Die Gartenlaube (1856)/Heft 14

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1856
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[177]
Ein Familiengeheimniß.
Novelle von August Schrader.
I.
Ein Morgen im Comptoir.

Zu Anfang des Sommers im Jahre 1850 sah man an einem Hause in der W.straße zu Hamburg ein neues Schild mit der Inschrift: „Wechsel-Comptoir von Franz Soltau.“ Das Haus war von alter Bauart, der Giebel ging nach der Straße hinaus, die Menge kleiner Fenster desselben war vergittert, und die Thür bestand aus einem einzigen großen Flügel von schwerem Eichenholze. Trotzdem aber hatte dieses Haus ein freundliches, fast elegantes Ansehen, denn der ganze Giebel war von der Firste bis zur Schwelle mit dunkelgrüner Oelfarbe angestrichen, die Fensterscheiben erglänzten wie Krystall, und die große Thür mit dem schwarz lackirten Schlosse schien so eben erst verfertigt zu sein. Das große Schild mit den goldenen Buchstaben vollendete die Stattlichkeit des restaurirten alten Gebäudes.

Das Innere entsprach dem Aeußern: die Tünche der Neuzeit überzog das solide Alterthum. Ueberschritt man die weite Hausflur, welche die ganze Breite des Hauses einnahm, so trat man durch eine kleine gewölbte Thür in das Comptoir. Es war dies ein eben nicht großer gewölbter Raum, dessen drei Fenster nach einem Kanale hinausgingen. An jedem der Fenster befand sich ein vergittertes Bureau, vor dem ein Commis arbeitete. Vor dem Bureau stand ein langer, schmaler Tisch. Durch eine Glasthür rechts sah man in das Kabinet des Chefs dieses jungen Bankhauses.

Es war im Juni, Morgens halb zehn Uhr. Der Comptoirbote trat ein und legte die Briefe auf den Tisch, die er von der Post geholt hatte. Einer der Commis, ein blonder junger Mann in eleganten Kleidern, nahm die Briefe und trug sie in das Kabinet des Chefs

Franz Soltau war ein Mann von achtundzwanzig Jahren. Seine stets heitere und ruhige Stirn, der Schnitt seines einfachen, aber ausdrucksvollen Gesichts und seine ungekünstelten Bewegungen offenbarten ein arbeitsames, entsagendes Leben; zugleich aber auch lag in seinem ganzen Wesen eine hohe, imponirende Würde, aus der jener geheime Adel des Herzens spricht, der allen Lagen des Lebens Trotz bietet.

Der Commis überlieferte die Papiere und zog sich zurück. Der Banquier prüfte die mit der Post angekommenen Neuigkeiten. Er erbrach und las einen Brief nach dem andern, ohne daß sich seine Mienen veränderten. Der letzte indeß schien nicht nur seine Aufmerksamkeit, sondern auch seine Verwunderung zu erregen; er enthielt folgende Zeilen:

          „Mein Herr!

„Der Unterzeichnete ersucht Sie, beifolgenden Wechsel von hunderttausend Mark auf das Haus Salomon Heine zu realisiren und die Summe in Ihrem Bankhause zu deponiren. Bei einer solchen Caution werden Sie sicher keinen Anstand nehmen, einem jungen Mädchen, das sich Ihnen unter dem Namen Sophie Saller vorstellen wird, vierteljährlich eine Rente von tausend Mark zu zahlen. Die Empfängerin legitimirt sich durch ein Creditiv, das von derselben Hand, wie dieser Brief, geschrieben ist und dieselbe Unterschrift trägt. Die Quittungen Fräulein Saller’s erkenne ich im Voraus an und werde sie bei der Abrechnung, deren Zeit ich jedoch nicht bestimmen kann, als geleistete Zahlungen übernehmen. Im Uebrigen füge ich mich den in Ihrem Bankhause üblichen Zinsrechnungen.

     Berlin, den 15. Mai 1850.
E. Kolbert.“ 

Alles prüfte den Wechsel, der in dem Briefe lag; er war von einem bekannten Banquier in Berlin auf das Haus Heine in Hamburg ausgestellt. Kolbert, ein Name, den Soltau nie gehört, mußte demnach die Summe dort eingezahlt haben. Der Wechsel war augenscheinlich richtig.

„Wie aber kommt es,“ fragte sich Soltau, „daß man mir dieses Geschäft überträgt, mir, der ich erst seit einigen Jahren mein Bankhaus eröffnet habe? Ich erinnere mich nicht, je mit einem Kolbert in Berührung gekommen zu sein. Warum läßt man das Haus Heine die Rente nicht zahlen, auf das der Wechsel ausgestellt ist?“

Der junge Banquier hatte kein Risico bei dem Geschäft, wenn er das Einlagekapital erhielt; seine Betriebssumme ward im Gegentheil um hunderttausend Mark vermehrt, und außerdem war der Antrag ein Beweis des Vertrauens, das man ihm schenkte. Er nahm keinen Anstand, darauf einzugehen.

„Herr Lambert!“ rief er in das Comptoir.

Der junge Commis trat ein.

„Realisiren Sie diesen Wechsel bei Heine. Ich erwarte Sie so bald als möglich zurück!“

Lambert nahm den Wechsel, sah nach dem Betrage, rief den Comptoirdiener und entfernte sich. Nachdem Soltau noch einmal den Brief gelesen, legte er ihn in ein besonderes Fach, um ihn von den gewöhnlichen Geschäftspapieren zu trennen. Der gewöhnliche Geschäftsverkehr dauerte nun ununterbrochen eine Stunde fort, es kamen und gingen Leute, die Gelder brachten und holten. Das [178] Bankhaus Soltau war zwar ein sehr junges, aber es erfreute sich bereits eines ehrenvollen Vertrauens und regen Zuspruchs. Soltau hatte sich zum Gesetze gemacht, jede gewagte Speculation zu vermeiden, er wollte sich mit kleinen, aber sichern Gewinnen begnügen. An der Börse kannte man ihn als einen vorsichtigen, redlichen Mann, und schätzte sein Vermögen auf achthunderttausend Mark. Ein nicht unbeträchtlicher Theil des kleinen Wechselhandels lag bereits in seinen Händen, und für mehrere amerikanische und englische Häuser besorgte er das Incassogeschäft

Um elf Uhr brachte Lambert die Summe von hunderttausend Mark. Die Empfängerin der Rente hatte also einen fruchtlosen Besuch nicht zu fürchten. Soltau war zwar seit zwei Jahren mit einer jungen, liebenswürdigen Frau verheirathet, und war seine Ehe auch bis jetzt kinderlos, so fand er doch das größte Glück in dem Besitze seiner Gattin — aber er mußte doch über seine Neugierde lächeln, die ihn in Bezug auf die empfohlene Dame anwandelte.

„Ob sie jung und schön ist?“ fragte er sich. „Ob sie bald kommen und Zahlung fordern wird?“

Auf beide Fragen sollte er um zwölf Uhr Antwort erhalten.

Zur größten Ueberraschung der beiden jüngern Commis — der dritte Arbeiter war der Kassirer Lorenz, ein Mann von fünfzig Jahren — trat ein reizendes junges Mädchen in das Comptoir, und fragte schüchtern nach Herrn Soltau. Man zeigte ihr das Kabinet. Gleich darauf stand sie dem Banquier gegenüber. Nachdem sie bescheiden gegrüßt, flüsterte sie mit zitternder Stimme:

„Ich habe Herrn Soltau eine Anweisung von Herrn Kolbert zu übergeben.“

Ihre kleine, mit schwarzen verschossenen Handschuhen bekleidete Hand überreichte dem Banquier ein Papier. Erröthend schlug sie die Augen nieder, als ihre Blicke denen des jungen Mannes begegneten. Dann trat sie, vor Angst zitternd, einen Schritt zurück.

Soltau fühlte sich von Mitleiden ergriffen; ohne das Papier zu lesen, antwortete er:

„In diesem Falle habe ich das Vergnügen, Fräulein Sophie Saller zu empfangen?“

Das reizende Gesicht Sophie’s ward plötzlich von einem Freudenstrahle verklärt, und die leichte Röthe ihrer Wangen verwandelte sich in Purpur. Nachdem sie sich zum zweiten Male verneigt hatte, athmete sie hoch auf; daß der Banquier ihren Namen kannte, schien ihr die Bürgschaft für ein bevorstehendes Glück zu sein.

„So sind Sie auf meinen Besuch vorbereitet?“ fragte sie kaum hörbar.

Soltau nickte bejahend mit dem Kopfe, während er das Papier las. Es enthielt nur die Zeilen:

„Ueberbringerin ist Sophie Saller. E. Kolbert.“

Der vorsichtige Geschäftsmann legte das Blatt zu dem Briefe; bei dieser Gelegenheit vergewisserte er sich, daß beide Documente von einer Hand geschrieben waren. Dann wandte er sich zurück und bot dem jungen Mädchen einen Stuhl an.

„Die Summe von tausend Mark steht Ihnen zur Verfügung!“ sagte er artig. „Ich bitte, bescheinigen Sie den Empfang.“

Sophie trat zu dem ihr bezeichneten Tische, ergriff zitternd die Feder und schrieb die Quittung. Kaum hatte sie ihren Platz wieder eingenommen, als Soltau aus dem Comptoir zurückkehrte, die Thür hinter sich schloß und aus einem Lederbeutel die Summe von tausend Mark in Goldstücken auf den Tisch neben die Quittung legte.

„Zählen Sie nach, mein Fräulein!“ sagte er mit einer leichten Verneigung.

Das junge Mädchen hatte sich ein wenig erholt. Ihre lieblichen Züge lächelten, indem sie antwortete:

„Dessen bedarf es nicht; man hat mir gesagt, daß ich mich auf Herrn Soltau verlassen könne, und ich nehme das Geld als richtig an.“

Der erstaunte Banquier ließ sich dem Besuche gegenüber auf einem Stuhle nieder; er fand ein Interesse daran, das seltsame junge Mädchen näher in’s Auge zu fassen. Und wahrlich, Sophie war unter den obwaltenden Verhältnissen eine seltsame Erscheinung. Sie trug zwar anständige, aber schlichte, sehr schlichte und einfache Kleider. Der kleine Hut von dunkelgrüner Seide beschattete ein wahres Madonnengesicht. Wie regelmäßig schön und jungfräulich waren diese Züge! Das himmelblaue Auge, von einem Kranze langer, schwarzer Wimpern umgeben, war der Spiegel einer reinen, unschuldigen Seele. Das blaue Thibetkleid und das kurze Mäntelchen von abgetragener Seide verriethen, daß Sophie in sehr beschränkten Verhältnissen lebte. Sollte man nicht ihrer Schönheit den plötzlichen Wechsel der äußern Umstände zuschreiben? Doch nein, ein Blick in das Madonnengesicht verscheuchte sofort jeden Argwohn.

„Fräulein Saller erlaubt mir wohl eine Frage,“ sagte der Banquier.

„Sie sehen mich bereit, zu antworten, wenn ich es vermag.“

„Herr Kolbert beehrt mich mit einem Vertrauen, das meine Dankbarkeit erweckt, und Sie selbst sprechen sich in einer Weise aus, die mich ehrt; man kennt doch gern die Leute, die einem wohlwollen, zumal wenn eine längere Geschäftsverbindung in Aussicht steht – wer ist Herr Kolbert, mein Fräulein?“

Die kaum gewichene Verlegenheit des jungen Mädchens kehrte wieder. Diese Frage schien sie nicht erwartet zu haben.

„Mein Herr.“ flüsterte sie, „ich kenne Herrn Kolbert eben so wenig, wie Sie ihn kennen; ich habe ihn nie gesehen. Hätte mich nicht das Seltsame der Situation abgehalten, ich würde Sie um die Gefälligkeit ersucht haben, mir Auskunft über meinen unbekannten Wohlthäter zu geben.“

Das Erstaunen des Banquiers läßt sich denken.

„Sie kennen wirklich den Mann nicht, der Ihnen eine jährliche Rente von viertausend Mark ausgesetzt hat?“

„Zweifeln Sie nicht daran, mein Herr!“ antwortete Sophie zitternd, und indem sie bittend mit ihren großen Augen zu dem Banquier emporsah. „Aus dem Briefe, der mir die Anweisung auf das Bankhaus Soltau brachte, erfuhr ich zum ersten Male den Namen Kolbert.“

„Und Fräulein Sophie Saller wohnt in Hamburg?“

Das junge Mädchen erhob sich. Ihre Verlegenheit hatte den höchsten Grad erreicht.

„Verzeihung,“ sagte Soltau, „der Geschäftsmann ging ein wenig zu weit. Sie werden mir nicht zürnen, wenn ich Ihnen die Versicherung ertheile, daß mich mein Interesse an Ihrer Person zur Indiscretion hinriß. Unser Geschäft ist geordnet: verfügen Sie jedes Vierteljahr über tausend Mark!“

Er deutete auf die Goldstücke. Sophie verbarg sie in eine Plüschtasche, die sie am Arme trug. Unter tiefem Erröthen verbeugte sie sich und verließ das Kabinet und das Comptoir. Der junge Lambert war so artig, ihr die Thür zu öffnen. Sie dankte und verschwand.

Es war halb ein Uhr; der Banquier mußte um ein Uhr an der Börse sein. Wie stets, so ging er auch heute noch einmal zu seiner Gattin, bevor er das Haus verließ. Madame Soltau erwartete ihren Mann zum Frühstück, das um zwölf Uhr eingenommen wurde.

„Du kommst spät, Franz!“ sagte die liebenswürdige Frau, indem sie ihm den Mund zum Kusse bot.

Franz umarmte zärtlich seine Gattin und führte sie zum Frühstücke, das auf einem kleinen Tische servirt war.

„Mein Geschäft gewinnt täglich an Umfang!“ rief er heiter. „Heute hat man die erste große Summe meiner Kasse anvertraut.“

Er erzählte den Besuch des jungen Mädchens.

„Und wer ist Dein neuer Kunde?“ fragte unbefangen Madame Soltau.

„In seinem Briefe, der aus Berlin kommt, nennt er sich E. Kolbert — und dies ist Alles, was ich von ihm weiß. Wie es scheint, werde ich auch vor der Hand nicht mehr erfahren.“

Der Banquier frühstückte rasch, um die Börse nicht zu versäumen; er hatte die Ueberraschung seiner Gattin nicht bemerkt als er den Namen „Kolbert“ ausgesprochen.

Nach einer Pause, in der sie sich gewaltsam ihre Fassung wieder angeeignet, fragte die junge Frau:

„Und wie nannte sich das junge Mädchen?“

„Sophie Saller. Sie ist jung, vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt — und schön, sehr schön!“

„Sophie Saller?“ wiederholte Madame Soltau fast bestürzt. Und dabei überflog ein leichtes Roth ihr zartes, weißes Gesicht.

Franz sah seine Gattin an.

„Henriette,“ rief er lachend, „ich glaube, Du wirst eifersüchtig! Doch beruhige Dich, mein liebes Kind, ich weiß von der kleinen Sophie nicht mehr als von Herrn Kolbert, das heißt, den Namen.“

Er umarmte und küßte Henrietten, dann stand er vom Tische auf und nahm seinen Hut. Die junge Frau schmiegte sich zärtlich an ihn.

[179] „Und wenn ich nun eifersüchtig wäre?“ fragte sie flüsternd.

„Dann, mein Engel, würde ich sagen: Du hast keinen Grund zur Eifersucht, aber ich freue mich Deiner Liebe, die nach einer zweijährigen Ehe noch dieselbe ist, wie zur Zeit des Brautstandes. Und nun Adieu, die Börse ruft!“

In dem Augenblicke, als er das Zimmer verließ, schlug die Uhr eins. Henriette trat gedankenvoll an das Fenster; sie sah ihren Mann die Straße hinabeilen. Als er verschwunden war, nahm sie Hut und Shawl, gab der Köchin Befehl, um drei Uhr das Mittagsessen bereit zu halten, und verließ unter dem Vorwande, einen Spaziergang zu machen, das Haus.


II.
An der Börse.

Franz Soltau befand sich seit einer halben Stunde in dem großen Saale der Börse; er hatte einige Einkäufe von Papieren gemacht, die ihm einen mäßigen Gewinn gaben. Die Zeit war für den Banquier nicht unfruchtbar vergangen. Geschäftsfreunde forderten ihn auf, sich bei einem Eisenbahnunternehmen zu betheiligen — er lehnte es ab, da eine solche Speculation den Kreis überschritt, den er sich gezogen hatte.

„Wie ängstlich Sie sind!“ rief spottend ein Agent, mit dem er oft zu schaffen hatte. „Man bietet Ihnen Gelegenheit, Ihr Vermögen in einem Monate zu verdoppeln, und Sie weisen diese Gelegenheit von der Hand. Erlassen Sie eine Einladung zur Actienzeichnung, und es kann nicht fehlen, daß die erforderliche Summe zusammengebracht wird. Der Name Soltau hat einen guten Klang an der Börse. Muthloser, wenn ich an Ihrer Stelle wäre!“

„Wo ist Soltau?“ hörte man eine Stimme in dem Gedränge fragen.

Gleich darauf erschien ein junger Mann, der mit dem Banquier in gleichem Alter stand. Er nahm Soltau bei der Hand und zog ihn eilig an einen Pfeiler.

„Du, Philipps; was giebt es?“

„Hast Du ein Kapital von hunderttausend Mark disponibel?“

„Und wenn ich es hätte?“

„So könntest Du in dem Zeitraum von einigen Tagen fünfundzwanzig bis dreißigtausend Mark verdienen ——— vielleicht noch mehr. Du bist mein Freund, und ehe ich mich an einen Andern wende, habe ich geglaubt, Dir das Geschäft antragen zu müssen.“

Soltau bedachte sich; eine solche Summe aus eine Karte zu setzen, schien ihm zu gewagt.

„Sage mir zuvor, um was es sich handelt, Philipps.“

„Ein Bedrängter, der nicht genannt sein will, hat die Lebensversicherung eines alten Mannes zu verkaufen. Die Versicherung ist vor zwanzig Jahren bei dem englischen Globe geschehen, also bei einer soliden Gesellschaft. Der Betreffende hat sich mit hundertfunfzigtausend Mark eingekauft, und der Verkäufet fordert hunderttausend.“

„Warum wendet er sich nicht an die Gesellschaft selbst?“

„Es ist bereits geschehen; aber sie bietet zu wenig. Der Versicherte liegt schwer krank, die Aerzte geben ihm nicht acht Tage Frist mehr.“

„Warum wartet man nicht, bis der Tod erfolgt ist, wenn er in so naher Aussicht steht?“

„Weil man heute noch das Geld gebraucht. Soltau, es ist ein gutes, solides Geschäft. Hätte ich die Summe, ich würde nicht einen Augenblick anstehen —“

„Wo ist die Lebenspolice?“ fragte Soltau.

Der Agent holte das Papier hervor. Der Banquier nahm und prüfte es,

„Wie,“ rief er erstaunt, „der Versicherte ist Edmund Kolbert?“

„Und wie Du aus der Police ersiehst, ist er fünfundsechzig Jahre alt und seit zwanzig Jahren versichert.“

„Edmund Kolbert!“ murmelte der Banquier, der an den Wechsel von diesem Morgen und an Sophie Saller dachte. „Wo liegt der Mann krank?“

„In Berlin!“

Der Banquier hoffte bei dieser Gelegenheit einiges Licht in der Sache zu erhalten.

„Philipps,“ sagte er, „Du weißt, daß ich es liebe, jedes zu unternehmende Geschäft klar zu übersehen — Du bist ein redlicher Agent, selbst mein Jugendfreund; aber fühle Dich nicht gekränkt, wenn ich auf Deine Empfehlung allein nicht sofort zusage. Kennst Du Edmund Kolbert?“

„Nein!“

„Wer gab Dir das Papier, damit Du es verkaufen sollst?“

„Da man mir kein Schweigen auferlegt hat — nur der Name des Ueberbringers soll nicht genannt werden — so kann ich Dir mittheilen, was ich weiß. Diesen Morgen kam ein Mann zu mir, den ich Gründe habe, für einen englischen Offizier zu halten. Er überreichte mir einen Brief, in dem er mir von unserm gemeinschaftlichen Geschäftsfreunde Gotter in Berlin empfohlen ward. Ich bin gestern hier angekommen, sagte er; aber heute schon sehe ich mich genöthigt, Ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Nun gab er mir diese Police zum Verkaufen. Ich ging sofort mit ihm auf das Bureau des Globe. Man forderte von ihm eine Legitimation über den rechtmäßigen Besitz des Papiers. Der Offizier zeigte eine amtlich bestätigte Urkunde vor, wonach Edmund Kolbert ihn zum Erben seiner Police ernennt. Hier ist sie.“

Der Banquier prüfte die Urkunde; es waren dieselben Schriftzüge, die er diesen Morgen schon in der Wechsel- und Rentenangelegenheit aufmerksam betrachtet hatte. Die Recognition war vor der englischen Gesandtschaft in Berlin vollzogen. Die Rechtmäßigkeit derselben war also nicht anzufechten.

„Da auch die übrigen Papiere des Fremden für richtig befunden wurden,“ fuhr Philipps fort, „so ließ man sich mit ihm auf Unterhandlungen ein. Die Gesellschaft bot neunzigtausend Mark; unser Mann aber braucht heute noch hunderttausend, und so kam der Handel nicht zu Stande. Nun entschloß ich mich, Dir das Geschäft vorzuschlagen, und suchte Dich zu diesem Behufe an der Börse auf.“

Soltau überlegte einige Augenblicke. Die Vorgänge am Morgen hatten ihm den Beweis gegeben, daß Kolbert über ein Vermögen zu verfügen habe. Philipps hatte ihm die Mittheilung gemacht, Kolbert liege in Berlin krank: hieraus ließ sich schließen, daß er auf seinen Tod gefaßt sei und daß die Angelegenheit der Rente sowohl, als die der Lebenspolice eine Sicherstellung seiner Erben bezwecke. Der englische Offizier, von dem Philipps sprach, war ohne Zweifel der Bruder oder ein Verwandter Sophie’s. Der Banquier wußte, daß sein Freund, der Agent, nicht minder vorsichtig war als er selbst. Die Erscheinung des jungen Mädchens und das unbedingte Vertrauen — man hatte ihm ja eine bedeutende Summe übergeben, ohne Quittung zu verlangen —— hatten in ihm einen zu tiefen Eindruck hinterlassen, als daß er die Angelegenheit ohne Weiteres abweisen konnte.

„Du hast Dich von der Richtigkeit der Papiere überzeugt, Philipps?“

„Nimm meine Bürgschaft und die des Globe, der sich auf Unterhandlungen eingelassen hat.“

„Das ist allerdings eine Bürgschaft. Kann ich den Fremden sprechen?“

„Er befindet sich dort in dem Nebenzimmer.“

„Führe mich zu ihm!“

Die beiden Freunde traten durch eine Glasthür in eins der Kabinette, welche rings den großen Börsensaal umgeben. Außer einzelnen Gruppen von Kaufleuten, die in lebhaften Unterhandlungen begriffen waren, befand sieh ein Mann in dem Kabinette, der gedankenvoll an dem großen Fenster lehnte. Philipps redete ihn an, und stellte ihn dem Banquier vor.

Das Gesicht des Fremden, der vielleicht einige vierzig Jahre zählen konnte, war bleich, aber edel und schön. Die männlichen Züge und das große, offne Auge verriethen ein tief am Herzen nagendes Leid. Man mußte sich auf den ersten Blick eingestehen, daß dieser Mann kein Abenteurer war. Soltau glaubte einige Aehnlichkeit zwischen ihm und Sophie zu erkennen. Seine Kleidung war anständig, einfach. In dem Knopfloche seines schwarzen Oberrocks sah man das Band eines englischen Ordens. Dies und der volle braune Schnurrbart gaben ihm das Ansehen eines entlassenen Offiziers.

„Mein Freund, der Banquier Franz Soltau!“ sagte Philipps vorstellend.

Der Fremde verneigte sich.

„Meine Firma ist Ihnen vielleicht bekannt?“ fragte der Banquier, indem er den Fremden forschend ansah.

Dieser antwortete lächelnd: [180] „Verzeihung, mir ist die Finanzwelt so unbekannt, daß ich von Herrn Philipps zuerst Ihr Bankhaus rühmen und empfehlen hörte.“

„Es handelt sich um ein bedeutendes Geschäft, wie ich höre –“

„Eben so bedeutend, als sicher und reell, wie meine Papiere ausweisen. Ich bedauere, daß mich ein Familiengeheimniß zwingt, Sie zu bitten, sich mit der Auskunft zu begnügen, die Herr Philipps und diese Papiere geben. Und was kommt im Grunde auch auf die Personen an, wenn die Papiere richtig sind?“

„Die Empfehlung Gotter’s, mein Herr, reicht hin, um Sie bei uns zu accreditiren, aber ich erlaube mir die Bemerkung auszusprechen, daß Sie bei dem vorgeschlagenen Geschäfte ein Drittel der Summe einbüßen, um die es sich handelt.“

„Demnach fürchten Sie, daß man Sie durch diese Lockspeise geneigt zu machen sucht, auf eine unredliche Spekulation einzugehen?“ fragte der Fremde mit einem bittern Lächeln.

„Verzeihung, mein Herr, ein reeller Geschäftsmann legt sein Kapital nicht zu Wucherzinsen an.“

„Die Gesellschaft Globe bot neunzigtausend Mark für mein Papier – Herr Philipps ist Zeuge.“ Der Agent stimmte durch ein Zeichen bei.

„Wenn ich hunderttausend erhalte, deren ich nothwendig heute bedarf, so habe ich gut verkauft. Und ist es außerdem nicht möglich, daß Kolbert länger lebt, als die Aerzte vermuthen?“

„Sie haben Recht!“ murmelte der Banquier.

Soltau müßte nicht Banquier gewesen sein, wenn ihn die Aussicht auf einen Gewinn von fünfzigtausend Mark nicht reizen sollte. Alle Umstände vereinigten sich, um ihn zu Gunsten des Fremden zu stimmen. Daß Kolbert, der Sophien eine Rente gesichert, derselbe war, dessen Lebenspolice ihm angetragen ward, ergab sich aus der Unterschrift. Im Falle eines Betrugs, der übrigens nicht wahrscheinlich war, hatte er Mittel in Händen, sich schadlos zu, halten. Er beschloß, Kolbert’s Police mit Kolbert’s Gelde zu kaufen, und das Weitere abzuwarten.

„Mein Herr, ich werde die Summe zahlen, begleiten Sie mich in mein Comptoir.“ Die drei Männer verließen die Börse, nahmen einen Fiaker, und fuhren nach Soltau’s Wohnung. In dem Nachbarhause hatte die Gesellschaft Globe ihr Comptoir. Soltau entfernte sich unter einem Vorwande, und präsentirte dem Dirigenten der Lebensversicherungsbank die Police; sie ward als vollkommen gut und richtig befunden.

„Wir sind verpflichtet, die Versicherungssumme zu zahlen, sobald der beglaubigte Todtenschein eingereicht wird,“ sagte der Dirigent. „Die Versicherung ist in London vorschriftsmäßig geschehen. Weitere Auskunft kann ich Ihnen über den Versicherten nicht geben, ohne zuvor in London angefragt zu haben.“

„Läuft man Gefahr beim Ankaufe dieses Papiers?“

„Wenn Kolbert eines natürlichen oder ohne sein Verschulden bewirkten Todes stirbt – nein! Man hat uns diesen Morgen das Papier angeboten, und wir würden es genommen haben, wenn dem Verkäufer die Summe genügt hätte, die wir nach der Vorschrift zu zahlen ermächtigt sind.“

Die letzten Bedenken des Banquiers waren beseitigt; er kehrte in sein Comptoir zurück, und schloß das Geschäft ab.

„Sehen wir uns wieder?“ fragte er den Fremden beim Abschiede.

„Habe ich Ihnen in drei bis vier Tagen einen Besuch nicht abgestattet, so werde ich auf das Vergnügen verzichten müssen, Sie noch einmal zu sehen. Von Herrn Gotter in Berlin erhalten Sie Nachricht über den Ausgang der Krankheit unsers Versicherten.“

Um vier Uhr ging Soltau zu Tische. Henriette, die längst zurückgekehrt war, empfing ihn mit der Zärtlichkeit und Unbefangenheit, die er an ihr gewohnt war. Die beiden Gatten speisten allein. Der Banquier erzählte der jungen Frau von dem an der Börse abgeschlossenen Geschäfte.

„Ich höre heute von Dir zum zweiten Male den Namen Kolbert,“ sagte Henriette; „ist der, dessen Police Du gekauft hast, derselbe, der dem jungen Mädchen die Rente angewiesen?“

„Ohne allen Zweifel. Ich habe mehr als einen Grund dafür.“ Der Banquier legte seine Gründe dar, und schloß mit der Bemerkung:

„Kolbert liegt sehr krank, wie mir der Fremde sagte; wünsche ich nun auch seinen Tod nicht, so kann mir doch Niemand den Wunsch verargen, sobald als möglich Gewißheit in der Sache zu erhalten. Morgen reise ich nach Berlin. Ich will den Kranken sehen und sprechen. Du erschrickst, mein Kind?“

„Franz, ich kann den Gedanken nicht fassen, daß Du auf ein Menschenleben spekulirst!“ flüsterte erbleichend die junge Frau. Der Kranke ist jedenfalls ein Mann von Stande, da er über so bedeutende Summen verfügt – welchen Eindruck wird der Besuch des Banquiers auf ihn ausüben, der seine Lebenspolice gekauft hat! Du hast den Handel einmal abgeschlossen, warte nun ruhig den Verlauf der Dinge ab.“

„Man wird einen schicklichen Vorwand zu diesem Besuche zu finden wissen, antwortete der Banquier. Hätte ich mit meinem eigenen Gelde spekulirt, ich würde Deinen Rath befolgen.“

„Wessen Geld hast Du angelegt?“ fragte die überraschte Henriette.

„Das Geld Sophie Saller’s!“

Franz bemerkte die Veränderung nicht, die in den Zügen seiner Gattin vorging. Ein unbefangener Beobachter würde der Ansicht gewesen sein, Henriette empfände eine innige Freude über diese Mittheilung; aber eine Freude, die sie ihrem Gatten zu verbergen suchte.

„Ja diesem Falle würde das junge Mädchen auch den Gewinn erhalten; nicht wahr, mein Freund?“ fragte sie.

„Nachdem ich Disconto und Spesen abgezogen – allerdings!“ rief Franz. „Sophie ist mir völlig unbekannt; aber man hat mir ihr Vermögen auf eine Weise anvertraut, die, wenn sie auch ein wenig räthselhaft ist, meinem Stolze als Geschäftsmann im höchsten Grade schmeicheln muß. Ich unternehme nur Schritte zur Sicherheit meiner Mündel, und dafür kann und muß ich das junge Mädchen halten.“

„Brav, Franz, das habe ich von Dir erwartet!“ sagte die reizende Henriette, indem sie dem Gatten die Hand reichte. „Du bist Banquier, aber ein Banquier, der für mehr, als für Zahlen Sinn und Gefühl hat. Du beschuldigtest mich diesen Morgen der Eifersucht – fast möchte ich in Deiner Fürsorge für das junge, schöne Mädchen einen Grund dazu erblicken, um so mehr, da ich Dich täglich inniger lieben muß.“

Soltau drückte die Gattin an seine Brust.

„Henriette,“ sagte er scherzend, „Deine Eifersucht könnte mich von dem guten Werke abhalten, das zu verrichten ich mir vorgenommen habe! Ich müßte wahrlich einen zu hohen Preis für das Bewußtsein zahlen, der gewissenhafte Vormund eines jungen Mädchens gewesen zu sein.“

„Nein, Franz, mein Vertrauen zu Dir steht so fest, daß das häßliche Gefühl, von dem wir sprechen, nicht aufkommen kann. Ich würde mich als Deine Gattin selbst herabsetzen, wollte ich dem Gedanken an Deine Untreue Raum geben!“

„Brav, Henriette! rufe auch ich Dir zu. So will ich mein Weib, so soll sie denken und reden! Und dasselbe Vertrauen hege ich zu Dir. Du bist mein Stolz, mein Glück, meine Ehre! Strebe ich nach einer bedeutenden Stellung im Leben, wünsche ich, daß meine junge Firma den ersten unsers Platzes zur Seite gestellt werde, so geschieht es, weil ich Dich geehrt und geachtet wissen will. Es ist nun einmal so in der Welt; der Mammon bestimmt die Stellung, er schafft Achtung, Vertrauen und Ehre!“

Eine innige Umarmung folgte dieser Herzensergießung.

(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.
Nr. 4. Die Inseln Sylt, Amrum und die Halligen.

Die Inseln der Nordsee, Föhr, Sylt, Amrum u. s. w., welche, wie alte Ueberlieferungen und Sagen berichten, früher zusammenhingen, und gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts durch heftige Stürme auseinander gerissen wurden, werden dennoch zuweilen sowohl untereinander, wie mit dem festen Lande wieder vereinigt, und zwar wenn in strengen Wintern das Eis seine krystallenen Brücken schlägt. So sind unter Anderm in diesem Jahre Fußgänger von der Insel Pellworm, und Schlitten und Wagen von der Insel

[181]

Halliger. Sylterin.   Föhringerin.  Halligbewohnerin.

Nordstrand nach Husum gekommen, und die Bewohner Sylts besuchten zu Fuß und zu Wagen den nächstgelegenen Ort der Festlandes, nämlich Hoyer.

Springfluthen und Stürme haben von jeher die Westküste Schleswigs zerrissen und zerklüftet, blühende Städte und reizende Dörfer wurden vernichtet, das empörte, orkangepeitschte Meer riß Alles in seinen bodenlosen Abgrund hinunter, und wo sich früher Saatfelder und üppige Wiesen ausdehnten, wo Kirchen sich erhoben, und wo die Wohnungen der Marschbauern standen, da rollt jetzt die See in lang gedehnten Schlägen ihre nimmer rastenden Wogen über die versunkenen Trümmer hin. Heine berichtet in seinen Liedern aus der Nordsee, in dem Gedichte „Seegespenst,“ wie er am Rande des Schiffes liegend, in das spiegelklare Wasser hinabschaute, und drunten Kirchenkuppel und Thürme, so wie eine ganze Stadt, alterthümlich niederländisch und menschenbelebt erblickte. Der Vision des Dichters liegt Geschichtliches zu Grunde, unterm Meeresspiegel stehen noch die Trümmer untergegangener Städte, so wie Herculanum und Pompeji unter der erstarrten Asche des Vesuvs.

In den Jahren 1612–18 litt die Insel Nordstrand durch Ueberschwemmungen entsetzlich, die Gewalt der Wogen spottete der Dämme und Deiche; Kirchen und Mühlen wurden niedergerissen, die Kirchhöfe aufgewühlt, die Gräber geöffnet, und die theils halb, theils ganz verwesten Leichname wurden in ihren Särgen an höher gelegene Orte getrieben. Im Jahre 1634 ereignete sich die schrecklichste aller Fluthen, die von 8000 Menschen, welche auf Nordstrand [182] lebten, kaum 1500 übrig ließ. Auch noch in neuerer Zeit haben rasende Stürme an dem Vernichtungskampf gegen die Friesen Theil genommen; wollten wir jedoch all’ dieser traurigen Katastrophen gedenken, so würden wir den Raum dieser Zeitschrift theils zu sehr in Anspruch nehmen, theils würden wir dem freundlichen Leser nur herzzerreißende Schilderungen bieten können. Ehe wir jedoch Abschied nehmen, wollen wir schließlich noch der Inseln Sylt, Amrum und der Halligen gedenken.

Die Ebbe war bereits eingetreten, als wir uns der Insel Sylt näherten, und da das Fahrzeug nicht hart am Ufer anlegen konnte, so nahm der Fährmann uns auf seinen starken Rücken, und trug uns an’s Ufer.

Die Kliffe und Dünen Sylts und Amrums gewähren bei klarem, schönem Wetter einen imposanten, großartigen Anblick; sie bilden einen Damm gegen das majestätisch einherrollende Meer, das diese von der Natur gebildeten, riesigen Dämme nicht zu durchbrechen vermochte, und hängt von ihrer Existenz wesentlich die Erhaltung der Inseln und der hinter ihnen am Festlande liegenden Marschen ab. An den Dünen wird die Gewalt der Wogen und des Sturmes gebrochen, und letzterer wirbelt und peitscht mit seinen Eisenhänden den Sand oft so mächtig, daß man sich eher in die Sahara, vom Tod verbreitenden Samum überfallen, als nach einer Insel der Nordsee versetzt wähnen könnte. Man nimmt an, daß die Dünen dort entstanden, wo das Meer sandigen Boden und Sandbänke genug hat, und wo diese dann, eine Ufergränze bildend, durch den Sand, welchen die Fluth heranwälzte, vergrößert wurden. Auf der, über das Meer emporragenden Fläche schlugen alsdann Gräser ihre Wurzeln und befestigten dadurch den lockern Boden; Wirbelwinde häuften den Sand immer mehr an, welcher durch die allmälig fortschreitende Vegetation fester gebunden, endlich als Düne dem dahinter liegenden Lande Schutz gewährte. Andre behaupten, daß diese Dünen, welche ihre Stirn gegen Westen wenden und dem Gischt und den Stürmen Trotz bieten, einst die äußerste Grenze des festen Landes bildeten. Dies hier näher zu entwickeln, würde uns zu weit führen. Der schwächere Theil der sylter Dünen befindet sich in der Mitte, aber die Bewohner haben bereits eine solche Fertigkeit in dem Anbau des Halms, des Sandroggens und Sandhafers erlangt, daß sie dadurch die Insel gegen die heftigsten Angriffe der Stürme zu schützen vermögen. So hängt denn gleichsam von kleinen und winzigen Pflanzen, welche den Boden befestigen und den Flugsand auffangen, die Existenz der Insulaner ab.

Der Charakter der Sylter ist ehrenhaft und höchst schätzenswerth, sie sind vortreffliche Seefahrer, wie alle Friesen mehr oder weniger. So wie auf Föhr besorgen die Frauen die Feldarbeit; die ältern Männer, welche nicht mehr zur See fahren, liegen dem Fischfang ob, und verfertigen aus dem Halm der Dünen Seile, welche zum Dachdecken benutzt werden, so wie Besen; auch als Viehfutter und Brennmaterial bedienen sie sich des Halms. Ferner vertritt getrockneter Dünger, sowie eine eigne Erdart, der Salztorf, welcher gegraben wird, die Stelle der Feuerung. Der Baumwuchs gedeiht aus Sylt nur kläglich, und die rauhen Winde der Nordsee lassen keine hochstämmigen Bäume aufkommen, und dennoch müssen einst Wälder die Insel geschmückt haben, da man noch jetzt beim Graben Baumwurzeln und Baumstämme findet. Die Häuser der Dörfer sind gleichförmig gebaut und massiv, die Gärten werden von hohen, schrägen Steinwällen umringt, vielleicht um die Sträucher, Stauden und Küchengewächse gegen die rauhen Winde zu schützen. Der Sylter ist Seemann in seinem ganzen Wesen, die Sylterin ist von junonischem Wuchs, fleißig und im höchsten Grade ordnungsliebend, thatkräftig und freundlich, und scheinen bei ihr alle guten Eigenschaften des Frauenzimmers vertreten zu sein; ihre Keuschheit ist sprichwörtlich geworden, und scheint sie darin mit den Kliffen ihrer Insel, welche allen Angriffen der Stürme und des Meeres Trotz boten, zu wetteifern. Ihre Vergnügungen bestehen in Ballspiel und Tanz, und wenn die Tanzenden vom Promeniren zum Walzen übergehen, so wird dies durch einen Kuß angedeutet, eine Sitte, deren Nachahmung gewiß viele Herren auf dem Festlande wünschten. Welcher Leser, dem es bestimmt sein sollte, einst Schiffbruch zu leiden, würde nicht wünschen, nach dieser Insel verschlagen zu werden! Von der Treue und Anhänglichkeit des Weibes auf Sylt mag uns eine alte Sage berichten.

Ein Landwirth gab, nachdem er sein Heu glücklich eingebracht, den Nachbarn, welche ihm geholfen, einen Ernteschmaus. Während des Festes entstand unter den Gästen ein Streit, und der Wirth, welcher sich hineinmischte, schlug im Zorne einen der Streitenden todt. Entsetzt über seine That entfloh er, da er jedoch nach einigen Tagen nicht wieder zum Vorschein kam, so glaubte man, daß er nach dem Festlande entkommen sei, und die Frau mußte nun für ihn die Mannbuße bezahlen, und zu diesem Zwecke einen Theil ihres Landes verkaufen. Durch die Arbeit ihrer Hände versorgte sie nun sich und ihre Kinder, bis auf einmal das Gerücht entstand, die fromme, brave, tugendhafte Ose, so hieß die Gemahlin des Todtschlägers, sei schwanger. Man wollte nun wissen, wer ihr Liebhaber sei und achtete auf alle ihre Schritte, und so entdeckte man bald, daß ihr Mann noch lebe, der sich während mehrerer Jahre in den Dünen versteckt hatte, wo er von seiner Gattin mit Speise und Trank versehen worden war. Das Ungewöhnliche seiner Erhaltung, so wie die Treue seiner Frau rührte die Herzen der Insulaner, welche den Wiederaufgefundenen in ihre Mitte aufnahmen. Aber zum Angedenken an die hochherzige That des edlen Weibes, welches nicht allein sich und ihre Kinder, sondern auch den Gatten durch die Arbeit ihrer Hände ernährte, nannten sie die Dünenschlucht, in welcher sich der Flüchtling so lange verborgen gehalten halte, das Osethal, welchen Namen es noch heutigen Tages führt.

Viele Dörfer, die früher auf Sylt standen, sind theils vom Meere vernichtet, theils vom Flugsand verschüttet worden, und mußten die Bewohner derselben sich immer weiter vor ihren unermüdlichen Feinden zurückziehen. Noch jetzt kommen dann und wann Trümmer von Häusern, Kirchen und Kirchhöfen zum Vorschein, welche an die untergegangenen Ortschaften erinnern. Die Dörfer Rantum und Nieblum haben mehrere Male dem herandringenden Flugsande, der die Felder verwüstete, weichen müssen.

In dem nördlichen Theil der Insel findet man auf der Heide noch viele Hünengräber oder Riesenbetten, welche aus der heidnischen Zeit herstammen; einige enthalten Grabkammern, und findet man in denselben Menschenknochen und steinerne Waffen. Diese Gräber lassen sich auf das sogenannte Steinalter und in die graue Vorzeit zurückführen, als die Bewohner die Metalle noch nicht zu bearbeiten verstanden. Dieser Hügel sind jedoch nur wenige vorhanden, in größerer Menge dagegen sind die runden Grabhügel vertreten, in denen man Urnen, welche Asche enthalten, so wie küpferne und bronzene Waffen findet. Diese Grabhügel stammen aus einer spätern Zeit, dem sogenannten Bronzealter, als man die Verstorbenen verbrannte und über ihrer Asche und ihrer Grabkammer die Hügel zum Andenken an die Entschlafenen errichtete.

Wir aber wollen uns nicht in die Vorzeit versenken, sondern uns mit den Friesen der Gegenwart beschäftigen, und so mag es denn auch nicht unerwähnt bleiben, daß sie es sind, welche uns in Menge die wahre Perlenmuschel der Nordsee, die Auster, fischen. Die Austern bedecken ganze Strecken des Meeresgrundes, und werden diese Lagen „Austernbänke“ genannt. Man findet sie zwischen den größern Inseln und den Halligen und dem Festlande, sie liegen in verschiedener Tiefe, einige 20 Faden tief, andere dagegen sind bereits bei der Ebbe, wenn das Wasser sich zurückzieht, dem Auge sichtbar. Zum Fang der Auster bedient man sich des Austernstreichers; es ist dies ein eiserner Rahmen, der circa zwei Fuß breit und ein Fuß hoch ist; die untere Stange desselben geht nach vorn messerähnlich zu, und hinten ist ein viereckiges, unten aus dickem Eisendraht, an den Seiten jedoch und oben ein aus Garn verfertigtes Netz, befestigt. Dies Instrument wird mit einem langen Tau verbunden, und läßt der Fischer dasselbe, wenn er sich über der Bank befindet, in’s Wasser hinunter; er fischt nun während des Segelns, indem der Streicher die Austern vom Boden löst, welche alsdann in das Netz fallen.

Auf Sylt findet man eine Entenkoje, welche mit ihrem Teich und den Bäumen, welche sie umringen, in der baumlosen Umgegend einen höchst freundlichen, wohlthuenden Anblick gewährt. Auf den Dünen trifft man in großer Menge Möven, Strandläufer, Kibitze, Seeschwalben und andere Seevögel an, welche der Landschaft ein eigenes Gepräge verleihen.

Umgehen von einer so großartigen Natur, wie wir sie zu beschreiben uns bestrebten, erblickte der hochherzige Patriot, Jans Uwe Lornsen, der, ein ächter Ritter, die Herzogthümer aufrüttelte und sie auf den Weg des Fortschritts führte, das Licht der Welt. Aber wie so viele Männer, welche für das Recht in die Schranken traten, wurde auch sein hochherziges Streben mit Verbannung [183] bestraft, und wie Ulrich v. Hutten am Zürchersee, hauchte fern der geliebten Heimathinsel der Brave im Jahre 1838 am Genfersee seine edle Seele aus.

Der Leser, welcher bis hierher unsern Schilderungen folgte, möge jetzt noch einen Abstecher nach Amrum machen, das früher nur durch eine schmale Rinne von Sylt geschieden war. Von der Südwestspitze Föhrs ist die Insel durch einen 1/2 Meile breiten Sund getrennt, und kann man während der Ebbe von Amrum nach Föhr gehen. Wie wir sahen, sind die Sylter größtentheils Seefahrer, die Bewohner Amrums dagegen, deren eigentliches Element gewiß ebenfalls einst der endlose Ocean war, haben sich mehr dem beschaulichen Leben hingegeben. Die gefährlichen Sandbänke Amrums führen den Untergang so manchen stolzen Schiffes herbei, dessen Ladung die Wogen dann an’s Ufer wälzen, und dies hat die Bewohner verleitet, dem trügerischen Elemente die Sorge ihres Unterhaltes anzuvertrauen, und sind sie deshalb weniger Seefahrer- als vielmehr Beeger, welchen von dem Strandgute nach alten Gesetzen ein bestimmter Antheil zukommt. Clement, der die Lebens- und Leidensgeschichte der Friesen geschrieben, sagt: „Das Strandgut bringt weder Wohlstand noch Segen, sondern Fluch. Kein Strandungsunfall ist ohne Lärm u. s. w.“ Ja, der Strand hat die Bewohner nicht gesegnet, welche früher beteten, daß, wenn ein Schiffbruch sich ereignen sollte, der liebe Gott denselben doch an ihrer Küste möge eintreten lassen. Das Beegen des Strandguts, welches zuweilen einträglich, hat die Bewohner Amrums abgehalten, sich der Schifffahrt mehr zuzuwenden. Da der Strand nun aber nicht immer ergiebig, so hat der Reichthum der Insulaner ebenfalls Schiffbruch gelitten und ist bedeutend gesunken. Die Bewohner nähren sich hauptsächlich vom Austerfischen, vom Fischfang, vom Verkauf der Seehundsfelle und dem Flechten des Halms, welcher auf den Dünen wuchert. Ackerland trifft man auf der Insel wenig an, dagegen mehr Wiesen und öde Heide. Die Häuser sind im Vergleich mit denen auf Sylt ärmlich und gewähren keinen erfreulichen Anblick. Die Bewohnerinnen der Insel kleiden sich wie die Föhringerinnen. Die Dünen auf Amrum gleichen den Dünen Sylts, und beinahe 2/3 der ganzen Insel besteht aus Sand, mit dem die heftigen Winde ihr neckisches Spiel treiben; sie arbeiten rastlos an den Dünen, welche sich bald kegelförmig erheben, bald gleichsam Pfeiler zu bilden scheinen, und die eine Höhe von 80–120 Fuß erreichen. Die Dünen sind melancholisch und still, wie überhaupt die ganze Insel in tiefe Stille versenkt zu sein scheint, die auf den Besucher einen eigenthümlich feierlichen Eindruck hervorbringt. Möven erblickt das Auge in Unzahl, sie sind wie der Storch und die Schwalbe poetische Vögel, und Verkünder nahenden Sturms; die großen nisten auf den hohen Dünen, die kleinen auf niedrigen hart am Strande, und das Suchen der Eier dieser sowie anderer Seevögel gewährt den Bewohnern einen kleinen Verdienst.

Wilde Kaninchen waren früher in Unzahl vorhanden, sollen jedoch in der letzten Zeit abgenommen haben, und ist man ein guter Schütz, so wird man auch jetzt nicht leer ausgehen, sondern von seinem Besuche nach den Dünen eine reiche Beute heimbringen. Die Seehunde werden auch geschossen. Man sieht sie oft aus den Fluthen emportauchen und mit großen klugen Augen sich umschauen. Der Jäger zieht dann seine Pelzmütze über die Ohren, streckt sich am Ufer im Sande nieder und sucht die Bewegungen des Thieres nachzuahmen. Dieses, welches einen Kameraden oder eine Gefährtin zu erblicken glaubt, nähert sich, und wird auf diese Weise oft das Opfer treuer Liebe.

Als vortreffliche Lootsen haben die Insulaner ihren alten Ruf behauptet, und der Schiffer, welcher sich ihnen in der Noth anvertraut, möchte fast immer als gerettet anzusehen sein. –„Schlickläufer“ nennt man auf den Inseln Diejenigen, welche bei der Ebbe, wenn das Meer sich zurückgezogen, von der einen zur andern gehen. Die genaueste Kenntniß des Meeresgrundes ist erforderlich um sicher das Ziel zu erreichen; eine kurze Abweichung vom rechten Pfade kann den Schlickläufer dem Tode in die Arme führen; denn so wie die Fluth eintritt, braust sie ihm mächtig entgegen und nimmt den Boden wieder in Besitz, von dem sie sich auf kurze Zeit zurückgezogen; sie umspült seinen Fuß und höher und höher steigend, zieht sie ihn in ihren kühlen Schooß hinunter.

Ist man ein Freund von Naturseltenheiten, so sammele man am Strande Conchylien und Gestein; man findet es in allen Formen, und von der Gewalt der Wellen zierlich abgeschliffen. Auch der Botaniker wird nicht leer ausgehen, sondern sich an Algen und Tangarten erfreuen; letzterer, hauptsächlich der Blasentang (fucus vesiculosus) wird auf Föhr benutzt, um die Steine der Deiche hinein zu legen, welche mit ihm vereinigt, die gehörige Stärke und Festigkeit erlangen.

Ich stieg, nachdem ich mich lange am Strande an den verschiedenen Gebilden des Gesteins und der Versteinerungen erbaut, langsam die Dünen hinauf, in deren losen Sand ich oft tief versank und mich mühsam emporarbeiten mußte. Oben angekommen, legte ich mich nieder und ließ den Blick schweifen über das endlose, majestätische Meer.




Die Inseln, welche wir bis jetzt besuchten, werden durch Dünen, so wie durch künstliche Deiche und Dämme gegen die Wuth der Wellen und Stürme mehr oder weniger geschützt, aber zu den Inseln Nordstrand und Pellworm gehören noch einige kleine, weder durch Dünen noch durch Deiche beschützte, wie Langenes, Abeland u. a., die sogenannten Halligen; sie liegen östlich von Amrum und südöstlich von Föhr. Halligen nennt man im weitern Sinne alles an der See liegende, uneingedeichte Land, welches bei der Fluth mehr oder weniger überschwemmt wird, im engern dagegen die bereits erwähnten Inseln. Sie liegen in offener See, und nur bei der Ebbe scheinen sie bis auf einige Wasserrinnen festes Land zu bilden. So wie aber die Fluth eintritt, werden sogar die einzelnen Wohnungen von einander getrennt, welche alsdann auf dem Wasser zu schwimmen scheinen. Der Boden der Halligen besteht aus Moorgrund, den die Fluth lockert, die darauf eintretende Ebbe mit sich fortführt und ihn an den Deichen des Festlandes als Schlick wieder ansetzt, so daß man mit Recht behaupten kann, die Halligbewohner können das ihnen entrissene Land an den Küsten des Herzogthums Schleswig wieder finden.

Auf den Halligen gedeiht kein Baum, dessen Grün das Auge erfreuen könnte, kein Busch, keine Staude rauscht im Winde, nur ein feines, kurzes Gras bedeckt den Boden, das den Schafen als Futter dient, und zur Heugewinnung gemäht wird. Nicht selten führt die Fluth den kärglichen Ertrag des Bodens mit sich fort und beraubt den Halligbewohner der spärlichen Ernte.

Die Häuser sind auf Hügeln, auf sogenannten Werften erbaut, um bei Sturmwinden gegen den Schwall der Wogen geschützt zu sein; aber oft steigt die Fluth höher und höher, wälzt sich brausend über die Werfte hin; pocht gegen Fenster und Thüren und treibt die Bewohner bis unter’s Dach. Die Häuser sind so gebaut, daß, wenn auch die Mauern derselben niedergerissen werden, das Dach dennoch auf den Pfeilern und Ständern stehen bleibt, welche der vorsichtige Erbauer bis auf den Grund der Werfte hineingetrieben hat. Nimmt aber die Wuth des Orkans nicht zur rechten Zeit ab, so wird auch die Werfte vernichtet, die Pfeiler, welche das Dach stützen, schwanken und erbeben in ihren Grundfestem und nur einer mächtigen Woge bedarf es dann, um Alles zu zertrümmern, und den schwanken Bau mit seinen Bewohnern in die endlose Tiefe hinabzuziehen.

So traurig ist die Lage der Insulaner, und dennoch lieben sie den paradiesischsten Ort der Erde nicht so wie ihre Heimath, die nur Noth und Schrecken zu bieten scheint. Daß der Schweizer in fremden Ländern seiner stolzen Alpen und grünenden Thäler in süßer Freude und tiefer Wehmuth gedenkt, ist leicht erklärlich, daß aber der Halligbewohner, der als Seefahrer die Wogen durchschneidet, mit noch größerer Anhänglichkeit seine nackte Insel liebt, wo er sich einst niederzulassen und sein Auge zu schließen hofft, das ist rührend und herzerschütternd, und läßt uns ahnen, welchen Zauber die Heimath auf jedes unverdorbene Gemüth ausüben muß.

Eine vielfach poetisch bearbeitete Sage berichtet, daß eine Friesin, die von ihrem Geliebten Abschied nahm, ihm versprach, immer eine Lampe an ihrem Fenster brennen zu lassen, bis er in ihre Arme zurückgekehrt sei. Der Seemann fand jedoch seinen Tod in den Wellen, aber das Mädchen versorgte unermüdlich die Lampe und blickte sehnsuchtsvoll auf’s Meer, den Geliebten erwartend. Ihre Wangen erblaßten, ihr Haar erbleichte; Jahr aus Jahr ein brannte die Lampe, im nächtlichen Dunkel ihren freundlichen Schimmer auf die Wogen werfend, bis die Liebende endlich die müden Augen schloß, und von ihrer Hand nicht mehr versorgt, auch der Schimmer der Lampe erlosch.

[184] Es soll vorgekommen sein, daß bei hoher Fluth und während der Nachtzeit große Schiffe dicht bei den Werften der Halligbewohner vorbeifuhren, und die Seefahrer es dann nicht zu deuten wußten, wenn sie plötzlich neben sich in ein traulich erhelltes Zimmer, das von Wellen umgeben war, hineinschauten

Brunnen sind auf den Inseln nicht vorhanden, sondern die Bewohner haben auf ihren Werften eine Art Cisterne gegraben, die sie mit Grassoden aussetzen, und in welcher sie Regenwasser auffangen, das ihren Schafen zum Saufen und ihnen zur Bereitung des Thees dient, und müssen sie bei anhaltender Dürre das Trinkwasser vom festen Lande holen. Während der großen Fluthen, in der ersten Hälfte des 17 . Jahrhunderts (1634) zogen viele Friesen von den Halligen nach Föhr, und ließen sich in Wyk und dem Dorfe Rieblum nieder, wo sich auch bis jetzt die ursprüngliche Tracht der Frauen erhalten hat.

Die Bewohner der Halligen sind kühn und unerschrocken, zurückhaltend und schweigsam; einsam leben sie auf ihrer Werfte, sich um die Außenwelt wenig kümmernd, nur bei einer Hochzeitfeier, die jedoch der wenigen Bewohner wegen selten vorkommt, geben sie sich der Freude des Tanzes hin. Die Frauen kleiden sich in enge Futterhemden von wollenem oder seidenem Damast; die langen Aermel, welche nach vorn weit offen stehen, sind an den Seiten mit silbernen Knöpfen besetzt; das Leibchen, welches sie unter dem Futterhemde tragen, steht ebenfalls weit offen, und schließt nur unten; an jeder Seite sitzt eine Reihe von achtzehn massiven silbernen Haken, an welchen eine Kette, ebenfalls von Silber, hin und hergewunden wird, an dem obersten Ende derselben tragen sie auf der Brust eine goldene oder- silberne Schaumünze. Das ist noch eine alte Nationaltracht, welche die nüchterne und unschöne der Frauen des Festlandes beschämt.




Vom Baue des menschlichen Körpers.
Des Menschen Fleisch und Bein.


Die Knochen (Beine, Gebeine) und Muskeln (Fleisch) sind die Bestandtheile unseres Körpers, welche demselben mehr als alle übrigen Organe seine menschliche Gestalt verleihen und mit Hülfe der Sinne und des Verstandes, zum menschlichen Thun und Treiben geschickt machen. Darum sollte man aber auch diesen Theilen von Jugend auf weit mehr Aufmerksamkeit und Pflege widmen, als dies zur Zeit geschieht, wo. man es größtentheils dem Zufalle überläßt, ob der Körper wohlgestaltet und kräftig, oder mager, mißgestaltet und affenähnlich wird, trotzdem daß es in unserer Macht steht, großen Einfluß auf seine Gestaltung und durch diese auf sein Wohlergehen in der Zukunft auszuüben. Wie jammern nicht die Mütter, wenn ihre Fräulein Töchter schief und bucklig werden und zwar zu einer Zeit, wo sie gern Parade mit ihnen machen möchten; aber auf vernünftige und leichte Weise einem solchen Schief- und Buckligwerden vorzubauen, das ist nicht ihre Sache. .

Die Knochen, deren Gewebe neben dem der Zähne das härteste im menschlichen Körper ist und deren Anzahl 213 (oder 245 mit den 32 Zähnen) beträgt, bilden durch ihre wechselseitige, mit Hülfe der Knochenbänder bewirkte Vereinigung ein Gerüste (Gerippe, Skelet) von beweglichen Balken und Hebeln, welches den sämmtlichen Weichtheilen, vorzugsweise dem Fleische, zur Befestigung und Unterlage dient, ihnen Halt und Stütze bietet, und Höhlen zur sichern Aufbewahrung edler Eingeweide aufbaut.– Nach dem verschiedenen Zwecke, welchem die einzelnen Knochen dienen, ist der Bau und die Form derselben verschieden. So finden sich lange oder Röhrenknochen, mit einem dickern walzenartigen Mittelstücke, dessen Inneres eine mit Knochenmark erfüllte Röhre darstellt, und mit dicken, schwammigen, kugligen Enden (auch schlechthin Kugeln genannt), vorzugsweise da, wo Theile (wie die Arme und Beine) große und schnelle Bewegungen auszuführen und den Körper zu stützen haben. Dagegen werden platte und breite Knochen zur Bildung von Höhlen und da verwendet, wo eine größere Anzahl von Muskeln zusammen eine Befestigung brauchen. Die dicken und kurzen Knochen von unregelmäßiger Gestalt trifft man aber an Stellen, wo eine auf viele kleine Knochenstücke vertheilte Bewegung hervorgebracht werden soll. – Die Verbindung der Knochen unter einander findet entweder in einer solchen Weise statt, daß die verbundenen Knochen ganz fest und unbeweglich zusammenhängen (durch Bänder, Knorpel, nahtartige zackige An- und Ineinanderfügung (Einkeilung), oder daß sie sich mit größerer oder geringerer Freiheit an einander hin- und herbewegen Die letztere oder bewegliche Knochenverbindung, die auch Gelenkverbindung heißt, entsteht dadurch, daß das glatte, mit einem elastischen Knorpelüberzuge bekleidete, meist kuglige Ende des einen Knochens mit Hülfe von festen, aber biegsamen Bändern (von denen das wichtigste kapselartig die sich verbindenden Knochenenden umgibt) an eine entsprechende, glatte, überknorpelte, gewöhnlich ausgehöhlte Gelenkfläche eines andern Knochens befestigt ist. Zwischen den beiden so verbundenen Knochen befindet sich, in der sogenannten Gelenkhöhle, zur Erleichterung der Bewegung durch Schlüpfrigmachen der Gelenkflächen, eine dickflüssige eiweißähnliche Flüssigkeit, die Gelenkschmiere (Synovia); in manchen Gelenken trifft man auch noch Fettklümpchen und Knorpelscheiben. Nach dem Grade und der Art der Beweglichkeit bezeichnet man: das straffe Gelenk, in welchem eine nur geringe Beweglichkeit, blos ein sanftes Hin- und Herschieben stattfindet (wie zwischen den Wirbeln); das Scharnier- oder Winkelgelenk, wo sich die Knochen nur in einer Richtung, winkelartig an einander bewegen, wie ein Taschenmesser (wie im Knie- und Ellenbogengelenk); das Roll- oder Drehgelenk, bei welchem sich ein Knochen in einem halben Kreise um sich oder einen andern dreht (wie der Kopf auf dem Halse); das freie oder Kugelgelenk, bei welchem dem kugelförmigen Ende des einen Knochens in der Aushöhlung eines andern Bewegung nach allen Richtungen hin gestattet ist (wie im Achsel- und Hüftgelenke).

Das Gewebe der Knochen, von dessen richtigem Verhalten, zumal von der richtigen chemischen Zusammensetzung, des Knochens Härte und Gestalt, also seine Bestimmung für unsern Körper abhängig ist, zeigt sich dem unbewaffneten Auge als eine harte, feste, weißliche, theils ganz solide (compacte), theils poröse, schwammige Masse, welche als leichtes Ausfüllungsmittel in ihren kleineren und größeren Zwischenräumen (Markzellen und Markröhren) ein weiches, gelbes oder röthliches Fett (das Knochenmark), sowie im Mark eingebettete Blutgefäße und Ernährungsflüssigkeit enthält. Durch das Mikroscop erkennt man in der Knochenmasse eine größere oder geringere Anzahl um einander herum liegender Schichten, sowie eine große Menge enger, fett- und gefäßhaltiger Kanälchen (Mark- oder Gefäßkanälchen und mit Ernährungsflüssigkeit erfüllter Höhlen (Knochenkörperchen) mit kanalartigen Ausläufern (Knochenkanälchen), welche die Höhlen und Kanälchen unter einander verbinden. – Die chemische Untersuchung ergibt die Knochenmasse zu 2 Dritteln als aus Knochenerde und zu einem Drittel aus Knochenknorpel zusammengesetzt; die erstere besteht hauptsächlich aus phosphorsaurem Kalk, dem etwas kohlensaurer Kalk, Fluorcalcium, phosphorsaure Talkerde und Kieselerde beigegeben ist; der letztere lößt sich beim Kochen zu Leim auf. Von der Knochenerde hängt die Härte, Dichtigkeit und Festigkeit des Knochens, vom Knorpel seine geringe Biegsamkeit und Elasticität ab. Ein Mißverhältniß zwischen diesen beiden Knochenmaterien ertheilt dem Knochen solche Eigenschaften, die ihn für seine Bestimmung untauglich machen; denn eine zu große Menge von Knorpel macht ihn weich und biegsam, wie dies bei der sogenannten englischen Krankheit (Rhachitis) der Fall ist; zu viel Erde bedingt dagegen eine größere Sprödigkeit oder Mürbigkeit und sonach leichtere Brüchigkeit desselben. Die Ursache eines solchen Mißverhältnisses zwischen Knorpel und Erde (organischer und unorganischer Substanz) liegt gewöhnlich in einer falschen Nahrung, welche den Stoffwechsel im Knochengewebe nicht ordentlich zu unterhalten vermag und demselben entweder zu viel von der einen, oder zu wenig von der andern Substanz zuführt. In der Jugend, wo der Knorpel in größerer Menge vorhanden ist, sind die Knochen auch leichten Verkrümmungen ausgesetzt, während [185] sie im Alter, wo die Menge der Erde größer ist, weit leichter zerbrechen. Die Verbrennlichkeit (Calcination) der Knochen rührt von ihrer knorpligen Grundlage her, ihre Undurchsichtigkeit, weiße Farbe, Schwere und die Fähigkeit der Fäulniß zu widerstehen, von den erdigen Bestandtheilen. – Die äußere Oberfläche der Knochen ist von einer festen, sehnigen Haut, der Knochenhaut oder dem Periost, überzogen, welches insofern die Ernährerin (Matrix) des Knochens ist, als seine zahlreichen Blutgefäße Aestchen in das Knochengewebe hineinschicken. Diese Haut ist ebenso wie das Knochengewebe äußerst arm an Nerven und deshalb wie dieses im gesunden Zustande empfindungslos; durch Krankheit können aber beide sehr schmerzhaft werden. Da die Ernährung (der Stoffwechsel) im Knochengewebe ziemlich langsam vor sich geht, so kommen auch Krankheiten in demselben, sowie deren Heilungsprocesse, nur sehr allmälig zu Stande.

Das knöcherne Gerüste des menschlichen Körpers wird, wie dieser selbst, in folgende Abtheilungen gebracht: in den Kopf (mit 28 Knochen), den Rumpf (mit 53 Knochen) und in die Gliedmaaßen (mit 132 Knochen), von denen es zwei obere oder Arme (mit 68) und zwei untere oder Beine (mit 64 Knochen) gibt.

a) Schädel. b) Gesicht. c) Halswirbel. d) Brustwirbel. e) Lendenwirbel. f) Kreuzbein. g) Schwanzbein. h) Beckenknochen. i) Brustbein. k) Rippen. l) Schlüsselbein. m) Schulterblatt. n) Oberarm. o) Speiche. p) Ellenbogenbein. q) Handwurzel und Mittelhand. r) Finger. s) Oberschenkelknochen. t) Kniescheibe. u) Schienbein. v) Wadenbein. w) Fußwurzel und Mittelfuß. x) Ferse. z) Zehen.

– Das Knochengerüste des Kopfes bildet mit seinem obersten Theile, d. i. der Schädel (a) aus 8 Knochen (das Stirn-, Hinterhaupts-, Keil- und Siebbein, die Schädel- und Schläfenbeine mit dem innern Gehörorgane), eine schützende Kapsel für das Gehirn, während seine untere Abtheilung oder das Gesicht (b), welches von 14 Knochen (den Wangen-, Nasen-, Oberkiefer-, Thränen-, Gaumen- und Nasenmuschelbeinen, dem Unterkiefer und Pflugschar) gebildet wird, Höhlen für die Sinne enthält, wie die Augen-, Nasen- und Mundhöhle (mit dem Zungenbeine am Halse). – Das Knochengerüst des Rumpfes, an welchem man Hals, Brust, Bauch und Becken unterscheidet, besitzt als Grundlage an seiner hintern Fläche oder am Rücken die Sförmig gekrümmte Wirbelsäule oder das Rückgrat, welches aus 26 einzelnen Knochen zusammengesetzt ist, nämlich aus 24 Wirbeln: 7 Hals- (c), 12 Brust (d) und 5 Lendenwirbeln (e); aus dem Kreuz- (f) und Schwanzbeine (g). Mit den Brustwirbeln stehen auf jeder Seite 12 Rippen (k) in Verbindung, welche sich vorn in die Rippenknorpel verlängern und sich mit diesen zum Theil an das Brustbein (i) anlegen, so den Brustkasten, Thorax, bildend, in dessen zu erweiternder und verengernder Höhle sich die Lungen und das Herz befinden. An die Seitenfläche des Kreuzbeins legt sich rechts und links ein, aus dem Hüft-, Sitz- und Schambeine zusammengesetzter Beckenknochen (h) an, und auf diese Weise wird als unterster Theil des Rumpfes durch die beiden Beckenknochen, das Kreuz- und Schwanzbein, das Becken aufgebaut, dessen Höhle Därme, Harn- und Sexualorgane aufnimmt. – Am Knochengerüste des Armes oder der obern Gliedmaaße heißt das oberste, vom Schlüsselbeine (l) und Schulterblatte (m) gebildete Stück, die Schulter; an diese stößt der Oberarm mit einem einzigen Knochen, dem Oberarmbeine (n), dessen unteres Ende sich am Ellenbogen mit dem Vorderarme verbindet, welcher 2 Knochen besitzt, von denen der eine die Speiche (o), am äußern oder Daumenrande, der andere das Ellenbogenbein (p) genannt wird. An den Vorderarm heftet sich unten die Hand mit ihren 3 Abtheilungen, deren oberste die Handwurzel (q) (aus dem Kahn-, Mond-, dreieckigen, Erbsen-, Haken-, Kopf-, großen und kleinen vieleckigen Beine), die mittlere die Mittelhand (aus 5 Mittelhandknochen) und die unterste die Finger (r) sind. – Das Knochengerüste des Beines oder der untern Gliedmaaße ist an das Becken durch den Oberschenkel befestigt, dessen Oberschenkelbein (s) sich oben mit seinem Kopfe in der Pfanne des Beckenknochens bewegt, unten am Kniee (mit der Kniescheibe t) an den Unterschenkel stößt, welcher aus dem dicken Schienbeine (u) und dem dünnen Wadenbeine (v) besteht. Beide Unterschenkelbeine schwellen an ihrem untern Ende zu den Knöcheln an und verbinden sich mit dem Fuße, dessen hintere Abtheilung Fußwurzel (w) (aus Sprung-, Fersen- (x), Kahn-, Würfel- und 3 Keilbeinen), die mittlere der Mittelfuß (aus 5 Mittelfußknochen), und die vordern die Zehen (z) heißen.

(Ueber die Muskeln, die naturgemäße Pflege und Ausbildung des Knochen- und Muskelsystems, sowie über den Ursprung und die Behandlung von Krankheiten der Knochen und Muskeln nächstens.)

Bock.




Schwäbische Geister- und Teufelsgeschichten.
Ein kulturhistorischer Beitrag.

Das schöne Schwaben hat nicht nur einen David Friedrich Strauß hervorgebracht, der die Aufmerksamkeit der Leute von den ober- und unterirdischen Geistern ab- und der diesseitigen Geisterwelt zuzulenken bemüht war, sondern auch einen Justinus Kerner, der unbeschadet seiner Freundschaft zu dem genannten Strauß, im Gegentheil schon seit Jahren von jener unsichtbaren und unfaßbaren Geisterwelt in allem Ernste viel Aufhebens macht und nicht blos von ihrem Hereingreifen in die diesseitige Welt überhaupt, sondern sogar von ihrem speciellen Umgang mit speciellen Personen steif und fest überzeugt ist. Was Wunder, wenn die Ansichten selbst Gebildeter mehr zu Kerner, als zu Strauß neigen? Liegt es doch in der Natur einen jeden Menschen, sich zu einer Geisterwelt hingezogen zu fühlen, die nicht an die Gesetze, welche unsere unvollkommene Wissenschaft kennt, gebunden ist und da, wo der Verstand seine Grenzen hat, der Phantasie einen unendlichen Spielraum läßt.

Und phantasiereich sind die Schwaben. Schade nur, daß das Niveau der allgemeinen Bildung noch keine solche Höhe erreicht hat, daß der sichere Kernpunkt zwischen unbedingtem Leugnen alles höheren Einflusses und dem unbedingten Fürwahrhalten gutgemeinten Geisterglaubens und betrügerischer Gaukelei noch nicht gewonnen ist. Wie viel in letzterem Artikel bei uns gemacht wird – [186] ich bitte diesen Ausdruck wörtlich zu nehmen – läßt sich unmöglich ermitteln: wenn auch von unsern Gerichten Jahr aus Jahr ein die schwere Menge Geistergeschichten verhandelt werden, wie selten anderswo im großen deutschen Vaterlande, so ist doch mit Sicherheit anzunehmen, daß der kleinste Theil dieser Geschichten das Licht der Oeffentlichkeit erblickt.

Wir reden hier vom finstersten Theil der Nachtseite jener Geschichten, von der handgreiflichsten Gewinnsucht vermittelst des unbegreiflichsten Geisterglaubens und von dem schändlichsten Mißbrauch, der mit diesem Glauben getrieben wird. Lassen Sie mich einige Geschichten aus der neuesten Zeit erzählen.

Ende Februar stand vor dem Schwurgericht in Ellwangen Balthasar Huber von Steinheim, O.-A. Heidenheim. Der Angeklagte, 53 Jahre alt, Schäfer und Viktualienhändler, erscheint in abgetragener blauer Blouse. Er saß bereits schon längere Zeit in Gefängnißhaft, wofür auch sein blasses Gesicht Zeugniß giebt. Seine scheinbar ausdruckslose Physiognomie geht während seiner eignen, mit Lebhaftigkeit geführten Vertheidigung in Schlauheit und Verschmitztheit über. Das mehrfach ausgestellte Prädikat eines redseligen Schwätzers hat er sich auch während der Verhandlung erworben, und mußte er vom Präsidenten darauf aufmerksam gemacht werden, bei der in Frage stehenden Sache zu bleiben. Nach der Anklageakte hat Huber wegen Landstreicherei, unerlaubten Einsetzens in das baierische Lotto, oftmaliger Uebertretung der Confinationsgrenze und betrügerischer Handlungen nicht weniger als 28 Vorstrafen zum Theile bis zu halbjähriger und achtmonatlicher Arbeitshausstrafe nebst zweimaliger Applikation von Stockstreichen (in Baiern) bestanden. Er trieb sich die letzten vierzehn Jahre, trotz mehrfacher Ausweisung aus Baiern und speciell aus München, dennoch zum Theil in Augsburg und München und namentlich in Roggden und der Umgegend herum. Er ist nach der Anklageakte eines durch zwölf Jahre (1841 bis 1853) fortgesetzten gewerbsmäßigen Betrugs durch Vorspiegelung zu hebender Schätze, der Fälschung von Lotterieloosen und selbst der Teufels- und Geisterbeschwörerei angeklagt und hat von Personen verschiedenen Standes und Berufs theils in München und Augsburg, theils namentlich von vielen Söldnern in Roggden u. s. w. in diesen zwölf Jahren nicht weniger als 4386 Gulden baares Geld herauszulocken gewußt, im Ganzen aber in dieser Zeit die Summe von gegen 8000 Gulden durch fortgesetzten Betrug sich zu eigen gemacht. Bei nicht weniger als 31 Personen, von welchen sechzehn als Zeugen persönlich erschienen, hat er seine betrügerischen Zwecke erreicht, und die meisten an den Bettelstab gebracht. Er fing damit an, sie durch die Loosnummern irre zu machen, welche sein Zauberspiegel als sicher gewinnende reflektirte, oder welche von geistlichen Herren durch Einfluß von Geistern als unfehlbar bezeichnet wurden.

Der Zufall wollte, daß einzelne wirklich gewannen, von den übrigen gab er, den leicht zu täuschenden Menschen gegenüber, deren Physiognomien auf den Zeugenbänken das Gepräge der Geistesbeschränktheit an der Stirn tragen, die hohen den Loosen zugefallenen Summen fälschlich an. Nachdem der Köder einmal gewirkt und der Reiz nach leichtem Gewinn rege gemacht war, hatte er bei seinen Klienten, denen er sich geistig weit überlegen fühlte, leichtes Spiel. Brauchte es doch nur, die warm und flüssig gewordene Phantasie durch Vorspiegelung eines durch relativ unbedeutende Geldmittel zu erreichenden ungeheuern Schatzes zur Siedhitze zu bringen. Dazu mußte ein angeblich im Kloster zu Elchingen und im Kloster Herrgottsruhe bei Friedberg im Schooße der Erde verborgener Schatz die verlockende Perspektive bilden. Die Fabel ist folgende: In den verschütteten Kellern beider Klöster liegen sieben oder, wie er gegen andere Zeugen versicherte, 35 Millionen in dreieckigen, gutlöthigen Silberstücken von altem Gepräge. Bereits ist von dem, im Hintergrund spielenden Comitee dafür gesorgt, die Einwechslung in gangbarer Münze zu bewerkstelligen. Nackte dienstbare Geister, sieben an der Zahl, von sonst menschlicher Gestalt, mit einem „simrigroßen“ Todtenkopfe, welche, bei einer angeblichen Erscheinung in einem Saale in Augsburg, einen solch penetranten Modergeruch zurückgelassen, daß eine große Schnupftabaksdose als Palliativ aufgestellt ist, reden mit der aus „geistlichen Herren“ bestehenden Versammlung in lateinischer, mit dem Angeklagten in deutscher Sprache. „Arme Seelen,“ die ihre im Leben abgelegten Gelübde, wegen jähen Todes nicht zu lösen vermochten, bewachen als Sträflinge des Himmels den Schatz. Es spielen in diesem phantastisch-zauberhaften Schau-, Possen- oder Trauerspiel Ritter mit Helm und Panzer, zwölf- und sechzehnjährige Kinder, und neben den dienstpflichtigen Geistern der leibhaftige Teufel selbst.

Das Geheimniß von dem vorhandenen großen Schatze wurde zuerst dreizehn geistlichen Herren offenbart, nach einer andern, vom Angeklagten erst später vorgebrachten Version aber nur drei Herren, welche in seiner Vertheidigung eine Hauptrolle und an ihm selbst – wie er sagt – den Betrug spielten, nämlich einem, von ihm stets im Munde geführten, abgesetzten geistlichen Herrn Waigl (eine für einen Dritten verfertigte Bittschrift hatte seine angebliche Absetzung zur Folge!), einem Bierwirth aus Augsburg und einem Schullehrer, welch’ letztere zwei aber bereits gestorben sind. Auf die Frage, wo Waigl sich aufhalte, eskamotirte er diesen nach – Amerika!

Diese Geistlichen, oder wie er zu Andern später sagte, diese drei Agnaten bilden einen eigenen Verein in „dieser Sache“, welches Ausdrucks sich Huber zur Bezeichnung des Geschäfts der Erhebung und Theilung des Schatzes in ewiger stereotyper Wiederholung bedient. In untergeordneter Stellung unter diesen Verein oder dessen Agnaten tritt nun Huber auf Geheiß der Geister, bei deren Erscheinung und pestartigem Geruch ihm „fast der Athem vergangen“, als Sendbote des klingenden Evangeliums auf. Die Geister ermahnen ihn, standhaft und fest in „dieser Sache“ zu verharren, und seine Aufträge an die Prädestinirten, d. h. die Armen und Nothleidenden auszuführen. Die Geister bedienen sich des homöopathischen Systems; die „armen Seelen,“ nämlich, die als Wächter über den silbernen Schätzen schweben, sollen wieder nur durch Arme, Bedrängte erlöst werden, aber nur durch solche, die guten, reinen Herzens und unbescholtenen Wandels sind. An diese nun soll in „Theilen“, nach vorhergegangener, durch Seelenmessen begutachteter strenger Prüfung der religiösen Gesinnung und der Herzensreinheit, der Schatz der vielen Millionen repartirt werden. Ein kleiner Gegendienst wurde freilich verlangt, denn die Erlösung kann ohne Vermittlung der Lebendigen nicht geschehen. Dazu ist – die Geister sitzen ja selbst über silbernen Barren – kein Geld nöthig, sondern die geistlichen Dinge des Gebets und der kirchlichen Funktionen: Seelenmessen, Wallfahrten, Rosenkranzbeten und Opfer. Ja, an Huber selbst ergeht im bewußten Saale zu Augsburg die Aufforderung, eine Wallfahrt nach Rom zum heiligen Vater, zum erlösenden Zwecke der Geister zu unternehmen, die er aber im „protestantischen Bewußtsein“ verweigert. Dagegen giebt er sich gerne dazu her, und trägt auch als „Evangelischer“ kein Bedenken, als Unteragnat die von den dienstbaren Geistern erkornen „Armen und Nothleidenden“ aufzusuchen und sie durch den unwiderstehlichen Reiz der silbernen Millionen anfänglich zu geringen Beiträgen für Seelenmessen, Wallfahrten und später zu immer größeren Einlagen zu verleiten. Ein vor den Schranken erschienener Zimmermann von vierzig Jahren aus Roggden hat sein ganzes Vermögen, 1300 Gulden, dem Betrüger zum Opfer gebracht, und ist jetzt völlig verarmt. Ein anderer Betrogener gab wiederholte Beiträge von einigen hundert Gulden, weil er nach der Versicherung der durch Huber redenden Geister „Oeconomie-Verwalter mit dem Schlüssel zur Thüre der verborgenen Schätze“ werden sollte! Ebenso wußte er in München und Augsburg Personen verschiedenen bürgerlichen Standes, Frauen, die zum Theil im seidenen Hut und Mantel vor dem Schwurgerichtshof erschienen, durch stets gleichlautende betrügerische Machinationen zu immer bedeutenderen Einlagen zu echauffiren. Erhielt doch ein Gulden 1000 Gulden, ja 3000 Gulden, und stiegen doch bei größern Geldspenden die Prämien in fabelhaften Progressionen bis zu Hunderttausenden. Und dennoch ist es kaum glaublich, daß sämmtliche Betrogene, worunter einzelne aus bessern Ständen, schon bei der in Baiern gepflogenen Untersuchung lieber den Schaden trugen, als sich durch einen solchen Betrüger, dem sie ihr Vertrauen zwölf Jahre lang blindlings schenkten, kompromittiren zu lassen.

Oder wurden sie stutzig und dauerte ihnen die Sache ohne den gewünschten und erwarteten Erfolg zu lange, so wußte Huber dieselbe theils durch untergeschobene Briefe von dem Direktor Erhard von Herrgottsruh (welcher dem Betruge auch ein Ende machen sollte), theils durch Darreichung einiger Kronenthaler in der Schwebe zu erhalten. Andere führte er vor die Pfarrhöfe und selbst vor das Kapuzinerkloster in Augsburg, ließ sie vor der Thüre warten, oder in der Klosterkirche den Rosenkranz beten, [187] und der Bescheid, den er aus dem Hause oder Kloster brachte, beruhigte stets mit dem Zuwarten von nur einigen Wochen.

Endlich sollte der Schatz wirklich aus den Klosterkellern abgeführt werden, aber auch die Fuhrwagen, die die schweren, gewichtigen Millionen den Betheiligten zuführen sollten, erforderten wiederholte Beiträge, zu deren Realisirung Mantel, Uhren, Ketten und das Letzte, was zu Geld zu machen war, vollends geopfert wurde, ohne daß den Verblendeten die Augen geöffnet worden wären. Der vorgenannte Zimmermann von Roggden erkundigte sich endlich bei dem geistlichen Direktor Erhard in Gottesruh bei Friedberg nach dem Angeklagten und nach dem Stande der Erbschaftssache überhaupt, aber auch die ihm gewordene Versicherung, daß er Huber gar nicht kenne, enttäuschte ihn nicht, und als er auf seinen dem Huber gemachten Vorhalt von diesem den Bescheid erhielt, das liege im Plane „dieser Sache“, war er vom Zweifeln zur alten sanguinischen Hoffnung zurückgekehrt. Doch nicht dieser allein nahm endlich, nachdem er sein Alles geopfert und zum Bettler geworden war, seine letzte Zuflucht zu diesem geistlichen Herrn. Denn das lag immer als beruhigendes Bewußtsein im Hintergrunde der Betrogenen, die geistlichen Herren können keinen Betrug mit den Armen spielen, deren Hort und Zuflucht sie seien!

Es wird vom Präsidenten ein Auszug des Tagebuchs vorgelesen, welche der, indeß im 77. Jahre verstorbene Direktor Erhard bei seiner gerichtlichen Vernehmung in Baiern seiner protokollarisch niedergelegten Erklärung beilegte und dem würtembergischen Gerichte übergeben wurde, und worin in schlichter, frommer Weise erzählt wird, wie Erhard den vielen Getäuschten, welche sich Jahre lang theils schriftlich, theils persönlich Raths bei ihm erholten, und in der Voraussetzung seiner Betheiligung in der Schatzangelegenheit, ihre Bedrängniß und ihre materielle Noth ihm klagten, stets die strikte Erklärung gab, nichts von der Sache zu wissen, wie er den „famosen“ Huber, dessen verdächtigen Gaunernamen er so oft schriftlich und mündlich erfahren mußte, zu entlarven suchte und sie aufforderte, in ihrem Berufe zu arbeiten, und, statt auf einen Betrüger, auf Gott zu vertrauen. Er bemerkt weiter, wie er auf Spaziergängern und allen Wegen von Unbekannten, die ihm nicht einmal den Namen anvertrauten, wegen Huber’s und des Schatzes belästigt und tribulirt worden sei u. s. w. Und das sollte denn auch der Stein werden, der den Betrüger nach 12jähriger ungefährdeter verbrecherischer Laufbahn zu Falle bringen sollte. Auf die, fast möchte ich sagen, zu spät gemachte Anzeige bei dem Gerichte in Augsburg wurde nach dem Verbrecher gefahndet, ohne daß man desselben auf baierischem Boden habhaft werden konnte. Vom Oberamtsgerichte Heidenheim als des Betrugs verdächtig, mit Steckbriefen verfolgt, wurde er in Bopfingen verhaftet und an das Oberamtsgericht abgeliefert. Trotz des bedeutenden, durch Betrug erworbenen Geldes ist auch er ein Bettler, der mit Ausnahme des Wenigen, das er zur Erziehung seiner drei unehelichen Kinder in Baiern verwendete, all’ das Blutgeld so schnell und leicht verlor, wie er es geraubt hatte, und der sich in seiner Verstocktheit kein Gewissen daraus gemacht hatte, meist unbescholtene, schlichte und arme Leute durch die betrügerische Vorspiegelung überreicher Erbschaft zu äußerst unglücklichen Menschen zu machen. – Der Staatsanwalt beantragte: wegen fortgesetzten gewerbsmäßigen Betrugs eine Zuchthausstrafe von zwölf Jahren, und hielt es in Anbetracht des vielen Wehes und des bedeutenden Unglücks, das Huber durch seinen beispiellosen Betrug über rechtliche, harmlose und dazu arme Leute gebracht, für eine gerechte Strafe, das körperliche Wehe der Züchtigung über ihn auszusprechen. Er beantragte daher eine körperliche Züchtigung von 50 in Abtheilungen zu applicirenden Streichen. Der Schwurgerichtshof verurtheilte Huber zu zwölf Jahren Zuchthaus und Tragung sämmtlicher Kosten, welches Urtheil derselbe ohne sichtliche Erschütterung anhörte.

Ein ähnlicher Fall wurde Anfangs dieses Monats vor dem Schwurgerichtshof in Ludwigsburg verhandelt. Der Angeklagte war ein Taglöhner, Namens Christian Karl Jetter, von Hofen, Oberamts Besichheim, 59 Jahre alt, verheirathet, Vater von sieben Kindern und ganz schlecht prädicirt. Er, dessen Gesichtszüge ungemeine Verschmitzheit verrathen, ist Schatzgräber, Geisterbeschwörer und sonstiger Betrüger. Er wurde bereits während seiner Militärzeit wegen Veruntreuung von Menagegeldern und Fälschung des Menagebuchs, ebenso wegen Betrugs und Verleitung eines Andern hierzu, sodann außer dem Militärstande wegen Fälschung einer öffentlichen Urkunde und endlich wegen Diebstahls bestraft. Im Jahre 1853 begann er große Ausgaben zu machen, die mit seinem kleinen und mit Schulden behafteten Anwesen in gar keinem Verhältnisse standen, namentlich war er häufig in den Wirthshäusern zu sehen, wo er dem Trunke ergeben, viel Geld verthat. Dieses Geld erwarb er meist durch Betrügereien mittelst Benutzung des Aberglaubens Anderer; alle seine Verbrechen aufzudecken, war nicht möglich, wie die Anklageakte sagt, weil in solchen Fällen die Betrogenen selbst nicht nur keine Anzeigen machen, sondern sogar auf die Verheimlichung der an ihnen verübten Vergehen hinzuwirken, und auch andere Zeugen in ihren Angaben rückhaltend zu sein pflegen.

Doch gelang es, nachfolgende Vergehen zu erweisen: Im Jahre 1853 kam Jetter nach Eschenau und Windischenbach und brachte daselbst eine Gesellschaft von Leuten zusammen, die er glauben machte, er könne ihnen ungeheuer viel Geld verschaffen durch Hebung eines unter dem Keller auf dem Goldberge bei Windischenbach verborgenen Schatzes, welcher frei werde durch Erlösung des wachehaltenden Geistes vermittelst Gebeten in einem 30 oder 40 Stunden weit entfernten Kloster; dorthin müsse Geld und andere Sachen geschickt werden, damit man die Gebete vornehme; die Gesellschaftsmitglieder sollten diese Gaben spenden. Dem Vereine traten nun mehrere Leute, elf an der Zahl, bei. Jeden Mitglied mußte zuerst je ein Mannshemd und 59 Kreuzer an’s Kloster abgeben. Die Hemden, welche neu, aber von ihren bisherigen Eigenthümern doch schon einmal getragen sein sollten, bekommen, sagte Jetter, die Zöglinge im Kloster. Später wurden wieder neunzehn Gulden zusammengeschossen und dem Jetter zugestellt. Ungefähr in der Mitte August 1853 begab sich derselbe in einer Nacht mit vier Mitgliedern in den bezeichneten Keller, er stellte dort vier große Lichter in einem Vierecke auf, setzte ebenso vier kleine Lichter nieder, zündete diese an und las etwas den Zeugen Unverständliches ab. Hierauf erschien in langem weißen Gewande eine menschliche Gestalt, die Jetter anredete und sie befrug, ob das Geld jetzt zu holen sei; die Gestalt antwortete, es sei noch nicht Zeit, es seien noch 50 Fl. als Opfer in das Kloster zu schicken. Die Gestalt verschwand dann wieder. Die 50 Fl. aber wurden dem Jetter übergeben, um sie in’s Kloster zu tragen. Etwa nach vierzehn Tagen ging’s wieder auf den Goldberg, um den Schatz zu heben: jedes Mitglied war mit einem großen Sacke versehen. Jetter machte wieder allerlei Beschwörungen, der Geist kam aber nicht. Hierauf folgten weitere Versuche, die den Mitgliedern zwar keinen Schatzantheil, wohl aber wiederholte Opfer brachten; unter Andern, gab man auch ein Bett, damit es im Kloster für arme reisende Pilger aufgestellt werde.

Sofort wurde der Goldberg aufgegeben und Versuche in der Nähe des Eichelberges, O.-A. Weinsberg, gemacht. Der Opfer waren wieder viele; denn es wurde auch „Fünf-Wunden-Oel“ verschafft. Jetter erhielt wenigstens 200 Fl.

Ein ander Mal kam der Bauer Bröckel von Bönningheim zum Angeklagten, weil derselbe etwas vom Schatzgraben verstehe. Er sagte ihm, daß in seinem Hause ein Schatz verborgen sei. Jetter ging sogleich auf die Sache ein, zeigte dem Bröckel und einem Nachbar Weber ein Buch mit Bildern und sagte: solche „Dinger“ kommen beim Schatzgraben. Auch gebe es dienstbare und Freiheits-Geister, wovon man die ersteren am Dienstag, die letzteren am Freitag vertreibe; wenn nur einmal der Böse vertrieben sei, so habe es keine Noth. In einer Nacht sodann kam man in der Wohnung Weber’s zusammen. Jetter ließ Bröckel und Weber niederknien, besprengte sie mit angeblichem Weihwasser und sprach in fremder Sprache einen Segen über sie. Nachts halb zwölf Uhr zog er dann mit Beiden auf einen Kreuzweg, stellte sie dort auf, lief in Kreisen um sie herum und sprach Unverständliches, bis er zuletzt den Satan rief: er solle erscheinen! Da kam auf der Straße daher eine männliche Gestalt. Jetter rief auf hundert Schritte ihm zu: sie solle halten! Sie blieb stehen.

„Wie groß ist der Schatz?“ ruft er.

Die Gestalt antwortete:

„Sieben Millionen, und sie – die Beschwörenden – würden von ihm böse heimgeschickt werden, wenn sie nicht das sechste und siebente Buch Mosis hätten; weil aber Jetter dieses Buch besitze, so könne er den Schatz heben;“ Jetter befahl sofort dem Satan, abzutreten; die Gestalt drehte sich um, und es sei nun – sagen die Zeugen – gerade gewesen, wie wenn sie aus Zorn Feuer [188] spie, was gerade ausgesehen, als ob man einen Feuerteufel machte (der Satan war aber wahrscheinlich ein Sohn des Angeschuldigten). Bröckel und Weber glaubten wirklich, es sei der Teufel gewesen! Bröckel erhielt den Auftrag, zu des „Grafen oder Geistes“ Erlösung in das Kloster zu St. Leonhardt ein Opfer von 99 Fl. zu stiften oder er werde in 99 Tagen sterben, wo dann der Geist des Grafen erlöst, Bröckel’s Geist aber den Schatz hüten müsse. Bröckel gab jedoch das Geld nicht und die Sache zerfiel.

Ein anderer sehr vermöglicher Bauer, M. Schmoll, in Hausen, hatte auch einen Geist im Hause – seinen verstorbenen Schwiegervater. Jetter bannte denselben unter lautem Jammern und Gewimmer des Geistes bei Licht und Bibel: der Geist ließ sich nach Angabe der Schmoll’schen Eheleute von da an nicht mehr hören. Schmoll verkaufte ein paar Stiere und Jetter erhielt 200 Fl. von dem Gelde! Jetter bekannte nach längerem Läugnen dieses und sagte: das Gewimmer wäre von einer Katze hergekommen, die unter „argem Gemauzel“ die Küchenstiege herabgesprungen, von ihm aber gepackt, in einen Sack gesteckt und fortgetragen worden sei. Die Schmoll’s hätten aber geglaubt, es jammere ein Geist. –

Durch den Landjäger Kaller in Bemkenheim, welcher sich einen Plan machte, den Angeklagten zu fangen, wurde das Treiben des Jetter aufgedeckt, und es ergiebt sich, daß derselbe im Ganzen wenigstens 400 Fl. sich unerlaubter Weise verschafft hat. In seinem Verhöre gestand der Angeklagte fast sämmtliche Thatsachen insofern unumwunden zu, als er bei der ganzen Angelegenheit redlich zu Werke gegangen sei, und die empfangenen Gaben zwar nicht an das Kloster, aber doch zu sonst vielen wohlthätigen Zwecken, wie Almosen etc. abgegeben haben will; auch behauptet er, er habe, wie damals, so jetzt auch, den Glauben, das Schatzheben könne gelingen. Ueberhaupt bot das Verhör mit den Angeklagten und den Zeugen ein komisch-tragisches Schauspiel dar: man war erstaunt über die Verschmitztheit der Betrügenden und über die Bornirtheit der betrogenen Partei. Ja, man höre: anstatt daß die Hauptbetheiligten, nachdem ihr furchtbarer Aberglaube und Unsinn bereits während der zwei Tage andauernden Gerichtsverhandlung im Saale wiederhallt, jetzt zur Vernunft kämen, sind sie noch schnurstracks und beharrlich der Meinung, daß sowohl ihr Zauberer wirklich Geister erscheinen ließ, als daß sie auch selbst Geister gesehen und gehört haben. Z. B. der 70jährige Bröckel behauptet: vor ungefähr zwanzig Jahren sei ihm eine weiße weibliche Gestalt erschienen, habe ihn umarmt und fortzuziehen gesucht! Schmoll aber bleibt dabei, nach der Bannung durch Jetter habe sein Schwiegervater (welcher nach seiner Ansicht „geistet,“ weil er ihn in seinem Testament vielleicht etwas verkürzte!) nicht mehr rumort! Und wiederum hat der alte Bröckel von dem in seinem Hause verborgenen Schatz, z. B. auch eine goldene Sperrkette gesehen!

Der Angeklagte wurde für schuldig erklärt und unter Einrechnung eines Theils der unverschuldeten Untersuchungshaft zu einer Arbeitshausstrafe von drei Jahren und neun Monaten und zur Tragung sämmtlicher Prozeßkosten verurtheilt. Er vernahm das Urtheil mit großer Gleichgültigkeit.

Sie sehen, daß das Volk von Schwaben nicht so ungläubig ist, wie man es schon verschrien hat.




Das neue Rathhaus in Hamburg.

Die merkwürdige deutsche Stadt, einst Königin der Elbe und des Welthandels mit ihren Hanseschwestern, jetzt in dem merkwürdigen Rufe, daß sie eine Republik sei, in der That aber die abhängigste Gemeinde und Wirthschaft in der Welt, abhängig von England, abhängig von benachbarten und sehr entlegenen Staaten und deren Rescripten, ist mit eigenen, aber noch mehr von außerhalb zugeflossenen Mitteln wieder so schön aus ihrer Asche hervorgestiegen, wie selten ein Phönix. Die schönsten und prachtvollsten Bauten sind aber immer noch unterwegs und zum Theil nur erst in architektonischen Zeichnungen vorhanden. Die stolzeste neue Kirche (St. Nicolas) steckt noch im Rumpfe und der Thurm, welcher alle Thürme Europa’s nach dem straßburger Münster an Höhe übertreffen soll, fängt erst an, sich zu erheben. Von dem zweiten größten Prachtbau, dem Rathhause, fehlt nicht nur die Krone, sondern auch Alles vom Körper und Haupte, ja selbst der erste Anfang noch. Doch läßt sich an baldiger Vollendung unter Direktion des hamburger Hauptbaumeisters und Engländers Mr. George Gilbert Scott nicht zweifeln.

Wir geben aus seinen architektonischen Modellzeichnungen zu diesem Baue die Hauptansicht von der Vorderfront aus. Auch ohne besondere architektonische Bildung wird man leicht sehen, daß bei aller Pracht im Großen und Zierlichkeit im Kleinen dieses Bauwerks die Manie Scott’s, Alles zu gothiciren, an einem modernen Rathhause und republikanischen Regierungsgebäude durchaus nicht mit Geschmack angebracht ist. Der gothische Stil hat einmal einen romantisch-religiösen, durch Spitzbogen und Strebepfeiler, schlankes Emporstreben und Durchbrechung materieller, massiver Wände zur Durchsichtigkeit von brabanter Spitzen Materie und Irdisches verläugnenden, d. h. erhabenen Charakter. Im Rathhause soll aber die irdische Republik Hamburg regiert, nicht negirt, irdisches Geld gesammelt und vom Senate wieder zum Besten der Republik, d. h. für irdische Zwecke ausgegeben werden. Dabei denkt Niemand an den Himmel, und überhaupt hat die Republik Hamburg nichts Himmlisches. Der gothische Stil des Rathhauses drückt also in keiner Weise Etwas aus, was mit den Zwecken desselben irgend Etwas gemein hätte. Die gothische Form ist also hier eine eitele, leere, nichtssagende, mißbrauchte. Selbst der moderne, ächte Religions-Kultus strebt nicht mehr mittelalterlich-erhaben schlechtweg vom Irdischen los, sondern sucht es umgekehrt als göttlich zu würdigen und den Himmel auf der Erde, im Irdischen zu erkennen und zu genießen. Deshalb ist im Allgemeinen auch für Kirchen der gothische Stil keine lebendige, ästhetische Form mehr und gerade deshalb, weil er der herrlichste, gewaltigste, klassischste für das mittelalterliche Religions- und Kultus-Ideal, also für ein ganz historisch bestimmtes, historisch vergangenes Streben und Sehnen war.[1]

Für moderne Architektur-Aesthetik ist daher auch der Geist vom gothischen Stile gewichen. Man macht im großartigsten Maßstabe der Nachahmung z. B. am neuen Parlamentsgebäude zu London nur die Schnörkel, nur die Ausartung desselben mechanisch und thatsächlich mit der Maschine nach. Und die am neuen Rathhause zu Hamburg oben hinlaufenden Decorationslöcher sehen gar aus, als sollten die Frau Senatorinnen dort Wäsche trocknen.

Hamburg sieht prächtig aus in seinen neuen Stadttheilen, es würde aber eine schönere, geschmackvollere Physiognomie tragen, wenn es sich guten und großen deutschen Baumeistern anvertraut hätte, statt einem Engländer. In nichts sind die Engländer so verrufen, als in der Geschmacklosigkeit ihrer Architektur, in ihren Bauten, die im Durchschnitt weiter nichts sind, als mit Papier überklebte Zelte, barbarische Holz- und Steinhütten mit wildem Wachtfeuer im Kamin, mit Barbarei an den Wänden, überklebt mit Tapete, verhüllt mit Teppich und Wachstuch. Allerdings ist Mr. Scott einer der gebildetsten Architekten Englands, aber doch auch wieder für moderne Bautenschönheit ganz unbrauchbar, weil er nichts als schön anerkennt, als das, wofür er in irgend einer alten Kirche ein Muster und Ideal nachweisen kann, wegen seiner Gothomanie. Er ist gelehrt, geschickt, hat aber nichts Schöpferisches, keinen Schönheitssinn. Wir wollen hier nicht verrathen, weshalb Mr. Scott über die deutschen Architekten, die sich mit Modellen und Entwürfen für die St. Nicolaskirche einfanden, siegte, wissen aber, daß der meisterhafte Entwurf G. Semper’s aus Dresden (um es allgemein auszudrücken) nur von dem englisirenden Geiste in Hamburg zu Gunsten des Scott’schen zurückgewiesen ward.

Wie die Sachen nun stehen, muß man das Rathhaus und die St. Nicolaskirche und das ganze neue Hamburg eben hinnehmen, wie es ist und wird, obwohl gerade Deutschland und deutsche

[189]

Das neue Rathhaus in Hamburg.

[190] Beiträge zur Wiederauferstehung Hamburgs hier ein größeres Recht geben als je, deutsche Kunst und deutschen Schönheitssinn geltend zu machen. Darin würde zugleich die hauptsächlichste Anerkennung des großartigen und klingenden Mitleids liegen, welches Deutschland gegen das abgebrannte Hamburg bewies. In ähnlichen Unglücksfällen, welche deutsche Städte und Gegenden betraf, hat Hamburg im Allgemeinen wenig oder kein Talent der Dankbarkeit gezeigt.

Abgesehen vom Stile wird das neue Rathhaus namentlich im Innern eine der großartigsten und geräumigsten Civil-Bauten sein. Obenan steht die weite, hohe Senator-Halle mit verschiedenen Bureaux, Commission-Zimmern, Archiv-Räumen um sie her. Dann kommt der Versammlungssaal der Bürger-Abgeordneten, worin letztere mit dem Senate monatlich einmal das Wohl der merkwürdigen Republik berathen, mit Nebensälen für Lokal- und Kirchsprengel-Vertreter. Der dritte Hauptsaal wird die Finanz-Verwaltung und ein Dutzend Steuer-Departements in sich abfächern. Daneben Gerichtshöfe, eine fünfte Abtheilung für verschiedene Bureaux der Verwaltung und Rechtspflege über Bankerotte, Heirathen u. s. w. Das große „Gehege“ wird zu Börsen- und kaufmännischen Geschäften der großen Geldmänner und Handelsfirmen dienen. Die Kosten des großen Baues sind auf 1 Million Thaler berechnet worden, dieselbe Summe, welche für den Bau der St. Nicolaskirche veranschlagt ward.




Fräulein von Arnim.
Eine Erinnerung.

Vor einigen Tagen blätterte ich in dem Tagebuche meines Vaters, das er sehr sorgsam geführt hat. Unter manchem Interessanten fand ich auch eine Unterredung, die er und ein guter Freund mit der Gräfin Marie Henriette Elisabeth von Kunheim gehabt hatten. Da die genannte Dame in der Lebensgeschichte unseres großen Dichters Schiller unter dem Namen Fräulein von Arnim eine wichtige, wenn auch noch nicht ganz aufgeklärte Rolle spielte, so dürfte es manchem Leser dieses Blattes erwünscht sein, wenn ich die angedeutete Stelle aus dem Tagebuche hier mittheile.

Friedland an der Alle, den 12. Juli 1820.

Der heutige Tag ist unstreitig der denkwürdigste, den ich mit meinem Freunde B. auf der diesjährigen Ferienreise erlebt habe. Es ist unverzeihlich, daß ich nach fast dreijährigen Studien in Königsberg noch nicht weiß, daß Fräulein von Arnim, die von Schiller Angebetete, in der Provinz lebt! Durch Zufall erfuhr ich es erst heute, und das Glück, was mir sonst nicht immer lächelt, vergönnte mir sogar eine Unterredung mit der berühmten Dame. Wir wanderten nämlich heute früh durch das Dorf G. und sahen seitswärts vom Wege ein prächtiges Gut.

„Wie heißt jener schöne Landsitz?“ fragte ich einen Mann, der uns mit einer langen Pfeife im Munde entgegen kam und den ich, worin ich mich auch nicht getäuscht hatte, für den Schulmeister des Orts hielt.

„Das ist das Dorf Kloschenen!“ antwortete der Gefragte, indem er uns höflich „einen guten Morgen“ bot und mit uns weiter ging.

„Und wem gehört das Gut?“

„Der Gräfin von Kunheim. Jedenfalls,“ fuhr der redselige Mann fort, „sind die Herren von der Universität und kennen also unsern großen Schiller und dessen Lebensgeschichte. Dann wird es vielleicht von Interesse für Sie sein, zu erfahren, daß die Gräfin von Kunheim jenes Fräulein von Arnim ist, die der große Dichter einst so sehr geliebt hat. Sie werden wissen, daß sie nicht reich war, und da Schiller ebenfalls nichts besaß, wie es den Gelehrten oft geht, hat er sie auch nicht heirathen können.“

„Die Gräfin Kunheim ist wirklich das ehemalige Fräulein von Arnim?“ fragte ich, überrascht von der Mittheilung, die mir der Schulmeister gemacht.

„Zu dienen, meine Herren! Jetzt ist sie indeß nicht mehr arm, sondern reich, sehr reich. Ihr Mann, der selige Graf, der im Jahre 1815 starb, hinterließ ihr ein großes Vermögen. Schade, daß der ganze Reichthum nach ihrem Tode unter viele Verwandte vertheilt wird; denn Kinder hat die Gräfin keine.“

In meiner und meines Freundes Seele stand sofort der Vorsatz fest, einen kleinen Abstecher zu machen, um die Dame zu sehen und vielleicht gar zu sprechen. Ich fragte daher den Schulmeister, ob die Gräfin gerne Fremde zu sich lasse, und ob wir beiden Studio die Aussicht zu einer Unterredung mit ihr hätten.

Der Schulmeister erwiederte, daß die Gräfin sehr zurückgezogen lebe und selten Fremde empfange. „Sie hat,“ setzte er mit geheimnißvoller Miene hinzu, „den großen Dichter gewiß noch immer in sehr gutem Andenken und liebt ihn vielleicht noch. So viel steht fest, daß sie ihn nicht vergessen hat, und mit dem alten Johann, der schon Bedienter bei ihrer Mutter gewesen ist, und der Schiller persönlich gekannt hat, noch oft von dem großen Dichter spricht.“

Der Schulmeister bemerkte, wie sehr uns seine Mittheilungen interessirten und gern begleitete er uns noch eine Strecke, um uns den Weg nach Kloschenen zu zeigen. Wir hatten uns ja trotz der ungünstigen Aussichten, die uns der Schulmeister gemacht, zu einem Abstecher nach dem Gute entschlossen.

„Der alte Johann,“ fuhr der Schulmeister fort, „hat mir mehr als einmal erzählt, daß die Gräfin bei der Nachricht von Schiller’s Tode heftig geweint hat und der selige Graf darüber lange verstimmt gewesen ist. Ich glaube fast, daß ihre Ehe nicht zu den glücklichsten gehört hat, obwohl der Graf seine Frau sehr liebte. Sie muß übrigens in ihrer Jugend eine ausgezeichnete Schönheit gewesen sein, und sie war es noch vor etwa zehn Jahren. Schade, daß sie nicht Schiller’s Frau wurde. Der alte Johann meint, ihre Mutter sei die Ursache davon gewesen, und sie habe das Verhältniß des Dichters mit ihrer Tochter nur geduldet, um reiche und vornehme Freier herbeizulocken. Als aber Schiller gemerkt habe, daß man ihn täusche, sei er auf- und davongegangen. Die Gräfin soll nach dieser Trennung Tage lang geweint haben.“

Wir waren an dem Wege, der nach Kloschenen führt, angelangt.

„Gehen Sie immer auf dieser Straße gerade fort, so sind Sie in einer Stunde in Kloschenen,“ sagte der Schulmeister. „Besehen Sie sich den Park, vielleicht treffen Sie darin auch die Gräfin.“

Er zog sein Käppchen, wünschte uns eine glückliche Reise und kehrte dann nach dem Dorfe zurück; wir aber wanderten getrost weiter und waren nach einer guten Stunde in Kloschenen. Da wir es nach den Mittheilungen des Schulmeisters für erfolglos hielten, eine Unterredung mit der Gräfin zu erbitten, abgesehen davon, daß wir als namenlose Bursche es auch nicht wagten, diese Gunst nachzusuchen, so beschlossen wir, nur den Park in Augenschein zu nehmen. Ich kann nicht läugnen, daß wir die Hoffnung hegten, bei dieser Gelegenheit vielleicht der edeln Dame in den dunkeln Gängen des Parks zu begegnen oder doch wenigstens ihre Gestalt an einem Fenster des Schlosses zu erblicken.

Die Erlaubniß, den Park zu betreten, ward uns ohne Umstände gewährt und wir durchkreuzten denselben nach allen Richtungen, stets hoffend, daß uns die Gräfin in irgend einem der vielen schattigen Gänge entgegenkommen werde. Das Glück schien uns aber nicht günstig zu sein; denn wir bemerkten keine menschliche Seele, so sehr wir auch Gesicht und Gehör anstrengten. Unmuthig über unser Mißgeschick waren wir bereits willens, den Park zu verlassen, als wir einen Diener mit silberweißem Haar trafen, der unserer Vermuthung nach der alte Johann sein mußte, von dem der Schulmeister gesprochen hatte. Wir grüßten höflich. Der alte Mann erwiederte den Gruß freundlich und fragte uns, wie uns der Park gefalle.

„Es sind hier herrliche Anlagen“ sagte ich; „man findet dergleichen selten in unserer Provinz. Ueberall offenbart sich ein feiner Geschmack, und ich wünschte mir wohl so ein Stückchen Park auf meine dereinstige Landpfarre.“

Der alte Diener lächelte und stimmte mir bei, daß der Park schön sei, meinte aber, daß er drüben in Deutschland nicht wenige gesehen habe, die ihn an Schönheit überträfen.

[191] „Die Gräfin,“ setzte er dann hinzu „verwendet sehr viel auf den Park; ich glaube, daß ihr jährlich seine Unterhaltung an tausend Thaler kostet.“

„Die Gräfin promenirt wohl häufig im Park?“ fragte ich.

„Wohl täglich zwei Stunden, wenn schönes Wetter ist.“

„Kann man die Dame sehen – wenn auch nur aus der Ferne?“ frug ich forschend.

Der alte Diener sah mich eine Weile an, grub dann, als ob er über Etwas nachsinne, mit seinem Stocke im Sande und fragte dann lächelnd: „Sie sind wohl auch ein Verehrer Schillers und wünschen die gnädige Frau seinetwegen zu sehen?“

Ich bejate es verlegen. „Das Verlangen, die edle Dame zu sehen, die uns an den Dichterfürsten Deutschlands so lebhaft erinnert, trieb uns hierher, und wir würden Kloschenen wirklich mit tief betrübtem Herzen verlassen, wenn wir die Gräfin nicht gesehen hätten.“

Der Diener las es gar deutlich in unsern Blicken und Gesichtszügen, wie aufrichtig und tief gefühlt unsere Worte seien und versprach uns, der Gräfin unsern Wunsch vorzutragen. Mit der größten Spannung warteten wir auf seinen Bescheid. Bald kehrte er zurück und sagte: „die Gräfin läßt um Ihre Namen bitten, meine Herren!“

Wir nannten sie ihm; er eilte wieder fort, und darauf erfreute er uns mit der Nachricht, daß uns die Gräfin nach einer halben Stunde in einem Sommerhäuschen erwarten werde.

Wir gratulirten uns gegenseitig zu diesem unverhofften Glücke und dankten dem alten Diener herzlich für seine Vermittlung. Wir säuberten uns schnell in dem Zimmer des alten Johann und machten uns dann um die bestimmte Zeit, von dem alten Diener geleitet, nach dem Sommerhäuschen auf. Ich war auf dem Gange dahin wirklich innerlich erregt und sprach kein Wort, obwohl mein Freund mit dem Alten gemüthlich plauderte.

Nach etwa tausend Schritten lag das Sommerhäuschen vor uns. Es war ein niedlicher Pavillon mit vielen großen Fenstern, an denen sich üppige Epheustauden bis zum Dache hinaufrankten.

„Treten Sie ein, meine Herren,“ sagte der Alte, als wir an der Thür des Häuschens angelangt waren, „die Gräfin erwartet Sie.“

Ich legte die Hand nicht ohne ein leises Zittern auf den Drücker und öffnete.

Wir befanden uns im nächsten Augenblicke vor der Dame, die einst der größte Dichter Deutschlands mit seinem reichen großen Herzen geliebt hatte. Die Gräfin erhob sich bei unserm Eintritte von einem mit grünem Sammet überzogenen Sopha und trat uns einige Schritte entgegen. Wir verbeugten uns tief, und nach einigen konventionellen Redeformeln nöthigte sie uns, auf zwei vor dem Sopha stehenden Stühlen zum Sitzen, während sie sich selbst wieder auf das Sopha niederließ. Ich hatte jetzt Gelegenheit, sie näher in’s Auge zu fassen. Die Gräfin mochte vielleicht fünfzig Jahre, eher etwas darüber zählen; einige dreißig Jahre waren seit ihrer Bekanntschaft mit Schiller verflossen, aber dennoch konnte man sie noch immer schön nennen. Ihr prächtiges Haar war noch ganz schwarz und voll; unter schön gewölbten Augenbrauen glänzten die feurigen geistreichen dunkeln Augen wie zwei blitzende Sterne; sie neigte sich etwas zur Wohlbeleibtheit, aber dennoch war ihre Haltung mit Hoheit und Anmuth gepaart. Ich konnte es mir wohl denken, wie sie in Jugendschönheit strotzend, auf Schiller einst einen so mächtigen Eindruck machte.

Als wir Platz genommen hatten, fragte sie mit einer weichen, aber sehr wohltönenden Stimme: „Sie haben sich meinen Park angesehen; wie gefällt er Ihnen?“

„Wir haben die Schönheit desselben bewundert und waren überrascht, in unserer Provinz Kunst und Natur so herrlich vereinigt zu sehen,“ erwiederte ich.

„Allerdings ist der Park ein hübsches Plätzchen, indeß hat die Natur das Meiste gethan.“

„Es läßt sich aber nicht leugnen, daß auch die Kunst viel zur Verschönerung des Parks beigetragen hat. Ueberall offenbart sich in den Anlagen ein feiner, sinniger, poetischer Geschmack,“ bemerkte ich.

„Sie schmeicheln, mein Herr,“ sagte die Gräfin mit etwas gehobener Stimme. „Sie irren wohl, wenn Sie einen eigenen Geschmack oder vielmehr menschliche Launen in den Parkanlagen erblicken wollen. Ich unterstützte nur die Natur und benutzte zur Verschönerung des Platzes nur die Winke, die sie mir gab.“

„So ist das Talent zu bewundern, das diese Winke verstand,“ erwiederte ich, und fühlte erst in dem Augenblicke, als ich es gesagt, daß ich doch eine andere Bemerkung hätte machen sollen.

„Lassen Sie das,“ versetzte die Gräfin fast unwillig. Dann fuhr sie in ihrem weichen Tone fort: „Es freut mich, daß der Park Ihnen gefallen hat, und wenn Sie sich noch länger in dieser Gegend aufhalten, so steht er Ihnen jederzeit offen.“

Wir dankten für die gütige Erlaubniß und bedauerten, nicht davon Gebrauch machen zu können, da wir unsere Streifzüge durch die Provinz noch fortzusetzen gedächten.

„Aber vielleicht auf’s Jahr,“ sagte die Gräfin, indem sie ihre Blicke auf uns freundlich ruhen ließ.

„Man sieht Naturschönheiten gern zwei Mal und zehn Mal und findet sie stets anziehender und reizender.“

Wir gaben das Versprechen, dem schönen Park, so bald es sich thun ließe, wieder einen Besuch abzustatten, setzten aber hinzu, daß sich das im künftigen Jahre schwerlich werde thun lassen, da wir eine Reise nach Thüringen und der sächsischen Schweiz in Absicht hätten.

„Ach, das unterlassen Sie nicht. In Sachsen ist es schön; da wird sich Ihnen die Natur in ihrer ganzen Herrlichkeit aufschließen. Könnte ich doch ein paar sächsische Berge nach Kloschenen hinzaubern.“

„Es geht aber nicht,“ setzte sie nach einer Weile hinzu, indem der weiche Ton ihrer Stimme eine wehmüthige Färbung annahm; „hier in Preußen ist es oft so kalt und todt, und die Sehnsucht nach dem schönen Dresden ergreift mich oft mit voller Gewalt.“

Sie schwieg, und mir war so wunderlich zu Muthe, so sonderbar gerührt hatte mich dieser wehmüthige Ton, daß ich gar nicht wußte, was ich darauf erwiedern sollte. Mein Freund aber, der kälteres Blut hatte, bemerkte: „Ja, Dresden soll eine herrliche Stadt sein und die Umgegend noch viel herrlicher. Ich kann es mir wohl denken, daß man sich um so lebhafter nach diesen Schönheiten zurücksehnt, je mehr man sie genossen und empfunden hat, und je länger man von ihnen getrennt wurde.“

„Gewiß, gewiß, mein Herr,“ sagte die Gräfin lebhaft. Dann aber fuhr sie wieder in ihrem sanften ruhigen Ton fort: „Wenn Sie nach Dresden kommen, versäumen Sie es nicht, das Städtchen Tharand zu besuchen. Es liegt in einer reizenden Gegend. Scheuen Sie nicht die Mühe, den Knieberg zu besteigen; die Ruinen des alten Schlosses Tharand stehen darauf. O, wie oft habe ich dort gestanden und meine Augen und meine Seele an all’ den Herrlichkeiten geweidet, die ich von dort aus überblickte!“

Mir kam es vor, als ringe sich bei diesen Worten ein Seufzer aus ihrer Brust, und ich hätte wohl darauf schwören können, daß sie in diesem Augenblicke an den großen Dichter dachte.

„Die Ruinen Tharands sind wohl jedem Deutschen heilig,“ sagte mein Freund; „denn sie sollen ein Lieblingsort des Dichterfürsten unserer Nation gewesen sein.“

Die Dreistigkeit meines Freundes erschreckte mich, und verlegen sah ich nach der Gräfin. Sie blickte uns aber ernst und ruhig an und erwiederte dann: „Sie meinen Schiller. So viel ich weiß, ist er allerdings mehrmals auf dem Knieberge gewesen, namentlich im Frühjahre, wenn ringsum Alles keimte und sproß; aber ich glaube, er hat andere Punkte bei Dresden mehr geliebt.“

Wir sahen, daß sie mit uns ungern von diesem Thema sprach, und darum ließen wir es fallen. Sie erkundigte sich darauf noch nach unsern Studien, unserm Reiseplan, und bot uns dann eine kleine Erfrischung an, die ihr Diener besorgen sollte. Sie rief einen in der Nähe des Sommerhäuschens arbeitenden Gärtner zu sich und ertheilte ihm, ohne daß wir es verstehen konnten, einen Auftrag. Der Gärtner verschwand, und bald darauf trat der alte Johann mit einer Flasche Rheinwein und einem Teller voll kleiner Kuchen ein. Die Gräfin kredenzte uns das erste Glas, wünschte uns eine glückliche Reise, und verließ dann so schnell das Sommerhäuschen, daß wir kaum Zeit hatten, unsern Dank für die gnädige Aufnahme abzustatten.

Ich blickte ihr so lange durch’s Fenster nach, als ich sie sehen konnte. „Ob in ihrem Herzen noch das Bild des großen Dichters leben mag?“ fragte ich mich. „Ob sie seiner noch gedenken [192] mag in der stillen Einsamkeit, in den schattigen Gängen des Parkes? Ob sie seiner Erinnerung noch dann und wann eine Thräne weihen mag?“

Die Bäume im Park rauschten, und mir wurde so weh um’s Herz; fast kam es mir vor, als ziehe der große Geist des Dichters durch die Gipfel hin zu seiner einst so heiß geliebten Marie.

Mein Freund rüttelte mich aus diesen Träumereien, indem er mich zum Trinken veranlaßte. Ich wendete mich vom Fenster, und mein Blick fiel auf Schiller’s Bildniß, das mit Epheu und Wintergrün bekränzt an der Wand hing. Einen solchen mächtigen Eindruck, wie jetzt, hatten diese hohe Stirn, diese seelenvollen Augen, und diese kühne Adlernase noch nie auf mich gemacht, und ich stand wie festgebannt vor dem Bilde.

„Sie liebt ihn noch; hier fern von der Heimath in der Fremde, weit, weit von seinem Grabe,“ dachte ich, und wer weiß, was ich nicht noch Alles gedacht, wenn mir mein Freund nicht ein volles Weinglas gereicht hätte.

„Hier trink, sentimentaler Bruder!“ rief er mir zu.

Ich ergriff das Glas; der Alte mußte sich auch eins füllen; wir stießen alle Drei an, mein Freund ließ den großen Dichter und seine frühere schöne Geliebte leben, und wir leerten die Gläser vor Schiller’s umkränztem Bilde.

Als die Flasche bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken war, verließen wir das Sommerhäuschen, um unsere Fußreise fortzusetzen. Der alte Diener begleitete uns noch einige tausend Schritt. Ich suchte ihn bei dieser Gelegenheit so viel als möglich über Schiller’s Verhältniß zu seiner Gebieterin auszuforschen, erhielt aber meistens ausweichende Antworten; nur so viel erfuhr ich, daß Schiller „dem Fräulein oft wunderliche Sachen (wir riethen auf den „Geisterseher,“ an dem er damals arbeitete) vorgelesen habe und daß er dann Knall und Fall verschwunden sei.“


So weit das Tagebuch. Den meisten Lesern wird es wohl bekannt sein, daß die Sehnsucht nach der Heimath die Gräfin wieder nach Dresden zog, wo sie die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte und am 12. Januar 1847 starb. Das Bild der schönen Griechin im Geisterseher hat Schiller unstreitig von ihr entlehnt, ebenso bezieht sich sein Gedicht: „Der Kampf,“ welches im zweiten Hefte der „Thalia,“ Jahrgang 1786, abgedruckt ist, auf die gewaltsam abgerissenen Verhältnisse zu dem Fräulein von Arnim.


Der Brand in der Bergstadt Eibenstock.

Das sächsische Erzgebirge, ohnehin reich an Mißgeschick, ist am 19. März dieses Jahres in einer seiner Städte, Eibenstock, durch ein neues furchtbares Unglück betroffen worden, durch einen Brand, der ein ganzes Drittel der Häuserzahl vernichtete und über 2000 Menschen obdachlos machte. Es sind freilich keine Paläste, die dort abbrannten, aber jedes Häuschen, jede Hütte, war doch ein Eigenthum, wie bescheiden auch, und vor Allem war es eine Heimath seiner Bewohner, in der sie ihr Leben sich verlaufen sahen. Das schützende väterliche Dach ist zerstört und für Hunderte war in den ersten Tagen des Entsetzens die Decke des Himmels das Dach ihrer Wohnung. Doch über dieser Himmelsdecke wohnt der Herr der Liebe und mit den Unglücklichen einen wir unsere Hoffnung, daß aus diesem Born der Liebe die Quellen flüssig werden, um wieder aufzurichten, was der Gewalt des Elements erlag. Eibenstock feierte ein trauriges Fest der Auferstehung; aber es wird wieder und freudig auferstehen aus dem Schutt und nach den Tagen des Leides und des Kummers auch wieder die Tage des Trostes und der Freude erleben. Ueberall regen sich die Herzen, die bei der Kunde von so großem Unglücke von Mitleid geschwellt sind und mit vollen Händen wird gegeben werden, um zu helfen, wo Hülfe so noth thut.

Eibenstock liegt am rechten Ufer der zwickauer Mulde, etwa 1/2 Stunde von diesem Flusse entfernt, an dem Dorfbach und dem Döhnitzbach, drei Stunden von Schneeberg und eben so weit von Schwarzenberg entfernt, 21/2 Stunden von Johanngeorgenstadt. Ein Theil des Orts liegt am Dorfbach entlang mit regellos zerstreuten Häusern, der andere zieht sich die Höhe hinauf. Alle Gassen sind winklig, kurz, höckerig und meist ohne Pflaster. Im Westen erhebt sich der 2300 Fuß hohe bewaldete Krünitzberg, im Norden der Bühel, 2000 Fuß hoch, im Süden die Hackleite, 2200 Fuß hoch und der 3132 Fuß hohe Auersberg. In südlicher Richtung, 1/2 Stunde von Eibenstock, beginnt das „sächsische Sibirien.“

Es war gegen die Mittagsstunde des 19. März, als plötzlich die Lärmtrommel ertönte. Im Thaltheil der Stadt, in der sogenannten vordern Rehme, war das Feuer in einem Schuppen ausgebrochen, theilte sich sofort dem Wohnhaus mit und ergriff, mit einer wirklich unglaublichen Schnelligkeit, die Nachbarhäuser. Von diesen aus wurden die hochaufsteigenden Flammen durch den Sturm fortgerissen, zündeten entfernter davon ragende Giebel an, und so sprang, wie ein Raubthier, das entfesselte Element in wilden Sätzen bald nach links, bald nach rechts, bald nach vorn, bei jedem Sprunge ein neues Opfer packend. In der kurzen Zeit von einer Stunde hatte sich das Flammenmeer auf einer Strecke von 1100 Schritt weit ergossen, und auf seinem Wege Alles verheert, vernichtet. Nicht nur die Häuser wurden zerstört, auch beinahe alles bewegliche Eigenthum. Das schon für gerettet Gehaltene wurde von der nacheilenden Glut erreicht und gleichfalls zerstört. Menschliche Hülfe war hier vergebens; sie stand, trotz aller Opferbereitschaft, rathlos und machtlos, und mußte die Flammen unaufhaltsam vordringen sehen, und übernahm nur die Aufgabe, den nach oben gelegenen Theil der Stadt zu schirmen.

Auch der Verlust von drei Menschenleben ist zu beklagen. Ein Mann verbrannte, der in berauschtem Zustande am Gartenzaun seines Hauses lag, als die Flammen heranwütheten. Seine Augehörigen, die ihn bei ihrer Flucht nicht vermißt hatten, mußten aus der Ferne zusehen, wie der Unglückliche von der Glut ergriffen, umzüngelt, elend verbrannt wurde! Zwei Arbeiter sind schwer verletzt worden.

Der Anblick der verheerten Fläche ist furchtbar. Das ganze lange Thal abwärts Ruine bei Ruine, jede einzeln stehend, denn die Häuser standen dort nicht reihenweise, sondern waren hingebaut, wie der Boden es eben zuließ oder wie die Laune des ehemaligen Erbauers es gewollt hatte. Was an Holzwerk in den Gebäuden war, ist Alles so gänzlich verzehrt, daß man nur die vier Mauern mit dem Stück Schornstein sieht, der noch erhalten ist.

Auf einer Fläche von 15 Acker Land, in einer Ausdehnung von 1100 Schritt liegen 115 Häuser ohne die Neben- und Hintergebäude in vollständigen Trümmern. Etwa 400 Familien mit etwa 2000 Gliedern sind ohne Obdach, und es mußten diese in den übrig gebliebenen 300 Häusern, die ohnehin schon zahlreich besetzt sind, untergebracht werden. Es ist eine schwere Aufgabe, dieser großen Anzahl vollständig beschäftigungs- und verdienstloser Menschen, denn ihr Arbeitsgeräth ist verbrannt, die nöthige Nahrung zu reichen. Es hat sich zwar sofort ein Comité gebildet, das der Aufgabe zu entsprechen bemüht ist, aber ohne die ausgiebigste Unterstützung von Außen ist dies unmöglich. Möge daher diese Unterstützung allseitig und reichlich ausfallen

Als wir Eibenstock am 23. März Mittags verließen, wo wir uns an Ort und Stelle von dem grauenvollen Zustande überzeugt hatten, fiel ein dichter Schnee, der in kurzer Zeit die Erde hoch überdeckte. Es muß diese Erneuerung des Winters die Noth nur um so größer machen. Sie spricht laut und mahnend zu den Herzen.


So weit unser Berichterstatter. An die zahlreichen Leser der Gartenlaube richten wir nun die freundliche Bitte, der armen Eibenstocker nicht ganz zu vergessen. Alle von dort eintreffenden Nachrichten bestätigen das große Elend und die Hülflosigkeit der Abgebrannten. Die Meisten haben Alles verloren und nichts als das nackte Leben gerettet. Schnelle Hülfe thut noth.

Der unterzeichnete Verleger der Gartenlaube wird milde Beiträge an Geld gern annehmen, darüber öffentlich quittiren und an die betreffende Behörde einsenden.

Leipzig, den 30. März 1856.
Ernst Keil. 

„Aus der Fremde“ Nr. 14 enthält:

Im Irrenhause zu Rio de Janeiro. Von Wilhelm Heine. – Ida Pfeifer in Californien. – Aus dem Sclavenleben in den Vereinigten Staaten. – Aus allen Reichen: Aus dem Gefängniß. – Fürchterlicher Cannibalismus. – Amerikanisches. – Das irdische und das himmlische Begräbniß.


  1. Mit den Ansichten unsers verehrten Mitarbeiters über gothische Architektur können wir uns doch nicht ganz einverstanden erklären.
    D. Redakt.