Die Gartenlaube (1869)/Heft 16

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1869
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 16.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Reichsgräfin Gisela.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


17.

Die junge Gräfin betrat einen der Waldwege, die Sievert als in das Arnsberger Holz führend bezeichnet hatte. … Mit einer immer wieder aufsteigenden Röthe der Scham und Verlegenheit betrachtete sie ihre schlanke, weiße Hand – sie war zum ersten Mal von Männerlippen berührt worden. … Sie fühlte sich heftig abgestoßen, ja, sie konnte sehr ungehalten werden, wenn irgend Jemand den gefeiten Kreis, den sie durch ihre Zurückhaltung um ihre Person festhielt, eigenmächtig überschritt – bei jeder anderen Gelegenheit hätte sie sicher die attakirte Hand ohne Weiteres in das Wasser getaucht – das war unterblieben – nicht einmal der Gedanke an eine solche „Entsühnung“ war ihr gekommen. … Wo war überhaupt in diesem Augenblick der scharf grübelnde Verstand, mit welchem sie sich gewöhnt hatte, alle Dinge in’s Auge zu fassen? …

Sie schritt nicht mit nachdenklich gesenkter Stirn dahin – nach den Wipfeln flog ihr Blick. Durch das Geäste strömte der kräftige Waldhauch, und wo eine kleine, blaue Himmels-Oase herein lugte in die goldengrüne Dämmerung, da zuckten auch glänzende Pfeile an den Stämmen nieder, um unten im kühlen, buntgefleckten Moos zu verlöschen.

War die hereinfließende Bläue da oben sonniger als sonst? Und hatten die Vögel, die über dem blonden Haupt des Mädchens kreisten, heute schönere Lieder in der Brust?

Es war dasselbe leuchtende, jubelnde Sommerleben, wie es seit Jahrtausenden wiederkehrt – und der Quell, der in diesem Augenblick hoch aufsprang in der ahnungslosen, jungen Seele, er war auch alt – so alt eben wie – die Liebe ist! …

„Ach, die schöne Welt - man sieht sie anders, wenn man – gesund ist,“ dachte die Wandelnde und legte die verschränkten Hände auf ihr klopfendes Herz.

Die Waldwiese war leer, als Gisela zurückkam. Nur der alte Lakai Braun war noch da. Er räumte das Geschirr in die Körbe und berichtete seiner Gebieterin, daß Seine Excellenz infolge eines erhaltenen Telegrammes mit den beiden Damen schleunigst nach dem weißen Schlosse zurückgekehrt sei.

Während er mit tiefgebogenem Rücken referirte, betrachtete Gisela die alte Gestalt zum ersten Mal mit prüfendem Blick. Sie wußte noch recht gut, daß er früher schwarzes Haar gehabt hatte – jetzt war es blendendweiß – er hatte sich allmählich unter ihren Augen verwandelt, ohne daß sie es je bemerkt. … Auch der Papa hatte viele weiße Fäden im Haupt- und Barthaar – sie dachte das völlig ungerührt, während die zwei silberglänzenden Streifen über den Augen und der Schnee auf dem Scheitel des Greises plötzlich eine Art von Mitgefühl in ihr hervorriefen.

„Lieber Braun, ich bitte Sie um ein Glas Milch!“ sagte sie – wie klang das fremdartig von ihren Lippen – sie schrak unwillkürlich davor zusammen – sie hatte ja nie gebeten! …

Der alte Lakai fuhr bei den sanften Lauten empor und starrte seiner Herrin fassungslos in’s Gesicht.

„Nun, ist alle Milch getrunken worden?“ fragte sie gütig lächelnd.

Der Mann lief, so rasch seine alten Beine vermochten, nach dem improvisirten Büffet und brachte auf einem silbernen Teller die begehrte Erfrischung.

„Denken Sie doch, Braun, ich weiß nicht einmal, ob Sie Familie haben,“ sagte die junge Dame und setzte das Glas an die Lippen – sie war verlegner in dieser neuen Situation, als wenn sie das ungewohnte Parquet des Fürstenhofes betreten hätte; denn der alte Mann stand vor ihr, wie wenn er erwarte, jeden Augenblick Himmel und Erde einstürzen zu sehen.

„O gnädige Gräfin, das wäre doch auch nicht der Mühe werth –“ stotterte er.

„Ich möchte es aber gern wissen.“

„Nun ja, wenn gnädige Gräfin befehlen –“ versetzte er ermuthigter, und seine zusammengesunkene Gestalt richtete sich empor. „Ich habe Weib und Kind. Zwei meiner Kinder leben noch – vier liegen auf dem Gottesacker. … Ich hatte auch ein Enkelchen – ein liebes, schönes Kind – gnädige Gräfin, das kleine Mädchen war meine ganze Freude –“

Dem allen Mann stürzte urplötzlich und unaufhaltsam ein Thränenstrom aus den Augen.

„Um Gotteswillen, Braun!“ rief das junge Mädchen bestürzt – wie, diese Augen weinten? … Dieses alle, in seiner Dienstmiene versteinerte Gesicht konnte so herzbrechend vergrämt aussehen?

„Nein, nein, bleiben Sie!“ gebot sie, als der Lakai, sichtlich, entsetzt über das despectirliche Hervorbrechen seines Schmerzes, sich entfernen wollte. „Ich will wissen, was Sie so tief betrübt!“

„Wir haben das Kind vor drei Wochen begraben,“ entgegnete [242] er mit zuckenden Lippen, indem er versuchte, die rapportirende Haltung wieder zu gewinnen.

Gisela erblaßte.

Wie hatte der alte Mann auf der Terrasse des Waldhauses gesagt? „Ihr Herz ist kieselhart! Sie ist gefühllos wie ein Stein gegen ihre Leute!“ Der Unheimliche hatte zum Verzweifeln Recht gehabt! …. Da war nun der unglückliche Mensch täglich in seiner bunten Livree vor ihr erschienen, tadellos in Miene und Haltung, unverändert auch an dem Tage, da der kleine Liebling daheim im Sarge gelegen – immer des Winkes seiner Herrin gewärtig und jeder ihrer Launen sich unbedingt anbequemend – und währenddem hatten unter den devot gesenkten Augenlidern der armen Maschine verhaltene Thränen gefunkelt, und das Herz war fast vergangen im Weh! … Privatleiden durften diese Leute nicht haben dagegen erinnerte sich Gisela noch sehr gut, daß die Dienerschaft lange, lange Zeit die tiefe Trauer um ihre Großmama hatte zur Schau tragen müssen. … Was gab den Hochgeborenen das Recht, andere Menschen in eine so unnatürliche Stellung zu zwingen? … Sie reichten ein Stück Brod von ihrer kalten, isolirten Höhe herab und verlangten dafür eine völlige Hingabe des ganzen Menschen, eine so grenzenlose Selbstverleugnung, deren sie selbst nicht fähig waren. … Und sie hatte dies grausame Spiel des vollendeten Egoismus bisher mitgespielt – ja, sie galt für eine der Schlimmsten! …

Was ihr Gemüth an Innigkeit besaß, das floß jetzt über ihre Lippen – sie suchte den alten Mann zu trösten. … Aber der Sonnenschein in ihrer Seele war verflogen. Nun erst grübelte sie über die finsteren Anklagen des alten Soldaten, und während des ganzen Heimwegs suchte sie zu ergründen, mit welcher Verlorenen, deren „fluchwürdige Hände nun moderten“, er sie wohl verglichen habe! … Die Lösung des Räthsels lag ihr fern, fern! Wie hätte sie die weißen, wundervollen Hände der hochseligen Großmama mit dem gestifteten Unheil, wie ihre erhabene Erscheinung mit der „Erbschleicherin“ in Verbindung bringen können?

Verstimmt und verfinstert trat sie in das weiße Schloß.

Der Ameisenhaufen, der in Gestalt von Handwerkern, scheuernden und fegenden Mägden seit gestern eine sehr geräuschvolle Thätigkeit entwickelt hatte, schien jetzt in eine völlig fieberhafte Aufregung gerathen zu sein. Das unruhige Hasten und Treiben beschränkte sich nicht allein mehr auf den Fremdenflügel im Erdgeschoß, zu beiden Seiten des Vestibüls standen die Flügelthüren weit offen und ließen die ganze lange Flucht der Zimmer übersehen, in denen Tapezirer, Gärtner und Dienstfrauen beschäftigt waren.

Oben im ersten Zimmer, das die junge Gräfin betrat, stand Lena mit hochglühenden Wangen inmitten ganzer Berge von Wäsche und Kleidern und packte verschiedene Koffer – ein Gärtnergehilfe zerstörte die Blumentische, um sie neu zu besetzen, und das Tageslicht fiel blendend durch die hohen Fenster, von denen man die seidenen Gardinen behufs des Abstäubens weggenommen hatte.

Ehe noch Lena ihrer erstaunt auf der Schwelle verharrenden Gebieterin berichten konnte, trat der Minister in Frau von Herbeck’s Begleitung aus einer Seitenthür. Er war sehr echauffirt und hielt Bleistift und Notizbuch in den Händen, offenbar als Hülfsmittel in rasch eingetretenen, sich überstürzenden Geschäften.

„Ach, mein liebes Kind,“ rief er der jungen Dame entgegen – er ließ plötzlich das förmliche, eiskalte ‚meine Tochter‘ fallen und war ganz und gar wieder der zärtlich schmeichelnde Papa von ehedem – „mein Goldkindchen, in welch’ tödtlicher Verlegenheit bin ich Dir gegenüber! … Da telegraphirt mir der Fürst vor einer halben Stunde, daß er schon morgen Abend in Arnsberg eintreffen werde, und zwar mit einem weit größeren Gefolge, als er mir anfänglich angezeigt hat! … Ich bin ganz außer mir, denn ich sehe mich gezwungen … ach Gott, wie peinlich ist mir doch die ganze Geschichte!“ unterbrach er sich selber und fuhr, als wolle er die Widerwärtigkeit abwehren, mit der Hand durch die Luft.

Frau von Herbeck kam ihm bereitwillig und sehr geschickt zu Hülfe.

„Aber mein Gott, darüber sollten sich Excellenz doch nicht so alteriren!“ rief sie. „In solchen Dingen ist unsere Gräfin viel zu vernünftig!“ Sie wandte sich an die junge Dame, indem sie auf Lena deutete. „Sie werden sich denken können, um was es sich handelt, liebe Gräfin! … Bitte, beruhigen Sie Excellenz, den Papa, – Sie sehen, wie außer sich er ist, Ihre Abwesenheit von Arnsberg für einige Tage wünschen zu müssen! … Das Schloß ist viel zu klein und eng für die vielen Menschen – nicht wahr, wir gehen der ganzen geräuschvollen Zeit während des fürstlichen Besuchs aus dem Wege und fahren heute noch nach Greinsfeld?“

Gisela fühlte eine Art von Schrecken … warum wurde ihr plötzlich so weh um’s Herz bei dem Gedanken, Arnsberg verlassen zu müssen? – Wie ein Nebelbild, ihr selbst fast unbewußt, glitt das märchenumhauchte Waldhaus pfeilschnell an ihrer Seele vorüber.

„Ich bin jeden Augenblick bereit zu gehen, Papa!“ sagte sie trotzdem ruhig, in ihrer gelassenen Weise.

„Du siehst ein, mein Kind, daß ich nur der dringenden Nothwendigkeit nachgebe?“ fragte der Minister schmeichelnd.

„Vollkommen, Papa!“

„O, wie dankbar bin ich Dir, Gisela! … Aber nun setze auch Deiner Freundlichkeit und Nachsicht die Krone auf und entschuldige Mama und mich, wenn wir Dir heute nicht einmal ein Mittagsessen anbieten. Mama sitzt mit Mademoiselle Cecile unter Toiletten vergraben und hält großen Rath – sie wird auf ihrem Zimmer essen, und mir bleibt heute nicht so viel Zeit, mich auch nur an den Eßtisch zu setzen. … Ich habe Deinen Koch sofort nach Greinsfeld geschickt – Du findest bei Deiner Ankunft allen Comfort, der in der Eile eben möglich zu machen ist.“

„Nun, dann bleibt nur noch der Wagen zu bestellen,“ sagte das junge Mädchen. „Lena, wollen Sie so freundlich sein und hinuntergehen?“

Die Kammerjungfer erstarrte fast darüber, daß sie so „freundlich“ sein sollte – Frau von Herbeck aber blieb buchstäblich der Mund offen stehen, während sie einen vernichtenden Blick auf die „cajolirte“ Zofe schleuderte.

Gisela knüpfte unbefangen die Hutbänder unter dem Kinn und zog die Handschuhe wieder an, die sie beim Eintreten abgestreift hatte – das sah sehr eilfertig aus.

„Aber Du gehst selbstverständlich erst noch zu Mama, nicht wahr, mein Kind?“ fragte der Minister – er ignorirte die plötzliche humane Anwandlung der Stieftochter vollständig. „Denke doch, mein kleiner Liebling, der Fürst kann möglicherweise über acht Tage bleiben, und während der ganzen langen Zeit sind wir verurtheilt, Dich so nahe zu wissen, ohne Dich auch nur ein einziges Mal sehen zu dürfen!“

„Es steht Dir ja frei, eine Spazierfahrt nach Greinsfeld zu machen, Papa!“ meinte das junge Mädchen gelassen. „Frau von Herbeck hat mir erzählt, daß der Fürst zu Großmama’s Lebzeiten sehr oft in Greinsfeld gewesen ist.“

Die schlaffen Lider fielen plötzlich tief über die Augen Seiner Excellenz – seine bleichen Lippen aber verzogen sich zu einem spöttisch mitleidigen Lächeln.

„Liebchen, das ist wieder einmal die Idee eines Kinderkopfes!“ sagte er. „Was soll Seine Durchlaucht im Hause eines siebenzehnjährigen Backfischchens, – verzeihe, meine Tochter – das noch nicht bei Hofe vorgestellt ist –“

„Bei der Gelegenheit könnte es ja geschehen,“ fiel Gisela leicht erregt ein. „Großmama, die unerbittlich streng auf das Festhalten unserer Standesvorrechte und der damit verbundenen Pflichten gehalten hat, würde sich sehr wundern, daß es überhaupt noch nicht geschehen ist – sie war noch nicht volle sechszehn Jahr, als man sie bei Hofe vorgestellt hat.“

Der Minister zuckte mit einer eigenthümlichen Bewegung die Achseln – seine nähere Umgebung würde damit gewußt haben, daß Seiner Excellenz die Geduld ausgegangen sei – er blieb jedoch scheinbar gelassen.

„Ueberlege Dir selbst einmal, mein Kind, was für eine Rolle Du mit sechszehn Jahren am Hofe zu A. gespielt haben würdest!“ versetzte er kalt. „Uebrigens muß ich Dir gestehen, die Kühnheit überrascht mich einigermaßen, mit der Du Dich neben die Großmama zu stellen wagst! – die brillante, hochgefeierte [243] Gräfin von Völdern und Du, meine Tochter!“ Er hob die Lider – ein sehr ausdrucksvoller, wenn auch unheimlich lauernder Blick fuhr über das Mädchengesicht, wobei eine leisen fahle Röthe in seine Wangen stieg. „Was überhaupt für Hindernisse Deiner Vorstellung bei Hofe entgegenstehen, kannst Du selbst ja gar nicht ahnen!“ fügte er mit großem Nachdruck hinzu. „Die Aufklärung kann und wird für Dich nicht ausbleiben, allein –“

Ein Diener trat ein und meldete, daß die Anwesenheit Seiner Excellenz im Fremdenflügel dringend nöthig[WS 1] sei.

„Nun, da behüte Dich Gott, Kindchen!“ wandte sich der Minister eilfertig, aber mit völlig verändertem, zärtlich väterlichem Ton an Gisela. „Lasse Dir die Zeit in Greinsfeld nicht zu lang werden.“

Er hob den Hutrand der jungen Dame und wollte sie auf die Stirn küssen – sie wich heftig zurück, und die braunen Augen maßen ihn finster und sprühend.

„Närrchen Du!“ lächelte er und strich nichtsdestoweniger mit dem Zeigefinger liebkosend über ihre Wange – die spitzen, weißen Zähne blitzten raubthierartig zwischen den bleichen, einwärts gekrümmten Lippen, und unter den Lidern hervor zuckte es wie ein Wetterleuchten.

Er entfernte sich, und Gisela ging mit Frau von Herbeck, um sich bei der schönen Stiefmutter zu verabschieden.

Die Baronin bewohnte gegenwärtig die Appartements, welche die junge Gräfin als Kind inne gehabt hatte – sie boten die schönste Aussicht im ganzen Schloß.

Ihre Excellenz empfing die Besuchenden in ihrem Ankleidezimmer. Sie blieben einen Augenblick unschlüssig an der Thür stehen; denn es war in der That ein Problem, wie sie zu der Dame gelangen sollten. Mademoiselle Cecile, die sehr vergilbte französische Kammerfrau, hatte die Pariser Kiste ausgepackt, und endlos, wie die Uebel aus der Pandorabüchse, waren Gazewogen und glitzernde Seidenstoffe hervor gequollen. Selbst das Parquet war bedeckt mit Cartons voll Blumen und mit Kästen, aus denen buntfarbige Stiefelchen ihre kleinen Absätze streckten.

Die Baronin stand vor dem Ankleidespiegel und hielt Anprobe – jedenfalls ein blutsaures Geschäft, denn der Kammerfrau, die mit flinken Händen ordnete und arrangirte, standen die Hellen Schweißtropfen auf der Stirn. … Der Pariser Schneider war offenbar mit hoher Intelligenz auf die Ideen der schönen Frau eingegangen – die Toilette repräsentirte den Wald, den frischen, grünen Wald in dem kleinen Kranz von Maiblumen, Erdbeerblüthen und jungen Tannenspitzen, der auf der Stirn der Dame lag, in dem schweren, mit eingewebten Eicheln bedeckten, grünen Stoff, welcher in seinem Knistern an das ferne Rauschen der heiligen Eichen erinnerte. Weniger heilig und dem keuschen Hauch des deutschen Waldes entsprechend war die Form des Gewandes, das ohne Aermel, nur mittels einer schmalen, grünen Spange auf den Schultern zusammengehalten wurde. Wohl traten die alabasterweißen, wundervollen Formen der Arme und des Nackens plastisch hervor – die Frau erschien hinreißend schön; aber es war doch gut, daß sie – keinen deutschen Namen mehr trug.

Die Damen konnten beim Eintreten das Gesicht der Baronin im Spiegel sehen – es strahlte im Triumph; gleichwohl zog sie wehklagend die Augenbrauen zusammen, und um den reizenden Mund glitt ein schmollender Zug, fast im Genre des verzogenen, eigensinnigen Kindes.

„Liebste Gisela, danke Gott, daß Du nicht in meiner Lage bist!“ rief sie, sich umwendend, dem jungen Mädchen entgegen. „Da sieh nur, wie ich mich plagen muß – stundenlang martert diese Mademoiselle Cecile mich arme Creatur! Ich kann kaum noch auf den Füßen stehen!“

Die kleinen Füße waren jedenfalls nicht so treulos, wie ihre reizende Besitzerin verleumderischer Weise behauptete; denn sie stand plötzlich leicht und sicher nur auf dem rechten, hob die Robe ein wenig empor und streckte den linken, mit einem eleganten Schuh bekleideten Fuß graciös hervor.

„Sagen Sie, Frau von Herbeck,“ meinte sie lächelnd, „ist die Toilette nicht süperb?“

Die Askese der Gouvernante hatte mit ihrem „vortrefflichen Geschmack“ nichts zu schaffen, und deshalb pries sie mit überfließenden Lippen und entzückt schwimmenden Augen das Meisterwerk des Pariser Schneiders.

Währenddem hatten die Damen einen Weg ausfindig gemacht und standen jetzt vor der schönen Frau.

„Herzliebste Gisela, was sagst Du nur dazu, daß wir so rücksichtslos sein müssen, Dich nach Greinsfeld zu schicken?“ fragte sie lebhaft.

Gisela antwortete nicht. Sie blickte durch das Fenster hinunter in den Garten; über ihr ganzes Gesicht floß jener zartrosige Hauch, der auch die weiße Rose verschämt aussehen macht – das junge Mädchen sah zum ersten Mal einen jener modernen Damenanzüge, die den Zweck als Hülle völlig verlieren und fast nur noch den Eindruck eines eleganten Rahmens machen, der ein reizvolles, aber schamloses Bild umschließt.

Die schöne Stiefmutter mißverstand das Schweigen und die Verlegenheit der jungen Gräfin vollständig.

„Du bist beleidigt, liebes Herz,“ sagte sie in bedauerlichem Ton – eine Beimischung von Aerger klang aber auch mit; „allein können wir denn anders? … Wir werden ohnehin wie die Häringe zusammengepackt sein in diesem verwünschten Nest, das so weitläufig und großartig aussieht und doch so wenig Platz und Comfort bietet!“

Inzwischen hatte die Kammerfrau verschiedene Etuis geöffnet und begann den Kranz im Haar ihrer Gebieterin und die Bouquets auf dem Kleid mit Diamanten buchstäblich zu bestreuen.

Welch’ eine Pracht funkelte auf dem blauen Sammetpolster der geöffneten kleinen Kästen! Es war eine wahrhaft kolossale Menge der auserlesensten Brillanten, zu deren Anhäufung jedenfalls mehrere Generationen einer Familie und fabelhafte Geldsummen gehört hatten.

„Ah, Großmama’s Brillanten!“ rief Gisela überrascht, aber doch unbefangen, als ihr die Steine entgegenblitzten.

Unmittelbar nach diesem Ausruf stieß die Baronin einen leisen, halbunterdrückten Schrei aus, zog die Schultern in die Höhe und schauerte in sich zusammen wie die berührte Mimose. Sie stampfte leicht mit dem Fuße auf.

„Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, Mademoiselle Cecile, daß Sie mir nicht mit den Fingern an die Schultern kommen sollen?“ fuhr sie die Kammerfrau an. „Ihre Hände sind geradezu froschartig – ich verabscheue sie! … Eine perfecte Kammerfrau muß ihre Dame anziehen können, ohne daß sie es merkt – begreifen Sie das noch immer nicht?“

Wie um der unglücklichen gescholtenen Zofe zu Hülfe zu kommen und die erzürnte Frau auf ein anderes Thema zu lenken, griff Gisela nach einem Armband und legte es um das Handgelenk – sie erreichte ihren Zweck vollkommen – die Dame hatte auch während ihres Zornausbruches jedenfalls nicht einen Moment die Stieftochter und die großmütterlichen Brillanten aus den Augen verloren, denn jetzt verfolgte sie mit einem wahrhaft verzehrenden, tigerartigen Blick die Handbewegung des jungen Mädchens.

„Liebes Kind, das macht mir Herzklopfen!“ sagte sie mit nervös bebender Stimme und griff ohne Weiteres nach dem Bracelet. „Du magst nun streiten wie Du willst, Deine Hände haben leider einmal eine krampfhafte Unsicherheit – Du bist im Stande, das Armband fallen zu lassen, und verdirbst mir den Schmuck!“

Gisela heftete die ruhigen braunen Augen erstaunt auf ihre Stiefmutter.

„Ei, liebe Mama,“ sagte sie lächelnd und legte die Linke wie vertheidigend auf das Armband, „wenn Papa Dir die Diamanten zur Anprobe anvertraut hat, so habe ich wohl auch ein wenig das Recht, sie einmal in die Hand zu nehmen. … Uebrigens begreife ich nicht recht, was die Steine hier sollen. Wie oft habe ich Papa um das Medaillon gebeten, das Großmama an einem Sammetband trug – es enthielt das Bild meiner seligen Mama. Er hat es mir stets streng verweigert, weil nach Großmama’s Testament der gesammte Schmuck unter Verschluß bleiben solle, bis ich mündig sei.“

„Ganz recht, mein Schatz,“ entgegnete die Dame langsam, mit schwerer, hohnvoller Betonung – ein wahrhaft dämonischer [244] Ausdruck lag auf dem marmorweißen Gesicht mit den lodernden, dunklen Augen. „Diese Testamentclausel hat Kraft für Dich, nicht aber für mich – und deshalb, Kind, wirst Du mir schon erlauben müssen, das Armband an seinen Ort zu legen, lediglich, damit der letzte Wille der Gräfin Völdern nicht geschädigt werde.“

Die betroffene junge Dame ließ sich widerstandslos den Schmuck vom Anne nehmen – sie war ja so unerfahren, und ihre Rechte hinsichtlich des Mein und Dein hatten sie bisher sehr wenig interessirt. Sie hatte demzufolge augenblicklich keinen Maßstab für die Handlungsweise ihrer Stiefmutter – der beste Helfershelfer für Ihro Excellenz aber war die unbesiegliche Abneigung der Stieftochter gegen die schweren, kältenden Steine, sie war froh, als sie ihre Haut nicht mehr berührten.

Unten war unterdeß der Wagen vorgefahren. Frau von Herbeck, die stumm, aber in der peinvollsten Verlegenheit der kleinen Scene beigewohnt hatte, athmete tief auf, als sich die junge Gräfin mittels einer sehr förmlichen Verbeugung von ihrer Stiefmutter verabschiedete. Sie selbst empfahl sich wortreich und sichtlich erleichtert bei Ihrer Excellenz, während Gisela nach der Thür schritt.

„Apropos, nur noch Eines, Herzenskind!“ rief die Baronin bittend dem jungen Mädchen nach.

Gisela wandte sich in der Thür um und blieb stehen – sie schien durchaus keine Lust zu haben, sich noch einmal durch den bunten Kram und Tand zu winden, über den ihr Blick sarkastisch hinstreifte. Das Licht eines Eckfensters strömte voll über ihre Gestalt – die ganze herbe Jungfräulichkeit, aber auch die entschiedene Verwahrung gegen jegliche Gemeinschaft mit der üppigen Stiefmutter lag in ihrer Haltung. Die schöne Frau ließ sich jedoch nicht abschrecken – sie stand ja auf dem erhabenen Piedestal der Muttersorge und Mutterpflichten.

„Seit ich weiß, daß Du reitest, verzehrt mich die Angst!“ rief sie hinüber. „Nicht wahr, Du versprichst mir, kein Pferd zu besteigen, so lange Du in Greinsfeld bist?“

„Nein, Mama, das Versprechen gebe ich Dir nicht – ich würde es nicht halten können.“

Die Baronin biß sich auf die Lippen. „Kind, Du bist grausam!“ klagte sie schmollend. „Nun muß ich auch noch bei all’ den Strapazen, die mir bevorstehen, in der Angst leben, daß Du über Berg und Thal jagst und eines schönen Tages den Hals brichst!“

„Ich reite nicht so wild und unbesonnen, Mama – und Sarah ist ein frommes Thier!“

„Das will ich ja ganz gern glauben, aber es beruhigt mich noch lange nicht. … Wenn ich z. B. an das unebene Terrain zwischen Greinsfeld und Arnsberg denke, da schaudert mir die Haut – ich, für meine Person, habe es dem Papa stets verweigert, ihn auf der Tour zu Pferde zu begleiten.“

Auf dem fetten Gesicht der Gouvernante erschien ein häßliches, zweideutiges Lächeln.

„Beruhigen sich Euer Excellenz!“ sagte sie mit einem verständnißvollen Blick. „Unsere liebe Gräfin wird sicher ein anderes Terrain für ihre Spazierritte wählen – ich glaube nicht, daß sie sich besonders auf die Gegend zwischen Greinsfeld und Arnsberg capricirt. Auch auf unseren Ausfahrten vermeiden wir, wenn wir nicht gerade nach Arnsberg wollen, den Weg fast immer – er ist zu holperig, wie Excellenz ganz richtig sagen.“

Die Baronin nickte ihr huldvoll und dankbar zu.

„Nun, wenigstens ein Trost!“ seufzte sie auf. „Wenn mir auch die Angst bleibt, so habe ich doch die Beruhigung, Dich nicht auf dem Pferde sehen zu müssen, Du böser kleiner Trotzkopf! … Du versprichst mir fest, daß Du auf Deinen Morgenritten nicht in meinen Gesichtskreis kommen willst, nicht wahr, liebste Gisela?“

Das junge Mädchen bejahte mit sichtlicher Ungeduld. Diese Zärtlichkeit, die auch nicht einen Funken von Sympathie in ihr zu erwecken vermochte, bedrückte sie wie ein Alp, den sie um jeden Preis abschütteln wollte.

„Nun, so geh’ mit Gott, mein Kind!“ rief die schöne Stiefmutter und wandte ihr Gesicht dem Spiegel wieder zu.

Gisela verschwand, und Frau von Herbeck folgte ihr nach einer tiefen Verbeugung gegen die Excellenz am Spiegel.

Die Thür fiel in’s Schloß, und die Dame sank, wie zu Tode ermattet, auf einem Fauteuil in sich zusammen, während sie die Hand über die Augen legte. Daß die kleinen Pariser Maiblumen und Erdbeerblüthen auf dem Kleid bei der heftigen, rücksichtslosen Bewegung alle Frische einbüßen mußten, kümmerte die Hingesunkene nicht – ein nie dagewesener Moment!

Die Kammerfrau schlug stillschweigend die Hände zusammen, aber bei aller Alteration huschte doch ihr Blick schadenfroh und boshaft nach der gestrengen Herrin hinüber. … Das war freilich herzbrechend genug! … Wie oft hatte sie diese wundervollen Steine in das nachtschwarze Haar der schönen Frau versenkt und den stolzen Nacken, den sie selbst nie berühren durfte, mit ihnen geschmückt! … Vor zwei Jahren war die reizende deutsche Excellenz, buchstäblich besät mit Brillanten, auf einem Pariser Balle erschienen – seit jenem erhabenen, unvergeßlichen Augenblick hieß sie in der vornehmen Welt „die Diamantenfee“!

Welche Triumphe, wie viel himmlisch schöne Stunden knüpften sich an diese glitzernden Schätze! Sie hatten den Sieg der Schönheit[WS 2] unzähligemal mitgefeiert! Ihr Funkeln erinnerte an so manche Thräne im glühenden Auge Besiegter, welche die verlockende Diamantensirene durch alle Stadien der Leidenschaft geführt hatte, um sie dann hohnlachend mit dem Fuße fortzustoßen! …

Und nun sollte sie es hingeben, das glänzende Rüstzeug der Koketterie, ohne das sie nicht leben konnte und wollte – sie sollte es hingeben an eine Andere, Jüngere!

Einen Schleier über die Kämpfe in der Seele einer Frau, die mit bunten Steinen um ihrer Seelen Seligkeit würfelt! …

Währenddem verließ die junge Gräfin Sturm das weiße Schloß. Alle die großartigen Vorbereitungen zu glänzenden Festivitäten, die sie hinter sich ließ, berührten sie nicht – sie empfand keinerlei Bedauern. … Was lag ihr daran, den Fürsten von Angesicht zu sehen? Allerdings hatte sie eine unbegrenzte Verehrung für seine erhabene Lebensstellung – die war ihr ja von ihrem ersten Gedanken an fast noch sorgfältiger eingeprägt worden, als die Gottesverehrung – aber sie war auch weit entfernt von dem Kinderglauben der großen Menge, der einen ganz besonderen Stempel auf dem Gesicht der Herren von Gottes Gnaden sehen will.

Ja, sie hatte den Wunsch, dem Fürsten vorgestellt zu werden – aber nur aus Rücksicht auf die Traditionen der alten Geschlechter Sturm und Völdern! Ihre Ahnen waren seit Jahrhunderten in den Banketsälen der Höfe erschienen – sie hatten den Thron umstanden, erlaucht durch die Geburt und durch die Auszeichnung von Seiten der Herrscher! Und diesen Glanz, diese Rechte sollte und mußte die letzte Sturm auch bis zum letzten Athemzug aufrecht erhalten – das war eine heilige Pflicht! … War es wirklich nur der Gedanke an diese Pflicht, infolge dessen sie heute dem Papa den Wunsch nahe gelegt hatte? … Eine tiefe Gluth schoß in ihr Gesicht – sie hatte ein Geheimnis; vor sich selbst – sie flüchtete angstvoll vor den Ausplaudereien ihrer Seele in die Außenwelt. …

Ihre Hand griff in die Aeste der Eichen, unter denen der Wagen langsam hinfuhr – aber wie die schlanken, zackigen Blätterzungen durch ihre bebenden, weißen Finger glitten, da stand es doch wieder da im zitternden Sonnenglanz, inmitten der uralten Eichen, die mit dem funkelnden Wasserstrahl um die Wette flüsterten – das alte, graue, grünumsponnene Waldhaus. … Und die prächtige Gestalt des Portugiesen schritt majestätisch die Stufen herab. … Der alte Mann in der Hausflur sah ihm nach, – auch das Aeffchen auf der Schulter des Edelknaben, und der Papagei schnarrte.

Er ging in das weiße Schloß, der Portugiese mit der geheimnißvollen, weißen Stirn und den heißen, zuckenden Lippen. Er wurde dem Fürsten vorgestellt, und um den wunderbaren Fremdling her standen die eingeladenen Damen vom Hofe zu A. und die schöne Stiefmutter im waldgrünen Kleide, mit dem Kranz von Maiblumen und Erdbeerblüthen über den strahlenden, schwarzen Augen. …

Die Hände des jungen Mädchens sanken jäh in den Schloß zurück, und einzelne abgerissene Eichenblätter rieselten auf den Waldboden nieder. …


(Fortsetzung folgt.)
[245] 

Rafael und die Fornarina.

[246]

Tropische Pflanzenwelt im Zimmer.

Wie viele unserer Leser sind nicht schon oft in Gedanken hinübergeschweift über das grüne Meer, über Berge und Alpen, über Steppen und Sandwüsten nach jenen Zonen, wo die senkrecht niederstrahlende Sonne im Verein mit einer feuchten Atmosphäre die üppigsten Prachtgestalten der Pflanzenwelt hervorzaubert! Wie viele sind nicht schon mit glühend erregter Phantasie den Schilderungen gefolgt, welche jene Reisenden entworfen, die ihr Wissensdrang hingeführt an die Ufer des Amazonenstromes und des Orinoco, in die Niederungen Mexico’s und Ostindiens, nach dem Gefahr drohenden Innern Afrika’s und den Eilanden der ost- und westindischen Inselgruppen!

Werfen wir einen raschen Blick auf diese herrlichen Pflanzengestalten, um auch bei jenen Lesern, denen sie noch unbekannt, ein regeres Interesse für ihre Einbürgerung am heimischen Heerde zu wecken, ihnen eine liebevolle Pflege namentlich auch von Seiten der schönen Leserinnen zu sichern.

Da sind zuvörderst die Palmen, diese Königinnen des äquatorialen Urwaldes, ohne deren prachtvolle Gestalten man sich kaum eine tropische Landschaft zu denken vermag. Auf häufig weit über hundert Fuß hohen, schlanken, hie und da rohrartig dünnen, bald glatten, bald schuppigen, bald mit einem braunen Fasernetze, bald mit prächtigen, glänzenden Stacheln bekleideten Stämmen heben sie ihre Blätterkrone hoch über ihre Umgebung in das tiefe Blau des südlichen Himmels empor. Und welche Schönheit entfaltet diese Krone! Vom sattesten Dunkelgrün durch Gras- und Gelbgrün bis zu Graugrün mit glänzendem Silberschimmer wechselt die Farbe. Hier streben mächtig große Fiederblätter mit steifen, glänzenden Einzelblättchen unter spitzem Winkel empor, dort wallen die älteren, aus zarten, an den Spitzen überhängenden Blättchen gebildeten Fiedern, neben den jüngeren aufwärts strebenden, in schön geschwungenen Bogenlinien nach der Erde nieder; bei anderen Arten breiten sich riesenhafte, kreisförmig oder elliptisch gestaltete, vielfach zerschlitzte Blätterschirme an der Spitze des Stammes nach allen Seiten aus.

Mit den Palmen ringen um den Preis des Sieges die üppigen, saftstrotzenden Gestalten der Bananen, welche vorzugsweise den Schmuck der schattigen und feuchten Ufer von Bächen, Flüssen und Binnenseen bilden. Zwar strebt der krautartige Stamm nicht gleich jenen der Palmen dem Himmel zu, aber schon im Laufe eines Jahres schießt er zu zwanzig bis dreißig Fuß Höhe auf und entfaltet auf seinem Gipfel eine Krone von mächtigen, gegen zwanzig Fuß langen und mehrere Fuß breiten, saftiggrünen, seidenartig glänzenden, in der Richtung der parallelen Seitennerven vielfach zerschlitzten Blättern. Zu den Bananen gesellen sich die zwar minder mächtig entwickelten, aber formenähnlichen Scitamineen, zu welchen die bekannten Blumenrohre (Canna) und prächtig gezeichneten Marantett gehören.

Den Uebergang von diesen, neben den riesigen Laubholzarten und Baumfarren gleichsam den Oberbestand des Tropenwaldes bildenden Gewächsen zu dem Unterholze und den Bodenpflanzen bilden die Pandanen, Drachenbäume und Aloegewächse. Auf einem hie und da wohl zwanzig bis dreißig Fuß Höhe erreichenden, meistens aber niedriger bleibenden oder kaum merklichen Stamm entfaltet sich deren bald aus großen, fleischigen, steif aufstrebenden, bald aus zarten, gewebten, bogig niederhängenden Blättern gebildete, dort mehr imposante, hier mehr zierliche Krone, welche sich theils in mannigfach abgestufte grüne, theils in braune, rothe und bunte Farben kleidet.

Auf den modernden Leichen oder auf den lebenden Leibern der Riesen des Urwaldes, wie auf dem kraftstrotzenden Humusboden siedeln sich einige Pflanzenfamilien an, welche nicht minder durch ihren Blätterschmuck, als durch ihre in den brennendsten Farben prangenden, die herrlichsten Wohlgerüche aushauchenden Blüthen die Sinne des Beschauers gefangen nehmen. Sie auch sind es, welche durch die überreiche Zahl an Formen, wie durch die fast ungehemmte Entfaltung die eben nur der tropischen Pflanzenwelt ureigene Ueppigkeit und Ueberfülle vorzugsweise hervorrufen helfen. Die den Bananen und Blumenrohren in ihrem Blüthenbau nahestehenden Ananasgewächse treten meistens ohne Stamm auf, und die bald mehr, bald minder weit ausgebreiteten Büschel theils aufstrebender, theils niederhängender, am Rande meist scharf oder stachlig gezähnter Blätter sind in der Regel von grau- bis blaugrüner Farbe, der sich indessen auch hie und da lebhafter grüne und bunte Töne beimischen. Reicher noch und mannigfaltiger ist der Formenkreis der Aronpflanzen. Auf krautartigem, saftigem, wenige Fuß hohem Stengel oder unmittelbar auf dem Wurzelstocke erheben sich die an Größe denen der Bananengewächse fast nahekommenden, mit dicken, häufig netzförmig verzweigten und abweichend gefärbten Nerven gezeichneten sattgrünen Blätter, welche bald von pfeilförmiger Gestalt und einfach, bald bandförmig gelappt, bald fiederspaltig oder gefiedert sind und sich nicht selten durch rothe oder weiße Flecken, Streifen und andere Zeichnungen oder gar durch metallische Farbe und Glanz auszeichnen.

Selbst die Gräser, welche in unserer Heimath dem buntgewebten Teppich der Wiesen den Grundton verleihen, werden in den Tropenzonen zu Riesen, von denen einzelne an Höhe des Wuchses fast mit den Palmen wetteifern können. Ebenso haben unsere Riedgräser in den verschiedenen Cyperusarten des heißen Erdgürtels ihre baumartigen Repräsentanten, deren zehn bis fünfzehn Fuß hoher Schaft auf dem Gipfel große, aus zahlreichen, zartgewebten Blättchen gebildete Schirme trägt.

Weniger fern als die voranstehenden Pflanzengruppen stehen uns in ihrer Gestaltung die Laubholzbäume der tropischen Waldvegetation. Dennoch finden wir darunter einige Familien, welche unser Interesse nicht in geringerem Grade fesseln, als Palmen, Bananen und Aroideen.

Vor allen ziehen die Lianen oder holzartigen Schlinggewächse unseren Blick auf sich. Mit ihren runden, bandartig flachen oder wunderlich gedrehten, oft über hundert Fuß langen Stämmen klettern sie die Bäume hinan, umschlingen Stamm und Aeste und bilden mit ihren bald dem Boden zustrebenden, bald in weiten Bogen sich von Baum zu Baum spannenden, bald in den wunderlichsten Verschlingungen durcheinander gewirrten Aesten entweder schwebende Guirlanden oder undurchdringliche Gitter, die in dem herrlichsten Blüthenschmuck erglühen. Durch das Gigantenhafte, hie und da Unförmliche ihres Wuchses, sowie durch die Großartigkeit und Schönheit ihrer Belaubung ragen jene Laubbäume als ein die Physiognomie der tropischen Landschaft mitbestimmender Factor hervor, welche bei uns ihre Vertreter in den krautartigen Malven- und Nesselgewächsen haben.

Rechnen wir zu all’ diesen Formen noch die mimosenartigen Gewächse mit ihren mehrfach gefiederten, freudig grünen, eigenthümlich reizbaren Blättern, dann die Baumfarren mit ihrem schuppig rauhen oder filzigen Stamme und der aus zart gewebten Fiedern gebildeten, im leisesten Lufthauch beweglichen Wedelkrone, so entwickelt sich vor unserem inneren Auge ein Waldbild, wie es an Reichthum, Großartigkeit und Ueppigkeit der Formen und des Farbenglanzes kaum seines Gleichen hat, um dessen Anblick jene Glücklichen zu beneiden sind, denen es gestattet ist oder war, die Tropenzonen zu durchwandern.

Der aber, dem es nicht vergönnt ist, sich von der heimischen Scholle loszulösen, der nur die Bilder schauen kann, welche Feder, Stift und Pinsel jener Begünstigten vor sein Auge zaubert, wie mächtig fühlt er nicht den Wunsch sich regen, selbst zu schauen und zu genießen! Solchen zum Troste – und hoffen wir, zur Freude – sei es versucht, einige Winke zu geben, wie man sich bei passender Auswahl und Behandlung der gegenwärtig um verhältnißmäßig geringen Preis zu erlangenden sogenannten Blattpflanzen das Wohn- oder Arbeitszimmer mittels dieser meist immergrünen Kinder der Tropenwelt schmücken und selbst im Winter, wenn die heimische Erde unter eisiger Decke ruht und der kalte Nordsturm Schneewehen gegen die Fenster treibt, zwischen seinen vier Wänden einen traulichen grünen Winkel schaffen kann.

In Bezug auf den ersten Schritt, den man für die Einführung der schönen Fremdlinge an den heimischen Heerd zu thun hat, die Wahl der zu cultivirenden Pflanzen, kann ich nur die allergrößte Umsicht empfehlen. Vor Allem lasse man sich nicht durch die Sucht nach einem bunten Allerlei leiten, steife sich nicht eigensinnig darauf, unter jeder Bedingung auch Blühbares haben zu wollen, und lasse namentlich die Cappflanzen und Neuholländer, welche meistens eine eigenthümliche Behandlung erfordern und im Zimmer [247] nie recht gedeihen wollen, außer Betracht. Die oben berührten Pflanzengruppen, welche allerdings meistens nur Blattpflanzen enthalten, die ihre Pflege indessen reichlich lohnen und deren Cultur gewiß Jedem das angenehmste Vergnügen bereiten wird, bieten ohnehin ein reich ausgestattetes Gebiet für die Auswahl.

Ein Hauptgesichtspunkt ist und bleibt in dieser Beziehung der, daß man nur solche Pflanzen ziehe, welche eine gleiche oder nahezu gleiche Behandlung, namentlich in Bezug auf die Feuchtigkeit der Luft, die Wärmeverhältnisse, das Bespritzen etc. verlangen, oder doch, ohne Schaden zu leiden, ertragen.[1]

Hat man sich für diejenigen Pflanzenarten entschieden, welche als Zimmergenossen aufgenommen werden sollen, so gilt es zunächst, ihnen zu passender Zeit ein geeignetes, ihrem natürlichen Standorte, so weit es eben möglich ist, nahekommendes Unterkommen zu verschaffen. Die beste Zeit zur Uebersiedelung ist der Spätsommer, weil zu dieser Zeit (August bis September) jene Gärtnereien, welche die Anzucht für Zimmercultur nebenbei oder vorzugsweise berücksichtigen, die Pflanzen abgehärtet, d. h. der geschlossenen feuchten Luft des Warmhauses möglichst entwöhnt haben. Aeltere Gewächse kann man auch Anfang Sommers in’s Zimmer bringen, weil sie dann durch die höher stehende Sonne Wärme genug erhalten und man die nöthige Feuchtigkeit der Luft durch die weiter unten näher zu beschreibenden Veranstaltungen leicht herstellen kann.

Die Aufstellung bringe man, da Licht und Wärme zu den hauptsächlichsten Bedingungen des Pflanzenlebens gehören, so nahe als möglich vor einem Fenster, oder noch besser zwischen zwei nach verschiedenen Himmelsgegenden gerichteten Fenstern eines sonnigen, im Winter von den frühen Morgen- bis zu den späten Abendstunden geheizten und, wenn es sein kann, über geheizten Räumlichkeiten gelegenen Zimmers an. Hierbei trage man aber Sorge dafür, daß in der kälteren Jahreszeit die Pflanzen etwas weiter in’s Zimmer zurück gerückt werden können, um den nachtheiligen Einflüssen der von außen eindringenden Kälte, welcher man indessen auf jede Weise – durch Moospolster vor den Fensterfugen, durch Vorfenster etc. – den Zugang abzuschneiden suchen muß, möglichst vorzubeugen. Für eine geringere Anzahl noch kleinerer Pflanzen genügt zur Unterbringung wohl ein entsprechend großer Blumentisch, der etwa um die mittlere Platte einen etwas tiefer gelegenen Rand für eine weitere Reihe von Töpfen haben kann. Bei einer einigermaßen arten- und formenreichen Sammlung, die außerdem schon größere Exemplare enthält, wie sie sich ja im Laufe der Jahre immer heranbilden, genügt natürlich der Blumentisch nicht. Hier hilft man sich am besten durch eine halbkreisförmige, zweietagige Blumentreppe, welche in Verbindung mit dem Tische benutzt und so gestellt werden kann, daß sie denselben an der nach dem Fenster gewendeten Seite umfaßt. Die niedrigeren Pflanzen können dann ihren Platz auf dem Tische erhalten, während die größeren, je nach ihrer Höhe, auf die Stufen der Treppe vertheilt werden, so weit dies eben die Natur derselben gestattet. Denn für den Winter muß in dieser Beziehung das Wärmebedürfniß der verschiedenen Gewächse zur Richtschnur für die Aufstellung genommen werden. Die zarteren Dracänenarten, Areca und Oreodoxa, die Musen und Aroiden werden zu dieser Zeit die höheren Plätze einnehmen müssen, während die härteren Dracänen, Phoenix und Corypha australis, Rhapis, Plectogyne, die Abutilonarten, Yucca, sogar Ficus elastica, tiefer stehen können.

Ist die Stellage mit Rollen versehen, um leicht von dem Tische abgerückt werden zu können, so erleichtert dies die kleinen, bei der Pflege nothwendigen Arbeiten sehr, weil man dann ohne Umstände zu jeder Pflanze zu gelangen vermag. Raum und Geschmack bedingen hier indessen und lassen mancherlei Abänderungen zu. Namentlich können die mehr schattenliebenden oder doch weniger lichtbedürftigen Gewächse zu mannigfaltigster Ausschmückung verwendet und in Zimmerecken, vor Fensterpfeilern, auf Möbelstücken etc. ihren Platz finden. In solchem Falle hat man dann aber im Winter die zu große Nähe des Ofens zu vermeiden und darf die Töpfe nicht unmittelbar auf den Boden stellen, sondern muß denselben niedrige, schemelartige Stellagen geben.

Nächst dem nöthigen Lichtzutritt verdient die Beschaffenheit der Luft, in welcher die Pflanzen vegetiren sollen, unsere besondere Beachtung. Trockene Luft, wie sie in der Regel unsern Zimmern eigen, ist deren Tod. Demgemäß muß die nächste Sorge der Beschaffung und Erhaltung einer gewissen Luftfeuchtigkeit zugewendet werden. Man kann dieses Ziel auf verschiedene Weise erreichen. Am besten ist es, wenn man in den Blumentisch und die Treppe deren Form angepaßte niedrige, ein bis zwei Zoll hohe Zinkwannen einsetzen läßt, in welchen, während sie etwa bis zur halben Höhe mit Wasser gefüllt werden, die Töpfe auf umgekehrte Untersätze zu stehen kommen. Billiger kommt man zum Ziele, wenn man die Töpfe in recht weite, theilweise mit Wasser gefüllte Untersätze auf Thon- oder Holzwürfel oder noch besser auf übergelegte Leistchen stellt. Außerdem kann im Winter ein Gefäß mit Wasser auf den Ofen gesetzt und so ein noch etwas höherer Feuchtigkeitsgehalt erzielt werden.

Ein weiteres Mittel zur Gesunderhaltung und Beförderung eines freudigen Gedeihens der Blattpflanzen, welches alle die oben genannten recht gut vertragen, besteht in dem Bespritzen von allen Seiten, nicht etwa blos von oben. Daß eine Brause zu dieser Manipulation – schon mit Rücksicht auf die Umgebung des Blumentisches etc. – ein zu plumpes Werkzeug sein dürfte, leuchtet ein. Man erreicht seinen Zweck indessen durch andere überall und Jedem zu Gebote stehende Mittel eben so gut und insofern noch [248] besser, als das Wasser in Form eines äußerst fein zertheilten Staubregens niederfällt. In Ermangelung eines anderen Instrumentes kann eine Bürste dienen. Diese wird in Wasser getaucht, welches etwas über die Lufttemperatur erwärmt sein darf, mit der Bürstenseite nach oben gewendet und dann mittels eines Stäbchens gegen sich fahrend in etwas raschem Tempo abgestrichen. Weit bequemer sind die in neuester Zeit bekannt gewordenen Verstäubungsapparate (rafraichisseur), wie man sie in jeder Handlung physikalischer Apparate um geringen Preis erstehen kann. Mit einem solchen Instrumentchen geht die Besprengung leicht und gleichmäßig von Statten, während es zugleich eine möglichst allseitige Benetzung der Blätter gestattet. Im Sommer mag ein solcher feiner Staubregen des Morgens und gegen Abend verabreicht werden, wobei jedoch darauf zu achten ist, daß die besprengten Gewächse, so lange sie naß sind, durchaus nicht von der Sonne beschienen werden, weil dadurch sogenannte Brandflecken entstehen und die Blätter verderben. Im Herbste muß man je nach der Temperatur sehr sorgsam zu Werke gehen und an etwas kühlen Tagen lieber nicht oder doch nur bei geschlossenem Zimmer spritzen. Zur Winterzeit, so lange die Pflanzen ruhen sollen, also bis zum März hin, hört man unter Umständen mit dieser Arbeit ganz auf und verfährt beim Wiederbeginn derselben recht vorsichtig. Jedenfalls nehme man das Bespritzen zu dieser Zeit nur einmal des Tages und zu einer Tageszeit vor, wann das Zimmer recht gut durchwärmt ist und zwischen ihm und der Abkühlung während der Nacht ein gehöriger Zwischenraum liegt.

Ueber das Versetzen, die für die verschiedenen Pflanzengattungen zu verwendenden Erdmischungen etc. müssen wir hier, wo es sich nicht um die Zimmercultur überhaupt, sondern nur um die besondere Behandlungsweise einer bestimmten Reihe von Gewächsen handelt, hinweggehen. Nur das sei erwähnt, daß die meisten Blattpflanzen ein öfteres Umsetzen in größere Töpfe gerade nicht erfordern, wenn man dieselben sonst sorgfältig behandelt und ihnen eine geeignete Düngung zu Theil werden läßt. Hierzu eignet sich aber nach eigenen Erfahrungen am besten und wohl einzig das Begießen mit einer schwachen Leimlösung von einem bis ein und einem halben Loth auf drei Quart Wasser,[2] wenn dieselbe in acht- bis vierzehntägigen Perioden (während des Sommers) wiederholt wird. Dieses Düngemittel wird von allen unseren Pflanzen gut vertragen, es übertreibt dieselben nicht und befördert dennoch den Wuchs sowie das frische, kräftige Aussehen; man kann bei Verwendung desselben jüngere Pflanzen schon etwas längere Zeit auch in einem kleinen Topfe stehen lassen und braucht bei älteren das Versetzen nur nach ein paar Jahren vorzunehmen.

Nicht genug aber, daß wir unseren Pfleglingen, so weit es in unserer Macht steht, die Bedingungen zu ihrem freudigen Gedeihen gewähren; es gilt außerdem auch alle diejenigen Einflüsse von ihnen abzuhalten, welche gerade bei der Zimmercultur für die Entwicklung und das schöne Aussehen sich als besonders nachtheilig erweisen. Dahin gehören vor Allem Staub, ungebrochenes Sonnenlicht, zu große Bodennässe und Wurzelerkältung.

Der Staub, welcher namentlich die Thätigkeit der Blätter und grünen Stengeltheile beeinträchtigt und dem ganzen Aussehen der Pflanzen gerade nicht zum Vortheile gereicht, ist ein wahres Kreuz für den Pflanzeninhaber. Bannen läßt er sich nicht, da er in bewohnten Zimmern nicht vermieden werden kann. Man muß ihn also möglichst von den Pflanzen abzuhalten suchen oder darf ihn sich nicht auf den Blättern in merkbarer Menge ansammeln lassen. Ersteres läßt sich bei nicht zu vielen und großen Pflanzen leicht dadurch bewerkstelligen, daß man dieselben während des Reinigens und Ausstäubens mittels einer leichten Decke aus Gaze schützt; Letzteres verlangt ein von Zeit zu Zeit wiederholtes Abwischen der Blätter und Stengel mittels eines zarten, in laues Wasser getauchten Schwämmchens, wobei darauf zu achten ist, daß die betreffenden Organe nicht zu sehr hin und her gebogen, oder die ganze Pflanze zu stark gerüttelt wird. Nächst der Beseitigung des Staubes trägt diese Arbeit auch viel zur Fernhaltung und Vernichtung von Insecten und dgl. bei, welche dabei dem Auge kaum entgehen und entfernt werden können.

Das Sonnenlicht, so wohlthätig es im Allgemeinen auf den Vegetationsproceß wirkt, kann doch, wenn es im Zimmer ungebrochen längere Zeit auf ganze Pflanzen oder einzelne Blätter wirkt, recht nachtheilig werden. Man muß es sich daher zur Regel machen, mindestens in der heißen Jahres- und zur Mittagszeit seine Pfleglinge zu beschatten. Am einfachsten geschieht dies durch Vorziehen eines lichten Vorhanges, damit das Licht möglichst wenig abgeschnitten wird. Es kann aber auch die oben erwähnte Gazedecke dazu dienen, wenn man sie auf einem besonderen Träger an einem kreisförmig gebogenen Drahte befestigt und nach der Sonnenseite gleich einem Schleier über die Pflanzen fallen läßt. Die strahlende Wärme des Ofens, welche so häufig an dem Eingehen der Pflanzen schuld ist, kann durch diese Vorrichtung gleichfalls abgehalten werden. Noch besser aber dient hierfür ein entsprechend breiter und hoher Schirm, der vor den Ofen gestellt wird.

Uebernässe des Bodens hat ihren Grund in zu reichlichem, Wurzelerkältung – während der kühleren Jahreszeiten – im Gießen mit zu stark abgekühltem Wasser. Gerade hierin aber wird recht oft gefehlt. Im Sommer verursacht das etwas Zuviel wohl weniger Schaden, desto mehr aber in den kühlen und kalten Jahreszeiten. Sobald die Tage im Herbste kühler werden, mäßige man das Begießen mehr und mehr und nehme es im Winter, wo manche Pflanzen, wie die Bromeliaceen, ganz trocken stehen können, nur dann vor, wenn der Wurzelballen beinahe ganz ausgetrocknet erscheint, worüber man sich durch den helleren Klang der mit dem Finger beklopften Töpfe unterrichten kann. Die meisten unserer Blattpflanzen, namentlich die mit härteren Stengeln und Blättern dürfen, wenn für die nöthige Luftfeuchtigkeit gesorgt ist, in dieser Jahreszeit je nach der Größe der Töpfe wohl vier bis fünf, ja sechs bis acht Tage stehen, ehe eine erneute Wasserzufuhr nothwendig wird. Diese bestehe dann aber aus Fluß- oder Regenwasser, welches mindestens die Temperatur des gut durchwärmten Zimmers oder eine wenig höhere (einen bis drei Grad) besitzt, und geschehe zu einer Tageszeit, wo die nächtliche Abkühlung des Zimmers nicht zu bald nach dem Gießen erfolgt, also etwa in den Stunden von zehn Uhr des Morgens bis Mittag.




Prinz Kaiman.
Ein Erlebniß aus dem griechischen Archipel.
Von Ch. v. Vincenti.

Anfangs Juni hatte ich mich im Piräus auf dem griechischen Dampfer „Panhellenion“ nach Naxos eingeschifft. In Syra nahmen wir einen Passagier in Empfang, bei dessen Anblick ich unwillkürlich zusammenschrak. Er war nämlich eine genaue Copie meiner eigenen Person. Ein bleicher Mann von hochgewachsener Gestalt, trug er, wie ich, gelocktes, schwarzes Haar, dunklen Vollbart, einen schwarzen, talarähnlichen Ueberrock und einen Tuneser Fez mit langherabfließender, blauer Seidentroddel. Der Unbekannte verrieth übrigens durch sein aus einem armenischen Secretair, einem Leibhusaren in Palikarencostüm, zwei bronzefarbenen Dienern und einem allerliebsten Negerpagen bestehendes Gefolge den Mann von Stand. In der That erfuhr ich alsbald durch den Capitän, einen redseligen Syroten, daß mein Doppelgänger kein Geringerer als seine Herrlichkeit der Prinz Kaiman sei. Dieser Name frappirte mich allsogleich, und ich erinnerte mich, bei meiner Nilreise zu Assuan von einem Fabelprinzen dieses Namens gehört zu haben, von dem mir der Scheik der Katarakte als einem fremden Königssohne erzählte, der vor Kurzem auf der Insel Philä Schätze gegraben, zum Kurzweil Krokodile geschossen und – wunderlich genug – selbst ausgestopft habe. Ich glaubte damals an den

[249] Krokodilenjäger, an den Prinzen jedoch nur mit einigem Widerstreben, indem es nirgends mehr als im Oriente von problematischen Proteusnaturen wimmelt, deren erstaunliche Vielgestaltigkeit nur im Lande der Sonne zur höchsten Vollentwickelung gedeiht. Vielleicht hätte sich, dachte ich damals boshaft genug, das angebliche Königskind als ein ungarischer Flüchtling mit Namen „Kalman“ entpuppt, der in der Fremde zum Prinzen avancirt war, oder wäre zu „Haiman Prinz“, einem speculativen Israeliten, zusammengeschrumpft, der für europäische Sonntagsjäger am Nil mit Krokodilenmumien Handel getrieben … Dies war ja Alles möglich, denn in Aegypten kannte ich den Prinzen Kaiman nicht persönlich und selbst jetzt, nachdem ich ihn gesehen, mit ihm gespeist und aus seinem Munde vernommen, daß er sich nach Naxos begebe, um dort seine Hochzeit mit einer schönen Naxiotin aus altvenetianischem Blute zu feiern, hatte sich meine unrespectirliche Meinung über Seine Herrlichkeit noch nicht wesentlich geändert. Es giebt gar wunderliche Käuze in der bunten Welt des Orients!

Unter den Verdeckpassagieren befand sich ein halb Dutzend griechischer Gensd’armen, welche, nach Aussage des Capitäns, der königliche Nomarch (Prafect) von Syra auf das freundliche Ansuchen des Pascha’s von Rhodus, des Statthalters des türkischen Archipels, nach den Cykladen sendete, um nach einer Falschmünzerbande zu fahnden, die, wie man vermuthete, von hier aus den Geldmarkt von Stambul mit falschen Tresorscheinen förmlich überschwemmte. Der Führer des „Panhellenion“ hoffte mit Hülfe der Panagia, d. h. der heiligen Jungfrau, und der Gensd’armen bei seiner Ruckreise die gefangenen Spitzbuben an Bord zu haben. Spitzbuben an Bord zu haben, ist in den griechischen Gewässern durchaus nicht schwierig, und wer weiß, dachte ich, ob … und Prinz Kaiman fiel mir unwillkürlich ein. Wir hatten indeß in Mykoni eine türkische Dame und ihren Diener, wie es schien, an Bord genommen. Die Dame trug den weißmusselinenen „Jaschmak“ (Kopftuch) der Frauen Stambuls und einen schwarzen Roßhaarschleier nach Cairenser Mode. Während wir gen Naxos dampften, bemerkte ich auf dem Verdeck in einem nach Art der Hühnerkäfige gefertigten vergitterten Kasten ein in Stroh eingebundenes, prächtig ausgestopftes Krokodil, welches der Negergroom des Prinzen zu hüten schien. Ich fragte den Berberjungen aus und erfuhr, daß der mächtige Saurier die Ehre habe, dem Privatmuseum des Prinzen Kaiman anzugehören. Seit meinem Gespräche mit dem Jungen schien es mir, als verfolge mich die türkische Dame mit ihren Blicken, ich trat deshalb einmal hart an sie heran und sah ihr fest durch die Maskenlückem Obwohl sie sich rasch abwandte, bemerkte ich doch in ihren glänzenden Augen einen so unheimlichen Ausdruck, daß ich von diesem Augenblicke an ein geheimes Grauen vor diesem Weibe verspürte.

Wir hatten uns indessen der Nordseite von Naxia rasch genähert. Da die Stadt keinen Hafen hat, so hatten wir auf offener Rhede Anker geworfen, als unser Schiff von einer bunten Menge im Sturm erklettert ward. Einer der Kletterer, ein schmächtiges Männlein im Galafrack mit verblaßter Goldstickerei und mächtigem Federhute, hatte mich kaum in’s Auge gefaßt, als er mich voll Entzücken in die Arme schloß. Zwei andere Herren von etwas vernachlässigter fränkischer Toilette, die nichts destoweniger in engen Beziehungen mit dem „Goldgestickten“ zu stehen schienen, ahmten dessen Beispiel trotz meiner verblüfften Miene in nicht minder stürmischer Weise nach. Von dem Bruderkusse sämmtlicher Naxioten bedroht, erinnerte ich mich in meiner Herzensangst meiner unseligen Aehnlichkeit mit dem Prinzen Kaiman und, einen Schritt zurücktretend, sprach ich auf italienisch: „Meine Herren, Sie irren sich zweifelsohne in der Person, ich habe nicht die Ehre, Seine Herrlichkeit der Prinz Kaiman zu sein.“

Die Wirkung war eine augenblickliche, radicale. Die Herren schauten sich mit so kläglichen Mienen an, als wollten sie in Thränen ausbrechen, was sie vielleicht auch gethan hätten, wäre ich nicht meinerseits in Lachen ausgebrochen. In diesem kritischen Momente erschien Seine Herrlichkeit, gefolgt von ihrem buntgeflickten Dienstpersonale. Die Umhalsungsscene wiederholte sich nun in derselben Weise, nur mit dem Unterschiede, daß der Prinz die Loyalitätsbezeigungen der zärtlichen Naxioten in der herzlichsten Weise erwiderte.

Ehe diese hochkomische Gruppe das Schiff verließ, überraschte ich zufällig zwischen der Türkin und dem Prinzen Kaiman einen Blick des Einverständnisses, der gewisse geheime Beziehungen zwischen Beiden außer allem Zweifel setzte. – Am Ufer trafen wir die halbe Stadt versammelt. Etwas abseits, streng von der großen Menge abgesondert, schienen mehrere Personen des Prinzen und seiner Freunde zu harren. Unter ihnen bemerkte ich eine schlanke junge Dame von vornehmer Haltung und schön, wie ein Dogenkind auf einem altvenetianischen Bilde. Sie trug ein dunkles Reitkleid, die goldgestickte Jacke der Levantinerinnen und einen winzigen Fez auf dem Ohre. Die reizende Amazone reichte dem Prinzen lächelnd die Hand, welche dieser begierig küßte. Kein Zweifel, es war seine Braut! Doch in welchen Beziehungen mochte der Abenteurer zur Türkin stehen?

Ich hatte für Naxos zwei Empfehlungsbriefe in der Tasche. Der eine, vom Secretär der britischen Gesandtschaft in Athen, war für einen Herrn Markopoliti, Dimarchen oder Bürgermeister der Stadt Naxia, und der andere, den mir Bicchi, der italienische Consul auf Rhodus, bei meinem letzten Besuch der Insel auf der Rückreise aus Syrien gegeben hatte, lautete auf den Marquis von Sommariva, gewesenen spanischen Consul auf Naxos.

Hier bemerke ich, daß Empfehlungsbriefe für die Cykladen eine um so unentbehrlichere Vorsichtsmaßregel sind, als man auf dem ganzen Archipel, den „englischen Hof“ in Syra ausgenommen, kein einziges Hôtel vorfindet.

Um also eine Unterkunft zu gewinnen, ließ ich mich nach dem Hause des griechischen Dimarchen führen. Ich fand einen stattlichen Inselgriechen im besten Mannesalter, dem die malerische Nationaltracht ganz vortrefflich stand. Markopoliti, wie ich später erfuhr, der Chef der vornehmsten naxiotischen Griechenfamilie, stellte mir sein Haus, wo Alles großen Wohlstand und eine musterhafte Ordnung athmete, mit seltener Gastfreundlichkeit zur Verfügung. Eine Stunde nach meiner comfortablen Installirung saß ich auf der Terrasse neben dem Hausherrn, dessen Gemahlin uns, der griechischen Sitte gemäß, eigenhändig den Kaffee mit dem obligaten Tschibuk und der Glyko- oder Confitürenschale darreichte.

Nachdem sich Frau Markopoliti voll Discretion zurückgezogen, wurde unser Gespräch vertraulicher. Ich theilte dem Dimarchen mit, daß ich noch einen Empfehlungsbrief und zwar an den Marquis Sommariva in der Tasche habe. Der Grieche lächelte geringschätzig und rief spöttisch:

„Die lächerlichsten Leute von der Welt, diese ‚Schloßbewohner‘, die da oben in den alten Spinnennestern der Citadelle hausen. Das will großthun und hat nicht einmal die Mittel ein paar Stiefeln zu bezahlen. Sie heißen Covonello, Sommariva, La Roca, Francopulo und Morosini, stammen von den Sanudo und Crispo ab und vererben seit vielen Jahren von Vater auf Sohn nichts, als ihre Schulden, Stammbäume und Wappenschilder. Rechte Hungerleider, dieser lateinische Schloßadel!“

„Aber der Marquis Sommariva …“ fiel ich dem Dimarchen in’s Wort.

„Ein Bettelmarquis,“ fuhr dieser heraus.

„Gewesener spanischer Consul,“ begann ich wieder.

„Vor der Befreiung vom Türkenjoche,“ eiferte der Grieche, „allerdings, doch das ist lange her und von der Herrlichkeit bleibt dem Alten nichts mehr, als der Rock … Zwar,“ fuhr Markopoliti nach einer Pause fort, „hat die alte Schloßspinne jetzt für die junge Marchesina eine Goldfliege gefangen, und ich denke, Seine Herrlichkeit der Prinz Kaiman wird den abgeblaßten Wappenschild der Sommariva wieder frisch vergolden.“

Die schöne Braut meines Doppelgängers war also die Tochter des Marquis von Sommariva, an den ich empfohlen war. Wenigstens keine Mesaillance für den Krokodilenprinzen!

Tags darauf machte ich mich trotz der Spöttereien meines Wirthes oder vielleicht gerade aus diesem Grunde und auch ein Bischen, um die schöne Marchesina wiederzusehen, nach dem hochgelegenen Schloßviertel auf den Weg. Hier innerhalb der früheren Ringmauern der herzoglichen Burg, von wo ehemals die Sanudos ihr Zwölfinselreich beherrschten, wohnt heute eine darbende, klägliche Bevölkerung von einem halben Tausend fränkischer Edelleute venetianischen Geblüts in einem uralten, winkelhaften, schmutzigen Häusercomplex, der kaum würdig erscheint, ein arbeitsscheues, verkommenes Proletariat zu beherbergen. Ein Proletariat haust hier in der That, aber ein adeliges, bei welchem der Müßiggang erblich [250] zu sein scheint, denn in diesen engen, dumpfigen Treppengassen regt sich nichts als der lungernde Bettel. Keine Spur hier von Lebensfähigkeit und Nützlichkeitstrieb, und während unten in der Stadt die rührigen Griechen rüstig auf der Bahn des Wohlstandes fortschreiten, brütet und schmollt hier oben ein siechendes Geschlecht auf modernden Pergamentstößen. –

Ein halbnackter Junge zeigte mir das Haus des Marquis. Das Wappen der Sommariva, der über drei Balken springende Löwe, zierte den Thorbogen.

Ich ließ den Klopfhammer niederfallen und war nicht wenig erstaunt, in dem Portier einen der Nubier des Prinzen zu erkennen. Der Leibhusar führte mich sodann in den Salon, dessen gothische Spitzbogenfenster eine prächtige Aussicht auf’s Meer gewährten. Ein Divan ringsum an den Wänden und ein reichverzweigter Stammbaum unter Glas und Rahmen waren die einzigen Möbel. Während ich den Stammbaum studirte, erschien der Hausherr. Es war dieselbe Caricatur von gestern in demselben wunderlichen Aufzuge, nur hatte die gestrige überschwengliche Freundlichkeit heute einer frostigen, steifen Gelegenheitsmiene Platz gemacht, die meine Lachmuskeln in eine gefährliche Versuchung führte. Nachdem der Marquis mich auf französisch um mein Begehren gefragt, buchstabirte ich meinen Namen und überreichte Bicchi’s Empfehlungsschreiben. Während der Inselbaron den Brief las, zog sich sein Gesicht immer mehr in die Länge; einen Moment ließ ich den Armen in der Angst, mich beherbergen zu müssen, zappeln, dann bemerkte ich lächelnd, daß ich bereits bei dem Dimarchen eine gastfreie Unterkunft gefunden habe. Urplötzlich dehnten sich jetzt die langen Falten im Antlitz Sommariva’s in die Breite, so daß ich einen Moment befürchtete, die ganze Gesichtsmaske des Alten gehe aus den Fugen. – Natürlich sprach er jetzt sein Bedauern aus, daß ich nicht zuvor seine Gastfreundschaft in Anspruch genommen habe, und lud mich zu einem Glas Zuckerwasser ein. Nach einer kurzen Visite verließ ich das Palais Sommariva, ohne die reizende Marchesina gesehen zu haben, in deren Anblick wahrscheinlich gerade Prinz Kaiman schwelgte. Wie ganz anders war’s hier, als bei Markopoliti! In der Vergleichung dieser beiden Häuser lag ein gutes Stück social-politische Geschichte der griechischen Inseln.

In dem paradiesischen Thale von Drymalia besaß der Dimarch ein Landhaus. Zwei Tage verbrachte ich in diesem Eden, nach allen Seiten hin Streifereien unternehmend, zu welchen mir mein Wirth eines seiner Maulthiere zur Verfügung stellte. Am zweiten Tage Nachmittags hatte ich mich jenseits des Zeosberges beim Aufsuchen der Grotte, wo nach der Sage die Bacchusmysterien gefeiert wurden, verirrt. Die Gegend schien durchaus unbewohnt. Ich ritt zwei Stunden in Kreuz und Quer, bis ich ein ganz mit Weinlaub überwachsenes Häuschen in einer jäh abfallenden Thalschlucht entdeckte. Dort konnte ich vielleicht einen Führer finden! Da es jedoch unmöglich war, zu Maulthier dahin zu gelangen, band ich mein Thier an einen Oelbaum und kletterte das Felsgeklüft hinab. – In der Tiefe der Schlucht dunkelte es bereits, und dem Hause näher kommend, bemerkte ich Licht darin. Schon wollte ich eintreten, als eine Stimme mir entgegenklang, die ich allsogleich als die des Prinzen Kaiman erkannte. Ich warf mich rasch zurück; aus dem Fenster brach heller Lichtschein, ich bog vorsichtig die Weinlaubgewinde zurück und erblickte bei einer Lampe in der That den Prinzen Kaiman mit der Türkin vom „Panhellenion“. Beide saßen sich gegenüber. Der Prinz hatte sein Costüm geändert, er trug jetzt eine feine Sommerkleidung im Pariser Schnitt und einen Panamahut. Die Türkin hatte den Schleier abgenommen und zeigte bleiche, regelmäßige, etwas harte Züge. Jetzt begannen sie wieder zu sprechen. Anfangs hatte ich Mühe, mich in ihrem Wortkram zurecht zu finden, bis ich erkannte, daß sie sich arabisch unterhielten. Ich horchte athemlos. Kaiman schien der Dame Vorwürfe zu machen, worauf diese in gereizten Tone antwortete:

„Ich wiederhole Dir, die Kupferplatte ist noch nicht fertig, meine Augen sind seit der verwünschten Augenentzündung, die ich mir in Cairo zugezogen, immerfort leidend. Ich konnte in der letzten Zeit nicht graviren.“

„Aber, Unglücksmensch,“ rief der Prinz ärgerlich, „ich brauche Geld, ungeheuer viel Geld, wie soll ich die Hochzeitskosten bestreiten?“ …

„Du bist noch nicht verheirathet!“ sprach die Türkin düster.

„In vierzehn Tagen ist Hochzeit,“ antwortete Kaiman bestimmt.

„Nein, sag’ ich, und nochmals nein,“ rief die Dame wild, „Du wirst nie die Tochter des Marquis von Sommariva heirathen!“

„Und warum nicht?“ fragte der Andere höhnisch.

„Weil ich es nicht zugebe.“

Der Prinz brach in ein Gelächter aus. Ich meinestheils fand den Widerstand der Dame durchaus gegründet.

Die Türkin war aufgesprungen.

„Hörst Du,“ rief sie, „ich will es nicht, eher ...“

Sie hielt inne …

„Was, eher?“ fragte der Prinz nachlässig.

„Eher verrathe ich Alles,“ lautete die bestimmte Antwort.

„Teufel, Du gehst scharf in’s Zeug, mein Junge,“ höhnte Kaiman „Du vergißt, was Du riskirst.“

„Mein Junge,“ hatte mein Doppelgänger gesagt … Täuschten mich meine Ohren nicht?

„Was ich riskire?“ wiederholte die Andere –

„Den Galgen,“ vervollständigte der Prinz, „und ich nur die Galeeren, Du siehst also, Pietro, unsere Rechnung ist ungleich.“

Die Dame hieß Pietro; war dies ein Frauenname?

„Aber ich will nicht, daß meine Schwester in Deine Hände fällt. Welches Loos für das schönste und edelste Mädchen im ganzen Archipel, die Frau eines Falschmünzers zu sein!“ ...

„Du solltest mich vielmehr fragen,“ bemerkte Kaiman mit eiskaltem Hohn, „ob ich einen Renegaten und Fälscher des großherrlichen Siegels zum Schwager haben will? Du weißt, auf dem letzteren Verbrechen steht der Tod, und die Beweise sind in meiner Hand.“ ...

„Herzloser Bösewicht,“ zähneknirschte der Spießgeselle des Prinzen, ein Messer aus der Brust reißend und einen blitzschnellen Stoß nach seinem Mitschuldigen führend. Ein kurzes Ringen fand statt, welches mit der Niederlage der verkleideten Türkin endete.

„Du bist ein fauler Zweig am edlen Stamme Sommariva,“ sprach der Sieger, das erbeutete Messer gelassen zu sich steckend. „Wärst Du mir nicht untentbehrlich, bei meinem Seelenheil, ich drehte Dir in diesem Augenblick den Hals um. Doch komme zu Dir und laß uns ruhig reden. Ich heirathe Deine Schwester, denn ich liebe sie mit der ganzen Gluth meiner Seele; wir drucken für ein paar Millionen Piaster Kaimehs (türkisches Papiergeld) und ziehen uns dann in’s Privatleben zurück. Wer kennt unsere Antecedentien? Ist’s nicht immer Zeit genug, ein ehrlicher Mann zu werden? Also frisch an’s Werk, die neue Platte muß in höchstens acht Tagen fertig sein; sieh genau zu, denn die neuen Tresorscheine vom März dieses Jahres sind bedeutend schwieriger nachzudrucken.“ –

Prinz Kaiman erhob sich; es war hohe Zeit für mich an den Rückzug zu denken. Mir sauste und brauste es im Kopfe ... welch’ schändliches Gewebe! Die Türkin war der verkleidete Bruder der jungen Marchesina, ein Renegat und Taugenichts, der zum gemeinsten Verbrecher herabgesunken war! Dieser Gedanke verursachte mir wirklichen Kummer. Ich hatte indeß mein Thier wieder erreicht und ritt auf’s Gerathewohl davon. Wenige Augenblicke darauf begegnete ich einer kleinen Maulthiercavalcade. Es waren die syrotischen Gensd’armen vom „Panhellenion“, welche die Insel durchstöberten. Einen Augenblick dachte ich daran, die beiden Fälscher den Häschern zu überliefern. Ein Wort von mir, und Prinz Kaiman war gefangen und die schöne, unschuldige Marchesina von diesem Schurken befreit! Aber – konnte ich meinen Doppelgänger, mein körperliches Ebenbild bei meiner Rückreise nach Stambul vielleicht auf dem Fischmarkt am Pranger stehen sehen, das Wort „Fälscher“ in Fracturschrift auf der Brust? Zu einer solchen Selbstverleugnung fehlte mir die Seelengröße, und ich ließ die arglosen Gensd’armen ihre Wege ziehen.

Am folgenden Tag erhielt ich eine Einladung des Marquis von Sommariva, ihn auf seinem „Pyrgos“ – so nennt der naxiotische Schloßadel seine Landhäuser – zu Sangri zu besuchen. Der Weg nach Sangri führt durch die fruchtbare Ebene Langadia, zwischen Weinbergen und Gruppen von Mastixbäumen nach einer felsigen Gegend, wo spärliche Baumwollpflanzungen liegen. Der „Pyrgos“ der Sommariva besteht aus einem alten, massiv viereckigen [251] Schloßthurm mit einer invaliden Zugbrücke, welcher als letzter Rest einer verschwundenen Ritterburg heute zur Sommerfrische dient. Das Beste am Ganzen ist ein prächtiger Orangengarten, wo ich die schönsten Cederbäume der Welt gesehen habe.

Der Empfang war diesmal verhältnißmäßig großartig. Im großen Saal gab’s gothische, wappengeschmückte Stühle in Hülle und Fülle zum Sitzen, und die nubischen Diener des Prinzen boten den Gästen, unter denen der ganze hungrige Schloßadel vertreten war, sogar Erfrischungen an. Der Ton war im Allgemeinen mehr höhnisch, als höflich, und man sah es all den Titelgruppen an der Stirn an, daß sie durch ein Wort zu viel einen Theil ihrer angestammten Würde einzubüßen fürchteten. Niemand unterfing sich, meine Aehnlichkeit mit dem Prinzen auch nur zu bemerken, in der Besorgniß, das Mißfallen des erlauchten Bräutigams zu erregen. Daß Niemandem diese Zurückhaltung erwünschter sein konnte, als mir, kann nach dem eben Erzählten keinem Zweifel unterliegen. Während der Prinz sich mit der schönen Tochter vom Hause zu schaffen machte, fragte ich den alten Sommariva, ob er keinen Sohn habe.

„Ich hatte einen Sohn,“ seufzte der Marquis, „aber seit fünfzehn Jahren ist er verschollen!“

Ich wußte genug. Sodann einen freien Augenblick des Prinzen erspähend, näherte ich mich demselben, vom Marquis begleitet, und warf ihm die Frage in’s Gesicht: „Sind Sie, bester Prinz, nicht vielleicht dem jungen Sommariva auf Ihren mannigfachen Irrfahrten begegnet?“

Kaiman bohrte mir einen tiefen Forscherblick in’s Auge und verneinte flüchtig.

Einige Zeit darauf traf ich den Abenteurer im Garten. „Prinz, Sie verdienen wirklich Strafe,“ begann ich lachend, „ist es wahr, wie mir Markopoliti erzählte, daß Sie jenseits des Zeaberges mit einer verschleierten Dame, einer Türkin, gesehen worden sind? Welch’ Verbrechen, wenn man in vierzehn Tagen das schönste Mädchen des Archipels heirathet!“

Der Prinz warf mir einen Natterblick zu und drehte mir, ohne meine indiscrete Frage einer Antwort zu würdigen, den Rücken.

Am nächsten Tage hörte ich, daß Prinz Kaiman mit seinem ganzen Gefolge in der Nacht plötzlich auf einer Brigantine, nach Samos sagten Einige, nach Nikaria Andere, abgereist sei. Für mich, der ich den Schlüssel zu dieser nächtlichen Flucht besaß, war „durchgebrannt“ der allein richtige Ausdruck. Meine Anspielungen hatten gefruchtet, und mein Zweck, die liebenswürdige Marchesina von einem Schurken zu befreien, war zunächst erreicht. Während man sich allenthalben noch in Naxia, von der Fischerstadt bis zum Schloßbezirk, über das unerwartete Verschwinden des Prinzen den Kopf zerbrach, schiffte ich mich nach siebenzehntägigem Aufenthalte wieder nach Syra ein, und zwar zufällig wieder auf dem „Panhellenion“, der eben von Santorin zurückkehrte. Der Capitän beklagte sich bitter, daß er anstatt der in Ausbesserung begriffenen „Hydra“ auch diesmal die Tour habe machen müssen.

„Aber Sie haben doch hoffentlich den Trost, die Falschmünzer an Bord zu führen?“ rief ich lachend.

Der Syrot seufzte. „Leider nicht, ich muß mich damit begnügen, die Gensd’armen zurückzuführen.“

In der That hatte ich eben erst die Blauröcke auf dem Vorderdeck bemerkt. In diesem Falle, glaube ich, hätte der Führer des „Panhellenion“ die Spitzbuben den Sicherheitsorganen vorgezogen. Dienstag Abends war ich in Syra. Von hier schrieb ich nun einen detaillirten Brief an den Marquis Sommariva und seine liebenswürdige Tochter, in welchem ich ihnen den Charakter, die sociale Stellung und das Treiben des prinzlichen Bräutigams ausführlich schilderte, wobei natürlich, aus leichtbegreiflichen Rücksichten, die Mitschuld des jungen Sommariva mit Stillschweigen übergangen wurde. Tags darauf bestieg ich den Lloyddampfer, der Mittwochs die Smyrnareise macht. Donnerstag lagen wir für ein paar Stunden vor Chio. Ich stieg aus, um, so viel als thunlich, die „Mastixinsel“ zu durchforschen. Nach einem kurzen Ausfluge zu den Felsen der „Schule Homer’s“, wohin die Chioten den Geburtsort des größten aller Rhapsoden verlegen und allwo in einigen Sculpturen der Engländer Chandler eine Cybele zwischen zwei Löwen und sein honorabler Landsmann Pococke einen Homer zwischen zwei Musen entdeckte, durchschlenderte ich die Gassen von „Miniaturgenua“, wie die Einwohner so gern ihre Stadt „Castro“ zu tituliren belieben. Im Bazar kaufte ich eine Schachtel Räucherpastillen und ein Sandelholzbüchschen mit einheimischem Harz zum Kauen, um auch ein Localproduct mitzunehmen. Der schwarze Turbanlaken und mehr noch die fabelhaften Preise verriethen in dem Verkäufer den Juden aus der alten Schule, der die Touristenprellerei als einen Artikel des mosaischen Gesetzes betrachtet.

Ich bot ein Viertel des verlangten Preises.

Der Alte rief, sich den Bart zerraufend, voll Verzweiflung: „Haiman Prinz ist ein blutarmer Mann, was soll er verlieren von seinem eigenen Geld?“

„Haiman Prinz?“ – der Name frappirte mich. Ich fragte den Alten, ob er nicht einen Sohn in Aegypten habe.

Der Jude griff sich an die Augen. „Der Gott Abrahams und Jakobs beschütze ihn,“ murmelte er. „Seit bald sechszehn Jahren hab’ ich keine Nachricht von meinem Sohn. Weiß der gnädige Herr etwas von ihm?“

Ich verneinte, denn täuschten mich meine Vermuthungen nicht, so war Haiman’s Sohn besser todt für seinen Vater.

Der Jude erzählte mir dann noch, daß sein Vater aus Ungarn in Chio eingewandert sei und hier das edle Geschlecht der Haiman Prinze als türkischer Tributzahlender fortgepflanzt habe.

Welch’ wunderbare Fügung des Zufalls! dachte ich. Nichts leichter, als den Ursprung des Prinzen Kaiman auf diese Weise zu erklären. Der Spitzbube hatte sich nur irgend einen Schutzpaß von einer europäischen Gesandtschaft zu erschleichen gehabt, „Haiman“ mit einem Federzug in „Kaiman“ zu verwandeln, den Namen „Prinz“ voranzustellen, und das Kunststück war gemacht, der Prinz Kaiman stand fix und fertig da. Uebrigens konnte der abenteuerliche Prinz ohne Weiteres ein Chiot sein, indem das Sprüchwort von diesen Insulanern sagt: „Ein braver Chiot ist so selten wie ein grünes Pferd.“

Am folgenden Tage langten wir in Smyrna an. Nach einem fünftägigen Aufenthalt bestieg ich Dienstag den Lloyddampfer nach Constantinopel. Wie groß war mein Erstaunen, im Salon erster Classe den Prinzen Kaiman wiederzufinden, den ich, trotz seines gründlich abrasirten Vollbartes und seines neuen Costüms mit Turban und Kaftan, im Augenblick wieder erkannte. Seine Herrlichkeit, von meiner Begegnung nichts weniger als erbaut, bemühte sich auf das Kläglichste, meinen Blicken aus dem Wege zu gehen. Ich dagegen redete den „Durchgebrannten“ sehr artig an, erkundigte mich auf das Respectvollste nach seiner schönen Braut und bot ihm zuletzt von meinen Pastillen mit der Bemerkung an, er kenne vielleicht ihre ausgezeichnete Qualität, indem ich sie erst vor acht Tagen bei Haiman Prinz in Chio gekauft habe. Der Prinz erbleichte leicht und holte sich mit zitternder Hand ein paar Pastillen aus der Schachtel heraus.

Soweit hätte ich gegen die Anwesenheit des verkappten Spitzbuben auf dem „Pluto“ nichts einzuwenden gehabt; als ich jedoch bei der großen Menge der Passagiere genöthigt war, mit diesem Individuum die Kajüte zu theilen, beschloß ich, die Sommernacht lieber auf dem Verdeck zuzubringen. Abends berührten wir Mytilini, während Kaiman in unserem gemeinschaftlichen Schlafcabinet den Schlaf der Gerechten schlief. Tief in der Nacht hielten wir Capo Baba. Als das Schiff um’s Cap herumbog, überwältigte mich die Müdigkeit. Ich stieg mit Widerwillen in die Kajüte hinab. Mein Reisegefährte war verschwunden. Ich revidirte allsogleich mein Handgepäck, es fehlte nichts, Prinz Kaiman hatte sich keine Zerstreuung in Bezug auf mein Eigenthum zu Schulden kommen lassen. Er war, wie mir der Capitän am Morgen sagte, in Capo Baba ausgestiegen, obwohl seine Fahrkarte bis Stambul lautete. Also zum zweiten Mal durchgegangen! Glückliche Reise!

Während ich auf dem Verdeck in der herrlichen Morgenluft schwelgte, fiel mir unter den Frachtgütern ein auf ähnliche Weise verpacktes ausgestopftes Krokodil auf, wie ich es auf dem „Panhellenion“, für das Pritvatmuseum des Prinzen Kaiman bestimmt, gesehen hatte. Die Gegenwart dieses Nilbewohners war mir, als directes Andenken an meinen saubern Doppelgänger, unbeschreiblich unangenehm.

Mittwoch Abend liefen wir in’s goldne Horn ein. Wie gebräuchlich, übergaben wir unsere Pässe einem Officier des Schiffes, der sie an das türkische Polizeibüreau in Pera abzuliefern hat, wo man sie am folgenden Tage abholen läßt. Das Ganze [252] ist nur eine Formalität. Mein Paß war – ein Detail, das ich erwähnen muß – in einem rothen Saffianetui mit der Aufschrift „Passe-port“ eingeschlossen.

Als ich am nächsten Tage nach meinem Paß schickte, gab man zur Antwort, er sei nicht zu finden. Ich verfügte mich auf’s preußische Generalconsulat – keine Spur von meinem Legitimationspapier! Es vergingen mehrere Tage. Mein großes Gepäck, das ich schon vor vier Wochen von Piräus direct nach Constantinopel geschickt hatte, mußte angekommen sein. Ich begab mich auf das Zollhaus zu Galata, wo die europäischen Frachtgüter liegen. Keine Spur von meinem Gepäck. Vielleicht ist es über Smyrna gekommen, bedeutete man mir, und liegt auf der türkischen Mauth in Stambul, wo die asiatischen Waaren deponirt werden. Ich ritt hinüber nach Stambul, wo in der That meine Effecten lagen. Ich bat den Inspector um sofortige Durchsuchung und Auslieferung. Der Functionär, der mich mit ganz besonderer Aufmerksamkeit von Kopf bis zu Fuß gemustert hatte, verlangte darauf meinen Paß. Ich erklärte, daß er mir auf der Polizei in Pera verlegt worden sei, und zeigte mehrere Empfehlungsbriefe vor, um die Identität meiner Person zu beweisen. Der Türke schnitt eine geheimnißvolle Grimasse und bat mich in’s Bureau einzutreten. Nach wenigen Augenblicken erschien er wieder von einigen Polizeisoldaten begleitet, und zu meinem nicht geringen Erstaunen mein rothes Paßetui aus der Tasche ziehend fragte er.

„Ist dies Ihr Paß?“

„Natürlich,“ antwortete ich hocherfreut.

„Peki“ (gut), sprach er gelassen, den Soldaten winkend, die, Handschellen hervorziehend, hart an mich herantraten. Einen Moment stand ich wie betäubt, dann die Häscher mit einem kräftigen Stoße zurückschleudernd, verlangte ich, auf der Stelle vor den Pascha geführt zu werden, um die offenbare Verwechslung meiner Person aufzuklären. Mein Ton imponirte den Beamten, und einige Augenblicke später stand ich vor dem Pascha, der als Generaldirector der türkischen Mauthen fungirt. Der Würdenträger, ein alter Türke von wildem, gewinnbringendem Aeußern, hörte meine Erklärung mit Aufmerksamkeit an, da ihm jedoch an einigen Stellen mein Türkisch etwas unverständlich erschien, stellte er mir seinen Dolmetsch, einen außerst sprachgewandten Armenier, zur Verfügung, dem ich die Sache italienisch auseimamdersetzte. Nach der Verdolmetschung wurde der Paß aus dem Etui gezogen, wobei sich an der Stelle des meinigen der Paß des Prinzen Kaiman vorfand. Ich stieß einen Triumphschrei aus. Alles erklärte sich, der Schurke hatte bei unserer Reise von Smyrna meinen Aufenthalt auf dem Verdeck benutzt, um aus meiner Handtasche meinen Paß herauszustehlen und durch den seinigen zu ersetzen, der ihm kaum mehr seine persönliche Sicherheit zu garantiren schien. Da der verwechselte Paß fein sauber in’s Etui gelegt worden war, konnte ich durchaus keinen Argwohn hegen. Jetzt begriff ich das plötzliche Verschwinden des schurkischen Prinzen in Capo Baba. Ich erzählte den ganzen Hergang. Der Pascha schüttelte den Kopf und ließ sich den Paß, der englisch geschrieben und von Malta datirt war, übersetzen. Er lautete für „Prince Kaiman“, geboren zu Castro auf der Insel Chio, britischer Schutzbefohlener und zum Vergnügen reisend mit Gefolge. Das Signalement war natürlich das meinige.

Der Pascha antwortete darauf, daß er meiner Erklärung nicht unbedingt Glauben schenken könne, da ich angeklagt sei, türkische Tresorscheine gefälscht und verbreitet zu haben. Dies war mir denn doch ein bischen zu stark. Außer mir vor Wuth und nur auf meine eigene Sicherheit bedacht, berichtete ich Alles, was ich von Naxos aus über den vermeintlichen Prinzen Kaiman wußte. Darauf zeigte ich mehrere Empfehlungsbriefe für hochgestellte Personen in Stambul, darunter einen an den Großvezier Kyprisli Pascha, einen anderen für den englischen Botschafter Sir Henry Bulwer und einen dritten an den früheren englischen Marinecapitän Sir Adolphus Slade, der als Mushaver Pascha in türkischen Diensten steht. Alles dies jedoch überzeugte den Pascha noch nicht von meiner Unschuld. Mir schwindelte der Kopf! Ich bat nun, mein ganzes Gepäck vor Aller Augen zu durchsuchen, worauf sich der Pascha selbst in die Zollhalle verfügte. Ich lieferte die Kofferschlüssel aus, man öffnete, durchschnöberte und durchstöberte Alles, von den Strümpfen bis zur Theecassette, die man mit dem Dolche aufsprengte. Nirgends eine Spur von falschen Banknoten! Jetzt kam die Reihe an die Kisten, die man halb in Stücke schlug, halb erbrach. Meine Bücher, meine Manuscripte, Curiositäten, kurz Alles ward auf den Boden zerstreut, durchschnüffelt, durchsucht und mit Füßen getreten. Auch hier nichts!

Während dieser Vandalenscene bemerkte ich zufällig unter der gaffenden Menge ein Weib, das verstohlen ein Frachtgut untersuchte, welches mir sogleich bei meiner Ankunft in der Halle aufgefallen war. Es war das in Stroh verpackte Krokodil, welches mit mir die Reise von Smyrna hierher gemacht hatte. Wuchs, Bewegung und Kleidung des Weibes erinnerten mich allsogleich an die Türkin des „Panhellenion“, oder vielmehr an Sommariva, den verkleideten Spießgesellen des Prinzen Kaiman. Ein Gedanke blitzte in meinem Gehirn auf! Wenn das reisende Krokodil dort mit falschen Tresorscheinen ausgestopft wäre? Bei der unendlichen Schwierigkeit gerade zu damaliger Zeit, falsches Geld in gewöhnlichem Gepäck einzuführen, welch’ geniale Idee, auf diese Weise die Wachsamkeit der Zollbeamten zu überlisten! Wer mochte in dem Bauch eines Krokodils nach gefälschten Kaimehs wühlen?

Was zögerte ich? Mit einem Sprunge also war ich an der Seite des Weibes und riß ihr Schleier und Kopftuch herab. Ein Negerkopf kam zum Vorschein. Ein allgemeiner Schrei der Entrüstung war auf meine unerhörte That gefolgt! Oeffentlich eine Bekennerin des Propheten so frech zu beschimpfen!

„Haut ihn in Stücke, den Christenhund!“ brüllte die Menge, und die Soldaten schwangen ihre Kandschare. Ich aber, einen Revolver aus der Brusttasche ziehend, stand kalt und ruhig da.

„Wer einen Schritt macht, den schieße ich nieder!“ rief ich mit vibrirender Stimme. „Dies Weib ist ein Mann, ich kenne ihn, er ist der Mitschuldige des Prinzen Kaiman, durchsucht ihn, er ist kein Neger, sondern ein Franke aus Naxos und heißt Pietro Sommariva.“

Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, als das vermeintliche Negerweib, sich vor dem Pascha niederwerfend, dessen Kniee unter Thränen umklammerte und um Gnade wimmerte. Der Pascha jedoch, ihn mit dem Fuße von sich stoßend, winkte den Polizeisoldaten, die den entlarvtem Verbrecher in’s Zollhaus schleppten, dort entkleideten und wuschen, um ihn zuletzt im Hemd und vollkommen weißgewaschen, von Gesicht wenigstens, wenn auch nicht von Schuld, der aufgebrachten Menge zu zeigen.

Als man sodann auf meinen Rath das Krokodil untersuchte, fand sich in der That, daß der mächtige Saurier zweifelsohne an einer Indigestion von Kaimehs gestorben war, denn sein ganzer Bauch war damit angefüllt und obendrein hatte das gefräßige Thier noch die Kupferplatte verschluckt, nach welcher die Tresorscheine gedruckt worden waren. Die allgemeine Wuth über diese freche Gaunerei zu beschreiben, will ich meiner Feder nicht zumuthen.

Ich war frei, bezahlte meinen Dolmetsch, empfing die Entschuldigungen der Zollbeamten mit dem Glückwunsch des Paschas, raffte so gut als möglich mein verwüstetes Gepäck zusammen und ritt, von der neugierigen Menge begleitet, der Schiffbrücke zu. Der Proceß des jungen Sommariva wurde gleich durch den Großrichter von Rumelien, vor welche alle Criminalfälle der Rajahs gehören, instruirt, indem der Naxiot als Renegat dem türkischen Gesetze unterlag. Die Untersuchung stellte heraus, daß Sommariva sogleich nach seinem Uebertritt zum Islam bei einem der ersten Graveure Stambuls als Arbeiter in Dienste getreten war, wo er bald alle Welt durch seine unglaubliche Geschicklichkeit im Graviren in Erstaunen versetzt hatte. Angeklagt, das große Staatssiegel des Sultans nachgemacht zu haben, entfloh der Fälscher, da er durch dies Verbrechen sein Leben verwirkt hatte. Lange irrte er umher, bis er mit dem Prinzen Kaiman zusammentraf, der, überrascht von dem Graveurtalente des Renegaten, auf die Idee kam, mit ihm eine Geheimfirma zur Fabrikation falscher Kaimehs zu gründen.

Das Urtheil des Großrichters lautete auf „Todesstrafe“. Obgleich sowohl der oberste Rath in zweiter, als der Mufti in letzter Instanz den Urtheilsspruch aufrecht erhielten, so verwandelte doch der Sultan im Gnadenwege dasselbe in lebenslängliches Bagno. –

Als ich am Tage der Urtheilsverkündigung über den Fischmarkt in Stambul ritt, wo die verurtheilten Rajahs vor Antritt der Strafe ausgestellt zu werden pflegen, sah ich inmitten einer dichtgedrängten Menge eine Art Tribüne, wo an einem Pfahl ein bleicher Delinquent angekettet stand. Auf seiner Brust hing eine große Tafel, auf welcher zu lesen war:

[253]

Im Schlosse von Wilhelmsthal.
Originalzeichnung von Louis Katzenstein in Cassel.

[254] „Pietro Sommariva aus Naxos, ein Tributpflichtiger.“

Und mit weithin sichtbarer Fracturschrift stand darunter geschrieben: „Galbazan“ d. h. Fälscher. Ich schauderte bei dem Gedanken, daß eines Tages auch mein Ebenbild in der Person des Haiman Prinz aus Chio da oben am Pranger stehen könnte. –

Abenteuerlich wie die Geschichte vielleicht erscheinen mag, ist sie doch buchstäblich erlebt; ich habe sie erzählt ohne jedwede Zuthat erfindender Phantasie und stehe in jedem einzelnen Punkte für die Wahrheit des Mitgeteilten ein.




Ein vergessenes Rococoschloß.

Die gewaltigen Ereignisse des Jahres 1866 haben schwerlich in irgend einem Lande eine tiefer greifende Wirkung geäußert, als in dem Kurfürstenthum Hessen, wo mit der veränderten politischen Lage ein neuer Geist lebendig wurde, oder es wäre wohl richtiger zu sagen, wo der Geist, der in vieler Beziehung wie ein Alp auf dem intellectuellen Leben des kleinen Landes lastete, mit einem Male verschwand und viele bisher niedergehaltene oder sonst ganz unterdrückte Keime der Entwickelung mit einem Male wieder lustig emporschossen.

Der unleidliche Befehl z. B., der wider alles Recht und allen Sinn die Museen und Kunstsammlungen der Hauptstadt seit vielen Jahren verschlossen, war nun wirkungslos, und die Pforten öffneten sich willig der fröhlich hereindrängenden Menge. Mit Staunen entdeckten die fremden Besucher in der Casseler Bildergalerie eine unvergleichlich herrliche Sammlung von niederländischen Gemälden und verkündeten aller Welt, daß man Meister wie Rembrandt, Rubens und Vandyk eigentlich ganz erst in der Casseler Galerie kennen lernen müßte.

Aber neben den Schätzen der Kunst behauptete auch die landschaftliche Schönheit der Natur ihr altes Recht und zog Schaaren von Wanderern in die neue Provinz. Unter den herrlichen Besitzthümern des ehemaligen Landesherrn, welche durch ihre wundervolle Lage und kostbare Einrichtung bekannt waren, giebt es eins, das weit abseit von der großen Heerstraße, fast eingeschlossen vom dichten grünen Wald liegt und von der Welt wenig oder gar nicht gekannt ist. Auch von ihm ist der Bann genommen, der es Jahre lang verschlossen hielt; nicht länger wehren die fest geschlossenen Läden den freundlichen Strahlen der Frühlingssonne hier einzudringen, und das Echo des Waldes bringt wieder vielfach das muntere Lärmen fröhlicher Menschenstimmen zurück.

Etwa zwei Stunden südöstlich von Cassel steht – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen bei Eisenach gelegenen Weimarischen Schlosse das Lustschloß Wilhelmsthal, welches Landgraf Wilhelm der Achte im Jahre 1753 erbaute. Seine herrliche Lage, seine überaus originelle, im üppigsten Rococostyl gehaltene innere Ausschmückung und mancherlei interessante historische Erinnerungen machen einen Ausflug dahin in hohem Grade lohnend. Wilhelmsthal ist, wie viele ähnliche fürstliche Lustschlösser in Deutschland, entstanden in jener Zeit des crassesten Absolutismus und der kläglichsten Kleinstaaterei, in jener Zeit, wo die kleinen großen Herren ihr Vorbild für alle Aeußerlichkeiten in Frankreich suchten und den Schnitt ihrer Perrücken und den Spitzenbesatz ihrer Halstücher dem des großen vierzehnten Ludwig möglichst nahe zu bringen strebten. In den Glanzzeiten des Schlosses von Wilhelmsthal, als die vergoldeten Balustraden an den Balcons und Platformen in der Sonne funkelten, war auch der Park noch angefüllt mit jenen verschnörkelten und grotesken Grotten, Tempeln und Colonnaden, wie man sie, freilich großartiger, noch heute in den königlichen Gärten von Versailles und St. Cloud sieht.

Heutzutage sind nur noch die Ruinen dieser Gartenanlagen vorhanden, und selbst der Teich vor dem Schlosse, dessen Karpfen einst, wie es heißt, auf den Klang eines Hornes zum Füttern herangeschwommen kamen, liegt vernachlässigt und überwuchert von Wasserpflanzen. Desto besser ist das Innere des Gebäudes erhalten, und wenn wir, nachdem wir die prachtvolle Haupttreppe mit dem von den anmuthigsten Arabesken in Bronze geschmückten Geländer erstiegen haben, das spiegelglatte Parquet der Zimmer betreten, so befinden wir uns vollständig in die Zeit versetzt, wo Reifrock, Puder und Perrücke herrschten. In den reich vergoldeten Schnörkeln an den Decken und Wänden, die fast völlig erhaben hervortreten und am häufigsten Blumen, Früchte und Vögel darstellen, hat sich die ganze übermüthige Phantasie jenes wunderlichen Geschmackes geoffenbart, der in seiner Ausgelassenheit die Zeit vor der ersten französischen Revolution so trefflich charakterisirt und hier bis in die kleinsten Einzelnheiten der inneren Einrichtung studirt werden kann, von den mächtigen Porcellanvasen und prachtvollen Standuhren, von Genien und Engeln umgeben, bis zu den kleinsten zierlichen Nippesfiguren auf den marmornen Kaminsimsen. Für die malerische Ausschmückung fand sich in dem berühmten Maler Johann Heinrich Tischbein ein Talent, wie es geeigneter nicht gedacht werden konnte. Die mythologischen Scenen, mit welchen er die Räume schmückte und welche durchgängig über den Thüren angebracht sind, spiegeln in ihren koketten Figuren in reizender Farbenwirkung getreu jene lustige, aber durch und durch unwahre Welt wieder, auf die sie herabschauten.

Prachtvoll muß der Anblick gewesen sein, wenn das Licht von Hunderten von Kerzen sich in den kristallenen Lüstres brach und aus den hohen Spiegeln widerstrahlte, und zu keiner Zeit prächtiger, als während das Königreich Westphalen seinen ephemeren Glanz entwickelte und Fest an Fest sich reihte. In den Parterreräumen des Schlosses sieht man zwei Zimmer, deren Wände ausschließlich von lebensgroßen weiblichen Bildnissen bedeckt sind. Es ist die sogenannte „Galerie der Schönheiten“, eine ganze Reihe von vornehmen Damen, welche König Jerome’s Hof schmückten und die er, ihren Costümen nach zu urtheilen, jedenfalls von Tischbein malen ließ, um die Erinnerung an ein heiteres Maskenfest festzuhalten[WS 3]. Es sind durchweg reizende Gesichter, deren rosiges Colorit der Puder auf ihren Locken hervorhebt, aber einen Allen gemeinsamen Zug hat ihnen der Maler aufgeprägt, den der Frivolität und der ausgesuchtesten Koketterie. Eines der anziehendsten stellt ein junges Mädchen im Salonschäfercostüm dar, dessen feurig schwarze Augen den Beschauer gar verführerisch anlächeln. Das Bild mochte wohl ein halbes Jahrhundert hier gehängt haben, als eines Tages eine kleine Gesellschaft das Schloß zu besuchen kam. Eine alte Dame in schneeweißem Haar ließ sich vor das Bild führen; sie schaute es lange und tiefbewegt an und barg dann das runzelvolle Gesicht in ihren Händen. Es war das Original der jugendlichen Schäferin!

Ein mächtiges Stück Geschichte ist über das kleine Schloß dahingerauscht. Noch hatte es kein Decennium gesehen, als der siebenjährige Krieg den Lärm der Waffen bis unter seine Fenster brachte. Herzog Ferdinand von Braunschweig, welcher die verbündeten Hessen, Hannoveraner und Braunschweiger befehligte, griff am frühen Morgen des 24. Juni 1762 das französisch-sächsische Heer an, dessen Hauptquartier in Grebenstein, eine Stunde von Wilhelmsthal, sich befand. Nur langsam und kämpfend wich der überraschte Feind, bis es im Walde zwischen Meimbressen und Wilhelmsthal zu einem blutigen Infanteriegefecht kam, welches mit der vollständigen Niederlage der Franzosen endigte.

Am anderen Morgen bewirthete der siegreiche Herzog die gefangenen Officiere, welche fast Alles verloren hatten, in dem prächtigen Jagdsaal des Schlosses. Als die Tafel aufgehoben war, fragte er seine Gäste, ob ihnen nichts mehr gefällig sei, und wies, als Alle dankten, auf eine verdeckte Schüssel, die, wie er sagte, ein Dessert enthalte. Niemand wagte den Deckel abzunehmen, da griff der Herzog selbst zu und es fand sich das ganze Gefäß mit goldenen Uhren, Dosen und Brillantringen gefüllt, von denen auf die freundliche Aufforderung des tapferen Wirthes sich nun ein Jeder nach Belieben nehmen mußte.

Die heitersten Tage sah Wilhelmsthal jedenfalls als königlich westphälisches Lustschloß unter dem prachtliebenden Jérome, der abwechselnd hier und in dem benachbarten Wilhelmshöhe seinen schwelgerischen Hof hielt und seiner bekannten Devise: „Morgen wieder lustik“, auf’s Eifrigste nachlebte. Und lustige Zeiten waren es in der That für Alle, welche zur Unterhaltung des genußliebenden Herrn beitragen konnten. Sparsamkeit war

[255] ein an diesem Hof unbekanntes Wort, das Geld wurde mit vollen Händen ausgegeben; es war, als ob man die flüchtige Herrlichkeit so lange, als sie dauerte, nach Kräften genießen wollte. Viele Jahre später, als die alte Ordnung der Dinge wieder hergestellt war und die zähe Sparsamkeit der nachfolgenden Herrscher keine rechte Lebenslust mehr aufkommen lassen wollte, galt mancher verstohlene Seufzer der Erinnerung an die „guten westphälischen Zeiten“.

Oper und Ballet waren nie vorher auf so splendidem Fuße unterhalten worden, und ausgezeichnete Künstler wurden berufen, um die Majestät in allem Glanze pomphafter Costüme auf die Leinwand zu bringen. Der berühmte Schlachtenmaler Gros mußte das kolossale Bildniß des Königs zu Pferd malen, und Canova’s Meißel seine Züge in Marmor verewigen. Eine Menge von diesen Bildnissen kann man heute noch in den Schlössern und im Privatbesitz in Cassel sehen; eins davon stellt ihn nach dem Geschmack der Zeit und nach dem Vorbild seines kaiserlichen Bruders in einer Art von imperatorischem Krönungscostüm dar, mit welchem die sehr unbedeutende Figur und die nichts weniger als königlichen Züge des Herrn in einem geradezu lächerlichen Contrast stehen. Der Moment, in dem sich der König seinem Hofe in diesem feierlichen Ornat vorstellt, ehe er seinem Maler sitzt, ist der Gegenstand der vorstehenden Illustration.

Nach dem Aufhören der siebenjährigen Fremdherrschaft wurde Wilhelmsthal allmählich vernachlässigt. Die leichtlebige Fröhlichkeit der französischen Gäste war der knauserigen Sparsamkeit des wiedereingesetzten Kurfürsten gewichen. Nur gelegentlich tafelte eine fürstliche Jagdgesellschaft in seinen Räumen, welche unbenutzt und verödet blieben und schließlich selbst der Schaulust neugieriger Wanderer verschlossen wurden.

An einem Junimorgen im Jahre 1866 kam von Wilhelmshöhe herüber ein sechsspänniger Hofwagen unter militärischer Escorte im raschesten Trabe am Gitter des Parkes von Wilhelmsthal vorüber. Ein alter Herr mit einem grauen Schnurrbart beugte sich vor und griff, den am Thore stehenden Castellan des Schlosses freundlich grüßend, an die Mütze. Es war der letzte Kurfürst von Hessen, der hier einen scheidenden Blick auf eines seiner reizendsten Besitzthümer warf, ehe ihn preußische Reiter als Kriegsgefangenen nach Stettin brachten.

K.     




Blätter und Blüthen.

Schlaf und Traum. In Nr. 9 der Gartenlaube lese ich in dem vortrefflichen Aufsatze über Schlaf und Traum von Ewald Hecker das Beispiel eines Verbrechens im Traume. Dabei erinnere ich mich aus der Zeit von 1841 bis 1843, während welcher ich als Referendar beim Ober-Landesgericht zu Naumburg referirte, aus Criminalacten eines ähnlichen Beispiels, welches damals großes Aufsehen erregte. Zwei Gutsbesitzer, Vater und Sohn, die Namen sind mir entfallen, bewirthschaften gemeinschaftlich ein Gut. Sie schlafen in einem Zimmer im obern Stock, dessen Ausgang auf einen schmalen Gang mündet, an dessen anderm Ende sich ein Appartement befindet. Von letzterem aus waren wiederholt Einbrüche versucht worden. Eines Abends kommen Vater und Sohn von der Jagd. Während des Abendbrods, welches sie mit der Familie einnehmen, wird über die Einbruchsversuche gesprochen, und Vater und Sohn nehmen auf Anrathen des erstern, als sie sich nach ihrem Schlafzimmer begeben, aus diesem Grunde geladene Gewehre mit. Etwa eine Stunde später werden die übrigen Hausbewohner durch einen Schuß geweckt und finden den Sohn in dem oben beschriebenen Gange im Hemde bei dem verscheidenden Vater knieen, das abgeschossene Gewehr aber in der Thür des Schlafzimmers liegen. Der Sohn hat den Vater erschossen.

Derselbe giebt bei seiner Vernehmung an: Er habe geträumt, daß am entgegengesetzten Ende des Ganges eingebrochen werde. Erst habe er im Traume das Geräusch des Einbrechens gehört, dann die gegenüberstehende Thür sich öffnen und den Dieb auf das Schlafzimmer zukommen sehen. Von einem Schusse sei er erwacht und habe, als er zur Besinnung gekommen, aufrecht im Bette sitzend bemerkt, daß er das Gewehr, welches er am Abend neben sein Bett gelehnt, in der Hand hatte. Er sei nun auf den Gang geeilt und habe dort seinen Vater am Boden liegend und verscheidend gefunden. Die Vernehmung des Getödteten war nicht mehr möglich gewesen. Es muß aber zur Vervollständigung des Herganges wohl angenommen werden, daß der Vater in der Nacht aufgestanden, daß das dadurch verursachte Geräusch in Verbindung mit dem Gespräch am Abend beim Sohne den Traum erweckt, daß eingebrochen werde; daß er dann auch im Traume das Geräusch des Oeffnens der am Ende des Ganges liegenden Thür gehört, sich im Bette aufgerichtet, durch die vom Vater offen gelassene Stubenthür diesen vom halbfinstern Gange her zurückkommen gesehen und dann immer noch im Traume oder Schlaftrunke das neben dem Bett stehende Gewehr ergriffen und geschossen habe. Dahin sprach sich auch das sehr umfangreiche, wenn ich nicht irre, in Hitzig’s Annalen abgedruckte Gutachten der Sachverständigen aus, dessen Resultat auf „Verübung der That im bewußtlosen Schlaftrunk“ lautete. Für die Annahme einer Absicht des Sohnes sprach weder das Verhältniß zwischen Vater und Sohn, welches das innigste war, noch irgend ein anderer Grund. Der Unglückliche wurde freigesprochen. Plesch, Justizrath.     




Die Annalen der gerichtlichen Medicin werfen eine große Reihe von strafbaren Handlungen auf, die im Zustande der Schlaftrunkenheit begangen wurden. Der vorstehend mitgetheilte Fall (über den Dr. Suckow in Henke’s Zeitschrift 1851 berichtet) gehört sicherlich zu den interessantesten. Der Zusammenhang zwischen der That und ihren in den äußeren Verhältnissen liegenden Motiven ist hier ziemlich klar. Die Phantasie des Sohnes war offenbar durch die am Abend geführten Gespräche über Diebseinbrüche in einen erregten Zustand versetzt und es wurden dahin bezügliche Vorstellungen aus dem wachen Zustande mit in das Traumleben hinübergenommen. Das Knarren der Thür gab nun, wie leicht erklärlich, dem Traume eine bestimmtere Gestaltung und weckte gleichzeitig den Schläfer zu einem Zustande von Schlaftrunkenheit, in dem er noch ganz umfangen von den Traumvorstellungen sein Gewehr ergriff und es blindlings nach der Richtung der Thür abschoß. Daß er den Vater traf, war ein besonderer unglücklicher Zufall. Während seiner Haft im Untersuchungsgefängniß wurde am Inculpaten einmal ein ähnlicher Zustand von ängstlichem Aufschrecken aus dem Schlafe beobachtet. Bemerkenswerth ist ferner, daß ein Bruder des Angeklagten an Schwindel, Beängstigungen und ängstlichen Träumen vielfach litt, so daß es sich hier wohl um die erbliche Anlage einer nervösen und gerade zum Zustand der Schlaftrunkenheit besonders disponirten Constitution handelt. – Als sehr auffallend will ich schließlich noch anführen, daß Fälle von Schlaftrunkenheit bisher überhaupt nur bei Personen männlichen Geschlechts beobachtet worden sind. Ein auch nur einigermaßen plausibler Grund läßt sich dafür kaum angeben. Dr. Hecker.     




Zum Humboldtfest. Wie vor zehn Jahren der hundertjährige Geburtstag Schiller’s die Deutschen zu dem größten aller bis dahin begangenen Nationalfeste vereinigte, so rüsten unsere Landsleute allerwärts sich bereits für eine Humboldtfeier von derselben Großartigkeit. Die erste überseeische Nachricht geht uns darüber aus Amerika zu, und wir halten uns für verpflichtet, sie unseren Lesern vollständig mitzutheilen:

„Geehrter Herr Keil! Wie Sie aus obigem Circular ersehen, beabsichtigen die hiesigen Deutschen im Verein mit hervorragenden Amerikanern unserem großen Landsmann an dessen hundertjährigem Geburtstage (14. September) ein Denkmal (im Centralpark und neben dem Schillermonument, welches 1859 dort enthüllt wurde) zu errichten. Es freut mich, hinzufügen zu können, daß das Geld dafür bereits beschafft ist. Wir werden ferner dahin wirken, daß der genannte Jahrestag in allen Schulen, Vereinen, Gesellschaften etc. festlich begangen werde.

Es wäre wünschenswerth, wenn dasselbe Fest in allen Ländern, wo Deutsche wohnen, in ähnlicher Weise gefeiert würde. Da zur Anregung und Verbreitung eines solchen Vorschlages kein Organ so geeignet ist, als Ihre patriotische Gartenlaube, so erlauben wir uns, Sie um geeignete Besprechung zu bitten.

New-York, 9. März 1869.   Mit vollkommener Hochachtung

Ihr ergebener     
Wm. Aufermann.“

Wir zweifeln nicht daran, daß New-York’s Beispiel würdige Nachahmung überall finden wird, wo Deutsche mit dem Gefühl des Stolzes und der Dankbarkeit auf ihre großen Männer blicken.




Rafael’s Geliebte. (S. S. 245.) In der jedem Kunstfreunde wohlbekannten Galerie des Palastes Barberini in Rom ist es vorzüglich ein Bild, welches die Augen der fremden Besucher auf sich zieht. Es ist das Portrait eines in üppigster Jugendfülle prangenden Weibes mit schwellenden Formen und echt römischer Farben- und Sinnengluth, welches die Meisterhand Rafael Santi’s von Urbino, des Lieblings der Musen und Grazien, mit unnachahmlicher Kunst auf die Leinwand gezaubert hat. Auf der goldenen Armspange der reizenden Frau hat Rafael selbst seinen Namen eingeschrieben, so daß an der Echtheit des Gemäldes kein Zweifel bleibt, die Geschichte aber kennt das schöne Original des Bildes als Rafael’s Geliebte, die sogenannte Fornarina (die Bäckerin), zu welcher der große Künstler bald nach seiner Ankunft in Rom in solcher Leidenschaft entbrannt sein soll, daß seine Neigung erst mit seinem Leben selbst erlosch. Diese Fornarina, die, wie behauptet wird, der Maria auf seiner unvergleichlichen sixtinischen Madonna, der Perle des Dresdener Museums, zum Modell gedient, hat sich nun der Zeichner unserer heutigen Illustration, welcher in Rom selbst das Portrait mehrfach nachgebildet, zum Vorwurf genommen und den Moment gewählt, wo das verführerische Weib den schon kränkelnden Meister, jedenfalls nach längerer Sitzung vor der Staffelei, mit erfrischender Spende aus dem eigenen Garten zu erquicken sucht.



[256] Bock’s Briefkasten. 1. Mein letztes Wort an Die, welche mir fort und fort, mündlich und brieflich, zum Lobe unsinniger Heilmittel und Curmethoden vorhalten: „ich bin aber dadurch gesund geworden!“ Also man höre. Ich weiß und habe es auch gerade oft genug drucken lassen, daß Kranke auch bei dem unsinnigsten Hokuspokus und dem lächerlichsten Firlefanz gesund werden. Ich weiß recht wohl, daß der Schuster Lampe, der Postschreiber Lutze, der Lohgerber Dittmann, der Schnapsfabrikant Daubitz, der Bierbrauer Hoff, die Frau Purgirkünstlerin Graf, der Drechsler Baunscheidt, die Kaltwasser- und trocknen-Semmel-Anhänger, die Rademachianer und Homöopathen, und wie die mit und ohne Geheimmittel curirenden Laien, sowie die Naturärzte mit und ohne Doctorhut alle heißen mögen, ich weiß, daß alle diese Curirer bei ihrer Heilkünstelei kranke gesund werden sehen. Wer nun aber denken gelernt hätte, – was leider die wenigsten Menschen können, – der würde nun nicht sofort behaupten: Das, was bei jenen Kranken angewendet wurde, muß auch die Ursache der Heilung gewesen sein. Er würde vielmehr darnach forschen – wozu er aber auch bei der dringendsten Aufforderung niemals zu bringen ist – ob die Heilung wirklich Folge des Angewendeten ist. Er würde sich fragen: wie kommt es denn aber, daß ganz dieselbe Krankheit durch die allerverschiedenartigsten Behandlungs- und Mißhandlungsarten gehoben wird? Ebenso durch Postschreiber Lutze’s lebensmagnetisch-angehauchte homöopathische Mittel, wie durch Schuster Lampe’s Kräuterabkochung, ebenso durch des Drechsler Baunscheidt Hautdurchlöcherungsmaschine, wie durch die Schroth’sche altbackene-Semmelcur, welche neuerlich von Einigen, mit der Kaltwasserwickelei amalgamirt, zur echten Naturheilweise (richtiger Unnaturheilkunst) erhoben ist und besonders Brustkranken recht schnell in’s Grab verhilft. Er würde, wenn er nur einen Funken von Verstand hätte, sich zu unterrichten suchen, wie es denn möglich ist, daß die allerverschiedenartigsten Krankheiten ganz über einen Leisten, alle aus einem Topfe, sämmtlich mit kalten nassen Einwickelungen, Lohe, bitterem Schnaps u. dergl. geheilt werden sollen. Aber vom verständigen Denken und vom Belehrenlassen über Gesundheit und Krankheit durch wirkliche Sachverständige, davon ist zur Zeit bei der Mehrzahl der Menschen keine Rede. Die Meisten bilden sich selbst aus ihrem leeren Hirnkasten heraus ihre unvernünftigen Heilansichten und Andere wollen sich nur durch naturheilende Schuster, Schneider, poetische saure Gurkenhändler und ähnliche von der Vorsehung mit absonderlichem Heiltalent begnadigte Afterärzte belehren lassen. Nun wäre dies in Bezug auf das Curiren der Krankheiten gar kein Grund, um sich darüber zu ereifern, denn im großen Ganzen bleibt das Sterblichkeitsverhältniß, auch bei den verschiedenartigsten Behandlungsweisen, so ziemlich dasselbe, und nur einzelne abergläubische Schwachköpfe müssen früher als nöthig in’s Gras beißen. Aber die Sache ist, wie aller Aberglaube, deshalb für jeden gebildeten und seine Mitmenschen liebenden Menschen so betrübend, weil dabei das Menschengeschlecht im Verständig-, Freier- und Gesünder-Werden weit hinter den Ansprüchen zurückbleibt, die man an dasselbe vermöge seines entwickelten Gehirns (Verstandesorganes) zu machen berechtigt ist. Leider läßt sich beim Erwachsenen aus dessen verkrüppeltem Verstandesorgane der eingewachsene Aberglaube und Unverstand nicht mehr austreiben und nur durch richtige Erziehung von Kindheit auf, vorzugsweise aber durch die Schule, ist es möglich, daß sich allmählich Vernunft in den Menschenköpfen einbürgert. Bei unserer jetzigen Schulerziehung wird das freilich noch sehr lange dauern!

Und nun merke man sich endlich einmal: Kranke werden bei der verschiedenartigsten Behandlungsart und bei dem blödsinnigsten Hokuspokus ebenso, wie auch ohne alle Arznei, gesund. Dies kommt daher, weil unser Körper, und zwar zu unserem großen Glücke, so eingerichtet ist, daß krankhafte Veränderungen innerhalb desselben solche Vorgänge nach sich ziehen, durch welche die allermeisten, besonders fieberhafte Krankheiten, vollständig oder doch theilweise, bald schneller, bald langsamer gehoben werden. Man bezeichnet jene heilsamen Vorgänge, welche ohne Arzt und Arzneien Krankheiten heilen, als Naturheilungsprocesse. Sie sind es, welche die allermeisten Kranken gesund machen und welche einer Unzahl von allopathischen Arzneien, homöopathischen und sympathetischen Curen, von Geheimmitteln und von allerhand Heilfirlefanz zu dem Rufe von wirklich heilsamen Heilmitteln verhalfen. Es ist betrübend, daß von dieser dem Menschen so wohlthätigen Natureinrichtung weder Aerzte, noch Laien die gehörige Notiz nehmen wollen. Und warum nicht? Weil sie dann nicht mehr so eitel anmaßend und dumm arrogant sein und behaupten können: Ich habe den Kranken geheilt. Damit brüsten sich aber die ungebildeten curirenden Laien – und diese wachsen jetzt wie Pilze aus der Erde – gar zu gern, abgesehen von den Groschens, die sie nebenbei, sogar armen Leuten, aus der Tasche escamotiren. Vorzüglich gern macht die Lungenschwindsucht mit Hülfe des Naturheilungsprocesses Stillstände und daher kommt es, daß diese Krankheit von einer Menge unsinniger Quacksalbereien und Quacksalbern angeblich geheilt wird. Wehe dem Brustkranken, der im Glauben, vollständig geheilt zu sein, nicht diejenige Lebensweise einzuschlagen weiß, welche einen sogen. Nachschub von Schwindsuchtsmasse verhütet.

Schließlich aberglaube man nun aber ja nicht etwa, daß jene Naturheilungsprocesse, welche der gebildete Heilkünstler in ihrem Verlaufe, – der bei den verschiedenen Krankheiten ein ganz verschiedener ist, genau kennen und durch ein passendes diätetisches Verfahren unterstützen muß, daß diese, wie der ungebildete Naturarzt meint, bei allen Krankheiten ganz auf dieselbe Weise (z. B. durch kalte nasse Einwickelungen) gefördert werden können. Bei jeder Krankheit verlangt der dieser Krankheit eigenthümliche Naturheilungsproceß seine ganz bestimmte diätetische Behandlung. Diese zieht aber die verschiedenartigsten naturgemäßen Hülfsmittel in Gebrauch; so die Nahrung (mehr animalische oder vegetabilische, eiweißstoffige oder fettreiche), die einzuathmende Luft (besonders sonnige Waldluft), Kälte und Wärme (örtliche oder allgemeine, innerlich öder äußerlich angewendet), Wasser (als kaltes oder warmes, als Getränk oder Bad etc.), Ruhe und Bewegung etc. etc. – Verfasser hat seit vierzig Jahren, während welcher Zeit er Tausende von Kranken in Spitälern und in der Privatpraxis mit demselben, wenn nicht mit mehr Glück wie andere Heilkünstler behandelte, die allermeisten Krankheiten ohne jedwede Arznei (natürlich das beruhigende Morphium ausgenommen) rein diätetisch behandelt, und er ist deshalb befähigt, über die Naturheilungsprocesse mitreden zu können. Ebenso kennt er aber auch die Heilwirthschaft der Homöopathen, Naturärzte, Geheimmittel- und anderer Charlatane ganz genau. Doch genug; Verf. hat ja schon oft über die naturgemäße Selbstheillehre und über Verhütung von Krankheiten geschrieben.

2. An Hrn. Landwirth G. L. in P. Sie sind, wie Sie schreiben, als Laie und Nichtgelehrter seit fünfzehn Jahren zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Homöopathie eine nicht hoch genug zu schätzende Gottesgabe ist und bleiben wird, vorzüglich für die Landwirthe. Sie curiren Ihre landwirthschaftlichen Nutzthiere selbst homöopathisch und sehen, besonders bei acuten Krankheiten, wunderbare Erfolge. – Nun, lieber Herr, lassen Sie sich Folgendes sagen: Bei den Thieren heben gerade so, wie bei den Menschen, die Naturheilungsprocesse (von denen ich oben sprach) die Krankheiten (besonders die acuten), nicht aber Ihre homöopathischen Nichtse. Wären Sie in Ihre homöopathischen Behandlungen nicht so verrannt, – wie man dies bei fast allen Anhängern der Homöopathie findet, zumal wenn sie von der Curirleidenschaft angesteckt sind, – dann würde ich Ihnen den Vorschlag machen, bei Krankheiten Ihrer Thiere, so wie ich’s bei kranken Menschen thue, nichts, gar nichts von wirksamer Arznei zu geben und, natürlich bei naturgemäßer diätetischer Behandlung, nur die Naturheilungsprocesse ruhig walten zu lassen. Wollen Sie dann nicht durchaus blind sein, so werden Sie eben so wunderbare Erfolge sehen, wie bei der homöopathischen Behandlung. – Was die frühere Behandlung der Nutzthiere mit allopathischen Arzneimassen, mit Brennen, Haarseilziehen etc. betrifft, so habe ich schon vor längerer Zeit, und jedenfalls bevor Sie noch an das homöopathische Curiren dachten, den Landwirthen den Rath gegeben (in Hamm’s landwirthschaftlicher Zeitung), ihre kranken Thiere lieber homöopathisch als allopathisch zu behandeln, aber allerdings nur in dem Falle, daß die Herren durchaus quacksalbern müssen und zu einer rein diätetischen Behandlung nicht die Courage haben. Ja, noch jetzt gebe ich den Menschen, die in fremde Länder reisen, wo mittelsüchtige Heilkünstler hausen, den Rath, beim Krankwerden, wenn sie durchaus einen Arzt haben müssen, lieber einen homöopathischen als einen allopathischen Arzt rufen zu lassen. Denn die homöopathischen Nichtse sind nicht gefährlich, was man dagegen von vielen allopathischen Mitteln nicht behaupten kann. – Wenn Sie glauben, daß aus allen meinen „über die Maßen brüsken Artikeln“ gegen die Homöopathie nur der Neid spricht, so irren Sie gewaltig, denn ich halte mir schon seit Jahren, so viel ich kann, Kranke fern, weil es nicht zu den Annehmlichkeiten des Lebens gehört, täglich mit einer Menge unverständiger Patienten umzugehen, die an ihren Arzt die unsinnigsten Ansprüche machen. Sie haben es beim Curiren Ihres kranken Viehzeuges freilich weit besser; das erwartet ruhig, seine Heilung und vertauscht die Homöopathie nicht gleich mit der Naturheilkunst. – Recht komisch ist in Ihrem Briefe der Rath, daß sich Herr Keil durch meine „brüsken Aufsätze“ gegen die Homöopathie nicht in das Fahrwasser des größten Rückschrittes treiben lassen soll. Sie müssen eigenthümliche Ansichten über Fortschritt und Rückschritt haben. Der Fortschritt verlangt, – merken Sie sich dies wohl, – daß nach und nach aller Aberglaube aus den Köpfen der Menschen ausgemerzt werde und dafür verständiges Wissen hineinkomme. Die Homöopathie gehört aber zu dem verdummenden Aberglauben, und deswegen wird selbige vorzugsweise auch von Leuten männlichen und weiblichen Geschlechts getrieben, die von den Naturgesetzen nichts verstehen. Leben Sie wohl; bessern werden Sie sich nicht.

3. An den Verein von Freunden der Homöopathie in Württemberg. So ist es denn in Ihrer Antwort so gekommen, wie ich mir gleich dachte. Sie wollen durchaus in Ihrem Aberglauben verharren und sich durch leicht anzustellende Versuche über die Homöopathie nicht aufklären lassen. Nun meinetwegen. Ein Pferd steckt nun einmal drinnen (nämlich im Dampfwagen, weil der läuft). Aber das kränkt mich, daß Sie in Ihrem Vereine auch Lehrer zu Mitgliedern haben. Die werden eine schöne Aufklärung in die Köpfe ihrer Schüler bringen! Sollten diese abergläubischen Erzieher nicht vielleicht gar auch noch Anhänger der Phrenologie sein? Gott bessere sie!

4. Dem Lohgerber und Erfinder der neuen Lohcur Dittmann zur Nachricht. Das großartige Dictum „Schafft Eisen Euch in’s Blut“ habe nicht ich, sondern hat der Fabrikant des Eisenschnapses, Herr Freygang, gethan. Auch hänge ich in keinerlei Weise mit der Eisenschnapsfabrikation zusammen. Herr Freygang hat nur auf einen meiner Aufsätze in der Gartenlaube hin (Jahrg. 1859, Nr. 3, S. 40), aus eigenem Antriebe, den eisenhaltigen Schnaps componirt. Uebrigens rangirt Herr Freygang mit seinen sicherlich nutzbaren eisenhaltigen Genußmitteln durchaus nicht etwa mit Ihnen und Ihrer Lohe, denn jene eisenhaltigen Mittel werden nicht als Geheimmittel gegen allerhand unheilbare Uebel empfohlen und auch nicht zu einem hohen Preise verkauft. – Schließlich möchte ich Ihnen noch rathen, daß Sie anstatt durch Schimpferei gegen mich, – der ich nicht wie Sie Geld machen will, da ich nur höchst ungern und meist unentgeltlich prakticire, – Ihre Quacksalberei vertheidigen zu wollen, lieber vor medicinischen Autoritäten einen Taubstummen oder einen Krebskranken curirten.

Bock.


  1. Von den Palmen wähle man theils solche mit Fieder-, theils solche mit Fächerblättern. Von den ersteren eignen sich vortrefflich für die Zimmercultur: Phoenix dactylifera, mit steifen, aufstrebenden, graugrünen, Areca rubra, Oreodoxa sancona (in Katalogen oft sanchona geschrieben), Chamaedorea gracilis und mit zarter gebauten, theils heller, theils dunkler grünen, überhängenden Blättern und etwa noch Cocos flexuosa, Seafarthia elegans von gleichfalls prächtigem Habitus; von letzteren die verschiedenen Chamaerops-Arten, Sabal Adansonii und Calmetto mit graugrünen, Corypha australis (Livistonia australis), Latania borbonica (Livistonia chinensis), Livistonia rotundifolia und Rhapsis flabelliformis mit bald dunkler, bald heller grünen Blättern. Unter den Bananen und den ihnen an Tracht gleichenden Gewächsen empfehlen sich Musa chinensis, paradisiaca mit bläulichgrünen, discolor mit unterseits rothbraunen, zebrina mit unterseits braunen, oberseits rothbraun und grün gestreiften Blättern, dann Alpinia und die verschiedenen Hedychium-, Maranta-, und Canna-Arten, welche sich theils durch schönen Wuchs auszeichnen, theils, wie Maranta zebrina, discolor, eximia Warscewieczii, durch die Färbung der Blätter hervorstechen. Die Drachenbäume (Dracänen) enthalten eine große Anzahl von seit Jahren bekannten und beliebten Blattpflanzen. Wer weniger auf besondere Pracht der Färbung und des Habitus sieht, der wird die billigeren und doch so zierlichen Formen wählen, wie: Dracaena congesta, rubra, fruticosa (in den Gärtner-Katalogen auch als arborea verzeichnet), reflexa, brasiliensis (Escholtzia). Wer neben diesen noch besonders ausgezeichnet schöne Formen wünscht, dem bieten sich solche in den allerdings theuereren Dracaena australis, indivisa, Cooperi, marginata (besonders latifolia), ferrea, terminalis, rosea, und umbraculifera. An diese reihen sich dann die Pandanus- und unter den aloeartigen Gewächsen die Yucca-Arten. Recht dankbar wird man auch die, überdies durch ihre prächtigen und oft ziemlich lange dauernden (Aechma) Blüthen sich noch besonders empfehlenden verschiedenen Ananasgewächse finden, und sind namentlich die, im Ankaufe allerdings etwas theuere, Guzmannia tricolor, Bilbergia, farinosa, discolor und zebrina prachtvoll, recht schön aber auch Puya Altensteinii und maidifolia, Pitcairnia, latifolia, angustifolia, pruinosa und zeaefolia, Aechmea discolor und fulgens. Zwischen Palmen, Dracänen, Pandanen und Bromeliaceen versäume man nicht, noch einige Aroideen mit ihren großen und wunderschönen Blattformen zu gruppiren. Colocasis macrorhiza und cucullata, Dieffenbachia seguine (picta), Anthurium lucidum (Pathos lucida), crassinervum u. a., Philodemdron pinnatifidum und pertusum, im Sommer eine oder die andere Caladium-Art und neben diesen etwa noch die schönen (allerdings anderen Familien angehörigen) Plectogyne variegata und Curculigo recurvata werden mit den schmalen, mehr in die Länge gezogenen Blattgestalten jener eine dem Auge wohlthuende Abwechslung hervorbringen. Diese kann aber noch gehoben werden durch das Hinzutreten von einigen großblättrigen Dicotyledonen, wie Ficus elastica und Cooperi mit ihren herrlichen lederartigen, dunkelgrünen, bei letzterem rothgenervten glänzenden, fußlangen, Boehmera argentea mit sattgrünen, silberglänzend angehauchten, Abutilon brasiliense mit lichtgrünen, zartwolligen, großen, fast ganzrandigen und venosum mit dunkler grünen gefingerten Blättern. Einige Schlinggewächse werden dann schließlich den Tropencharakter vollenden helfen. Cissus discolor (oder marmorea) läßt man zu dem Ende ihre Ranken frei über die übrigen Gewächse ausbreiten, während großblättriger Ephen, Mittania scandeus, sowie die Passiflora- und Tacsonia-Arten an Drahtgittern und Fäden beliebig hingeleitet und wohl gar zu Lauben benutzt werden können. Tropische, sowie – im Sommer – eine oder die andere Art unserer einheimischen Farrenkräuter lassen sich nur dann mit Erfolg ziehen, wenn man dieselben, weil sie eben große Feuchtigkeit der Luft lieben, etwa in der unmittelbaren Nähe eines Aquariums aufstellen kann, das reichlich Wasser verdunstet. Dann sind sie aber auch eine große Zierde der Planzensammlung. Von den tropischen Arten empfehlen sich namentlich Adiantum Capillus Veneris, Blechnum brasiliense (baumartig), sowie die Gymnogramma- und Pteris-Arten. Von unseren einheimischen gewähren Osmunda regalis (Königsfarrn) und Pteris aquilina mit den übrigen Pflanzenformen prächtig harmonirende Gestalten.
  2. Man bereitet die Lösung, indem man die erforderliche Menge von Leim in kleinen Stücken über Nacht in wenig Wasser weicht, den nächsten Tag unter Erwärmung und Umrühren die Auflösung herbeiführt und hierauf die passende Menge Wasser zufügt. Mit dem Gießen abzuwarten, bis der Leim in Zersetzung übergeht, ist nicht nöthig, da dieser Proceß auch im Boden leicht vor sich geht.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nöhig
  2. Vorlage: Schönheite
  3. Vergl. Berichtigung im Kleinen Briefkasten des Hefts Nr. 20.