Die Gartenlaube (1861)/Heft 47
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No. 47. | 1861. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen.
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Das Bombardement von Schärding.
„Unsere eigene Audienz bei Kaiser Franz war sehr kurz; denn er war sehr pressirt und unten wurde schon der Wagen angespannt, um weiter zu reisen. Er ermunterte uns, wir sollten „halt getrost sein, es werde Alles recht werden.“ Damit entließ er uns, und das war auch der Bescheid, den er im Wegfahren mit beiden Händen winkend dem Volke zurief, das sich um den Wagen drängte und in leicht erklärlicher Besorgniß bat, uns nicht zu verlassen.
Wenige Tage darauf ging die Hauptarmee unter dem Erzherzog Karl als Generalissimus über den Inn und rückte auf allen Punkten in Baiern ein. Auch durch Schärding ging es Tag und Nacht über das Brückenthor hinaus, und wer die endlosen Züge von Infanterie, Cavallerie, von Geschützen und Wagen aller Art sah, der konnte wohl hoffen, daß eine so ungeheuere Rüstung nicht erfolglos bleiben werde. Ueberdies war an allen Ecken die Proclamation des Erzherzogs Karl angeschlagen und ermuthigte alle Herzen durch den muthigen, kriegerischen Geist, der daraus hervor wehte. Sie war „an die deutsche Nation“ gerichtet, und wer da las: „Unsere Sache ist die Sache Deutschlands! Seid unsrer Achtung werth! Nur der Deutsche, der sich selbst vergißt, ist unser Feind“ … der mußte hoffen, daß dieser Aufruf zur Einigkeit von den deutschen Völkern nicht werde überhört werden. Wer hätte damals für möglich gehalten, daß derselbe Kriegsheld, der so feurige Worte sprach, in nicht ganz einem Jahre dem feindlichen Kaiser die eigene Schwester als Braut zuführen würde! Wer hätte geglaubt, daß die Deutschen noch einmal sich selber zerfleischen würden! Und doch kam Alles so – gerade wie auf dem Theater, wo die Sache auch meist einen ganz andern Ausgang nimmt, als es Anfangs den Anschein hat – der Unterschied zwischen der Welt- und der Breter-Komödie ist blos der, daß in jener Blut und Thränen wirklich und wahrhaft vergossen werden, während man sie hier glücklicher Weise mit der Schminke wieder abwischen und trocknen kann. –
Es stand nur wenige Tage an, so kamen schon die Hiobsposten und so schnell nacheinander, daß man kaum Zeit hatte, dazwischen gehörig Athem zu schöpfen. Napoleon, den man in Spanien festgehalten geglaubt hatte, war in vier Tagen herbeigeflogen, und hatte er auch nur wenige Franzosen um sich – die Deutschen in unbegreiflicher schmachvoller Verblendung ließen sich von ihm gegen die eigenen Brüder führen. „Ich bin nicht als Kaiser der Franzosen zu Euch gekommen,“ sagte er zu den Baiern, Würtembergern und andern Rheinbündlern vor Regensburg. „Ich bin nur als Beschützer Eures Landes und des rheinischen Bundes in Eurer Mitte. Kein Franzose ist unter Euch! Ihr allein sollt die Oesterreicher schlagen!“ Kronprinz Ludwig von Baiern mußte die Rede verdollmetschen – und sie schlugen gegen einander. Deutsche gegen Deutsche, dem Franzosenkaiser zu Gefallen. Die Schlachten von Thann, Abensberg, Eckmühl entschieden den Rückzug der österreichischen Armee – der Weg nach Wien lag offen, und bald hielt Napoleon dort seinen Einzug.
Wir überzeugten uns bald durch den Augenschein von der Wahrheit dieser Nachrichten. Kein Tag verging, an dem nicht versprengte Schaaren in aller Hast über die Innbrücke hereindrängten, gehetzt und zerfetzt, zum Theil ohne Waffen, zum Theil mit Trümmern, Alles bunt wie in einem Sieb durcheinander gewürfelt. Dazwischen kamen Wagen mit leichter Verwundeten, und jeder Trupp brachte die Nachricht, daß die Franzosen in Eilmärschen heranrückten und ihnen auf der Ferse seien. Obwohl Niemand wußte, wie es uns in der nächsten Stunde selbst ergehen würde, war doch Alles wetteifernd bereit, die armen, erschöpften Leute zu stärken und ihnen dies und das für ihren weitern Marsch zuzustecken. Ich habe es da wie oft bei anderer Gelegenheit erfahren, wie sehr der Mensch geneigt ist, seines Gleichen im Unglück zu bedauern und zu unterstützen; aber im Grunde steckt doch der Schelm dahinter. Der Mensch ist dabei immer eigensüchtig; fremdes Leid rührt ihn nur, so lang es wirklich ein fremdes ist; sobald es ihn mit trifft, ist das Mitleid verraucht, und der Gedanke und die Sorge für das liebe Ich bleibt als schmutziger Bodensatz allein zurück. Aber auch das ist nicht immer wahr; manchmal giebt es doch ein Herz, dessen Fibern blos dazu vorhanden sind, um wie die Saiten einer Aeolsharfe nur von äußerem Anhauch zu beben und zu tönen, für sich selber aber starr und stumm zu sein.
Ein solches Herz hatte ein Trainsoldat, den ich unter den Flüchtigen bemerkte. Es war ein unbedeutender Bursche, der mir unter der Schaar kaum aufgefallen wäre, wenn er nicht einen Andern unterm Arme geführt hätte, einen großen, schwarzgelben Burschen von einem slavonischen Regiment. Der Führer war unverletzt und flink auf den Beinen, aber der Geführte hatte einen Prellschuß an’s Knie bekommen, der ihn anfangs nicht viel belästigt haben mochte, unterwegs aber sich zu einem sehr schmerzhaften Uebel ausgebildet hatte, das dem armen Menschen den Gebrauch des Fußes und damit das Gehen ohne Beihülfe unmöglich machte. Er hatte aus irgend einem Grunde auf keinem der Wagen Platz bekommen und hätte also allein und um so hülfloser liegen bleiben müssen, als er nur sein slavonisch Kauderwelsch zu reden wußte. Der Trainsoldat, der an ihm vorüber kam, konnte es aber nicht über’s Herz bringen, ihn so am Wege liegen zu lassen; [738] er blieb zurück und wurde der Führer und Krückenstock des Halblahmen. Im Städtchen mußte er mit ihm liegen bleiben, um dem Erschöpften Ruhe zu gönnen, aber als die Franzosen einrückten, galt es, sich wieder auf die drei gesunden Beine zu machen, die Beide mit einander hatten. Dem Trainsoldaten wäre es da ein leichtes gewesen, seinen größern Antheil aus der ungleichen Verbindung zurückzuziehen und sich das Leben zu retten; aber er wich nicht von seinem jammernden Gefährten, mit dem er einmal Halbpart gemacht hatte. So hinkten sie denn zusammen aus dem Thore und kamen zusammen nicht weit. Als ich nach einigen Tagen des selben Weges kam, lagen Beide todt mit zerhauenen Köpfen im Straßengraben, und der treue Trainsoldat hielt den Arm des Slavoniers so fest, als wenn sie Beide nur schliefen und er nach dem Aufwachen sein Führeramt gleich wieder antreten müßte.
Endlich hörten die Durchzüge auf, eine Handvoll Grenzer unter General Dedovich faßten in der Stadt mit ein paar Feldschlangen Posto, die nicht viel besser waren als große Schlüsselbüchsen. Die Innbrücke war kaum abgeworfen, als es am andern Ufer schon lebendig ward und bald darauf, wie unabsehbar, von Uniformen und Waffen durcheinander wimmelte und blitzte. Es war Massena mit seinem ganzen Corps und einer solchen Uebermacht, daß jeder Widerstand hinter den wurmstichigen Mauern und Thürmen eine Thorheit gewesen wäre. Da Dedovich dennoch mit solchen Gedanken umzugehen schien, eilte die geängstigte Bürgerschaft zu ihm und suchte ihn davon abzubringen. Der wollte aber nichts davon hören, und so gingen die Parlamentäre zwischen den beiden Ufern hin und her bis zum Nachmittag. Die Franzosen drüben waren indessen nicht müßig, sondern marschirten und zogen hin und her, als hätten sie irgend was Großes im Sinn. Nachmittags gegen vier Uhr war ich eben auf das flache Dach des Landgerichtsgebäudes gestiegen, weil man von dort aus das ganze jenseitige Innufer übersehen konnte. Die Franzosen waren nun ruhig und standen, soweit die Stadt reichte, gegenüber in einer langen, langen Reihe, wie unbeweglich. Das Einzige, was sich rührte, waren einige Feldjäger und Adjutanten, die hin und her liefen und ritten. Ein Parlamentär, der das weiße Fähnlein in der Hand hielt, sprengte gegen die Innbrücke vor. Es galt offenbar, die Stadt noch ein letztes Mal zur Uebergabe aufzufordern. Mir ward ordentlich schwer um’s Herz, denn zum ersten Male dachte ich so recht heiß daran, was uns Allen und den Meinigen mit bevorstünde, wenn es zu Feindseligkeiten kommen würde. Bis dahin war kein Zweifel in mir aufgestiegen, daß es mit einer friedlichen Uebergabe und mit den deshalb geminderten Drangsalen eines feindlichen Durchzuges abgehen werde.
Unwillkürlich wandte ich mich wie zu meiner eigenen Beruhigung ab und sah über die Dächer in der Richtung hin, wo das Haus lag, das wir bewohnten. Im angenehmen Gegensatze zu der feindlichen Unruhe da drüben stieg der wohlbekannte Giebel ruhig und friedlich in den kühlen, aber heitern Aprilhimmel empor, und über demselben hing wie ein leichtes Kränzchen eine gekräuselte Rauchwolke. Sie verkündete mir, daß das die Stunde sei, in der meine gute, liebe Katharina die Kinder alle mit etwas Obst und einem Stückchen Brod, sich selbst aber mit einem Schälchen Kaffee regalirte. Verlockt von den schwebenden Rauchringen ließ ich meine Phantasie durch den dunkeln Schornstein bis in die trauliche Wohnstube hinuntergleiten. Da saßen sie Alle in dem behaglichen, wohleingerichteten Raume, vergnügt, gesund und sorgenlos, und ich wollte mich eben im Geiste mitten unter ihnen niederlassen – da weckte mich ein Schuß aus meiner Verzückung und setzte mich aus dem weichen Wolkenwagen ziemlich unsanft auf den derben Boden der Wirklichkeit nieder. Ich wendete mich nach dem feindlichen Ufer – und sah den französischen Dragoner, der als Parlamentär vorgeritten war, sich noch einen Augenblick schwankend im Sattel halten und im nächsten mit schwerem Fall von dem bäumenden Schimmel herabstürzen. Ich schrie laut auf und streckte die Arme aus, als wenn ich im Stande gewesen wäre, den Gefallenen wieder aufzuheben, der regungslos liegen blieb, während der Gaul an der Fronte hinabjagte. Man hat nie erfahren können, welche boshafte oder unüberlegte Hand den unglückseligen Schuß losgebrannt hatte; es hätte auch nichts genutzt, denn er war gefallen, und wer es gethan, der hat wohl auch ungekannt die ärgste Strafe in sich selbst herumgetragen. Die Wirkung davon war so rasch, als auf einen Ruf der Wiederhall von den Bergen zurückkommt – in einem Nu schwenkte die ganze Reihe in Abtheilungen nach innen und ließ eine ebenso lange Linie von Geschützen aller Art sichtbar werden, die also schon für alle Fälle dahinter aufgestellt gewesen war. Ich sah, wie die Kanoniere die Lunten bewegten, und mein unfreiwilliger Angstruf verhallte in dem krachenden Gebrüll, das mit einem Male losbrach, als wenn die Erde einen Sprung bekommen hätte. Zugleich hörte ich auf allen Seiten um mich herum, wie von den einschlagenden Kugeln die Balken krachten und das Mauerwerk splitterte. Aus der Tiefe der Straßen scholl der Schreckensruf der so entsetzlich enttäuschten Einwohnerschaft herauf, ein Schrei, so wild und kreischend, daß ich den Ton nicht vergessen würde und wenn ich noch einmal siebzig Jahre alt würde. Instinctmäßig hatte ich mich der Stadt zugewendet und sah den Gipfel unseres Wohnhauses halb eingestürzt. War ich bis dahin verblüfft gewesen, so gab mich dieser Anblick mir selbst wieder und damit auch die alte Freudigkeit des Gemüthes. „Die Deinigen bedürfen Deiner,“ rief’s in mir; „Du bist der Mittelpunkt ihres Daseins! Was soll aus ihnen werden, wenn auch Dir der Kopf dreht und Du das Herz nicht auf der rechten Stelle behältst?“ Wie eine gedrückte Uhrfeder richtete sich mein ganzes Inneres schnellkräftig auf, und diese Schnellkraft theilte sich auch meinen Beinen mit, denn ich weiß heute noch nicht, wie ich die thurmhohen Stiegen des Landgerichtsgebäudes herunterkam. Hier standen alle Thüren sperrangelweit auf und zeigten nichts als leere Zimmer, aus denen Alles in wilder Eile geflohen war. Auch ich hielt mich nicht länger auf, als nöthig war, um das große, eichene Hofthor des Eingangs hinter mir in’s Schloß zu werfen. Mit einem Satze stand ich dann unter der gegenüber liegenden offnen Säulenhalle des Rathhauses, von wo ich die Straße und meine Wohnung übersehen konnte. Es war eine erbauliche Lage. Während das Ohr von dem Gebrüll der fast ununterbrochenen Schüsse nicht zur Ruhe kam, hatte die Gasse das Ansehen, wie bei starkem Platzregen, wenn die Tropfen so heftig auffallen, daß sie wieder in die Höhe springen. So rutschten, hüpften und pfiffen die Kugeln auf dem Pflaster umher; groß und klein, ganz und halb ausgewachsen. Die Franzosen trieben wahren Luxus mit den eisernen Bällen, die sie uns im muthwilligen Spiele auf die Köpfe warfen. Die Wirkung zeigte sich überall. Dort klirrten Fenster, hier polterte eine zusammenstürzende Wand, auf der einen Seite krachten und brachen die stärksten Dachbalken wie Besenstiele, und auf der andern schlug das grelle Kreischen empor, mit welchem eine zitternde Familie die eisernen Gäste begrüßte. Staub wirbelte empor, und an manchen Stellen zeigten schwarze qualmende Rauchwolken das Herannahen eines noch schlimmeren Feindes – des Feuers. Ueber all dem Getöse und durch das Kanoniren hindurch wimmerten und klangen auf den angeschossenen Kirchthürmen die Glocken, als wären sie die Stimmen und das Schmerzensgeschrei derselben.
Gegenüber unter der Thür meines Wohnhauses sah ich die Meinigen alle miteinander stehen; zwar verwirrt und betroffen, aber wohlbehalten. Ich sah Katharina, Constanze, sah meinen Hans, der eben vor ein paar Tagen von Kremsmünster in die Osterferien gekommen war, sah die Kleinern alle und rief ihnen zu getrost zu sein. „Mir ist nichts geschehen,“ rief ich, denn ich sah wohl, daß sie deshalb unter der Thüre standen, um nach mir auszusehen. Sie hatten mich bald ebenfalls erblickt und da sie sahen, daß ich Anstalt machte, über die kugelbesäete Gasse zu ihnen zu kommen, da riefen und winkten sie mir ab, denn es war in der That wahrscheinlicher, daß ich zehn Mal getroffen würde, ehe ich einmal hinüberkam. Ich ließ mich aber nicht irre machen, denn in der Rathhaushalle und unter der Hausthüre konnten wir beiderseits doch nicht immer stehen bleiben. Ich paßte also ab, wie gerade wieder eine recht tüchtige Bescheerung auf die Steine niedergeprasselt war. Nun, dacht’ ich, müssen die Kanoniere doch Athem schöpfen und wieder laden, und mehr als einige Secunden bedarf ich nicht, um hinüber zu kommen. Ich begann also meinen Marsch, ungefähr in der Weise, wie ich einmal gelesen habe, daß der Eiertanz getanzt wird, nur mit dem Unterschied, daß ich nicht zwischen Eiern, sondern zwischen Kugeln ging und daß sie nicht blos ruhig am Boden lagen, sondern in allerlei anmuthigen Bewegungen darauf herumsprangen und mir die Tanzmelodie vorpfiffen.
Dennoch kam ich unversehrt hinüber und landete in den Armen der Liebe, wie ein zweiter Leander, freilich ohne die Anwartschaft, so oft besungen zu werden, wie jener. Es war ein Wiedersehen eigener Art; mein Weib fiel mir weinend an’s Herz, und [739] die Kinder hingen sich an Arme und Kleider, wie sie eben ankommen konnten. Wir hatten Alle nasse Augen und vermochten nichts zu reden, doch waren wir von Herzen froh, denn das muß wahr sein, so vielerlei Lebenstöne im Menschenherzen zum Freudenaccorde zusammentönen, das Wiedersehen von Wesen, die man so recht geliebt hat, ist und bleibt doch die jubilirende Discantsaite, die über Alles hinaus vibrirt. An meiner Harfe ist sie abgerissen, denn fast Alle meine Lieben sind stumm geworden vor mir – aber ich werde sie wieder hören, wenn ihr Herz und meines ungeformt und neu bezogen sein wird … Welch’ Entzücken wird das sein, zu dem sich irdisches Wiedersehen verhält, wie das Stimmen der Instrumente in einem Orchester zur Musik!
Die einschlagenden Kugeln um uns herum fuhren gar bald mißtönend in die Freudenharmonie des Augenblicks und zwangen uns, an Flucht und Rettung zu denken. Eine der ersten Kugeln war in den Lichtfall des Hauses gefahren und hatte einen Schutthaufen vor unserer Wohnungsthüre aufgethürmt, der die Passage absperrte. Wir waren gezwungen, hintenaus durch ein Fenster, wie durch das Thürchen eines Vogelkäfigs, auf eine Dachkammer zu retiriren, um von da aus zur Stiege zu gelangen. Auf diesem Umwege trugen und schleppten wir nun alles Werthvolle, was sich von der Stelle rücken ließ, mühsam in den Keller unter dem Hause. Hier dachte ich Alles am besten gesichert, denn ich hoffte, das Gewölbe würde den Kugeln und dem Feuer widerstehen, und war also zunächst nur darauf bedacht, die Meinigen aus der immerwährenden Lebensgefahr zu bringen. – So war der Abend herangekommen, aber die gewohnte Dunkelheit blieb aus – es war so hell wie am Tage, denn der Feuerschein, der Tags über nicht bemerkt worden war, stieg von allen Seiten in die Höhe. Wohin man blickte, qualmten die Giebel, auf denen das Feuer wie rasend fort lief und sprang. Darüber ragten die Thürme der Pfarrkirche und der Sebastianskirche brennend wie riesenhafte Kerzen empor. Zum Glück ließ mit dem Ueberhandnehmen des Brandes das Schießen nach, denn nun konnte man doch an die Möglichkeit denken, mit einem Familienzuge unversehrt in’s Freie zu gelangen. Dafür drohte aber gleich wieder ein anderes Uebel, denn man hörte bereits das Schreien und Johlen der Franzosen, die, noch ehe die Beschießung ganz aufgehört hatte, eiligst eindrangen, um noch möglichst viel in den brennenden Häusern plündern zu können. Uebrigens wäre längeres Verweilen auch deshalb unmöglich gewesen, weil das Haus über uns bereits ebenfalls in Flammen stand und jeden Augenblick der Einsturz des Dachstuhles zu besorgen war.
So traten wir denn, in der Eile nur mit dem Nothdürftigsten bekleidet, unsere betrübte Wanderung an, indem ich meinen jüngsten Knaben auf dem Arme trug und ein anderes Kind an der Hand führte. Constanze führte meine schweigende Katharina und zugleich eine ihrer Schwestern; mein Sohn Hans schritt uns als Avantgarde und Beobachtungscorps voraus. Keiner sprach ein Wort, nur die kleinern Kinder ließen das leise Schluchzen hören, von dem ihre junge Brust erzitterte. Gegenüber an der Rathhaushalle angekommen, wollten wir eben in ein Seitengäßchen einbiegen, das zum Allerheiligenthor und von da auf der Landseite in’s Freie führt. Da dröhnte hinter uns ein donnerähnliches Krachen – unwillkürlich standen wir Alle still und sahen zurück. In der Richtung gegen unser Wohnhaus hin wälzte sich eine ungeheuere weiße Rauchwolke empor, und als sie sich langsam verzog, war die stille Stätte meines häuslichen Glücks nicht mehr zu sehen. Nur die Umfassungsmauern und einige Trümmer der Zwischenwände ragten noch empor; das schwere, brennende Dach war eingestürzt und hatte durchgeschlagen – in dem Schutte lag die Frucht achtzehnjährigen Fleißes, die Hoffnung unseres Alters, die Bürgschaft für die Zukunft der Meinigen begraben. Damit uns auch kein Fünkchen Hoffnung übrig bleibe, stieg es aus den Kelleröffnungen ebenfalls weißqualmend heraus, ein Beweis, daß das Gewölbe, dem ich so sicher vertraut hatte, dem Einsturze nicht widerstanden hatte. Ich habe auch seither auf die Dauer keines Gewölbes mehr gebaut, als des luftigen, blauen und sonnenhellen über uns! Das allein habe ich als feststehend erprobt, und wenn auch die Naturforscher sagen, der Himmel sei kein Gewölbe, sondern nur eine optische Täuschung lasse ihn als solchen erscheinen, so weiß ich das besser.
Die Wirkung dieses Anblicks auf die Meinigen war erschütternd. Die Kleinen brachen laut und ungestüm in das schon so lang zurückgehaltene Weinen aus; ihnen war jetzt erst unser Leid in seinem ganzen Umfange klar geworden. Constanze hielt sich, um nicht umzusinken, an Hans, der mit den Zähnen knirschte und die Hände ballte, im Ingrimm des Jünglings, der nur das Unrecht fühlte, das uns widerfuhr. Meine Katharina fiel mir mit einem kurzen Schrei an’s Herz. „Mann!“ rief sie, „Ferdinand! Wir sind Bettler – was soll aus unsern Kindern werden!“ – Ich fühlte, wie sich mir das Herz in der Brust zusammenkrampfte. Hätte ich nachgegeben, so hätte mich die Empfindung überwältigt und mir die Fassung geraubt – es gelang mir aber, meine Bewegung mit einer Thräne im Auge zu erdrücken. Mein Auge ruhte auf der Schaar der Meinigen, die mich umdrängte, und sie Alle, so gut es ging, an mich ziehend, rief ich aus: „Du edles, menschenfreundliches Dichterherz! Ich danke Dir für Deinen Gesang, dessen tiefe Wahrheit Du nie an Dir selber erfahren mögest … Ich danke Dir, Dein Lied ist die Bannformel meines Elends geworden –
Was Feuerswuth mir auch geraubt,
Ein süßer Trost ist mir geblieben;
Die Häupter zähl’ ich meiner Lieben –
Und sieh, mir fehlt kein theures Haupt!
Hatten mich die Meinigen zu Anfang meiner Exclamation etwas verwundert angeblickt, so empfanden doch bald auch sie die tröstende Gewalt dieser Worte; enger umschlungen standen wir einen Augenblick, gehoben und beruhigt im Bewußtsein des Sichangehörens. Nur Katharina seufzte in hausfräulicher Sorge, wenn auch leiser, noch einmal: „Wir sind alle beisammen, und alle miteinander Bettler! Wir besitzen nichts mehr!“ „Nichts?“ entgegnen ich ihr, und fühlte wie es mir immer heiterer um Herz und Stirne wurde. „Wirklich nichts? Nun, dann besitzen wir genau so viel, als wir vor achtzehn Jahren hatten – Liebe, Muth und Kraft wie damals, um noch einmal zu beginnen! Ja, wir haben noch gewonnen, denn unsere Erinnerungen, unsere Erfahrungen sind nicht mit verbrannt. Und haben wir nicht sechs Helfer und Genossen, die uns beistehen und ermuntern, wenn ja der Kopf ermüden und das Herz lahm werden sollte? – Selbst ein schöner Nothpfennig ist uns geblieben und zeigt, wie gut es ist, wenn man sich, wie die Hühner, zwei Plätzchen aussucht, die Eier zu verlegen … hast Du das ersparte Sümmchen in meiner Amts-Session vergessen? Das wird uns für die erste Zeit überm Wasser halten. Darum komm, ich will das Etui holen und dann eilig fort!“
Mit beflügelten Schritten machten wir uns auf, mitten durch brennende Häuserreihen bis an das Landgericht. Die Hitze war so arg, daß wir Tücher und Mäntel und was wir sonst besaßen, um den Kopf nehmen mußten, um nicht von der heißen Luft erstickt und an den Haaren versengt zu werden. Als wir an dem Gebäude ankamen, stand desselbe ebenfalls bereits in Flammen, doch war das Erdgeschoß an seinen starken Wänden noch unversehrt, bis auf das Eingangsthor, das Schutt und brennende Balken verrammelten. Ich mußte also trachten, durch das Fenster hineinzukommen, und stand eben davor und überlegte, wie ich es anfangen sollte, als mir aus dem Fenster ein blaues Bein, dann noch ein zweites, und dann die ganze Gestalt eines österreichischen Grenzers entgegen kam. Mit einem Satze sprang er herab – das verhängnißvolle Etui von rothem Maroquin unterm Arm. Der Bursche hatte sich offenbar von seinem längst abgezogenen Corps entfernt, und war zurückgeblieben, um Beute zu machen. Jetzt, auf dem Boden angelangt, sprang er in weiten Sätzen wie eine wilde Katze davon und wäre uns im Augenblick entkommen, hätte ich ihn nicht in derselben Weise verfolgt. Ich erinnere mich in meinem Leben nicht wieder so flink auf den Beinen gewesen zu sein, aber bei dein unverhofften Anblick war mir das Blut siedend aufgestiegen und der Zorn hatte mir Kraft gegeben. Ich erreichte den Räuber meines letzten Besitzthums, faßte ihn am Kragen und machte ihm, da ich bald merkte, daß der Kerl nicht deutsch verstehe, durch Gebehrden bemerklich, daß das Etui mein Eigenthum sei und er es mir zurückgeben solle. Der Soldat begriff mich auch sogleich und war zu Anfang erschrocken über den unvermutheten Anfall. Wie er aber sah, daß ich allein und waffenlos vor ihm stand, fletschte er mir unter dem langen Schnurrbart die weißen Zähne entgegen, grinste mir ein kauderwelsches „nix Dein“ zu und versetzte mir zugleich mit dem Griff seines Säbels einen Schlag auf den Kopf, daß ich zurücktaumelte und ihn loslassen mußte. Er entfloh, aber das rächende Schicksal war schon hinter ihm und ließ ihn nicht weit kommen. Diesmal hatte das Schicksal die Gestalt eines [740] baumlangen bärtigen französischen Pioniers, der unter den Ersten der Eingedrungenen nun ebenfalls sein gutes Glück versuchte. Der Mann mußte gesehen haben, was vorging, denn als ich mich, von den herbeigeeilten Meinigen umringt, wieder aufrichtete, sahen wir ihn dem Grenzer nacheilen, zugleich aber uns mit Gebehrden zurufen, die sich nicht anders deuten ließen, als er wolle dem Räuber mein Eigenthum abjagen. Wir hatten uns auch nicht getäuscht. Als der Pionier sah, daß der Blaue einen zu großen Vorsprung hatte, zog er eine Pistole aus dem Gürtel seines Schurzfells, schoß, und mit dem Knall sahen wir den armen Teufel mit dem Maroquin Etui einen Luftsprung machen und dann schwer aufs Pflaster niederschlagen. Wie der Pionier ihn erreichte, nahm er ihm richtig das Etui ab, öffnete es und schob es dann gemüthlich in die Brusttasche seines Schurzfellen, indem er uns freundlich lachend zuwinkte wie Einer, der sich für ein unerwartetes reichliches Geschenk bedankt. Mein Sohn Hans entbrannte vor Ingrimm und wollte dem neuen Frevler nach. Ich ließ es nicht angehen. „Willst Du seine Axt am Kopfe haben?“ rief ich. „Laß ihn laufen – wenn ihm das Geld nicht mehr Segen bringt, als dem armen Slovaken dort, ist er übel genug daran! Es ist kein Grund zum Zorn da – lachen wir lieber über uns selbst, daß wir mit offnem Munde dagestanden sind und eine Weile geglaubt haben, der Pionier verfolge den Räuber unsertwegen und werde so gefällig sein, das Geld uns zurückzubringen … Kommt aus der Stadt, in der wir nichts mehr zu suchen haben. Wir wollen unser Leben und die Kraft für die Zukunft bewahren, die uns noch vorbehalten ist, und wollen froh sein, daß uns das Leben geblieben ist!“
„Das nackte Leben!“ seufzte meine Katharina, indem wir an einandergehängt durch die qualmende Straße schritten, „das Leben und was wir auf dem Leibe tragen! Sonst ist Alles verloren! Und dabei willst Du, leichtsinniger Mensch, daß man froh sein soll!“
„Wir haben Ursache dazu,“ erwiderte ich, „wir haben doch noch etwas, das ist immer ein Trost! Denk wie schlimm es wäre, wenn wir in der Kälte ohne warme Kleider herumlaufen müßten … oder wenn wir Eins von den Unsern so da liegen sähen!“
Wir schritten im Augenblick an dem todten Grenzer vorüber, und die verdrehten weißen Augen starrten uns unheimlich aus dem verzerrten Gesicht an. Er ist mir seitdem oft eingefallen im Leben, wenn ich sah, daß der Eine mit Fleiß und Sorge erwarb, der Andre das Erworbene mit List an sich brachte und ein Dritter Beide mit Gewalt bei Seite schob.
Endlich gelangten wir durch das Allerheiligenthor in’s Freie. Es war vollständig Nacht geworden, aber die brennende Stadt leuchtete weit in das Dunkel hinein. Vom Inn her blies es uns kalt auf den Leib, und Schnee begann in feuchten Flocken zu fallen, welche vergingen, wie sie auf den Boden gelangten. Müde und niedergebeugt erreichten wir nach kurzer, aber mühevoller Wanderung den Bauer in der Waitzenau, ein großes, auf der Höhe des Innufers einsam und ziemlich versteckt gelegenes Hofgut. Ich kannte den Bauer und war oft im Sommer mit den Meinigen dahin spaziert, damit wir uns an der trefflichen Milch erlaben und die minder auf den Wiesen und im anstoßenden Walde sich ausspringen konnten. Dort hoffte ich freundliche Aufnahme und Sicherheit zu finden und fand mich nicht getäuscht, obwohl wir nicht die Ersten waren, sondern das Haus schon von Flüchtigen angefüllt fanden. Dennoch brachte uns die Bäuerin voll Mitleid und Geschäftigkeit in einer Kammer unter und schüttete uns ein Strohlager auf, auf das wir erschöpft niedersanken, glücklich, von den drohenden Wechselfällen befreit zu sein und den höllischen Lärmen nicht mehr zu hören, der wie ein großer, entsetzlicher Schrei endlos über den brennenden Giebeln brüllte. Auch einige Lebensmittel brachte die Bäuerin herbei, und war auch uns und den Größern aller Appetit vergangen, so ließen doch die Kleinen den Milchschüsseln alle Ehre widerfahren. Ein Viertelstündchen später lagen sie schon auf dem Stroh in so festem Schlaf, als wären sie nie in einem Bette gelegen, und als hätten sie das schützende Dach der eigenen Behausung über sich und nicht das Nothdach fremden Mitleids. Hans ging leise ab und zu und spähte in die Nacht hinaus, ob Alles ruhig bliebe, während ich nun erst der Abspannung inne wurde, die ich den Tag über ausgehalten hatte, und in der Ecke niederkauerte. Vor mir hatte sich Katharina hingelagert und suchte, den Kopf auf meinem Schooße, im Schlummer das fieberhafte Unwohlsein zu bezwingen, das die Reihe der erlebten Erschütterungen in ihr hervorgerufen hatte. Nebenan lehnte sich Constanze, bald ebenfalls der Ermüdung erliegend und im Einnicken halb unwillkürlich an meine Schulter sinkend. Auf dem Simse des einzigen Fensters brannte ein trübes Oellämpchen, wie es die Bauern in den Ställen haben, bei seinem Scheine überblickte ich nun die Lieben alle, deren Leben an das meinige geknüpft war.
Sie schliefen, und mit dem Schlafe war Beruhigung über sie gebreitet, und mit gerührter ahnender Seele dachte ich der Geschicke, die ihnen bevorstehen würden im Leben. In einer Art von wachendem Traum oder traumhaftem Wachen sah ich in ihre Zukunft hinaus, und das war ein weites, schönes, sonnenbeschienenes Land. Ihre wirklichen Wege sind um Vieles anders geworden, und ich dachte später bei allen Leiden, die über sie kamen, an dieses Gesicht und erkannte, daß wir Menschen in solchen Dingen überall das Spiel unserer eigenen Wünsche sind. Wir glauben etwas Gegenständliches außer uns zu sehen, und es sind doch nur Phantome, wie die Fata Morgana, nur Spiegelbilder unserer Phantasie, die wir glauben, weil wir sie wünschen. Es wäre dabei auch nicht so viel Schlimmes, würde nicht meistens über den Träumen die Wirklichkeit übersehen – wie ich es that. Als ich zu mir kam, ruhte mein Blick mit Entzücken auf Constanzens Angesicht, auf welchem der Schlaf herrliche Rosen aufblühen gemacht hatte. Ich sah sie lange an und erblickte darin bestätigende Vorboten und Zeugen meiner schönen Träume; wäre ich weniger von diesen befangen gewesen, so hätte ich in jener unheimlichen Röthe den ersten Stich des Wurmes erkannt, der meine holdeste Blüthe zu benagen begann. Vielleicht wäre damals noch Hülfe möglich gewesen, und sie hätte nicht von hinnen gemußt in der ersten Schönheit des Lebens.
Inzwischen war es Tag geworden, und die Sonne schien so hell durch die trüben Scheiben des Kammerfensters auf das Stroh darin, wie sie gestern in die freundlichen Zimmer und auf Alles, was ich besaß, geschienen hatte. Damit war auch die Ruhe zu Ende und ich wurde arg aus meinen Phantasiern aufgeschreckt, wie denn das Träumen immer von der Wirklichkeit gestraft wird. Rauhe Männerstimmen schrieen durcheinander, Waffen klirrten, Schüsse knallten und verriethen, daß unsere Drangsale noch lange nicht vorüber waren. In der Dunkelheit hatten die anrückenden Abtheilungen der Franzosen den zur Waitzenau führenden Waldweg nicht bemerkt; bei beginnender Tageshelle stürmte bald ein wilder Trupp heran, um zu plündern und Beute aller Art mit sich fortzuschleppen. Bald genug, noch ehe wir sie erblickten, verkündete das Geschrei der übrigen Flüchtigen, die im Bauernhause untergebracht waren, daß sie sich schon an’s Werk gemacht hatten.
Ich rieth den Meinigen, die, aus dem Schlafe aufgeschreckt, zweifach ängstlich dastanden, sich so ruhig als möglich zu halten. Unsere Kammer lag seitwärts und nach hinten zu; es war möglich, daß sie nicht bemerkt wurde. Der Mensch hört eben nie auf, sich selbst zu täuschen, und wenn ihm das eine Spielzeug in der Hand zerbricht, hascht er eiligst nach einem neuen. Es vergingen aber nur Minuten, so sahen einige Köpfe von keineswegs einschmeichelndem Ausdruck durch die Scheiben; im nächsten Augenblicke war die Thür aufgerissen, und wir waren von einer wild durcheinander schreienden und mit Waffen gesticulirenden Schaar umringt. Wir hatten ihrer nicht mißzuverstehenden Gebehrdensprache nur die ebenso deutliche des Bittens entgegen zu setzen, sie erwies sich aber von weit geringerer Wirksamkeit. Die Burschen waren von allen Regimentern und Waffengattungen zusammengewürfelt; Chasseurs und Voltigeurs, Husaren, Uhlanen und Dragoner, Kanoniere, Füsiliere und Grenadiere. Zu anderer Zeit und unter anderen Umständen mochte eine solche Begegnung sehr interessant sein, denn sie gab Gelegenheit zu umfassenden Costumestudien. Leider waren wir nicht dazu aufgelegt und hätten nur gewünscht, daß auch unsere bärtigen Vis-à-vis sich in gleicher Stimmung befunden hätten.“
Schweizer Alpen-Bilder.[1]
Juhe, der Geißbub bi–n–i ja!
Mys Hörnli u my Geißli da
Thue mir no nit verleide.
Im Täschli han–i Chäs u Brod,
Mys Haar ist chruus u d’Bake roth
U d’s Herz voll Lust u Freude.
Jungi, Alti,
Melchi, Galti,
Großi, Chleini,
Hübschi, G’meini
Führe–n–ig uf Berg und Weid.
Mit diesem Liede hat der beliebteste der schweizerischen Volksdichter die Persönlichkeit zu charakterisiren gesucht, deren eigenthümliches Treiben und Wirken im schweizerischen Hochlande schon der Titel unseres Bildes deutlich genug bezeichnet. Wir reden hier nicht von dem Geißbuben des schweizerischen Tieflandes, der Höhenzüge zwischen Jura und Alpen, der seinem Vetter im Gebirge nur noch in einzelnen allgemeinen Zügen ähnelt. Zwar auch hier ist er, wie überall, ein Stiefsohn des Geschicks, ein Proletarier unter den Proletariern, das ärmste Waisenkind des Dorfes, das [742] eine über alle Maßen defecte Kleidung über seiner Haut hängen hat. In der Ebene wohnen die reichen Bauern, die nur stattliche Kühe, aber keine Ziegen halten. Diese letztern sind blos Eigenthum armer Häusler und Handwerker, bilden also unter den Milchlieferanten eine verachtete Kaste, sind die Parias unter den Gehörnten, und dieses Verhältniß wirkt in sehr betrübender Weise auf den gesellschaftlichen Rang des Geißbuben selbst zurück.
Schon ganz anders gestaltet sich aber die Sache droben, in den schmalen Thälern des Hochgebirgs, wo der stolzen Bauernaristokraten nur wenige mehr zu finden sind, der schmale, von Geröll und Felsstücken vielfach verkümmerte Boden größern Viehheerden keinen Spielraum mehr darbietet, und die zierliche, jedem einsam wachsenden Grasbüschel nachkriechende Ziege ein für Jedermann hochwichtiges Hausthier ist. Hier oben, wo himmelhohe Felswände, in die Wolken emporstrebende Gletscherpyramiden das Thal umsäumen, wo die Gießbäche wie übermüthige Jungen sich von den Felsterrassen stürzen, und in tollem Laufe das trümmerreiche Bett durchrauschen, da ist das idyllische Element des Geißbuben. Da ist er schon ein ganz anderer Bursche, eine durch und durch poetische Figur, wie er da so auf einem mit Gebüsch und Moos bekleideten mächtigen Granitfündlinge oder Glimmerblock sitzt, den die vulcanischen Kräfte beim geräuschvollen Werdetag des Gebirgs zu Thal geschleudert, oder langsame wirkende neptunische Einflüsse von der überhängenden Felswand gelöst haben. Da lungert der rothbackige zehn- bis fünfzehnjährige Schlingel im sonnigsten Nichtsthun auf seinem felsigen Throne, schaut in den blauen Himmel hinein, oder hinunter die gebüsch- und trümmerreiche Halde, an deren Fuß der Gebirgsfluß sein tolles Wesen treibt, und silbern schäumend seinen Gischt in die Höhe schleudert. Zwischen den Steintrümmern umher weiden die muntern, klugblickenden Ziegen, und das Gebimmel ihrer Glöcklein mischt sich in wundersamer Harmonie mit dem Rauschen des Waldstroms oder dem donnernden Grollen des nahen Wasserfallen. Wie gesagt, er ist schon ein ganz prächtiger Bursche, der Geißbube hier unten, beneidenswerthe Selbstzufriedenheit und Klugheit strahlen in wohlthuender Weise aus dem hellen Auge, das ohne Scheu, blos mit freundlicher Neugierde den vorbeistreifenden Wanderer betrachtet, und auf Gruß und Frage giebt er unbefangenen, oft mit kaustischem Naturwitz gewürzten Bescheid. Und warum sollte er auch nicht so sein? Das „im Täschli ha–n–i Käs und Brod“ des Dichters hat hier seine volle Richtigkeit; Gefahren bietet, ohne etwa die freiwillig gesuchten, der Beruf hier keine, und die Luft ist von einer Frische und von einem Reichthum an Sauerstoff, daß an Appetitmangel kaum zu denken ist.
Trotz all der bestehenden Vorzüge aber, die der Geißbube des Hochthales unbestritten auf sich vereinigt, ist er doch immer noch keineswegs der echte Geißbub, mit dem wir es eigentlich hier zu thun haben, kaum ein schwacher Abklatsch des richtigen Individuums.
Hoch oben an den Rändern des letzten zwerghaften Baumwuchses, in der unmittelbaren Nachbarschaft der höchsten mit ewigem Eis gepanzerten Hochgebirgszacken, stundenweit von jeder Menschenwohnung entfernt, oft 6–8000 Fuß über der Meereshöhe, wo nur noch der Alpenrosenstrauch und die Legföhre dem Frost eines neun Monate langen Winters und den sausenden Stürmen, die da oben ihr Spiel treiben, Widerstand zu leisten vermögen, in dieser todtenhaft stillen Wildniß, die bei all ihren Schrecken doch durch ihre düstere Erhabenheit so wundersam packend einwirkt auf den Wanderer, dessen scheuer Fuß sie zum ersten Male betritt, wo Weg und Steg verschwinden, wo keine Kuh mehr hinaufgetrieben werden kann und selbst das im Klettern noch Erhebliches leistende Schaf sich nicht mehr hingetraut, weil der Abhang zu jäh und zu schroff, der Zugang zu schwierig und gefährlich ist, da, in der majestätischen Grabesstille der einsamen Gebirgsregion, tönt Dir plötzlich sanftschwellendes, märchenhaft in einander verklingendes Läuten und Klingeln entgegen: Du schaust verwundert um Dich, und hoch über Dir, auf einer mit schwachem, dürftigem Grün überflogenen Felsterrasse siehst Du eine Gruppe leichtfüßiger, gazellenartiger Thiere weiden oder vielleicht, durch das Rollen eines Steines, den Dein Fuß aus seiner Lage gebracht, aufmerksam gemacht, neugierig auf Dich herniederschauen. Dir entfährt ein Laut der Ueberraschung – die zierlichen, schlanken Formen der Thiere, selbst ihre häufig lichtbraune Farbe und der halsbrechende Standpunkt, auf dem sie sich bewegen, haben für einen Moment den Glauben in Dir hervorgerufen, Du befindest Dich endlich einem jener von Touristen mit nutzloser Sehnsucht erspähten und ersehnten Gemsrudel gegenüber, die selbst in den höchsten Regionen des Gebirgs beinahe zur Mythe geworden sind. Du lächelst bald über Dich selbst und Deinen leicht verzeihlichen Irrthum; denn schärfer hinsehend bemerkst Du leicht, daß das Klingeln und Läuten, die silberhellen Glockentöne, die Dich vorhin so seltsam ergriffen, von kleinen Schellen herrühren, welche die vermeintlichen Gemsen am Halse tragen, und jetzt hast Du auch den frevelhaft kecken Burschen entdeckt, der oben auf der Felskante sitzt und die Beine sorglos, über den Rand herunterhängt, unbekümmert darum, daß eine Bewegung, ein Losbröckeln des mürben Gesteins ihn in die Tiefe rollen lassen könnte, aus der man seine Gebeine nur in zerschmettertem Zustande wieder heraufholen würde. Er hat Dein Nahen bemerkt, und schaut Dich mit einem eigenthümlich überraschten, wildscheuen Blicke an; denn er begreift wahrscheinlich nicht recht, was Du „vornehmer Herr“ da oben in seinem Königreiche willst, und rührt sich mit dem trotzigen Gleichmuthe eines Indianerhäuptlings nicht von der Stelle, wenn Du nicht mit besonders freundlichen Worten Dir seine Gewogenheit zu erwerben weißt. Das ist der Geißbub von echtem Schrot und Korn, ein Bursche so recht eigentlich aus demselben Stoff gemacht, wie die gewaltigen Gebirgsmassen, die sich rings um ihn in ihrer ganzen wilddüstern Erhabenheit aufthürmen, oder als scheinbar frei in den Lüften hängende Felsterrassen in jähen, schwindelnden Abstürzen zu seinen Füßen ausdehnen. Er ist hier der wahre König des Gebirgs, dem kein Sterblicher sein weites Reich streitig macht. Gegen ihn ist der Geißbub drunten im Thale ein bloßer Dorfjunker, derjenige in der Ebene des Flachlandes ein purer Lump. Des Morgens früh mit dem ersten Sonnenstrahle hat er mit seinem Horne die flinken Unterthanen drunten im Bergdörfchen zusammengeblasen, und ist jauchzend und singend, auf schwindelnden, für gewöhnliche Menschenkinder kaum gangbaren Wegen, über schaurigen Abgründen, auf schmalen Felsterrassen dahin gezogen, hinauf in’s Reich der Lüfte, wo der Lämmergeier und der Goldadler sonst einsam horsten. Da oben braucht’s ein ganz anderes Naturell, als in der Ebene, um auf Pfaden, die sonst kein Menschenfuß betreten, kein Auge nur entdeckt hatte, die Ziegen zu den grünen, wie in den Lüften flatternden Rasenbändern zu führen, und dabei ein stets wachsames Auge zu haben für die Gefahren, mit denen die Schrecknisse des Gebirgs fortwährend seine Schützlinge bedrohen.
Er ist aber auch ganz der Mann zu diesem Wächteramt. Fast unglaublich klingt es, wie weit sein adlerartig geschärftes Auge sehen kann. Täglich und stündlich genöthigt, auf Punkte hinzuschauen, die anscheinend ganz nahe liegen, wie z. B. die auf der andern Seite der Thalschlucht sich gigantisch aufthürmende Felswand, die ein Ungeübter mit einem Steinwurfe glaubt erreichen zu können, die aber in Wirklichkeit stundenweit entfernt ist, hat seine Sehkraft eine solche Ausdehnung gewonnen, daß er auf Entfernungen, wo ein Bewohner der Ebene kaum ein paar schwarze Punkte erkennen würde, genau die weidende Gemsgruppe unterscheidet und er selbst jede einzelne Bewegung der Thiere beschreiben kann. Eben so gut wie mit seinen Augen ist es mit seinen Gliedmaßen bestellt. Keine Furcht, keinen Schwindel kennend, ist der Geißbube der verwegenste und unermüdlichste Kletterer; nimmt nichts sonst seine Zeit in Anspruch, so erklimmt er zu seinem bloßen Vergnügen Zacken und Zinken, bei deren bloßem Anblick den Beschauer der Schwindel erfaßt, und gleitet auf Felsenbändern, so schmal wie der Rücken eines Folianten, über schauerlichen Abgründen dahin, ohne daß die mindeste Besorgniß ihm einen Tropfen Schweißes auf die sonnenbraune Stirne triebe. Das ist aber auch bei seinem Gewerbe eine absolute Nothwendigkeit. Die gleiche verwegene Kletterlust, die dem Hüter innewohnt, beseelt auch seine gehörnten Schützlinge. Je mehr Schwierigkeiten die Passage darbietet, um so eifriger wird die Alpenziege daran gehen, um einen isolirten Punkt zu erreichen, wo einige würzige Kräuter auf schmalem Felsvorsprung in verlockendem Grün prangen; sie wird oft unbedenklich den Sprung über den 8–12 Fuß hohen Absatz hinunter wagen, um zu ihrem Ziele zu gelangen, denn die Bergziege ist eine sehr nahe Base von der Gemse. So geht’s oft weit hinunter, von Absatz zu Absatz, und ist für das genäschige Thier auf ein Stündchen ein Leben in Herrlichkeit und Freuden.
Bald aber, wenn die wenigen Gräser abgeweidet sind, oder der [743] Appetit befriedigt ist, meldet sich die Sehnsucht nach den Gespielinnen wieder: die Ziege versucht es den Rückweg anzutreten. Ja, ja! hinunter ging’s leicht, die stählernen Sehnen und Flechsen und der harte Huf haben den Sprung in die Tiefe recht gut ausgehalten; aber wie jetzt hinauf, über die schroffe Felswand, die wie ein unübersteigbarer Wall die senkrechte Flanke ihr entgegenstellt? Ein klägliches, immer ängstlicher und bänglicher klingendes Blöken fleht um Hülfe in der Noth und dringt endlich zu den scharfen Ohren des Geißers. Es ist wirklich fabelhaft, wie leicht der Schall von den dünnen Luftwellen der Höhe dahergetragen wird, und häufig kann man da oben die Senner bequem auf Entfernungen mit einander reden hören, bei welchen in der Ebene, selbst beim lautesten Rufen, kaum ein verworrenes Getöse zum Ohre des Horchers gelangen würde. Der Bube hat den Nothruf vernommen, und mag der Abhang ein noch so schroffer, die Stelle noch so unzugänglich sein, auf der das „verstiegene“ Thier sich befindet – nichts wird ihn abhalten, seinem Schützlinge zu Hülfe zu kommen. Jetzt kann er seine Naturgymnastik zur Geltung bringen. An Felszacken, Gesträuch und selbst bloßen, aus den Mauerritzen hervorwachsenden Grasbüscheln sich festhaltend, klettert er die Felswand hinunter, auf Rändern und Absätzen sich balancirend, wo kaum seine Zehen den nöthigen Raum zum Aufsetzen finden, hinunter zum verstiegenen Thier, das er auf seinen Schultern wieder den Abhang hinauf schleppt. Sind die Schwierigkeiten gar zu groß, so schlingt er, wie dies unser Bild zeigt, und wo es sich gerade thun läßt, ein Seil um eine spitzige Felszacke, läßt sich daran zu der Ziege hinunter, befestigt das ängstlich blökende Thier an den Strick und zieht es so mit unsäglicher Mühe wieder auf sichern Grund.
Die schroffe Felswand, der schwindelnd tiefe Abgrund boten aber bei dem wagehalsigen Unternehmen nicht die einzigen Gefahren.
Hoch über den Felszinken, im blauen, durchsichtigen Aether hatte das scharfe Auge des Geißbuben gar wohl den kleinen, erst kaum merkbaren, dann allmählich größer werdenden schwarzen Punkt bemerkt, der erst unbeweglich an derselben Stelle gebannt zu sein schien und dann erst mit dem Größerwerden in weiten Kreisen umher zu schweben begann. Der Geißbube war der Einzige nicht, der den Hülferuf der verstiegenen Ziege vernommen. Der mächtige Goldadler droben in seinem luftigen Revier hat ihn auch gehört, und sein feuerfarbenes Auge hat gar wohl die Ziege, auf dem schmalen Felsbande hängend, erblickt. Einen Moment später, und er wäre mit dem durchdringenden, gellen Ruf „Plüf, Ppülüff“ senkrecht wie ein fallender Meteorstein niedergeschossen auf sein hülfloses Opfer, und ein paar Schläge seiner mächtigen Schwingen hätten genügt, das arme Thierchen hinunter zu schleudern in den Abgrund, wo dann seine zerschmetterten Glieder die bequeme Beute des Königs der Lüfte geworden, oder die Ziege hätte, schon durch das brausende Flügelrauschen des gewaltigen Vogels erschreckt und betäubt, in sinnloser Angst von selbst den todbringenden Sprung in die Tiefe gethan. Jetzt, wo der Bube ihm zuvorgekommen ist und das Thier gefaßt hat, wird der Adler vielleicht zwar das Manöver wohl noch versuchen, aber das hilft ihm nichts bei dem eifern zähen Willen des hartnäckigen Gesellen, denn eher würde er sich von den gewaltigen Fängen des riesigen Raubvogels zerfleischen lassen, als seinen Schützling preisgeben. Der Adler scheint aber zu wissen, mit wem er es zu thun hat, und fliegt nach einigen nutzlosen Versuchen, ohne einen wirklichen Angriff zu wagen, mit einem ärgerlichen Aufkreischen davon.
Auf den Goldadler und den Lämmergeier muß der Geißbube überhaupt gar sehr aufpassen. Beides sind die bösen rebellischen Elemente in seinem Reiche, und ohne die rechtzeitige Dazwischenkunft seines tüchtigen Bergstockes würden diese Hyänen der Luft gar manches unerfahrene Zicklein als gute Beute davon führen. Fast noch gefährlicher und mit weit mehr List auftretend ist Meister Reineke dem jungen, zarten Ziegenvolke. Da oben, in den undurchdringlichen Kluft- und Felslabyrinthen, steckt gar manche Burg Malepart, wo Nobel Geißbub nicht hinzudringen vermag und sich also damit begnügen muß, zu steter Abwehr heimtückischer Angriffe bereit zu sein, während er hinwieder gar oft die Brut der vorhin erwähnten gefiederten Räuber für die Sünden der Vater büßen läßt, und keine Mühe und Gefahr scheut, derselben in kaum zugänglichem Horste den Garaus zu machen. Aber auch mit den Alten nimmt’s der kecke Bursche unbedenklich auf, wenn eine seiner geliebten Geißen bedroht ist. Erst im Jahre 1859 hat der vierzehnjährige Johann Guler auf einer Schafalp im Canton Graubünden einen mächtigen Goldadler, der sich auf ein Lamm niederstürzte und darob in den Zweigen der Legföhren sich so verstrickte, daß er von seinen Flügeln keinen rechten Gebrauch machen konnte, mit seinem eisernen Bergstocke todtgeschlagen.
Bei schönem Wetter ist das Leben des Geißbuben wirklich ein frohes und poesiereiches. An Unterhaltung kann es ihm kaum fehlen. Von seinem Felsenthrone aus kann er bequem sein weites Reich überschauen, und wohl mag ihn da oft mit wohlthuenden Schauern das Gefühl der Souveränetät, der absolutesten Unabhängigkeit durchrieseln, drum hat er auch seinen schlechten Filzdeckel so trotzig auf’s krause Haupt gestülpt. In seinem Reviere hausen die geschäftigen Murmelthiere und unterhalten ihn mit ihren possierlichen Spielen und ihrem vorsorglichen Einsammeln der Wintervorräthe; der Mauerläufer oder Fluhspecht mit feinem bunten Gefieder, flink an den glatten Felswänden auf und nieder laufend, giebt ihm Lectionen im Klettern, und die schöne Schneehenne mit ihren zierlichen Küchlein wandert aufmerksam, den schlanken Hals in die Höhe gestreckt und sorglos umherlauschend, zwischen dem Steingerölle umher; das Haselhuhn rauscht in den Legföhren und in den Alpenrosenbüschen; mit tausend Stimmen spricht die erhabene Natur zu ihm, und diese Stimmen sind um so vernehmlicher, weil neben ihnen keine anderen laut werden. Naht der Abend, da senden von den jenseitigen Gebirgsstöcken die Lawinen ihm ihre fast unaufhörlichen Grüße zu, bald sieht er die wirbelnde, qualmende Schneemasse wie ein riesiges Silberband den Abhang hinunter sausen, bald vernimmt sein Ohr nur das grollende Gebrüll des unsichtbaren Ungeheuers. Um ihn blühen in brennend rothem Glanze die Alpenrosen, und Abends beim Scheiden des Tagesgestirns, da erglühen all die gewaltigen Gebirgsstöcke und Firnen, die ihn den Tag über so ernsthaft düster angeschaut, in jenem märchenhaften Feuerglanze, den zu beschreiben noch keine Feder den richtigen Ausdruck gefunden hat. Dann treibt er seine Heerde, den schlechten Filzdeckel mit den röthesten Rosen geschmückt, wieder zu Thal und freut sich schon auf den kommenden Morgen, der ihn wieder hinauf in seine lieben Berge rufen wird.
Freilich ist’s nicht alle Tage so: bei regnerischem Wetter, wo die Gebirgsstöcke ihre grauen Nebelkappen aufgesetzt haben, die Tropfen eisig kalt die Wangen des armen Hirten peitschen, und nur ein alter Zwillichsack seine Schultern vor Nässe schützt, da mag es oft auch gar melancholisch um ihn bestellt sein, da droben in den unwirthbaren Schluchten, wo kaum eine trockene Höhle oder eine aus Geröll und Rasen kunstlos aufgeführte Hütte ihm vor den Unbilden der Witterung Schutz gewähren. Auch der Gewittersturm, wenn er mit seiner von den Bewohnern der Ebene nie geträumten Wuth und Raserei um die Gebirgszacken tobt und tost, der strömende Regen jede Rinne in einen gewaltigen donnernden Wildbach verwandelt, und die Rüfe oder der Schlammstrom, wie ein verderbenschwangeres Ungeheuer brüllend und Alles vor sich niederwerfend, den Berg hinuntertobt, mag ihm gar manche Nothstunde bereiten. Mit seiner Kost ist es gar ärmlich bestellt, und seine Tafel ist nichts weniger denn eine königliche. Brod, so hart wie Stein – denn drunten im Gebirgsdorfe wird kein frisches gebacken, und dasselbe muß oft viele Stunden weit hergetragen werden – und ebenso trockener Käse bilden seine einzigen Subsistenzmittel. Einen frischen und gesunden Trunk, freilich, den liefern ihm stets seine Ziegen. Er zieht zu dem Ende nur eines der Thiere herbei, legt sich unter dasselbe auf den Rücken und melkt sich in den Mund. Da hat er buchstäblich sein Bedürfniß aus der ersten Quelle.
Eben so spärlich, wie seine Kost, ist auch der Lohn, den der Geißbub für seine sommerlange Mühe bezieht; wenn’s hoch geht, erhält er einen halben Franken für je eine Ziege. Und dennoch fühlt sich der genügsame Bursche nichts weniger als unglücklich oder zurückgesetzt in seiner Lebensstellung. Er hat eben gar frühe schon mit der Entbehrung Bekanntschaft gemacht, während er gar Manches, das der Culturmensch zu dem Unentbehrlichen zählt, nicht einmal dem Namen nach kennt. So arm es sonst mit der Bildung des Geißbuben bestellt sein mag, so ist doch das einsame Leben droben auf den sonnigen Höhen ein trefflicher Lehrmeister für seine Phantasie. Ist einmal sein Zutrauen gewonnen, so weiß er ganz schauerlich hübsche Geschichten von Berggeistern, weißen Gemsen und verwunschenen Alpen zu erzählen. Es ist das bei seinem ganzen Thun und Treiben und seinem einsamen Verweilen in der erhabenen, öden, an räthselhaften Tönen und Stimmen so reichen [744] Gebirgswelt auch natürlich. In den phantastisch geformten Felszacken, Höhlen und Schluchten weckt der durchströmende Wind oft die seltsamsten Laute, wimmernden Menschenstimmen nicht unähnlich, und bei der Leichtigkeit, mit der, wie bereits erwähnt, die Luft den vom Echo verzehnfachten Schall auf große Weiten hinträgt, ist es um so leichter begreiflich, daß der einsam träumende Sohn des Gebirgs da der Töne gar manche vernimmt, deren Ursprung selbst seinem Scharfsinn verborgen bleiben muß. Was Wunder also, daß er sein ödes Reich in guter Treu und Glauben mit all den phantastischen Gestalten bevölkert, von denen er während des Winters in den abendlichen Zusammenkünften der Dorfbewohner so viel hat erzählen hören.
Ist der Geißbube einmal groß geworden, dann muß er zu einem andern Gewerbe greifen. Ade, du süßes, träumendes Bubenglück! Die Alp bleibt aber dafür doch meist seine eigentliche Heimath. Aus dem verwegenen Kletterer wird nun ein ebenso verwegener Wildheuer oder Gemsjäger, oft Beides zugleich, und eines schönen Morgens steigt er wohl, die weittragende Büchse über die Schulter gehängt, unter schmetterndem Jauchzen die alten wohlbekannten Pässe hinan, die er als fröhlicher Junge mit seinen gehörnten Unterthanen befahren. Abends wartet sein Liebchen oder seine junge Frau vergebens auf seine Rückkehr – der Berggeist, den er so herausgefordert, hat ihn zurückbehalten, die gähnende Schlucht, an deren schwindelndem Rande er als Bube mit lachendem Muthwillen gespielt, ist sein schweigendes Grab geworden, und die Lawine, deren donnernden Grüßen er so oft gelauscht, hat ihm, vielleicht durch seinen Fußtritt geweckt, die letzten krachenden Ehrensalven nachgesendet.
Schlaf und Traum.
Alles Arbeiten und Thätigsein der Organe unseres Körpers geht mit Verlust von Stoff und Kraft des arbeitenden Organs einher, und dieser Verlust muß, wenn das durch Abnutzung erschöpfte Organ seine gehörige Thatkraft wieder erhalten soll, durch richtige Ernährung desselben baldigst ersetzt werden. Dies geschieht aber während des Ausruhens des Organs von seiner Arbeit und mit Hülfe des durch das Organ hindurchströmenden Blutes, wobei aus diesem neues Baumaterial in Gestalt von Ernährungsflüssigkeit in das Gewebe des Organs abgesetzt und von diesem zum Neubau verwendet wird.
Auf dem richtigen Verhältniß zwischen Arbeiten und Ruhen beruht nun das Gesundbleiben und Kräftigwerden aller unserer Organe und zwar mit Hülfe der dabei regsamer vor sich gehenden Ernährung (des energischen Stoffwechsels) innerhalb der diese Organe bildenden Materien. Natürlich kann diese Ernährung nur dann zu Stande kommen, wenn ein gutes (nahrhaftes) Blut in richtiger Weise durch das Organ hindurchströmt.
Wollte man ein Organ, auf dessen Thätigkeit wir willkürlich einwirken können, ununterbrochen thätig sein lassen, so kommt endlich ein Moment, wo die Erschöpfung desselben so arg wird, daß auch beim kräftigsten Willen keine Thätigkeit in demselben mehr hervorgerufen werden kann. Diese Kraftlosigkeit ist dann die Folge der Abnutzung des Organs, d. h. des beim Arbeiten verloren gegangenen Organstoffes. War die Anstrengung nun eine sehr bedeutende, dann bedarf das erschöpfte und theilweise abgenutzte Organ auch eine längere Ruhezeit zu seiner Restauration. Bei Ueberanstrengungen (widernatürlich anstrengender Arbeit) geht aber die Erschöpfung bisweilen auch in eine dauernde, durch die Ernährung im Ruhezustände nicht wieder zu hebende Lähmung über. Wie nun Ueberanstrengung die Thatkraft eines Organs theilweise oder vollständig ruiniren kann, ebenso erzeugt aber auch längere Zeit ausdauernde Ruhe eines Organs allmählich Kraftlosigkeit und endlich bleibende Lähmung und zwar in Folge der geschwächten und falschen Ernährung.
Innerhalb unseres Körpers gehen die den Stoffwechsel (s. Gartenlaube Jahrg. 1860, Nr. 51) oder das Leben unterhaltenden sogen. vegetativen Processe, wie es scheint, zwar ununterbrochen vor sich, allein dies ist doch nur scheinbar, denn bei allen diesen Thätigkeiten (wie beim Blutkreisläufe, Athmen und Verdauen etc.) finden doch auch Ruhezeiten, freilich von nur sehr kurzer Dauer statt, innerhalb welcher der durch die vorhergegangene auch nur kurze Arbeit erzeugte geringe Substanzverlust in den betreffenden Organen sofort wieder ausgeglichen wird.
Ganz anders verhält es sich dagegen mit dem Organe, welches die sogen. geistigen Thätigkeiten (das Denken, Fühlen und Wollen) vermittelt, und das ist das Gehirn. Dieses wird durch seine Zubringer geistiger Nahrungsstoffe, nämlich durch die Sinnesorgane, zumal durch die höheren Sinne, also durch Auge und Ohr, fortwährend von der Außenwelt her in Thätigkeit erhalten (s. Gartenlaube Jahrg. 1860, Nr. 51), und deshalb tritt endlich ein Moment ein, wo seine Thätigkeit immer matter und matter wird und endlich erlischt. Dieser Zustand der erschöpften Energie des Gehirns nun, der also durch die materielle Abnutzung der Hirnsubstanz in Folge des fortwährenden Thätigseins des Gehirns während des Wachens veranlaßt wird, ist der Schlaf, und während desselben geht mit Hülfe der Ernährung (des durch das Gehirn rinnenden Blutes) der Ersatz der abgenutzten Hirnmasse vor sich. Je ruhiger der Schlaf und je kräftiger der Ernährungsproceß innerhalb des Gehirns, desto vollständiger muß natürlich auch die Restauration der Hirnsubstanz und der Energie des Gehirns geschehen.
Also: nur Geschöpfe, die ein Gehirn haben, schlafen. Demnach kommt der Schlaf nicht etwa blos dem Menschen, sondern auch den meisten Thieren zu, wenn auch deren Gehirn weit kleiner und unvollkommner als das des Menschen ist (s. Gartenl. Jahrg. 1860, Nr. 10). Fische kann man, wenn sie schlafen, mit den Händen fangen, und daß Eidechsen und Krokodile in der Sonne schlafen, ist bekannt. – Also ferner: der Schlaf ist für das Zustandekommen der geistigen Thätigkeit (der Hirnarbeit) ganz unentbehrlich, denn ohne Schlaf würde die Abnutzung der Hirnmasse durch ihr fortwährendes Arbeitenmüssen bald einen solchen Grad erreichen, daß sie in ihrem Baue ganz unfähig zum fernern Arbeiten würde. Je mehr nun diese Hirnthätigkeit hinsichtlich ihrer Dauer oder Stärke angestrengt wird, desto bedürftiger muß natürlich das Gehirn der Ruhe, des Schlafes sein. – Also: wenn irgend ein Organ zur Erhaltung und Kräftigung feiner Kraft des gehörigen Wechsels von Ruhe und Arbeit neben richtiger Ernährung durch das Blut bedarf, so ist es vorzugsweise das Gehirn, welches ja dem geistigen Thätigsein vorsteht und wegen seines vollkommneren Baues beim Menschen (s. Gartenl. Jahrg. 1860, Nr. 10) diesen weit über das Thier erhebt. Eine große Menge jüngerer und älterer Menschen sind nur deshalb in ihrem geistigen Thätigsein schwach oder gestört und werden von Leiden des Gehirns (Kopfschmerz, Schwindel, Nervosität, Gemüthsstörungen etc.) heimgesucht, weil sie dieses Organ falsch behandeln, demselben entweder zu viel oder zu wenig Arbeit und Ruhe zumuthen und auf dasselbe theils mit geistigen und gemüthlichen, theils mit sinnlichen Ueberreizen einstürmen, kurz dasselbe entweder übermäßig oder unzweckmäßig arbeiten lasten. Bevor nicht den Erziehern die Einsicht kommt, daß das Gehirn den Menschen zum Menschen macht und daß von der Behandlung dieses Organs Gutes und Schlimmes in psychischer und physischer Beziehung abhängig ist, so lange wird aus dem Menschengeschlechte auch nicht das werden, was aus ihm werden könnte und sollte.
Es kommt in der jetzigen Arbeits- und Genußzeit recht oft vor, daß die dem Gehirn theils in zu frühem Lebensalter, theils zu oft und lange zugemutheten Anstrengungen die Substanz desselben in seiner Ernährung und Thätigkeit, trotz scheinbaren Wohlbefindens des übrigen Körpers und ohne organisches Hirnleiden, auf die Dauer so stören, daß das Gehirn bei großer Schwäche doch äußerst erregbar und dann von den gewöhnlichsten Eindrücken in einem Grade afficirt werden kann, daß dadurch die Thätigkeit desselben nach und nach immer mehr herabgesetzt und endlich gelähmt wird. Dieser Zustand, die sogenannte reizbare Schwäche des Gehirns, ist sehr oft die Ursache von Kopfschmerz und Schlaflosigkeit, von Launenhaftigkeit und Leidenschaftlichkeit, von Hypochondrie und Hysterie, und artet gar nicht selten in Geisteskrankheit aus. Alle diese Leiden [745] könnten aber vermieden oder doch bald beseitigt werden, wenn man bei Zeilen eine richtige Behandlung des Gehirns einschlüge und wenn man vor allen Dingen das Arbeiten und Ruhen des Hirns gehörig regelte.
Bisweilen, besonders bei reizbarer Schwäche, arbeitet das Gehirn, und zwar durch die verschiedenartigsten Ursachen veranlaßt, auch noch im Schlafe fort, aber ohne Einfluß unseres Willens, und das Product dieses Arbeitens, welches sich auch auf die Sinnesorgane überträgt, ist der Traum. Natürlich nutzt auch diese Arbeit die Hirnmasse etwas ab, und deshalb kann ein Schlaf mit Träumen, zumal wenn diese sich längere Zeit fortspinnen und sehr erregend sind, niemals so erquickend sein und das Gehirn so restauriren, wie ein traumloser, tiefer und ruhiger Schlaf. Bei lebhaften Träumen drückt sich das Product der Hirnspinnerei, das Traumhirngespinnst, so tief in die Hirnmasse ein, daß dasselbe auch nach dem Erwachen noch in der Erinnerung haftet. Auch behalten wir einen Traum, der sich im unvollkommenen oder Halbschlafe bildete, bis zum Erwachen im Gedächtniß. Den Stoff zum Traume liefert stets das Gedächtniß, und die im Traume erzeugten Bilder kommen immer nur dadurch zu Stande, daß die durch unsere Sinneswerkzeuge früher von der Außenwelt in unser Gehirn eingeführten Eindrücke daselbst bleibende Bildchen erzeugten, deren geordnetere oder ungeordnetere Verknüpfung im Schlafe mehr oder weniger natürliche oder unnatürliche und verworrene Traumbilder erschafft. Blindgeborene werden nie vom Sehen, Taubstumme nie von Hörbarem träumen. Daß übrigens auch die Thiere, welche ein Gehirn besitzen, Träume haben müssen, und zwar nach dem verschiedenen Grade der Entwickelung ihres Gehirns den menschlichen Träumen mehr oder weniger ähnliche, versteht sich von selbst.
Das Gefühl von Schläfrigkeit geht in der Regel dem Schlafe voraus und giebt sich als Nachlassen der geistigen, Empfindungs-, Sinnes- und Muskelthätigkeit mit dem Gefühle von Abspannung und Mattigkeit, mit Gähnen und Dehnen zu erkennen. Auch zeigen sich unbestimmte Figuren, verwaschene oder leuchtende Punkte und Nebel vor dem geschlossenen Auge. Nicht alle Empfindungs- und Bewegungsthätigkeit erlischt gleichzeitig; die Geschmacks-, Geruchs- und Gesichtsnerven schlafen früher ein, als der Gehörnerv; die Muskeln des Rückens später als die der Gliedmaßen. Nach dem vollständigen Erlöschen der willkürlichen Bewegungsthätigkeit schließen sich die Augen, es sinkt der Körper zusammen, der Kopf neigt sich nach vorn, der Unterkiefer fällt herab, und neben der Unempfindlichkeit der Sinne und des Gemeingefühls hört das Bewußtsein auf. – Im Schlafe selbst gehen die dem Stoffwechsel (der Ernährung, dem Leben) dienenden, sogenannten vegetativen Processe ungestört, nur etwas langsamer und gleichmäßiger vor sich; das Herz schlägt ruhiger, die Athemzüge werden langsamer und tiefer, die Darmbewegungen und also auch die Verdauung geschehen regelmäßiger. Im Anfange pflegt der Schlaf am tiefsten und ruhigsten zu sein; je länger er währt, desto leiser wird derselbe und desto leichter geht er in ein Halbwachen über. Beim plötzlichen Erwachen dauert es einige Zeit, ehe man das völlige Bewußtsein wieder erlangt; beim allmählichen Erwachen wird zuerst das Gehör, dann das Auge und später erst die Bewegungskraft rege.
Die Kennzeichen eines gesunden Schlafes sind: daß er auf angemessene Veranlassung, auf vorangegangene, längere Zeit fortgesetzte Thätigkeit des Geistes, der Sinne und willkürlichen Bewegungsorgane eintrete; daß sich der Körper während desselben in einem Zustande vollkommener Ruhe befinde, eine ungezwungene, mit Erschlaffung der Muskeln verbundene Lage einnehme; daß dabei das Athmen ruhig und gleichmäßig, der Puls etwas langsamer, die Haut weich und mäßig feucht sei; daß er ununterbrochen fortdauere und nicht durch Träume oder lebhaftere unwillkürliche Bewegungen beunruhigt werde; daß die Sinne, namentlich das Gehör, ihre Empfänglichkeit für äußere Eindrücke möglichst vollständig verlieren, aber auch das Erwecken nicht zu schwierig sei; und endlich daß er nach entsprechender Dauer von selbst wieder mit dem Gefühl von Erquickung schwinde. – Ueber die naturgemäße Behandlung des Gehirns und das richtige Verhalten im Schlafe soll in einem spätern Aufsatze gehandelt werden.
Das Pariser Annoncen- und Reclamenwesen.
Unter den Mitteln und Wegen, die von den Pariser Künstlern und Gewerbtreibenden als Brücke zur Oeffentlichkeit benutzt werden, stehen die Anzeigen und die auf Bestellung gefertigten Empfehlungen (Reclamen) obenan. Obgleich die eigentliche Reclame beim Pubiicum so ziemlich in Mißcredit gekommen, werden doch noch fortwährend bedeutende Summen dafür verausgabt, und von den sogenannten „sechs großen Pariser Journalen“ (Siècle, Patrie, Presse, Journal des Debats, Constitutionnel, Pays) erscheint wohl keine Nummer, die nicht mindestens ein halbes Dutzend solcher bezahlter unter dem Titel Faits divers (Verschiedenes) erscheinender Feuilletonartikel enthielte. Diese Art von Reclame hatte deshalb lange Zeit und hat in der Provinz auch jetzt noch eine gewisse Bedeutung, weil das Publicum den Zusammenhang dieser Empfehlungen nicht kannte und solche, weil sie eben im redaetionellen Theile des Blattes abgedruckt standen, aus der Ueberzeugung der Redaction hervorgegangen glaubte.
Um sich einen Begriff von dem Umfange der Geschäfte, zu denen Anzeigen und Reklamen Anlaß geben, machen zu können, muß man wissen, daß eine einzige Annoncenseite in einem größeren Pariser Journale dem Eigenthümer jährlich 2–300,000 Francs an Pacht einbringt, und daß trotz dieser enormen Pachtsumme dem Pächter einer solchen Seite noch genug übrig bleibt, um auf einem großen Fuße zu leben. Der Beweis ist leicht beizubringen.
Die Annoncenseite in einem der genannten Journale enthält sechs Spalten à 216 Petitzeilen, also im Ganzen 1296 Petitzeilen, welche, die Zeile zu 1 Frc. (dem Tarifpreise) gerechnet, eine ebenso große Summe von Francs abwerfen. Nehmen wir nun an, daß das Journal an den drei Hauptfesttagen im Jahre (Weihnacht, Ostern und Pfingsten) nicht erscheint, so haben wir jene Summe mit 362 zu multipliciren und erhalten ein Resultat von 469,152 Francs, so daß dem Pächter, nach Abzug der Pachtsumme, der Maklergebühren, Bureaumiethe u. s. w, noch 150,000 Francs übrig bleiben.
Oft aber geschieht es auch, daß die Annoncen außer der vierten noch den größten Theil der dritten Blattseite beanspruchen, wodurch, dieser Ueberschuß im Durchschnitt nur zu einer Drittelseite angeschlagen, ein Plus von 156,384 Francs, im Ganzen pro größeres Journal für die Anzeigen eine Summe von 625,536 Francs herauskommt.
Die zwischen der Annonce und der Reclame die Mitte haltenden, d. h. „unter dem Strich stehenden“[2] Inserate produciren sich nicht in so großer Anzahl wie erstere, werden dafür aber auch 11/2mal besser bezahlt und können auf circa 100 Zeilen pro Nummer veranschlagt werden, was 100 X 362 = 36,200 Zeilen zu 21/2 Francs = 90,500 Francs ergiebt.
Die eigentliche Reclame unter den Faits divers (Verschiedenes) wird mit 4 Francs die Zeile bezahlt und ergiebt pro Journal und pro Jahr (die Nummer zu 60 Zeilen gerechnet) ein Minimum von 80,880 Francs.
Demnach bringt ein solches großes Journal seinem Eigenthümer jährlich ein:
- a) an Anzeigen, 4te Seite 469,152 Francs;
- b) an Anzeigen, 3te Seite 156,384 Francs;
- c) an Reclamen unter dem Strich 90,500 Francs;
- d) an Faits divers (eigentlichen Reclamen) 86,880 Francs.
- Zusammen 802,910 Francs.
Diese gewiß gering angeschlagenen Sätze ergäben für die sechs großen Journale zusammen schon 4,817,496 Francs. Allein es ist erwiesen, daß das Siècle für sich allein jährlich nahezu 900,000 Francs an Anzeigegeldern einnimmt, und bringen wir nun erst noch die vielen kleineren Special- und sonstigen Journale, sowie die amtlichen Intelligenzblätter in Anschlag, so hält es nicht schwer, nachzuweisen, daß in Paris jährlich circa 15–20 Millionen Francs für Anzeigen und Reclamen in Fluß kommen.
Deshalb können auch alle Geschäfte, die in Paris mit dem der „Insertion“ in Verbindung stehen, als mehr oder minder lucrativ betrachtet werden. Der Pariser Annoncier (mit andern Worten, der Mann, welcher ein Geschäft daraus macht, zum Inseriren [746] anzuregen und Anzeigen zu sammlen) muß sich schon sehr schlecht auf sein Geschäft verstehen, wenn er es nicht täglich auf eine Summe bringt, vor der das Tagesgehalt manches hochgestellten deutschen Beamten ganz winzige Verhältnisse annimmt. Aber ein echt französisches Rednertalent muß ein solcher haben, wenn er überhaupt nur angestellt sein will, denn darauf kommt hier begreiflicherweise in den meisten Fällen Alles an, davon kann das Eingehen von Tausenden und aber Tausenden abhängen.
Es sind mir Anzeigenmakler (courtiers d’annonces) vorgekommen, welche mit einer solchen Sicherheit Geschäfte machten, daß sie sich zeitweise verpflichteten, in einem angegebenen Zeiträume so und so viel Annoncen zu liefern, was sie auch immer zu ihrem Nutzen und Frommen pünktlich ausführten. Als Beleg für unsere Aussage sei hier nur ein Beispiel angeführt. Der hiesige Buchhändler und Buchdruckereibesitzer G. stand im Begriff, eine neue Eisenbahnkarte zu veröffentlichen, als ihm der Gedanke kam, statt einer gewöhnlichen Einfassung möchte auch eine aus gedruckten Annoncen am Platze sein, zumal eine solche, nach genauer Berechnung, ein Sümmchen von 36,000 Francs abwerfen müßte. Geschwind theilte er seinen Einfall einem seiner gewandtesten und nobelsten Annonciern mit, und wer sich, trotzdem er schon alle Hände voll zu thun hatte, verpflichtete, en passant in Zeit von sechs Wochen die kostbare Anzeigen-Einfassung herbeizuschaffen, das war dieser Herr. Dieselbe brachte ihm beiläufig – (ich selbst sah die Rechnung) – 3000 Thaler (10,000 Francs) ein. Nun ist dies freilich ein sehr gewandter Bursche, dessen Unverschämtheit unter Umständen seiner Liebenswürdigkeit die Wagschale hält, bei dem man Alles voraussetzen darf, nur keine Liebe zur Wahrheit, dessen Decorum von untadelhaftester aristokratischer Verfassung, und der bei den Clienten der Geschäfte, für die er „macht“, in so hohem Ansehen steht, daß man ihm auf zehn Schritt Entfernung mit einem Stuhl entgegenkommt. Gleichwohl giebt es viele andere, die nicht so erhabene Eigenschaften haben und doch gute Geschäfte machen.
Seit Emil v. Girardin’s Eingriffen in die französische Presse – Emil Girardin war einer der Ersten, die das Anzeigen- und Reclamenwesen in Frankreich aufbrachten, eigentlich der Gründer desselben – läßt sich mit dem, was in Paris darauf abzielt, die Aufmerksamkeit des Publicums rege zu machen, und „Reclame“ genannt werden kann, eine großartige Eintheilung treffen. So haben wir hier die Zeitungsreclame: die literarische, artistische, industrielle Reclame; – die Mauerreclame: die Journal-, Grundstück-, Häuser-, Theaterreclame; – die Gassenreclame: die Manufacturisten-, Restaurant-, Zahnarzt-, Sprachlehrer-, Leichdornschneiderreclame; – die Negerreclame: auf der Straße, im Vorzimmer; – die Fensterreclame; – die Reclame durch den Unfall aus Absicht; – die mimische und oratorische Reclame; – die Reclame der Rattengifthändler, Wasserträger etc. –
Die Zeitungsreclame (als Anzeige, Feuilletonartikel oder Reclame im weiteren Sinne) nimmt unter den Reclamen ihrer größeren Verbreitung sowohl als ihrer Kostspieligkeit wegen den ersten Rang ein, da die unentgeltliche Aufnahme, zu der es hier und da, in Erwartung eines splendiden Gabelfrühstücks oder eines lucullischen Diners, ein dienstfertiger Journalist bringt, kaum in Anschlag gebracht werden kann. Giebt es doch, sogar Journale, auf deren mit etlichen tüchtigen Federn ausgestattetem Redactionsbureau gar nie etwas Anderes geschrieben und getrieben wird als Reclame, ja wo die Raffinirtheit so weit gegangen, das; man für die einlaufenden bezahlten Manuskripte ein Reclamen-Fachwerk mit Aufschriften errichtet, deren chromatische Stufenfolge die lieben Mitarbeiter belehrt, inwiefern Herr X., der 1000 Fr. bezahlt, zu loben, inwiefern Herr Y der nur 100 Fr. bezahlt, zu tadeln, und in welchem Grade Herr Z., der noch weniger oder gar nicht generös gewesen, mit Geißelhieben zu bedenken.
Die Coterieen der Herren Literaten treten hier, wie anderwärts, mit Im-Auge-Behaltung des Sprüchworts: „Eine Hand wäscht die andere“, in der literarischen Reclame zu Tage. Die Vergütung erfolgt, wo sie vorkommt, in natura, d. h. in Exemplaren und Dejeuners, wiewohl die unter den Faits divers veröffentlichten Reclamen, die übrigens auch Niemanden, als den Verleger angehen, vor dem gestrengen Anzeiger keine Gnade finden und ihre 4 oder 6 Franken pro Zeile zahlen müssen, wie die des gemeinsten Professionisten.
In der artistischen Zeitungsreclame, die hier und da mit einem Gefolge von Attesten und marktschreierischem Pompe auftritt, begegnen wir gewöhnlich Allem, nur nicht dem mindesten Kunstverständniß. Der Berichterstatter zieht über den ersten besten Kunstgegenstand nach mitgetheilten Notizen in echt ritterlicher Weise zu Felde, legt sich dabei nach Kräften auf die Phrasendrechslerei, wobei Sinn und Inhalt natürlich oft den Kürzern ziehen müssen, und bringt nicht selten ein Ding zu Stande, dem nur die materielle Form fehlt, um für eine Drommete gelten zu können. In diesen beiden Arten waltet zum Theil die Camaraderie ob.
In tausend Farben spielt und schillert die Theaterreclame. Hier bietet sich den diversen Recensenten in der That ein so weites Feld für ihre mehr oder minder egoistischen Bestrebungen dar, daß sie darauf in den sonderbarsten Sprüngen und Stellungen einhersetzen können. Der Schauspieler und die Schauspielerin treten dabei nicht selten vor dem Mann und der Männin in den Hintergrund. Der Mann ist überhaupt vor den Verlockungen des Sündenapfels nie sicher, geschweige denn ein Pariser Journalist, dessen Bekanntschaften sich durch alle Schichten der bürgerlichen Gesellschaft, vom Boudoir der Soubrette bis zum Putzzimmer der Hofdame hinauf, verzweigen. Die reizende Donna Blanca mag noch so oft ein cis für ein c, ein dis für ein d singen – der Pariser Journalist, den sie mit ihrem Lächeln beglückt, macht sie in seinem Bericht zu einer Nachtigall. Tönen die Mißtöne der neronischen Heldin allzustark in’s Publicum hinein, so daß ihr Lob als Unverschämtheit erscheinen könnte, so trägt der Berichterstatter in einer andern Beziehung stark auf, hebt ihr Spiel hervor, lobt ihre Aussprache, preist ihren vollen Busen, steigt am Ende auch wohl noch tiefer hinab, indem er ihr holdes Füßchen rühmt, und siegt so trotz Allem und Allem. Und von welch’ schlagender Wirkung sind beim Pariser Journalisten nicht ein halbes Dutzend Freibillete, ihm vom Theaterdirector höchst eigenhändig adressirt! – Doch lüften wir den Schleier nicht weiter, wir könnten uns sonst am Ende noch hinter die Coulissen verlieren.
Die Concertreclame ist in Paris die erbärmlichste von allen. Eine grössere Lobhudelei kann gar nirgends vorkommen. Liest man die Pariser Musikzeitungen, so meint man, die Seinestadt müsse von musikalischen Berühmtheiten wimmeln. Dem ersten besten Tastenhämmerer, und wenn er bisher in der größten Obskurität gelebt, wird mindestens, wenn er leidlich bezahlt, das Adjectiv célèbre beigelegt. Wenn alle die Pianisten, Violinisten und Violoncellisten, Tenoristen, Bassisten und Baritonisten, die hier Concerte geben oder mit concertiren, berühmte Künstler, nur überhaupt Künstler wären, möchte ich wissen, wo die nichtberühmten stecken sollen, ja ob es überhaupt noch nichtberühmte giebt. –
Die Reclamenwuth ist unter den berühmten, d. h. allen Pariser Künstlern ordentlich grassirend; das Wort „Reklame“ macht den stolzesten Kunstjünger – und ist er der verwegensten Dandy's einer – lammsanft und aalgeschmeidig. Einem vornehmen Gönner macht der Pariser Sänger oder Pianist einen Katzenbuckel; vor dem Journalisten bückt er sich zur Erde. Geht ein solcher Allerweltskünstler gar mit dem großen Gedanken um, ein Concert geben zu wollen, dann wird der Journalist erst recht von ihm in den Himmel gehoben. Freilich ist dessen Feder ihm zur Lösung seiner Aufgabe ein mächtiger Hebel und das Zusammenbringen eines Concert-Auditoriums in Paris nicht das Werk eines Augenblicks, wie es denn des artistes célèbres genug giebt, die, nachdem sie sich drei Monate lang in Regen und Sonnenschein auf dem Pariser Straßenpflaster umhergetrieben, gleichwohl am Abende, wo ihr Concert die Welt in Staunen setzen soll, kaum ein Dutzend Menschenkinder zu ihren Zuhörern zählen.
Am einträglichsten für den Journalisten ist die Reclame der Erfindungen, da sie durchgehends von Solchen hervorgerufen wird, die das goldene Kalb anbeten und es bequem finden, gegen eine Anzahl Goldstücke ihr geistloses Haupt mit dem Nimbus zu umgeben, der irgend einem denkenden armen Teufel Jahre des Nachsinnenn gekostet. Wie viel scharfsinnige Erfinder kommen nicht aus Deutschland nach Paris und London herüber, die gezwungen sind, gegen einige hundert Franken oder Schillinge den mühsam und obscur erworbenen Ruhm auf einen reichen Explorateur zu übertragen!
Doch der geneigte Leser verzeihe, daß ich mich so lange bei Dingen aufhielt, die sich am Ende in jeder größern Stadt in Deutschland wiederholen. Als ob Paris in Hinsicht auf Reclame [747] nicht seine Besonderheiten, seine Specialsitten hätte! Namentlich ist Wien in dem bezahlten Lobhudeleigeschäft schon ziemlich weit vorgeschritten und einige der größern Zeitungen schämen sich gar nicht, bestimmte Preise für Reclamen über dem Redactionsstrich zu fordern.
Wenn der größere Theil des Pariser Publicums, um bekannt zu werden, zu Journalen seine Zuflucht nehmen muß, so sind diese ihrerseits gezwungen, einige tausend Quadratschuh Wand zu miethen und sich durch den Pinsel eines Malers dem Publicum vorzustellen. Das ruft die gemalte Mauerreclame in’s Leben. Doch nicht dem Journalismus allein steht dieser Riesenweg in die Öffentlichkeit offen – es kann ihn betreten, wem’s überhaupt auf einige tausend Franken nicht ankommt. Denn man glaube nur ja nicht, daß etwa der Eigenthümer einer solchen Wand die Malereien darauf als Dinge betrachtet, die seinem Hause zur Zierde gereichen könnten. Bewahre! wer sich weigert, für den Quadratschuh Raum den Satz von dessen ungedrucktem Tarife zu entrichten, kann seine Reclame anderwärts aufführen lassen.
Die vielen riesigen Intelligenzblätter, die in der Seinestadt in Gestalt von siebenstöckigen, buntschimmernden Mauerwänden in die Lüfte ragen, bilden ein eigenes – industrielles – Pariser Blaubuch. Examiniren wir davon das erste beste!
Hoch oben im letzten Plan erinnert ein Zahnarzt mit ellenlangen goldenen Lettern an die Gebrechlichkeit der menschlichen Kauwerkzeuge. Im zweiten Plan von oben findet ein Ehemann Stoff, Betrachtungen über das Wetterwendische der Launen seiner modesüchtigen Frau anzustellen; derselbe enthält ein riesiges Modebild mit der Unterschrift: „Modewaaren“. Daneben figurirt mit schwarzen Buchstaben auf rothem Grunde ein Spirituosenhändler, der das Problem gelöst hat, Liebhabern des materiellen Spiritualismus echten Jamaicarum zu 1 Fr. 50, ausgezeichneten Cognac zu 1 Fr. 20 die Flasche zu liefern – von Bordeauxwein zu 12 Sous der Liter gar nicht zu reden. Das dritte Drittel dieses Planes nimmt ein Parfumeriewaarenhändler ein, gewiß nicht der erste seines Zeichens, der da behauptet, sein Rosenwasser, sein Vinegar, seine Seife sei bisher noch von nichts Aehnlichem übertroffen worden und besitze ausschließlich die Kraft des Verjüngens. Unter Modewaaren-, Spirituosen- und Parfümeriewaarenhändler macht sich eine Gesellschaft breit, die es à tout prix auf das Wohl der Menschheit abgesehen hat, da sie ihr das Pfund Chocolade zu dem erstaunlich billigen Preise von 24 Sous pr. Pfund (hört! hört!) anbietet. Basis der Chocolade, Parfümieriewaaren, Spirituosen, Moden und Zahnausreißerei ist ein gewaltiges Unding von Anzeige, das von einem modernen Naturkünstler (gemeiniglich Photograph) ausgeht, und Schön und Häßlich einladet, sich gegen Erlegung von 1–20 Frcs. und darüber conterfeien zu lassen. Zum Fundament der ganzen riesigen Blattseite aber hat ein Holz- und Kohlenhändler Anlaß gegeben, dem’s mit seinen Brennmaterialien so gut um Hitze und Einheizen zu thun ist wie dem marchand de vins en gros.
Aber auch die unermüdliche, Alles verschlingende Presse ist an den Pariser Mauerwänden vertreten. Dieselbe klammert sich mit ihren Erzeugnissen jedoch nur an Orte an, denen der Wille des Eigenthümers nicht das Schreckenswort „Defense d’afficher“ aufgestempelt hat, dieselben müßten denn schon allgemein interessanten, d. h. politischen Inhalts sein, wie z. B. eine Rede des Kaisers.
Auf einem solchen Felde entwickelt sich der Drang nach Oeffentlichkeit in erstaunlich rascher Weise. Wer einige Groschen für den Truck von Anschlagzetteln zu verausgaben hat, läßt solche drucken und möglichst an die neuesten Häusermauern anschlagen. Berühmte Aerzte, die ein neues Mittel entdeckt haben, den Bandwurm zu tödten; liebenswürdige Insectenpulverfabrikanten, die sich rühmen, Millionen von blutdürstigen Flöhen und Schwaben (Wiener Ausdruck) das Lebenslicht ausgeblasen und dafür diverse Medaillen bezogen zu haben; uneigennützige Schuh- und Stiefelfabrikanten, denen es einzig darum zu thun ist, ihre Mitmenschen bei warmen Füßen zu erhalten, und die für ein Spottgeld von sechs Thalern sich von einem Paar ihrer „Glanzledernen“ oder „Wasserdichten“ trennen; talentvolle Pianisten, die am Hofe Sr. Majestät So-und-so unter der Last der ihnen gespendeten Lorbeerkränze die Auszehrung bekommen haben und vor ihrem Ableben noch das Pariser Publicum beglücken und entzücken wollen; humangesinnte Handschuhmacher, die es sich zur Pflicht gemacht haben, die fashionable Welt stets neue Handschuhe besitzen zu lassen; Allerwelts-Sprachlehrer, die zehn Sprachen „loshaben“ und die leichteren darunter, wie die deutsche z. B., in 25 Lectionen mit derselben Leichtigkeit beibringen, mit der ein Arzt seinen Patienten einen Löffel voll Medicin einnehmen läßt; – doch wir würden nicht enden, wollten wir die intelligenten Geister, welche sich die Verschönerungsgelüste des Pariser Stadtregiments in solcher Weise zu Nutze machen, nur alle beim Namen nennen.
Verliert die gedruckte Mauerreclame schon Etwas von der majestätischen Haltung und „dignité“ der gemalten, so ist dies in einem noch weit höhern Grade der Fall mit der Gassenreclame. Die an allen Ecken und Enden von buckligen und andern Individuen mit und ohne Uniform an die Vorübergehenden ausgetheilten gedruckten Flugblättchen bilden zusammengethan ein Werkchen, das interessante Blicke in das industrielle und überhaupt das öffentliche Leben der französischen Hauptstadt thun läßt, zugleich aber auch die Chronique scandaleuse der Pariser Concurrenz genannt zu werden verdient.
Das bei Weitem überwiegende Element in dieser Chronik bilden die Reclamen der Manufacturisten. Diese Herren ziehen mit einer Todesverachtung gegen einander zu Felde, vor der selbst der Heldenmuth eines Don Quixote in den Hintergrund tritt. In Prosa und in Versen fliegen ihre Wurfgeschosse in die Welt hinein. Um ihre Absicht zu erreichen, bedienen sie sich der abgeschmacktesten und lächerlichsten Mißgriffe. Unter den pompösesten Namen kündigen sie sich auf ihren Prospecten dem Publicum an. Zum Köder ist ihnen nichts zu gering. Der Leser urtheile!
Das Haus „zum guten Teufel“ sagt wörtlich: „Wir geben einen vollständigen Anzug dem, der beweist, daß ein einziger von unsern Artikeln anderwärts weniger kostet!“ – Weiter unten auf demselben Prospect steht: „Wir glauben unserer Kundschaft eine Gefälligkeit zu erweisen, wenn wir ihr ein Volkslied mit in den Kauf geben, das uns von einem unserer Clienten zugeschickt worden.“ Den Refrain in diesem Volksliede bildet natürlich die Aufforderung: „Kauft, kauft beim guten Teufel!“
Da seine Gesellschaft sich aufgelöst hat, so ladet das Haus „zu den Sultaninnen“ die Pariser Damen ein, aus einer Wohlfeilheit Nutzen zu ziehen, die bis Dato noch nicht dagewesen. 50 (sage fünfzig) Procent Rabatt!! Wegen der großen Hitze findet der Verkauf nur von elf Uhr Morgens bis sechs Uhr Abends statt! Wer zwischen den Zeilen zu lesen versieht, der lese!
In einem Geschäft der Chaussée d’Antin, wo 1/3 unter dem Einkaufspreise abgegeben wird, opfert man aus Liebe zum Publicum 150,000 Kaschmirshawls. Eine solche Opferbereitwilligkeit war selbst bei den alten Griechen und Römern nicht zu Hause.
Der uneigennützigste Mann von der Welt ist der Eigenthümer der „Indischen Ueberlandpost“. Nachdem er mit Fettschrift erklärt hat, daß sein Geschäft das einzige in Paris, welches indische Taschentücher verkaufe, wird er sogar erbötig, jeden Artikel, der aufgehört hat, zu gefallen, ohne Widerrede gegen einen andern wieder einzutauschen.
Schnürleibchen waren von jeher den Aerzten ein Dorn im Auge. Warum nicht gar! Madame Martin bietet den Damen Corsets, die gar keine Naht haben, nicht den mindesten Druck üben und (hört! hört!) den Namen der Kaiserin an der Stirn tragen. Was will man mehr!
In zweiter Linie machen sich die kleinern Restaurants breit. Tag aus, Tag ein regnet es in den Hauptstraßen von Paris, wo man geht und steht, Restaurant-Reclamen, vorzüglich aber in der Stunde, welche der Essenszeit vorhergeht; dann ist es aber auch eine wahre Sündfluth. Die Besitzer der „Petit Rocher de Cancale“ und anderer ähnlicher, zur Sättigung der Hungrigen beitragenden Eßanstalten versprechen ihren Gästen goldene Berge. Ein Mittagsessen zu 1 Fr. 75 Cent. (14 Silbergroschen) z. B. besteht aus einem Teller voll Suppe, einer Portion Rindfleisch, einem Zugericht, einem Gericht Gemüse, einer Portion Braten, einem Teller voll Salat, einer halben Flasche Wein und Brod nach Belieben. Ein armer Teufel, der sich durch den niedern Satz verleiten läßt, hinzugehen, verlangt und erhält auch der Reihe nach das auf der Reclame Verheißene. Aber in was für einem Zustande? Die Suppe – nicht versalzen, aber ohne Saft und Kraft – das Fleisch dürftig, trocken, kurz fabelhaft erschöpft – den Wein – um Gotteswillen, erlassen Sie mir die Analyse – –
Mein Hals, der stets ein Weincanal,
Verwandelt sich zu meiner Qual
In eine Wasserleitung!
[748] kann der bedauernswerthe Gast allenfalls ausrufen, vorausgesetzt, daß er je in der Lage gewesen, wirklichen Wein zu trinken. Dazu kommt noch die unglaubliche Raffinirtheit des Küchenpersonals, welches in seinem verborgenen Schacht mit einer solchen Liebe zur Oekonomie zu wirthschaften versteht, daß z. B. gar nicht selten ein Beefsteak an einer Fischsauce statt an seinem jus naturel auf den Tisch gelangt, und umgekehrt. Alles dieses bezieht sich jedoch nur auf die Restaurants untergeordneten Ranges.
Damit gelangen wir an das Heer der sonstigen Gassenreclamen. Hier preist ein Freund der Philanthropie dem Publicum seinen „nordischen Gesundheitstrank“ an. Nektar ist Wasser dagegen! Das sehr angenehme Getränk, welches – cela va sans dire – das Blut reinigt und den Magen „stärkt“, bildet einen Uebergang vom Wein zu den Liqueuren und kann in übergroßen Quantitäten getrunken werden, ohne nur im Mindesten zu schaden. Deshalb schmeckt das billige Getränk auch Jedermann vortrefflich; ja, die Damen können sich gar nicht satt daran trinken!
„Herbei! herbei!“ schreit dort Herr Billardins. „Großer Wettkampf auf dem Billard zwischen mir und dem. Partie en 3000 points!“ Unten steht: „Dies Kaffeehaus ist das größte in ganz Frankreich. Für 2 Franken frühstückt man darin. Speisen und Getränke von bester Qualität!“ –
„Keine Copirpressen, keine Ballen für Stempel und Petschafte mehr!“ ruft ein glücklicher Erfinder aus. „Ein neues chemisches Verfahren ersetzt sie auf vortheilhafte Weise. Unentbehrlich zu Duplicaten und Correspondenz! Unschätzbar auf Reisen! Nur ein Brief wird geschrieben, und zehn Briefe entstehen. In der ganzen civilisirten Welt patentirt. Jede Contrefaçon wird auf’s Strengste geahndet.“ – „Kauft Pressen, Copirpressen, große, mittelgroße, kleine!“ protestirt ein Erfinder älteren Datums. „Die ganze intelligente Kaufmannswelt versieht sich damit. Noch nie hat eine Erfindung in so kurzer Zeit so große Anerkennung gefunden“ etc.
„Ich!!!“ ruft ein bescheidener Adept Hans Sachsens des Schusters in die Welt hinein. „Ich!!! bin einzig in meiner Art in der ganzen Capitale. Durch übermenschliche Anstrengungen bin ich in den Stand gesetzt, mich zum Absatz meiner tadellos gefertigten Waaren keines Zwischenhändlers mehr bedienen zu müssen. Deshalb grenzenlose Billigkeit bei außerordentlicher etc.“ – 140,000 Paar Schuhe für Männer, Weiber und Kinder bietet ein anderer ähnlicher Kunstjünger dem Publicum an. Rabatt 30 Procent, 40 Procent! Auf zwanzig, dreißig andern Prospekten ist accurat dasselbe zu lesen. Wir gehen daher weiter zur Negerreclame.
Nicht zufrieden damit, für seine Privatzwecke Kunst und Industrie auszubeuten, muß der Pariser Industrielle hie und da auch noch den physischen Racenunterschied benutzen, um an sein Ziel zu gelangen. Kostet ihm auch der Unterhalt eines solchen schwarzen Wüstenkindes einige tausend Francs pr. Jahr– was thut’s? das gute Publicum muß es ja bezahlen.
Erst vor einigen Tagen noch sah ich, wie weit die Reclamenwuth der Pariser sich versteigen kann. Indem ich eine der lebhaftesten Straßen der Hauptstadt betrat, wälzte sich mir ein Menschenstrom entgegen, der zum Mindesten eine Regimentsmusik zu begleiten schien. Was war’s? Ein kleiner Neger, der, ein ihm jocharlig übergehängtes buntbemaltes Doppelschild auf Brust und Rücken tragend, gemüthlich seine Sprünge machte und der neugierigen Menge kundthat, daß sein Herr die echtesten indischen Strohhüte in ganz Paris verkaufe. Nicht so ostensibel in Anspruch genommen wird der thürstehende Neger. Hier liegt auch ein eventuell vernünftiger Zweck vor. Dem thürstehenden Neger verdankt das aristokratische Publicum, daß es in einen der prachtvollen Läden der Rue Vivienne, Rue Richelieu u. a. hineinspazieren kann, ohne genöthigt zu sein, auf Augenblicke seinem persönlichen Gleichgewicht zu entsagen, was bei 20 Grad Kälte allerdings sein Angenehmes hat. Will ein Fremder einen solchen Laden betreten, so mag er sich wundern, daß ihm die Thüre vor der Nase aufgeht, als ob er sie aufgeblasen hätte; den dastehenden Neger als lebendige schwarze Reclame gelten zu lassen, wird ihm jedoch schwerlich einfallen. Und doch ist für den in Pacht genommenen Thürsteher kein Ausdruck bezeichnender und logischer.
Vorzugsweise bei Restaurateuren und Friseuren, Parfumeuren und Rotisseuren wird die Fensterreclame ausgehängt, die jedoch im weitem Sinne in jedem Erdreich wuchert. Wo nur ein freies Plätzchen für ihren Autor nutzenbringend werden kann, ist es gewiß bald von ihr in Beschlag genommen. Daß Herr N. N. Unterricht in der englischen Sprache giebt, kann man z. B. in der Boutique einer Weißwäscherin lesen. In einem Tabaksladen lesen wir, daß Don Rodrigo Fechtstunden ertheilt, und daß Mousieur Pas als Tanzlehrer seinen Lebensunterhalt verdient, erfahren wir in der rußigen Höhle eines Kohlenhändlers und Wasserträgers. Das Sprüchwort sagt ja: Practica est multiplex; wir haben ehemalige Universitäts-Professoren mit ihren Fensterreclamen sich gemüthlich bei Victualienhändlerinnen und Milch- und Kaffeewirthinnen einnisten sehen!
Mit Einem Schlage viele Fliegen zu fangen, dazu ist die Reclame durch den Unfall aus Absicht da. Das Geheimniß derselben besteht factisch in Folgendem.
Man geht zu einem Buchdrucker, läßt sich einige hundert Adressen mit fetter Schrift drucken, klebt solche je auf ein Päckchen Waare oder in Ermangelung solcher auf beschwerte Papierröllchen, schüttet den ganzen Vorrath in eine lose zusammengenagelte Kiste, belastet mit dieser seinen Hausknecht oder ein zweirädriges Handkärrchen und instruirt Erstern genau, wie er sich zu verhalten habe. Der trabt dann als Last- oder Zugthier fort, sieht sich eine Straße aus, wo recht viel Lärmen, also Neugierde zu Hause ist, – in Paris gar nichts Seltenes! – und stößt nun mit seiner Last wie von ungefähr gegen eine Mauer oder rennt damit gegen ein Fuhrwerk, bis plötzlich die Geschichte losgeht, die losen Breter nach rechts und links auseinanderfliegen und der ganze Inhalt auf’s Pflaster rollt. Macht dann der Hausknecht noch eine recht verlegene Miene dazu und läßt die Päckchen ja recht lange liegen, damit alle Umstehenden sich die Adresse merken können, so ist die List gelungen, und es kann wieder von vorn angefangen werden.
Haben gewisse Charlatane vor, zu „arbeiten“, wie sie sich selbst ausdrücken, so bedienen sie sich der oratorischen und mimischen Reclame. Für diese Sorte haben wir bereits (Gartenlaube Nr. 23 dieses Jahrg.) das glänzendste Beispiel in dem Bleististhändler Mengin unsern Lesern vorgeführt. Was ließen sich sonst nicht noch für Reclamen anführen! – die der Wasserträger, Kesselflicker, Kleidertrödler z. B. – Aber zu weit gehen hieße am Ende den in den meisten Fällen die Reclame hassenden Pariser selbst für eine Reclame erklären. Und davor bewahre uns der Himmel!
Unter Fremden.
Der nächste Morgen schien so hell und sonnig in Lucy’s Zimmer, als sei er nur gekommen, um den Rest der gedrückten Stimmung in des Mädchens Seele zu zerstreuen; Flora trat wieder mit einem so gewöhnlichen Gesichte ein, daß jene unwillkürlich eine Betrachtung über die Leichtigkeit, mit welcher die Farbigen ihre schmerzlichen Eindrücke zu überkommen scheinen, anstellte, und nach beendigtem Frühstücke ließ Lucy die Kinder unter der Obhut der Mulattin, um in einem kurzen Gange durch die frische Morgenluft sich den Geist wieder völlig klar und frei zu schaffen. Sie hatte den Weg nach der großen Straße, auf welcher sie früher angekommen war, genommen, hatte diese ein Stück verfolgt und sich eben wieder umgewandt, um den Rückweg anzutreten, als sie unweit von sich, auf einer einmündenden Seitenstraße, einen mit Gemüse beladenen Wagen heranrollen sah, auf dessen Vordersitze sie ihren Landsmann und kürzlichen Besucher erkannte. Lächelnd blieb sie stehen, um sein Herankommen zu erwarten; der Gemüsehändler aber schien sie kaum bemerkt zu haben, als er plötzlich sein Pferd zu langsamerem Schritte anhielt, sich mit der Hand unter die Kopfbedeckung fuhr [749] und, ohne einen Blick nach dem Mädchen zu werfen, sichtlich mit einem Entschlusse zu kämpfen schien – dann aber ebenso plötzlich die Peitsche brauchte, als wollte er die kurze Zögerung wieder einbringen, und bald neben der Wartenden anhielt.
„Sie scheinen schon früh auf den Füßen gewesen zu sein!“ rief Lucy, welche sich über die eigenthümlichen Bewegungen des Mannes kaum einen Gedanken gemacht, und mit einem: „Man muß ja wohl!“ sprang dieser vom Wagen.
„’s ist mir eigentlich ganz lieb, daß ich Sie treffe, Miß,“ fuhr er fort, während sein Blick, dem Auge des Mädchens ausweichend, irgend einen Gegenstand in der Entfernung zu betrachten schien. „Sie sind eine Deutsche, auf der ein Landsmann nichts sitzen lassen sollte, und meine Frau hat Sie viel zu lieb, als daß ich nicht gegen Sie gerade heraus reden müßte!“ Er machte eine Pause, als wisse er nicht sogleich, wie fortzufahren; Lucy aber hatte bei der sonderbaren Begrüßung zuerst in leichter Verwunderung den Kopf gehoben, dann indessen, wie in einer plötzlich erwachten Ahnung, groß und erwartend die Augen geöffnet.
„Sie haben mir etwas zu sagen, Mr. Reinert!“ sprach sie, sich fast hörbar zu einem ruhigen Tone zwingend, „bitte, sprechen Sie ohne jeden Umschweif, was ist es? “
„Nun ja, ich muß es auch,“ erwiderte er, Lucy’s Blick von Neuem vermeidend, „ich glaube nicht dran, aber es ist Ihret- und unsertwegen, wir sind doch alle Deutsche, die sich schon straff genug gegen die Amerikaner halten müssen. Also ich war soeben auf der Farm, gerade hier hinüber, um Kraut zu holen, und der Amerikaner, Brown heißt er, hatte, während ich auflud, ein Gespräch mit seiner Frau, in das ich gern selber ein gehöriges Wort gegeben hätte, wenn ich nur gleich gewußt hätte, wie. Es war die Rede von Ihnen, ich konnt’ es mit den Händen greifen. Der Major in dem Hause, wo Sie jetzt sind, habe Sie nur kommen lassen, hieß es, um – nun gerade heraus, um eine neue Liebste zu haben, er wolle durchaus nicht mehr heirathen, und Sie stünden schon so gut mit ihm, daß seine Schwester dort kein Wort mehr im Hause zu sagen habe. – Nun, ich mußte an die sonderbaren Augen der alten Lady denken, als ich Sie vorgestern besuchte,“ fuhr er mit einem halb scheuen Blick in Lucy’s Gesicht fort, „sonst wäre ich doch richtig deutsch losgefahren, und dann sagte auch der Amerikaner noch, der Major wäre wegen dergleichen Geschichten bekannt, und die Frau thue am besten, nicht wieder nach seinem Hause zu gehen –“ er hielt inne, wie erschrocken vor der Todtenbleiche, welche sich über des Mädchens Züge ergossen. „Ich wußte ja wohl, daß so etwas nicht sein könne,“ fuhr er rasch fort, „aber ich konnte doch eben nichts Anderes thun, als es Ihnen sagen, da ich Sie gerade traf –“
„Warten Sie,“ unterbrach ihn Lucy, als ob die innere Aufregung ihre Stimme lähme, und legte mit einem eigenthümlich starren Blick ihre Hand an seinen Arm, „wo ist der Mann, der Worte in dem Sinne, welchen Sie eben angedeutet, ausgesprochen?“
„Ich sage Ihnen ja, gleich hier drüben auf der Farm, nicht eine Viertelmeile weit; aber,“ setzte er eifrig hinzu, „ich glaube kein Wort davon, verlassen Sie sich darauf!“
„Und wollen Sie mit mir gehen,“ fuhr das Mädchen fort, „und vor demselben Manne bezeugen, was Sie gehört?“
Eine gänzliche Veränderung fand plötzlich in Reinert’s Haltung statt. Sein Kopf hob sich, seine Augen blitzten auf und wandten sich fest der vor ihm Stehenden zu, eine Art freudiger Genugthuung schien in seinem Gesichte aufzusteigen. „Sie – Sie wollen ihm selbst auf den Leib rücken? Hier bin ich, Miß!“ rief er, „jedes Wort bis aufs Pünktchen will ich ihm unter die Nase halten; das ist der Weg – ich wußte ja wohl, wie es stand!“
„So kommen Sie!“ entgegnete sie energisch, während ihre bleichen Züge eine Art steinernen Ausdrucks annahmen, und bog rasch in die Straße ein, auf welcher der Gemüsehändler herangekommen.
„Wollen Sie nicht lieber aufsitzen, Miß?“ rief ihr dieser nach, aber nur ein kurzes Kopfschütteln antwortete ihm, und mit einem Nicken voll sichtlicher Befriedigung ließ er das Pferd den Wagen drehen und trieb es an ihre Seite.
Wortlos, starr vor sich in’s Weite blickend, schritt Lucy raschen Schritts dahin, bis nach kurzer Zeit das Wohnhaus der angedeuteten Besitzung vor ihnen auftauchte. Zu ihr war es so klarer, schrecklicher Tag geworden, daß sie vor seiner blendenden Helle nur das nächste Eine erkennen konnte: der volle Ruin ihrer Ehre war es, durch den ihre Gegnerinnen sie hinwegzutreiben gedachten, und die Blicke der Gesellschaft, welche sie sich zwei Tage zuvor nicht hatte erklären können, zeigten sich jetzt in der einfachsten, fürchterlichsten Deutung; in einer Art von Verzweiflung aber strebte sie jetzt nur danach, sich selbst zu überführen, wie weit der Plan ihrer Feinde gelungen. Nicht mit einer der Frauen, welche sie damals gesehen, hätte sie deshalb verkehren mögen – „ich hasse die Frauen!“ tönten ihr des Majors frühere Worte im Ohre, und fast war es ihr, als wäre es nur ein Klang aus ihrer eigenen Seele; aber der Deutsche hatte von einem Manne gesprochen, und dieser war gezwungen, ihr für die gefallenen Worte Rede zu stehen.
„Dort ist der Gentleman!“ hörte sie ihres Begleiters Stimme, als sie kaum die Nähe des Hauses erreicht hatten, und rasch aufsehend erblickte sie den noch jungen Besitzer, welcher einige neu gepflanzte Bäume zu besichtigen schien, bei dem Geräusch des herankommenden Wagens aber den Kopf nach den Ankommenden gehoben hatte.
Lucy ließ einen einzigen forschenden Blick über das Aeußere des Mannes gleiten und schritt dann, während der Gemüsehändler die Zügel kurz an den Wagen schlang und ihr folgte, hochaufgerichtet dem Dastehenden entgegen.
„Ich bin die Erzieherin der Kinder des Major Wood, Sir,“ sagte sie, den Blick fest in das überraschte Auge des Angeredeten heftend, „ein Mädchen, das allein steht, das mit dem, was sie gelernt, bestrebt ist, sich eine ehrenhafte Existenz zu schaffen, das Niemand hat, um für ihren guten Namen einzustehen, als sich selbst – und ich möchte Sie fragen, Sir, was Sie von einem mich entehrenden Gerüchte wissen, das Sie vor Kurzem in einem von Ihnen geführten Gespräche erwähnt, dem es dieser Mann hier entnommen. Ich bitte Sie von Grund meines Herzens, mir nichts vorzuenthalten, Sir, sich in die Seele einer Schwester hineinzudenken, wenn diese das Unglück haben sollte, in meinem Verhältnisse unter Fremden zu stehen –“ sie hielt inne, da sie ihre Stimme brechen fühlte, sie rang gewaltsam nach Fassung, aber sie konnte es nicht hindern, daß zwei große, schwere Thränen aus ihren Augen drangen.
„Ich bitte Sie doch herzlich, Miß – ich weiß kaum, wovon Sie reden!“ erwiderte der Amerikaner, sichtlich mit einer ihn überraschenden Verlegenheit kämpfend und dabei einen unwilligen Blick nach dem herangetretenen Gemüsehändler werfend; dieser aber schien nur hierauf gewartet zu haben.
„Aber ich weiß, wovon gesprochen Worten ist, Sir!“ rief er, den Kopf trotzig hebend, „dies hier ist meine Landsmännin, die ich nicht erst von heute kenne, und eine so achtbare Lady, als es nur eine hier geben mag; wahrscheinlich würden Sie auch nicht geschwiegen haben, wenn von einer Ihrer Bekannten das gesagt worden wäre, was ich vor kaum einer halben Stunde hier anzuhören hatte.“
„Nun wohl, Miß,“ entgegnete der Erstere, wie zu einem Entschlusse kommend, „was ich ausgesprochen, ist weder meine Erfindung, noch etwas Anderes, als was seit kurzer Zeit in der ganzen Nachbarschaft cursirt. Wenn Ihnen Unrecht damit geschieht, was ich nach der Art Ihres Auftretens fast vermuthe, so mögen Sie die Duelle in des Majors Wood eigenem Hause suchen. Aber treten Sie mit in’s Zimmer, damit wir nicht unberufene Zuhörer erhalten!“ schloß er, sich besorgt umblickend.
„Es ist genug, Sir, mehr als genug!“ preßte Lucy hervor und wandte sich ohne Abschiedswort wieder der Straße zu, als könne sie ihre hervorbrechenden Empfindungen nicht mehr verbergen; Reinert aber sah einen Augenblick wie unschlüssig erst finster den Amerikaner an, dann dem davongehenden Mädchen nach, ergriff endlich mit einem unverständlichen Kraftworte die Zügel und wandte hastig den Wagen, um das Pferd der Voraneilenden nachzutreiben.
„Ich habe mir doch fast etwas gedacht, als ich hörte, daß Sie unter die Amerikaner gingen!“ sagte er, als er die Letztere eingeholt, augenscheinlich aber nur um etwas zu sprechen; Lucy indessen hörte nicht einmal die Worte; in ihr klang es: „was in der ganzen Nachbarschaft cursirt – seine Liebste!“ daß es ihr wurde, als müsse sie wahnsinnig davon werden. War es nicht die Wiederholung derselben Geschichte, die Mary zu Grunde gerichtet? Und dahin also deuteten die Worte der Wirthschafterin! Die Bilder ihres letzten Traumes tauchten vor ihr auf – daß Gartenhaus stand leer, und ihr fehlte nach ihrer jetzigen Stimmung kaum mehr viel, um davon Besitz nehmen zu können. Eine peinliche, [750] halb abergläubische Angst ergriff sie; fort, nur fort aus der Nähe dieses Ortes! drängte es in ihr; sie fühlte es nicht, daß sie von dem scharfen Schritte, welchen sie angenommen, fast außer Athem war, und als sie an die Hauptstraße gelangte, wo sie vorher den Gemüsehändler erwartet, wäre sie, ohne sich nur ihrer Umgebungen bewußt zu werden, wohl in der Richtung nach der Stadt weiter geeilt, hätte sie nicht Reinert durch einen lauten Zuruf zum Aufsehen gebracht. „Wollen Sie noch weiter mit mir gehen und der ganzen Gesellschaft hier den Rücken zeigen, so sind Sie bei uns von Herzen willkommen, Miß,“ setzte dieser hinzu, „was Sie hier haben mögen, finden Sie wohl an zehn andern Orten. Dann aber, denke ich, nehmen wir gleich Ihr Gepäck mit, es erspart einen zweiten Weg!“
Lucy stand, sich mit voller Kraft sammelnd, und warf einen Blick nach ihrer bisherigen Heimath, wo die Kinder auf sie warteten und Flora wohl vergebens sie zu beruhigen strebte – und dann einen Blick in der Richtung nach der Stadt, die für sie kaum besser war als das weite unbekannte Meer; aber sie wußte, daß sie an der Grenze ihrer bisherigen Wirksamkeit stand, daß es das erste Gebot ihrer Ehre, gegen welche keine andere Rücksicht aufkommen konnte, war, das Haus vor ihr nur noch einmal zu betreten, um es zu verlassen, und sie konnte nur noch mit sich in Zweifel sein, auf welche Art dies Letztere geschehen sollte.
„Wenn Sie und Ihre Frau mir für eine kurze Zeit Schutz und Aufnahme gewähren wollen, Mr. Reinert, so werde ich schnell meine Sachen zusammenpacken und mit Ihnen gehen!“ sagte sie langsam; „ich habe noch so viel Mittel, um Ihnen nicht zur Last fallen zu müssen –“
„Heiliges –! lassen Sie mich nicht fluchen, Miß, was kümmern mich denn Ihre Mittel!“ fuhr Reinert in gutmüthigem Aerger auf, „können wir Ihnen denn nicht einmal einen Gefallen thun, wenn wir auch nicht zu den feinen Leuten gehören? Im Uebrigen ist es mir ein wahres Vergnügen, daß die Geschichte gleich einschlägt, wie sie soll, und sie werden jetzt hier herum wissen, wie sie mit den Deutschen d’ran sind. Nur los jetzt und packen Sie ruhig zusammen, ich kann mir Zeit nehmen zum Warten!“
Der kurze Weg nach Wood’s Hause ward eingeschlagen; je näher Lucy diesem aber kam, je mehr drängten sich neue Bilder zwischen sie und die angethane Schmach. Sie sah den Major, wie er heimkehrend ihre schnelle Entfernung erfahren, wie er in der unangenehmen Ueberraschung ihre Gründe kaum voll genug würdigen werde – sie mußte ihm einige Zeilen hinterlassen, doch kaum wußte sie noch, wie in wenige Worte das zu legen, was sie hinwegtrieb, trotzdem alle Fasern ihrer Seele sich hier hätten anklammern mögen. Dann traten die Kinder vor ihren Blick – sie durften nichts von ihrem Entschlusse erfahren, sie wären mit ihren schwachen Händen allein im Stande gewesen, ihre Stärke zu brechen – da hielt der Wagen vor der Einzäunung des Rasenplatzes, und Reinert rief halblaut: „Nun in Gottes Namen, Miß, und vergessen Sie nicht, wenn Ihnen etwas in den Weg kommen sollte, daß ich hier halte und bei Ihnen sein kann, sobald Sie nur wollen!“
Lucy wandte sich rasch dem Hause zu und stieg nach ihrem Zimmer hinauf, wo ihr bereits der Lärm der Kinder entgegenklang. „Da ist Miß Lucy!“ hörte sie beim Eintreten Flora’s Stimme, und im nächsten Augenblicke fühlte sie auch schon ihre Hände und ihr Kleid unter den verschiedensten Ausrufungen gefaßt. Sie bog sich herab, küßte unter mühsam zurückgehaltenen Empfindungen jeden ihr zustrebenden kleinen Mund und sandte die Kinder dann mit der Mahnung in’s Freie, auf den ersten Ruf wieder zurück zu sein. – „Ich gehe weg, Flora,“ wandte sie sich nach einer kurzen Pause, die zu ihrer Fassung nöthig gewesen, an die Mulattin, „räumen Sie die Kasten aus, in zehn Minuten muß mein Koffer gepackt sein – je rascher Sie sind, je mehr werde ich Ihnen erkenntlich sein!“ Die Mulattin aber sah sie mit groß aufgerissenen Augen an, und als sich das Mädchen nach dem Schreibtische wandte, schlug sie die Hände mit einem: „O, du mein Gott, auch das noch!“ zusammen. „Aber ich hab’ es doch gewußt,“ fuhr sie wie im ausbrechenden Jammer fort, „wo die Teufel sind, kann ein Engel nicht bleiben! Was wird der Major sagen!“ Dann indessen, wie sich zusammenraffend, mit wunderlich zuckendem Gesichte, riß sie Lucy’s Koffer aus einer Ecke hervor, öffnete die Kommode und begann unter Kopfschütteln und halblaut gemurmelten Ausrufungen die ihr befohlene Arbeit.
Unterdessen hatte Lucy, ohne den bei ihrem Morgenspaziergange gebrauchten Hut abzulegen, sich zum Schreiben gesetzt und begann nach einem kurzen, nachdenklichen Blicke durch das Fenster, während dessen die Erregung in allen ihren Mienen zitterte:
- „Sir! Es giebt Lagen, welche selbst die heiligsten Vorsätze, die freudigste Bereitwilligkeit, für das Glück Anderer jede Selbstgenugthuung zu opfern, sowie die eigenen Herzensbedürfnisse machtlos machen können – und in einer solchen befinde ich mich augenblicklich. Ich muß Ihr Haus verlassen, ohne im Stande zu sein, Ihre Rückkehr abzuwarten und mich gegen Sie zu rechtfertigen; ich thue es mit blutendem Herzen, aber ich kann nicht anders. Wenden Sie sich an Ihren Nachbar, Mr. Brown, er wird Ihnen bessern Aufschluß über das, was mich forttreibt, zu geben vermögen, als ich es thun könnte. Ich wiederhole es noch einmal, ich gehe mit blutendem Herzen, ich hätte mit jedem Opfer das auf mich gesetzte Vertrauen verdienen mögen, nur nicht mit dem meiner Ehre. Die mir übergebene Banknote schließe ich wieder bei, da ich ihrer zu meiner augenblicklichen Existenz nicht bedarf, ohne damit indessen einer vollen Anerkennung der Freundlichkeit, welche mir Ihrerseits während meiner Anwesenheit in Ihrem Hause geworden, Eintrag thun zu wollen. Gestatten Sie, daß ich mich nenne Ihre dankbare
- Lucy Hast.“
Sie überlas nochmals bedächtig das Geschriebene, schloß es mit der erwähnten Banknote in ein Couvert, das sie in festen Zügen mit der Adresse versah, und trat dann zu Flora, die letzte Hand an das Packen ihrer Habseligkeiten legen. „O, der einzige Stern im Hause sinkt unter, wenn Sie gehen, Miß,“ sagte die Mulattin, „aber dann wird der Master wenigstens merken, wen er an die Spitze seinen Hauses gesetzt – mein Kind war nur von schwarzem Blute und konnte nicht gegen das weiße aufkommen – aber jetzt –! O ich gönne es ihnen und ich werde es noch erleben, was dem alten Herzen wohlthut!“ Und als der Koffer geschlossen war, sprang sie lebendig davon, um einen Neger zum Hinabschaffen desselben herbeizuholen.
Lucy hatte der alten Dienerin den Brief zur Besorgung übergeben, die Kinder unter ihre sorgsame Obhut bis zur Zurückkunft des Majors empfohlen und ihr Gepäck auf den Wagen des eifrig zugreifenden Gemüsehändlers laden lassen. Zu ihrer Erleichterung war sie der Kinder nicht wieder ansichtig geworden und die Einladung ihres deutschen Freundes, den Sitz neben ihm einzunehmen, ausschlagend, wanderte sie rasch neben dem Fuhrwerke der Stadt zu. Nur eine kurze Zeit war sie in ihrer bisherigen Stellung gewesen, aber fast war es ihr, als müsse sie damit einer ganzen Lebenshoffnung Lebewohl sagen. Immer und immer wieder stieg das Gesicht des Majors in den verschiedenen Ausdrucksweisen, in welchen sie es hatte kennen lernen, vor ihr auf, und sie meinte schon seine Miene zu sehen, mit welcher er ihren Brief empfangen würde – ein Schmerz ging bei der letzten Vorstellung durch ihr Inneres, den sie sich selbst kaum erklären konnte, bis sie endlich an die Kinder dachte, die jetzt wieder ohne Freundin, ohne Mutter dastanden, und sie meinte nun ihre lebendigen Empfindungen zu verstehen.
Auf seinem Wagen saß der Gemüsehändler, sorgsam den Schritt seines Pferdes nach dem des Mädchens regelnd und immer wieder einen still beobachtenden Blick in ihr Gesicht werfend. Einige Male bereits schien er zum Sprechen anzusetzen, aber die Worte stets wieder zu verschlucken, bis die ausgedehnte Häusermasse der Stadt am Horizonte sichtbar ward. „Sehen Sie einmal dorthin, Miß,“ rief er, „dort wohnen mehr als hunderttausend Menschen, die alle ihren Lebensunterhalt finden, jeder in seiner Art, fein und grob; und es giebt Wenige, die nicht lustig sein könnten, Jeder in seiner Manier, wenn sie sich nicht selbst das Leben trübe machen also lassen Sie das Sinnen und Kopfhängen; was da hinter Ihnen liegt, ist abgethan, und nun frisch los auf’s Zukünftige. Was es werden soll, wird sich schon finden, und wenn Sie Eins thun wollen, so nehmen Sie sich das nächste Mal vor den Amerikanern in Acht!“
Lucy, aus ihren Gedanken gerissen, konnte nur einen freundlichen Blick nach ihrem Tröster hinauf werfen; an ihre Zukunft hatte sie noch kaum selbst gedacht, aber Eins fiel beruhigend in ihre Seele: die Stadt war groß, und mit ihren Kenntnissen durfte [751] sie wohl bald auf die Erlangung einer neuen, ihrer würdigen Lebensstellung hoffen. –
Es war am späten Nachmittag. Lucy war von der Wirthin des Hauses, dem ihr Beschützer sie zugeführt, mit einer Herzlichkeit aufgenommen worden, die ihr in ihrer augenblicklich ungewissen Lage doppelt wohl that, und die Erzählung des Gemüsehändlers von der Weise, mit welcher sie dem „Amerikaner“ ihre Stellung klar gemacht, war sichtlich nur dazu geschaffen, die Achtung der Frau vor ihr zu erhöhen. Beide schienen, einzelnen Aeußerungen nach, sie vor Allem die übele Aufnahme, welche sie bei ihrem ersten Eintritt in die Stadt gefunden, vergessen machen zu wollen. Es war ihr ein Zimmer zu ebener Erde, neben dem Wohnzimmer des jungen Ehepaars eingeräumt worden, und als endlich die mannigfachen Erkundigungen und Theilnahmsbezeigungen ihr Ende gefunden, hatte sich Lucy dahin zurückgezogen, sich in den Schaukelstuhl geworfen und überdachte, in den umzogenen Himmel vor ihrem Fenster blickend, ihre Lage und die nächsten für sie nothwendig werdenden Schritte.
Da klang ein Ton in dem anstoßenden Wohnzimmer, der wie elektrisch alle ihre Nerven berührte und sie aus ihrer bequemen Stellung aufschnellen ließ. Steif und mit angehaltenem Athem, alle Sinne in ihrem Ohre vereinigend, lauschte sie.
„Ich möchte Sie fragen, Sir,“ klang eine tiefe, sonore Stimme, und das war keine andere als die des Majors Wood – Lucy hätte nur eine Sylbe zu hören brauchen, um sie zu erkennen! – „ob Sie mir nicht sagen können, wohin sich die junge Dame gewandt, welche unter Ihrem Schutze mein Haus verlassen hat. Es ist mir von äußerster Wichtigkeit, sie noch einmal zu sprechen, und es liegt auch vielleicht in ihrem eigenen Interesse.“
„Mag wohl sein, Sir, daß es Ihnen von Wichtigkeit ist,“ ließ sich Reinert hören, „aber ich kann mir nicht denken, daß die Miß so schnell Ihr Haus geräumt und Sie in Unwissenheit über ihren Aufenthalt gelassen haben würde, wenn sie überhaupt noch Jemand aus Ihrer Gegend sprechen wollte. Ich denke, Sir, Sie lassen sie, wo sie ist, und machen ihr nicht mit Ihrer Anwesenheit neue Unannehmlichkeiten; sie hat deren schon genug gehabt, nur was ich mit angesehen –“
„Ich weiß es, Sir, wenn ich auch vor kaum einer Stunde erst davon in Kenntniß gesetzt wurde,“ folgte die drängende Antwort, „und ich bin nur gekommen, um ihr eine volle Genugthuung zu bieten. Seien Sie so freundlich, mir ihre Adresse anzugeben, und glauben Sie, daß Sie damit nur in Miß Hast’s Vortheile handeln.“
„Ich denke doch, wir lassen sie allein, Sir,“ erwiderte der Gemüsehändler in unzerstörbarer Ruhe, „ich habe genug gesehen, um zu wissen, um was es sich handelt, und glaube nicht, daß ihr mit neuen Auseinandersetzungen ein Gefalle geschehen kann.“
„Aber, Mann, Sie wollen doch nicht die Verantwortlichkeit auf sich nehmen, in eines Menschen Schicksal einzugreifen, wenn Ihnen gesagt wird, daß ein kurzes Gespräch von der höchsten Wichtigkeit ist?“ hörte Lucy des Majors fast leidenschaftliche Erwiderung, und sie wartete die Antwort ihres Landsmanns nicht ab. Mit einem ihr ganzes Innere durchlaufenden Beben, als stände sie vor der Entscheidung ihres Schicksals, erhob sie sich rasch und öffnete die Thür.
„Ich werde den Gentleman sprechen, Mr. Reinert,“ sagte sie, „er hat vielleicht das Recht, eine bestimmtere Erklärung, als ich sie zurücklassen konnte, von mir zu fordern. Uebrigens,“ setzte sie hinzu, ihrem etwas verdrießlich dreinschauenden Wirth die Hand reichend, „danke ich Ihnen herzlich für Ihre wohlgemeinte Sorge!“
Der Angeredete zuckte die Achseln. „Sie haben Ihren freien Willen, Miß, und ich werde Sie allein lassen,“ sagte er deutsch, sich nach der Thür wendend; „denken Sie aber nur daran, was mit den Amerikanern bis jetzt für Sie herausgekommen ist!“
Wood war bei ihrem Eintritt überrascht einen halben Schritt zurückgetreten und hielt jetzt, während das Mädchen mit einem gepreßten: „Setzen Sie sich, Major!“ einen Stuhl herbeirückte und sich selbst niederließ, die Augen wie in tiefem Forschen auf ihre bleichen gehaltenen Züge geheftet.
„Ich danke Gott, Miß,“ begann er, langsam den gebotenen Platz einnehmend, ohne eine innere Bewegung ganz verdecken zu können, „daß ich zeitig genug nach Hause kam, um Sie noch heute aufsuchen zu können; nachdem Ihr Fingerweis mich in den Stand gesetzt, eine volle Einsicht in die Lage der Dinge zu erhalten. Ich komme nicht, Miß, um Sie zu bitten, in Ihr altes Verhältniß zurück zu kehren, ich sehe ein, daß es keine Genugthuung giebt, die Sie dazu bestimmen könnte; aber ich möchte Sie fragen: Sind Sie wirklich mit blutendem Herzen gegangen, wie Sie mir schrieben? nehmen Sie so viel Theil an den Kindern, daß eben nur Ihre angetastete Ehre Sie vermögen konnte, ihnen wieder die Mutter zu entziehen? – und vor Allem eine Frage,“ fuhr er fort, den Blick tief und fest in ihr zitterndes Auge senkend, „bin ich Ihnen wohl selbst etwas geworden in der kurzen Zeit unseres Zusammenseins, so daß die Kraft, welche Sie allen Kränkungen entgegensetzten, nicht nur allein dem Gefühle für die einmal übernommenen Pflichten entsprang?“
„Major!“ rief sie, noch tiefer erbleichend, und wollte sich von ihrem Stuhle erheben, er aber hatte fest ihre Hand ergriffen und hielt sie zurück.
„Halt, Lucy,“ sagte er, „Sie sind kein gewöhnliches Mädchen, das in einer entscheidenden Stunde nicht frei zu einem Manne reden dürfte; wären Sie es, so sähen Sie mich nicht hier mit dem Gefühle, das ich Ihnen frei eingestehe, als sei mir das beste Gut meines Lebens verloren gegangen. Antworten Sie mir gerade und offen: Können Sie sich entschließen, den Kindern eine Mutter für Ihr ganzes Leben zu sein und mich mit dem, was in mir gut und schlecht sein mag, in den Kauf zu nehmen? Ich habe keine andere Genugthuung für Sie, wie für mich selbst, Lucy! Morgen steht mein Haus einsam, denn ich habe es von seinen bisherigen Regentinnen gesäubert – es war das Geringste, was ich für Ihre und meine eigene Ehre thun konnte, und daß die Nachbarn Ihnen volle Gerechtigkeit geben werden, dafür haben Sie selbst besser gesorgt, als Sie es vielleicht wissen. Sprechen Sie, Lucy!“ drängte er, ihre Hand zwischen der seinigen pressend, als sie ihn wortlos, mit seltsam unbeweglichen Zügen anstarrte.
In dem Mädchen aber war es bei seinen Worten aufgegangen, wie ein unendliches Glück, das doch nicht für sie in der Welt sein könne; was in ihr gelebt, seit sie ihre Stellung angetreten und sie über alle Kränkungen hinweggehoben, ihr selbst ein Räthsel, trat mit einem Male in voller Klarheit aus seiner Verborgenheit – die Liebe zu dem Manne vor ihr; was dieser aber sprach, kam so plötzlich, so überwältigend für sie, daß sie meinte, darunter erliegen zu müssen, und als er sie drängte: „Sprechen Sie, Lucy!“ fühlte sie, daß sie es nicht vermochte, es ward dunkel vor ihren Augen, und nur noch wie im Traume fühlte sie seinen Handdruck.
Als sie aber wieder ihrer Sinne mächtig ward, fand sie sich in seinen Armen, blickte sie in sein Auge, das bei ihrem Erwachen wie in vollem Glücke aufleuchtete, hörte sie seine tiefe, wohlthuende Stimme: „Ich wußte es ja, daß es so kommen mußte; hatten wir uns denn nicht beim ersten Blicke schon erkannt?“ –
Es war spät Abends. Draußen goß der Regen herab, wie am ersten Abend, an welchem Lucy eine Zuflucht in demselben Hause gefunden, und wieder lag sie mit wachen Augen in ihrem Bette und verfolgte das Geräusch der fallenden Tropfen auf dem Pflaster der Straße, wieder beobachtete sie die zitternden Streifen des Gaslichtes, welches von außen an die Wände ihres Zimmers fiel; aber heute ruhte sie auf den weichsten Kissen, welche im Hause sich hatten auftreiben lassen, der Regen trommelte einen Siegesmarsch, welcher ein hundertfältiges Echo des Glücks in ihrer Seele hervorrief, und an der Wand meinte sie lachende, tollende Kindergestalten sich entgegenblicken zu sehen. Und wieder stiegen einzelne Bilder aus ihrer erregten Seele vor ihr auf. Es war eine wunderliche Scene gewesen, als der Major den jungen Hauswirth herbeigerufen und gesagt: „Ich heiße Wood, Sir, wie Sie vielleicht wissen werden, und dieses hier wird morgen, wenn uns Gott das Leben schenkt, Mistreß Wood sein, die ich Ihnen auf Leib und Leben anempfehle, bis ich sie abholen werde!“ Der Eingetretene hatte erst, wie halb verdutzt, abwechselnd in die beiden Gesichter des Paares geblickt, dann aber dem Mädchen, wie in einer plötzlichen warmen Regung, die Hand entgegengestreckt und gerufen: „Meinetwegen, Miß, wenn Sie doch einmal nicht von den Amerikanern lassen können! Ich verstehe es nicht ganz, aber Jeder nach seiner Weise und tausendmal Glück! Sind Sie nicht zu meiner Hochzeit gekommen, so lade ich mich doch auf die Ihre ein, denn so halb und halb schein’ ich doch wohl selber dazu geholfen zu haben!“ – Und dann trat das Bild des Majors und jede einzelne Scene, die sie mit ihm durchlebt, vor ihren Geist; sie sah ihn wieder am Gartenhause stehen, und Mary’s Erscheinung stieg auf – jetzt hatte [752] der Ort seinen eigenthümlichen Schrecken für sie verloren, die unsaubern Geister waren gebannt, und nur in einer Wehmuth, welche ihr eigenes Glück sie um so tiefer empfinden ließ, gedachte sie des Opfers treuer Liebe. Kaum des sie überkommenden Schlafs bewußt, entschlummerte sie endlich, den Gedanken an den hellen, strahlenden Morgen, der sie erwartete, mit in ihre Träume nehmend.
Blätter und Blüthen.
Von Schulze-Delitzsch ist, im Auftrage des Congresses deutscher Volkswirthe, der „Jahresbericht für 1860 über die aus Selbsthülfe der Betheiligten gegründeten Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften den kleinen Gewerbstandes“ (Leipzig, Verlag von G. Mayer) erschienen. Nach demselben ist vom Jahre 1859 bis 1860 die Zahl der Vorschuß und Creditvereine von 200 auf mindestens 300, die der Rohstoffassociationen von 100 auf 150, der Gesammtverkehr aller dieser Vereine von 61/2 Mill. auf mehr als 12 Mill. Thaler angewachsen. Beim Centralbureau waren 133 Rechnungsabschlüsse eingegangen, aus welchen sich bei einem Umsatze von 81/2 Mill. Thaler noch nicht 1490 Thaler Verlust ergaben! – Zu beklagen ist nur, daß ein großer Theil der vorhandenen (wohl über 500) Genossenschaften vom Beitritt zum Centralbureau und damit zur Unterhaltung desselben (2 Procent des jährlichen Nettogewinns, mit einem Mindestbetrag von 2 und einem Meistbetrag von 20–30 Thlrn.) dadurch sich abhalten läßt, daß die Thätigkeit diesen Bureaus zumeist, ihrer Oeffentlichkeit halber, auch den nicht betheiligten Vereinen zu Statten kommt. Anstatt Gott zu danken, daß ein Mann wie Schulze-Delitzsch den größten Theil seiner Thätigkeit und ungewöhnlichen geistigen Kraft, für sie aufwendet, für ihr materielles Bestes, nicht für seine Existenz, die allezeit gesichert ist, bedenken sie nicht einmal, daß es eben nur auf den Willen dieses einen Mannes ankommt, die als so heilsam längst anerkannte Thätigkeit des Centralbureaus mit den betheiligten zugleich für alle Vereine aufhören zu lassen. Uebrigens entschuldigt der edle Schulze-Delitzsch diese traurige Erscheinung selbst noch mit den Worten: „Daß ein solcher Mangel an Gemeingeist, eine solche Verkennung des eigenen wahren Interesse in den bisherigen Zuständen bei uns nur zu sehr begründet ist, und nur allmählich mit Hebung des öffentlichen Gebens, der politischen und gewerblichen Selbstständigkeit und Freiheit verschwinden wird, kann wohl Niemand befremden.“ Allerdings, aber hingedeutet muß auf solchen Philistergeist fort und fort werden, weil ohne dessen Verschwinden überhaupt keine Besserung möglich ist.
Indem wir dies schreiben, geht uns eine Aufforderung „an die deutschen Genossenschaften“ von dem „engern Ausschuß“ derselben zu, der, offenbar in gerechter Entrüstung über den gemeinen Sinn, der so oft da herrscht, wo der Gemeinsinn gerade an seiner Stelle wäre, sich weder an diejenigen Vereine wendet, die eines Besseren nicht überzeugt sein wollen, noch an solche Personen, welche es für eine Handlung der Klugheit halten, da zu ernten, wo sie nicht gesäet haben.
Mit Recht sagt die Anforderung, daß die Wichtigkeit der Vertretung des Genossenschaftswesens in der Presse und auf Congressen vielseitig unterschätzt werde. „Das reicht und die Wärme, welche dort Herr Schulze über unsere Angelegenheit verbreitet hat, ist einfach der Grund ihrer Existenz und kann für ihre gedeihliche Weiterentwickelung noch auf lange Zeit nicht entbehrt werden.“ Und wer diese Seite der Thätigkeit des Centralbureaus nicht zu würdigen vermag, der soll wenigstens Folgendes bedenken: „Das Centralbureau wird mit einer ununterbrochenen Fluth von Anfragen vor und nach Gründung neuer Vereine überschüttet und empfängt damit stündlich ein sprechendes Zeugniß seiner Unentbehrlichkeit. Die Anfragen werden mit einer Sachkenntniß, Gewandtheit und Bereitwilligkeit beantwortet, die vereint nur an Schulze gefunden und bewundert werden. Glauben nun die Betheiligten, sie haben mit ihrer Bewunderung genug gethan, dann ist freilich die Sache zu Ende. Sind sie jedoch der Meinung, daß sich täglich eine erhebliche Zahl Briefe nicht nebenher und nicht ohne Aufwand von Zeit und Arbeit beantworten lasse, dann empfiehlt ihnen der engere Ausschuß zu thun, was der Vortheil nicht minder als die Ehre gebietet.“ – Auf diesen Ehrenpunkt sind insbesondere die älteren und größeren Genossenschaften zu verweisen, von denen eine starke Zahl in der unrühmlichen Ausnahme vorangeht.
Und dieses Ehrenpunkts werden wir uns in der großen Oeffentlichkeit anzunehmen haben, weil hier eine allgemeine deutsche Angelegenheit vorliegt. Es gilt, Register zu führen über diejenigen, welchen neben dem Geldbeutel die Ehre zu wenig Gewicht hat. Deutschland steht jetzt so, daß die Nation nicht blos in den oberen Schichten, daß sie überall ihre Leute kennen lernen muß.
Praktische Anmeldung bei Goethe. Daß es einer Menge Reisender versagt blieb, den berühmten Mann zu sehen und zu sprechen, ist eben so bekannt als erklärlich; er würde oft den ganzen Tag gebraucht haben, um dem Andrange zu genügen. Und wie klein war die Zahl würdiger Besucher, verglichen mit der Masse derer, die nur Neugierde oder Eitelkeit in Bewegung setzte, und die zu keiner Unterhaltung mit solch’ einem Geiste befähigt waren.
Der Wirth des ersten Gasthofes (zum Erbprinzen) rieth Fremden immer, die ganz gewiß vergebens unternommene Anmeldung zu unterlassen, würde sie nicht durch einen Empfehlungsbrief unterstützt.
Acht Jahre vor Goethe’s Tode kamen zwei junge Doctoren[3] auf ihrer Heimreise von Göttingen durch Weimar und traten im Erbprinzen ab. G… der Eine von Beiden, brannte vor Begierde, den Schöpfer des „Faust“ zu sprechen; herkömmlich verweigerte der Wirth sein Vermittelung. G… verlangte Papier und Schreibzeug, schrieb folgende Strophen, setzte seinen Namen darunter und ließ das Couvert durch einen Lohndiener Goethe überreichen:
„Wenn der Feuersinn der Brust,
lodernd seiner Kraft bewußt,
Kühn die Schranken wagt zu sprengen,
Und die unermess’nen Räume
Frei durcheilt im Reich der Träume,
Wer kann ihm den Weg verengen?
Unaufhaltsam
Weckt er der Saiten schlummernden Ton,
Und entfloh’n
Seiner Beschränkung gewaltsam,
Regt er die Lust, regt er den Schmerz,
Weitet das Herz,
Wiegt sich im rhythmischen Klange.
So empfand ich, als in fernen Landen
Meiner Jugend Freund Dein Tasso war;
Tiefer fühlt’ ich und mit grausen Banden
Fesselte Dein Faust mich wunderbar;
Meiner Jugend frohe Zauber schwanden,
Und der Sinn der Dichtung ward mir klar.
Geistig sah ich längst Dich mit Entzücken,
Laß mich jetzt verkörpert Dich erblicken.“
Umgehend erfolgte freundliche Einladung.
Kleiner Briefkasten.
Herrn Pastor Ed. Sch. in Pf. Die Skizze: „Nur ein Schafhirt“ in Nr. 15 der Gartenlaube beruht auf Thatsachen. Die Ansicht, daß die Gegenüberstellung des Schafhirten und des Predigers eine „hämische“ sei, wie Sie sich in Ihrem Briefe ausdrücken, dürften nur Sie allein haben. Wir geben zu, daß Ihre Notizen über den betreffenden Prediger mehrfache Ergänzungen enthalten, Berichtigungen geben sie in den Hauptsachen durchaus nicht. Daß Napoleon in der Nacht vor der Schlacht durch das Rauhthal einen großen Theil seines Geschützes hinausschaffen ließ, ist durch Augenzeugen verbürgt. Sie behaupten, die Franken hätten das Rauhthal schon vorher gekannt; dann war es, gelinde gesagt, eine überflüssige Thorheit, daß sie den Prediger zwangen, ihnen den Weg durch dasselbe zu zeigen. Wir bezweifeln nicht, daß Sie die Notizen aus dem Munde des Predigers selbst haben; ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, daß derselbe seine Schuld in einem so günstigen Lichte wie möglich darzustellen gesucht haben wird? und daß er schuldig war, hat er Ihrer Ansicht widersprechend, selbst durch die späteren Worte: „Ich wollte, ich hätte mich todtschießen lassen,“ bestätigt.
R. R. in Neustrelitz. „Die Gelehrtesten der Gelehrten sehen jetzt mit Entzücken ein, daß die Gesetze der Natur mit den Aussagen der Bibel im Einklange stehen, daß die Männer Gottes sie bedeutend an Gelehrtheit überragten u. s. w.“ Verehrteste, wenn wir unsern Lesern Derlei zu glauben zumuthen, so glauben sie uns gar nichts mehr. Das Manuscript steht zur Verfügung.
K. in Greiffenberg. Wie sollen wir Ihnen Antwort zukommen lassen? Es giebt nicht weniger als zehn Greiffenberg, vier in Oesterreich, vier in Preußen, zwei in Baiern. In welchem wohnen Sie?
Zur Nachricht!
Auf unsere Anzeige in Nr. 44 der Gartenlaube sind auf die im Preise herabgesetzten 4 Jahrgänge dieser Zeitschrift die Bestellungen von allen Seiten so massenhaft eingelaufen, daß der Vorrath des einen Jahrgangs bereits bis auf wenige Exemplare erschöpft ist. Die unterzeichnete Verlagshandlung sieht sich deshalb zu der Erklärung genöthigt, daß sie schon jetzt den festgesetzten Termin der Herabsetzung widerrufen muß und die angezeigten 4 Jahrgänge 1856–1859 nur noch bis zum 20. November d. J., von da ab aber, mit Hinweglassung des Jahrgangs 1856, nur die Jahrgänge 1857–1859 zu dem herabgesetzten Preise von 2 Thlr. 25 Ngr. zu liefern vermag.
- ↑ Unter diesem Titel werden wir eine Reihe interessanter Charakterbilder mit Abbildungen aus dem Schweizer Alpenleben bringen. D. Red.
- ↑ d. h. gleich nach den von der Redaction vertretenen politischen Mittheilungen und von diesen durch einen Querstrich getrennt.
- ↑ Eckhorst, Dr. med. aus Hamburg, und Gülich, Dr. jur. aus Flensburg, welcher letztere nach der Erhebung, gleich anderen tüchtigen Patrioten, aus seinem engeren Vaterlande verwiesen wurde und jetzt Kreisrichter in Bergen auf der Insel Rügen ist.