute. So wie das Schiff vor Staten Island Anker wirft, beginnt die Verauctionirung der Passagiere. Muß das Schiff Quarantaine halten, kommen die Runners mit kleinen Dampfbooten heran und nehmen die (vom Kapitain) gekauften Passagiere in Empfang, um sie nach New-York zu bringen. Dies thut der Runner großmüthig auf eigene Kosten, nachdem er dem Kapitain 100 bis 300 Dollars Kaufgeld bezahlt hat. Außerdem verkauft er an die Ankömmlinge, die gleich weiter wollen, Eisenbahn- oder Dampfschiff-Billets giltig auf Hunderte und Tausende von Meilen, unter dem Preise, d. h. Billets zweiter Klasse für eine Tour von zehn Meilen zu dem dreifachen Preise erster Klasse für Tausende von Meilen, so daß der Betrogene auf der nächsten Station erst das wahre Billet kaufen muß, wenn er dort von Beamteten-Billetverkäufern nicht wieder betrogen wird. Aber wenn er sich nicht betrügen lassen will? So bekommt er Hiebe von knochigen Fäusten, außerdem wird sein Gepäck einbehalten; zuweilen wird er auch von einem „Retter“ erlös’t, der ihn in ein Lagerhaus bringt, wo er für beide Freunde (denn Retter und sein Feind sind Compagnons) mit bezahlen muß.

„Die Billetverkaufsverschwornen hängen nicht selten mit den meisten deutschen und englischen Häfen zusammen und stehen in Rechnung mit einander, so daß es keine Rettung gegen Betrug giebt, wenn der Auswanderer nicht wie ein Fels im Meere steht und jeder angebotenen Gefälligkeit, jedem menschenfreundlichen guten Rathe ein stocktaubes Ohr entgegenhält, nöthigenfalls auch einen geladenen, sechsläufigen Revolver. Zwischen Löwen und Tigern kann er auf Menschenfreundlichkeit rechnen, unter den entzückten Brüdern und Landsleuten im Hafen von New-York nicht.

„Der einzige gute Rath, den man als wirklich praktisch geben kann, ist: Kaufe nur immer ein Billet für eine bestimmte Eisenbahn, eine Schiffstour derselben Compagnie. Ferner: Belade dich nicht mit Kisten und Kasten, die dich auf jedem Schritte hindern und dich unfehlbar aus einer Gaunerkralle in die andere werfen. Der alte Plunder in den Kisten und Kasten, den besonders Bauern und ärmere Leute mit sich herüberschleppen, muß zehn-, zwanzigfach theuerer bezahlt werden, als wenn du dir dieselben Sachen an Ort und Stelle neu kaufst. Welche Jammerscenen hab’ ich gesehen, blos weil die Leute mit großen Kisten und Kasten an’s Land stiegen. Da saßen sie auf ihrem alten Plunder, unfähig, nur einen Schritt zu gehen, auf den Kasten genagelt, von Raubvögeln umkreis’t zu Fuß und mit Droschken und erbötig, die kostbare Last für zehn Dollars zwölf Schritte weit zu schaffen oder sie umsonst in dieses oder jenes wohlfeile Gasthaus zu liefern, wo der Kasten sofort Pfand für die fabelhafteste Rechnung wird.

„Verkaufe Alles, was du hast, ehe du auswanderst und streiche das Geld ein. Mußt du durchaus ungewöhnlich viel Gepäck mitnehmen, stecke es nie in einen Kasten, sondern allemal nur in eine gute, starke, runde Tonne, welche du mit Spaß vor dir hinrollen kannst. Noch praktischer ist der Rath, gar nicht mehr über New-York einzuwandern, sondern einen weniger räubervollen, nördlicheren Hafen zu wählen, da die Eisenbahnverbindungen im Innern fast jede Gegend im Fluge erreichbar machen.

„Von New-York kommt man selten unmittelbar nach der Ankunft weiter. So fällt fast jeder in die Räuberhöhle eines Logirhauses, in welchem unlängst ein Engländer mit Mutter, Bruder und Tochter für zwei Tage 184 Dollars, d. h. viel über 200 Thaler bezahlen mußte! Wer durchaus übernachten muß, gehe in ein gutes, anständiges Hotel mit gedruckten, festen Preisen, wo Jeder seine Rechnung gleich vorher machen kann. Der glänzendste Palast in Broadway ist nicht so theuer, als die finstere Spelunke an den Quais unten.

„Aus dem Logirhause wird der Einwanderer auf eine Eisenbahn oder in ein „wohlfeileres“ Dampfboot geschwindelt. Sein Plunderkasten wird gewogen und behalten, bis er die haarsträubendste Summe Fracht dafür bezahlt hat. Der „Runner“ giebt ihm ein „wohlfeileres“ Billet für’s Deck nach Albany, welches doppelt so viel kostet, als eins für die niedrigste Kajüte. Die unglücklichen Opfer bringen, wie Schafe unter freiem Himmel zusammengehuddelt, eine schreckliche Nacht bis Albany zu, während die Kajüten-Passagiere in der weichsten Koje für ein Drittel des Preises ganz comfortable schlafen. In Albany werden sie wieder in ein Logirhaus maltraitirt und des Morgens nach dem „Westen“ in schmutzige Eisenbahnwaggons so dicht verpackt, daß regelmäßig mehrere unterwegs sterben und ohne Testament die Eisenbahn-Compagnie als lachende Erben hinterlassen. So gehen sie wie ein Stück Metall in der Hand des Drahtziehers, immer dünner werdend, ihre Linie entlang, nicht selten versponnen und ausgezogen bis auf den letzten Cent, ehe sie den Ort ihrer Bestimmung erreichen, blos reich an Erfahrung von der Schönheit republikanischer Tugend, Freiheit und Gesetzlichkeit.

„Ein Gesetz gegen die Runners und Rowdies giebt es nicht, weil sie über dem Gesetze stehen, über den Beamten – „ihrer Wahl.“ Der Runner ist ein Ungethüm (um eine Stelle der „New-York Tribune“ zu citiren), welches kein Feuer verbrennen, kein Strick hängen, kein Wasser ersäufen will, ein Kerl mit Eisenhämmern statt der Hände, mit Muskeln, zu stark für einen Bullen. Als solcher erntet er von seinem Arbeitgeber 30 bis 180 Dollars wöchentlich, außer den „Sporteln“, die er auf eigene Rechnung aus seinen Opfern heraushämmert.

Es sind jetzt „strenge Gesetze“ zu Gunsten der Einwanderer und gegen Anhäufung und Beschwindelung derselben in New-York unterwegs. Die Gesetze sind entweder ohnmächtig, oder es müssen Gewaltmaßregeln an die Stelle der jetzigen „freien“ Beamten und ihrer „Wähler“ treten. Also ein Schritt zu strenger „Regierung“ oder vorläufig Fortsetzung dieser Freiheit.

Ein anderer, häufiger Schwindel gegen Ankömmlinge besteht in Ausposaunung der vortheilhaftesten Beschäftigungen. So machten unlängst die braven deutschen Brüder Rosenstein und Thalheimer, Nr. 421 Broadway, in allen Zeitungen bekannt, daß 400 Arbeiter à 9 Schillige (3 Thaler) täglich gesucht würden. Die deutschen Brüder und Ireländer strömten hundertweise zu diesen Wohlthätern der Menschheit und bezahlten Jeder die verlangten 2 Dollars 50 Cents für Passagiergeld nach dem gelobten Lande. Sie wurden für 1 Dollar 60 Cents à Person mit der Eisenbahn nach Lockawaxen geschickt, wo täglich die drei Thaler zu verdienen sein sollten. Dort kehrte ihnen Jeder den Rücken. Niemand hatte etwas zu thun für die armseligen Leute. Einige machten eine Rückfahrt möglich, klagten beim Lordmayor, der die beiden deutschen Juden sofort verhaften ließ, jedoch ohne daß Jemand seitdem ein Wort von deren Verurtheilung vernahm.

Noch einen guten Rath. Kein Mittel ist absolut sicher gegen die privilegirten Gauner- und Räuberbanden, wohl aber eins, welches für die die ganze Welt gilt. Es besteht darin, ohne einen Pfennig in der neuen Welt auszusteigen, ohne Pfennig und krank dazu. In diesem Falle kommt der Unglückliche in die Hände von Menschen, der Emigrations-Commissionäre, deren Wohlthätigkeit und Aufopferung allgemein gerühmt wird, nur daß ihre Mittel jetzt nicht mehr ausreichen dem furchtbaren Elend gegenüber, das sich jetzt in New-York dichter und schrecklicher als je zusammendrängt, da die periodisch wiederkehrende große Geldkrisis jetzt ungeheuere Summen aus dem Verkehre zurückschreckt und Tausende von Arbeitern, die sonst im Lande nirgends hinreichen, brotlos macht. Tausende leben in New-York von Almosen, obgleich 1853 nicht weniger als 20,000, und im vorigen Jahre über 25,000 Auswanderer der alten Welt nach Europa zurückkehrten.

Wer durchaus auswandern muß, der bleibe lieber wo möglich noch ein Weilchen zu Hause, um sich’s noch einmal zu überlegen, und dann, wenn’s durchaus nicht länger auszuhalten sein sollte, gehe er nach dem deutschen Westen über Philadelphia, oder auch über Boston, für Canada über den besten, ehrlichsten, wohlfeilsten und am Schnellsten befördernden aller Häfen, Portland, wohin jetzt gute Dampfschiffe für Passagiere erster, zweiter und dritter Kajüte monatlich mehrmals von Liverpool abgehen.

So eben hat mich ein „deutscher Bruder“, frisch aus dem Meere gezogen, besucht. Er beschäftigte sich auf eine solide Weise mit Einfangen deutsche Kapitaine den „Runners“ vor der Nase weg, um sie zu anständigen „Brokers“ (Schiffmäklern) zu bringen. So ward er den Runners bald ein Dorn im Auge. Als er nun mit einem Runner zugleich auf ein ankerndes Schiff zusteuerte, schoß letzterer heran, sprang in sein Boot und warf ihn mit einem Stoße in’s Meer. Zufällig konnte er schwimmen, so daß er sich hielt, bis ihn ein Boot herauszog.

Von „unerlaubter“ Selbsthülfe, der Pöbeljustiz, dem Lynchen, der Furcht des Gesetzes und Rechtes vor dem Pöbel, der Furchtlosigkeit [345] der „Fünfpunkter“ vor Magistrat und Polizei und sonstigen handgreiflichen Zeichen, daß die amerikanischen Republiken ohne Republikaner bestehen und daher nicht mehr bestehen können, daß die Freiheit, die Schöpfung Washington’s zur Karikatur, zur unverschämtesten Selbstsucht, zur Tyrannei Aller gegen Alle geworden ist, und dem daraus zunächst hervorgewachsenen Know-nothingismus, der faulen oder weinigen Gährung (je nach dem chemischen Produkte) zwischen Germanen- und Yankeethum später und gelegentlich.




Zum Verständniß des Kampfes vor Sebastopol.

Militairische Kleinigkeiten Nr. 3.

Die regelrechte Belagerung einer Festung besteht aus so einer Menge einzelner Handlungen, fußt auf so Vielem, was erst in der Technik und in der Wissenschaft begründet worden ist und sich entwickelt hat, daß es wohl gerechtfertigt ist, hier ein Wenig ausführlicher zu werden.

Sie besteht ihrem Wesen nach in dem langsamen, aber sichern, durch alle Hülfsmittel der Kunst unterstütztem Vorgehen des Angreifers gegen den angegriffenen Platz, in der Bemächtigung der Außenwerke, in der Errichtung verschanzter Batterien vor und auf diesen und in der Zerstörung der Vertheidigungsmittel und Vertheidigungswerke dergestalt, daß die auf das Aeußerste zurückgedrängte Vertheidigungskraft die Vertheidigung aufgiebt oder eine in den Werken erzeugte Lücke (Bresche) den Sturm ermöglicht.

Ehe der Angreifer zur Belagerung vorschreitet, unternimmt er die Berennung, wie man sagt, die vollständige Einschließung der Festung, und ist diese zweifelsohne ein wesentliches Merkmal der regelmäßigen Belagerung, da von einer solchen eigentlich nicht die Rede sein kann, so lange die zu belagernde Festung nur einseitig eingeschlossen ist und ihr eine der wichtigsten Lebensadern, die Verkehrsline nach ihren Hülfsmitteln, offen bleibt. – Die Berennung, der Blokade sehr ähnlich, besteht in der Besetzung aller zur Festung führenden Wege durch ein der Stärke der Besatzung angemessenes Truppencorps, um jedes gewaltsame Eröffnen der dieser verschlossenen Verkehrsrichtungen zu verhindern. – Je vollständiger die Abschließung, die Isolirung, einer Festung von ihren Hülfsquellen geschehen kann, um so größer wird die Wahrscheinlichkeit des Erfolges der Belagerung. Je vollständiger diese Abschließung ist, um so mehr wird der ganze Angriff den Charakter der regelmäßigen Belagerung inne halten können, in welchem nach Maßgabe des gegenseitig möglichen Kräfteaufwandes, sich Schritt für Schritt, der vom Belagerer vorwärts geschieht, im Voraus bestimmen läßt, so daß man wohl im Stande ist, unter diesen Verhältnissen eine Wahrscheinlichkeitsrechnung über den Fall einer Befestigung zu unternehmen. – Je weniger vollständig die Einschließung einer Festung geschieht, je mehr ihr also Gelegenheit bleibt, ihre Besatzung durch Nachschube von Außen zu ergänzen oder zu ersetzen, ihre Munitions- und Lebensmittel-Vorräthe zu erneuen, ihre zerstörten Geschütze gegen brauchbare auszutauschen etc. – um so weniger lassen sich die Fortschritte des Angreifers nach dem gewöhnlichen Maaßstabe beurtheilen, – um so weniger wird es aber auch möglich, die einmal errungenen Vortheile in der Art zu benutzen, wie man sie wohl bei einer vollständig eingeschlossenen, von den Geschossen des Angreifers, wie durch entstehende Krankheiten verringerten, durch den eintretenden Mangel geschwächten und von den täglichen Fortschritten des Angreifers wohl leicht entmuthigten Besatzung auszunutzen im Stande ist.

Da man wohl nie vermag, den ganzen Umfang einer Festung auf ein Mal mit Geschütz anzugreifen, so wählt man in der Regel diejenige Seite einer Festung zum Angriffe, welche als die schwächste erscheint, deren Angriff also die meiste Unterstützung in der Gestaltung der Erdoberfläche oder in der Gestaltung und dem Zustande der Festungswerke findet. – Man nennt die Seite, gegen welche der Angriff sich richtet, die Angriffs-Front, und da beim Bastionär-System mindestens ein Bollwerk und die zwei nebenliegenden Ravelins oder zwei Bollwerke und des dazwischen liegende Ravelin angegriffen werden, so bezeichnet man diese ebenfalls [346] gewöhnlich als solche. Die auf der Angriffs-Front befindlichen Geschütze zu zerstören ist nun einestheils, die Erzeugung einer gangbaren Sturmlucke anderntheils das Bestreben des Angreifers. Um mit möglichst wenigen Verlusten allmälig bis in und auf die Festungswerke selbst zu gelangen, bedient er sich flüchtig aufgeworfener Schanzen von Erde, welche von Tag zu Tag, von Nacht zu Nacht dem Vertheidiger und seinen Werken näher rücken.

Hat der Angreifer seine größeren und kleineren Depots an Materialien, Handwerkzeug etc., die Parks seiner Geschütze, seine Munitionsvorräthe aufgestellt, so beginnt er die Arbeiten. Erscheint es ihm nothwendig, diese ersteren und mittelbar hierdurch den ungestörten Fortgang der letzteren durch besondere Befestigungsarbeiten zu schützen, so legt er sogenannte Circumvallationslinien zum Schutze derselben gegen Angriffe von Außen, z. B. durch ein Entsatzcorps an. – Die Befestigungen im Rücken der Alliirten, vom Dorfe Kadikoj sowohl auf dem Plateaurande nach Inkerman zu, als auch die östlich von demselben liegenden Verschanzungen zur Sicherung Balaklava’s und seiner Verbindung mit der Armee sind nicht anders zu betrachten, als eine aus einzelnen Werken bestehende Circumvallation. – Der Verlust zweier der östlich von Balaklava liegenden Redouten bedrohte daher die Verbindung der Alliirten mit ihrem Depot und mit ihren Schiffen auf das Ernsteste, und hieraus wird wohl erklärlich, warum die Russen so bedeutende Anstrengungen machten, auf dieser Seite noch mehr Fortschritte zu machen. – Fürchtet der Angreifer besonders starke und nachdrückliche Ausfälle der Besatzung, hauptsächlich gegen seine Materialiendepots, Parks, Munitionsvorräthe etc., so verstärkt er diese durch besonders zu ihrer Vertheidigung angelegte Werke, welche man insgemein als Contravallationslinien bezeichnet. Wenn es auch nicht mehr Brauch ist, die ganze Front des Angreifers mit einem Schanzengürtel umschlossen zu sehen, so verabsäumt derselbe jedoch nie, seine Vorräte etc. gegen jedes Mißgeschick auf das Sorgsamste zu verwahren (siehe Abbildung). *[3]

Von der Stellung der Belagerungs-Armee führen Verbindungswege nach den Belagerungsarbeiten.

Ungefähr 150 Ruthen (1300 Ellen) vom Fuße des Glacis wird in einer Nacht, nachdem die nöthigen Vorbereitungen dazu getroffen sind, ein den halben Umfang der Festung in weitem Bogen umschließender Verbindungsweg der einzelnen Angriffsarbeiten angelegt, welchen man die erste Parallele nennt, weil er ungefähr parallel mit dem äußersten Umfassungskreise der Befestigung geht.

Eine jede Parallele besteht aus einem hinreichend breiten, um einige Fuß in die Bodenoberfläche eingesenkten Wege, der dadurch die nöthige Deckung gegen feindliche Geschosse erhält, daß man das gewonnene Erdreich nach der Festung zu aufwirft und so eine mehr oder weniger kunstreiche Brustwehr erhält, die im Nothfalle auch von Infanterie vertheidigt werden kann.

Von der ersten Parallele geht der Angreifer auf den Capitallinien der angegriffenen Werke mittelst der Sape vor. Versteht man hier unter Capitale diejenige Linie, welche die Theilung durch die Spitze desselben bezeichnet, so versteht man andererseits unter Sape alle diejenigen Erdarbeiten, welche Fuß für Fuß vorrücken und unter steter Deckung gegen das feindliche Feuer vom schmalen Graben bis zum geräumigen Verbindungswege sich erweitern. Die Sape, deren verschiedene Gattungen durch entsprechende Beiwörter als flüchtige, halbe, völlige Sape etc. bezeichnet werden, wird von besonders dazu eingeübten Soldaten, den Sapeuren, z. B. dergestalt[WS 2] errichtet, daß der vorderste Sapeur unter dem Schutze eines großen Rollkorbes einen 11/2 Fuß breiten und eben so tiefen Graben aushebt, und die Erde aus selbigem nach der feindlichen Seite zu wirft. Der zweite, dritte und vierte Sapeur erweitern und vertiefen diesen Graben jeder um sechs Zoll, so daß derselbe drei Fuß breit und tief wird und durch die aufgeworfene, an der innern Seite durch aufgestellte Schanzkörbe verstärkte Brustwehr vollständig gedeckt ist. Bei dieser Sape ist es allerdings nothwendig, daß vorher der größere Theil der Festungskanonen zum Schweigen gebracht, da außerdem die anfangs nur schwache Brustwehr zu wenig Schutz gewähren würde.

Noch ist zu erwähnen, daß man die Sape in gebrochener Linie, im Zickzack führt, um keinen Theil derselben einer Seitenbestreichung durch das feindliche Feuer auszusetzen.

Die Parallelen, auch Laufgräben oder Tranchéen genannt, von denen nach hinreichendem Vorschreiten der Sapen eine zweite, am Fuße des Glacis eine dritte und häufig noch zwischen diesen eine halbe errichtet werden, nehmen die Artillerie auf, welche die vorliegenden Festungswerke beschießen, die Infanterie, welche den Gang der ganzen Arbeit gegen die Ausfälle der Belagerten decken soll.

Die in der ersten Parallele errichteten Batterieen sind die Rikochettbatterien. Sie liegen in der Verlängerung der einzelnen angegriffenen Linien und sind bestimmt, ihre Geschosse in höheren, kurzen Bögen zu schleudern, so daß dieselben die auf den Wallgängen befindlichen Traversen überspringen und die dazwischen stehenden Geschütze zerstören oder unbrauchbar machen.

In die zweite Parallele legt man die Demontirbatterieen. Fassen die Rikochettbatterien die angegriffenen Geschütze von der Seite, so greifen sie diese in der Front an; bestehen die ersteren meist nur aus drei Geschützen, so zählen diese meist acht; schleudern die ersteren meist Hohlgeschosse, so schießen diese Vollkugeln von 24 und mehr Pfunden Gewicht. Die Demontirbatterieen schießen gegen die feindlichen Scharten und zerstören diese wie die hinter ihnen aufgestellten Geschütze.

In der dritten, wie auf den Kapitalen in der ersten und zweiten und in den halben Parallelen werden Mörserbatterieen angebracht, um den inneren Raum der angegriffenen Werke mit Hohlgeschossen zu überschütten.

Ist der Angreifer bis an das Glacis vorgedrungen, so bemächtigt er sich desselben, um auf seinem Kamme die Breschbatterieen anzulegen. Sie liegen den angegriffenen Werken, nur durch den Graben getrennt, gegenüber, und bringen die Geschütze derselben vollends zum Schweigen, während sie zu gleicher Zeit den Wall derart durch ihre Geschosse zerstören, daß der Sturm desselben möglich wird.

Oft zwingen die Anstalten des Vertheidigers, die Abschnitte in den Werken, zu Wiederholung des Grabenüberganges und zu erneuter Errichtung von Breschbatterien auf den eroberten Werken. Doch wie sich der Angegriffene auch sträube, wie er durch immer neue und kräftige Ausfälle die Arbeiten des Belagerers zu zerstören, seine Fortschritte aufzuhalten suche: ihm fehlt der Ersatz an Mannschaften, Geschützen, Munition und Lebensmitteln, und wenn er nicht so viel Zeit durch seine hartnäckige Vertheidigung gewinnen kann, daß Entsatz von Außen ihm komme – – die Hülfsmittel des Angreifers sind bei der regelmäßigen Belagerung denen des Vertheidigers dergestalt überlegen, daß sich nach dem Verluste des Glaciskammes der Zeitpunkt wohl berechnen läßt, bis zu welchem eine Festung noch Widerstand zu leisten vermöge.

Angriff und Vertheidigung von Festungen haben durch Anwendung der Minen ein Element in sich aufgenommen, welches die Hartnäckigkeit, das Furchtbare in der äußern Erscheinung beider nicht wenig steigert. Zu dem Kriege über der Erde gesellt sich ein Kampf, der oft in den Minengängen schon blutig genug wird, dessen Hauptäußerung aber sich in Explosionen kund giebt, welche ganze Werke zerstören, riesige Gebäude in Schutthaufen verwandeln, und Hunderten von Menschen das Leben kosten.

Noch haben vor Sebastopol wenig Minen gespielt. – Aber diesem Kampfe, welcher in seiner ganzen Entwickelung alle Hülfsmittel der Kriegskunst aufbietet, um einestheils die Zerstörung und Einnahme dieses Waffenplatzes zu erringen, anderntheils sie auf’s Nachdrücklichste zu verhindern, wird es auch nicht an dieser Erscheinung fehlen, so wie die Arbeiten der Belagerer dem Kamme des Glacis näher rücken. – In dieser letzten Periode pflegt der Vertheidiger alle seine Hülfsmittel aufzubieten, um die Besitznahme, das Logement auf dem Glacis, zu verhindern und zu verzögern. – Der Kampf um Sebastopol hat schon Hunderttausende verlangt; es werden keine geringen Opfer sein, die noch von beiden Seiten werden gebracht werden, ehe die Stunde der Entscheidung schlägt.

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Blätter und Blüthen.

Ausgesuchte Rache. In den vierziger Jahren lebte unter den Linden zu Berlin ein gelehrter Doctor und Hofrath, der, schon von jeher eine notorisch-komische Berühmtheit, plötzlich durch seine Heirath und deren Entwickelung auf ein paar Tage ausschließliches Stadtgespräch ward. Er hatte eine unermeßlich reiche Erbin aus Amerika geheirathet, die expreß nach Berlin gekommen war, um den berühmten Hofrath zu fangen. Sofort nach der Trauung war sie mit Hinterlassung einiger Papiere verschwunden. Die Papiere sagten, daß sie eine von einem Engländer gekaufte liederliche Person sei, expreß gesandt, um den Hofrath auf ewige Zeiten lächerlich und moralisch todt zu machen. Der Engländer hatte nämlich bei seiner Abreise von Berlin seine Geliebte dem Hofrath anvertraut und ihm für sie und deren Kind Jahre lang Geld geschickt, nachdem letzterer ihm die glückliche Entbindung der Geliebten gemeldet. Nachdem der Hofrath Jahre lang Berichte über die Geliebte und die herrliche Entwickelung des Kindes eingesandt und dafür die regelmäßig einlaufenden Geldsummen empfangen hatte, erfuhr der Engländer, daß die Geliebte bei der Entbindung mit sammt dem Kinde gestorben sei. Die Rache des Engländers bestand in der Heirath des Hofraths, die ihn aus Berlin trieb. Dies war eine ausgesuchte Rache. Noch künstlerischer und kostbarer war die eines andern Engländers, den noch ganz Paris durch die Opernguker bewundert, so oft er in seiner Loge der großen italienischen Oper erscheint, obgleich er dort Stammgast ist. Er gilt für einen großen Kunst-, besonders Gemäldekenner. Zu diesem Rufe kam er besonders durch die Art, wie er sich an einem Künstler rächte. Er war einer von jenen beduinenartigen Engländern, die in allen ersten Hotels Europa’s zu finden sind, wenn sie der Abwechselung halber nicht einmal in Aegypten, Indien, China oder am Cap der guten Hoffnung reisen. Er reis’te stets und zwar immer mit seiner jungen, schönen Frau, die um so reizender und liebenswürdiger erschien, da sie ihre jugendliche Heiterheit, Schönheit und Lebenslust neben ihrem glatten, steifen, kaltblütigen, trockenen, gemessenen, vornehmen Gatten entwickelte. In Rom wurde das englische Paar mit einem deutschen Maler bekannt, der als praktischer Künstler und Kunstkenner berühmt war. Er erbot sich, dem Paare als Cicerone durch die reichen Kunstschätze zu dienen. So verbrachten sie manche Stunden, Tage und Wochen zusammen im Museum des Capitols, im Vatikan, im St. Peters-Dom und in den Umgebungen Roms, wobei sich die persönliche und geistige Ueberlegenheit des Künstlers über den in Vornehmheit und Etikette eingesteiften Engländer so sehr herausstellte, daß die Frau desselben unwiderstehlich zu ihm hingezogen ward, zumal da er selbst zu ziehen verstanden haben mag. Erst nach manchen Monaten überzeugte sich der Engländer von der Untreue seiner Frau, nahm von dem Maler mit den Worte: à revoir! (auf Wiedersehen) Abschied, kehrte nach England zurück und lieferte seine Frau höflich und galant in dem Hause ihrer Aeltern ab, nachdem er ihr höflich und galant seine in Rom gemachte Entdeckung mitgetheilt hatte. Sofort verreis’te er wieder nach Deutschland, Rußland, Italien u. s. w., ohne jemals etwas Anderes zu besehen als Gemälde, ohne etwas Anderes zu thun als Gemälde zu kaufen. Nachdem er dieses Geschäft zwei Jahre lang getrieben, begab er sich wieder in einem ziemlichen Fuder von Gemälden nach Rom, suchte den Maler auf und verlangte Genugthuung von ihm.

Der Engländer hatte als der beleidigte Theil die Wahl der Waffen und forderte ihn auf Pistolen. Die Herausforderung ward angenommen und Tag und Ort des Duells festgesetzt. Mit dem ersten Schusse zerschmetterte der Engländer seinem Gegner das Handgelenk der rechten Hand dermaßen, daß sie ihm[WS 3] amputirt werden mußte. Nach dieser Operation erschien der Engländer wieder, ohne sich abweisen zu lassen und sprach:

„Sie denken vielleicht, daß damit meine Rache befriedigt sei. Aber dann unterschätzen Sie die entsetzlichen Qualen, die Sie mir bereitet, sehr. Mein zerstörtes Herzensglück verlangte mehr. Ich habe Sie zu einem Leben ewiger, vergeblicher Reue verdammt, zu einem lebendigen Tode als Künstler, zur ewigen Qual über Ihren ausgelöschten Ruhm.“

„O, nein!“ antwortete der Künstler, „den Ruhm meiner Madonna in Petersburg, meines Luther in Berlin, meiner Flucht nach Aegypten in Paris, meiner –“

„Genug,“ unterbrach ihn der Engländer, „ich habe hier eine Liste aller Ihrer Gemälde. Ist sie vollständig?“

„Ja,“ sagte der Maler nach Ueberblickung der Liste, „selbst bis zu dem letzten Gemälde, das ich kurz vor dem Duell vollendete.“

„So dachte ich selbst. Ich war sehr gewissenhaft,“ antwortete der Engländer. „Ihre Gemälde sind alle mein. Ich habe sie sämmtlich aufgekauft, um über Ihren Ruhm als über mein rechtmäßiges Eigenthum nach Belieben zu verfügen. Es beliebt mir nun, alle Ihre Gemälde sofort zu verbrennen, damit keine Spur von Ihrer Wirksamkeit als Künstler übrig bleibe, damit sie auf ewig aus der Reihe der berühmten Namen gestrichen bleiben. Von Ihrer Hand soll eben so wenig übrig bleiben als von der fleischlichen Hand, die ich Ihnen zerschmetterte, so daß sie amputirt werden mußte.“

Der Künstler bat vergebens um Gnade. Der vor Jahren beleidigte Gatte war so unversöhnlich, als hätte er die Entdeckung von dem Liebesverhältnisse eben jetzt erst gemacht. Nach zwei Stunden brachte der Diener eine große Urne voll Asche mit einem kurzen Briefe, welcher meldete, daß die Urne Alles enthalte, was von seinen Gemälden übrig sei.




Windstille mit Tragödie. Schrecklich sind Stürme auf dem Meere, aber bei Weitem entsetzlicher ist ein Feind auf den tropischen Gewässern, die Windstille. Wenn sie sich um Segelschiffe lagert und es auf dem flüssigen Elemente unter den gerade herabglühenden Sonnenstrahlen festnagelt, die letzten Reste des Wassers und dann das Blut und Mark in den Menschen ausdörrt, ohne daß sich Jemand schützen und wehren kann, dann erreicht die Grausamkeit der Natur ihren höchsten Grad, von dem man sich kaum in der brennendsten Sandwüste Afrika’s einen Begriff machen kann. Von einem Journale eines unlängst nach England zurückgekehrten Schiffes entnehmen wir eine Skizze solcher Windstille, welche eine der einfachsten aber entsetzlichsten Tragödien einschließt.

Das Schiff lag glühend auf dem Wasser, das von Unten heiß emporathmete, während die Sonne sengend herabschoß. Es lag bewegungslos auf der glühenden, festen Platte des Wassers seit drei Tagen und Nächten. Niemand konnte mehr in den üblichen dünnen Schuhen über das Deck gehen: es brannte durch. Der Pech- und Oelanstrich war in harten Zacken und Splittern aufgesprungen, und die Verpichung zwischen den Planken mußte durch forwährendes Begießen gehalten werden, da sie überall herauszuschmelzen drohte. Das Trinkwasser in den Fässern unten war zu einem zähen Leim zusammengetrocknet und so geschwunden, daß auch Besorgnisse wegen dieses Labsals laut wurden. Auf dem Meere hatte sich eine dicke Haut gebildet, welche nur hier und da von den umherlauernden Hayfischen zerrissen ward. Sie warteten, wie die Matrosen steif und fest behaupteten, auf einen Jonas, auf ein Opfer, das ihnen vom Schiffe bestimmt war. Zwei Seegänse (Albatrosses) waren hoch über dem Schiffe schwebend entdeckt worden. Diese galten ihnen als Vorboten der Erfüllung dieser Bestimmung. Merkwürdig genug, daß sie in ihrem Aberglauben auf eine furchtbare Weise bestärkt wurden. Ein junger, heiterer, vornehmer Engländer, einer von unseren Kajüten-Passagieren, der von England, wo er seine „Erziehung“ geholt, um zu seinen Aeltern zurückzukehren, hatte einige Tage vorher zwei Möven in weiter Entfernung geschossen und getroffen. Möven sind für unsere Matrosen eine Art Heiligthum. Sie sagten daher, der junge Engländer werde von den Hayen erwartet, er sei ihnen bestimmt und verfallen.

So lange wir uns noch leidlich auf den Beinen fühlten, machten wir verschiedene Versuche, eins der größten Scheusale des Meeres, einen Hay, zu fangen, aber vergebens. Nur ein Matrose, der oben die Wache hatte, machte am dritten Tage noch einen Versuch, ein solches Ungethüm mit einem großen Stück Schweinefleisch an einem ungeheuern Haken zu tödten. Das Fleisch lag etwa 20 Yards vom Hintertheile des Schiffes. Plötzlich schrie der Matrose, daß sich ein Hay nahe. Wir stiegen hinauf zu ihm und sahen das lange Ungeheuer mit seinem langen, schwarzen, dünnen Schweife in dem dicken Wasser spielen. Zuweilen erhob es sich bis drei Fuß über das Wasser empor mit seinen scheußlichen, weiten Rachen gappend. Offenbar merkte er aber, daß mit dem von ihm gewitterten Bissen Gefahr verbunden sei. Er schlang sich drum herum, steckte seine scheußliche Nase heraus, um zu wittern und wand sich dann in verschiedenen Bogen immer wieder durch den grauen Schlamm. Endlich siegte seine natürliche Verschlingungswuth; er stürzte sich auf das Fleisch mit blitzartiger Schnelligkeit, schoß aus dem Wasser, warf sich auf die Seite und zeigte zum ersten Male seinen ekelhaft grauen Bauch und den unbeschreiblich großen, grauenhaften Rachen mit dem bedeutend kürzeren Unterkiefer. Diese Verkürzung ist wahrscheinlich der Grund, weshalb der Hay seine Beute stets in ganz eigenthümlicher Manier ergreift, dadurch, daß er sich auf die Seite wirft, und entweder von Unten oder Oben seitwärts zubeißt. Er stürzte sich von Oben über das Fleisch, schnappte, daß das Wasser weit umher spritzte und verschwand. Der Schmerz von dem verschlungenen Haken trieb ihn wieder in die Höhe; er schlug mit furchtbaren Krämpfen umher, und blitzte zackig durch das dicke Wasser. Wir versuchten ihn heranzuziehen, aber er hatte noch zu viel Kraft, als daß wir es ernstlich hätten wagen können. Das Tau war ziemlich schwach, er konnte es gar zu leicht zerreißen (wie er auch nachher es wirklich that). So ließen wir ihn noch eine Zeit lang kämpfen und sahen mit Erstaunen, daß er zu der größten, furchtbarsten, gefräßigsten Species gehörte, und nicht unter 18 Fuß Länge sein konnte.

Jetzt konnte sich der junge Engländer, Mr. Willis, nicht mehr halten. Er bestand darauf, daß er ihm, nach Art der Grönland-Wallfischfänger, den coup de grace, den Todesstoß, mit einer Harpune versetze. Der Kapitain warnte ihn und verweigerte ihm endlich das Boot. Dadurch nur noch mehr gereizt, lief Willis mit einer mächtigen Harpune auf den Besanmast-Gang hinaus und wartete mit hochausholendem Arme auf das nächste Auftauchen des Hay’s. Dieser näherte sich, Willis erhob sich mit aller Kraft, und die Harpune sauste wie ein Pfeil aus seiner Hand. Eine von den gewöhnlichen, blitzartigen, elastischen Schwenkungen, die sein Feind in diesem Augenblicke machte, nahm der Waffe ihre Macht; sie verletzte ihn, traf ihn aber nicht in’s Innere. Willis hatte mit solcher Leidenschaft geworfen, daß ihm dabei das Gleichgewicht verloren gegangen war. Er schwankte und graspte eine Zeit lang umher, um sich irgendwo anzuhalten, wurde aber dadurch nur unsicherer und stürzte mit einem furchtbaren Gekreisch hinunter in’s Meer, dicht neben dem jetzt noch wüthender gewordenen Ungethüme. Der Schrei setzte sich durch’s ganze Schiff fort, ein Tau ward sofort zu ihm hinabgeschleudert und zugleich ein Boot hinuntergelassen und bemannt. Willis hatte das Tau ergriffen und ward in die Höhe gezogen, aber vor Schrecken erstarrt, ließen die ziehenden Matrosen nach, als der Hay gleichsam auf dem Wasser sich festsetzte, wie ein Tiger zum Sprunge, und mit einem furchtbaren Satze ganz aus dem Wasser heraus nach seiner Beute sprang. Willis, am Taue hängend, stieß den durchdringendsten Schmerzensschrei aus, der Hay fiel mit einem weit umherspritzenden Geräusch in’s Wasser zurück, auf dessen aufspritzende Wellen das Blut des Unglücklichen dick herabschoß. Es hing nur noch ein Stumpf an dem Taue. Beide Beine waren ihm von oberhalb der Knieen abgerissen. Wir sahen ihn in Convulsionen und tödtlich erblassend noch ein Paar Secunden sich festklammern, doch seine Kraft strömte rasch aus, sein Schrei verstummte, er fiel in’s Meer zurück und verschwand zwischen dessen blutgefärbten Wellen. Ein Gurgeln unten, ein [348] furchtbares Aufklatschen des Hay’s, und Jeder wußte, was geschehen war. Die Matrosen im Boote bemerkten bald in einiger Entfernung blutiges Aufquellen. Sie überzeugten sich bald, was es war: etwas menschliche Eingeweide, Alles, was von dem jungen, reichen, hoffnungsvollen, übermüthig gesunden Willis übrig geblieben war.

Die Matrosen blickten sich gedankenvoll an und wetteten, daß nun die Hitze und die Windstille bald weichen würden. Das Schicksal habe nun seinen Willen, die Möven und das Meer hätten ihr Opfer bekommen und seien nun zufrieden. Noch in derselben Stunde erschienen leichte Kreiselchen und Wellen von ferne auf dem weiten Meeresspiegel, Federn und Haare in die Luft gehalten, bewegten sich, es wurde kühler und kühler, die matten Segel fingen an, erst sich oben, dann weiter unten zu schwellen, das Schiff bekam Steuerkraft und noch an demselben Tage schnitten wir durch klare, lustig plaudernde Wogen, fern von dem blutigen, heißen, stillen Sumpfe, der das Schiff Tage lang umlagert hatte. Die Matrosen sind seitdem die stärksten Fatalisten und behaupten, daß sie weder Windstille noch Sturm, noch irgend ein Unglück fürchten, da keine Macht der Erde ihnen etwas anhaben könne, wenn es nicht ihre Bestimmung sei, und keine Vorsicht und Klugheit sie vor dem ihnen zuerkannten Schicksale zu retten vermöge. So ein einziger Fall pflanzt sich als Beweissatz des Aberglaubens durch die ganze Matrosenschaft fort, und tausend andere Fälle, welche diesen Aberglauben Lügen strafen, sind nicht im Stande, ihn zu erschüttern. So ist der Mensch ohne Kultur zu Wasser und zu Lande: was er glauben will und nach seiner Bornirtheit muß, dafür findet er leicht einen trügerischen Beweis: was ihn widerlegt, weiset er ab, ob man ihn auch Tag für Tag damit bombardire.




Literarisches. Freytag’s Roman: „Soll und Haben“ findet bei der Kritik keine große Anerkennung. Die Erwartungen, die man mit Recht an den Redakteur der Grenzboten stellen konnte, sind nur schwach befriedigt worden. H. Marggraff, in seiner geistreich geschriebenen Kritik, prophezeit, daß das Buch schon in nächster Zeit zu den vergessenen gehören werde. Es riecht nach Sterblichkeit, sagt er, es ist eine Welle, die uns durch ihr Plätschern einen Augenblick lang recht angenehm unterhält, im nächsten Augenblick sich aber am Ufer zerschlägt, um andern Wellen Platz zu machen. Trotz alle dem wird in den nächsten Tagen eine zweite Auflage des Buches erscheinen. – Welcher Popularität sich der bekannte Pastor Uhlich in Magdeburg erfreut, geht so recht deutlich aus dem Verkauf seiner Schriften hervor. Auf Bitten einiger Freunde schrieb er im Laufe dieses Frühjahrs einige „Sonntagserbauungen“, die anfangs einzeln gedruckt, jetzt nochmals unter dem Titel: „Aus der Vernunftreligion“ gesammelt erschienen sind. Die meisten dieser einzelnen Vorträge haben in den wenigen Wochen fünf, und zwei sogar sieben starke Auflagen erlebt. Wenige Schriftsteller in Deutschland (theologische wohl gar nicht) werden sich einer so raschen und großen Verbreitung rühmen können.


Ein Buch für Alle.
Bei Ernst Keil in Leipzig ist soeben in Zweiter Auflage erschienen und in allen Buchhandlungen zu haben:
Das
Buch vom gesunden und kranken Menschen.
Von
Dr. Carl Ernst Bock,
Professor der pathologischen Anatomie in Leipzig.
32 Bogen, geh. 12/3 Thlr. Mit 25 feinen Abbildungen.




Zum ersten Male wird dem größern Publikum in obengenanntem Buche ein Werk geboten, worin es in populärer, leichtfaßlicher und instructiver Form über den Bau des menschlichen Körpers, die Verrichtungen seiner einzelnen Organe, sowie über den Gesundheits- und Krankheitszustand derselben unterrichtet und eine vernünftige naturgemäße Pflege des Körpers im gesunden und kranken Zustande belehrt wird. Bei dem Namen des Verfassers, dessen wissenschaftliche Lehrbücher und populär-medicinische Aufsätze in der Gartenlaube eine so glänzende Aufnahme gefunden, bedarf es wohl nur dieser Anzeige, um das Publikum auf ein Buch besonders aufmerksam zu machen, das nur im Interesse der guten Sache geschrieben.


Der Verleger erlaubt sich schließlich noch auf einige Urtheile aufmerksam zu machen, welche das Buch (binnen 6 Monaten in zwei starken Auflagen verbreitet)) bereits von einigen gewichtigen Organen der Oeffentlichkeit erfahren:

Prutz in seinem „deutschen Museum“ sagt darüber:

Der berühmte Verfasser, der seinen Beruf als populärer Schriftsteller schon mehrfach dargethan hat, insbesondere auch durch seine Beiträge zu der Keil’schen „Gartenlaube,“ hat dasselbe den „Müttern und Lehrern“ gewidmet, in deren Händen die Zukunft kommender Geschlechter liegt und von denen vorzugsweise die körperliche, geistige und moralische Vervollkommnung des Menschengeschlechts zu erwarten steht.“ Das vorliegende Werk entspricht seinem Zwecke in ausgezeichnetem Maße. Mit strengster Gewissenhaftigkeit hat der Verfasser nichts darin aufgenommen, was nicht festes und allseitig gesichertes Resultat der Wissenschaft ist; wo noch Zweifel obwalten oder wo die Wissenschaft überhaupt noch im Dunkeln tappt, gesteht er dies regelmäßig mit der Unbefangenheit und Offenheit ein, von der freilich der Charlatan nichts weiß, während sie den ächten Gelehrten charakterisirt. Die Anordnung ist einfach und lichtvoll, die Darstellung klar und fließend, ohne Redepomp, auf das nothwendigste beschränkt, wie es der Würde des Gegenstandes und der Bestimmung des Buches entspricht, doch ohne Einförmigkeit und Trockenheit. Schon die erste Abtheilung genügt, um das Buch als eine der besten populären Schriften erkennen zu lassen, die wir auf diesem Gebiete besitzen; die oft mißbrauchte Redensart von der Lücke der Literatur, die damit ausgefüllt wird, findet in diesem Falle ihre vollste und wohlverdienteste Anwendung. Auch der Verleger hat durch vortreffliche Ausstattung bei einem verhältnißmäßig sehr billigen Preise das Seinige zur Verbreitung des Werks gethan. Namentlich verdienen die beigefügten Holzschnitte alles Lob; nach richtigen Zeichnungen gut ausgeführt, bilden sie einen wesentlichen Bestandtheil des Buchs, das durch sie erst seine wahre Anschaulichkeit und Nutzbarkeit erhält.

Gutzkow in Nr. 20 der „Unterhaltungen am häuslichen Herd“ sagt:

Kein Orakelkundiger ist klarer und bündiger als Professor Bock in Leipzig, der schon vielfach belehrend in Zeitschriften, jetzt in einem größern Werke: „Das Buch vom gesunden und kranken Menschen“ hervorgetreten ist. In der That muß man bekennen, daß die Kunst der Darstellung hier durch Prägnanz, Faßlichkeit und Beherrschung des Stoffs vergessen läßt, wie schwierig, insbesondere für den nicht praktisch geübten Laien, das Thema an sich ist. Der Vortrag ist so lebendig, daß man die Illustrationen, welche beigegeben sind, für überflüssig halten möchte, wenn nicht eben die Selbstanschauung unentbehrlich wäre. Wir verweisen beispielsweise auf den Abschnitt über das Herz, welcher zu den dornigsten gehört. Es ist gewiß stets als eine gute Probe populärer Darstellungsweise zu betrachten, wenn sie auch Fachmännern genügt, und wir hören allgemein die Versicherung, daß selbst Aerzte aus manchem Kapitel des Bock’schen Buchs Belehrung schöpfen können.




Zur Beachtung!




Mit dieser Nummer schließt das zweite Quartal und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.Die Verlagshandlung. 


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Rowdies nennt man die sehr zahlreichen Gauner, Tagediebe und Herumtreiber in den größern Städten, eine Klasse der Gesellschaft, die um so gefährlicher ist, als sie keineswegs aus dem niedern Volke, sondern aus der großen Masse derer hervorgeht, die irgend einen moralischen oder ökonomischen Schiffbruch erlitten haben.
  2. Primär-Versammlungen sind ursprünglich Partei-Versammlungen, um den Umfang der Stimmen der einzelnen Parteien vor den Wahlen kennen zu lernen und Zersplitterung bei den Wahlen zu verhindern. Sie wählen jetzt Comitees, die einen Candidaten für ein zu besetzendes Amt aussuchen, aufstellen, ernennen. Dieser Candidat ist der „reguläre“, alle andern sind „Stump-Candidaten“ (von dem Baum-Stumpfe, den sie in der Regel als ihre Rednerbühne wählen). Die so primär ernannten Candidaten werden gegen die „Stumps“ von gemietheten Rowdies, Strikers and Suckers und gegen die „Primären“ schwächerer Parteien, die nicht so viel Geld bieten konnten, ausschließlich beschützt und Anderswählende durch List und Gewalt überstimmt, von der Wahlurne weggeprügelt und sonst unschädlich gemacht. Strikers (Schläger) heißen die verwegensten, körperlich misshandelnden Rowdies, Suckers (Sauger), die durch List, Ueberredung und Vorspiegelung Geld erpressen.
  3. * Um den Lesern ein deutliches Bild einer regelrechten Belagerung zu geben, fügen wir eine Abbildung bei, die in übersichtlicher Weise veranschaulicht, was wir in Worten nur kurz andeuten können.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Beleidsbezeugungen
  2. Vorlage: dergestellt
  3. Vorlage: ihn