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Die Gartenlaube (1858)/Heft 10

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1858
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 10. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Das Schachtgespenst.
Von Ludwig Storch.


I.
Osterwasser.

Kaum ist die erste Stunde des Ostertags vorüber, der erste junge Lichthauch taucht eben am östlichen Horizonte über den Dächern einer süddeutschen Stadt auf, und sein schwacher Schein mengt sich mit den fliehenden Schatten der Mitternacht, da fährt ein junges Mädchen rasch aus dem ärmlichen Bette hoch oben im engen, auf der Hofseite des stattlichen Hauses gelegenen, freundlichen und friedlichen Dachkämmerlein, wirft das Röcklein über, stellt sich auf die nackten Füße, öffnet das kleine Fenster und schaut in die frische Frühe der Dämmerung hinaus. Die reine Luft der Höhe fluthet ihr um die warme keusche Brust. Es ist ein gar holdes, freundliches Bild, dieses Mägdlein von kaum sechzehn Jahren, mit den gesundheitblühenden Wangen, noch unberührt vom Giftbrodem der großen Stadt; ihr rundes blaues Auge schaut so rein und verwundert über die Firsten und Schornsteine der Dächer. Und welch einen ungewöhnlichen Hintergrund hat das reizende Bild! Das Dachkämmerlein ist so artig aufgeputzt und so blank, wie ein neuer Schrein. An der Wand ein Hangebretchen voll Bücher, daneben eine alte aber gute Guitarre, auf der Kommode Notenhefte. Es ist unverkennbar: ein paar Musen wenigstens besuchen dieses Kämmerchen. Die hübsche Bewohnerin faltet die Hände zu einem stummen Gebet. Denn sprechen darf sie bei Leibe kein Wort. Sie weiß ja, was sie vor hat: sie will Osterwasser schöpfen. Das hat ihr die Mutter, als sie von derselben in die Stadt in den Dienst der verwittweten Frau Kanzleiinspectorin gebracht wurde, auf die Seele gebunden.

„Versäume um Deines Heils willen nie, Osterwasser zu schöpfen, und Dich damit zu waschen, aber bevor Du Alles beendet hast, darf kein Laut über Deine Zunge kommen.“ So hatte ihr die Mutter anbefohlen und geheimnißvoll hinzugesetzt: „Du sollst sehen, es bringt Dir Glück. Wer sich aber verlocken läßt, zu sprechen, dem schlägt das Glück leicht in das größte Unglück um. So erging es meiner eignen Mutter – Gott hab’ sie selig! Sie hatte, wie mir ihre Freundin oft erzählt hat, in dem Augenblick, als sie aus dem Fluß schöpfen wollte, einen Wortwechsel mit einem Menschen und gerieth, Gott weiß, auf welche Weise, in’s Wasser, worin sie umkam.“

Unwillkürlich flog die Erinnerung an diese Worte durch des Mägdleins Seele; sinnend verweilte sie bei der räthselhaft verunglückten Großmutter.

„Du sollst sehen, es bringt Dir Glück!“ wiederholte sie unwillkürlich stumm in Gedanken die Worte der Mutter. Dann setzte sie mit einem Seufzer hinzu: „Wer kann denn Glück besser brauchen, als ich, die arme verwais’te Schullehrerstochter! Ach, wenn mein guter Vater hätte ahnen sollen, daß sein Liebling als Magd dienen müßte, er hätte mir nicht so viel Schönes gelehrt! Was hilft mir nun mein Wissen, meine Musik, mein Zeichnen, ich bin – eine arme Magd!“ Und wieder seufzte sie.

Da war’s ihr, als zittere ein anderer banger Seufzer oder vielmehr leis gestöhnter, halb unterdrückter Klagelaut durch die Stille der Nacht von unten an ihr Ohr; sie bog Haupt und Brust aus dem Fenster und überschaute, so weit es das ungewisse Zwielicht zuließ, den nebenan gelegenen geräumigen Hof des großen Gasthauses „zum grünen Baum.“ Sie vernahm Fußtritte und sah einen Mann langsam und schwer über den Hof dem Vordergebäude zuschreiten, in welchem sie den reichen Besitzer des prächtigen Hotels, den Herrn Senator Kahlert, zu erkennen glaubte. Dann war’s ihr, als höre sie das Hausthor des Gasthofs öffnen.

„Der arme reiche Mann!“ dachte das Mädchen mitleidig. Der hat’s nun in Hülle und Fülle und ist doch nicht glücklich. Was ihn nur drücken mag? Er kann keine Nacht schlafen, und schleicht am Tage wie ein Schatten umher. Und hat doch so sehr viel Geld und Gut, daß die Leute sagen, er sei einer der reichsten Männer in der Stadt. Pah! gegen den gehalten, bin ich ein glückliches Menschenkind!“

Schnell waren die düsteren Bilder aus dem leichten, lichten Sinne der Unschuld verschwunden. Die flüchtigen Gedanken an Glück und Unglück des reichen Mannes machten wieder denen an ihr eigenes mit dem Osterwasser zu erzielendes Glück Platz.

„Ob ich’s in der Donau schöpfe oder am Marktbrunnen?“ fragte sie sich. „Das Donauwasser soll kräftiger sein; aber wer kann’s denn beweisen? Wenn mir der liebe Gott Glück bescheeren will, wird er’s auch im Marktbrunnenwasser. Es ist näher, und ich laufe nicht Gefahr, in der Donau zu ertrinken, wie die Großmutter.“

Rasch warf sie Jacke und Halstuch über, band das Kopftuch um, schlich auf den Zehen aus der Kammer, die Treppe hinab in die Wohnstube der Herrschaft, nahm den Hausschlüssel vom Haken, holte dann den Wasserzuber in der Küche, und schlüpfte wie ein Kätzchen die Stiegen aus dem dritten Stockwerk hinab. Nach wenigen Minuten wandelte sie barfüßig, den Zuber an der Hand, quer über den großen reinlichen Markt dem mächtigen Brunnen zu. Die hohe mit Sculpturen geschmückte Säule desselben tauchte aus der Dämmerung auf, sie hörte das aus vier Röhren in den umfangreichen tiefen Steintrog sich ergießende Wasser rauschen, und sie stieg eben die wenigen Stufen zu einer dieser Brunnenspenden [130] hinauf, als sie sich von einer eigenthümlichen Furcht ergriffen fühlte. Ein leiser Schauer rann durch ihre Glieder; sie sah sich scheu um, gleichsam als ahne sie etwas Gefahrbringendes oder wenigstens Ungewöhnliches sich nahen. Aber der ganze Markt war still und leer, und das schwermüthige Plätschern des Wassers der einzige Ton, welcher an ihr Ohr drang. Oben angelangt, tauchte sie rasch mit übergebogenem Oberleib den Zuber in den ziemlich umfangreichen Wasserspiegel des steinernen Beckens, der ihr jetzt eben so ungemein unheimlich vorkam, daß sie fröstelnd die Augen schloß, aber in demselben Augenblick riß sie dieselben auch wieder mit einem lauten Schrei auf, und starrte zum Tod erschrocken in ein menschliches Antlitz, dessen kalte nasse Wange sie mit der Hand berührt hatte, und das nun unter dem Wasserspiegel hervorschimmerte.

Lieschen – so hieß das hübsche Dienstmädchen – war selbst so blaß geworden, wie der Mann, welcher da im Brunnenkasten steckte, und in welchem sie den Senator Kahlert erkannte, denselben Mann, mit welchem ihre Gedanken vor kaum einer Viertelstunde so angelegentlich beschäftigt gewesen waren. Sie zitterte vor Schrecken, aber sie verlor die Besinnung keinen Augenblick, vielmehr lief sie, das Gefäß schwimmen lassend, so schnell die Beine fort konnten, die Stufen hinab und quer über den Markt dem hochaufstrebenden und weit sich ausbreitenden „Grünen Baum“ zu, dessen Hausthorflügel sie nur angelehnt fand. Sie schlüpfte über den Hof und klopfte dort an ein abgelegenes Fenster. Bald zeigte sich ein verschlafenes Mädchengesicht; es war das einer jungen Küchenmagd.

„Komm um Gotteswillen schnell heraus, Marthe!“ raunte Lieschen dieser zu, „und zeige mir das Schlafzimmer des jungen Herrn. Ich muß ihm etwas Wichtiges sagen.“

Die Küchenmagd machte große Augen und murmelte etwas, das wie ein Scheltwort klang.

„Sei nicht thöricht!“ drängte die junge Magd. „Wenn’s nicht sein müßte, würd’ ich wahrlich nicht in der Nacht zu ihm begehren. Aber es hängt Leib und Leben davon ab, daß Du eilst. Ich muß ihm ein paar Worte in’s Ohr sagen, und bin sogleich wieder bei Dir.“

Das klang so ernst und dringend, daß Marthe nicht länger zauderte, vielmehr, von Neugierde gestachelt, im Nu an Lieschens Seite war.

„Was ist denn geschehen? Was hast Du vor, Lieschen?“’

„Das kann ich nur dem jungen Herrn Kahlert sagen. Wenn er Dir’s mittheilen will, kann mir’s nichts verschlagen. Ich aber darf’s nicht thun.“

Kopfschüttelnd führte Marthe die junge Magd die Treppe hinauf, über einen zu einer Thüre, an die sie stark pochte. Die Thür wurde geöffnet, ein junger schöner, kräftiger Mann sah verwundert fragend heraus.

„Da ist die junge Magd der Frau Kanzleiinspectorin nebenan, die gibt vor, sie habe Ihnen etwas Wichtiges zu sagen, und es leide keinen Aufschub. Wenn sie nicht wohl gescheidt ist, ich kann nichts dazu.“

Lieschen huschte in’s Zimmer und flüsterte mit einer bezeichnenden Pantomime nach der Thüre: „Die Marthe wird gewiß lauschen, und es wird Ihnen nicht angenehm sein, wenn ein anderes Ohr als das Ihrige etwas davon vernimmt, was ich Ihnen zu sagen habe, und die Sache hat die größte Eile.“ Der junge Mann erkannte selbst im ungewissen Nachtschein die bleichen, entstellten Züge des so unschuldig aussehenden, hübschen, schlanken Mädchens, und führte sie in ein anderes Zimmer. Hier brachte Lieschen ihren Mund in die Nähe seines Ohres und sprach leise: „Erschrecken Sie nur nicht, Herr Kahlert. Ihr Herr Vater liegt drüben im Brunnenkasten des Marktbrunnens; ich glaube aber, er ist noch nicht todt; denn ich Hab’ ihn erst vor einer Viertelstunde über den Hof gehen sehen.“

Der junge Mann war allerdings bestürzt, aber er faßte sich schnell und fragte besonnen: „Hat ihn außer Dir Jemand im Brunnen liegen sehen?“

„So viel ich weiß, nein!“

„Hast Du der Marthe davon gesagt?“

„Behüt’s Gott! Sonst wär’ ja nicht nöthig, sie im Lauschen zu hindern.“

„Du bist ein gescheidtes Mädchen, und es soll Dein Schade nicht sein. Jetz komm schnell mit mir. Du sollst mir helfen.“

Er warf einen Mantel um, nahm einen zweiten und das Bettlaken. Draußen stand Marthe wirklich noch.

„Geh’ gleich in Dein Bett!“ befahl ihr der Herr, „und laß Dich vor Tagesanbruch nicht außer Deiner Kammer betreten.“

Die Küchenmagd entfernte sich brummend, ging aber nicht in ihre Kammer, sondern, als die beiden Andern aus dem Hause waren, in die Gaststube, und schaute ihnen von da nach. Da sah sie denn, wie der junge Herr mit Lieschens Hülfe einen Menschen aus dem Brunnenkasten zog, in Laken und Mantel hüllte und über den Markt dem Hause zu trug. Nun wußte sie genug und sprang eilig in ihre Kammer.

Kaum war der junge Mann mit seiner Bürde auf seinem Zimmer angelangt, als er das Mädchen bat: „Nun, mein Kind, laufe in die Wohnung des Amtschirurgen Wandsberg in der Löberstraße, das Eckhaus der Magdalenenkirche gegenüber, schelle ihn heraus und sag’ ihm, ich ließ ihn bitten, unverzüglich mit dem Aderlaßzeug zu kommen, gleich hierher auf mein Zimmer und ohne Aufsehen. Vom Brunnen sagst Du ihm nichts; verstehst Du?“

Lieschen nickte klug und verständig und flog dann die Treppe hinab und über den Markt. Der junge Kahlert verriegelte die Thür, entkleidete und trocknete den Körper seines Vaters, legte ihn in’s Bett und rieb und bürstete ihn. Dabei dünkten ihm kaum einige Minuten verflossen, als ihn ein Pochen an der Thür benachrichtigte, daß der Chirurg schon da sei. Lieschen hatte Alles gut ausgerichtet. Es wurde eine Ader geöffnet, es wurden andere Versuche gemacht, aber nach wenigen Minuten erklärte der Chirurg, der Mann sei todt. Die Leiche wurde mit Nachtwäsche bekleidet und von den beiden Männern auf das Zimmer des Verstorbenen getragen, und in dessen Bett gelegt.

Als die Frau Senatorin, die Stiefmutter des Herrn Eduard Kahlert, mit ihren beiden Töchtern ausgeschlafen hatte, wurden sie mit der Trauerkunde überrascht, daß der Hausvater vom Schlage gerührt todt im Bette gefunden worden sei. Die Nachricht vom Tode des reichen Mannes verbreitete sich schnell in der Stadt, aber schon als die festlich gekleideten Bewohner derselben, dem Rufe der Glocken folgend, langsam der Kirche zuschritten, flog die Kunde leis von Mund zu Mund: der Senator Kahlert habe sich im Marktbrunnen ertränkt. Vor Abend wußte es die ganze Stadt, außer der Frau und den Töchtern des Selbstmörders, und nur der Sohn erfuhr es nicht, daß es Jedermann wußte. Er hatte es ja Lieschens Verschwiegenheit erkauft und ihr versprochen, ihr ein besseres Loos zu bereiten, wenn sie das Geheimniß treu bewahre, und sie hatte es so treuherzig versichert. Er hatte sie nach Namen und Herkommen gefragt und sie hatte ihm mit kindlicher Offenheit Alles, was er gewünscht, mitgetheilt.

Das Publicum machte seine Randglossen zum freiwilligen Tode des steinreichen Mannes. Man zählte seine Häuser, Felder, Wiesen und Wälder zusammen, man nannte große Summen, die er bei der Landschaft stehen habe; man lobte ihn als einen gutherzigen, mildthätigen Mann, der als Senator und Magistrat sich große Verdienste um die Stadt erworben, und man rühmte es vorzüglich, daß er die verschämte Armuth aus freiem Antriebe aufgesucht und ohne Prunk und Geräusch Gottessegen in die Häuser getragen habe. Merkwürdiger Weise erhob sich auch nicht eine tadelnde Stimme; man hatte nur Bedauern für den edlen unglücklichen Mann, der seit Jahren an Schwermuth gelitten und dessen Gemüthskrankheit in dem Verhältniß zugenommen, als ihm der „Grüne Baum“ goldene Früchte getragen hatte. Ueber die Ursache dieser Schwermuth hatte Niemand eine Vermuthung; man erklärte sie für Folge von Unterleibsbeschwerden.




II.
Die Frau des Rechtsanwalts.

Während die in den Kirchen versammelte Gemeinde das Auferstehungsfest des Erlösers beging, saß Eduard Kahlert in seinem verschlossenen Zimmer und las einen langen Brief, den ihm sein Vater hinterlassen und wahrscheinlich gestern Abend spät in das Schreibpult geschoben hatte. Die Gesichtsblässe des Lesers ging allmählich in ein unheimliches Aschgrau über, sein feuriges dunkelblaues Auge erlosch und aus seiner Stirn perlten große Schweißtropfen. Als sein flirrender Blick über die letzten Seiten lief, hob sich seine Brust wiederholt krampfhaft, seine Hände zitterten so stark, daß er die Blätter kaum erhalten konnte, und als er endlich fertig war, sank er in das Sopha zurück, bedeckte das Gesicht [131] mit beiden Händen und schluchzte wie ein Verzweifelter. Wohl sprang er nach einiger Zeit auf und schritt hastig durch das Zimmer, nach Fassung ringend, die er doch nicht gewinnen konnte; endlich machte die gequälte Natur sich selbst Luft: ein Thränenstrom schoß aus seinen Augen, und er rief, vom tiefsten Schmerz eines plötzlich zerrissenen Herzens zur Wehmuth, welche lindernden Balsam in die blutenden Wunden träufelt, übergehend, zuweilen: „O, mein armer, unglücklicher Vater! Welche Qualen hast Du ausstehen müssen! Ja, es ist meine heiligste Pflicht, Deine Schuld zu sühnen, was an mir ist, wie Du sie ja gesühnt hast, was an Dir war!“

Und er weinte lange, bis ihm das Herz erleichtert war. Dann griff er nach einem zusammengeschlagenen beschmutzten Papiere und einem Siegelringe, welche mit in dem Couvert gelegen, um beide einer nähern Betrachtung zu unterziehen. Das erstere zeigte sich, als er es entfaltet, als ein alter Reisepaß mit einer nicht geringen Anzahl Visa’s. Er las ihn genau durch. Unwillkürlich entschlüpften seinem Munde dabei die Worte: „Georg Theodoro aus Vilagos im Arader Comitat in Ungarn, zweiunddreißig Jahre alt, und der Paß ist 1800 ausgestellt. Und wann ist’s geschehen?“ Er sah in den Brief. „In der Osternacht 1802. Da ist der Mann vierunddreißig Jahre alt gewesen. So sind’s denn heute gerade zwanzig Jahre.“

Er versank wieder in tiefes Sinnen, aus welchem er nach wenigen Minuten mit den Worten auffuhr:

„Es wird nicht leicht sein, sie aufzufinden, aber sie müssen gefunden werden, koste es, was es wolle!“

Er griff nach dem massiven Goldringe und betrachtete das Wappen, das in den Carneol eingeschnitten war. „Ein Arm mit einem reichen Armbande, also ein weiblicher Arm! Unverkennbar ein weiblicher! Und ein gekröntes Schwert emporhaltend. Ein offener gekrönter Helm; zwei Schildhalter. Das Alles deutet auf eine aristokratische Familie. Ob der Ring mir nützen wird? – Es muß Alles versucht werden!“ Rasch warf er Papiere und Ring in einen Kasten seines Pultes, verschloß dasselbe, kleidete sich zum Ausgehen und verließ das Haus, ohne in der Familie vorzusprechen.

Nach zehn Minuten trat er in die elegante Wohnung des Advocaten Dr. jur. Liebheld. Der Diener öffnete ihm die des Wohnzimmers mit dem Bemerken, daß nur die Frau Doctorin zu Hause sei. Eine junge, sehr interessante Frau erhob sich vom Sitze vor einem Flügel. Sie hatte gespielt und gesungen, vielleicht auch den beiden allerliebsten Kindern, einem Knaben von ungefähr sechs und einem braunlockigen Mädchen von vier Jahren, Unterricht in der Musik gegeben. In Gestalt und Wesen dieses Weibes mit dunkelblondem Haar und lichtblauen süßen Augen und dieser Kinder lag ein unbeschreiblicher Liebreiz; sie sahen aus wie verkörperte deutsche Musik, die Frau etwa wie eine Beethoven’sche Symphonie, die Kinder wie entsprechende Capriccio’s. Es bedurfte keineswegs der Instrumente und Notenblätter umher, um zu wissen, daß Musik das Lebensbedürfniß dieser schönen Frau war.

Sie erhob sich freundlich lächelnd und dankte Kahlert’s Gruß mit Anmuth; die Kinder eilten ihm entgegen und boten ihm die Hand. Er war kein Fremdling im Hause.

„Sie sehen leidend aus, Herr Kahlert!“ sagte sie sogleich theilnehmend, als sie die Blässe seiner gefurchten Gesichtszüge wahrgenommen hatte. „Fühlen Sie sich unwohl?“

„Ich habe in dieser Nacht einen schmerzlichen Verlust erlitten. Mein Vater ist plötzlich gestorben.“

„Ah! das erklärt den Ausdruck Ihrer Züge. Doch der Verstorbene war längst leidend; er mied zuletzt menschliche Gesellschaft.“

„Gewiß ist der Tod besser für ihn als, das Leben. Und dennoch –“

„Ich verstehe Sie. Das Herz behauptet sein heiliges Recht auf den Schmerz. Merkwürdig ist, daß auch wir heute schmerzlich an den Tod des Vaters meines Mannes erinnert worden sind. Auch er fand in der Osternacht den Tod und – Sie wissen – gewaltsam im Wasser.“

Kahlert zuckte zusammen und ward noch bleicher.

„Es sind heute acht Jahre,“ fuhr die junge Frau fort. „Sie waren damals in Hamburg in Condition.“

„In Wien. In Hamburg war ich in den letzten Jahren, Ich bin seit drei Jahren wieder im Vaterhause,“

„Das eben wollte ich andeuten. Sie sind eine Reihe von Jahren abwesend gewesen und haben schwerlich über die Todesart meines Schwiegervaters etwas erfahren.“

„Doch! Man hat es mir geschrieben, freilich die nähern Umstände nicht. Die hab’ ich auch später nicht erfahren, weder von Liebheld, noch von jemand Anderem.“

„Mein Mann spricht nie davon; er mag auch nicht, daß ich davon rede, wenigstens duldet er es nicht in seinem Beisein. Und doch hat uns jene Schreckensnacht zusammengeführt, und ohne sie wären wir wohl schwerlich ein Ehepaar geworden.“

„Ich habe geglaubt, die beiderseitige Vorliebe für die Musik habe Sie zusammengeführt.“

„Diese Vorliebe wurde nachher die Fessel; der Tod des alten Herrn in der Donau aber war die Veranlassung unserer Bekanntschaft, und wenn ich nicht auf so eigenthümliche Weise in diese Katastrophe verwickelt worden wäre, so würde mich mein Großvater bald wieder von hier fortgeführt haben und ich hätte Liebheld schwerlich je kennen gelernt. Deshalb verleben wir jeden Ostermorgen in ernster Stimmung. Mein Mann ist in den Dom gegangen, um ein Gebet für das Seelenheil seines Vaters zu sprechen, und ich habe eben ein Stabat mater gesungen.“

„Darf ich erfahren, wie Sie in die geheimnißvolle Begebenheit jener Nacht verwebt waren und wie daraus die Bekanntschaft mit Ihrem Gatten entsprang?“

„Da wir allein sind, will ich Ihnen die Geschichte wohl erzählen. Freilich Aufschlüsse kann ich Ihnen nicht geben. Der Tod hat seinen bleiernen Schleier für immer über die dunkle That geworfen, deren unwillkürlicher und ungeahnter Zeuge ich sein mußte.

„Ich war mit meinem Großvater hierhergekommen, um eine Erbschaft, die uns zugefallen war, anzutreten.“

„Ich habe Sie noch nie von Ihrem Vater oder überhaupt von Ihren Eltern sprechen hören,“ unterbrach der Zuhörer die Erzählerin.

„Weil ich früh verwaist bin. Die Mutter, eben die Tochter des Mannes, der mich mit unbeschreiblicher Liebe erzogen hat und dem ich meine Bildung verdanke, verlor das Leben, indem sie es mir gab. Ihr Vater hatte sie schier abgöttisch geliebt; sie war seine einzige Tochter und er hatte nur mit Widerstreben in ihre Verehelichung gewilligt; denn der Gedanke, sie nicht mehr allein zu besitzen, war ihm anfangs unerträglich; auch behauptete er stets, er habe die bestimmte Ahnung gehabt, daß diese Verbindung sie früh aus dem Leben reißen werde. Seiner Versicherung nach muß sie ein herrliches Wesen gewesen sein. Um so erbitterter wurde der Großvater auf den Vater, als dieser schon ein halbes Jahr nach dem Verluste der Mutter ein Mädchen geringen Standes und slowakischer Abkunft heirathete, die noch dazu erst ein Verhältniß mit einem gemeinen Bergmanne gehabt hatte. Das war für den adelstolzen deutschen Edelmann zu viel und ein unheilbarer Bruch wäre erfolgt, wenn nicht der alte Herr durch sein Amt und meine winzige Person an Kremnitz gefesselt worden wäre.“

„Ich höre das erste Wort davon, daß Sie in Ungarn geboren sind; ich habe Sie bislang für eine Deutsche gehalten.“

„Das bin ich auch der Abstammung von Vater und Mutter nach, und ich bin kaum einige Jahre alt gewesen, als der Vater, einem dunkeln Schicksale erliegend, in einem Goldschachte den Tod fand, und der Großvater sein Amt niederlegte und mit mir nach Wien zog. Ich habe Ungarn nicht wieder gesehen; der alte Herr hatte eine unbezwingliche Scheu vor dem Lande; er mochte eben böse Schicksale dort erlebt haben, und wenn ich an das Land meiner Geburt denke, und wunderbar reizende Bilder in meiner Seele aufsteigen, so weiß ich nicht, ob sie Schöpfungen meiner Phantasie oder frühster Erinnerung oder eine Mischung beider sind. Eben ein solches Bild dämmert von der Gestalt meines Vaters darin als der eines ungewöhnlich großen Mannes, der, wenn ich allein mit ihm war’ seufzend zu mir sagte: Aurelie, lebte Deine Mutter noch! – Doch ich bin vom eigentlichen Gegenstande meiner Erzählung abgekommen. Eine Cousine von mir, Nichte des Großvaters, hier an einen Staatsbeamten verheirathet, war mit Hinterlassung eines bedeutenden Vermögens ohne Leibeserben gestorben und die Auseinandersetzung mit den übrigen Erben machte einen mehrmonatlichen Aufenthalt in hiesiger Stadt für uns nöthig. Ohnedies schien der Wechsel des [132] Wohnorts und das Verweilen in der reizenden Berggegend für mich wünschenswerth; denn ich kränkelte, seit ich mit einem jungen Bergbeamten, Sohn eines Collegen des Großvaters, auf den Wunsch des Letztern verlobt war. Die Aerzte sagten, ich habe, noch zu jung, zu viel gesungen. Mein Verlobter war ein angenehmer junger Mann, den ich nicht ungern sah und dessen Aufmerksamkeiten ich mir gefallen ließ; aber mein Blut gerieth weder wenn er kam, noch wenn er ging, in schnellere Wallung, und ich fühlte nur in so fern Befriedigung, als ich durch diese Verbindung den heißesten Wunsch des alten Herrn, dem ich Alles verdankte, erfüllte. Sobald wir das Erbe gefaßt, sollte unsere kirchliche.Einsegnung erfolgen und wir wollten dann alle drei in die steyerschen Berge ziehen, wo mein Verlobter bei einem bedeutenden Bergwerke angestellt war.

„So standen meine Angelegenheiten, als das Osterfest herannahte, dessen Nacht Alles verändern sollte. Meine Zofe hatte mir schon lange vorgeredet, ich könne nur dann eine glückliche Gattin werden, wenn ich ganz gesund sei, und ich könne nur dann ganz gesund werden, wenn ich mich mit Osterwasser wasche. Dieses müsse ich aber in der Osternacht selbst schweigend schöpfen. Der letztere Umstand bot gerade keine Schwierigkeiten; denn wir wohnten in einem schönen Landhause vor dem Thore unfern dem Donauufer. In der bezeichneten Nacht führte mich mein Mädchen hinaus, gab mir das Gefäß in die Hand und blieb zurück. Ich ging furchtsam mit ungewissem Schritt auf das Ufer zu, da wo einige Bäume und niederes Strauchwerk ein kleines Gebüsch bildeten und ein paar Stufen zum Strome hinabführten. Die Stelle dort ist als tief bekannt und der Strom ist reißend. Dies wird schon dadurch bewiesen, daß wenige Schritte aufwärts eine Schiffmühle liegt. Als ich im Begriff war, zum Wasser hinabzusteigen, hörte ich in der Nähe schwere Schritte und sah im Ungewissen Scheine der Nacht zwei Männer von der Seite herkommen, wo die Mühle mit Ketten an das Ufer befestigt ist. Offenbar hatten sie die Absicht, an derselben Zugangsstelle, die ich zu betreten in Begriff stand, zum Wasser zu gelangen, und ich flüchtete mich scheu und zagend rasch in das Gebüsch hinter einen Baum. Ohne Zweifel hatte mich Keiner von ihnen bemerkt. Sie stiegen wirklich die Stufen hinab und der Eine begann sich zu entkleiden, wobei ihm der Andere behülflich war. Beide sprachen kein Wort. Mir schlug das Herz vor Beklommenheit wie ein Hammer.

„Plötzlich gab der hinten stehende Mann dem vordern, welcher eben den Oberkörper entblößt hatte, einen furchtbaren Stoß, so daß dieser im Nu unter dem Wasser verschwand. Der beginnende Schrei wurde schon von der Fluth erstickt, so daß ich in der That nichts weiter vernahm, als das Geräusch, welches der vom fallenden Körper gewaltig berührte und zertheilte Wasserspiegel und die über ihm zusammenschlagende Welle hervorbrachte. Ich selbst aber stieß unwillkürlich einen Schrei aus nur war einer Ohnmacht nahe, jedenfalls würde ich aber in diesem Zustande des Schreckens und der Bestürzung, der mir nicht erlaubt hatte, mich auf den Beinen zu erhalten, eine zweite Beute des Mörders geworden sein, wenn meine Zofe, von meinem Schrei gerufen, nicht herbeigestürzt wäre; denn schon hatte der Mann mich erfaßt, um mich seinem ersten Opfer nachzuschleudern, als er von der Stimme des Mädchens von seinem Vorhaben abgebracht und in die Flucht getrieben wurde. Er hatte nur noch Zeit mir zuzuraunen: „Wenn Du ein einziges Wort von dem, was Du gesehen, sagst, so wird Dich der Tod von meiner Hand schnell und sicher ereilen.“ – Er verschwand in der Nacht und im nächsten Augenblicke gaben mir die Gegenwart und der Beistand der Zofe meine Geistes- und Körperkraft[WS 1] zurück. Wir riefen um Hülfe, ermunterten die Nachbarschaft und veranlaßten Müller, Fischer und Andere, am Ufer und auf Kähnen nach dem, wie wir sagten, verunglückten Mann im Wasser zu forschen. Das war aber vergebens, und erst eine Woche später wurde seine Leiche unterhalb der Stadt gelandet.

„Es war die des Musikus Liebheld, an welchem man schon seit einiger Zeit Geistesstörungen wahrgenommen haben wollte. Man nahm an, daß er beim Geschäft, sich mit Osterwasser zu waschen, ausgeglitten und in den Fluß gestürzt sei, und die Entkleidung seines Oberkörpers gab einer solchen Annahme Halt, welchen ich durch meine Aussage bestätigte. Denn ich fürchtete mich allen Ernstes, der Rache des Mörders zu verfallen, wenn ich die Wahrheit des Vorfalls kund gäbe.“

Kahlert war wieder sehr unruhig geworden, und auf seinem mit Todtenblässe überzogenen Gesichte zeigten sich abermals große Schweißtropfen. Fast mit Mühe fragte er:

„Und kannten Sie den Mörder nicht?“

„Wie wäre das in der Nacht und in meinem Zustande möglich gewesen und zumal mir, der Fremden? Mir waren ja schier alle Sinne vergangen, und ich sah nichts, als eine dunkle Gestalt und hörte eine dumpfe Stimme.

„Der Sohn des Ertrunkenen kam mir zu danken, und fand mich vor meinem Flügel. Bald saß er mit davor. Als er sich entfernt hatte, war mein Herz voll süßer Unruhe. Nie hatte ich ein solches Gefühl nach der Abreise meines Verlobten empfunden. Liebheld, damals Gehülfe eines Rechtsanwalts, kam wieder und bald täglich; er wurde mein Musiklehrer, und unsere Herzen, die vom ersten Tage unserer Bekanntschaft an sich angehört, zitterten bald in hoher Wonne aneinander. Zu spät widersetzte sich mein Großvater und verbannte den jungen Rechts- und Musikkundigen aus dem Hause; vergebens ließ er meinen Verlobten kommen, der die Sache durch ein ungezogenes Toben und Rasen nur verschlimmerte: ich verfiel in ein hitziges Fieber, der alte Herr zitterte für mein Leben und führte den Geliebten selbst an mein Lager. Kaum war ich genesen und selig im Besitz des Herzens, an das ich mit allen Seelenbanden gefesselt war, als die blinde, rachgierige Leidenschaft meines früheren Verlobten ein Duell herbeiführte, in welchem mein Geliebter lebensgefährlich verwundet wurde. Nun wachte ich an seinem Lager, wie er erst an dem meinigen gewacht hatte. Aber die Musik, dieser Engel des Lebens, half uns über alles Böse hinweg, und ein Jahr später hatte Liebheld seine eigne Praxis, und ich wurde sein glückliches Weib.“

Kahlert dankte für die Mittheilung und trat stumm an’s Fenster, um der Frau seine Züge zu verbergen, denn er fühlte, daß er nöthig habe, nach Fassung zu ringen.

Doctor Liebheld trat in’s Zimmer, eine kräftige Gestalt mit offnen, gewinnenden Zügen, eilte auf Kahlert zu, und bot ihm mit den Worten die Hand: „Ich habe bereits den Commentar zur Schmerzenskunde, die in Deinem Gesicht steht, erhalten. Ich weiß, was Dich betroffen hat.“

Kahlert machte mit der Hand eine bezeichnende Bewegung, indem er dem Freunde zuflüsterte: „Noch lange nicht Alles und das Schlimmste.“ Und laut sagte er: „Der Tod meines führt Vaters führt mich in Rechtsverwicklungen, in welchen ich Deines Beistandes bedarf.“

„Begleite mich auf mein Zimmer, damit ich mir gleich die nöthigen Notizen mache.“

Kahlert verabschiedete sich von der Hausfrau. Die schmerzlichste Wehmuth zuckte um seinen Mund, und eine Thräne träufte aus seinem Auge, als er ihr die Hand küßte.

Die hübsche Frau war selbst unruhig und nachdenkend geworden; sie setzte sich nieder zu den Kindern an den Flügel, aber sie war zerstreut, und es dauerte lange, eh’ die Musik ihre siegende Macht über das bewegte Gemüth ihrer Priesterin geltend machte.

Nach einer halben Stunde trat Liebheld wieder allein in’s Zimmer. Auch seine Züge waren auffallend verwandelt.

„Um Gotteswillen, Bernhard, was ist Dir begegnet?“

„Ruhig, liebe Aurelie! Höchst eigenthümliche Verhältnisse, die ich so eben von Eduard Kahlert erfahren habe, die er mir aber unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hat, machen es nöthig, daß ich in Kurzem eine Reise nach Ungarn antrete. Wenn Du Dich entschließen könntest, Dich für die Dauer einiger Monate von unsern Kindern zu trennen, so würdest Du mich beglücken, wenn ich Dich in das Land Deiner Geburt und Sehnsucht führen könnte.“

Die Frau schnellte freudig empor. Doch in demselben Augenblick rief sie auch:

„Und die Kinder? Was sollte aus ihnen werden?“

„Sie würden bis zu unserer Rückkehr im „Grünen Baum“ wohnen, und die Pflege der Frau Kahlert und ihrer Töchter genießen; Eduard aber würde Vaterstelle an ihnen versehen.“

„Ich reise mit Dir, Bernhard!“

„In diesem Falle werden wir höchst wahrscheinlich ein junges Mädchen als Deine Zofe oder Begleiterin, je nachdem sie sich bildet, mitnehmen. Wir werden sie in den nächsten Tagen kennen lernen. Sie dient bei der verwittweten Kanzleiinspectorin Voß am Markt.“

Verwundert sah Aurelie ihren Gatten an.

[133] „Das Mädchen ist wohl Eduard Kahlert’s Geliebte, und wir sollen ihr die Appretur geben?“

„Wie nahe liegt diese Annahme, und wie falsch ist sie!“ versetzte der Advocat mit schmerzlichem Tone. „Glaube mir, Eduard denkt an nichts weniger, als an eine Geliebte und ihre Bildung. Ganz andere Dinge bewegen sein armes Herz. Ich hoffe, Dir später Alles mittheilen zu können, wenn diese traurigen Wirrnisse sich gelöst haben werden. Ungewöhnliche und ganz unerwartete Schickungen haben uns plötzlich berührt – denn auch ich bin dabei betheiligt – aber gutem, redlichem Willen muß es gelingen, das Schicksal zu versöhnen. Und vor Allem muß uns trösten und stärken, daß wir selbst nichts dabei verschuldet haben.“ Und er zerdrückte eine Thräne im Auge.

(Fortsetzung folgt.)





Land und Leute.
Nr. 9. Das bairische Hochland. (Avis für Sommerreisende.)

Steht man auf der Theresienwiese bei München, am Fuße des Bavaria-Kolosses, übersättigt von allen Herrlichkeiten dieser wahrhaft königlichen Stadt und sieht, gewaltiger, als alle die Monumente, die ein kunstbegeisterter Monarch durch seine großen Künstler hervorrief, die ewigen unwandelbaren Denkmale einer unsichtbaren Hand, die riesigen Alpen in ihrer ganzen Ausdehnung, von der Mädelegabel im Allgau bis zum Watzmann bei Berchtesgaden und den Salzburger Bergen, gekleidet in ruhiges Blau, dazwischen eine schimmernde Felswand, dahinter ein weißer Gletscher, oder in seltenen Momenten, an herrlichen Sommerabenden, getaucht in glühendes Roth: dann füllt sich die Brust mit unwiderstehlichem Sehnen nach ihren schwindelnden Höhen, zerklüfteten Felsen, stürzenden Bergwässern und grünen Seeen.

Wirthsstube im bairischen Hochlande.

Zwar ist das bairische Hochland keine Schweiz. Die Gebirgsstöcke sind dort höher, ausgebreiteter, gewaltiger, die Gletscher häufiger, die Seeen größer, die Fälle stürzen tiefer; doch erreichen hier die höchsten Punkte die gewiß respectable Höhe von 8–10,000 Fuß, wie die Zugspitze, der Watzmann, Mädele, Karwendel und andere, man trifft alle Typen der Alpennatur, und der wahre Naturfreund, der sich nicht von Namen und dem allgemeinen Fremdenzug bestimmen läßt, findet sich gewiß hier eben so befriedigt wie dort. Auch ist es für den einzelnen Reisenden, der dem Geräusch großer Städte für einige Zeit zu entsagen kommt, wohlthuend, hier nirgends den Zügen reisender Engländer zu begegnen, die in der Schweiz allenthalben jene großartigen und theuren Gasthöfe da hervorgerufen haben, wo man Ländlichkeit und Einfachheit suchen möchte, und nur ausländischen Comfort und Luxus für theures Geld findet.

Wer das bairische Alpenland durchreisen will, muß sich begnügen, in einem einfachen Wirthshause beherbergt zu werden, wo er sich jedoch bei mäßigen Ansprüchen befriedigt und vor Allem allenthalben Reinlichkeit finden wird, ohne daß es ihn übrigens belästigen dürfte, wenn vielleicht am andern Tische Knechte und Mägde des Wirthes aus einer gemeinschaftlichen großen Schüssel ihr einfaches Mahl einnehmen, während sich neben ihn einer jener schmucken, stattlichen Söhne der Alpen setzt, wie sie von solcher Größe und Muskelkraft weder Schweizer, noch Tyroler, ihre Nachbarn, aufzuweisen haben. Er darf sich nicht gekränkt fühlen, wenn ihn dieser in seiner treuherzigen schlichten Weise mit „Du“ begrüßt, darf jedoch durchaus nicht glauben, dadurch mit Zudringlichkeiten belästigt zu werden. Hat der Mann einige „Hoalbi“ Bier getrunken, so wird er lebendig, und beginnt seine „Schnattahüpf’ln“ vorzutragen, kleine vierzeilige Lieder, die meist improvisirt werden, und ihr Wirthshaus-, Schützen- und Liebesleben besingen; nun rücken mehrere zusammen, und Einer sucht es dem Andern zuvorzuthun. Dabei wird in die Hände geklatscht, mit den Füßen gestampft und gejodelt. Es findet sich dann gewöhnlich eine Cither vor, das Instrument, welches ausschließlich den Alpen gehört, und hier fast von jedem ihrer Söhne gespielt wird. Bald ist nun auch ein „Deandl“ (Mädchen) bei der Hand, und nun wird „Landler“ getanzt, dieser gemüthliche und zugleich graziöse Nationaltanz, der auf unseren Bällen noch keine Gnade finden konnte, während man Polka, Mazurka u. a. von fremden Nationen entlehnt. Leider folgen dann auch manchmal ernstliche Händel, wie dies bei Naturkindern, die sich von ihren Leidenschaften blind beherrschen lassen, leicht möglich ist. Es werden die stählernen Schlagringe gedreht, die sie am Finger tragen, und selten legt sich der Kampf, bis er sein Opfer gefordert. Doch haben sich durch die strenge Wachsamkeit der Behörden diese Scenen in neuester Zeit sehr vermindert, und haben auch die Leute Takt genug, in Gegenwart Fremder sich zu beherrschen.

Beachtenswerth sind die Symbole, die die Decken der Gastlocale zieren, wie sie unser Bild zeigt. Liegt das Dorf an einem der Seeen, und sind daselbst Kähne zum Gebrauch für Reisende, so hängt von der Decke herab das Modell eines Kahnes mit einer Puppe als Fährmann; außerdem Fleischer- und Bäckerabzeichen, und in gläsernem Behälter ein Frachtwagen in Duodez, wenn hier Einkehr der Fuhrleute stattfindet. Es deutet das, sowie die mit geschnitzten Figürchen besteckten Maibäume, die zahlreichen bunten Heiligenbilder u. a. m., gewiß auf ein schon südlicheres, dem Italienischen verwandteres Element des Volkes hin, das, genährt durch das Bilderreiche des katholischen Cultus, sinnliche, farbige und plastische Anschauungen als Brücke zur Vermittelung seines Ideenganges mit den aufzunehmenden Begriffen bedarf.

[134] Denselben Grund mögen die dramatischen Spiele dieser Gebirgsleute haben, die, eben so originell als alt, nur Scenen aus der christlichen Legende oder Jesusgeschichte darstellen, und uns so einen Begriff von der Bühne des Mittelalters geben. Hat irgendwo eine Gemeinde ein derartiges Schauspiel beschlossen, dann wird es durch Anschlagzettel in allen benachbarten Dörfern bekannt gemacht. Die Aufführung geht in einer Scheune vor sich, und hat ein zahlreiches und aufmerksames Auditorium. Eine andere eigenthümliche Volkssitte ist die des „Haberfeldtreibens“. Hat ein Individuum durch Wucher, Geiz, Unsittlichkeit oder sonst ein Laster, das von den Gerichten nicht direct bestraft werden kann, den öffentlichen Unwillen erregt, so versammelt sich vor seinem Hause des Nachts ein vermummter Haufe bei Fackelbeleuchtung, mit Waldteufeln, Pfeifen, metallnen Becken, alten Töpfen, mit denen sie, unterstützt von Geschrei und Gejohle, einen Höllenlärm so lange vollführen, bis der zitternde Missethäter in dem Haufen erscheint. Hier werden ihm von einem Sprecher seine Vergehen vorgehalten, und mit dem Versprechen der Besserung beruhigt, gehen die Leute auseinander.

Bergsteigen und Wildern ist ihnen, wie allen Bergbewohnern, angeborene Leidenschaft, dabei lockt auch die nahe österreichische Grenze zur Schmuggelei, und Alles ist ihnen lockend, was Gefahren bringt, die hier weit größer sind, als irgendwo, wozu sich aber auch hier weit mehr Schlupfwinkel bieten. In vielen Familien erbt sich dieses Geschäft vom Großvater auf den Urenkel fort, und manche hat schon im Kampfe mit den Grenzwächtern ihr Oberhaupt eingebüßt. Aber in stetem Kampfe mit den Elementen und dem Gesetz, geht der bairische Aelpler gestählt und ausdauernd daraus hervor, mit scharfem Blick und feinem Gehör jede Gefahr erkennend und sie mit athletischer Kraft bekämpfend, und ist einer jener Söhne der Natur mit allen ihren schlimmen, aber auch vortrefflichen Eigenschaften, die in unsern Tagen nur noch schirmende Berge oder dürre Steppen vor dem unaufhaltsamen Strom der Cultur, die alle Welt beleckt, bewahren.

Wir hoffen in einer späteren Schilderung Land und Leute des bairischen Hochlandes noch näher kennen zu lernen.

R. G.




Das Blei und seine gefährlichen Wirkungen.
Von Dr. Franz Döbereiner.
II.
Bleioxyd oder Bleiglätte. – Bleiweiß oder Kremserweiß. – Bleizucker. – Bleiessig und Bleiwasser. – Das kieselsaure Bleioxyd und seine Benutzung bei Glas und irdenem Geschirr. – Die Mennige, das Chlorblei und Kasselergelb. – Die Erkennung des Vorhandenseins von Bleiverbindungen in Speisen u. s. w.


Es ist in dem ersten Abschnitt hervorgehoben worden, daß nicht das Blei als solches, sondern erst dann, wenn es mit anderen Körpern verbunden und dadurch in Flüssigkeiten löslich gemacht worden ist, nachtheilig auf die Gesundheit und als Gift wirkt. Diejenigen Verbindungen, welche bei der Einwirkung verschiedener Agentien auf Blei entstehen oder die wegen technischer und häuslicher Verwendung dargestellt und in den Handel gebracht werden und deshalb Veranlassung zu Vergiftungen geben können, sind sehr verschiedener Art und sollen im Nachstehenden naher betrachtet werden.

Fürerst ist die Verbindung des Blei’s anzuführen, welche bei der Einwirkung von atmosphärischer Luft, besonders rasch unter Mitwirkung von Wärme entsteht und Bleioxyd genannt wird; sie heißt auch Bleiglätte und bildet sich nicht allein auf die angeführte Weise, sondern auch dann, wenn sauerstoffreiche Körper, z. B. Salpetersäure, oder Wasser und gewisse Substanzen, die eine große Anziehungskraft zum Bleioxyd haben, auf Blei wirken und zwar im ersten Fall durch Sauerstoffabgabe, im letzteren Fall durch Zersetzung des Wassers.

Das Bleioxyd ist für sich eine röthlichgelbe, metallglänzende und schuppige Substanz, die beim Zerreiben ein schön gelbes Pulver gibt. Es löst sich nicht in gewöhnlichem Quellwasser, aber etwas in reinem Wasser, mehr in Kalkwasser und in Laugen, leicht in verschiedenen Säuren, wie z. B. im Essig. Es wirkt trotz seiner Unlöslichkeit in gewöhnlichem Wasser giftig, weil es, in den Magen gebracht, daselbst Flüssigkeiten vorfindet, die lösend darauf wirken.

Man benutzt das Bleioxyd zu sehr verschiedenen Zwecken, wie zur Darstellung mancher Glas- und der Glasurarten (s. unten), zur Bereitung von Bleizucker und anderen Verbindungen, zum Sieden des Firnisses, zur Oelkittbereitung, in Kalkwasser gelöst als Färbungsmittel für Haare u. s. w. Die gefährlichste Verwendung des Bleioxydes war die früher gebräuchliche zur Weinkünstelei, indem man säuerliche Weine damit längere Zeit in Berührung setzte, wodurch die Säure angezogen und der sauere Geschmack aufgehoben, dagegen aber ein eigenthümlich süßlicher hervorgerufen wird. Mag diese Künstelei auch jetzt nicht mehr ausgeführt werden, was wir besonders Hahnemann zu verdanken haben, der durch die von ihm eingeführte und nach ihm benannte Weinprobe ein sicheres Mittel zur Erkennung dieser wahrhaften Weinvergiftung gegeben hat; so darf man das im ersten Abschnitt über die Löslichkeit des Blei’s in Wein Gesagte nicht unberücksichtigt lassen, nur daß hier der Erfolg langsamer ist.

In allen Fällen, wo das Bleioxyd in einem bestimmten Verhältniß mit einer Säure in Berührung kommt, entsteht ein sogenanntes Bleioxydsalz, d. h. eine Verbindung des Bleioxydes mit der betreffenden Säure. Diese Salze besitzen, besonders wenn sie in Wasser auflöslich sind, ungemein giftige Eigenschaften und sind im Allgemeinen als die Ursache der Vergiftung zu betrachten, wenn Blei dieselbe veranlaßt hat. Leider haben mehrere Bleioxydsalze eine sehr verbreitete Anwendung und da einige derselben eine große Aehnlichkeit mit Mehl, Zucker und ähnlichen zum Genuß dienenden Substanzen und zugleich einen süßlichen Geschmack besitzen, so muß dabei und bei ihrer Aufbewahrung mit großer Umsicht verfahren werden. Einige Bleioxydsalze haben eine schöne Farbe und dienen deshalb als Farbematerialien zum Anstreichen, so wie auch zum Färben und Drucken der Zeuge, dürfen aber nicht bei Speisewaaren verwendet werden.

Das gebräuchlichste Bleioxyd ist das kohlensaure Bleioxyd, das auch als Bleiweiß oder Kremserweiß bekannt ist und hauptsächlich als weiße Anstrichfarbe mit Oel benutzt wird. Da jedoch schon die mit einer Beschmutzung der Haut verbundene unausgesetzte Beschäftigung mit Bleiverbindungen, also auch die mit Bleiweiß, eine sehr gefährliche Krankheit – die Bleikolik – verursacht, ferner das Bleiweiß mit dem Oel nach und nach an der Luft gelb oder bei Zutritt von Schwefelwasserstoffgas – welches sich aus Abtritten und überall da, wo thierische Körper in Fäulniß begriffen sind, entwickelt – braun wird, so ersetzt man es jetzt immer mehr und mehr durch das weißbleibende und gefahrlose Zinkweiß.

Ein anderes, häufig als Malerfarbe in Anwendung kommendes Bleioxydsalz ist das chromsaure Bleioxyd, das im normalen Zustand prächtig citronengelb (Chromgelb), bei einem Ueberschuß von Bleioxyd aber orangefarben bis schön feuerroth (Chromorange oder Chromroth) erscheint. Diese Farben sind wegen ihres Glanzes und ihrer Beständigkeit sehr beliebt, aber doch mit Vorsicht zu verwenden.

Der bekannte Bleizucker ist essigsaures Bleioxyd und entsteht in allen Fällen, wo Blei, reines oder kohlensaures Bleioxyd mit einer hinreichenden Menge von Essig in Berührung kommen; es findet wegen des Wassergehaltes des Essigs eine vollständige Lösung statt und die farblose Flüssigkeit, welche einen süßlichen, hintennach zusammenziehenden metallischen Geschmack besitzt, gibt beim langsamen Verdampfen das Salz in farblosen säulenartigen Krystallen. Der Bleizucker ist wegen seiner großen Löslichkeit in Wasser eins der giftigsten Bleisalze und gibt, da er in den Künsten und Gewerben mannichfach benutzt wird, gar zu leicht zu unabsichtlichen Vergiftungen Anlaß. Ganz verwerflich ist seine Verwendung zum Klären des Weins, der Zuckerlösungen und anderer als Getränke dienender Flüssigkeiten, da er – obgleich [135] von ausgezeichneter Wirkung in dieser Beziehung – leicht in zu großer Menge zugesetzt werden könnte, wodurch der Genuß jener Flüssigkeiten nachtheilige Folgen veranlassen würde.

Wird die wässerige Bleizuckerlösung mit Bleioxyd in Berührung gesetzt, so nimmt sie noch die doppelte Menge desselben auf und stellt dann den Bleiessig oder das Bleiextract dar. Eine ähnliche Lösung bildet sich auch, wenn Essig mit vielem Blei und atmosphärischer Luft lange Zeit in Berührung steht, also wenn Essig in Bleitöpfen aufbewahrt wird; sie wirkt wegen des größeren Gehaltes an Bleioxyd weit giftiger, als die Bleizuckerlösung, weshalb derartig aufbewahrter Essig – der dann überhaupt nicht mehr Essig ist – als das heftigste Bleigift wirken muß. Der Bleiessig dient mit Wasser vermischt als sogenanntes Bleiwasser zu Umschlägen, wobei aber keine offenen Körperstellen betroffen werden dürfen, weil hier die Bleiverbindung um so eher aufgesogen wird und dadurch ein Hinsiechen des Körpers veranlaßt werden würde.

Auch die Bleioxydsalze mit verschiedenen Pflanzensäuren müssen hier angedeutet werden, da sie ebenfalls zu Vergiftungen oder Hinsiechen des Körpers Anlaß geben können. Es sind in dieser Beziehung besonders die Bleioxydsalze der Aepfelsäure, der Citronensäure und der Weinsäure zu nennen, da diese drei Säuren in den säuerlichen Frucht- und Beerensäften, welche – wie z. B. der Saft der Aepfel, Johannisbeeren, Preißelbeeren u. s. w. – häufig als Nahrungsmittel dienen, zum Theil im freien Zustande, zum Theil als saure Salze einzeln oder miteinander vorkommen. Werden derartige Säfte oder auch die Früchte und Beeren in Gefäßen von Blei aufbewahrt oder gar darin gekocht, so befördern sie ungemein die Verbindung des Blei’s mit dem Sauerstoff der atmosphärischen Luft und das gebildete Bleioxyd verbindet sich mit der Pflanzensäure. Das gebildete Bleisalz ist zwar, wenn keine freie Säure weiter vorhanden, in der Flüssigkeit unlöslich, kann sich aber wegen der dickflüssigen Beschaffenheit derselben nicht absetzen und wird so mit genossen, wo es dann als ein schleichendes Gift wirkt. Noch größer ist die Gefahr bei sehr sauren Pflanzensäften und bei nicht lange genug andauernder Einwirkung derselben auf Blei, weil dann das gebildete pflanzensaure Bleioxyd von dem Ueberschuß der Säure vollständig gelöst wird. Es geht hieraus hervor, daß Pflanzensäfte in keinem Falle in bleiernen Gefäßen behandelt oder aufbewahrt werden dürfen, wenn sie als Speisen oder innerliche Heilmittel verwendet werden sollen.

Die Fette, sie mögen pflanzlichen oder thierischen Ursprungs sein, erleiden in Berührung mit Bleioxyd eine gleiche Veränderung, wie bei der mit Laugen – bei der Seifenfabrikation. Es findet dabei entweder in den Elementen der Fette – Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff – eine andere Gruppirung zu zwei neuen organischen Verbindungen, zu Fettsäure und zu Oelsüß, statt oder die Fette bestehen bereits aus diesen beiden Körpern und werden nach Art der gewöhnlichen Salze durch die Einwirkung des Bleioxydes oder des basischen Bestandtheiles der Laugen in der Weise zersetzt, daß sich die Fettsäure mit dem Bleioxyd oder dem Laugenbestandtheile verbindet, dagegen das Oelsüß abgeschieden wird. Der Erfolg ist nur darin verschieden, daß das fettsaure Bleioxyd in Wasser nicht, dagegen das fettsaure Alkali – die Seife – darin leicht löslich ist. Man benutzt dieses Verhalten des Bleioxydes zu den Fetten in den Apotheken zur Darstellung der Bleipflaster und Bleisalben, welche bekanntlich als äußere Heilmittel häufig benutzt werden. Bei ihrer Benutzung muß jedoch berücksichtigt werden, daß sie leicht in den thierischen Organismus eintreten und üble Zufälle veranlassen, was besonders dann der Fall ist, wenn die zu belegenden Körperstellen offen sind. Außerdem muß aber auch, wie bereits im ersten Abschnitt angeführt worden, beachtet werden, daß fettsaures Bleioxyd auch dann entsteht, wenn Fett mit Blei und atmosphärischer Luft in Berührung ist, und zwar in um so größerer Menge, wenn zugleich Wärme mitwirkt, und daß das fettsaure Bleioxyd in unverändertem Fett löslich ist und diesem, wenn es genossen wird, giftige Eigenschaften mittheilt.

Eins der gefährlichsten Bleioxyde ist das kieselsaure Bleioxyd, welches ein Bestandtheil der sogenannten Bleiglasur und mancher Glasarten ist. Das kieselsaure Bleioxyd, durch Erhitzen von Bleioxyd mit Kieselerde darzustellen, ist nämlich leicht schmelzbar und zwar um so mehr, je reicher es an Bleioxyd ist. Zur Ersparnis; an Feuermaterial wird deshalb häufig der Ueberzug der irdenen und ähnlicher Geschirre aus einer bleioxydreichen Glasurmasse dargestellt und auch in manchen Gegenden der Glassatz mit Bleioxyd vermischt. Je mehr nun aber in einer Glasur oder in einer Glasart Bleioxyd enthalten, um so mehr behält dieses seine Löslichkeit in Säuren, Laugen und kochsalzhaltigem Wasser; die Glasur oder das Glasgefäß wird bei der Berührung mit derartigen Flüssigkeiten und besonders beim Erhitzen damit oberflächlich angegriffen und sie erscheinen dann, wenn sie durchsichtig waren, trübe, während sich in der Flüssigkeit durch die geeigneten Mittel leicht Blei nachweisen läßt. Waltet hingegen in der Glasur die Kieselerde vor, wo sie dann auch weit schwieriger schmelzbar ist, so wirken jene Flüssigkeiten gar nicht oder nur in einem sehr concentrirten Zustande und bei lange andauernder Erhitzung auf das Bleioxyd lösend, In jeder Haushaltung und überall da, wo in bleiglasurhaltigen Geschirren Speisen und andere zum Genuß dienende Flüssigkeiten gekocht und aufbewahrt werden sollen, müssen diese Geschirre zuvor auf die Löslichkeit ihrer Glasurbestandtheile dadurch geprüft werden, daß man einige Zeit Essig darin kochen läßt und nach dem Erkalten eine Probe desselben mit Schwefelwasserstoffwasser, eine andere Probe aber mit einigen Tropfen Schwefelsäure vermischt. In keiner Probe darf dadurch eine Färbung oder eine Abscheidung eines weißen Absatzes veranlaßt werden.


Die Mennige ist ebenfalls eine Verbindung des Blei’s mit Sauerstoff, aber enthält letzteren in einer größeren Menge als das Bleioxyd. Sie wird wegen ihrer mehr oder minder brennend rothen Farbe rothes Bleioxyd genannt und besonders als Malerfarbe benutzt. Sie entläßt an saure, laugenartige und kochsalzhaltige Flüssigkeiten etwas Blei, weshalb ihre Verwendung nicht gefahrlos ist.

Wird kochsalzhaltiges Wasser mit metallischem Blei und atmosphärischer Luft in Berührung gebracht, so entsteht neben Bleioxyd zugleich eine andere Bleiverbindung, Chlorblei nach seinen Bestandtheilen benannt. Dieses ist aber in Wasser löslich, und ertheilt ihm giftige Eigenschaften, weshalb das Kochen kochsalzhaltiger Flüssigkeiten, die zum Genuß dienen, in Bleigefäßen oder in Geschirren mit Bleiglasur, die ebenfalls von kochsalzhaltigem Wasser angegriffen werden, durchaus vermieden werden muß. Das Chlorblei läßt sich mit Bleioxyd zusammenschmelzen und gibt eine Masse, die beim Zerreiben schön gelb wird, und als Malerfarbe unter dem Namen Kasselergelb bekannt ist; natürlich ist diese ebenfalls giftiger Beschaffenheit.

Die schön goldgelbe Verbindung, welche entsteht, wenn man eine wässerige Auflösung von Bleizucker mit einer gleichen Auflösung von Jodkalium vermischt, und welche aus Blei und Jod besteht, wird jetzt mitunter als Maler- und Druckfarbe benutzt. Bei ihrer Verwendung muß aber mit der größten Umsicht verfahren werden, da hier neben den giftigen Eigenschaften die noch gefährlicheren der Jodverbindungen in’s Spiel kommen.

Die Erkennung der Gegenwart von Bleiverbindungen in Speisen, Getränken u. drgl. bietet im Allgemeinen wenig Schwierigkeiten und ist zum Theil selbst von Laien ausführbar. Schon der eigenthümlich süßliche, hintennach zusammenziehende und metallische Geschmack der meisten Bleiverbindungen gibt einen Anhaltpunkt. Sind die Flüssigkeiten wasserhell oder nur wenig gefärbt, so vermischt man eine Probe derselben mit Schwefelwasserstoffwasser oder Hahnemannischer Weinprobe – die aus jeder Apotheke zu erhalten sind –, wodurch gelöstes Blei durch den schwarzen Niederschlag, bei geringen Mengen durch die braune Färbung der Flüssigkeit angezeigt wird. Da jedoch aber auch einige andere Metalle gleiche Erscheinungen veranlassen, so wird eine andere Probe der verdächtigen Flüssigkeit mit einigen Tropfen Schwefelsäure vermischt, welche von den Lösungen der Metalle nur die des Bleis und zwar weiß färbt und fällt. Ist die Flüssigkeit dunkel und trübe, so wird sie, wie überhaupt jede verdächtige Speise, eingetrocknet, und der trockne Rückstand mit etwas Kohlenpulver und calcinirter Soda innigst vermischt, in einem hessischen Tiegel zwischen nach und nach verstärktem Kohlenfeuer bis zum Glühen erhitzt. War Blei vorhanden, so findet sich dieses nach dem Erkalten des Tiegels am Boden als Metallkorn. Wer mit dem Löthrohr zu arbeiten versteht, bedarf nur einer geringen Menge der eingetrockneten verdächtigen Substanz, die mit etwas Soda vermengt auf [136] einer Holzkohle durch die Löthrohrflamme erhitzt wird, wobei sich bei Gegenwart von Blei dieses ebenfalls als Metallkorn abscheidet. Das auf die eine oder die andere Weise erhaltene Metallkorn wird nun mit Essig erhitzt, um in der gebildeten Lösung durch Schwefelwasserstoff und Schwefelsäure nachzuweisen, daß es wirklich Blei sei.




Die Franke’schen Stiftungen in England.

In dem rauchigen Halle an der grünen Saale mit den reizenden Giebichensteiner Felsenpartien und den Wittekind-Bädern im Norden und der gemächlich düstern Rabeninsel im Süden und manchen Reizen ringsherum, mit seiner „Natur“ sogar im Innern, seiner alten Universität und seinen vielen honorigen Philistern, die den Studenten zu meiner Zeit ganze halbe Jahre lang und gelegentlich noch länger „pumpten“, dehnt sich auch auf einer südlichen Anhöhe der Vorstadt Glaucha eine geschlossene Doppelreihe von langen hohen Palästen aus mit drei großen, weiten Gärten, Parken, Spiel- und Turnplätzen auf der Südseite, die uns aber oft nicht weit genug waren, so daß wir manches liebe Mal mit katzenartiger List und Geschicklichkeit über die drei Jungen hohe Grenzmauer kletterten, um auf gefährlichen Umwegen nicht in’s Freie, sondern zum Conditor oder wohl gar zu einer „Stange Lagerbier“ und sonstigen Genüssen des Verbotenen zu gelangen. Wenn man eine hohe breite Dpppeltreppe hinauf durch das imposante Front- und Vordergebäude zwischen der Apotheke und der Buchhandlung, dem „Klingelmann“ links (mit einer zu unserer Zeit sehr beliebten Obstfrau vor dessen Thür) und dem Nachtwächter rechts in den weiten, geraden „Vorderhof“ hineintritt auf die „breiten Steine“, wo damals nur die Primaner in den „Zwischenstunden“ und „vor dem Speisesaale“ auf- und abgingen, und jeder niedriger Sitzende unbarmherzig davon weg „gerempelt“ ward – welch’ ein heiterer, grandioser Anblick! Kein Königs- oder Kaiserschloß hat einen so heitern, luftigen Vorderhof. Und das Wasser, das stets oben rechts im „Röhrkasten“ rauscht und spät Abends im Mondschein beim ersten, verbotenen Schiller-Lesen oder den ersten Versuchen, ein erstes, aufkeimendes Ideal in Verse zu bringen, bei dem Genuß der grimmig verbotenen „Pfeife“ und sonstigen Allotriis gar hippokrenisch hereinklang, dieses Wasser war auch sehr gut zum gemeinen Trinken und zum verbotenen Kaffeekochen. Ja, es gab oft feierliche Gelegenheiten, wo wir dieses herrliche Wasser mit Rum und Zucker zu veredeln gedachten, wie wir uns überhaupt während der sieben Jahre unseres Lernens in diesen heitern weiten Stiftungen mit nichts so gern abgaben, als mit verbotenen Dingen. Auch erinnere ich mich kaum, daß wir uns sehr mit Lernen geplagt hätten. Aber endlich sprachen wir doch Latein wie Wasser, konnten den halben Homer auswendig, wußten in Athen und Rom Bescheid, wie in Halle, und kannten sogar die Stelle, wo der rührend beschriebene sterbende Hund des Odysseus gelegen, als er dem alten, edeln Herrn, nachdem er die Städte so vieler Menschen gesehen und ihren Sinn erkannt, die Hand leckte zum Willkommen auf seiner Insel Ithaka. Niemand erkannte ihn, selbst nicht seine treue Penelope, nur der alte treue Hund rafft sich noch einmal auf, nur er erkennt ihn, leckt ihm die Hand und stirbt.

Wo seid ihr geblieben, schöne, „pennalische“, jugendübermüthige Tage mit allen den vielen Namen, Zahlen, Sprachen und Hoffnungen, wo alle die jugendlichen Schaaren, die damals mit mir so lebenslustig auf- und abtollten? Aber die Franke’schen Stiftungen sind geblieben, die großartigste pädagogische Waisen- und Gvnmasialanstalt der Welt. Da steht der Stifter noch in Metall in der Mitte oben mit den beiden in der ganzen Welt auf den Köpfen der Gypsfigurenhändler umhergetragenen Waisenknaben, da steht er noch, nachdem ich ihn vor beinahe dreißig Jahren einweihen half. Neben mir stand bei der Einweihung ein eckiger, unbeholfener Junge, der immer nicht so recht hatte „mitmachen“ wollen, träumerisch vor sich hinging und weinend die Hände faltete, als der Director Niemeyer nach seiner Rede winkte, das Standbild Hermann Franke’s mit seinen beiden classischen Waisenknaben in seinen Stiftungen zu enthüllen. Einige hänselten ihn nachher damit, er kehrte ihnen aber stets den Rücken und ging seinen eigenen Weg weiter, mit diesem größten Helden des Glaubens, Hermann Franke, im Herzen, um seinen damals Wurzel schlagenden Entschluß, von demselben Franke’schen Capitale ähnliche Franke’sche Stiftungen aufzurichten, in England auszuführen.

Dieses Capital – es bestand bei Hermann Franke in sechzehn Groschen und Glauben, und bei Georg Müller, dem Hermann Franke Englands, in noch weniger Groschen – bedarf in unsern Tagen vielen „aufgeklärten“ Leuten gegenüber einer Art von Entschuldigung, wenn man etwas zu dessen Gunsten sagen will. Der Eine betet zu Brahma, der Andere zu Jehova, der Dritte zu Allah, der Vierte direct zur Sonne, Andere zu einem lieben himmlischen Vater, zur Jungfrau Maria u. s. w., noch Andere kommen mit einem Gott in ihrer eigenen Brust, mit ihrem ausgebildeten Ehrgefühl, mit Selbstachtung, mit Ideen von Menschenwürde, Humanität und Mitgefühl, mit dem Gedanken an die letzten Ermahnungen und Thränen einer edeln, unvergeßlich geliebten Mutter, der Liebe zu Weib und Kind u. s. w. aus.

Das sind Alles Religions- und Glaubensformen, die auf unsere Achtung Anspruch haben, wenn sie nur für die Gesammtheit der bürgerlichen Gesellschaft gute Früchte tragen, ohne daß wir nöthig haben, diese Formen als unsern Vorstellungen entsprechende, wahre, richtige anzuerkennen. Und wie die, welche die Gottessubstanz in Kraft, Stoff und Stoffwechsel auflösen, heut zu Tage wenigstens nicht mehr verbrannt werden, wollen wir auch die Streng-Gläubigen nicht mehr kreuzigen, und uns am allerwenigsten die Freude an Schöpfungen verderben, denen Tausende und aber Tausende ihre Erziehung, ihre classische und praktische Bildung, ihre Tüchtigkeit in diesem Leben voller Eisenbahnen, Telegraphen, Polizeivorschriften, Wechselrittern und Staatssupernumerarvicehämorrhoidarien verdanken, an solchen Schöpfungen, wie denen Hermann Franke’s und Georg Müller’s.

Es bedarf in unserm „aufgeklärten“ Jahrhundert wohl keiner besondern Versicherung und keines speciellen Nachweises mehr, daß sowohl der Erstere, wie der Letztere und Alle, die in Glaubensechtheit irgend einer Art – dies ist besonders Angesichts edeln weiblichen Geschlechts gesagt – Gutes und Schönes fühlen, denken und thun, auch in dieser Form ihre Stiftungen, Schöpfungen und Thaten wesentlich ihrer eigenen Energie und Ausdauer verdankten. Wir dürfen namentlich bei Beurtheilung Müller’s in England nicht vergessen, daß ungemein viel wohlthätige Stiftungen nur durch freiwillige Beiträge geschaffen und erhalten werden, insofern deren Stifter u. s. w. sich an die stereotypen Glaubensvorstellungen anlehnen. Wir haben Grund, zu glauben, daß G. Müller sich des energisch und ausdauernd verfolgten, edeln, praktischen Zweckes willen auf diese Vorstellungen stützte und daß ihm unter dieser Form die bedeutenden Summen für denselben freiwillig zuflossen.

Georg Müller, das ist der eckige, träumerische Junge, der vor beinahe 30 Jahren bei der Enthüllung des Franke’schen Denkmals betend, mit gefalteten Händen, weinend neben mir stand und dann (ich glaube 1830) nach England mitten unter Eisenbahnschwindel, Krämer- und Diplomatenpolitik hinüberging, um sich zunächst sein Herz beinahe zerbrechen zu lassen über das namenlose Elend und die Verwahrlosung, worin arme und verwaiste Kinder hier zu Tausenden aufwachsen oder noch öfter materiell und moralisch umkommen. „Dann erhob ich mich,“ sagt er in seinem jetzt erschienenen, merkwürdigen Berichte[1], „und begann den Gottesdienst, für verwaiste Kinder zu sorgen, denen Niemand Elternstelle vertritt, am 9. December 1835.“

Ohne Lebensmittel für sich selbst, miethete er ein Haus für solche Kinder in Wilsonstreet, London, dann vier Häuser neben einander für 120 bis 150 Waisen. Mancher muß sich Plagen, um [137] seine eignen Kinder halbwegs zu erziehen, Georg Müller, selbst für sich ohne Mittel, erzog und bildete zehn Jahre lang stets über hundert Waisen in seinen vier theuren Häusern in dem theuern London, ohne jemals um Unterstützung zu bitten. Letztere Bedingung brach er auch dann nie, wenn kein Dreier in den vier Häusern für das nächste Abendbrod der Heerde Kinder übrig war, wobei sie doch nie hungrig zu Bett gingen. Einige Auszüge aus seinem Naiven Berichte:

„Am 10. August 1844. In der größten Noth, kein Penny mehr zur Hand. Da erhielt ich eine Fünfpfundnote von einem Bruder in Hackney.“

„16. August 1845. Unsere Armuth ist außerordentlich groß. Es ist zehn Uhr und kein Penny für Mittagbrod. Ich dachte an einige Artikel, die ich versetzen oder verkaufen könnte für die Waisen, als einer der Arbeiter (Lehrer) mir ein Pfund gab. Aus den Büchsen der Häuser ergaben sich 1 Schilling 6 Pence, für gestrickte Sachen wurden zwei Schillinge 6 Pence bezahlt, und A. gab 2 Schillinge.“[2]

Solche Tagebuchs-Notizen finden wir in unzähliger Masse, und er machte nie Schulden, er bat nie um Beiträge und die Kinder gingen nie hungrig zu Bett.

Im Jahre 1845 dachte Georg Müller an Erbauung eines eigenen Waisenhauses für etwa 300 Kinder. „Ich dachte, das würde etwa 10,000 Pfund kosten, und am 4. November fing ich an, den Herrn um Mittel zu bitten. Am 10. December stellten sich von unbekannter Hand 1000 Pfund ein. Als dieses Geld kam, war ich so ruhig, als hätt’ ich eben einen Schilling erhalten, denn mein Herz sah sich nach Erhörungen um. So überraschte mich diese Schenkung nicht im Geringsten. Andere Gaben folgten, eine zweite von 1000 Pfund am 30. December, und da ich den Herrn nun gebeten, er möge mir vorangehen, folgte ich ihm, um eine Baustelle zu suchen.“[3]

Und nun denke man sich dieses seltsame Bild mitten in diesem Jahrhundert, mitten in diesem modernen England! Ein großer, eckiger, schwerfälliger Deutscher in schäbigem Schwarz durch die von Millionen Menschen und Tausenden von Fuhrwerken wimmelnde Stadt wandelnd mit der Vorstellung, daß Gott der Herr ihn persönlich zu einer Baustelle führe, wie er sie findet und sein Waisen-Asyl, seine Franke’schen Stiftungen richtig aufbaut! Und da steht es freudig durchwimmelt von eintausend gesunden, frischen, lachenden, rührigen, spielenden, lernenden und arbeitenden Kindern, die keine Noth, keinen grimmigen Waisenvater, wie sie Dickens so wahr und furchtbar schildert (in Oliver Twist), keinen Hunger, keinen Bakel, sondern nur Liebe und Freude und freie Arbeit kennen und in dem eckigen, gravitätischen Georg Vater und Mutter lieben und sich oft an ihn hängen, wie rothe, lachende, erste Herzkirschen an das Stück Holz, in welcher Form die Obstweiber gern die Erstlinge der, Kirschenernte verkaufen. Ist das nicht ein größeres Wunder, als Aladdin’s Palast? Mindestens ein größeres, als das grandiose Parlamentsgebäude an der Themse, das in allen Theilen zu groß und nur für das Unterhaus zu klein, zu dunkel und zu stickig und zugig zugleich ist, Millionen kostet und noch lange nicht fertig ist und jetzt an den Zinnen-Kanten mit einigen Fudern Gold beklebt wird.

Wir können dem deutschen Waisenvater englischer Kinder nicht auf Schritt und Tritt folgen, wie er hinter dem Herrn herwandelnd die Baustelle findet, das Asyl aufbaut und eben vergrößert. Nur noch einige Notizen.

Er fand die Stelle nahe bei Bristol in Aßley Down, einer der schönsten Vorstädte dieser rührigen, englischen Stadt, welche den besten englischen Tabak (Bristol Birds-Eye) fabricirt. Der erste Bau kostete 15,000 Pfund, also über 100,000 Thaler, die sich alle ungebeten einstellten. Er fing im Juli 1847 an und führte seine Kinder im Juni 1849 aus der rauchigen Wilsonstreet Londons in ihre sonnige, neue Heimath, ohne daß Jemand davon besonders Notiz nahm, während sonst fast alle wohlthätigen Institutionen vorher ausgeschrieen werden, als hätte die Henne das Ei schon gelegt, damit Geld gebettelt werden könne, ehe sie an die Machtthat denken. In einem großen Wohlthätigkeitsinstitute Londons fehlten neulich gleich 15,000 Pfund auf einmal; andere wurden entdeckt, die lange schon für Hunderte von armen Kindern gebettelt hatten und hernach gar kein einziges Kind aufweisen konnten.

Darüber ließen sich haarsträubende Thatsachen bändeweise zusammenstellen, aber ihr guten Deutschen drüben denkt immer, man wolle England damit schlecht machen und Euch den lieben einzigen „Anhaltepunkt“ für Eure Hoffnungen unter dem schwachen Arme wegschlagen was, abgesehen von der Wahrheit der Thatsachen, sehr gut wäre, da Ihr wirklich ohne englische Anhaltskrücke vortrefflich stehen und gehen könnt. Und wer’s noch nicht kann, ist ein Hypochonder und muß mit einer guten Parforcecur auf die Beine gebracht werden, wie Jener, der sich einbildete, er habe Beine von Glas, so daß er nicht eher probirte, selbst zu gehen, als bis man ihm das Bett unter den gläsernen Füßen tatsächlich wegbrannte. Dann aber konnte er auch plötzlich laufen, wie ’n Faßbinder.

Der Herr, welcher vor Georg Müller herschritt und ihm das „Wunder des Jahrhunderts“, wie es die Engländer nennen, aufbaute, war doch am Ende nur, rationalistisch und physiologisch genommen, eine ihm liebe und den Engländern imponirende Form für seine eigene deutsche Energie und Ehrlichkeit, sein schlichtes, fühlendes Herz und sein höchstes Erbarmen mit dem tiefsten Elend um ihn her. Er wandelte tapfer auf eigenen Füßen mit Glauben, Liebe, Hingebung, Leidenschaft, Ausdauer für sein edles Werk.

So ward er der Fels, an den sich die Engländer lehnten, wie überhaupt Engländer bald sich in die unabweisbare Nothwendigkeit werden fügen müssen, sich an deutsche Cultur, Ehrlichkeit, Sitte und Energie zu halten, um aus ihrem in der Ferne noch glänzenden Jammer heraus zu kommen, wie sich jetzt schon alle besseren, nobleren Elemente Englands, mit der Königsfamilie als Muster an der Spitze, aus ihrer Herrlichkeit in deutsche Sprache, Literatur, Sitte und Lebensweise flüchten. – Sie nähren sich von deutschem Marke, während einige Scribenten im Mutterlande sich einbilden, sie müßten auf alte, abgelegte Sachen Englands warten, ehe sie anständig auftreten könnten. Auch wir, so lange wir in England leben, müssen uns immer von deutschem Marke nähren, wenn wir nicht geistig verhungern wollen, so daß G. Kinkel, der seinen „Nimrod“ in England dichtete, die Sache mit den Worten trifft:

„Was wir im fremden Lande schaffen,
Es ward von Deinem Mark genährt,
Du schmiedest unsres Sieges Waffen
Auf Deinem ewig wachen Heerd.
Uns stärkt zur Abendfeierstunde
Des deutschen Freundes tiefes Wort,
Und hell aus unsrer Kinder Munde
Klingt deutsches Lied uns fort und fort.“

Und nun wieder zu unserem Ritter Georg. Etwa ein Jahr nach Vollendung des ersten Baues fing er an, Flügel zu bauen, um 1000 Kindern Obdach, Erziehung und Schule zu geben. Diese fing er mit Schillingen an. Anfangs 1856 hatte er über 23,000 Pfund verbaut und baar bezahlt. Vogel und Flügel sind jetzt schuldenfrei vollendet und von den 6000 Kindern Englands, die durchschnittlich stets in Gefängnissen leben, finden 1000 in Georg Müller ihren Vater, ihre Mutter, ihre Freiheit, ihre Tugend, ihre Zukunft wieder.

Müller hat im Ganzen für sein Werk 84,441 Pfund 6 Schillinge 3 1/4 Penny erhalten, ohne jemals um eine Gabe zu bitten. Im Uebrigen borgt und schenkt nicht so leicht ein anständiger Engländer einem Armen ein Stück Kupfer, während er allerdings leicht dahin zu bringen ist, Hunderte und Tausende für ostensible Zwecke mit hohen und seinem Namen in den Zeitungen zu zeichnen. Müller trug nie ein Geschenk mit Namen ein und bat nie um Beiträge. Aber da steht sein Werk, das „Wunder des Jahrhunderts!“ Welche Kraft, welche Siegesgewalt in diesem einfachen Helden! Da steht’s! Seht’ mal hinein! Kein Entrée, keine Bettelei, keine Büchsen, wie sonst in allen englischen Wohlthätigkeitsanstalten. [138] Da links 1000 Betten mit 1000 kleinen Commoden daneben, worin die Sonntagskleider glatt und reinlich liegen, dahinter die Spielsäle mit unzähligen deutschen Spielwaaren – ein Anblick, als wär’s eben Weihnachten; rechts der hohe, lustige, heitere Speisesaal, drüber drei Schulanstalten für Knaben, Mädchen und Kinder (die blos spielen, tanzen, singen u. s. w. nach Fröbel’s Princip), herrliche, herzige, rothbäckige Kinder ohne Spur von dem gedrückten, hungrigen „Waisenblick“ (Dickens), dahinter Bäckerei, Wasch- und Badeanstalten, Speise- und Vorrathskammern mit Mehl, Brod, Fleisch, Reis, Hafermehl u. s. w., wie für eine Armee, große Säle mit Kleidern und Schuhen, Seife, und Gefäßen, Vorräthe von Spielsachen, um die verbrauchten zu ersetzen, Lehrer-, Arbeiter-, Diener- und Ammenwohnungen, Arheitslocale zum Stricken, Sticken, Flicken, kindlichem Fabriciren und Manufacturiren – kurz eine fabelhafte, wirkliche, blühende Kinderwelt aus der tiefsten Hefe, aus Kerkern und Verwahrlosung – Alles geschaffen und erhalten und entwickelt und blühend und leuchtend durch Georg Müller aus Thüringen.


Der Wilderer.[4]
Von Fried. Gerstäcker.

„Sehn Sie die Laatsche da drüben?“ nahm da Ragg das Gespräch, das aber jetzt mit unterdrückter Stimme geführt wurde, wieder auf – „gleich die da drüben; die, wo das Dickicht bis zum Abgrund hinläuft, hinüberhängt?“

„Ja, Ragg – aber ich kann da drüben Nichts erkennen.“

„Ist auch jetzt nichts mehr da zu sehen,“ sagte er, leise dabei vor sich hin lachend, „fünf Jahre sind’s aber jetzt, da hat die eine Laatsche, die dort über die steile Wand hinüberhängt, einem Malefizkerl von Wilderer einmal einen großen Gefallen gethan.“

„Einem Wilderer?“

„Ich und der Wastel,“ erzählte Ragg jetzt weiter, nachdem er erst noch einmal einen vorsichtigen Blick nach unten geworfen, ob der Bock noch dastände, „waren drüben am Scharfreuter gewesen, und an der Grenze hingegangen, theils zu sehen ob das Wild dort viel herüber wechsele, theils auch umzuschauen ob wir keine fremde Fährten finden könnten, denn daß hier Wilddiebe von Baiern herüberkämen hatten wir schon gehört. Den Morgen um neun Uhr etwa war ein leichter Schnee gefallen, und es schneite noch in dünnen, einzelnen Flocken, als wir oben an der Luderstauden, gerade wo die erste Klamm gegen das Joch vorläuft, eine ganz frische Mannsfährte fanden, die keiner von uns kannte. Das konnte Niemand anders als ein Wilderer sein, und während Einer die Fährte hielt, während der Andere scharf umherschaute, ob er den Burschen nicht vielleicht so aus freier Hand entdeckte, folgten wir so rasch und leise wir konnten.

„Das ging nun allerdings gut, so lange wir oben am Joch blieben, denn dort lag wenigstens Schnee genug zum Spüren, der Malefizkerl hatte das aber auch wohl bedacht und war in eine der nächsten Klammen hinein und, Gott weiß wie, darin herum gestiegen, so daß wir auf den kahlen Steinen zuletzt die Spur verloren, und nun nicht wußten wo er geblieben war. Wastel wollte nun zwar, wir sollten uns trennen und nach verschiedenen Seiten suchen. Hatte er sich aber irgend wo eingedrückt und sah uns anpirschen, so wäre ein Einzelner verloren gewesen; auf zwei schießen die Schufte aber nicht sogleich.“

„Hanthiert nur nicht so mit den Händen, Ragg, Ihr liegt überhaupt zu nahe an der Wand, und wenn der Bock einmal den Kopf hier heraufdreht, muß er ja die helle Hand in der Sonne herumfahren sehen.“

„Der steht noch baumfest“ erwiderte der Jäger, indem er einen Blick hinunterwarf, und dann einen halben Schritt von dem Rande des Hanges wegrutschte.

„Und der Wilddieb?“

„Warten Sie nur – die Fährten nahmen im Ganzen die Richtung nach dem Leckbach zu. Wastel glaubte nun freilich nicht, daß er sich so weit von der Grenze weggemacht hätte. Das blieb sich aber ganz gleich, Grenze oder nicht, denn drüben auf königlichem Gebiet hatte er jedenfalls eben so wenig Recht, zu jagen wie hier, und erwischten ihn die Jäger, so ging’s ihm nicht um ein Haar besser, als wenn wir ihn kriegten. Wir äugten also aus dem Wald heraus, die ganze Leckbach sorgfältig ab, spürten noch einmal über das Joch hinüber, auf dem Schnee, und mußten endlich glauben, er habe uns vielleicht irgendwo auf seiner Spur gesehen, und sei wieder in das andere Revier, wohin wir ihm nicht folgen durften, zurückgewechselt. Viel Zeit hatten wir übrigens auch nicht mehr zu verlieren, denn wir wollten die Nacht noch nach der Grasberg Alm und mit dem Umhersuchen war der Tag ziemlich draufgegangen. So stiegen wir denn rasch hintereinander her aufwärts, als mich der Wastel plötzlich, ohne ein Wort zu sagen, am Arme packt, und dort hinauf zeigte, etwa in die Gegend, wo der dürre Baum da oben auf der schmalen Lanne steht. Ich guckte hin, und kauerte da nicht der verdammte Hallunke so ruhig auf einem umgefallenen Baum, und kaute an einer Brodrinde oder irgend etwas Anderem, als ob er daheim in seiner Hütte, und nicht mit der Büchse auf einem fremden Reviere säße?

„Der kann nicht mehr fort,“ flüsterte mir dabei der Wastel zu – „ich springe hier unten herum. Du von der Seite hinauf und dann haben wir ihn in der Mitte – vorn ist die Klamm und da kann nicht einmal ein Gemsbock hinunter!“

„Wie wir ihn nur erst gewahr wurden, hatten wir uns gleich hinter einen Laatschenbusch gedrückt und, ohne ein Wort zu reden, rutschte der Wastel ein Stück auf der Erde fort, bis er in einen kleinen Graben kam. Den annehmend, schnitt er dem Wilderer den Weg von jener Seite ab, denn hätte der’s erzwingen wollen, braucht’ er ihn ja nur über den Haufen zu schießen. Mir konnt’ er auch nicht mehr wegkommen, und wie ich sah daß der Wastel war wo er sein sollte, pirscht’ ich mich noch vorsichtig auf etwa hundert Schritt von dem Burschen an, legte dann meinen Hut, [139] Bergsack und Stock ab, nahm die Büchse herunter, und sprang, was ich springen konnte, den Berg hinauf.

„Ich hatte noch keine drei Sätze gethan, da fuhr er schon mit dem Kopfe herum – der Art Gesellen haben ein schlecht Gewissen – und mich sehen, aufspringen und die Büchse an den Backen reißen, war das Werk eines Augenblicks. Zu gleicher Zeit schrie ihm aber auch Wastel sein drohendes „Halloh,“ entgegen und wie er den zweiten Mann sah, und nun wohl merkte, daß es ihm an den Kragen ging, setzte er die Büchse erschrocken ab. Ich hätte ihn jetzt bequem umschießen können,“ fuhr Ragg ruhig fort, „aber wir wollten ihn gern lebendig haben und – wenn’s nicht gerade sein muß, ist’s doch immer eine häßliche Geschichte. So also schrie ich dem Burschen zu: seine Büchse fortzuwerfen, oder er wäre ein todter Mann, und sprang zu gleicher Zeit wieder rasch auf ihn ein. Daran dachte er aber nicht und umdrehn und in die nächsten Laatschen hineinfahren, war im Nu geschehn.

„An manchem andern Platze wäre das vielleicht nun gerade recht gut gegangen, denn Jemanden durch die Laatschen zu verfolgen, ist ein verzweifelt mühselig Ding; hier aber mußte er keinesfalls wissen, wohin die führten. Der ganze Laatschenstreifen war keine zwanzig Fuß breit, und unter ihnen weg sank der Abgrund, während der Wastel und ich den einzigen Ausweg, der nach rechts und links abführte, leicht überschießen konnten.

„Jetzt haben wir ihn,“ schrie Wastel auch, als er vorwärtssprang und in die Laatschen mit hineinsetzte, – „pass’ nur da draußen auf, Ragg, daß er nicht über die Lanne springt!“ – Aber er kam nicht weiter – ein furchtbar gellender Schrei tönte plötzlich vom Rand der Klamm herüber und als wir erschreckt und lautlos halten blieben, hörten wir erst unten etwas Hartes gegen die Felsen schlagen, und gleich darauf schallte der Schuß der durch den Sturz losgegangenen Büchse zu uns herauf.

„Gott sei seiner armen Seele gnädig,“ sagte der Wastel und drehte sich schaudernd um. – Wir Beide standen jetzt still und horchten, aber Nichts ließ sich hören.

„Ob man wohl hinuntersehen kann?“ sagte ich endlich.

„Ich mag’s nicht sehen,“ meinte der Wastel, „ich hab’ genug an dem Schuß.“

„Ich arbeitete mich jetzt durch die Laatschen durch, wo ich gleich vorn den Hut des Wilderers fand. Wie ich aber an den Rand kam, hingen die Zweige tief darüber hinunter und zwischen der Wurzel der einen durch, bröckelte das Gestein los, und stürzte mit hohlem Fall in den Abgrund nieder. Ich stand auf den Zweigen schon über der Tiefe. Es wurde mir unheimlich da draußen und ich kroch zum Wastel zurück.

„Wollen wir hinunter klettern und nachsehen?“ sagte ich endlich. Der Wastel erwiderte Nichts, wir warfen unsere Büchsen über den Rücken und stiegen thalab, mußten auch einen großen Umweg machen, unten hineinzukommen, und es mochte immer eine Stunde darüber hingegangen sein, eh’ wir den Platz erreichten. Indessen hatte es stärker an zu schneien gefangen und der Wind heulte so häßlich durch die hohle Klamm – es war ein gar so fatales Gefühl, da unten nach einem zerschmetterten Menschen zu suchen. Wir hatten ihn aber doch nicht umgebracht, er war selber da hinuntergesprungen, und wenn wir ihn auch dazu getrieben, ei, was zum Teufel hatte er auf fremdem Reviere zu suchen.“

„Da liegt die Büchse,“ sagte der Wastel plötzlich, – der Kolben war abgebrochen und das Gewehr durch den Sturz losgegangen – aber wo war der Wilderer? Gerad in die Höh’ konnte man bis oben hinauf unter die überhängenden Laatschen sehen, an ein Anhalten unterwegs war nicht zu denken, die Wand bog sich dort sogar nach innen, und selbst der Bergstock lag etwa zehn Schritt von der Büchse entfernt – aber kein Blutfleck, auf dem der dünne fallende Schnee in keinem Fall liegen geblieben wäre. Oben durch war er auch nicht gekommen, so lange wir oben standen, und wir zerbrachen uns jetzt den Kopf, was aus dem Burschen geworden sein könne. Gewißheit mußten wir aber darüber haben. Wastel nahm deshalb das zerbrochene Gewehr, ich den Stock, und wir ließen uns die Müh’ nicht verdrießen und kletterten noch einmal hinauf. Hol’s der Deixel, der Vogel war ausgeflogen, und zwar seit wir den Fleck verlassen hatten, denn die ganz frische Spur im „Neuen“ ließ auch nicht den mindesten Zweifel darüber. Todesangst mußte er aber in der Zeit daß wir oben suchten, ausgestanden haben, denn wie wir jetzt Alles ablegten und vorsichtig da hinauskrochen, woher die Spur kam, fanden wir, daß er die ganze Zeit über und bis wir fort waren, da draußen über dem Abgrunde an den Zweigen des Laatschenbusches gehangen haben muß. Außen an der Wand waren die Spuren seiner Fußspitzen, als er sich wieder hinaufgearbeitet, und wenn einer von den dünnen Zweigen gebrochen oder ihm nur die Hand ausgerutscht oder „verkrampft“ wäre, lag er unten bei seinem Gewehr, den Hals wie den Kolben gebrochen.“

Ragg hatte die ganze Geschichte in einem, nur ihm allein von allen Jägern eigenthümlichen, schauerlichen Bergdialekt und mit flüsternder Stimme erzählt, wobei man wirklich mit peinlicher Aufmerksamkeit zuhören mußte, zu verstehen was er meinte. Vorsichtig schaute er dabei dann und wann über den Hang hinunter, den Bock nicht aus den Augen zu verlieren. Der stand aber noch baumfest da unten und rührte und regte sich nicht.

„Und habt Ihr nie erfahren wer der Wilderer war?“

Ragg schüttelte den Kopf und meinte, still dabei vor sich hinlachend: „Der ist damals mit ausgerupften Federn davongekommen, wird aber wohl an der Lektion über dem Abgrund da drüben genug gehabt haben. Wir haben ihn hier drüben wenigstens nie wieder gespürt. Uebrigens“ – setzte er leise, mit dem Finger dabei drohend hinzu - „wußte er auch wohl warum, und daß wir ihn jetzt kannten. Wo er sich wieder hätt’ sehn lassen, wär’ ihm eine Kugel gewiß gewesen.“

Ragg prahlte nicht im Mindesten; es herrscht zwischen den Jägern und Wilderern im Gebirge noch ein so romantisches und vollkommen ausgebildetes Faustrecht, wie es sich der Dichter, der die Poesie ganz aus der Wirklichkeit verschwunden wähnt, gar nicht besser wünschen könnte. Wo sich Jäger und Wildschütz im Berg begegnen, ist es zwischen Beiden eine Sache auf Tod und Leben, und wer am schnellsten die Büchse an den Backen reißt und den Anderen über den Haufen schießt, hat gewonnen. Der Jäger ist allerdings stets im Vortheil, denn er hat für alle Fälle das Gesetz auf seiner Seite; draußen auf Gottes freier Alm aber und mit den wilden Bergen um sich her, wo alle „Civil- und Militairbehörden umsonst ersucht werden, dem mit rechtsgültigem Paß Reisenden, nöthigenfalls Schutz angedeihen zu lassen,“ hülfe ihm das oft gar wenig, wenn er nicht, außer dem Gesetz, auch noch die eigene Waffe bei sich führte, mit der er den auf ihn anlegenden Wilderer rasch und für immer unschädlich macht.




Blätter und Blüthen.

Der unerwartete Zeuge. Bei meinem letzten Besuche des Mississippi kam ich an einem schönen Herbstabende nach dem Dorfe Deepwoods, wohin ich von Moody Creek aus aufgebrochen war. Das Wirthshaus war voll Leute und ich hörte, es sei Gerichtssitzung. An dem oberen Ende der Tafel saßen die Richter und ein halb Dutzend Advocaten, die Landschaftsbeamten und zahlreiche Zuhörer. Ich hatte mit einem Kaufmanne, Namens Landor Wallace, in dem Orte etwas zu thun und machte mich nach seinem mir bekannten Geschäftslocale auf. Ich fand es jedoch fest verschlossen und wandte mich deshalb seiner Privatwohnung zu. Ich pochte, eine Schwarze öffnete. Auf meine Frage, ob Mr. Wallace zu Hause sei, sah sie mich zuerst eine Weile an und brach dann in Thränen ans.

„Zu Hause sein, aber Master todt,“ schluchzte sie.

Darauf hörte ich von ihr, daß er Tags zuvor ermordet worden und morgen darüber Gericht gehalten werden solle. Unter solchen Umständen wollte ich die Familie nicht stören und, nachdem ich mir einige Umstände von der Negerin hatte sagen lassen, kehrte ich nach dem Wirthshause zurück, um mich dort näher zu erkundigen. Dort vernahm ich zwar einige Gerüchte, die mir jedoch nicht klar wurden, und mußte mich deshalb bis zum nächsten Tage gedulden, um eine Einsicht in die Sache zu gewinnen.

Obwohl der Mord erst kürzlich geschehen und der Leichnam noch nicht beerdigt war, so sollte doch die Sache gleich verhandelt werden, weil der Gerichtshof zu den Vierteljahrssitzungen versammelt und ein Angeklagter und Zeugen vorhanden waren.

Als ich am nächsten Morgen in den Gerichtssaal trat, kam die Sache gleich vor. Der Angeklagte war ein Mann von nicht mehr als 25 Jahren, Namens Edward Demarton. Er war mehrere Jahre hindurch Commis [140] bei Wallace gewesen und galt für einen geschickten jungen Kaufmann. Ich hatte mit ihm zu thun gehabt und ihn lieb gewonnen. Er war von zartem Wuchse, hübsch und besaß den Stolz seines Landes, der ihm Festigkeit und Würde verlieh, ohne ihn hochmüthig zu machen. Er war eine Waise, von französischer Abkunft und in New-Orleans geboren und erzogen.

Ich konnte ihn deutlich sehen. Er war bleich und schien viel zu leiden, sah aber nicht wie ein schuldiger Mann aus. Ich glaubte auch nicht, daß er einen Mord begangen habe; dazu war er zu brav und ehrenhaft.

Endlich fing das Gericht an. Die Zeugen machten ihre Aussagen, und mir sank das Herz, als ich hörte, wie viele Umstände gegen ihn sprachen. Es war erwiesen, daß er Landor Wallace’s Nichte zu heirathen beabsichtigte, und daß der Onkel sich dem widersetzt hatte. Daraus war ein Streit entstanden, und Demarton hatte den Dienst seines Herrn verlassen. Es war ferner erwiesen, daß er Wallace zum Duell herausgefordert, und der Letztere es nicht angenommen hatte, weil er sagte, er könne sich nicht mit Jemand schlagen, den er als seinen Sohn betrachte. Ferner wurde ausgesagt, daß Demarton darüber wüthend geworden, und fluchend geäußert hätte: „Mr. Wallace solle sich entweder mit ihm schlagen oder die Folgen erleiden, denn er sei entschlossen, sich Genugthuung zu verschaffen.“

Am Morgen der Ermordung ritt der Kaufmann nach Dantonville, eine halbe Stunde nachher nahm der Angeklagte ein Pferd und sagte: „er würde Mr. Wallace bald einholen.“ Dann fügte er hinzu, was drei Zeugen gehört hatten: „Ich kann meine Sache so gut auf der Straße nach Dantonville als anderswo abmachen.“ Das war um sechs Uhr Nachmittags. Um neun Uhr kam ein Mann, Namens Harold, des Weges, stieß auf Landor Wallace’s Leiche, und sah in demselben Augenblick Edward Demarton von der Stelle hinwegreiten. Im Mondschein erkannte er ihn deutlich. Er sprang vom Pferde, fand den Kaufmann besinnungslos, aus mehreren tiefen Wunden blutend, und dabei ein Bowiemesser mit Silbergriff, welches dem Angeklagten gehörte. Das Messer war mit Blut bedeckt, und die Aerzte erklärten, daß die Wunden von demselben herrührten. Auch sah man einen Schlag an dem Kopfe, der allein tödtlich war. Harold war ein wüster Gesell, groß, breitschulterig, gegen 40 Jahre alt, mit düstren, rauhen Zügen und sah ganz wie ein Schurke aus. Die Vertheidiger wiesen auch nach, daß Harold Zwistigkeiten mit dem Angeklagten gehabt, und diesem Rache geschworen habe. Dies kam jedoch wenig in Betracht.

Die Sache schien zu deutlich gegen den Angeklagten zu sprechen. Er hatte den Ermordeten herausgefordert und ihm Rache geschworen, war ihm gefolgt, man hatte ihn sagen hören, er wolle seine Sache mit ihm auf der Landstraße abmachen, sein blutiges Messer lag bei dem Ermordeten und seine Kleider und Hände waren voll Blut gefunden worden.

Endlich ließ man Edward Demarton zum Worte. Er war bleich, aber seine Stimme fest. Er rief zuerst Gott zum Zeugen, daß er die Wahrheit spreche. Dann sagte er, er habe den Nachmittag vor dem Mordtage mehrere Stunden bei Wallace zugebracht und der Streit zwischen ihnen sei beigelegt worden. Der Kaufmann habe ihm erklärt, weshalb er seine Einwilligung versagt habe. Sein Bruder habe ihm die Verpflichtung auferlegt, seine Tochter nicht vor ihrem zwanzigsten Jahre heirathen zu lassen. –

„Wir schlichteten Alles und Mr. Wallace fragte mich, ob ich in seinen Dienst zurückkehren wolle. Ehe ich daraus antworten konnte, trat Jemand ein, der Wallace zu sprechen hatte. Ich sagte ihm darauf, ich müsse nach Dantonville und werde nach meiner Rückkehr bei ihm vorkommen. Er erwiderte, auch er müsse dahin und bat mich, ihn dort aufzusuchen. Darauf hatte ich Geschäfte am See und als ich zurückkam, hörte ich, daß Wallace seit einer halben Stunde fort sei. Ich ließ sogleich mein Pferd satteln und sagte beim Aufsteigen die Worte, welche die Zeugen aussagten. Ich meinte sie scherzhaft, da unser Streit ja freundschaftlich ausgeglichen war. Ich ritt fort und fand nach etwa zehn Meilen Mr. Wallace’s Pferd am Wege stehen, weiter ab lag der Kaufmann in seinem Blute. Ich sprang herab und kniete neben ihm nieder. Ich richtete sein Gesicht auf, rief seinen Namen, er war noch warm, aber das Leben schien entflohen zu sein. Dadurch wurden meine Hände und Kleider voll Blut, aber daran dachte ich nicht. Ich hatte nur fortzusprengen und Hülfe zu holen. Man hat gefragt, warum ich nicht nach Dantonville ritt, das nur eine halbe Meile weit war. Daran dachte ich jedoch nicht, sondern mein Instinct trieb mich nach Hause. Nach vier Meilen schnellen Galopps fiel mein Pferd und gleich darauf wurde ich von Harold und einem anderen Manne wegen Mordes verhaftet. – Was das Messer betrifft – es gehörte mir allerdings, war mir aber an diesem Tage gestohlen worden.“

Nach dieser Rede setzte sich der Jüngling und der Richter schüttelte den Kopf.

„Jeder kann eine solche Geschichte erfinden, um die Geschworenen zu täuschen,“ sagte er, „aber Niemand wird sie glauben, wenn solche Umstände vorhanden sind.“

Kurz, es schien keine Hoffnung für den jungen Mann da zu sein. Obwohl die Zuhörer ihn bemitleideten, schüttelten sie die Köpfe, als er seine Unschuld betheuerte.

Der Richter hatte resumirt und die Zeugenaussage gegen den Gefangenen geschärft und die Geschworenen wollten sich eben zurückziehen, als eine Bewegung an der Thüre entstand und gleich darauf ein junges Mädchen mit flatterndem Haar in den Gerichtshof stürzte und mit flammenden Augen und wogendem Busen hereintrat. Es war Isabelle Wallace. Sie war ein schönes Mädchen, mit edlen regelmäßigen Zügen, herrlichen, vollen Formen, und die Leidenschaft machte sie noch schöner. Einen raschen Blick nach dem Angeklagten werfend, wandte sie sich nach dem Richter und rief:

„Ist er schon verurtheilt, Herr? Ist er für schuldig befunden?“

„Noch nicht, aber es wird bald geschehen,“ erwiderte der Richter, sein Erstaunen beweisend.

„O, er ist unschuldig, er ist unschuldig!“ rief das schöne Mädchen.

„Er ist kein Mörder! He da, Gerichtsdiener, ergreift Harold und laßt ihn nicht entwischen. Rasch, rasch!“

Als das Mädchen eintrat, hatte sich Harold nach der Thür hin bewegt und bei ihren letzten Worten suchte er hinauszuschlüpfen, ein starker Matrose hielt ihn jedoch fest, bis der Sheriff herankam. Er wollte sich nicht gefangen geben, ein Paar Handschellen machten ihn jedoch bald unschädlich und er wurde zurückgebracht.

„Jetzt,“ fuhr das Mädchen zu dem Richter gewandt fort, „habt die Güte, und sendet zu meinem Oheim, seine Aussagen aufzunehmen. Er lebt!“

Bei diesen Worten sprang Eduard Demarton auf, und stieß einen Freudenschrei aus. Sein Gefühl war jedoch zu heftig, er sank ohnmächtig zurück. Nachdem er wieder zu sich gekommen, erklärte Isabelle, was sich ereignet hatte. Sie sagte, zwei Aerzte seien mit ihrem Oheim beschäftigt, er sei aus einer Lethargie erwacht, hätte sein Bewußtsein wieder erlangt, und wolle den befugten Beamten sagen, wer ihn angefallen und ermordet habe.

Der Hof wurde sogleich vertagt und der Richter begab sich selbst mit drei Juristen und dem Vormann der Geschwornen nach des Kaufmanns Hause. Die Aerzte erklärten, er könne nicht lange mehr leben und die Beamten setzten sich sofort um das Bett des todtwunden Mannes. Er bestätigte, was Demarton über die Beilegung ihres Zwistes und die Absicht seines Rittes nach Dantonville gesagt hatte. Er hatte eine Brieftasche mit 5000 Dollars bei sich. Es dunkelte, als er fort ritt, der Mond schien jedoch. Als er den Wald erreichte, holte ihn Harold ein. Er fürchtete diesen, denn er hatte ihn das Geld in die Brieftasche packen sehen, deshalb faßte er nach seinem Pistol, ehe er es jedoch ziehen konnte, gab ihm Harold einen Schlag, nach dem er vom Pferde sank, dann erinnerte er sich, daß der Schurke mehrere Male nach ihm gestochen, und ihm die Brieftasche entrissen habe. Mehr konnte er sich nicht erinnern. Diese Aussage wurde zu Protokoll genommen, und die Aerzte bezeugten, daß der Kranke völlig bei Sinnen sei.

Dann wurde die Gerichtsverhandlung wieder aufgenommen, und Edward Demarton sogleich von den Geschwornen freigesprochen. Die Zuschauer brachen darüber in lauten Jubel aus, dem der Richter nicht Einhalt zu thun vermochte.

Gleich darauf wurde Harold angeklagt und verurtheilt. Als er sah, daß er verloren sei, gestand er die That und den Raub. Er wußte, daß Demarton nach Dantonville reiten würde, und stahl das Messer des jungen Mannes, um den Verdacht auf diesen zu lenken.

Mr. Wallace lebte bis zum nächsten Nachmittag. Vor seinem Tode legte er die Hand seiner schönen Nichte in die Eduard Demarton’s und bat sie, in seinem Hause fortzuleben. Er hatte keine Kinder, und Isabella erbte sein Vermögen, er bestimmte jedoch, daß Edward es verwalten und das Geschäft fortführen solle. Der Verlust ihres geliebten Oheims versetzte Isabellen zwar in tiefe Trauer, diese verhinderte jedoch nicht, sich freudig an dem Gedanken zu weiden, daß der Geliebte ihr so wunderbar erhalten worden, und Beide lebten nach ihrer Verheirathung außerordentlich glücklich.


Neue Studienwerke für den Clavierunterricht. Es kann zwar kaum in Abrede gestellt werden, daß die productive Kraft der Gegenwart auf dem Gebiete der musikalischen Composition eine untergeordnete ist, aber kein Sachverständiger wird leugnen können, daß speciell für das Bedürfniß des angehenden Clavierspielers jetzt Besseres geschrieben wird, als früher. Wir wollen die Verdienste eines Czerny und Diabelli auf diesem Gebiete keineswegs schmälern, müssen aber doch behaupten, daß ihr Streben fast einzig und allein auf Fingerbildung gerichtet war und daß sie es fast gänzlich verschmähten, das jugendliche Gemüth auch poetisch anzuregen und den Sinn für die classischen Formen heranzubilden. Bei der mit der Zeit gänzlich veränderten Claviertechnik bedürfen wir aber auch solcher Unterrichtswerke, welche auf die Claviercompositionen eines Weber, Mendelsohn, Schubert, Schumann, Chopin vorbereiten, und wenn wir zugleich mit besonderem Hinblick hierauf die Unterrichtswerke eines Stephan Heller, R. Schumann etc. anführen, so wird man unsere obige Behauptung gewiß gerechtfertigt finden. Zu denen, welche wahrhaft Verdienstliches für das Clavier und die angehenden Spieler dieses Instrumentes geleistet haben, gehören in neuerer Zeit namentlich Louis Köhler und Carl Reinecke. Auf zwei neue und gelegene Werke von Köhler wollen wir hier zunächst aufmerksam machen, von denen das eine unter dem Titel: „Die ersten Etuden für jeden Clavierspieler als technische Grundlage der Virtuosität“, Op. 50., vor Kurzem erschienen ist. Wir kennen nichts so Concentrisches, beide Hände im Leiter- und Accordspiel gleichmäßig Bildendes, als die Etuden; sie greifen tiefer in die Fingerschwächen, als z. B. das erste Heft der Czerny’schen Schule der Geläufigkeit, und der Schüler kann nach Köhler’s „ersten Etuden“ unmittelbar zu den Cramer’schen Etuden übergehen. Ein zweites Werk des genannten Componisten sind seine „Heiteren Vortragsstudien für den Clavierunterricht,“ Op 47. Sie sind eben so ansprechend als poetisch, bei Leichtigkeit doch frisch wirkend, auch für mittlere Spieler bequem spielbar und für den Unterricht höchst praktisch. – Von Carl Reinecke erschienen vierhändige Clavierstücke (Op. 54, zwei Hefte), deren didaktischer Zweck uns zu ihrer besonderen Empfehlung an Clavierlehrer veranlaßt. Sie sind „im Umfang von fünf Tönen bei stillstehender Hand“ geschrieben. Seit Diabelli’s und Enckhausen’s vierhändigen Stücken ist der musikalischen Kinderwelt nichts so Zweckmäßiges und Gelungenes in diesem Genre gewidmet, aber noch mehr als jene Genannten hat Reinecke es verstanden, in dem geringen Tonumfange anziehende und frische Melodien zu erfinden, denen man die enggezogenen Grenzen kaum anmerkt, und deren Wohlklang und Reiz die Kinder gern zum Lernen fesseln wird. Die genannten drei Etuden-Werke sind im Verlag von Bartholf Senff in Leipzig erschienen und haben noch den Vorzug schönsten Notenstichs und sauberer Ausstattung.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.


  1. „A Narrative of some of the Lord’s Dealings with George Muller.“ („Eine Erzählung von einigen Verhandlungen des Herrn mit Georg Müller.“) London: Nisbet and Co. – ein echter Tractätlein-Titel, hinter welchem aber nur schöne, edele Thaten des Erbarmens und praktischer Humanität aufblühen.
  2. Er wirthschaftete stets ökonomisch und ehrlich. Die Kinder arbeiteten und trugen bald bedeutend zur Selbsterhaltung des Instituts bei, wie wir aus unzähligen Tagebuchs-Notizen ersehen. Das erklärt auch vieles anscheinend Wunderbare.
  3. Alles dies hat in England, wie gesagt, nichts Wunderbares. Schenkungen, Beiträge und Vermächtnisse an wohlthätige Institute bis zu Tausenden von Pfunden kommen häufig vor. So oft Müller’s bald weit und breit bekanntes Unternehmen in Noth war, fanden sich denn auch immer bald größere, bald kleinere Beiträge. Er bat nie darum, aber durch seine Mitarbeiter wurden, wenn die Noth am größten, immer Mittheilungen gemacht, durch welche Herzen und Geld gerührt wurden.
  4. Aus Gerstäcker’s bei Ernst Keil erschienenen Werke: „Eine Gemsjagd in Tyrol.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Körkraft