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Die Gartenlaube (1865)/Heft 2

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1865
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[17]

No. 2.   1865.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Der Richter.
Nach brieflichen Mittheilungen. 0Von J. D. H. Temme.
(Fortsetzung.)


„Habt Ihr sein Gesicht nicht gesehen, Schwager?“ fragte der Wirth den Postillon.

„Ich konnte nicht dazu kommen,“ sagte der Postillon. „Gott weiß, wie es war. Das Gesicht der Frau sah ich einmal. Sapperment, das war ein schönes, feines Gesicht, und noch blutjung; aber blaß war sie, recht blaß.“

„Und der Name?“ fragte der Wirth nochmals.

Der Postillon hatte seinen Begleitzettel bei seinen Sachen und bei den Pferden im Stalle. So konnte er den Namen auch diesmal nicht sagen. Nachher hatten er und der Wirth nicht weiter daran gedacht. Die Sachen der Reisenden wurden in ihr Zimmer geschafft. Es waren zwei große neue Reisekoffer. Der Wirth und sein Sohn, ein Bursch von sechzehn Jahren, trugen sie hinauf.

„Da muß ich doch etwas von ihnen sehen,“ dachte der Wirth.

Er sah nichts, auch sein Sohn nicht. In dem Zimmer standen zwei Betten; beide waren mit Vorhängen versehen und mit denselben dicht und fest umzogen. Die Frau mußte darin liegen, denn man sah sie nicht im Zimmer. Man sah sie aber auch hinter den Vorhängen nicht in dem Bette. Der Mann saß an dem Bette der Frau. Er war auch von Pelz und Mütze befreit, die jetzt auf einem Stuhl lagen; aber er hatte sich hinter dem Vorhange über das Bett gebeugt. So sah man wieder nichts von seinem Gesichte; man erkannte nicht einmal seine Gestalt. Er sprach nichts; man vernahm auch keinen Ton der Frau.

Eine Viertelstunde später brachte die Frau des Wirths den Thee und eine Flasche frischen Wassers in das Zimmer. Auch sie sah nichts, denn die Vorhänge des Bettes der Frau waren fest zugezogen. Der Mann stand hinten im Zimmer am Fenster und hatte ihr den Rücken zugewandt. Hätte er aber auch das Gesicht nach ihr gerichtet, sie hätte seine Züge nicht unterscheiden können; es brannte in dem Zimmer nur ein Licht, und dies war mit einem großen Schirme versehen, so daß in dem ganzen Zimmer nur die Helle der Dämmerung herrschte. Auffallen konnte es nicht, da der Fremde gesagt hatte, das helle Licht schmerze die Kranke. Auch die tiefste Stille war in dem Zimmer; die Frau des Wirths dachte, die Dame schlafe.

Etwa eine halbe Stunde später, gegen halb neun Uhr, wurde dem Fremden das Abendbrod mit dem Weine gebracht. Der Wirth und seine Frau trugen es hinein. Der Fremde stand wieder hinten im Zimmer, das Gesicht nach dem Fenster gekehrt. Das Bett der Frau war noch fest verhangen, kein Laut kam von daher.

Der Wirth und seine Frau deckten und ordneten den Tisch. Der Fremde hinten am Fenster rührte sich nicht; im Bett blieb es still. Als der Wirth fertig war, sprach der Fremde, aber er wandte sich nicht dabei um.

„Das Geschirr dort kann heute Nacht stehen bleiben. Ich will nicht weiter gestört werden. Man soll mich auch morgen früh nicht wecken.“

Der Wirth und die Wirthin gingen. Sie hörten, wie die Thür von innen veriegelt wurde, und blieben unwillkürlich draußen im Gange stehen und horchten. Eine Minute lang blieb es still in dem Zimmer. Dann hörten sie deutlich ein leises Wimmern; es war die Stimme der Frau. Von dem Manne hörten sie nichts. Das Wimmern dauerte mehrere Minuten; darauf wurde es still im Zimmer. Die Wirthsleute kehrten nach unten zurück. Der Wirthin hatte unheimlich werden wollen.

„Das Wimmern ging mir durch Mark und Bein, Lindenwirth.“

„Die Dame ist krank, Frau.“

„Und der Mann hatte kein Wort der Beruhigung für sie.“

„Er wird gegen sie sein, wie gegen andere Leute.“

„Und warum läßt er sich nicht in das Gesicht sehen? Warum stand er immer da hinten im Dunkeln? Er kam nicht einmal hervor, als er mit uns sprach.“

„Das ist eben seine vornehme Art.“

Der Fremde war nun allein mit der Dame, die er seine Frau genannt hatte, allein oben im Hause, wie er annehmen mußte, für die ganze Nacht, ohne nur ein einziges Mal gestört, ohne selbst behorcht werden zu können. Der Wirth und seine Leute kümmerten sich in der That nicht weiter um die Beiden. Anfangs waren sie neugierig gewesen; aber der Fremde war eben ein zu vornehmer, hochmüthiger Mensch, und die Dame war krank. So legte sich auch die Neugierde, und keinem von den Leuten im Hause fiel ein, wieder hinauf zu gehen, um zu horchen; zu thun hatten sie dort gar nichts.

Es war zehn Uhr Abends geworden. Die Frau und der Sohn des Wirths und die Mägde waren schon schlafen gegangen und nur der Wirth und der Knecht waren noch auf; da kam noch ein Wagen an dem Hause vorgefahren.

„Geh’ hinaus, Christoph,“ sagte der Wirth zu dem Knecht, „und sieh, wer da ist. Laß ihn keinen Spectakel machen, um der Fremden da oben willen.“

[18] Der Knecht ging hinaus und kam bald mit einem Reisenden zurück, einem Krämer aus der Nachbarschaft, der, ein Bekannter in der Buchhauser Linde, oft hinkam.

„Woher noch mitten in der Nacht, Herr Brand?“ rief ihm der Wirth entgegen.

„Ich kann doch Nachtquartier bei Euch bekommen, Lindenwirth?“

Der Wirth kratzte sich hinter dem Ohr.

„Wenn Sie hier unten in der Wirthsstube vorlieb nehmen wollen, Herr Brand?“

„Unmöglich, Lindenwirth. Ihr wißt, ich bin nicht der Festeste, ich muß meine Nachtruhe haben; dazu bin ich durchfroren zum Erbarmen. Ihr müßt mir eine warme Stube und ein gutes Bett geben.“

Der Herr Brand war ein kränkliches Männchen, und da er in einem offenen Einspänner gekommen war, den er selbst gefahren hatte, so war er in der kalten Nacht, zu Ende Octobers, auch durchfroren. Ueberdies war er, wie gesagt, ein alter Bekannter des Hauses, und so mußte der Wirth ihm nachgeben.

„Da oben ist noch ein warmes Zimmer, Herr Brand, und ein gutes Bett steht fertig darin. Es war für eine Herrschaft bestimmt, die aber nachher nur ein Zimmer wollte. Sie sollen es haben, Herr Brand, wenn Sie stiller sein wollen, als eine Maus.“

Der Wirth erzählte nun dem Krämer, wie oben im Hause ein vornehmer fremder Herr mit einer kranken Frau logire; wie diese nicht das geringste Geräusch ertragen könne und wie er dem Fremden versprochen habe, es solle sich da oben keine Maus rühren. Der Krämer versprach, stiller zu sein als eine Maus, und wurde hinauf geführt. Der Wirth selbst geleitete ihn in das versprochene Zimmer, das unmittelbar neben dem Zimmer der fremden Herrschaft lag, mit dem es eine Thür verband. Der Wirth deutete dem Krämer die Thür mit dem Finger an. Sie sprachen kein Wort miteinander. Auch nur durch Zeichen sagten sie sich gute Nacht. Sie waren kaum hörbar eingetreten, und so entfernte sich auch der Wirth wieder.

Draußen im Gange, vor der Thür der fremden Herrschaft, horchte er doch noch, hörte aber nichts in dem Zimmer. „Sie schlafen,“ dachte er, worauf er und der Knecht sich zu Bett legten. Im Hause blieb es still.

Der Krämer Brand hatte in seinem Zimmer nur mit den Funßspitzen aufzutreten gewagt. In das Bett hatte er sich so leise gelegt, daß Einer, der im Zimmer selbst gewesen wäre, es nicht gehört hätte. Er hatte vorher und nachher nach den Fremden hingehorcht, aber keinen Laut vernommen. „Die schlafen,“ dachte auch er und wollte selbst einschlafen. Plötzlich mußte er in seinem Bette hoch auffahren. Ein lauter, furchtbarer Schrei kam aus dem Zimmer der Fremden. Es war der Schrei einer Frau.

„Um Gotteswillen, ich sterbe!“ schrie die Frau des Fremden.

Den Krämer überlief es heiß und kalt. Er horchte mit angehaltenem Athem, bebend am ganzen Körper. Es war wieder still drüben. Nur eine Bewegung, als wenn sich Jemand in einem Bette krümme, glaubte der Krämer zu hören. Es war an derselben Stelle, von welcher der Schrei gekommen war. Es mußte also in dem Bette der Frau sein. Aber das Geräusch war so undeutlich, daß der Krämer sich auch irren konnte. Einen andern Ton vernahm er gar nicht; kein Wort von dem Manne der Frau, kein Gehen, kein Aufstehen. Es war sonderbar. „Sollte er so fest schlafen?“ fragte sich der Krämer. Aber auf einmal wiederholte sich der Schrei, lauter, durchdringender.

„Ich sterbe! Hülfe! Ich sterbe!“

Und wiederum antwortete Niemand der Frau; kein Wort, kein Schritt, keine Bewegung wurde hörbar. Dem Krämer war es nicht mehr sonderbar: ein Grausen erfaßte ihn.

„Ich sterbe! O mein Gott, mein Gott!“ rief die Frau zum dritten Male.

Die Stimme war nicht mehr so laut und scharf, sie war leiser. Endlich antwortete ihr Jemand.

„Es wird vorüber gehen. Bekämpfe den Schmerz; um so eher hört er auf.“

Es war eine Männerstimme; der Mann sprach zu seiner Frau. Er sprach beruhigend, besänftigend. Aber der Krämer hatte ihn nicht aufstehen, nicht zu der Frau hingehen hören. Er war also schon vorher an dem Bett der Frau gewesen, als diese zum ersten Male aufschrie, als sie dann in dem Bette sich krümmte. Und er hatte da kein Wort für die Frau gehabt, die jenen Schmerzensschrei ausstieß, die vor Schmerzen im Bette sich krümmte! Fast zehn Minuten blieb Alles still. Der Krämer meinte, es werde so bleiben, die Frau habe nur heftige Kopfschmerzen gehabt, sie seien wirklich vorübergegangen. Da schrie sie zum vierten Male auf.

„Meine Brust! Ich ertrage es nicht mehr! Mein Rücken! Ich muß sterben!“

Die Stimme war noch heiserer als vorher, schwächer, wie unterdrückt.

„Nimm Dich zusammen,“ sagte der Mann noch einmal.

„Hülfe!“ rief mit schwächerer Stimme die Frau.

„Es wird vorübergehen,“ sagte wieder der Mann, aber als wenn es ihn langweile.

Die Frau sprach und rief nicht mehr. Aber der Krämer hörte sie leise stöhnen und wimmern, und dabei rauschte und bewegte es sich wieder in dem Bette, als wenn sie in Schmerzen oder in Krämpfen sich krümme. Auch das hörte bald auf, zuerst nach und nach das Stöhnen und Wimmern, dann das Andere. Den Mann hatte der Krämer gar nicht wieder gehört. Es war und blieb völlig still in dem Zimmer. Der Krämer glaubte, daß die Frau wieder schliefe. Auch er schlief endlich ein.

Am nächsten Tage zeigte es sich, was es gewesen war; für ihn freilich erst etwas spät. Als am andern Morgen die große Wanduhr unten in der Wirthsstube fünf schlug, hatte der Postillon, pünktlich gehorsam dem Befehle des fremden Reisenden, die Pferde eingespannt und den Wagen zur Abreise bereit gemacht. Die Koffer der Herrschaft mußten nur noch aufgepackt werden und die Herrschaft selbst mußte kommen. Der Postillon wartete draußen am Wagen auf sie. Der Wirth und sein Knecht harrten unten in der Wirthsstube. Die andern Bewohner des Hauses schliefen noch.

Die Wanduhr in der Wirthsstube zeigte zwei Minuten nach fünf, als der fremde Reisende in die Stube trat. Er war reisefertig, in Pelz und Pelzmütze, wie am gestrigen Abende; sein Gesicht war aber eben so wenig zu erkennen. Er war allein; seine Frau war nicht bei ihm.

„Holen Sie meine Sachen,“ befahl er dem Wirth.

Er sprach vollkommen ruhig und vollkommen so kurz und befehlend, wie am Abend vorher. Wie er die Worte gesprochen hatte, kehrte er zurück nach seinem Zimmer oben im Hause.

„Also ohne Frühstück!“ sagte der Wirth zu sich.

Er folgte ihm mit dem Knecht. Oben in dem Zimmer war Alles in Ordnung. Die beiden Koffer standen gepackt und verschlossen da. Der Fremde, wie vornehm er war, mußte sie selbst gepackt und verschlossen haben, wenn sie überhaupt geöffnet gewesen waren. Von der Dame war nichts im Zimmer zu sehen, das Bett, in das sie sich gestern gelegt, war noch immer fest von den Vorhängen umzogen, und Alles war still. Wo war sie? sollte der Mann, der abreisen wollte, seine Frau zurück lassen wollen, während doch beide Koffer zum Wagen getragen wurden? Der Fremde sprach kein Wort; an seinen Bewegungen sah man nur, daß er ungeduldig war. Der Wirth und der Knecht beeilten sich, die Koffer zum Wagen zu schaffen; das herrische Wesen des Fremden imponirte ihnen. Der Wirth kehrte darauf in die Wirthsstube zurück, in welcher ihn der Fremde erwartete.

„Meine Rechnung!“

Der Wirth nannte ihm den Betrag. Der Fremde zog eine Börse, zählte das Geld auf den Tisch und legte ein Trinkgeld für die Domestiken hinzu. Dann zählte er noch zwanzig Stück Friedrichsd’or auf den Tisch. Der Wirth sah ihm verwundert zu. Der Fremde, als er die Zahl voll gezählt hatte, sagte ruhig:

„Mir ist ein Unglück begegnet in Ihrem Hause – – meine Frau ist diese Nacht an einem Krampfanfalle gestorben. Leider warten wichtige Geschäfte auf mich, ich kann mich keinen Augenblick länger aufhalten. Nehmen Sie das Geld und bestreiten Sie inzwischen die Beerdigungskosten; Sie werden bald Weiteres von mir hören.“

Damit ging er. Er hatte die Worte mit seinem ruhigsten, hochfahrendsten Tone gesprochen.

Der Wirth stand erstarrt, betäubt. Der Schreck hatte ihm die Besinnung genommen; der Respect vor dem vornehmen, herrischen Wesen des Fremden trat hinzu. Im ersten Augenblicke dachte er nicht daran, dem Fremden zu folgen. Als er daran dachte, hatte er zuerst nicht den Muth. Als ihm auch der Muth [19] kam, war es zu spät. Er eilte hinaus. Die vier Extrapostpferde flogen schon im Galopp mit dem Wagen davon. Der Wirth rief. Der Postillon hörte es nicht mehr, und der Wagen verschwand.

„Wo ist die Frau, Herr?“ fragte der Knecht.

„Hat er es Euch nicht gesagt?“

„Wir haben ihn nicht gefragt.“

Auch den Postillon und den Knecht hatte das Wesen des Fremden in Respect gehalten. Keiner von ihnen hatte gewagt, ihn nach seiner Frau zu fragen. Er war rasch in den Wagen gestiegen, hatte dem Postillon sein befehlendes „Fort!“ zugerufen und die Wagenthür zugeschlagen. Der Postillon hatte auf die Pferde eingehauen, der Wagen flog davon. Den Wirth hatte eine ungeheure Angst ergriffen. Er hatte den Kopf völlig verloren und wußte nicht mehr, was er thun sollte. Er weckte das ganze Haus.

„Wir haben eine Leiche im Hause! Die Frau des Fremden. Und er ist fort!“

Angst und Entsetzen ergriff sie Alle, wie ihn. Sie eilten in das Zimmer oben und schlugen die Vorhänge des Bettes auseinander. Die Leiche der Frau lag vor ihnen in dem Bette. Sie lag ineinander gekrümmt; Arme und Hände waren wie verrenkt; das Gesicht war dunkelroth, fast blau. Das waren Erscheinungen, die allerdings einen Tod im Krampfanfall andeuteten. Die Leiche war schon kalt; der Tod mußte seit mehreren Stunden eingetreten sein. Es war die Leiche einer noch sehr jungen Frau. Sie konnte höchstens achtzehn Jahre gezählt haben. Sie war eine ungewöhnlich schöne Frau gewesen; eine große, schlanke Gestalt, vollendete Körperformen. Das Gesicht war verzerrt; aber man erkannte auch in der Verzerrung die schönen, regelmäßigen Züge. Und, es war wunderbar, diese Züge, je länger man das Gesicht ansah, traten um so regelmäßiger, schöner, edler hervor und selbst die dunkle Farbe entwich mehr und mehr und machte der natürlichen weißen des Todes Platz.

Das Entsetzen der Leute wich der Theilnahme, dem tiefsten Mitleiden mit der schönen, so jung Verstorbenen. Das Mitleiden wich wieder dem Entsetzen: die Unglückliche hatte hier in der Fremde sterben müssen, allein mit dem Manne, der keine Hülfe zu ihr gerufen, der mit jener Ruhe dem Wirth ihren Tod hatte ankündigen, der sie allein, ganz allein in der Fremde, wildfremden Menschen hatte überlassen können!

Der Krämer in dem Zimmer nebenan war durch die Unruhe wach geworden. Man wollte ihn wecken; da trat er in das Zimmer. Er mußte irgend eine Auskunft geben können. Er theilte mit, was er wußte. Es zeigte nicht geradezu ein Verbrechen an, auch jetzt nicht, da man die Todte vor sich sah. Ein Krampfanfall, von dem der Fremde gesprochen hatte, war noch immer möglich, natürlich. Aber –

„Hier ist ein Verbrechen begangen, ein Mord!“

Man las es auf all den bleichen, entsetzten Gesichtern. Und was nun weiter? Der Mörder war fort. Vier rasche, kräftige Extrapostpferde hatten ihn früher zu der nächsten Station gebracht, als man in der Linde Pferde zu seiner Verfolgung satteln konnte. Hatte man die nächste Station erreicht, so war er schon auf der dritten. Gleich hinter der zweiten Station war die Landesgrenze, jenseits welcher der Verfolgung neue Hindernisse entgegentraten. Und man wußte nicht einmal seinen Namen. Der Wirth hatte nicht gewagt, ihn danach zu fragen; den Postillon noch einmal zu fragen, hatte er vergessen. Vielleicht gaben die Kleidungsstücke und die Wäsche der Todten Auskunft. Man durchsuchte sie, fand aber nur einen Unterrock, das Hemd, ein Nachttuch. Alles Andere mußte der Fremde in die Koffer gepackt und mitgenommen haben. War es nicht ein neuer Beweis für ein Verbrechen? Hemd und Tuch trugen den Buchstaben B. eingenäht. Das war Alles, was man fand. Was war weiter zu thun?

Man beschloß Folgendes. Der Krämer mußte in der Richtung weiter reisen, in welcher die Extrapost gefahren war. Die nächste Poststation war in dem nächsten Städtchen. In diesem waren Gerichts- und Polizeibehörden. Ihnen sollte der Krämer von dem Vorgefallenen Anzeige machen. Gericht und Polizei mußten dann sofort herüber kommen. Bis zu ihrer Ankunft sollten Leiche, Bett und Zimmer in dem Zustande bleiben, in dem sie waren. Das Weitere mußten die Beamten wissen. Der Krämer reiste auch schleunig ab. Das Zimmer, in dem die Leiche war, wurde verschlossen.

Nach einer Stunde kam der Postillon mit den Pferden zurück.

„Was ist es mit der Frau?“ fragte er.

„Was hat man Euch von ihr gesagt?“ war die Rückfrage.

„Gar nichts!“

Der Postillon hatte nicht den Muth gehabt, an den stolzen, hochfahrenden Mann eine einzige Frage zu richten. Auf der Station hatte der Fremde sich sofort neue Pferde geben lassen und war ohne Aufenthalt weitergefahren.

„Und sein Name, Schwager?“

Der Postillon zog seinen Begleitzettel hervor.

„Herr Bormann aus Hamburg, zwei Personen.“

Das war Alles, was über den Fremden und die Todte in dem Zettel stand. Am späteren Vormittage kamen die Gerichtsbeamten aus dem Städtchen. Gericht und Polizei dort waren vorsichtig gewesen, vielleicht zu vorsichtig. Zu einer schleunigen Feststellung des Thatbestandes forderte die Anzeige des Krämers sie auf. Aber zu einer Verfolgung des Reisenden hielten sie sich erst dann berechtigt, wenn der Thatbestand eines Verbrechens festgestellt sei. Das Gericht erschien sofort mit den Gerichtsärzten. Die Untersuchung begann.

Die Aerzte gewannen in den ersten zehn Minuten die Ueberzeugung, daß die Frau keines natürlichen Todes gestorben war: sie war vergiftet - durch Strychnin. Schon der äußerliche Befund sprach unzweifelhaft dafür. Die gekrümmte, verzerrte Lage der Verstorbenen, die dunkelrothe Gesichtsfarbe zeigten, daß der Tod in jenem eigenthümlichen Starrkrampfe, Tetanus, erfolgt war, der gerade durch den Genuß von Strychnin herbeigeführt wird. In einer der Theetassen, die noch auf dem Tische im Zimmer standen, fand man die Ueberreste des Giftes selbst. Die darauf vorgenommene Section der Leiche wies die Spuren des Giftes in dem Köper auf. An eine Selbstvergiftung war nicht zu denken; es lag ein Giftmord vor. Das Gift war der Frau in dem Thee beigebracht. Der Mörder war ihr Mann. Sie selbst hatte krank im Bette gelegen; ihr Mann hatte ihr den Thee einschenken, reichen müssen; nur er hatte das Gift in die Tasse bringen können. Und mit welcher furchtbaren Rohheit war das Verbrechen verübt worden! Der Mann hatte der krank im Bett liegenden Frau das Gift in das Getränk mischen können; er selbst hatte es ihr gereicht; er hatte dabei gestanden und zugesehen, wie sie es genoß; er hatte die Tasse aus ihrer Hand zurückempfangen. Das Alles hatte er mit ruhigem Blute, mit völlig klarer Ueberlegung gekonnt; hatte er gekonnt gegen das arme, junge, schöne Geschöpf, das mit ihm allein in fremdem Lande, unter wildfremden Menschen allein, das seine Frau war, das er wenigstens selbst seine Frau genannt hatte, das unter allen Umständen nur in seinem Schutze stand, nur von ihm Hülfe erwarten, erhalten konnte. Er war ihr Mörder geworden. Welche empörende Rohheit zeigten dabei die Nebenumstände! Auch das Geschirr für sein Abendbrod, stand noch auf dem Tische; er hatte Alles verzehrt, die ganze Flasche Wein geleert. Er hatte Hunger gehabt, er hatte sich an dem Wein laben können, während die Unglückliche in jenen entsetzlichen Schmerzen sich krümmte, mit dem fürchterlichen Tode rang, den er ihr bereitet hatte. Wie er ihr dann augenblickliche Theilnahme geheuchelt, wie ihm aber das bald langweilig geworden, davon war der Krämer in dem Zimmer nebenan Zeuge gewesen.

Polizei und Gericht verfolgten die Spur des Verbrechers, in der Richtung, aus der er mit seinem Opfer gekommen war, in der, die er nach vollführter That weiter genommen hatte. In jener ersten kam man nur bis zu der zweiten Station vor der Buchhauser Linde. Es war eine größere Provinzalstadt. Der Fremde, Herr Bormann, wie er sich auch dort genannt hatte, war am Abende vorher in einem Gasthofe der Vorstadt mit einem fremden Lohnkutscher angekommen. Der Lohnkutscher war nach kurzem Aufenthalt zurückgekehrt. Niemand hatte ihn gekannt – er war noch nie dort gewesen; Niemand hatte ihn gefragt, wer er sei, woher er komme. Der Fremde hatte sich mit seiner Begleiterin, die er auch damals seine Frau genannt, sofort in das ihnen angewiesene Zimmer begeben. Beite hatten dieses den Abend nicht verlassen. Die Frau hatte frisch, gesund ausgesehen; nur war sie still gewesen. Der Herr hatte ein kurzes, vornehmes, befehlendes Wesen gezeigt. Am folgenden Morgen hatte er den Wirth zu sich kommen lassen.

„Kaufen Sie mir einen Reisewagen,“ hatte er in seiner kurzen, befehlenden Weise gesagt.

[20] „Wie theuer?“ hatte der Wirth gefragt.

„Bequem, elegant. Können Sie einen für fünfhundert Thaler bekommen?“

„Auch schon für vierhundert Thaler.“

„Wie Sie wollen. Um Mittag muß er hier sein. Ich reise nach Mittag ab.“

Der Wirth hatte ihm einen Wagen für vierhundert Thaler gekauft. Der Fremde hatte das Geld sofort bezahlt, den Wagen sich kaum angesehen. Beide Reisende hatten auch am Vormittage das Zimmer nicht verlassen. Die Frau hatte nicht mehr so wohl ausgesehen; sie war offenbar leidend gewesen und hatte meist auf dem Sopha gelegen. Der Herr hatte in Zeitungen gelesen, oder war im Zimmer auf- und abgegangen.

Am späten Nachmittage, als es schon angefangen hatte zu dunkeln, hatte er vier Extrapostpferde zur Weiterreise bestellen lassen. Gleich nach Ankunft der Pferde war er mit der Frau abgereist. Schon damals, wie er sich nur wenig hatte sehen lassen, hatte er Sorge getragen, daß man seine Gesichtszüge nicht unterscheiden konnte. Bei seiner Ankunft in dem Gasthofe war es bereits dunkel gewesen. Am anderen Tage war die Frau schon leidend; in dem Zimmer hatten daher vor den Fenstern die Rouleaux müssen heruntergelassen werden, so daß nur ein sehr mattes Helldunkel herrschte. Beim Abfahren hatten Pelz und Pelzmütze ihn eingehüllt. So hatte der Mörder planmäßig sein Verbrechen vorbereitet.

Auf der nächsten Station hatte er sich gar nicht sehen lassen. In der Buchhauser Linde hatte kein Mensch sein Gesicht gesehen. Auch die Nachforschungen auf der anderen Seite der Linde führten gerade nur bis zu der zweiten Station. Sie war das erste Städtchen jenseits der Landesgrenze. Der Fremde hatte sich dort zugleich als einen Sonderling gezeigt. Der Postillon hatte ihn an dem Wirthshause des Städtchens vorfahren müssen. Er war ausgestiegen und in das Haus gegangen.

„Herr Wirth, kann ich hier einen einspännigen Wagen mit Pferd kaufen?“

„O ja.“

„Auch vertauschen gegen meinen Wagen dort?“

Der Wirth hatte sich neugierig den neuen eleganten Reisewagen und dann verwundert den Reisenden angesehen. Von diesem sah er nur nicht viel; der Fremde hatte Pelz und Pelzmütze nicht abgelegt.

„Ich denke,“ hatte er geantwortet.

„Besorgen Sie das Geschäft.“

Der Wirth machte das Geschäft selbst und einen vortheilhaften Handel. Der Einspänner wurde sofort angespannt; die Koffer wurden hinaufgebracht; der Fremde setzte sich ein, nahm selbst die Zügel des Pferdes und fuhr davon. Jenseits der Stadt hatten ihn noch ein paar Menschen auf der Landstraße fahren sehen. Dann war seine Spur verloren; nicht er, nicht Wagen, nicht Pferd waren wiedergesehen.

Bormann aus Hamburg hatte er sich genannt, in dem Gasthofe der Provinzialstadt, auf den Poststationen. Die Behörden wandten sich nach Hamburg. Man wußte dort nichts von einem Herrn Bormann, auf den in irgend einer Weise Persönlichkeit und Verhältnisse des Mörders passen konnten. Die wiederholten sorgfältigsten Untersuchungen der wenigen Kleidungsstücke der Gemordeten gaben ebenfalls nicht die mindeste Auskunft weiter, nicht über sie selbst, nicht über den Verbrecher. Jener eingezeichnete Buchstabe B. war Alles, was man fand. Das Gesicht der Unglücklichen war im Tode immer schöner geworden. Beamte und Aerzte erstaunten über die Regelmäßigkeit, Feinheit und Anmuth der jugendlichen Züge. Aber die Todte hatte keine Antwort auf die Frage: Wer bist Du Arme, Betrogene, so jung dahin Gemordete? Wo ist Deine Heimath?

Auch die Lebenden hatten sie nicht. Alle weiteren Nachforschungen blieben vergebens. Von dem Gesicht der Ermordeten wurde eine Todtenmaske genommen; sie konnte möglicher Weise in späterer Zeit Dienste leisten, denn auf die Entdeckung eines Verbrechens darf man niemals verzichten.

(Fortsetzung folgt.)



Bilder aus dem Thiergarten.
Von Brehm.
5. Unter dem Wasserfall.

Die Zeiten der paradiesischen Unschuld sind auch für die Thierwelt längst vorüber. Zustände, wie sie uns die noch heutigen Tages beliebten Schöpfungsbilder vor Augen führen, sind gegenwärtig unmöglich. Es giebt unter den Thieren weit weniger Verträgliche, als wir glauben. Davon überzeugt man sich, wenn man die freilebenden beobachtet, noch viel eher aber, wenn man es tagtäglich mit einer so bunten Gesellschaft zu thun hat, wie ich, und jeden Einzelnen derselben nach und nach kennen lernt, mit allen seinen Arten und Unarten.

Es versteht sich ganz von selbst, daß in einem Thiergarten alle Raubthiere, groß und klein, in abgesonderten Räumen gehalten werden; es macht sich aber auch nothwendig, daß eine große Anzahl von Thieren und namentlich von Vögeln, welche man für harmlose zu halten geneigt ist, von den übrigen getrennt werden. Wohl oder übel muß in jedem Thiergarten ein Gehege errichtet werden für die Störenfriede in des Wortes eigentlichster Bedeutung. Solcher zählt nicht nur jede Ordnung dieser Classe, sondern sogar jede Familie. Es giebt unter den Vögeln ebenso zanksüchtige Wesen, wie unter den Menschen, und der einzige Unterschied zwischen diesen und jenen beruht höchstens darin, daß bei den Vögeln die Zänkereien sehr rasch in Thätlichkeiten überzugeben pflegen, während es bei zänkischen Menschen glücklicherweise gewöhnlich beim Wortgefechte bleibt.

Man sollte meinen, daß ein großer Teich mit stillen, umbuschten Inseln und anmuthigen Ufergeländen, welcher fortwährend mit hinreichender Nahrung versorgt wird, ein wahres Paradies sein müsse für alle Vögel, welche gewohnt sind, in und am Wasser zu leben, und doch ist dies nicht der Fall. So sehr auch für alle Bedürfnisse Sorge getragen wird, so unbeschränkt die Ansprüche eines jeden Einzelnen der Bewohnerschaft berücksichtigt werden: der Apfel des Paradieses fehlt auch hier nicht und erregt sündige Gelüste.

Welcher von unsern deutschen Vogelkundigen sollte wohl glauben, daß ein Pelikan, den die Natur von Haus aus zum Fischer gestempelt und gleich mit einem prächtigen Hamen zum Gewerbe versehen hat, daß ein Pelikan, sage ich, Gelüste haben könnte, welche man fast widernatürliche nennen möchte, daß er, anstatt hübsch bei den Fischen zu bleiben, sich an seiner Mitbürger Kinder vergreift und diese in seinen weilen Schlund hinabwürgt? Wer sollte es dem tiefsinnig erscheinenden Reiher wohl ansehen, daß er in böswilliger Weise dem Sperber in seine Gerechtsame pfuscht und anstatt nach Fischen oder Fröschen nach Sperlingen zielt? Und doch habe ich Beides zu meinem nicht geringen Erstaunen erfahren und den Einen wie den Andern aus dem Teichparadiese verbannen müssen! Wenige Tage, bevor gedachter Pelikan zwei junge Gänse verschlang, hatte mir ein kundiger Freund erzählt, daß er die Scharben beim Schwalbensang beobachtet, und ich hatte das kaum glauben wollen. Aber der Freund hatte Recht, denn auch die Scharben, welche ihrer Herrschsucht halber schon früher ausgewiesen werden mußten, zeigten mir, wie weit sich ein Thier von den ihm „ursprünglich vorgezeichneten Bahnen“ entfernen kann. Daß die Störche, Möven und Gänse auch nicht umsonst in der Strafanstalt untergebracht wurden, brauche ich wohl kaum zu versichern. Die Ersteren trieben es wie die Reiher, die Möven fielen sogar über alte Enten her, und die Gänse benahmen sich, als ob sie lebhaft bedauerten, nicht auch mit gleichen Waffen, wie Reiher und Möven, versehen zu sein: sie würden sonst die von ihnen beständig verfolgten Mitbewohner ihres Teiches wahrscheinlich auch gefressen haben.

Solche und mehrere andere Erfahrungen sind es gewesen, welche mich bestimmt haben, in dem kleinen Teich unter dem Wasserfalle eine Genossenschaft zu bilden, welche, so verschieden sie unter sich auch sein mag, doch in dem Einen sich gleicht, daß sie in

[21]

Unter dem Wasserfall im Thiergarten zu Hamburg.
Nach der Natur gezeichnet von H. Leutemann.

[22] guter Gesellschaft nicht geduldet werden kann. Wir haben es, wenn wir jenen Teich ins Auge fassen, beinahe mit lauter Ausgestoßenen, mit Thieren von mindestens zweifelhaftem Charakter zu thun.

Bis gegen die Futterzeit hin scheint das Leben am obern Teiche ein sehr gemüthliches zu sein. Jeder einzelne von den vielen Vögeln, welche dort vereinigt sind, beschäftigt sich meistens mit sich selbst, ohne sich um die andern besonders zu kümmern. Die Morgenstunden werden vorzugsweise der Reinigung und der Instandhaltung des Anzugs gewidmet. Die Pelikane sitzen am Strande und putzen das Gefieder; die Scharben sind auf die Felsblöcke unter dem Wasserfall geklettert, halten sich still, wie Bildsäulen, oder fächeln sich mit den Flügeln, wie es ihre Gewohnheit ist; die Möven laufen am Strande auf und nieder; die Gänse weiden; die Reiher sitzen, anscheinend in wichtige Betrachtungen versunken, regungslos hier oder dort; die Marabus ziehen den Hals ein und nehmen eine jener Stellungen an, welche unwiderstehlich zum Lachen hinreisten; die Löffelreiher erweisen sich gegenseitig ersprießliche Liebesdienste. Eine wahrhaft idyllische Stille liegt über dem ganzen Bilde, es geht friedlich und verträglich, der oberflächliche Beschauer würde sagen, langweilig her. Das Letztere ist jedoch durchaus nicht der Fall. Denn jeder von den Vögeln beschäftigt sich und jeder giebt dadurch Gelegenheit zu mancherlei Beobachtungen, namentlich auch hinsichtlich der Sorgfalt, mit welcher er sein Gefieder putzt.

So war es neu für mich, zu erfahren, wie es die Löffelreiher ermöglichen, alle Theile ihres Federkleides in Ordnung zu halten. Gerade sie halten sehr viel auf Reinlichkeit und brauchen viel Zeit zu ihrem Anputze. Der Löffelschnabel ist aber ein sehr ungefüges Werkzeug und seine Länge oft recht hinderlich. Den Leib, den Rücken, die Flügel sammt den Schwingen, den Schwanz zu putzen, jede einzelne Feder durch den Schnabel zu ziehen, sodann mit dem Fett der Bürzeldrüsen gehörig einzuölen und hübsch so, wie es sich gebührt, zu legen, das hat keine Schwierigkeit; denn was dem Schnabel an Gelenkigkeit abgeht, das ersetzt der geschmeidige Hals. Wie aber bringt es der Löffelreiher fertig, um diesen letzteren, den Hals nämlich, zu putzen? Ich gestehe offen, daß ich mir diese Frage erst gestellt habe, als mir der Löffelreiher die Antwort bereits gegeben halte. Mit seinem eigenen Schnabel seinen Hals zu putzen, ist ein Ding der Unmöglichkeit, mit dem Fuß dies zu thun, geht auch nicht an, und doch ermöglicht es der Vogel: er ermöglicht es – mit Hülfe eines andern seiner Art. Die Löffler gehören zu den geselligen und in Folge ihres stumpfen Schnabels auch zu den friedlichen Bewohnern des oberen Teiches. Sie thun Alles gemeinsam nun so auch das Putzen ihres Federkleides. Der eine beginnt, die andern folgen. Zunächst wird dasjenige Gefieder einer gründlichen Säuberung unterworfen, welches ohne fremde Hülfe geordnet werden kann. Hals und Kopf bleiben nach, und auch sie sollen nun an die Reihe kommen. Was geschieht? Zwei Löffelreiher treten freundschaftlich zusammen und einer beginnt nun, Hals und Kopf des andern zu bearbeiten, während dieser die gleiche Arbeit bei seinem Wohlthäter übernimmt. Zwar nicht eine Hand, aber doch ein Schnabel wäscht den andern! So stehen die Thiere halbe Stunden lang nebeneinander und bearbeiten sich mit gleicher Geschicklichkeit gegenseitig in der liebenswürdigsten Weise.

Man braucht jedoch seinen Beobachtungseifer nicht auf die Löffelreiher zu beschränken; die andern Vögel geben ebenfalls Stoff genug dazu. Dort der seinen Gedanken nachhängende Reiher brütet eben über einem jener Schelmenstückchen, welche ihm seine Verdauung zugezogen. Um den der zanksüchtigen Gänse halber mit Körnern gefüllten Futternapf haben sich Sperlinge in reicher Menge versammelt. Die zudringlichen Vögel sind selbstverständlich in dem futterreichen Thiergarten zu Hause, oft in größerer Anzahl, als es den Futterspendern lieb ist. Sie lernen sich sehr bald sicher fühlen und zeigen sich so dreist und unverschämt, wie Spatzen überhaupt sich zeigen können. Hundertmal haben sie ungestört aus eben demselben Futternapfe gefressen, welchen sie jetzt umlagern; sie haben dies auch gethan, ohne sich im Geringsten um diejenigen Vögel zu kümmern, denen das Futter bestimmt ist. Der Reiher, welcher jetzt zufällig dicht neben dem Napfe sitzt, sieht die bei all ihrer scheinbaren Plumpheit doch sehr gewandten Sperlinge wenig an: er erscheint ihnen viel zu ungeschickt und böser Vorsätze gewiß unfähig. Sie laufen ihm fast über die Füße weg. Flamingo, Ibisse, Pfuhlschnepfen, Gänse, Enten und Kraniche, bei welchen sie dasselbe versuchten, haben es ohne allen Anstand geduldet, und alle diese Vögel waren viel lebendiger, als die Reiher. Regungslos stehen diese auf einem Beine; wie im Schlafe ist der Hals tief eingezogen; sie gleichen mehr Bildsäulen, als lebenden Geschöpfen. Da plötzlich schnellt der zusammengekröpfte Hals hernieder und der spitze Schnabel schlägt mitten unter die Menge. Einer der armen Schelme ist durchspießt, wird nun nochmals gegen den Boden gestoßen, hierauf emporgeschleudert, aufgefangen und verschlungen. Dies Alles geht so schnell, daß die Sperlinge kaum zur Besinnung kommen, daß die jüngeren wirklich nicht wissen, was das sorgenvolle „Terrrrr“ eines alten Männchens, das glücklich der Gefahr entronnen und auf dem nächsten Baume sitzt, eigentlich besagen will. Ehe noch eine halbe Minute vergeht, ist der Reiher wiederum zur Bildsäule erstarrt, und einer oder der andere von den jüngeren, unerfahrenen Sperlingen hat sich bereits wieder beim Napfe eingefunden.

Inzwischen hat der Pelikan seinen Anputz beendet und tritt oder richtiger watschelt nunmehr, in dem rosenroth überhauchten Kleide prächtig geschmückt, längs des Strandes dahin, um sich seiner Freundin zu nähern. Die Freundin und mehr als Freundin, die Geliebte – ich darf die Verirrung des Pelikans nicht verschweigen – zu welcher der Pelikan sich schwerfälligen Fußes begiebt, gehört nicht zu dem Adel der Ruderfüßler, gehört überhaupt nicht zu den Schwimmvögeln, sondern einer ganz verschiedenen Ordnung, – sie gehört den Stelzvögeln an. Eine Störchin ist es, auf welche das liebebegehrende Auge des Pelikan gefallen, eine Störchin, welcher er sein Herz geschenkt und bei welcher er Erhörung gefunden. Es ist leider durch viele und betrübende Beispiele genügsam verbürgt, daß die Störche zu denjenigen Vögeln gehören, welche die heiligen Bande der Ehe in oft höchst unwürdiger Weise zerreißen. Die Eifersucht der Störche ist eine traurige Thatsache, aber leider ist diese Eifersucht nicht unbegründet. Man hat da sonderbare Dinge beobachtet, und ich selbst habe eine hierauf bezügliche Geschichte bereits in der „Gartenlaube“ veröffentlicht. Untreue unter den Störchen ist nichts Ungewöhnliches. Deshalb war es mir denn auch nicht eben wunderbar, daß eine Störchin sich so weit vergessen konnte, mit einem Pelikan zu liebäugeln; daß aber der Pelikan, er, gegen dessen sittsamen Lebenswandel bis jetzt auch noch nicht der leiseste Verdacht vorlag, daß er sich mit einer Störchin befreunden konnte: – das war mir entsetzlich neu. Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß nicht er die Störchin, sondern daß die Störchin ihn vom Pfade der guten Sitte abgelenkt hat! Der Beweis der Untreue ist vor meinen eignen Augen gegeben worden.

Freilich muß ich, da ich duldsam sein will, anerkennen, daß dem Pelikan eine derartige Freundschaft wohl zu gönnen ist. Als die eben erzählte Geschichte spielte, war er der Einzige seines Geschlechts und genoß von den andern Teichbewohnern keineswegs Liebe, nicht einmal Freundschaft; ja, seine nächsten Verwandten, die Scharben, mißhandelten ihn sogar; sie bewiesen ihm wenigstens durchaus nicht die Achtung, welche ihm als dem größten ihrer Zunft von Rechtswegen gebührt. Ich muß, um dies zu erklären, zunächst über die Scharben selbst einige Worte sagen. Diese Vögel gehören unbedingt zu den anziehendsten Bewohnern eines derartigen Teiches, wie es der unsrige ist. Sie wissen die Aufmerksamkeit des Beschauers stets zu fesseln. Ihre Stellungen im Sitzen sind so eigenthümlich, daß auch das Auge des unkundigsten Beschauers unwillkürlich an ihnen haften bleibt, ihre Bewegungen im Wasser aber wirklich wundervoll. Mit der Geschmeidigkeit eines Aales und der Geschwindigkeit einer Forelle schwimmen sie durch die Fluthen, gleichviel, ob über oder unter dem Wasser. Von Haus aus Fischjäger, richten sie in jedem beschränkten Gewässer entsetzlichen Schaden an. Sie sind im höchsten Grade gefräßig, fangen aber auch dann noch Fische, wenn ihr Schlund bereits gefüllt ist, so wie der vollkommen gesättigte Fuchs noch Mäuse fängt zu seinem Vergnügen. Versuchsweise ließ ich einmal mehrere hundert ziemlich große Fische in den damals von ihnen bewohnten Teich setzen. Sie entdeckten diese wünschenswerthe Bereicherung an jagdbarem Wild in ihrem Gebiete sehr bald und arbeiteten nun ununterbrocken mehrere Tage lang. bis sie sämmtliche Fische gefangen, theilweise verschlungen, aber wenigstens alle getödtet hatten. Diese Jagdlust ist der Grund, daß sie sich möglichst viel im Wasser zu schaffen machen und nur, wenn sie von langer Jagd sehr ermüdet sind, sich an das Land begeben, um hier sich auszuruhen.

Solche Augenblicke der Ruhe sind es, welche die Thiere überhaupt [23] sichtbar werden lassen; wenn sie sich im Wasser befinden, gewahrt man von ihnen höchstens dann und wann den Hals. So lange nun das Gewässer eisfrei bleibt und tagtäglich mit Fischen versorgt wird, finden die Scharben in ihm Alles, was sie bedürfen, und befinden sich anscheinend außerordentlich wohl. Der Sommer gewährt ihnen außerdem noch andere Unterhaltungen. Sie fangen dann, wie ich bereits andeutete, eine und die andere der vorbeifliegenden Schwalben, wenn diese hart über das Wasser dahinstreifen; sie führen vielleicht mit dem oder jenem ihrer Teichgenossen einen kurzen Zweikampf auf und erlangen dabei regelmäßig den Erfolg, daß die von ihnen Angegriffenen das Weite suchen. Anders verhält sich die Sache, wenn der Winter seine Eisdecke über das Gewässer legt und ihnen ihr Haus im eigentlichen Sinne des Worts zuschließt. Dann sitzen sie sehr trübe am Strande und langweilen sich. So lange, wie ihre Kräfte ausreichen, versuchen sie die Eisdecke zu zerstören, und gewöhnlich halten sie das Wasser auch bei starkem Froste tagelang offen. Endlich aber wird das Eis ihnen doch zu stark, und sie sind dann gezwungen, am Lande zu verweilen. Im vorigen Winter hatte sie der Frost gänzlich überrascht. Das Wasser war über Nacht zugefroren, und sie saßen am Morgen sehr traurig auf ihren gewöhnlichen Sitzplätzen. Auch der Pelikan fühlte sich höchst unbehaglich. Ihm war das Eis etwas vollkommen Neues, ein Erzeugniß der Fremde, welches er in seiner Heimath niemals kennen gelernt. Er versuchte zuerst, auf dem glatt wie immer erscheinenden Spiegel zu schwimmen, rutschte selbstverständlich aus und bemühte sich lange Zeit vergeblich, wieder auf die Beine zu kommen. Unter diesen Bemühungen brach die schwache Eisdecke ein, und er begann jetzt aus Leibeskräften zu rudern. Die scharfe Kante des Eises hinderte ihn jedoch, und der arme Schelm wußte sich weder zu rathen noch zu helfen. Diesen Augenblick benutzten die Scharben. Sie hatten im Nu die Lage erkannt, eilten von allen Seiten herbei, stürzten sich neben dem Pelikan in’s Wasser und tauchten vergnüglich in die Tiefe, beim Emporsteigen aber hinderte sie das Eis, und sie mußten wohl oder übel zu der einzigen kleinen Oeffnung zurückkehren. Da blitzt ein Gedanke durch ihr Hirn, wie er ihrer würdig ist. Sie stürzen sich plötzlich mit vereinten Kräften auf den Pelikan und zwicken und beißen ihn von allen Seiten. Der wehrt sich mit seinem gewaltigen, aber unkräftigen Schnabel, so gut er kann, ohne Erfolg. Die Scharben greifen ihn von Neuem an, und der Geängstigte sucht endlich Rettung in der Flucht. Das war es, was die Scharben beabsichtigten; denn flüchtend zerbrach er ihnen das Eis. Die Vögel hatten zweifelsohne vorher beobachtet, daß ein schwererer Vogel das Eis zertrümmern kaum sie kalten also nur nach den gesammelten Erfahrungen gebündelt. Demungeachtet bewiesen sie aber eine Schärfe des Verstandes, welche man ihnen gewiß nicht zugetraut hätte. Fortan war der Pelikan der allgemeine Eisbrecher im Teiche. Die Scharben hetzten und quälten ihn, so oft sich eine dünne Eisdecke über das Wasser gelegt hatte, und Dank seiner Schwere brachten sie es dahin, daß sie am längsten unter allem Geflügel und ohne unsere Hülfe das Wasser sich auch während der strengsten Kälte offen erhielten.

Dieses kluge Benutzen anderer Kräfte oder das Ausbeuten fremder Arbeit ist überhaupt etwas Gewöhnliches unter dem Wassergeflügel. Die Möven geben uns dafür alle Tage Belege. Sie haben sehr bald erkennen gelernt, daß die Tauchvögel auch dann noch Beute zu erlangen wissen, wenn die auf den Strand geworfene Nahrung bereits erschöpft ist. Sie haben gesehen, wie Scharben und Tauchenten aus der Tiefe herauf todte und lebende Fische holen und bezüglich verzehren. Darauf hin gründen sie ihren Plan. An die Scharben dürfen sie sich natürlich nicht wagen; die Enten aber sind ihnen gegenüber wehrlose Geschöpfe. Sie erscheinen also zwischen diesen, schwimmen harmlos unter ihnen umher und achten genau auf diejenigen, welche in der Tiefe verschwinden. Wehe ihnen, wenn sie mit einem Fisch im Schnabel wieder emportauchen, in der Absicht, diesen, mit dem Kopfe außerhalb des Wassers, zu verzehren! Im Nu erheben sich die leichten Möven, stürzen sich nach ihnen hin und versuchen ihnen die erlangte Beute abzunehmen. Die Tauchente will sich natürlich solches nicht gefallen lassen und taucht blitzschnell wieder mit dem Gefangenen in die Tiefe; sie ist aber gewöhnt, denselben über dem Wasser zu verzehren und kommt deshalb wieder empor. Die Möven stürzen sich zum zweiten Male auf sie; sie sinkt wiederum hinab, kommt zum dritten Male in die Höhe, und der Möve glückt es gewöhnlich doch endlich, ihr den Bissen vom Munde wegzunehmen. – Das sind gewissermaßen die stillen Stunden unserer Teichgesellschaft. Die Fütterung dagegen ist stets das Zeichen zu einer allgemeinen Erhebung.

Alle Thiere kennen die Zeit, sie wissen sehr wohl zwischen den verschiedenen Stunden zu unterscheiden; sie kennen namentlich genau die Stunde, in welcher der allgemeine Wohlthäter, Wärter genannt, ihnen das Futter zu bringen pflegt. Des Nachmittags um drei Uhr wird es an unserm Teiche lebendig. Die Marabus erheben den langen Hals, der Pelikan schaut verlangend, die Reiher recken ein Mal um das andere die Köpfe in die Höhe; die Möven laufen eilfertig hin und her, und Alles versammelt sich allgemach in der Nähe des gewohnten Futterplatzes; Groß und Klein drängt sich durcheinander. Den Scharben wird die Zeit zu lang. und sie sinnen deshalb darauf, sie durch allerlei Kurzweil zu vertreiben. Eine ihrer beliebtesten Vergnügungen ist, andere Vögel zu beißen. Dank vielfacher Uebung haben sie hierin eine so große Fertigkeit und zugleich eine so große Furchtbarkeit erlangt, daß die meisten Mitbewohner des Teichs ihnen ehrfurchtsvoll Platz machen. Aber auch sie finden ihren Meister. Die Marabus sind so leicht nicht aus ihrer Ruhe zu bringen, können aber, wenn sie dieselbe ein mal verloren haben, sehr ungemüthlich werden. Sie schmettern, gereizt, mit ihrem Keilschnabel rücksichtslos zwischen die Menge, und ihnen müssen selbst die Scharben weichen. Solche Kämpfe finden statt, noch bevor eigentlich Grund zum Streiten vorhanden; wenn aber der Wärter sich endlich zeigt, entsteht ein wahrer Aufruhr. Die klugen Möven pflegen die Ersten zu sein, welche den fischspendenden Mann in der Menge der Besucher herausgefunden haben und kündigen das frohe Ereigniß mit einem sonderbaren und nicht zu beschreibenden Gelächter an. Auf diesen Ton stürzt Alles gierig nach der einen Stelle hin; es läuft und fliegt, es taucht und schwimmt, es hüpft und rennt herbei. Die große Freiheit, welche ich vielen Vögeln gewähre, zeigt jetzt ihre Lichtseiten. Unsere Lachmöven, welche in ihren Bewegungen vollkommen unbehindert sind, stürmen schaarenweise heran; es bildet sich eine Wolke von ihnen über dem Teiche, den Schwärmen derselben Vögel zu vergleichen, welche ein nahe an der Küste dahinsegelndes Schiff umgeben. Eine um die andere stößt von oben herunter, gleitet zwischen der Masse hindurch und vermehrt dadurch noch wesentlich das allgemeine Leben. Inzwischen ist der Wärter zur Stelle gekommen und hat sich seiner Bürde entledigt. Dreißig, vierzig, fünfzig Pfund Fische, je nach dem zeitweiligen Bestand, genug für Alle, werden hier mit einem Male auf die Tafel gebracht. Aber der hungrigen Gäste sind viele, und die Eßlust ist erstaunlich groß: da gilt es also schnell sein, um nicht zu kurz zu kommen! Alles rennt, schwimmt, fliegt durch einander; jeder schlingt, so schnell er kann, möglichst viel von den Fischen hinab, und der, welcher glücklich etwas erworben, versucht damit so schnell wie möglich wegzukommen. Wirklich ergötzlich sieht es aus, wenn der Pelikan seinen Hamenschnabel dazu benutzt, die an das Land geworfenen Fische aufzuschaufeln, genau so, wie es unser Bild darstellt. Der Schnabel ist dazu durchaus nicht geeignet, demungeachtet gelingt es seinem Besitzer nicht selten, mit einer einzigen Bewegung vier bis fünf Pfund Fische einzusenken und im Kehlkropf sicher zu bergen. So viel können die Scharben mit einem Male nicht hinabschlingen; dafür aber sind sie schneller und gewandter und kommen deshalb nicht im Geringsten zu kurz. Wie Schlangen winden sich die Hälse zwischen den Leibern und Flügeln und Beinen der Vögel hindurch; ein Fisch nach dem andern wird erfaßt und mit unglaublicher Hast hinabgewürgt. Doch geht ihre Mahlzeit nicht immer so ganz ohne Störung ab. Ihre Gier läßt die ihnen angeborne Herrschsucht rücksichtsloser als je austreten, und die Strafe folgt dann den Uebergriffen auf dem Fuße nach. Störche, Reiher und Marabus bringen den gefräßigen Ruderfüßlern manchen wohlgezielten Schnabelhieb bei, und gar nicht selten müssen diese den Wahlplatz verlassen, ohne ganz befriedigt worden zu sein. Dann schwimmen sie der Mitte des Teiches zu, tauchen in die Tiefe und durchsuchen das Gewässer eifrig nach allen Richtungen, in der Hoffnung, wo möglich hier noch Etwas aufzufinden. An ein Zurückkehren zur Tafel ist nicht zu denken; denn die Mahlzeit selbst währt höchstens zwei Minuten. In dieser Zeit muß jeder Tischgenosse sich versorgt haben, wenn er nicht Hunger leiden will. Die Hoffnung, nachträglich Etwas zu erhalten, würde vergeblich sein; denn nicht einmal eine Gräte bleibt übrig!



[24]
Ein Tag im Harem.
I.
Unsichtbarkeit der Perserinnen. – Ehe auf Zeit. – Die große und die kleine Frau des Persers. – Der Divan-Chan oder das Empfangzimmer. – Persische Toilette. – Die Gebetbänder an den Armen der Perserinnen. – Schönpflästerchen auf Wangen und Hals. – Die hennagefärbten Nägel und Fußzehen. – Die rußbemalten Augenlidränder. – Brustfutterale und Ringe an den Fußzehen. – Vorbereitungen zum Diner.

Bald nach unserer Rückkehr aus Persien besuchte ich in Berlin mit meiner Frau das den Erben des leider zu früh verstorbenen Barons Julius von Minutoli gehörige persische Museum; mit uns betrat die Räume auch eine auswärtige Prinzessin in Begleitung eines Generaladjutanten und eines Kammerherrn des Königs von Preußen. Als die Fürstin zu den an Ort und Stelle gefertigten bunten Abbildungen persischer Frauen gelangte, fragte sie den sie herumführenden Herrn Dr. Brugsch, welcher mit der königl. preußischen Gesandtschaft ein Jahr in Persien zugebracht hatte: „Sind die Perserinnen hübsch?“

Der Angeredete bedauerte, ihr darüber keine genaue Auskunft geben zu können, weil er nie eine Perserin von Angesicht zu Angesicht erblickt habe, machte aber die Dame, nachdem sie ihm ihre Verwunderung deshalb ausgesprochen, auf mich aufmerksam, als einen deutschen Arzt, welcher während achtjährigen Aufenthaltes in Asien sehr häufig Gelegenheit gehabt hätte, mit Muhamedanerinnen näher zu verkehren, und bat um die Erlaubniß, diese Frage durch mich beantworten lassen zu dürfen. Dies geschah natürlich sofort und so gut, wie es in geflügelten Worten sich eben thun ließ.

Damals kam mir der Gedanke, daß ich über die Muhamedanerinnen meinen Landsleuten doch wohl manches Neue mittheilen könne; denn wenn eine fremde Fürstin, die, wie ich später erfuhr, mehr Gelegenheit gehabt haben dürfte, den Orient kennen zu lernen, als dies uns Deutschen meist vergönnt ist, durch ihre Verwunderung über die Antwort des Dr. Brugsch schon zu erkennen gab, wie wenig sie noch über die muhamedanische Frauenwelt erfahren habe, so darf ich daraus wohl schließen, daß dieses Capitel der großen Mehrzahl meiner Landsleute noch unbekannter geblieben sein möge. Dies und die mancherlei ganz absonderlichen Ansichten über den Orient und namentlich über seine Bewohnerinnen, die ich sogar durch Literaturwerke verbreitet gefunden, veranlassen mich endlich, von meinen Erfahrungen über das Leben der Muhamedanerinnen wenigstens Einiges, und zwar nach echt persischen Bildern illustrirt, den Lesern der weitverbreiteten Gartenlaube zu erzählen, selbst auf die Gefahr hin, sie dabei aus dem siebenten Himmel Muhamed’s etwas unsanft auf die reale Erde zu versetzen.

Der Leser gestatte mir, einiges Sprachliche und Volkseigenthümliche aus den Sitten des Orientalen hier vorauszuschicken, weil wir dadurch falsche Auffassungen und Wiederholungen im Verlauf unseres Vortrags verhüten. Das Wort „Serail“, das namentlich durch die Oper „Die Entführung aus dem Serail“ auch deutschen Zungen so geläufig geworden ist, muß für diese Seraï geschrieben und ebenso ausgesprochen werden; es bedeutet auch nicht etwa blos Frauengemach, sondern „Palast“. Da allerdings in Palästen häufig Frauengemächer sich befinden, so ist hier das Ganze für den Theil genommen. Frauengemach und Frauen werden in den verschiedenen orientalischen Sprachen mehr oder weniger verschieden bezeichnet. Das allgemeine arabische Wort, welches die Muhamedaner dafür gebrauchen, ist „Harém“, nicht zu verwechseln mit „Harám“, welches nur „Verbotenes“ bezeichnet. Das in Europa ebenso geläufige Wort Odalisque ist das türkische Odalik oder besser Odalyk und läßt sich im Deutschen wörtlich übersetzen durch den Ausdruck „Frauenzimmer“. Wenn ich im Folgenden das Wort Harém sächlich gebrauche, so werden hoffentlich die gelehrten Orientalisten mir beistimmen. –

Der größte Theil der jetzigen Bewohner Persiens huldigt bekanntlich den Lehren Muhameds; deshalb unterliegen die Perserinnen den allen Muhamedanern eigenen Religionsvorschriften und den allgemeinen Gebräuchen derselben, mit wenigen Abänderungen. Da Frauen und Mädchen als etwas (für Andere) Verbotenes gelten, so ist es erklärlich, warum sie abgeschlossen von männlicher Gesellschaft in einem besonderen, dem inneren Theile der Wohnung, dem Harem, leben müssen; warum sie sich von Männern nur ihren allernächsten Angehörigen, höchstens den ältesten vertrautesten Dienern (Ferrasch chelwet, Diener, welcher in dem Orte des Alleinseins [Chelwet] dient), und bei Erkrankungen allenfalls dem Arzte zeigen und warum sie auf der Straße oder auf der Reise nur streng verhüllt und blos am Tage ausgehen dürfen.

Weniger bekannt möchte es dagegen sein, daß zwar auch den Persern gestattet ist, bis vier legitime Frauen zugleich zu besitzen, unter denen sich jedoch mindestens zwei freie befinden müssen, daß aber diese sogenannte beständige Ehe der Scheidung ebensogut ausgesetzt ist, wie die nur bei den Schiiten – der muhamedanischen Secte, zu welcher die Perser gehören – zugleich mit bestehende zeitweilige Ehe. Letztere kann für eine halbe Stunde ebensogut, wie für neunundneunzig Mondjahre abgeschlossen werden.[1]

Man glaube übrigens ja nicht, daß von der Polygamie in den Ländern, wo sie gestattet ist, so allgemein Gebrauch gemacht werde. Die sehr große Mehrzahl der Muhamedaner, namentlich der Türken, besitzt nur eine Frau, und wenn in Persien, bei der im Allgemeinen größeren Leichtigkeit des Lebens, bei dem leichteren Sinne der Perser und ihrem Hange zum Luxus, die Vielweiberei bisher häufiger in Gebrauch gewesen ist, so machen doch der größere Theil der arbeitenden Classen sowie der Landbewohner und fast alle Nomaden, welche zusammen weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung betragen, Ausnahmen davon, indem sie sich gewöhnlich mit nur einer Frau begnügen, die ihnen mehr die Gefährtin des Christen ist, als die Kindergebärerin des Muhamedaners. Eine solche Frau arbeitet dann häufig sogar mehr, als der Mann, und hält sich in der Regel nicht so streng verhüllt und abgeschlossen, wie die Frauen der Wohlhabenderen oder der Städtebewohner, deren Beschäftigungen fast nur im Empfangen und Erwidern von Besuchen, im Gebrauche der orientalischen (altrömischen) Bäder, im Besuche des Mesdsched (Bethaus), im Wallfahrten nach heiligen Orten, im Intriguiren und im Faulenzen bestehen.

Um den Leserinnen ein etwas anschaulicheres Bild von dem gesellschaftlichen Leben ihrer muhamedanischen Schwestern vorzuführen, will ich einen Besuchstag in dem Harem der ersten Frau eines der vornehmeren Chans in einer persischen Stadt zu skizziren versuchen. –

Wenige Stunden nach Sonnenaufgang trippelt ein Paar Perserinnen durch die Stadt. Ihre Gestalten sind in große dunkelblaue Tschader (Tücher) eingewickelt, welche sie vorn mit der linken Hand zusammenhalten. Die rechte Hand hängt dahinter frei herunter, oder sie kneift weiter oben in der Halsgegend den unteren Theil des Rubend, eines weißen, dichten baumwollenen Schleiers mit eingestickten engen Löchern zum Durchsehen, mit dem Tschader zusammen. Die an den dunkelfarbigen seidenen Ansteckehosen befindlichen Oberstrümpfe von gleichem Stoffe stecken in kahnförmigen kurzen Pantoffeln von buntem Saffian mit hohen Absätzen, welche dem Gange der Trägerinnen etwas Unbeholfenes verleihen. Wer in Europa sie so gehen sähe, würde glauben, wandelnde oder wackelnde Pakete aus irgend einer alten Rumpelkammer vor sich zu haben. Die zweite möchte wohl auch dahin gehören, denn sie hält das Gesicht fest verschleiert und läßt vorübergehende Männer mit einer Viertelwendung ihres Vorderkörpers nach der Häuserseite passiren. Gewiß ist sie eine alte Dienerin der ihr Vorangehenden. Ihre Herrin dagegen scheut sich nicht, den weißen Schleier kokett über die linke Schulter zu werfen und, nur den Untertheil des Gesichts bis zur Nase mit einem Zipfel ihres blauen Tschader bedeckend, die schwarzen brennenden Augen aus dem frischen noch jugendlichen Gesichte herausblicken zu lassen.

Wir kennen diese Frau, die wir auf ihrem Gange zum Besuch bei der ersten Frau des Chans begleiten wollen. Fatme Chanum[2] ist tatarischer Abkunft und von armer Familie. Der schon alternde Mirsa (Schreiber, Secretär) des Chan hörte durch seine Mutter von Fatme’s Schönheit, ward mit ihren Eltern um die von ihm zu zahlende Morgengabe einig und nahm das kaum [25] zwölfjährige Mädchen als zeitweilige Frau vor der Hand für fünf Mondjahre in’s Haus. Wenn auch die noch lebende erste Frau des Mirsa, Chanum bosurk (die große Frau), welche nur eine Tochter geboren hatte, ihrem Manne nichts einwendete gegen eine zeitweilige Ehe desselben mit einer jüngeren Frau, von der er einen männlichen Leibeserben zu erlangen hoffte, so konnten doch, trotz Fatme’s geduldigem Wesen, Zwistigkeiten um so weniger ausbleiben, als Chanum bosurk herrschsüchtig war und ihre schon erwachsene Tochter ebenso ränkesüchtig wie hübsch. Schon glaubten Beide sich am Ziele ihrer Wünsche, nämlich die Sigeh (so heißt die zweite Frau in Persien) am Ende ihres Contractes entlassen zu sehen, als diese nach mehr als dreijähriger Ehe ebenfalls ein Mädchen gebar. Das arme Kind und seine Mutter hatten viel von Chanum bosurk und ihrer Tochter zu leiden, und auch der alte Mirsa fing an auf die junge Frau ungehalten zu werden, weil seine Wünsche nicht in Erfüllung gingen. Zum Glücke für das arme Kind starb es bald, aber eine noch traurigere Zeit folgte für die junge Frau. Da, als ihr Contract eben ablaufen sollte, gebar sie abermals und zwar Zwillinge männlichen Geschlechts, welche beide leben blieben. Der alte Mirsa war wie toll vor Freude über diesen in Persien so seltenen Fall, und wenig fehlte, er hätte seine erste Frau sammt Tochter aus dem Hause gejagt, als diese ihn glauben machen wollten, die Kinder wären nicht seine eigenen. Nun wandte sich das Blatt, und statt den zeitweiligen Ehecontract zu erneuern, nahm er seine zweite, bisher nur zeitweilige Frau, unter Beobachtung aller nöthigen Förmlichkeiten, als beständige auf. Die bisherige Fatme Sigeh wurde von nun an aber Chanum kutschuk (die kleine Frau) titulirt und bekam für sich und ihre Kinder eine besondere Wohnung. Häuslicher Friede ist dadurch zwischen den beiden Frauen nicht erzielt worden: Chanum bosurk und ihre Tochter umgaben die junge Frau mit ihren Spionen, zu denen auch die alte Dienerin gehört, welche heute die junge Frau begleitet und die ihren Auftraggeberinnen auch etwas vorlügt, wenn es nur dazu taugt, die zweite Frau und ihre Kinder bei dem Aga (Hausherrn) zu verleumden. Chanum bosurk und ihre Tochter sind ebenfalls eingeladen. Sie haben sich jedoch entschuldigen lassen, denn sie hassen in der Frau des Chans die Beschützerin ihrer Nebenbuhlerin.

Eine vornehme Perserin mit ihrer Dienerin auf der Straße.
Nach persischen Originalzeichungen.

Die beiden Frauen gelangen jetzt an eine geräumige Wobnung mit vielen Gebäuden und einem großen Garten, die von einer hohen Mauer mit mehreren Eingängen umgeben ist. Am Haupteingange zu dem Divanchane (Empfangszimmer des Hausherrn) stehen plaudernd und hocken rauchend neben einem Paar zerlumpter Soldaten viele Diener, und Pferde werden herumgeführt, bedeckt mit kostbaren Decken. Hier zieht Chanum kutschuk das Rubend wieder über ihr Gesicht und wandert still vorbei um die Ecke zu einer Seitenpforte, die sich, nach mehrmaligem Klopfen mit dem daran befestigten Eisenklöppel, öffnet. Ein alter Schwarzer öffnet den beiden Frauen, welche im Hause so wohl bekannt sind, daß er ihre Gesichter nicht einmal zu sehen braucht, um sie zu [26] kennen. Im Hofe angelangt, schlägt die junge Frau sogleich den Schleier wieder zurück, um die frischen Lüfte zu genießen, die um das große wassergefüllte Bassin spielen.

Endlich im großen Empfangszimmer angekommen, grüßt die junge Frau mit einer Verbeugung die Frau vom Hause, welche auf dem Fußboden an dem unten geöffneten großen Fenster von bunter Glasmosaik mit untergeschlagenen Beinen sitzt, denn sie gehört zu der jetzt regierenden Kadscharenfamilie, welche, nebst den Europäern, in Persien einzig das Recht hat, so zu sitzen. Die junge Frau steigt die sechs Stufen zu dem erhöhten Erdgeschosse hinauf, lüftet ihr Tschader, streift in der Doppelthür ihre Pantoffeln ab, und während ihre Begleiterin im Nebenzimmer über dem Hausflur das Gleiche thut, tritt sie noch fest verhüllt – denn so erheischt es der Anstand – vor die Herrin. Diese, eine stattliche Frau, wie man sie unter den Kadscharinnen häufig findet, hat die junge Frau, deren Leben erst seit Kurzem eigentlich begonnen hat, schon längst liebgewonnen und behandelt sie mehr wie eine Vertraute, als wie die Frau eines Untergebenen ihres Mannes. Sie läßt daher die Eintretende, nachdem diese ihre Verbeugung mit dem arabischen Gruße: „selamun aleïkum“ (Heil über Euch!), dem „we aleïkum esselam“ (und über Euch Heil!) als Antwort folgt, wiederholt hat, vor sich am Fußboden niedersetzen oder vielmehr niederknieen, und erwidert die Frage: „Wie ist das Befinden der Gnädigen?“ mit einem kurzen „Dank (nämlich: Gott), es ist gut, und Euer Befinden?“ Während die junge Frau antwortet: „Durch die Gewogenheit der gnädigen Frau ist es sehr gut,“ bringt eine schwarze Sclavin ein Galjan (persische Wasserpfeife) herein. Nach einigen Zügen übergiebt die Hausfrau der Besuchenden das Rauchwerkzeug zum Weiterrauchen, und das Eis der nöthig gewesenen Etikette ist gebrochen. Auf einen Wink entfernen sich die Dienerinnen, welche mit den wenigen Anordnungen zum Empfange der Gäste im Empfangszimmer beschäftigt sind, und horchen anfangs theilweise und gucken durch die Spalten der Thür oder hinter den Vorhängen, denn einige von ihnen sind eben erst vom Lande hereingekommen, wo sie von Harem und Haremsleben meist nur sehr wenig gekannt haben. Die Herrin hatte zwar „chelwet“ geboten, d. h. sie wollte (mit ihrem Besuche) allein gelassen sein; was half es aber gegen die weibliche Neugierde?

Nunmehr macht es sich die junge Frau bequem. Sie wirft Tschader und Rubend in einen Winkel, dazu die violettseidenen Ansteckhosen, aus denen die Fülle der weiten persischen Unterröcke herausquillt, welche ein hellseidener deckt. Die Füßchen stecken bis zu den Knöcheln, welche schwarze Perlenbäuder umfassen, in bunten persischen Wollensocken und den Oberkörper bedeckt ein dünnes Hemd bis zum Nabel; von da bis zu der Gegend der Hüften, wo die Röcke beginnen, bleibt der Unterleib frei. Ein buntseidenes Jäckchen mit langen Manschetten bedeckt das Hemd, und darüber ist ein vorn offener Tuchrock mit kurzen Aermeln gezogen. Das häßliche weiße Kopftuch, unter welchem die schwarzen Locken üppig hervorquellen, wirft sie zu den übrigen Stücken und läßt den Scheitel blos mit einem kleinen buntseidenen Käppchen bedeckt, in welches Goldfäden und echte Perlen eingestickt sind. Die Frau des Chans ist ähnlich gekleidet, nur sind die Stoffse ihrer Kleidung schwerer und kostbarer. Ihr Rock von Caschmirshawl wird von einem goldenen Gürtel zusammengehalten, um dessen Schloß große Rubinen sitzen. Auf dem Kopfe trägt sie einen nach hinten zu fallenden feinen Schleier und ein reiches Diadem mit großen Perlen dicht besetzt. Die Gebetbänder an den Oberarmen sind, den Gesetzen der Religion, an die sich die Kadscharenfamilie am allerwenigsten stößt, zuwider, mit Perlen reich eingefaßt, während sie bei der jungen Frau des Mirsa nur aus Schnuren schwarzer Kugeln bestehen, welche aus Seetang vom persischen Meerbusen gefertigt sind. Goldene Arm- und Fußknöchelbänder vertreten bei ihr die Stelle der sonst gebräuchlichen schwarzen Knochenperlen. Silberne Ringe mit vorstehenden großen Rubinen, Smaragden und Brillanten stecken fast an allen Fingern der niedlichen Hände, weite Perlenringe hangen in den Ohrläppchen. Chal, kleine schwarze Schönpflästerchen, finden sich auf den Wangen und der oberen Mitte des Halses. Tragen auch Beide keine schwarzbläulichen Tätowirungen in Rosetten und anderen Figuren an Armen, Stirn, Kinn und Leib, wie so viele andere Perserinnen, so sind doch gewiß die schönen schwarzen Haare mit Henna bräunlich scheinend gefärbt, und die braune Farbe des Henna findet sich, wenn nicht an Händen und Füßen ganz und gar, so doch mindestens an den Nägeln der Zehen und Finger, denn anders wäre es eben so unschicklich, in Gesellschaft zu erscheinen, wie bei uns ohne Handschuhe. Auch die Augenlidränder sind mit feinem Ruße schwarz überzogen, um das Weiße der Augen mehr hervortreten zu lassen, und die geschwärzten Augenbrauen durch einen Strich über der Nasenwurzel fast mit einander verbunden. Dies sind unschuldige Mittel, die, wie die Schminke, welche die Hausfrau aufgelegt hat, ihnen durch ihre Religion gestattet sind. Wenn ich aber recht indiskret sein darf, so erlaube ich mir noch zu bemerken, daß die Hausfrau, wie viele vornehme Perserinnen, ihre Brüste in reich gestickten Etuis trägt, die durch das dünne weiße Hemd hindurchschimmern, und daß manchmal, wenn sie der Wärme halber ihre weißbaumwollenen Ispahaner Socken auszieht, auch die Zehen ihrer niedlichen Füßchen sich mit Ringen geschmückt zeigen.

Beide Frauen, die sich fast täglich sehen, gerathen in ein vertrauliches tête à tête, in welchem sie sich gegenseitig so viel erzählen, daß man glauben möchte, sie wären Jahre lang nicht zusammengekommen. Dabei werden sie nach und nach so lebhaft und so laut, daß die Mulattin vor der Thür, welche den geheimen Befehl erhalten hat, die alte Dienerin der jungen Frau fern zu halten, fast jedes Wort der Unterhaltung wiedergeben könnte, wenn sie überhaupt tatarisch verstände, in welcher Lieblingssprache der Kadscharen sich die beiden Frauen vertraulich unterhalten, nachdem sie officiell sich persisch begrüßt hatten. Endlich ist die Unterhaltung zu Ende. Die Dienerinnen werden wieder hereingerufen, und die junge Frau steht als Hausfreundin der Hausfrau im Anordnen der Vorbereitungen zur Mahlzeit bei, die sehr einfach sind, denn die Küche allein nimmt die meiste Arbeit in Anspruch.

Das große hohe Empfangszimmer, eingeschlossen an drei Seiten von weißen, glatten Gypswänden, an denen oben ein paar Reihen bunter und vergoldeter, schon theilweise beschädigter Stuckverzierungen hinlaufen, hat oben an diesen drei Seiten durch Vorhänge verhüllte Fenster, welche zu kleineren Haremszimmern des nächst höheren Stockwerkes gehören. An der hohen Holzdecke zeigen sich Tafeln mit persischen Malereien von sehr untergeordnetem Kunstwerthe. In den Mauernischen und auf den Simsen stehen europäische Glasgefäße und Steingutgeschirre. Die beiden schmäleren Seiten des länglichen Saales enthalten je zwei niedrige, schmale Doppelthüren mit Seitenvorhängen und fußhohen Doppelschwellen, an denen sich ungeübte Europäer ebenso leicht die Schienbeine bestoßen, wie an den niedrigen Querbalken der Thüren den Kopf. Gegenüber der einen großen Längenwand nimmt das ungeheure Fenster von persischer Glasmosaik in mehreren Abtheilngen die ganze vierte Wand ein. An ihm herab hängen bunte Kattunvorhänge zum Schutze gegen die Sonne und etwaige Neugierige. Die unteren Abtheilungen dieses großen Fensters sind hinaufgeschoben, um frischer Luft Zugang zu verschaffen und den Blicken die Aussicht auf den innersten Hof mit seinem großen Wasserbassin und den dahinter befindlichen Garten mit den monotonen Pappeln und Cypressen, mit seinen Maulbeerbäumen, mit den feuerroth blühenden Granatenbüschen und den schattigen Platanen, die ein bräunlicher Höhenzug in weiter Ferne überragt.

Der Gypsestrich des großen Saales ist schon in der Morgenfrühe besprengt und gekehrt worden. Der aufgewirbelte Staub ist da liegen geblieben, wohin ihn die Luftströmungen und die Gesetze der Schwerkraft trugen. Die den Estrich zunächst bedeckenden platten Schilfmatten aus den weiten Sümpfen der persischen Ufer des kaspischen Meeres sind ausgeklopft worden. Nun legt man auf sie einen kostbaren großen länglichen Teppich in die Mitte des Zimmers. An den zwei Längenseiten kommen dicke bunte Filze von gleicher Länge zu liegen, die mit denen an den beiden schmäleren Querseiten ein längliches Quadrat bilden, welches die Ränder des großen Mittelteppichs überragt und ihn so vollständig einfaßt. Auf den Platz der Hausfrau in dem Winkel am Fenster gegenüber der als Haupteingang benutzten Thür wird jetzt noch ein großer, viereckiger, schönerer Filz hingelegt und an die glatten Wände dieses Platzes und der benachbarten kommen große, länglich runde, weiche Kissen zu liegen. Es sind dies große Säcke mit Baumwolle, manchmal auch mit Schwanenfedern gefüllt, über die ein dunkler Baumwollenstoff gezogen ist, welchen eine dünne Hülle von Mousselin mit eingenähten Goldarabesken bedeckt. An beiden Seiten sind diese Kissen durch rothseidene, mit Goldfäden durchschossene Quasten geschlossen. Darin besteht die ganze Vorbereitung [27] des Besuchszimmers. Selbst die zahlreichen Spinnen läßt man in Ruhe, und Tische und Stühle werden glücklicherweise nicht gebraucht.

Jetzt läßt die Hausfrau den Koch aus der im andern Hofe etwas abgelegenen Küche unter das geöffnete Fenster bescheiden, und nachdem sie einen Zipfel ihres Schleiers vor diesem männlichen Wesen bis an die Nase gezogen hat, schärft sie ihm nochmals ein, sich Mühe zu geben, damit ihr und ihm ja keine Schande erwachse. Sollte er aber zu viel in Rechnung setzen oder sich wieder betrinken, was einem guten Muselman doch ein Gräuel sein müsse, so würde sie bei dem Herrn schon dafür sorgen, daß er wenigstens seine fünfzig Hiebe auf die Fußsohlen bekäme. Der Koch schleicht sich still brummend davon; denn so sehr es ihm widerstrebt, Befehle oder gar Drohungen von einer Frau hinnehmen zu sollen, die ja doch nach persischen Begriffen nur den halben Verstand eines Mannes besitzt, so weiß er doch aus Erfahrung zu gut, daß mit dieser Frau nicht zu spaßen ist, die als echte Kadscharin ihren Mann beherscht, trotzdem sie kinderlos geblieben ist. Was das Erstere aber anlangt, so sind die Perser sehr im Unrechte, denn im Allgemeinen stehen die Perserinnen den Persern an Geist und auch an Gemüth weit voran, wenn auch viel seltener an Erfahrung, die bei ihrer abgeschlosseneren Lebensweise fast unmöglich ist. Endlich muß eine Dienerin im offenen Hausflur die ungeheure russische Theemaschine mit Wasser füllen und in Brand setzen, während zwei andere schwarzen Kaffee und Wasserpfeifen bereit halten.
H.




Aus der deutschen Weinstadt.
Von Ludwig Storch.

Ich weiß nicht, ob man schon die Bemerkung gemacht und öffentlich ausgesprochen hat, daß es ganz in dem Sinne, wie es eine deutsche Sandstadt, wo zumeist die specifisch deutsche Intelligenz und das deutsche Junkerthum gedeihen, auch eine deutsche Rebenstadt giebt, wo ebenfalls deutscher Geist gedeiht und ganz vorzüglich deutscher Traubengeist. Diese Stadt führt den bezeichnenden Namen Würzburg, d. h. im heutigen Deutsch: Weinstadt; denn unsere Ahnen im grauen Alterthume, welche die Burg Würzburg, später Marienberg genannt, erbauten, gaben ihr den Namen nach einem Würzgarten an der Süd- und Ostseite des sehr schön geformten Berges, d. h. einem Weingarten, den man jetzt weniger poetisch Leisten und Schloßberg nennt. Sie waren nämlich so vernünftig zu glauben, daß der Wein die beste aller Würzen sei und daß man ihn deshalb vorzugsweise Würze nennen müsse. Und seit auf diesem Berge das herrlichste Traubengut durch Sonnengluth und verständige Pflege gedeiht, sind wir zu dem guten Glauben unserer Altvordern zurückgekehrt und meinen, der Berg werde auch einmal in späterer Zeit seinen alten ehrwürdigen Weinnamen wieder haben. Der sonnige Rheingau mit seinen kostbaren Weinbergen hat doch keine Weinstadt wie das nicht minder helle und warme Weinbergland am Main, und so ist es denn den Würzburgern nicht zu verdenken, wenn sie aus allen Leibes- und Geisteskräften bemüht sind, den letzten Rest des Schattens, welchen die Vorfahren vor einigen Generationen hatten auf den Namen ihres Weines fallen lassen, nicht nur gänzlich zu vertilgen, sondern auch diesen Namen in das hellste Sonnenlicht zu setzen.

Schon jetzt kann man sich einen Vorschmack von der Herrlichkeit der Würzburger Weinzukunft verschaffen, wenn man eine kleine Weinreise durch die sehr ehrwürdigen Weinkeller und Schaumweinfabriken der Stadt macht; da wird man eine richtige Vorstellung von der Großartigkeit und hohen Bedeutung des heutigen Würzburger Weinhandels fassen, dessen Umsatzcapital jetzt bereits nach Millionen zählt. Es giebt Weinhandlungen hier, die mit den bedeutendsten Weingeschäften Frankreichs concurriren.

Zwei zum Würzburger Weinbau gehörige Gegenstände sind es, die gleichsam in einem Blick den rechten Begriff davon geben. Es ist der Güte und Schönheit der deutschen Frankenweine angemessen, daß sie zum Theil auf würdige Weise in Schaumweine verwandelt werden. Daß dies geschieht und in welcher Ausdehnung, davon kann man sich in den hiesigen Schaumweinfabriken überzeugen. Es ist ferner der deutschen Weinstadt angemessen, daß sie den größten und schönsten deutschen Weinkeller besitze. Und das ist in der That und Wahrheit der Keller des Königsschlosses hier, ein in zwiefacher Bedeutung wirklich königlicher Keller, der König der deutschen Weinkeller.

Die Würzburger Schaumweine und der Würzburger Hofkeller sind die beiden Spitzen oder Pole der fränkischen Weinproduction. Gönnen wir beiden einen freundlichen, liebevollen Blick!

Wie die ganze Weinproduction in Franken im Allgemeinen in der neuern Zeit einen höchst erfreulichen Aufschwung genommen hat, so insbesondere die Fabrikation der Schaumweine. Wir trinken jetzt schäumende Frankenweine, von deren Güte und Lieblichkeit die frühere Zeit keine Ahnung hatte. Zu den Würzburger Schaumweinen werden die edlern Traubensorten, welche die heiße Sonne auf dem Kalkgebirge an den Ufern des Mains zu strotzender Fülle großzieht, verwendet. Was da schäumen und perlen, was die Welle des Bluts und Gedanken und Gefühle des Trinkers beflügeln soll, das muß von edler Natur sein. Die technische Behandlung der Weine ist ganz dieselbe wie in der Champagne, von wo diese Industrie nach Deutschland verpflanzt worden ist. Die Weine werden, nachdem sie von der Hefe befreit worden, im Laufe des Winters geklärt und während des ganzen Sommerhalbjahres auf Flaschen gefüllt. In diesen machen sie eine zweite Gährung durch. Nicht selten sprengt die nun erzeugte Kohlensäure die gläserne Schranke, oder jagt den ihr aufgepressten Hut zu frühzeitig in die Luft. Der Flaschenbruch erreichte in frühern Jahren zuweilen die enorme Höhe von sechzig Procent; doch hat sich die Fabrikation auch nach dieser Seite vervollkommnet, und der unvermeidliche Schade ist jetzt weit geringer. Jahr und Tag lagert der Wein nun in den Flaschen ab, die dann aus Stellagen in schräger Richtung aufgestellt und täglich mit der Hand leicht gerüttelt werden, um die durch das Lagern abgesetzte Hefe von den Wänden in den Hals der Flasche auf den Kork zu befördern. Durch diese gelinden Rippenstöße wird der edle Rebensaft daran erinnert, seine vollständige Purification vorzunehmen und das letzte Restchen unedler Substanz zu beseitigen. Diese educatorische Manipulalion muß zum Heile des schmackhaften Zöglings täglich wiederholt werden, bis der Wein jene ideale Farbe gewonnen hat, die, keine seiner geringsten Vorzüge, ihn so ungemein appetitlich erscheinen läßt. Hat er diese Höhe der Vollkommenheit erreicht, so löst ein geschickter Arbeiter Draht und Bindfaden der Flasche, den Kork nach unten, lüftet diesen, wendet dabei den Hals der Flasche nach oben und läßt das Unreine herausspritzen. Hierauf wird die Flasche mit der nöthigen Dosis feinsten Liqueurs wieder aufgefüllt, mit neuem Kork versehen und dieser mit neuem Draht und Bindfaden befestigt. Also verschlossen, bekommt sie nun ihre goldene oder silberne Haube auf den Kopf gestülpt und das prächtige Brustschild aufgeheftet, das leider gar zu oft noch eine Lüge enthält; denn was unsere deutschen Berge geboren, was deutscher Fleiß groß gezogen und deutsche Hände fertig gepflegt haben, das wird hier und da noch für französische Waare ausgegeben und das Wort mousseux spielt noch eine Hauptrolle. Es ist eine Schande, die herrlichen deutschen Schaumweine, die den französischen in keiner Weise nachstehen, immer noch mit diesen albernen französischen Etiketten versehen zu müssen, weil wunderlich befangene Menschen meinen, der französische mousseux sei besser, als der deutsche Schaumwein.

Der Deutsche darf es mit Stolz verkünden, daß die deutschen Schaumweine mit deutscher Etikette, dem französischen Champagner in England den Vorrang abzulaufen begonnen haben und immer mehr gesucht sind. Soll er nicht im eigenen Vaterlande die Fahne aufziehen, die ihm in England schon als Siegesfahne leuchtet? In dieser Hinsicht bewährte der treffliche Siligmüller, den wir als größten Schaumweinfabrikanten Würzburgs in diesem Artikel noch näher kennen lernen, seine deutsche Patriotennatur. Schon vor zwei Jahren erließ er ein patriotisches Rundschreiben an alle seine Abnehmer mit der Aufforderung, den Consumenten nur Schaumweine mit deutschen Etiketten vorzusetzen und auch dadurch dem Deutschthume überhaupt und der deutschen Industrie insbesondere die gebührende Achtung und Anerkennung zu gewähren. Siligmüller [28] sagt es offen heraus, „es sei allseitig bekannt, daß deutsche Schaumweine unter französischer Etikette als echter Champagner vielseitig consumirt werden.“ Dieser kleinen deutschen Schande muß auch ein Ende gemacht werden, wie allen andern größeren und kleineren. So lasse man denn endlich die alberne Einbildung fahren, der französische Champagner sei besser als der deutsche Schaumwein.

Doch zurück zu unserer Fabrik! Sind die Flaschen nun so prächtig ausstaffirt, so harren sie noch Monate und Jahre ihres Erlösers. Dies ist die Zeit des idealen Lebens des köstlichen

Arbeitsräume und Keller der Siligmüller’schen Schaumweinfabrik in Würzburg.

Schaumweins. Da ist er rein und feurig wie der Sonnenstrahl, der ihn zeugte. Still und heimlich wie jungfräuliche Liebe, birgt er sein süßes Geheimniß in der in eisernen und häufenen Banden liegenden Flasche. Aber es naht die Stunde seiner Befreiung; mit einem Freudenschusse wird die Pforte aufgethan und dampfend und schäumend ergießt er sich in den Becher, Zeugniß abzulegen von deutscher Herrlichkeit.

Das schöne Frankenland hat mehrere Schaumweinfabriken, deren Erzeugnisse sich eines bedeutenden Absatzes erfreuen; Würzburg selbst hat mehrere derartige gut renommirte Etablissements. Wir haben hier das Siligmüller’sche als eins der vorzüglichsten im Auge. Die Firma F. A. Siligmüller erfreut sich nicht allein in Deutschland einer allgemeinen Anerkennung, und den deutschen Turnern dürfte sie vom großen Leipziger Turnerfeste unvergeßlich sein. Das Geschäft wurde 1843 klein begonnen und setzte in der ersten Zeit seines Bestehens jährlich nur 10,000 Flaschen ab, die sich aber bald auf 20,000 Flaschen steigerten. Bei diesem Absatz verblieb es bis zu Ende der vierziger Jahre. Durch unablässige Verbesserung der Fabrikation, durch rastloses Ankämpfen gegen die Vorurtheile, wodurch der deutsche Schaumwein gleichsam geächtet war, hat der Inhaber des Geschäfts seit einigen Jahren schon den jährlichen Absatz von 100,000 Flaschen überschritten. Zu dieser glänzenden Ausdehnung haben auf der einen Seite die Güte und Trefflichkeit des Fabrikats, auf der andern das seit 1848 erwachte und immer schöner sich entfallende deutsche Nationalgefühl wesentlich beigetragen. –

Von der Siligmüller’schen Schaumweinfabrik bis zum königlichen Hofkeller ist nur ein Schritt, aber ein bedeutsamer, der Schritt aus dem Privatleben auf den Königsthron.

Was das wunderprächtige Königsschloß von Würzburg über der Erde nicht hat: architektonische Ruhe, Einheit, Harmonie, das besitzt es unter dem Boden zur höchsten Befriedigung der Kenner im vollsten Maße in seinem großartigen, über alles Lob erhabenen Weinkeller. Während das Schloß unsern Ansichten von deutschem [29] Geiste, deutscher Einheit und Größe nichts weniger als entspricht, ist dies beim Keller durchaus der Fall; er ist ein würdiger Repräsentant der deutschen Weinpflege, der edlen Frankenweine, wie sie unsere Zeit liefert, und darf sich mit Stolz den Königskeller der deutschen Weinstadt nennen lassen.

Der Hofkeller besteht aus zwei großen von einander getrennten Abtheilungen – also aus zwei Kellern – und nimmt fast das ganze große Areal des Schlosses ein. Der riesige Schloßbau ruht zumeist auf den gewaltigen Kellerpfeilern. Die weniger besuchte, weil weniger interessante Abtheilung, die südwestliche, enthält die kleinern abgeschlossenen Räume mit den Weinpressen, den Mosten und jüngern Weinen. Der großartige, prächtige, vorzugsweise Hofkeller genannte weite Raum befindet sich unter dem rechten Schloßflügel nach Nordost und ist für die Cultur und Ablagerung der Weine bestimmt. Auf der bequemen, behäbigen Treppe gelangt man in den Vorkeller und aus diesem in eine Rotunde, welche dem Besucher sogleich nicht wenig imponirt; denn hier sieht er den grandiosen Pfeiler von ovaler Form, der das Gewölbe trägt.

Partie aus dem Hofkeller zu Würzburg.

Vier Kelleröffnungen von so bedeutendem Umfang, daß in einer derselben eine steinerne Treppe emporführt, bringen das Tageslicht in diesen Raum, von welchem sich die stattlichen Gewölbeabtheilungen abzweigen, welche die besondern Namen Mostkeller und Kammerkeller führen und an welche sich weiter die Gewölbe, Bandhauskeller und Schwedenkeller genannt, anschließen. Der Flächeninhalt sämmtlicher Abtheilungen beträgt 11,603 Quadratfuß; die Höhe der Gewölbe neunzehn und einen halben Fuß, die Breite dreiunddreißig Fuß. Die zweckmäßig vertheilten geräumigen Kellerfenster führen Licht und Luft in nöthiger Menge in die Gewölbe; der Boden ist durchweg mit großen Steinplatten belegt und in bestimmten Entfernungen mit Vertiefungen versehen, in welche die um sämmtliche Keller hinlaufenden steinernen Rinnen ausmünden, die, wenn ein Faß zerplatzen sollte, keinen Becher Wein verloren gehen lassen. Eine andere zweckmäßige Einrichtung ist ein springender Brunnen hellen, frischen Wassers im Keller, der das Gemälde angenehm belebt, in die Ruhe des Ganzen sanfte Bewegung bringt, für die heilsame Abkühlung der etwa allzu weinheißen Köpfe sorgt und die prompte Reinigung aller Gefäße ermöglicht. Es ist nicht ohne Bedeutung, für den feinen Genuß der verschiedenen Weinsorten hintereinander stets frische, reingeschwenkte Gläser zur Hand zu haben.

Der Hofkeller umfaßt gegen sechshundert Fässer mit ungefähr 20,000 Eimern Wein; die Lagerung ist in den verschiedenen Gewölben, je nach ihrer Weite und Höhe, bald in zwei, bald in drei Reihen und hie und da in zwei Etagen übereinander. Zur Bearbeitung der Weine auf der obern Etage wird ein auf Rollen laufendes Gerüst von drei Fässerbreiten verwendet. Die neuere bessere Weinpflege hat das Volumen der Fässer sehr verringert: sonst lagen hier jene Faßgiganten, deren Vorbild das Heidelberger Faß war, und in welche man gewissermaßen die Ehre eines fürstlichen Kellers setzte, die aber doch nur der massenhaften Weinproduction von geringer Qualität entsprachen. Zum Andenken an jene Zeit liegt noch ein einziges Riesenfaß im Hofkeller, das 660 Eimer enthält und sein Dasein dem hochsinnigen Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal (1779–1795), dem vorletzten geistlichen Regenten dieses Landes, verdankt, wie eine gereimte Inschrift an dessen Fronte besagt.

In diesen handlichen Fässern von so sauberem, gastlichem Ansehen ruhen die edlen flüssigen Geister der gesegneten Frankenberge aus sehr verschiedenen Zeiten traulich beisammen. Das ist ein köstliches Ensemble, eine geistreiche Weltgeschichte der fränkischen Traube, auch ein Stück Deutschthum, und wahrlich keines der schlechtesten, nicht in Bücher gebunden, wie anderer deutscher Geist, sondern in Dauben und Reifen, Führen wir die Namen der berühmtesten und trefflichsten Werke der unterirdischen Gebinde an: es ist des Leisten edles Aroma, des Steins sanftes Feuer, des Pfülben köstliche Milde, Hörsteins feine Blume, Saalecks reizende Lieblichkeit, des Kalmuth poetische Kraft.

Eine humoristische Ironie ist es, daß man eine Abtheilung des Hofkellers „Schwedenkeller“ genannt hat, zum Andenken an die über alle Vorstellung durstige Thätigkeit dieser ungebetenen Gäste während der wenigen Jahre, in welchen sie hier die Herren spielten (1631–1634). Der ebenfalls nicht unbedeutende Keller der Veste Marienberg, der Vorgänger des jetzigen Hofkellers, war, nachdem sie das Schloß erstürmt, zumeist der Schauplatz dieses Wunders von nordischer Durstäußerung; es klingt fabelhaft, welche Massen von Wein sie während ihrer kurzen Existenz in Franken vertilgt haben. Wären sie die Herren des Landes geblieben, so wäre für keinen andern Menschen mehr eine Traube gewachsen. Nun lag im Marienberger Keller unter andern stattlichen Gesellen ein ziemlicher Riese von Faß, gefüllt mit dem delicaten Jahrgang 1540. Es war das Kostbarste, was die fürstbischöfliche Kellerei [30] barg. Sollte man das dem protestantischen Eroberer so ohne Weiteres überlassen? Es galt wenigstens den Versuch, das herrliche flüssige Gut, das man ein Jahrhundert lang mit so viel Liebe gepflegt, den nordischen Kehlen zu entfremden, in der Hoffnung, der liebe Gott werde das Schwedenregiment nicht allzulange dulden. Der Keller hatte eine kleine versteckte Abtheilung, irgend ein allerliebstes, geheimes Gemach; dahinein wurde der Cyklope des sechszehnten Jahrhunderts gebracht und so geschickt zugemauert, daß die Schweden, die doch sehr viel in diesem Keller verkehrten, ihm nicht auf die Spur kamen. Zur größten Freude aller gutkatholischen Weinzungen fand man den verborgenen Liebling gerettet in seiner Klause, als die scandinavischen Weinschläuche nach der Nördlinger Schlacht ihren Abmarsch genommen hatten. Als Erbe des Marienberger Kellers erhielt jene Abtheilung des Hofkellers zum Andenken an diese tragikomische Begebenheit ihren Namen. Der alte Goliath, der in jenem Drama die Hauptrolle gespielt, liegt zwar noch im Schwedenkeller, aber sein historisch berühmter Inhalt ist mit seinen jüngeren, nicht minder edlen und feurigen Brüdern, den berühmten Jahrgängen 1631 und 1728, nach dem königlichen Keller in München gewandert, nicht ohne vorher noch einmal in ihrer Gesellschaft den Kehlen trinklustiger Eroberer escamotirt worden zu sein. Als nämlich die französische Armee unter Jourdan 1796 siegreich heranzog, ließ der letzte Fürstbischof Georg Karl von Fechenbach diese Perlen seines neuen Hofkellers schnell nach dem nahen preußischen Orte Marktsteft bringen, wo sie unter den Fittigen des hohenzollerschen Adlers ein sicheres Asyl fanden. So kettet sich an die unselige Geschichte von der Uneinigkeit Deutschlands die komische dieser alten Weine. Das vor dem Schweden- und Franzosendurst gerettete Faß prangt mit einem gereimten Spruch an seiner Fronte, der Nachricht von der Geburt und Pflege des darin aufbewahrten Weines giebt.

Eine andere Kellerabtheilung führte sonst einen ebenfalls scherzhaften Namen. Weil nämlich in ihr die ältesten und edelsten Weine, die Crême des Leisten und des Stein von allen erhaltenen Jahrgängen, fein brüderlich beisammenlagen, so wurde dieses interessante Closet „die Sacristei“ genannt. Ueber dem Eingange liest man wieder gereimte Verse im Geschmack jener Zeit, die uns freilich nicht mehr so munden, wie die Weine. Von den Böden dieser Fässer und von den Mauern dieser Gewölbe sollten die den heutigen Weinen entsprechenden Gedichte und Reimsprüche des trefflichen Frankendichters Ludwig Bauer flammen, der seine vaterländischen Weine so reizend besungen hat. O dieser poetische Hofkeller verdiente, wie der Bremer Rathskeller, daß ein Dichter darin seine patriotisch-önologischen Phantasien schriebe, und sie müßten wahrlich noch farben-, geist- und gemüthreicher sich darstellen, als Wilhelm Hauff’s einst vielgelesenes Werk.




Französische Fußtritte für deutsche Fürstendienste.

Jene Tage, als deutsche Fürsten mit dem Blute ihrer in fernen Klimaten für die Sache der Tyrannei geopferten Landessöhne sich Millionen erwarben, stehen obenan auf den schmachbedeckten Blättern unserer deutschen Geschichte. Kaum minder schmachvoll aber sind die Zeiten des Rheinbunds, als, wiederum lediglich in dynastischem und absolutistischem Interesse, deutsche Krieger im Kampfe gegen die eigenen Brüder das Joch des fremden Eroberers auf dem Vaterlande immer schwerer schmieden halfen. Längst hat die Geschichte ihr Urtheil gefällt über diese Periode unserer kläglichsten Erniedrigung, allein um den ganzen Jammer der Rolle kennen zu lehren, welche diese deutschen Hülfstruppen im Heere ihres „Protectors“ spielten, liefern die neuerdings veröffentlichten Aufzeichnungen eines deutschen Soldaten einen wichtigen Beitrag, der um so mehr unsere Beachtung verdient, als die Zeitungen den Lenkern der mittelstaatlichen deutschen Politik die alten Gelüste nach einer Anlehnung an das französische Kaiserthum beimessen und antideutsche Diplomatenhände die anknüpfenden Fäden vielleicht schon zu spinnen begonnen haben. Welches Loos den deutschen Hülfstruppen in der „großen Armee“ gefallen war – welches sie von Neuem erwarten dürfte – das schildert in dem gedachten Buche schlicht und prunklos ein deutscher Fürstensohn, Markgraf Wilhelm von Baden, der als junger Prinz in drei Feldzügen, von 1809 bis 1813, ein solches deutsches Hülfscorps, das badische, befehligte.

Ein wahres Epos, furchtbar in seiner Erhabenheit, entrollen diese einfachen Denkwürdigkeiten. Der Feldzug des badischen Hülfscorps in Rußland läßt Alles hinter sich, was die Weltgeschichte in dieser Art aufzuweisen hat. Der Rückzug Xenophon’s mit seinen Zehntausend Griechen ist dagegen fast eine Idylle; nur die letzten Kämpfe der Nibelungen am Hof des Hunnenkönigs rufen ähnliche Eindrücke hervor, wie die einfache Schilderung des Markgrafen Wilhelm über den Untergang des badischen Hülfscorps im russischen Feldzuge. Unendlich lehrreich für das deutsche Volk aber sind die Einzelnheiten dieser Schilderungen, in so weit sie das Verhältniß der deutschen Hülfstruppen zu den Franzosen in der „großen Armee“ oft in kleinen, aber stets in hellleuchtenden Zügen darstellen.

Der erste Feldzug, den ein badisches Hülfscorps im Heere Napoleon’s mitmachte, war jener des Jahres 1809 in Oesterreich, der zur Schlacht bei Aspern führte und in der Schlacht bei Wagram seinen Schluß fand. Der junge Markgraf Wilhelm, damals noch Graf von Hochberg, wurde dem Marschall Massena als Adjutant zugetheilt. Er war Zeuge des ersten Zusammenstoßes der Franzosen und Oesterreicher gewesen und wurde dann von dem Marschall beauftragt, dem Kaiser die Nachricht der errungenen Vortheile zu überbringen. „Zu dem Ende,“ erzählt Markgraf Wilhelm, „frug mich der Marschall Massena, was ich melden wolle. Ich erwiderte, daß das, was ich mit angesehen, in der Gefangennehmung von ungefähr fünfzig Mann und dem Verlust von nur sehr wenig Leuten bestände. Der Marschall entgegnete hierauf lebhaft, dies dürfe ich dem Kaiser nicht sagen, denn ich würde einen Bericht mitbekommen, in welchem der Verlust der Oesterreicher auf vierhundert Gefangene und eine große Anzahl Todter angegeben sei, wornach ich mich zu richten hätte.“ – Das war die erste Erfahrung, die der junge deutsche Krieger im Gefolge des französischen Marschall auf dem „Felde der Ehre“ zu machen Gelegenheit hatte.

Am 1. Mai 1809 bestand das badische Dragonerregiment, welches die Avantgarde bildete, mit der Arrièregarde des Hiller’schen Corps ein höchst ehrenvolles Gefecht. Unterstützt von würtembergischer Cavalerie, die ein anderer Adjutant Massena’s, Obristlieutenant St. Croix, führte, sprengten die deutschen Reiter das Viereck eines Bataillons vom Regiment Jordis; ein badischer Trompeter erbeutete die Fahne des gesprengten Bataillons. Da sprengte seinerseits der Herr Oberstlieutenant St. Croix herbei, entriß dem Trompeter die Fahne, brachte sie dem Marschall, wurde dafür auf der Stelle zum Obersten ernannt, erhielt einen höhern Orden – und der deutsche Dragonertrompeter konnte sein Trompeterstückchen erzählen, wo er wollte, nur nicht wo der Franzose, der den Lohn bekommen, es hörte. Das war der erste Lorbeer, den die deutschen Truppen hier erworben und den – die Franzosen sich zusprachen.

Wir übergehen den wenn auch vielfach interessanten Verlauf dieses Feldzugs und der ihm folgenden Jahre, um alsbald zu dem erschütternden Gemälde des Kampfes von 1812 zu kommen.

Zum russischen Feldzuge stellte Baden 7666 Mann, zum großen Theile aus Leuten bestehend, die den Feldzug von 1809 mitgemacht hatten. Dazu stieß eine Abtheilung Hessen. Napoleon „ließ dem noch nicht zwanzigjährigen Markgraf Wilhelm eröffnen, daß er ihm das Commando der aufmarschirenden Truppen bestimmt habe.“ Der Anfang der Campagne bestand für die Badenser und Hessen in blutigen Mißhandlungen, die ihnen von der französischen Garde in Stettin (wo sie ebenso wie später in dem ungesunden Danzig viele Wochen den härtesten Garnisondienst leisten mußten) zu Theil wurden. „Graf Laborde,“ erzählt der Markgraf, „bestrafte einige seiner Officiere und Unterofficiere, wobei ich mich um so mehr beruhigte, als ich voraussah, daß alle weiteren Klagen und Reclamationen erfolglos bleiben würden.“

Diese und ähnliche Scenen waren der Prolog zu der furchtbaren Tragödie, die endlich über die deutschen Truppen hereinbrach. Das neunte Corps der großen Armee, welches in Mehrzahl aus den Truppen des Rheinbundes bestand, hatte in Smolensk [31] gestanden, während Napoleon nach Moskau zog. Erst in der zweiten Hälfte des November rückte das neunte Corps der großen Armee nach und gelangte unter blutigen und sehr ehrenvollen Gefechten am 25. November bis Losznitza. „Gegen zwei Uhr Mittags erreichten wir,“ so erzählt der Markgraf, „die große Straße bei Losznitza, wo wir bivouakiren sollten. Nie werde ich diesen Tag vergessen! Schon in der Entfernung mehrerer Stunden von der Moskauer Straße verkündeten die längs derselben in Brand gesteckten Dörfer die Anwesenheit der ‚großen Armee‘, über deren Verfassung sich bisher nur dunkle und unsichere Gerüchte im neunten Corps verbreitet hatten. Niemand ahnte aber ihren wahren Zustand und der Eindruck, welchen derselbe bei unserem Zusammentreffen mit ihr auf uns machte, ließ nichts Gutes erwarten. Die Erinnerung, die ich noch von jenem denkwürdigen Tage habe, besteht in Folgendem. Wir marschirten ruhig unseres Weges, als gemeldet wurde, man sehe in der Entfernung einige Reiter; ich begab mich hierauf zur äußersten Spitze der Avantgarde und überzeugte mich von der Richtigkeit der geschenenen Meldung. Zuerst hielt man die Reiter für Kosaken, bald aber erkannte ich, daß sie zur verbündeten Armee gehörten. Ich ritt nun zu ihnen vor und vernahm, daß einer preußischer Husar, der andere würtembergischer Chevauxlegers sei. Sie ritten auf kleinen russischen Bauernpferden, die man dort zu Lande Konnin nennt. Auf meine Frage, woher sie kämen, sagten sie: ‚Von Moskau!‘ und als ich mich nach der ‚großen Armee‘ erkundigte, erhielt ich zur Antwort, sie marschire zunächst von da auf der großen Straße. Bald hatte ich mich dieser genähert, und nun enthüllle sich vor meinen Augen ein Bild der Auflösung, wie es sich nie aus meinem Gedächtniß verwischen wird.“

Der preußische Husar und der würtembergische Chevauxlegers waren die Vorreiter des zerrissenen Heeres, das sich so stolz noch vor wenigen Wochen die „große Armee“ nannte. Die deutschen Rheinbundtruppen aber, die badischen Bataillone vor allen andern, wurden von diesem Tage an die Arrièregarde der großen Armee, die Retter der Reste, die der sie überall umschwebenden Vernichtung entgingen.

Schon in den nächstfolgenden Tagen, am 28. in der Schlacht an der Berezina, welche geliefert wurde, um den Uebergang über diesen Fluß zu decken, waren es die deutschen, vor Allem die badischen Truppen, welche die gänzliche Vernichtung der aufgelösten großen Armee verhinderten. Den ganzen Tag wehrten sie die Angriffe der Russen ab. Im entscheidenden Augenblicke waren es die badischen Husaren und die hessischen Chevauxlegers, die den Tag entschieden. Nach einem mißlungenen Angriffe der bergischen Brigade rückte eine russische Colonne vor und war im Begriff, die französische Schlachtlinie zu brechen, als die badischen und hessischen Reiter, dreihundert sechsundfunfzig Pferde, zum Angriff gegen dieselbe befehligt wurden. „General Fourrier (der Franzose, der sie commandiren sollte) wurde verwundet, worauf der badische Oberst von Laroche das Commando übernahm. Dieser stürzte sich nun auf die russische Infanterie; nach einem kurzen Gefecht war die feindliche Colonne theils niedergehauen, theils gefangen; fünfhundert Mann des vierunddreißigsten Jägerregiments wurden als Gefangene zurückgebracht. Inzwischen sprengten russische Kuirassiere herbei. Oberst von Laroche warf sich auch diesen mit ungestümem Muthe entgegen, wurde aber schwer verwundet, wobei er zugleich gefangen wurde; Wachtmeister Springer hieb ihn jedoch glücklich heraus und befreite ihn wieder. Das Husarenregiment war bei diesem für dasselbe so ehrenvollen Kampfe fast ganz aufgerieben worden, kaum funfzig Pferde kehrten mit mir über die Berezina zurück; gleiches Loos theilten die braven hessischen Chevauxlegers. Es war eine große Gunst des Schicksals,“ setzt der junge tapfere deutsche Feldherr hinzu, „daß in einem Feldzuge, wo alle Cavalerie durch Mangel und durch Strenge des Klimas einem gewissen Untergange entgegenging, das badische Husarenregiment mit einer ausgezeichneten, durch glänzende Erfolge belohnten Waffenthat vom Schauplatz abtreten und durch eigne Aufopferung die Rettung seiner Waffengefährten erkaufen konnte.“

„Es gelang nun dem Feinde nirgends mehr, vorzudringen. Wir bivouakirten auf dem Schlachtfelde in der nämlichen Stellung, die wir im Beginne des Kampfes eimgemommen; ja die badische Brigade, indem sie sich bis zu dem Gehölz ausdehnte, aus dem sie die Russen zurückgeworfen, hatte sogar Terrain vorwärts gewonnen.“

Der Marschall kam dann auch zu dem Markgrafen, „lobte ungemein das Benehmen unserer Truppen; es seien die einzigen, auf die er sich verlassen könne; er wolle davon dem Kaiser Meldung erstatten, der sicherlich nicht ermangeln werde, uns Zeichen seiner besondern Anerkennung zu geben, denn wir hätten uns um die ,große Armee‘ verdient gemacht. Dennoch,“ setzt der Markgraf hinzu, „erschien später in dem berühmten neunundzwanzigsten Bulletin nicht ein Wort der Anerkennung für die badischen Truppen, – nur (der Franzose) General Fourrier wurde genannt, der, gleich anfangs verwundet, das Schlachtfeld frühe verlassen hatte.“

Achtundzwanzig todte und verwundete Officiere, eintausend einhundert todte und verwundete Soldaten der badischen Brigade bekundeten sicher besser, als alle Belobung Napoleon’s es vermocht hätte, den Muth der deutschen Retter der großen Armee.

Nur mit vieler Noth konnte der Rest der badischen Brigade am andern Morgen die Brücke der Berezina überschreiten, die sie dann zerstören mußte, trotz zehntausend versprengten, vierzig Kanonen, den Wagen der Generäle und selbst der kaiserlichen Kriegscasse, die alle rettungslos verloren waren, nachdem die deutschen Truppen sie nicht mehr vertheidigten.

So lange die Verfolgung durch die russische Armee mit der Flucht der französischen Schritt halten konnte, waren die deutschen und ganz besonders die badischen Truppen stets diejenigen, welche kämpfend Schritt für Schritt das französische Heer decken mußten. Nachdem endlich die Verfolgung der Russen stockte, fielen die Reste des Heeres dem furchtbaren Geschicke anheim, unverfolgt der immer höher steigenden Kälte zu erliegen. Alltäglich, allstündlich, auf Schritt und Tritt, sahen die Flüchtigen die Nachbarn hinsinken, erstarren. „Der 7. December,“ erzählt der Markgraf, „war der schrecklichste Tag meines Lebens. Um drei Uhr Morgens befahl der Marschall den Abmarsch (aus dem Bivouak von Oszmiana); die Kälte war auf das Höchste gestiegen, – als das Signal gegeben werden sollte, war der letzte Tambour erfroren. Ich begab mich nun zu den einzelnen Soldaten und sprach ihnen Muth zu, aufzustehen und sich zu sammeln; allein alle Mühe war vergebens, ich konnte kaum funfzig Mann zusammenbringen; der Rest von zwei- bis dreihundert Mann lag todt oder halb erstarrt am Boden. Mein Jugendfreund, Capitain Heinrich von Stetten, fand hier seinen Untergang; den kranken Oberst von Franken traf ich, in einem halbzerstönen Bauernhause auf dem Boden liegend, der Sprache nicht mehr mächtig, und halb auf ihn hingestreckt lag ein sterbender Würtemberger. Gleiches Schicksal theilten die Lieutenants Hoffmann III., von Lassolaye, Junker von Hammerer und die Chirurgen Klotz und Waldmann, die der Kälte und dem Elend erlagen.“

In Wilna wurden alle Generäle zum Prinzen von Neuchatel berufen; so auch der Markgraf Wilhelm. Hier frug der Prinz von Neuchatel den Markgrafen, was aus seiner Brigade geworden sei? – „eine Frage,“ setzt der Markgraf, der sonst nicht leicht verletzbar schien, hinzu, „eine Frage, die mich tief verletzte, in dem Bewußtsein, daß wir viel länger als alle andern Truppen dem Feinde die Stirn geboten hatten. Ich konnte mich daher nicht enthalten, ihm zu erwidern: ‚Meine Brigade liegt auf der großen Straße von Moskau nach Wilna.‘ Auf diese Antwort entließ mich Berthier sogleich, sichtlich ungehalten.“

Das Benehmen des Marschalls war übrigens nur ein kleiner Wiederschein des Benehmens aller Franzosen gegen die deutschen Hülfstruppen. Während diese auf dem ganzen Rückzuge von der Berezina bis Wilna die Arrieregarde bildeten, die Flucht der Franzosen ermöglichten und dabei tagtäglich Hunderte ihrer Tapfern einbüßten – durfte kein Deutscher an ein von Franzosen angemachtes Feuer, um sich zu erwärmen. „Regimentsarzt Hauer von meinem Regiment, der sich verirrt hatte, mußte für eine solche Erlaubniß sechs Franken zahlen.“[3]

In Marienwerder, das zum Sammelplatz des dritten Corps bestimmt worden war, musterte der Markgraf seine Leute. Diejenige Mannschaft, welche den Feldzug mitgemacht und sich in Marienwerder gesammelt, zählte einhundert fünfundvierzig Köpfe [32] (von 7666). „Sobald unsere angewiesenen Cantonnirungen Groß- und Kleinkrebs, Littschen und Ottotschen bezogen waren, musterte ich meine Brigade, wozu der Raum einer Scheune hinreichte.“

Klingt es nach all diesem nicht wie ein Hohn, bekundet es nicht ein vollkommenes Verkennen des schauerlichen Gottesgerichts, welches über Napoleon und die „große Armee“ gekommen, ein Verkennen der heldenartigen Aufopferung des badischen Armeecorps, wenn der Markgraf Wilhelm die Schilderung dieses Epos mit der Bemerkung schließt: „Auf Aufforderung des Marschalls Victor übergab ich ihm meine Vorschläge zum Orden der Ehrenlegion. Sämmtliche von mir bezeichnete Officiere und Unterofficiere – siebzehn an der Zahl – erhielten diese Auszeichnung unter dem 5. Juni; mir ertheilte der Kaiser das Officierkreuz!“

Mit diesem „rothen Bande“ fesselte der Kaiser den deutschen Fürstensohn noch einmal an seinen halb zertrümmerten Triumphwagen. Für dieses „Officierkreuz“ wurde der Markgraf, so tapfer und so vollkommen vaterlandlos, vom Geschicke verurtheilt, auch den für Napoleon und seine Anhänger so bittern Kelch der Niederlagen und das Elend von 1813 mit bis auf die Neige leeren zu helfen. Zu diesem Feldzuge mußte Baden abermals 7150 Mann stellen.

Badenser mußten am 16. October die Oesterreicher aus Lindenau zurücktreiben helfen, und so den Rückzug für den 18. October offen halten; alle Officiere der vier Compagnieen des Regiments des Markgrafen und zweihundert sechsundvierzig Unterofficiere und Gemeine bedeckten den Kampfplatz. Dem Markgrafen Wilhelm selbst wurde dann das Truppencommando in Leipzig übertragen. Am 17. October vertheidigten Polen unter Dombrowsky den Löhr’schen Garten und das Hallische Thor, bis der Markgraf Befehl erhielt die Polen abzulösen; was in dem Augenblicke geschah, wo die schlesische Armee vor dem Hallischen Thore das Gefecht begann. Dombrowsky umarmte den deutschen General und pries sich glücklich, aus der übeln Lage erlöst zu werden. Die Deutschen waren dafür gut genug, die Polen schon zu gut – in den Augen der französischen Befehlshaber.

Am 19. October mußte der Markgraf mit zwei badischen, einem italienischen Bataillon und eintausend zweihundert Mann Sachsen die letzten Anstrengungen zur Rettung der Franzosen, die vom Schlachtfelde abzogen, machen. Sie waren es, die das Hallische, das Grimmaische, das Peters- und das Ranstädter Thor vertheidigten.

„Der Kampf um Leipzigs Vorstädte,“ erzählt der Markgraf, „wurde immer heftiger. Ich forderte den Herzog von Padua auf, endlich einmal seine Wohnung zu verlassen und sich persönlich von den getroffenen Anstalten zur Vertheidigung der Stadt zu überzeugen. Er erwiderte indessen nur, ich möchte zu den Truppen auf den Marktplatz zurückkehren, er werde mir unverzüglich folgen. Da er nach längerem Warten nicht erschien, schickte ich zu ihm, mußte aber zu meiner größten Verwunderung vernehmen, daß er sich gleich nach meinem Weggehen aus dem Quartier entfernt habe, durch eine Hinterthür auf die Straße gelangt sei, und kein Mensch wisse, was aus ihm geworden.“ Jetzt merkte endlich der Markgraf „die Absicht der französischen Behörden, die Opfer und die Verantwortung des Tages auf die Schultern der Bundestruppen zu werfen.“

Unterdessen kämpften die Truppen des Markgrafen fortwährend gegen das eindringende siegreiche Heer der Verbündeten; die Brigade Stockhorn und die Hessen vertheidigten das Grimmaische Thor auf’s Tapferste, und als die preußische Landwehr dasselbe genommen hatte, mußte General Stockhorn es mit den Badensern noch einmal zurückerobern, bis endlich, nachdem die Italiener längst sich verabschiedet, die Badenser sich theilweise fechtend durch die Straßen auf den Marktplatz, wo das Hauptquartier war, zurückzogen und hier schließlich der Markgraf capitulirte, während das Regiment „Großherzog“, von der Stadt abgedrängt, bis an die Pleiße verfolgt und hier sammt der halben Artillerie-Brigade nach großem Verlust an Todten und Verwunderten theils in das Wasser gesprengt, theils gefangen wurde.

So waren es deutsche Truppen, die gegen Deutsche kämpfen, für die Franzosen die letzten Schüsse thun, die letzten Stellungen vertheidigen mußten und dabei zu Tausenden geopfert wurden. Das Blut, das hier geflossen, macht jedes deutsche Herz noch heute bluten, so oft es an diese Ereignisse denken muß.

Von den sechstausend zweihundert Mann der zwei badischen Infanterie-Brigaden, die für Frankreich, für Napoleon kämpfen mußten, lagen viertausend Mann auf den Schlachtfeldern von Lützen, Bautzen und Leipzig. Höchst bezeichnend ist dann noch die Art, wie das zehnte französische Husarenregiment von dem badischen Dragonerregimente, welche beide die leichte Cavalerie-Brigade des dritten Armeecorps gebildet hatten, Abschied nahm. Von dem badischen Dragonerregiment waren nach der Schlacht bei Leipzig nur noch zweihundert Pferde übrig. Bei Gelnhausen verließ dasselbe – „mit der Erlaubniß des Kaisers“, unterläßt der Markgraf nicht zu erwähnen – die französische Armee, wobei dann der Oberst des zehnten Husarenregiments den badischen Officieren zum Abschied zurief: „Obwohl wir uns vielleicht bald als Feind begegnen werden, so wird doch, so lange ich das Zehnte führe, kein Mann desselben seinen Degen gegen einen badischen Dragoner ziehen.“

Das war bei der Lage der Dinge ebenso klug als – großmüthig.

Der Großherzog Carl von Baden aber war nicht schuld, daß ihrerseits auch die badischen Dragoner und alle andern Badenser nicht ebenso wie der Oberst des Zehnten den Franzosen zugerufen: „Thu mir nichts, ich thue Dir auch nichts!“; denn in allem Ernste versuchte der Großherzog auch nach der Schlacht bei Leipzig noch, ob er es nicht durchsetzen könne, sein Land – für neutral erklären zu lassen. Die Begründung dieses Antrags ist wahrhaft erbaulich. Der französisch geschriebene Brief des Großherzogs Carl an König Friedrich Wilhelm den Dritten von Preußen, vom 21. October, ist so deutsch holperig geschrieben wie möglich, aber noch deutscher (!) gedacht als geschrieben. Der Großherzog Carl belehrte den König von Preußen, daß sein Großvater die Neutralität während der drei Feldzüge von 1797, 1799 und 1800 aufrecht erhalten und daß diese wenigstens stillschweigend durch Oesterreich selbst, trotz der Gegenwart einer österreichischen Armee und trotz des deutschen Reiches, anerkannt wurde. „Wenn aber mein Großvater,“ schreibt er, „wenige Zeit nachher sich genöthigt sah, einen thätigen Antheil an dem Kriege zu nehmen, so wurde er dazu durch die strenge Antwort (la réponse péremptoire) Frankreichs gezwungen, das erklärte, daß es keine Neutralität erlauben werde und daß man sich entschließen müsse für oder gegen zu sein.“

Wunderbar! wunderbar! Die réponse péremptoire Frankreichs hat den Großherzog belehrt, was seine Pflicht sei, nämlich für Frankreich gegen Deutschland einzutreten. Wollen hoffen, daß bei allen ähnlichen Fällen nicht nur Frankreich, sondern auch Deutschland, die deutsche Nation, eine réponse péremptoire haben wird, wenn je der Fall wieder eintreten sollte, wo ein deutscher Fürst in einem Kriege des Auslandes gegen deutsche Lande und deutsche Völker den Versuch machen wollte, neutral zu bleiben.

Venedey.



Zur Beachtung.

Früher übernommene literarische Arbeiten verhinderten mich leider, die bereits im vorletzten Quartale angekündigte Erzählung Der bairische Hiesel rechtzeitig zu vollenden. Dieselbe wird jedoch nunmehr bestimmt in der ersten Nummer des Februarhefts der Gartenlaube beginnen. – Mit der Bitte um Entschuldigung dies den Freunden meiner Muse zur Notiz.

München, im Januar 1865. Dr. Herman Schmid.



Deutsche Blätter
Literarisch-politisches Sonntagsblatt, auch Beiblatt zur Gartenlaube.
Wöchentlich ½ Bogen. Für die Abonnenten der Gartenlaube nur 6 Ngr. pro Quartal.

Die bereits in ihrem dritten Jahre erscheinenden „Deutschen Blätter“ werden fortan die Tendenz, welche bei ihrer Begründung in’s Auge gefaßt wurde, entschiedener zum Ausdrucke bringen, als es bisher geschehen ist: sie werden in jeder Beziehung eine Ergänzung der Gartenlaube bilden, welche bei ihrer sehr zeitraubenden Herstellung von vornherein auf eigentliche Neuigkeiten aus dem Gebiete des Lebens und Wissens verzichten mußte. Ganz besonders werden sie sich daher die Zusammenstellung eines anregenden, frischen und interessanten Feuilletons zur Aufgabe machen, das in der Gartenlaube bei der Ueberfülle von Stoff und wegen der erwähnten langsamen Druckvollendung jeder einzelnen Nummer leider nicht zu ermöglichen ist. Wir glauben daher die deutschen Blätter Allen, welche einen regen geistigen Antheil nehmen an der Zeit, in der sie leben, auf das Angelegentlichste empfehlen zu können.

Leipzig, Januar 1865. Die Verlagshandlung von Ernst Keil. 



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Ein Mondjahr umfasst die Periode von zwölf Mondenwechseln und beträgt elf Tage weniger, als ein Sonnenjahr.
  2. Das persische Wort Chanum wird ebensowohl für „Frau“, als für „Fräulein“ angewandt.
  3. S. 89 der Denkwürdigkeiten den Markqrafen Wilhelm. Ich citire diese Stelle besonders, weil die Thatsache so unglaublich klingt, so deutlich die Mißachtung und Mißhandlung der Deutschen im Gefolge der Franzosen bezeichnet, daß dieselbe mir einer ganz besondern Beachtung werth erschien.