Die Gartenlaube (1878)/Heft 4
Ein Jahr war vergangen.
Wieder neigte sich die Julisonne um dem klaren blauen Himmel dem nordwestlichen Horizonte zu, aber sie beschien diesmal ein ganz anderes Landschaftsbild. Nichts von hochaufstrebenden Gebirgsmassen, tiefen Flußthälern mit freundlichen Ortschaften, hellen Seen und eiszackigen Fernen – ringsum ebenes Land, Feld, Haide, Wald, für den Wanderer eine weite Aussicht, von Zeit zu Zeit abschließend mit einem schmalen blauen Streifen Wasser, der die Ostsee bedeutet. Wir befanden uns im ostpreußischen Samlande, jenem Viereck, das sich so augenfällig in’s Meer hinauslegt und von den beiden Nehrungen wie von zwei Bändern gehalten zu werden scheint, damit es nicht von der Landkarte herunterfalle. Wer sonst nichts von ihm weiß, hat doch gehört, daß an seiner Küste der edle Bernstein gewonnen wird, und so mag es ihm gefallen, sich auch einmal mit seiner landschaftlichen Natur bekannt zu machen.
Der Stellwagen von Königsberg hatte längst schon den letzten „Berg“ hinter dem anmuthig gelegenem Kirchdorf Pobethen überwunden und schleppte sich nun durch den tiefen Sand der Landstraße dem Dorfe Rantau zu, das von der Nordküste nur noch eine viertel Meile entfernt liegt. Es hatte in Wochen nicht geregnet; die Räder wühlten sich tief ein, und die müden Pferde schleiften langsam, Schritt für Schritt, die Hufe über den Boden hin, eine dichte Staubwolke um sich herum aufwirbelnd. Die acht das grüne Leinwanddach tragenden Stangen schüttelten sich knarrend; der Sand glitt surrend über die Räder hin, und die Gesellschaft auf dem Wagen schien schläfrig geworden; nicht einmal die Peitsche des Kutschers wollte kräftig knallen: man mußte sich in sein Schicksal ergeben und mit der Hoffnung trösten, daß man sich in dem nicht fernen Seebade-Orte Neu-Kuhren noch diesen Abend von allen Strapazen der staubigen Fahrt erholen werde.
Der junge Mann, der den Eckplatz vorn besetzt hatte, schien nicht so geduldig zu sein. „Ich halt’s nicht länger aus,“ rief er seinem Nachbar zu, der sich krampfhaft bemühte, eine Cigarre in Brand zu halten. „Dieser Staub – man kaut ihn förmlich zwischen den Zähnen. Und ich wette darauf – zwanzig Schritte weiter haben wir die frischeste Seeluft. Wollen Sie gütigst mein geringes Gepäck ein wenig in Ihre Obhut nehmen? Ich mache Ihnen Raum.“ Ohne den Wagen halten zu lassen, schwang er sich um die Verdeckstange und sprang mit einem geschickten Satz ab. Im eigentlichsten Sinne des Wortes machte er sich dann sofort aus dem Staube, indem er über den trockenen Seitengraben setzte und jenseits der kümmerlichen Weidenstümpfe auf dem festeren Fußpfade munter ausschritt. „Ah, hier lebt man auf,“ versicherte er.
„Wissen Sie, daß ich gute Lust hätte, Ihnen zu folgen?“ sagte der Raucher.
„So springen Sie doch ab!“
„Ganz gut! Aber wer beaufsichtigt Ihr Gepäck, das Sie so freundlich waren mir anzuvertrauen?“
„Legen Sie die Rolle lang auf’s Gesäß! – sie wird nicht hinabgleiten – und die Ledertasche unter dasselbe! Es thut nichts, wenn sie einige Fußtritte erhält.“
„Und meine eigenen Sachen?“
Eine mitleidige Dame, die schon diverse Schachteln und Päckchen auf dem Schooße hielt, erbot sich zu der „kleinen Gefälligkeit“, darauf zu achten, daß nichts hinausfalle. Sie speculirte vielleicht auf den leer werdenden Raum.
„Nun denn ohne Zögern,“ rief der Herr, die Cigarre kräftig anpaffend, und sprang über Bord.
Nun ihn die Staubwolke nicht mehr verschleiert, müssen wir uns erinnern, das Gesicht mit dem blonden Bärtchen und den munteren Augen schon einmal gesehen zu haben. Richtig! Es ist der Referendar Hell, der in diesem Jahr sehr bescheiden seine Ferien am heimischen Seestrande zuzubringen gedenkt. Die Bekanntschaft des Herrn, der zuerst abgestiegen war, hatte er erst während der Fahrt gemacht. Beim Anblick der Hügel, die man etwas kühn die samländische Schweiz nennt, hatte sich die Erinnerung an die vorjährige Reise in einigen articulirten Seufzern entladen. Sein Gefährte zeigte sich an dem Alpenlande sehr bewandert – er hätte einen Onkel dort, sagte er – und so war man bald in ein lebhaftes Gespräch gekommen, ohne auf eine gegenseitige Vorstellung zu warten.
„Ich bin an den Actenstaub bereits ziemlich gewöhnt,“ versicherte der Referendar, nun wieder Seite an Seite mit dem Fremden, „aber was hier in der Luft herumwirbelt, fällt selbst einem Juristen zu schwer auf die Lunge.“ Er räusperte sich. „Rauchen Sie eine Cigarre?“
Der Andere dankte. „Ich schlage Ihnen vor,“ sagte er, „hier links abzubiegen. Am Ende dieser breiten Viehtrift muß ein Richtsteig um das Dorf herumführen. Wir verlieren dann den abscheulichen Marterkasten von Wagen ganz aus den Augen.“
[60] Er wartete die Zustimmung nicht ab.
„Sie scheinen hier genau bekannt zu sein,“ meinte der Referendar.
„Ich bin wenige Meilen von hier geboren,“ erklärte sein Führer, „und habe als Knabe oft die Gegend durchstreift.“
Hell sah ihm mit einem prüfenden Blick unter den breiten Strohhut. Hier im Samlande geboren? Er hätte ihn eher für einen Süddeutschen gehalten, der sich lange Zeit in Italien umhergetrieben. Die dunkle Gesichtsfarbe, das braune lockige Haar, der krause Bart und das glänzende Auge schienen dafür zu sprechen. „Sie besuchen wohl nach langer Abwesenheit die Ihrigen?“ fragte er neugierig.
„Vielleicht,“ antwortete der Fremde, „obgleich das nicht gerade der Zweck ist, der mich herführt. Ich finde in der Heimath vieles verändert. Meine Mutter ist todt, mein Vater hat zum zweiten Mal geheirathet und stand mir nie so nahe wie sie. Ich bin seit meinem zehnten Jahre auswärts erzogen und ausgebildet worden, habe mich dann viel im Auslande aufgehalten, um meine Studien zu vervollständigen, und finde dort kaum noch die Menschen, die ich verstehe und die mich verstehen.“
„Sie sind …?“
„Architekt. Ich war zuletzt in Berlin beschäftigt und wurde von dort aus einer reichen Dame empfohlen, die in Königsberg ein großes Siechenhaus zu bauen beabsichtigt. Ich habe die Pläne entworfen und wollte ihr dieselben vorlegen, erfuhr aber in ihrer städtischen Wohnung, daß sie kürzlich für den Sommer nach Rauschen verzogen ist, und gedenke sie nun dort aufzusuchen. Der Bau soll im Herbste, spätestens im nächsten Frühjahr beginnen.“
„Die Dame ist eine Frau von der Wehr – nicht wahr?“
„Ganz richtig – so heißt sie. Ihr Mann war Oberst – und ist im Kriege gefallen. Das hat sie sich so sehr zu Herzen genommen, daß ihr ein wohlthätiges Werk in großem Stil Bedürfniß geworden. Nun – wenn das Haus nach meinen Entwürfen gebaut wird, geht ein hübsches Vermögen zu frommen Zwecken drauf, die mich übrigens nur so weit kümmern, als sie meine architektonischen Ideen beeinflussen müssen.“
„Es ist von dem Project viel gesprochen worden.“
„Das kann ich mir vorstellen. Dem Mittelalter war diese Art von Frömmigkeit gewohnter, aber warum soll sie nicht auch in unsern Tagen einmal herzlich gut gemeint sein? Ich mache mich auf ein paar Original-Figuren gefaßt.“
„Sie kennen Frau von der Wehr nicht?“
„Weder diese alte Dame, noch ihre – ich hätte beinahe gesagt: noch ältere – Tochter, von der in den Briefen viel die Rede ist, als der eigentlichen Stifterin. Alte Jungfern scheinen wirklich manchmal älter zu sein, als ihre Mütter.“
Der Referendar lachte, „Sie gehen gründlich fehl. Frau von der Wehr ist eine Dame Mitte der Dreißiger und noch immer so schön, daß sie auch einem jungen Mann gefährlich werden könnte.“
„So –!“
„Und was Fräulein Irmgard anbetrifft –“
„Irmgard! Ein Name, passend für das Personen-Verzeichniß eines Ritterschauspiels, in dem einige Gespenster unseliger Ahnen umgehen. Ich habe sie mir lang und hager vorgestellt, mit scharfkantigen Schultern, hohen Halse, sehr edler Nase, blonden, in dünnen Spiralen an den bleichen Wangen niederringelnden Locken und ziemlich großen Händen. Uebrigens eine milde, gottgefällige Seele, erhaben über jede Versuchung der Welt. Trifft das zu?“
Hell lachte noch lauter. „Der Himmel verzeihe Ihnen,“ rief er, „was Ihre Phantasie da gesündigt hat! Sie werden ein reizendes junges Mädchen finden, das den einen einzigen, allerdings riesengroßen Fehler hat, durchaus nicht heiraten zu wollen; ich füge hinzu: ohne deshalb das männliche Geschlecht principiell zu hassen. Das Fräulein ist sehr liebenswürdig, und ich selbst …“
„Ah! Sie selbst –?“
Der Referendar sah verschämt lächelnd zur Erde. „Ich habe wenigstens die Genugthuung, nicht der Einzige gewesen zu sein, der einen Korb erhalten hat. Ich denke, wenn er mit der friedlichen Erklärung erteilt wird, daß man dem Ehestande überhaupt abgeschworen habe, ist die Sache nicht so empfindlich, daß man Grund hätte, sie geheim zu halten.“
„Sie scheinen sich glücklicherweise auch schnell getröstet zu haben.“
„Pah! ich habe nun einmal keine Anlage zum Ritter Toggenburg. Uebrigens eilt es mir nicht; ich mache erst im nächsten Winter das Staatsexamen und komme immer noch zur Zeit unter die Haube – oder unter den Pantoffel. Ich glaube, meine Frau wird es mit mir einmal sehr leicht haben.“
„Um so bedauerlicher, daß Fräulein Irmgard ihren Vortheil so schlecht verstanden hat.“
„Spotten Sie nur! Die Sache hat aber auch noch eine andere Seite. Eine junge schöne Dame –“
„Auch schön, wie die Mama?“
„Bildschön. Eine junge schöne Dame von kaum siebenzehn Jahren, sage ich, die das Heirathen verschworen hat und mit ihrem sehr namhaften Vermögen ein Spital gründen will … Sie werden mir zugeben, daß da etwas im Herzen nicht ganz richtig sein kann –“
„Oder im Köpfchen.“
„Sei dem, wie ihm sei: es hat immer seine Gefahr für den Mann, der etwa doch in einer schwachen Stunde Gehör findet.“
„Wenn er nicht ein ganzer Mann ist.“
„Nehmen Sie sich in Acht!“
„Ach, ich –! Ich habe in aller Herren Ländern schöne Frauen gesehen, und gefährlich ist mir noch keine geworden. Es scheint, daß ich gar kein Organ für das Gefühl mitbekommen habe, das man Verliebtsein nennt. Halten Sie mich deshalb weder für einen Philister, noch für eine kalte Seele! Aber ich habe eine angeborene Abneigung gegen alles, was sich mir in verschwommener Farbe und unklarer Form darstellt. Ich baue nicht nur mit Ziegelsteinen, sondern auch mit Empfindungen, und was meinem Herzen etwas sein soll, muß sich darin auf sicherm Fundament nach allen Regeln der Kunst zu einer planen Gefühlsdarstellung ausbauen. Ich kann eine Landschaft enthusiastisch bewundern, aber nur dann, wenn sie mir in ihren Grundlinien imponirt; ich lasse mich von einem Drama fortreißen, wenn es in seinem architektonischen Ausbau glücklich ist; ich bin entzückt von einer Musik, die aus wenigen charakteristischen Tönen hervorwächst, bei allem Reichthum der Wandlungen des Motivs einheitlich bleibt und sich in der Höhe für das empfindsame Ohr verständlich gliedert, statt in einem Tonschwall zu verschwimmen. Das Gefühl, das eine schöne Frau in mir erregt, hält diesen kritischen Anforderungen nicht Stand; es ist zu unruhig, zu unbestimmt, zu formlos, zu sehr Farbe und zu wenig Grundriß, zu viel Façade und zu kümmerlicher Innenbau – verzeihen Sie diese rein technische Begriffsbestimmung!“
„Aber bei so ketzerischen Ansichten müssen Sie ein Junggeselle bleiben.“
„Das ist ja doch noch nicht das Schlimmste. – Warum sind denn übrigens die Damen nach Rauschen gezogen? Für eine reiche Frau, die an Comfort gewöhnt ist, kann in dem Fischerdorf kaum ein angemessenes Quartier zu finden gewesen sein, die Verhältnisse müßten sich denn seit meiner Knabenzeit sehr geändert haben.“
Der Referendar zuckte die Achseln. „Und Frau von der Wehr logirt, wie ich gehört habe, nicht einmal im Gasthause, sondern hat auf dem Berge eine Wohnung gemietet. Sie will nun einmal möglichst aus der Gesellschaft, möglichst in die Einsamkeit; da mag der stille Ort mit seiner ländlichen Idylle gerade ihren Wünschen entsprechen. Irmgard zeichnet gern nach der Natur und ist dort ganz ungestört.“
„Also auch Dilettantin mit dem Bleistift! Nun – man wird’s ja überwinden, selbst wenn ein Tuschkasten dabei sein sollte. Einmal wieder nach Rauschen zu kommen, ist mir lieb. Ich trieb mich als Junge in den Sommermonaten viel dort um, den Malern aufzulauern – dachte damals selbst daran, einer zu werden, wie mein Onkel. Es war mir eine Seligkeit, ihnen Mappe, Farbenkasten und Schirm tragen zu dürfen und gar über die Schulter zuzugucken; all’ die naturwüchsigen Schönheiten unserer Haide, unserer Strandberge, unserer Schluchten und Buchten lernte ich mit ihren Augen sehen – da prägen sie sich dem Gedächtniß unvergeßlich ein. Es ist doch ein Stückchen Erde, das der liebe Gott bei sehr guter Laune geschaffen hat, und was mir besonders daran gefällt: es sieht noch immer beinahe [61] so aus, als ob es eben erst aus seinen Händen hervorgegangen wäre. Sehe ich sonst ein anziehendes Landschaftsbild, so denke ich mir immer gern: was möchtest du da hineinbauen als Kunstschmuck? Auf jenen Plan, wie ich ihn in der Erinnerung festhalte, paßt nichts der Art – der Leuchtthurm auf der Spitze von Brüsterort hat ja schon seinen Baumeister gefunden.“
Unter solchen Gesprächen waren sie wieder auf die Landstraße eingelenkt und näherten sich nun den ersten Häusern von Neu-Kuhren, während in ziemlicher Entfernung hinter ihnen die „Journalière“ herankeuchte. Sie mäßigten den Schritt, um ungefähr mit ihr zugleich am Logirhause anzulangen, wo sie ihre Fahrgäste abzusetzen pflegte. Der Referendar überreichte eine Visitenkarte. „Darf ich auch um Ihren Namen bitten?“
„Robert Harder. – Wir sehen uns wohl in diesen Tagen noch?“
„Ich hoffe es. Ein Tänzchen unter dem berühmten Birnbaum ist schwerlich Ihre Leidenschaft, sonst –“
„Also der Birnbaum steht noch? Schon ein recht alter Herr, aber, wie es scheint, in seinen Neigungen noch immer sehr jugendlich. Leben Sie wohl! Man scheint Ihnen dort zu winken.“
Wirklich war unter der Halle des Logirhauses ein Herr vorgetreten und auf Hell mit ausgestreckter Hand zugeschritten. Es war der Gerichtsrath Pfaff, der seinen jungen Freund herzlich bewillkommnete. „Gut, daß Sie endlich anlangen!“ rief er ihm zu, „man rechnet schon stark auf Sie im Vergnügungscomité.“
Als der Referendar sich nach seinem Begleiter umsah, hatte dieser schon seine Tasche und Rolle vom Wagen genommen und sich ohne Aufenthalt auf den Weg gemacht. –
Harder hatte noch eine Stunde bis Rauschen. Es war sieben Uhr, die Luft abgekühlt und der Weg auf der Uferhöhe mit seinen häufigen Ausblicken auf’s blaue Meer und das buchtenreiche Gestade zu einem Spaziergange sehr einladend. Das Gepäck beschwerte ihn wenig, er hatte die Tasche umgehängt und die lange Papierrolle wie ein Gewehr über die Schulter gelegt. Die Badegäste, die vom Strande herauf oder links aus dem Birkenwäldchen kamen, fanden die fremde Erscheinung merkwürdig genug, um einen neugierigen Blick darauf zurückzuwerfen.
Er kümmerte sich wenig darum, pfiff eine Melodie vor sich hin und schritt rüstig aus. So kam er bald an einem Gutshause vorüber, durchschritt ein niedriges Gehölz, passirte die ersten Häuser des Dorfes Leppoenen, wo sich eine Rettungsstation für Schiffbrüchige befindet, und bog hinter demselben rechts ab auf einen Richtpfad, der aus das hochgelegene, unter alten Bäumen versteckte Dorf Sassau führte. Er warf einen Blick auf das niedrige Bauernhäuschen am halbausgetrockneten Teich, in dem vor Jahren Ferdinand Gregorovius manchen Sommer zugebracht hatte, dichtend und von dem Lande träumend, in dem er seine zweite Heimath finden sollte. Er war ihm dann in Rom begegnet, als er mit fürstlichem Anstande irgend eine Fürstlichkeit in den Ruinen der Kaiserpaläste herumführte. Er hätte ihn gern angesprochen und ihm gesagt, wie dankbar er ihm stets für die freundliche Erinnerung gewesen, die er am lateinischen Ufer dem schönen samländischen Nordstrande in bewegten Worten widmete – aber es ergab sich keine Gelegenheit. Das fiel ihm nun wieder ein, und er stand eine Minute lang still. Unwillkürlich kamen ihm Goethe’s Verse in den Sinn: „Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, ist eingeweiht.“
Von der Höhe schritt er dann abwärts zwischen hochwogenden Kornfeldern dem Bache zu, der sich im Lauf der Jahrtausende ein breites Thal ausgewaschen hatte. Drüben wurde es geschlossen durch die lange Kette der schneeweißen Sandberge, die des Meeres Nähe verkündigten. An einigen Stellen, Sassau gerade gegenüber, war die Linie durch tiefe Einbuchten unterbrochen, durch die der fliegende Sand über die grünen Weidestrecken bis zu den Erlen am Bache fortgeweht war; es sah aus, als ob weiße Zungen, kürzer und länger, sich ausstreckten, um das grüne Land zu verschlingen. Dort hatten die Bernsteingräber den Uferberg abgetragen, um tief unten aus der Asche versargter Wälder das edle Harz auszuheben. Die Felder der Dorfschaft waren nun freilich schutzlos.
Vor und unter dem Wanderer warf die scheidende Sonne ihre gluthrothen Strahlen lang über die Fortsetzung des Thalgrundes hin, der ganz mit Strauchwerk, Laubbäumen und dunklen Tannen darüber bewachsen schien. Doch ragten einige Dächer mit weißen Schornsteinen daraus hervor, und ein bläulicher Rauch stieg aus ihnen geradeaus in die unbewegte Luft, sich sonst abhebend gegen das dämmerige Grün des Hintergrundes und den goldigen Himmel.
„Wie schön – wie schön!“ rief er, „da ist mein stilles Rauschen.“
Er hatte es nicht mehr weit bis zum Gasthause am Anfang des Dorfes. Dort bat er um Logis und fragte nach dem alten Wirth, den die muntern Stadtherren immer scherzweise „Herr Commerzienrath“ titulirten und der nach jedem Seidel Bier besonders in seinen Keller hinabzusteigen pflegte, oft erst eine schwere Geduldsprobe für die Durstigen. Er sei kürzlich verstorben, hieß es. Diese Trauerbotschaft hinderte ihn nicht, sich zum Abendessen die frischen Dorsche schmecken zu lassen, die der neue Wirth vorsetzte.
Am andern Morgen war Robert Harder schon früh auf. Er hatte mehre Stunden Zeit, bis er wagen durfte, sich bei den Damen zu melden. So spazierte er denn an der Wassermühle und den uralten Linden vorüber den großen Mühlenteich entlang, über den am jenseitigen Ufer waldbewachsene Hügel aufstiegen, während sich zu seiner Rechten in drei oder vier Absätzen die Bauer- und Fischerhäuschen den Berg hinanbauten, sämmtlich weiß getüncht und meist umgeben von grünen Obstgärten. Es war ein herzerfreuender Anblick. Am Ende des Dorfes hinter dem malerisch verfallenen Nachtwächterhäuschen stieg der sandige Weg wieder hoch auf zwischen einzelnen, von den Seestürmen zerzausten Fichten. Man gewann eine weite Aussicht über Land und Meer. Harder schritt auf den eine halbe Stunde entfernten Wald zu, der von den Strandbergen bis zur See hinabzusteigen schien.
Eine halbe Stunde mochte er so langsam fortgewandert sein, als er seitwärts vom Wege die ihm wohlbekannten, unregelmäßigen Erderhöhungen bemerkte, die einen Begräbnißplatz der heidnischen Preußen anzeigen. Ursprünglich mitten auf der freien Haide gelegen, die sich noch jetzt nicht weit davon an den Uferbergen entlang zieht, hat dann der Pflug des Landmanns sie scharf umrissen, sodaß sie nun wie kleine Inseln, bewachsen mit braungrünem Haidekraut und niedrigem Birkengestrüpp, aus den Feldern hervorragen. Vertiefungen an den Seiten bezeichnen die Stellen, an denen die Neugier Nachgrabungen veranstaltet hat, und die Steine, die zwischen dem Wachholder und den blauen Glockenblumen lose herumliegen, waren vielleicht früher im Innern um die Aschenurnen geschichtet.
Die Aufmerksamkeit des Architekten wurde jedoch mehr auf eine junge Dame gelenkt, die auf einem breiten Steine am Rande des Grabens saß, vor sich auf den Knieen eine kleine Mappe liegen hatte und eifrig zeichnete. Der Strohhut mit den blauen Bändern lag neben ihr im Haidekraut. Sie saß abgewendet von dem sich Nähernden, sodaß er anfangs nur die schlanke Gestalt, die fein aufgerundeten Schultern, den sanftgebogenen Nacken und das aschblonde Haar bewundern konnte, das am Hinterkopfe mit einer Spange hoch gewulstet war und unter dem Knoten wellig hinabglitt. Als er dicht an ihr vorüberging, sah sie ein wenig zur Seite und zeigte ihm so das zierliche und doch kräftige Profil. Ein rascher Blick überzeugte sie, daß der Mann ihr ganz fremd war, sie rückte aber doch auf dem Steine ein wenig herum, ihre Mappe zu verdecken, als wollte sie ihre Beschäftigung nicht bemerken lassen.
Das war es vielleicht, was Robert Harder reizte, stehen zu bleiben und die anmuthige Gestalt genauer in Augenschein zu nehmen. „Entschuldigen Sie gütigst eine Frage!“ begann er das Gespräch. „Früher führte nicht weit von hier ein Fußsteig nach der Gausupschlucht und durch dieselbe zum Waldhäuschen. Ist er inzwischen eingegangen?“
„Keineswegs,“ antwortete eine helle Stimme. „Gehen Sie nur hundert Schritte weiter und Sie müssen rechts den Pfad zwischen den Kornfeldern bemerken.“
Das Gesicht des jungen Mädchens wandte sich ihm dabei nicht zu; die Eile, mit der die Worte gesprochen wurden, ließ erkennen, daß das Fräulein seine baldige Entfernung wünschte.
Es kam ihm aber durchaus nicht darauf an, schnell das Ziel seiner Wanderung zu erreichen. Die junge Dame, die so früh aufgebrochen war, um ihr Skizzenbuch mit einer Abbildung [62] der alten Grabstätten zu bereichern, und die selbst dem Beschauer eine so reizende Staffage bot, interessirte ihn. „Sie zeichnen die Kapurnen?“ fragte er. „Wer weiß, wie lange man sie noch schonen wird?! Ueber die niedrigen ist längst schon der Pflug hinweggegangen, und auch hier schneidet er in jedem Jahr tiefer in’s Haideland ein, so spärlich auch die Frucht ist, die aus dieser Scholle wächst. Will man sich das Andenken an diese charakteristischen Denkmale eines untergegangenen Volkes bewahren, so wird man zu dem Versuch geführt werden müssen, sie bildlich darzustellen, so wenig sie auch als Bild bedeuten können.“
Nun hob sich doch der blonde Kopf des Mädchens, aber die Augenbrauen waren zusammengezogen und die Lippe trotzig aufgeworfen, als wollte der kleine Mund fragen: was geht’s Dich eigentlich an?
Harder ließ sich dadurch nicht abschrecken. „Ein Bild gäb’s vielleicht doch,“ fuhr er fort, „aber es gehört nicht diese frische, scharfe Morgenbeleuchtung dazu, sondern die Dämmerung des Abends. Eben müßte dort hinter uns im Nordwesten die Sonne untergegangen sein und gegenüber die graue Wolkenwand nach dem Rande zu röthlich beleuchten. Ueber der Erde müßte schon die Dämmerung liegen und diesen braunen Erdhügeln mit den weißen Birkenstämmchen und ihrem beweglichen Laube unsichere, ein wenig gespenstische Umrisse geben; hoch oben am kalten Nachthimmel könnte die Mondsichel stehen. Denken Sie sich noch ein paar Hütejungen dazu, die unter dem Schutz der Steine gegen den Wind ein Feuer anzuzünden bemüht sind, dessen Rauchflocken an dem zweiten, entfernten Grabe vorüberhuschen, so kann es an Stimmung nicht fehlen. Wollen Sie das nicht einmal versuchen?“
„Es würde mir schwerlich gelingen,“ antwortete die Dame – eine noch sehr junge Dame, wie er sich jetzt überzeugte – nach kurzem Bedenken leise und zögernd. „Ich zeichne eben nur die Umrisse und sehe sie deshalb gern möglichst bestimmt.“
„Ich sage auch nicht, daß man die Skizze in der Abenddämmerung aufnehmen sollte,“ entgegnete er. „Was der Maler da hinzudichtet, muß er der Natur zu günstiger Zeit ablauschen, und es ist genug, wenn sein Auge es festhält.“
„Sind Sie ein Maler?“
„Nein! aber ich habe einmal versucht, ob aus mir einer werden könne. An malerischen Anschaungen hat es mir nicht gefehlt, aber bei der Ausführung beherrschte immer zu sehr die Form die Farbe. Nach Lessing’s paradoxem Ausspruch hätte ich vielleicht ein großer Maler werden können, wenn ich ohne Hände geboren wäre.“
Sie sah ihn mit großen Augen fragend an, brachte die Anspielung in ihrem Citatenschatze glücklich unter, nickte verständnisvoll und senkte erröthend die Augen. Eine Antwort gab sie nicht, vielleicht um anzudeuten daß sie eine Fortsetzung des Gesprächs, so sehr es sie auch zu fesseln anfing, nicht wünschte.
Harder hatte, halb seitwärts, halb hinter ihr stehend, an der runden Schulter vorbei auf das Blatt geschielt, aber nur die schärfsten Linien erhascht. „Ist’s erlaubt, einmal die Zeichnung zu betrachten?“ fragte er nun, an die Stelle gebannt.
Sie legte den Arm darüber. „Ach – es ist noch nichts fertig.“
„Eben weil noch nichts fertig ist. Ich kann Ihnen vielleicht mit einem guten Rathe dienen, der später jedenfalls zu spät käme.“
„Mein Herr…“
Er trat einen Schritt näher, beugte sich und zog ihr sanft die kleine Mappe unter dem Arm hervor. Sie war nicht bemüht, dieselbe festzuhalten, nahm aber ihren Hut aus dem Haidekraut auf und erhob sich von ihrem Steinsitze. Ihr Blick konnte sagen wollen: ist der aber ein dreister Mensch! Und doch wurde der Unwille sehr gemildert durch die Neugierde, wie er die Zeichnung finden werde. So stand sie denn auch, den Hut mit den langen, blauen Bändern in der Hand, ganz still neben dem Steine und beobachtete den Fremden, der sehr ernst ihr Werk musterte.
„Die Umrisse sind ganz richtig,“ sagte er nach einer Weile, „und doch glaubt man einen ganz anderen Gegenstand zu sehen, als den die landschaftliche Natur bietet.“
„Nicht wahr? es sieht ganz anders aus, als in Wirklichkeit,“ fragte sie, durch sein Bedenken verträglicher gestimmt, als dies eine Schmeichelei hätte erreichen können. „Aber wie kommt das?“
„Weil Sie bei der ersten Anlage einen technischen Fehler gemacht haben – einen großen Fehler.“
„Ah – !“ Die Lippe hob sich wieder trotzig und die Hand streckte sich nach der Mappe aus. Das war doch zu ungalant.
„Sie haben die Kapurnen, auf die es Ihnen doch allein ankam, zu sehr in die Ferne gerückt,“ fuhr er fort, „und nun sehen sie fast wie waldbewachsene Berge aus, während sie in Wahrheit wenig über drei oder vier Meter Höhe haben dürften. Der Vordergrund muß verkürzt werden und das Birkengesträuch einen Behang von größeren Blättern erhalten, damit man sich ganz in der Nähe weiß. Eine menschliche Figur als Maßstab wäre sehr wünschenswert.“
„Ich sagte Ihnen ja, daß noch nichts fertig sei.“
„Ganz recht. Aber so kann auch nichts fertig werden. Wollen Sie mir einmal den Bleistift erlauben?“
Sie reichte ihn halb widerwillig hin. Er zog einige rasche Striche über das Blatt und gab ihr dasselbe mit der Mappe und dem Stifte zurück. „So etwa! Nun werden Sie sich schon zurecht finden. Zeichnen Sie nur das Haidekraut und die Glockenblumen recht bestimmt und kräftig aus! Auch das giebt das Gefühl der Nähe und des räumlich Beschränkten.“
„Ich danke Ihnen,“ sagte sie kühl und förmlich, ohne auf das Blatt zu sehen. Die dreiste Art des Fremden, dem sie sich doch nicht hatte entziehen können, verletzte sie.
Er mußte es wohl bemerken. „Ich störe nicht weiter,“ äußerte er, den Hut ziehend, ließ noch immer den Blick prüfend über die schlanke Gestalt gleiten und entfernte sich mit raschen Schritten.
Der Fußpfad war bald aufgefunden. Nach einer Weile schaute er zurück. Die junge Dame stand noch neben dem Steine und schien nun das Blatt aufmerksam zu betrachten. Dann wandte sie sich, vielleicht weil sie sein Stehenbleiben bemerkte. Als er nach weiteren hundert Schritten nochmals zurückschaute, ging sie dem Dorfe zu.
Es that ihm nun leid, daß er sie verscheucht hatte; er wunderte sich über sich selbst, daß er nicht an ihr vorübergegangen war. „Ein recht feines Gesichtchen,“ kritisirte er, „und sehr merkwürdige dunkelblaue Augen – ich möchte keinem rathen, zu tief hineinzusehen. So viel frisches Leben neben den uralten Grabstätten – der Gegenstand ist anziehend.“
Mit solchen Gedanken beschäftigt, lenkte er in einen Seitenausläufer der Schlucht ein, kletterte bis zu dem Steingerölle hinunter, das sich am Bache hin im Grunde aufgeschichtet hatte, gewann den Seestrand und kehrte an denselben bis zu den Badebuden von Rauschen zurück. Nachdem er sich durch ein Bad erquickt hatte, wanderte er über die Haide dem Dorfe und seinem Gasthause zu, dort die Visitenstunde abzuwarten.
Als im Jahre 1833 das englische Parlament die Sclaverei in allen Colonien Großbritanniens aufhob, als auch Frankreich gegen dieselbe auftrat, da wurde dem Menschenhandel in Westafrika bald ein Ziel gesteckt. Nur an den oft erwähnten Küstenstrecken der Guineabucht hielt er sich noch längere Zeit, da die zerrissenen Gestade dort den kreuzenden Kriegsschiffen die Ueberwachung erschwerten und die Flußmündungen, sowie die vielen kleinen, längs der Küste gelegenen Inseln den leichten Schiffen der Sclavenhändler Zufluchtsorte und Verstecke gewährten. Nachdem aber durch die energischen Verfolgungen auch hier dem Unwesen Einhalt gethan worden war, mußten die Kaufleute, sollte der Handel nicht vollständig in’s Stocken gerathen, daran denken, ihre Aufmerksamkeit auf den Export solcher Rohproducte jener Länder zu richten, welche Ersatz bieten konnten für den Verlust,
[63] den die Aufhebung des Sclavenhandels ihnen verursacht hatte, und ein solches Rohproduct, dessen Export in größerem Maße höchst gewinnbringend erschien, ja welches bald durch die Fortschritte der Industrie eines der wichtigsten Handelsobjecte wurde, fanden sie in dem Palmöle.
Dichte Urwaldung bedeckte in größter Gleichmäßigkeit und Einförmigkeit den Küstensaum des westlichen Afrikas, Gebirge und Tiefland, nur an wenigen höheren Uferstellen durch freieres Terrain unterbrochen, häufig aber von kleineren Flüssen durchzogen und von mächtigen, an den Mündungen oft meilenbreiten Strömen durchschnitten, welche ihre schlammigen Wasser reißend schnell dem Meere zuführen. Diese Urwaldung zeigt namentlich in den Flußniederungen, wo Sonne und Feuchtigkeit ihre kraftvollen Wirkungen entwickeln und die höchste Mannigfaltigkeit organischer Natur schaffen und erhalten, eine Ueppigkeit und Pracht, wie sie nur den Tropen eigenthümlich ist. Ihren Baumbestand bilden im Wesentlichsten die Oelpalme (Elaeis guineensis) und die Weinpalme (Raphia vinifera). Die letztere ist in den sumpfigen Niederungen vorherrschend. Wo in dem Delta der Flüsse das Schwemmland, die Ablagerung der mitgespülten Schlammmassen, sich über das Niveau des Wasserspiegels erhebt und nicht mehr bei der Fluth von den brackigen Wellen überspült wird, ersetzt die Weinpalme, vereint mit dem stachligen Pandanus, die in den niedrigsten Theilen der Mündungsländer ausschließlich herrschenden Mangrove. Je höher das Land ansteigt, je trockener der Boden wird, umsomehr verschwindet allmählich die Raphia und macht ihrer Verwandten, der Oelpalme, Platz. In einer Höhe von dreihundert Metern über dem Meere verschwindet sie vollständig. Die Oelpalme dagegen bedeckt die höchsten Gebirge: auf dem gewaltigen Pik des Camerun wächst sie noch, wenn auch nicht mehr in gleicher Ueppigkeit, in dreitausend Metern Meereshöhe.
Unter beiden Palmen hat man sich nicht schlanke Bäume vorzustellen, wie die bei uns bekannteren Cocos- oder Fächerpalmen, welche auf hohem Stamme die majestätische Laubkrone tragen; sie bleiben bescheidener, niedriger, fast buschartig, erscheinen aber dennoch imposant, und der Reisende, der zum ersten Male in solche Waldung tritt, wird bezaubert durch die Fülle und Dichtigkeit des Laubdaches, das diese Bäume über ihn spannen. Wenige Fuß über dem Boden trennen sich die Blattstiele von dem rauhen, faserigen Stamme, streben schräg in die Höhe und neigen sich mit ihren Spitzen in weitem Bogen, ihre langen Fiedern wagerecht ausbreitend. Der Stamm erreicht im Allgemeinen kaum vier Meter Höhe, die Blattstiele aber haben eine Länge von sieben bis zehn Metern. Die Blüthe bildet eine Rispe oder Traube, welche am kurzen Stiele zwischen den Abzweigungen der untersten Blattstiele am Stamme hängt.
Beide Bäume sind von der größten Wichtigkeit für die Eingeborenen. Sie liefern ihnen das Material zum Bau ihrer Hütten, Bast zum Flechten von Stricken, zum Anfertigen der Fischnetze. Von der Weinpalme wird auch das bekannte Getränk, der Palmwein, gewonnen, das beliebteste Genußmittel jener Länder, wo es nicht durch den importirten Rum und Branntwein verdrängt ist und nur den Weibern und Kindern als Anregungsmittel ihrer Nerven übrig blieb. Die Oelpalme aber ist der bedeutungsvolle Baum, welcher jenes wichtige Handelsproduct, das Palmöl, liefert: sie ist der Träger des westafrikanischen Handels.
Die Zubereitung des rohen Palmöles für den Handel erfordert nicht besondere Mühe. Die Palmfrüchte, welche von rundlicher Form und der Größe einer Wallnuß sind und einen großen, von dem öligen Fleische umgebenen Kern haben, sitzen, zu einer Traube vereinigt, am Stamme, in geringer Höhe, sodaß man sie in den meisten Fällen vom Boden aus erreichen kann. Sobald sie vollständig reif sind, werden sie mit Buschmessern abgeschlagen, die gesammelten in ein Gefäß aus Thon oder in eiserne Kessel geworfen, welche die Europäer zu diesem Zwecke einführen, und vermittelst hölzerner Stempel zerstampft. Sodann vermischt man den Brei mit Wasser, [64] bringt ihn über langsames Feuer und kocht unter beständigem Rühren die Flüssigkeit, wodurch das Oel abgesondert und die Kerne und Fasern des Fleisches ausgeschieden werden, welche letztere man mit Schöpfern aus grobem Geflechte entfernt. Die nunmehr klare Flüssigkeit läßt man erkalten und füllt das Oel, nachdem das Wasser sich abgesetzt hat, in thönerne Kalebassen oder hohle Kürbisse, in welchen es zum Verkaufe gebracht wird. In solchem Zustande gebrauchen es auch die Eingeborenen und ebenso die Weißen dort als Nahrungsmittel. Die Neger bereiten alle Speisen mit dem Palmöle zu. Es hat frisch einen sehr angenehmen Geschmack, und jeder Europäer, der Palmölsuppe mit „Fufu“ (aus der Yamswurzel bereitete Klöße) oder Fische mit Palmölsauce in Afrika genossen, wird diese Gerichte sicher als Delicatessen würdigen gelernt haben.
Die ungeheuren Mengen des Palmöles, welche man gegenwärtig von Afrika ausführt, um sie hier zu Seifen und Maschinenschmiere zu verarbeiten, decken kaum den großen Bedarf. Vornehmlich wird das Oel von den Flußniederungen der Guineabucht exportirt, da das dort gewonnene an Qualität das vorzüglichste ist, weshalb auch die obenerwähnten Flüsse bei den Kaufleuten allgemein den Namen „Oelflüsse“ (oil-rivers) führen. Von diesen ist wieder der Neu-Kalabar der berühmteste.
Für die Tonne Palmöl werden in Afrika Waaren im Werthe bis zu zweihundert Mark bezahlt. Wenn man erwägt, daß dieselbe Menge in Europa sechshundert bis achthundert Mark kostet, daß außerdem die als Tauschartikel verwendetet Waaren im Verhältnisse zum Einkaufspreise sehr hoch berechnet sind, oft mehrere hundert Procent eintragen, so leuchtet ein, daß der Palmölhandel, trotz der damit verbundenen bedeutenden Unkosten, welche die Erhaltung der Stationen und die lange Seereise verursachen, sehr gewinnbringend ist. Vorzugsweise sind die Handelsunternehmungen in Westafrika in Händen englischer Kaufleute, doch trifft man die Schiffe aller Nationen an jenen Küsten. Auch Deutschland wird an verschiedenen Punkten vertreten, und in dieser Beziehung ist namentlich das große Hamburger Haus „C. Wörmann“ rühmlichst zu erwähnen, welches gegenwärtig über die ganze Küste, vom Senegal bis zum Cap Lopez, seine Factoreien und Stationen ausgedehnt hat und sogar an mehreren Stellen, am Camerun und Gabun, die Concurrenz anderer Nationen siegreich überwunden und den ersten Rang unter den dortigen Handeltreibenden errungen hat. Ein Agent dieses Hauses am Gabun, Herr C. Wölber, ist neuerdings zum Consul des deutschen Reiches für jene Gegenden ernannt worden.
Obwohl bei den friedlichen Verkehre, der aus der gegenwärtigen Art und Weise des Handelns hervorgeht, die Europäer Gewaltthätigkeiten der Neger in jenen Districten nicht mehr zu befürchten haben, ist doch die alte Gewohnheit, auf Schiffen zu wohnen und nicht am Lande Factoreien zu errichten, in den mehrfach erwähnten Flußniederungen wenigstens allgemein, beibehalten. Nur ausnahmsweise findet man Stationen am Lande, welche dann kleine Filiale der schwimmenden Hauptdepots sind. Einmal herrscht die Ansicht bei den Kaufleuten, daß das Wohnen auf dem Flusse, über dem Wasser, für den Weißen gesünder sei als am Lande, weil man mehr den günstigen Einfluß der frischen Seebrise genießt, welche mit großer Regelmäßigkeit alle Nachmittage in die Flußniederungen hineinweht, andererseits aber können am Lande Belästigungen der Schwarzen niemals gänzlich vermieden werden, weil die Besitzungen beständig den unvermeidlichen Diebereien derselben ausgesetzt sind, besonders aber durch die Streitigkeiten der Neger unter einander, welche nur zu häufig in offene Fehde ausarten, gefährdet werden.
Man unterscheidet zwei Arten der schwimmenden Depots. Theils werden hierzu noch seetüchtige Schiffe benutzt, welche man, wie früher von den Sclavenhändlern geschah, nur so lange an den gewählten Orten verankert, bis die genügende Menge Oel und Elfenbein gekauft worden ist und das Schiff seine volle Ladung erhalten hat, die es nun sogleich, abgelöst in der Regel durch ein neu ankommendes Schiff des betreffenden Kaufmannshauses, über den Ocean dem heimathlichen Handel und der Industrie zuführt. Während der Zeit des Stationirtseins nimmt man das Takelwerk von den Masten, um der Gewalt der häufigen, mit grausigem Toben heranbrausenden Tornados weniger ausgesetzt zu sein, und versieht das Deck, zum Schutze gegen die glühenden Sonnenstrahlen, mit einem leichten Mattendache. Häufiger aber benutzen die Kaufleute als Depots alte, zum Seegebrauch nicht mehr geeignnete, aber möglichst geräumige Schiffe, die man dauernd an ihrem Bestimmungsorte verankert oder, wie es von den Seeleuten genannt wird, vermauert. Ihre Takelage wird vollständig entfernt; die Masten werden abgeschnitten oder wenigstens gestutzt, sodaß nur der Schiffsrumpf übrig bleibt, daher diese Depots auch von den Engländern „hulks“ genannt werden. Das Deck versieht man hier in der Regel mit einem dauerhafteren Dache aus Zinkblech und richtet die Cajüte zu einer möglichst wohnlichen Behausung ein.
Die Colonien solcher schwimmenden Factoreien bestehen aus etwa zehn bis fünfzehn Schiffen, die ebenso viele Kaufmannshäuser repräsentiren und den verschiedensten Nationen angehören. Die Verkehrssprache bildet an diesen Orten, welche nicht Besitzungen einer bestimmten Nation sind, die englische, welche ja überhaupt auf der See die herrschende ist und ihrer Einfachheit und Leichtigkeit wegen vor anderen sich zur Weltsprache eignet. Auch mit den Eingeborenen verkehren die Kaufleute nicht in deren Sprache, sondern in der englischen. Die Neger lernen Sprachen außerordentlich schnell und sind sehr gewandt, mit einem oft höchst geringen Vocabelschatze sich verständlich zu machen, ja sogar fließend und anhaltend zu reden. Freilich läßt die Aussprache, worin sie ja nur dem Gehöre folgen, immer viel zu wünschen übrig. Ein Engländer, der nicht die betreffenden Erfahrungen gemacht hat, wird gewiß seine Muttersprache im Munde eines Schwarzen nicht wieder erkennen – natürlich sind die in den Missionsschulen erzogenen Neger hiervon auszunehmen – und auch in die eigenthümlichen Satzbildungen kann der Europäer sich anfänglich schwer hineinfinden, da die Schwarzen ihre eigene Ausdrucksweise nur in englische Worte übertragen.
Nächst dem Oele ist das Elfenbein der wichtigste Handelsartikel an jenen Küsten, wozu an einzelnen Orten noch Rothholz und Gummi-Elasticum tritt. Letzteres, ein sehr werthvolles und gewinnbringendes Product, ist das Erzeugniß einer großen Waldliane, der erhärtete Milchsaft der Landolphia florida sowie einiger Verwandten dieser Schlingpflanze. Die Elfenbeinausfuhr ist gegenwärtig noch sehr bedeutend. Trotz der Verfolgungen, welchen die Elephanten überall ausgesetzt sind, findet man sie vielfach, auch in der Nähe der Küste noch ungemein häufig, und daß viele ein sehr hohes Alter erreichen, bevor sie dem Erzfeinde der Thiere, dem Menschen, zum Opfer fallen, beweisen die großen schweren Zähne, welche in den Handel gelangen. Solche von fünfzig bis sechszig Kilogramm kommen nicht selten vor; man erhält sie sogar von siebenzig bis achtzig Kilo Gewicht. Ein Elephant, der ein Paar solcher gewaltigen Hauer in seinen Kiefern tragen kann, muß ein mächtiger Bursche sein, dessen Alter man auf weit über hundert Jahre anzunehmen hat.
Auf unserem Holzschnitte, einer Originalskizze des Malers Klingelhöfer, der mehrere Jahre die Westküste Afrikas bereiste, um landschaftliche Studien zu machen, sieht man einige Elfenbeinhändler, welche soeben nach langem Marsche aus dem Innern angekommen sind, um einen großen Elephantenzahn zu verhandeln. Wie der Neger zu allen Dingen sehr viel Zeit gebraucht, so währt auch der Elfenbeinhandel oft stundenlang, um schließlich doch zu keinem Ergebnisse zu führen. Der Zahn wird häufig wiederholentlich von verschiedenen Leuten dem Kaufmanne präsentirt, indem die Neger, welche beim Handel mit großer Raffinerie verfahren, den letzteren zu täuschen meinen und bei dem mehrfachen Anerbieten derselben Waare doch einmal einen höheren Preis zu erzielen hoffen.
Wenngleich es eine verlockende Aussicht ist, innerhalb acht bis zwölf Jahren ein nicht unbedeutendes Vermögen sich zu erwerben, was die in Afrika thätigen Kaufleute mit Sicherheit erwarten dürfen, so ist doch das Loos der Europäer, die, angezogen von dem ihnen winkenden Gewinne, nach jenen dem Weißen feindlichen Ländern ziehen, ein nicht beneidenswerthes. Wenn auch ein Stationsvorsteher, umgeben von möglichstem Comfort, wie ein Fürst in seiner Factorei, auf seinem Schiffe lebt und gebietet, wenn er auch eine große Zahl als Diener fungirender Neger zur Verfügung hat, die stets seines Winkes gewärtig stehen, Bedienungen, wie sie in Europa gar nicht möglich sind und welche von den nach langjähriger Abwesenheit Zurückkehrenden hier häufig sehr vermißt werden, wenn er auch frei und unabhängig, nur auf [65] sich allein angewiesen dasteht und thun und lassen kann, was ihm beliebt, so entbehrt er dafür doch der meisten Annehmlichkeiten und Genüsse, welche das Leben in civilisirten Ländern bietet, vor Allem der Zerstreuungen durch gesellschaftlichen Verkehr. In den meisten Fällen ist das Verhältniß der wenigen auf einander angewiesenen Weißen in den Colonien nicht einmal ein freundschaftliches. Der Handel, der Verkehr mit den Schwarzen besteht jahraus jahrein in einem langweiligen Einerlei. Nur die Streitigkeiten und Kriege der Neger, bei welchen die Weißen in der Regel Partei ergreifen oder als Vermittler auftreten, bieten einige Abwechselung in der einförmigen Lebensweise. Das freudigste Ereigniß aber bildet das allmonatliche, an einzelnen Punkten häufigere Erscheinen der englischen Postdampfer. Ist der „Steamer“ zu erwarten, so steht jeder Kaufmann auf dem Decke seines Schiffes, das mächtige Fernrohr vor dem Auge. Wehe dem Neger, der jetzt mit einer Kalebasse Oel den Beobachter zu stören versucht, eine reiche Auswahl wenig schmeichelhafter Bezeichnungen ist das Geringste, was er nebst seinem Oele wieder mit sich fortnimmt, denn der Kaufmann ist nicht gewöhnt, sich stören zu lassen, am wenigsten in so wichtigen Augenblicken. Bewegungslos steht er und späht in die Ferne, bis ein Wölkchen am Horizonte das Nahen des Ersehnten anzeigt, worauf sogleich zur Begrüßung die Flagge an den Tag geht. Nach kurzer Zeit schallt ein Böllerschuß über das Wasser; der schöne, große Dampfer liegt zwischen den Hulks. Auf allen Schiffen werden die Boote klar gemacht; acht bis vierzehn Kruneger (Eingeborene von Cap Palmas, welche die zur Arbeit brauchbarsten Neger sind und allgemein in Westafrika von den Kaufleuten in Dienst genommen werden) besetzen, häufig in gleiche Uniform gekleidet, die Ruderbänke. Am Steuer wird ein Leopardenfell oder ein Teppich über den Sitz gebreitet, auf welchem der Besitzer der Hulk Platz nimmt, in eleganter Kleidung, den Strohhut mit einem weißen Tuche umwunden, dessen Zipfel über den Nacken herabhängen, den aufgespannten Sonnenschirm in der Hand, den unvermeidlichen, der auch bei bewölktem Himmel nicht fehlen darf und mehr ein Zeichen der Würde als ein Schutzmittel ist.
Von allen Seiten fahren die Kaufleute herbei. Die Briefe werden in Empfang genommen, Ladungen geholt und abgegeben und ein paar Stunden mit den Officieren des Dampfers und den ankommenden oder heimfahrenden Passagieren verplaudert, bis der Böllerschuß die Abfahrt verkündet. Bald ist der Rauch wieder hinter dem Horizonte verschwunden; die Colonie liegt in ihrer früheren Einsamkeit da.
Die Entbehrung geselliger Unterhaltung, mancher Zerstreuungen und Genüsse würden indessen den Aufenthalt in jenen Ländern nicht in so trübem Lichte erscheinen lassen. Es würde nicht zu hoch sein, zehn Jahre voll Entbehrungen gegen ein später sorgenfreies Leben einzusetzen. Das Schlimmste, was den Europäer in Westafrika bedroht, ist das Klima.
In den Flußniederungen ist das Klima als ein mörderisches für den Weißen zu bezeichnen, und es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, der dorthin reisende Europäer träte mit einem Fuße in sein Grab. Die Meisten werden innerhalb der ersten drei Jahre ihrer Anwesenheit hingerafft. Wer diese erste Zeit überstanden, hat Aussicht, länger den verderblichen Einflüssen des Klimas zu trotzen. Acclimatisiren aber kann sich der Europäer dort niemals; noch nach zehnjähriger und längerer Anwesenheit ist er dem Fieber ebenso ausgesetzt wie der neue Ankömmling, und mancher Kaufmann, der sich nach langer Abwesenheit zur Rückkehr in die Heimath rüstete, um die Früchte seiner Arbeit zu genießen, ist noch in der letzten Frist der schleichenden Krankheit erlegen. Fieber, Dysenterie und Leberabscesse sind die Krankheitserscheinungen, denen die Weißen ausgesetzt sind, denen so viele unterliegen. Man berechnete früher, daß von allen Angekommenen nach drei Jahren der dritte Theil todt sei. Das Beibehalten der in der Heimath gewohnten Lebensweise, das jetzt durch Conserven ermöglicht werden kann, sowie Erfahrungen in Behandlung der Krankheiten haben dieses Verhältniß gegenwärtig günstiger gestaltet. Dennoch sind die Opfer zahlreich. Die Engländer sagen mit Recht, daß für ihre westafrikanischen Colonien immer zwei Gouverneure unterwegs seien, der eine, den man todt zurückbringe, der andere, der hinausgehe, um dessen Stelle einzunehmen.
Mehrfach wurde in neuerer Zeit der Gedanke ausgesprochen, dem Kulihandel die Richtung nach Westafrika zu geben. Menschen, welche, wie die Chinesen, an ein ähnliches Klima gewöhnt sind und nicht, wie die Europäer, oder wenigstens in viel geringerem Grade als diese unter den Einflüssen desselben zu leiden hätten, würden bei ausdauernder Arbeitsamkeit in jenen Breiten, die sich für Kaffee-, Cacao-, Reis-Pflanzungen etc. so außerordentlich günstig zeigen, in kurzer Frist die blühendsten Colonien schaffen können. Die Besetzung der westafrikanischen Küsten mit chinesischen Colonisten würde unzweifelhaft auch für den europäischen Handel von der höchsten Bedeutung werden.
Am 6. October, dem Tage nach unserem Eintreffen in Versailles, äußerte Keudell gegen mich, drei Wochen könne unser Aufenthalt hier wohl dauern, und diese Meinung kam mir ganz glaubwürdig vor; denn man war durch den bisherigen Verlauf des Krieges an rasche Erfolge gewöhnt. Wir blieben aber, wie man weiß und wie der Minister geahnt haben muß, da er sich schon am 7. seinen Pelz von Berlin schicken ließ, fünf ganze Monate, und da sich überdies in dem Hause, wo unser Quartier war, wie ebenfalls bekannt, sehr wichtige Dinge abspielten, so wird eine ausführliche Beschreibung unserer Wohnung vermuthlich willkommen sein.
Das Haus, welches der Bundeskanzler bewohnte, gehörte einer Madame Jeffé, der Wittwe eines wohlhabenden Tuchfabrikanten, die mit ihren beiden Söhnen kurz vor unserer Ankunft nach der Picardie geflüchtet war und zu Hütern ihres Eigenthums nur ihren Gärtner und dessen Frau zurückgelassen hatte. Es steht auf der Rue de Provence, welche die Avenue de St. Cloud kurz vor ihrem oberen Ende mit dem tiefer gelegenen Boulevard de la Reine verbindet, und trägt die Nummer 14. Die Straße gehört zu den stilleren von Versailles und nur ein Theil derselben zeigt dicht neben einander stehende Häuser. Die Lücken zwischen den übrigen sind Gärten, die von der Straße durch Mauern geschieden sind, über welche hier und da Baumwipfel schauen. Auch unser Haus, wenn man von der Avenue kommt, rechts gelegen, liegt zu beiden Seiten frei. Es tritt einige Schritte von der Straße zurück, über der sich vor ihm eine kleine Terrasse erhebt, welche mit der das Ganze abschließenden Mauer endigt. Die Einfahrt durch die letztere, ein eisernes Gitterthor, neben dem eine kleine Pforte sich öffnet und an der in den letzten Monaten eine schwarz-weiß-rothe Fahne wehte, befindet sich links. Auf der Rechten überragt eine stattliche Edeltanne das Gebäude. Letzteres ist eine Villa, die gelblich getüncht ist und in der Front fünf Fenster hat, welche mit weißen Jalousien versehen sind. Auf das hohe Parterre folgt ein zweites Geschoß, dann ein Kniestock mit Mansardenfenstern, wie das abgeplattete Dach mit Schiefer gedeckt.
Vom Hofe hinter dem Eingange zu dem Grundstücke steigt man auf einer steinernen Freitreppe nach der Hauptthür des Hauses hinauf, durch die man auf einen Vorsaal gelangt, auf welchen rechts die große Treppe, links die Thür zu einer kleinen Hinterstiege, sowie zwei hohe Flügelthüren münden. Letztere führen in ein mäßig großes auf den Garten hinaussehendes Zimmer, welches für uns zum Speisesaal eingerichtet wurde. Eine dritte Flügelthür, dem Eingang gegenüber, geht in den Salon, eine vierte, rechts von jener, in das Billardzimmer, aus dem man in einen langen, von Glas und Eisen construirten und mit allerlei Pflanzen und Bäumen, sowie mit einem kleinen Springbrunnen geschmückten Wintergarten tritt, während sich an [66] der Wand gegenüber eine Thür nach einer kleinen Stube öffnet, welche die Bibliothek des seligen Herrn Jeffé enthält. Unter der Haupttreppe hin gelangt man durch einen Gang in die nach der Terrasse zu gelegene Küche.
Im Salon befanden sich ein Pianino, Polsterstühle und zwei Spiegel. Auf dem Tischchen vor dem einen stand eine altmodische Stutzuhr, auf der ein dämonartiges Bronzebildchen mit großen Flügeln, welches sich in den Daumen biß – vielleicht ein Conterfei des Hausgeistes der Madame Jeffé, die sich später als ein nichts weniger als liebenswürdiges Frauenzimmer erwies – grinsend den Verhandlungen zusah, die zu den Verträgen mit den süddeutschen Staaten, zur Proclamirung des deutschen Kaisers und Reiches und später zur Uebergabe von Paris und zur Feststellung der Friedenspräliminarien führten, Verträgen, die sämmtlich in diesem Salon unterzeichnet wurden. Ein weltgeschichtliches Zimmer also. Auf dem andern Spiegeltischchen lag am Tage nach unserm Einzuge eine Karte von Frankreich, auf der die Fortschritte der französischen Armee durch eingesteckte Nadeln mit bunten Köpfen bezeichnet waren. „Vermuthlich von Madame,“ sagte der Minister, als ich mir’s betrachtete. „Aber sehen Sie, blos bis Wörth.“ Das Billardzimmer wurde zum Bureau für die Räthe, den Secretär und die Chiffreurs eingerichtet. Ein Theil des Wintergartens nahm, als im Januar starker Frost eintrat, das Commando auf, welches die Wachtposten vor dem Eingange stellte und zuerst aus Linieninfanterie, dann aus grünen Jägern bestand. In der Bibliothek machten sich’s Ordonnanzen, Kanzleidiener, hin und wieder ein dickbäuchiger lederner Depeschensack, der auch Nichtofficielles, z. B. unsere Winterkleider, zu befördern die Gefälligkeit hatte, und einige Tage lang ein großer Haufen französischer Briefe bequem, welcher die Fracht eines von unseren Soldaten aufgefangenen Luftballons gebildet hatte.
Geht man die Haupttreppe hinauf, so gelangt man zunächst wieder auf einen Vorsaal, der durch eine viereckige Oeffnung in seiner Decke und ein über derselben im Dache angebrachtes flaches Fenster eine Art Halblicht erhält. Zwei Thüren führen von hier in die Zimmer, welche der Minister inne hatte, zwei Stübchen, von denen keines tiefer als neun und breiter als sechs Schritte ist. Das eine, dessen Fenster die rechte Seite der Gartenfront des Hauses einnehmen, bildete sein Arbeitszimmer und zugleich sein Schlafgemach und war nur nothdürftig möblirt. Rechts an der Wand, der Thür gegenüber, stand sein Bett und weiterhin, in einer Art Nische oder Alkoven, ein Waschapparat. An der nächsten Wand befand sich eine Mahagonykommode mit messingenen Griffen zum Ausziehen der Schubladen, aus der sich in den letzten Monaten die Cigarrenkisten aufschichteten, welche Bremer Wohlthäter ihm gesandt hatten. Die Vorhänge vor den Fenstern waren von dunkelgrundigem geblümtem Wollenstoff. An der vierten Wand öffnete sich der Kamin. Ein Sopha, welches bisweilen vor das Feuer in letzterem gerückt wurde, ein Tisch in der Mitte der Stube, an dem der Minister, den Rücken den Fenstern zugekehrt, arbeitete und auf dem Landkarten nicht fehlten, endlich einige Stühle vervollständigten die, wie man sieht, überaus einfache Ausstattung des Gemaches.
Das andere Stübchen, welches etwas besser, aber keineswegs luxuriös möblirt war, sollte nächst dem Salon im Erdgeschosse zum Empfang Fremder dienen. Es war, wenn ich mich recht entsinne, die Stube des älteren Sohnes der Hausbesitzerin gewesen, und während der Verhandlungen über die Capitulation von Paris widmete man es Jules Favre zu seinen Meditationen und seiner Correspondenz. Es hat nur ein Fenster, welches auf die Seite neben dem Hause, wo die Tanne steht, hinausgeht, und an dem sich Vorhänge von grünem Wollenstoff befinden. Die Tapete ist grau in Grau gefärbt. Die Möbel bestehen in einem Secretär, aus dem zwei Globen und ein Tellurium stehn, einer großen Kommode mit Marmorplatte, einem Sopha, mit baumwollenem Stoff überzogen, der auf rothem Grunde graue und schwarze Paradiesvögel und Zweige zeigt, einem großen und einem kleinen grünbekleideten Lehnstuhle, ein paar Rohrstühlen, einem runden Tische, der in der Mitte steht und auf welchem Schreibmaterialien liegen, endlich einem kleinen Spiegel über dem Kamin. Alle Möbel sind von Mahagony. Vor dem Sopha breitet sich ein kleiner grüner Teppich mit rothen Arabesken aus. Auf dem Kaminsimse befindet sich eine altmodische Uhr mit kriegerischen Emblemen, zwei Obelisken mit brennenden Granaten, Kugeln an Ketten, Trophäen und einem das Schwert zückenden Krieger in römischer Tracht. Ueber der Uhr stehen zwei kleine blaue Vasen mit goldenen Streifen. Die Wände sind mit allerlei Bildern behangen, einem Oelgemälde in ovalem Goldrahmen, das eine hübsche junge Frau in einen schwarzen Kleide, einem andern, das einen Herrn in der Tracht der zwanziger Jahre darstellt, einem Stahlstich nach Raphael’s Madonna delle Sedie, einer Photographie, darauf ein alter Herr und eine alte Dame, einer Landschaft, endlich einer Lithographie, deren Inschrift besagt, daß Gustav Jeffé an der und der Kirche, an dem und dem Tage im Juni 1860 zum ersten Male zur Communion gegangen. Gustav ist der älteste Sohn des Hauses, die Dame in Schwarz vermuthlich dessen Mama in ihren besseren Jahren, das andere Portrait scheint der Großpapa Gustav’s zu sein.
In dem Zimmer, dessen Thür sich links von der zur Stube des Kanzlers führenden öffnet, wohnte Graf Bismarck-Bohlen, ebenfalls nach dem Parke und Garten hinaus, ihm gegenüber, mit Aussicht auf die Straße, Abeken. Neben der Hintertreppe hatte Secretär Bölfing ein Stübchen inne, während ich in der zweiten Etage über Bohlen’s Zimmer untergebracht war. Ich hatte hier ein gutes Bett, zwei Stühle, einen für mich, den andern für etwaigen Besuch, eine geräumige Kommode und einen Tisch, an dem sich’s ganz behaglich arbeitete, obwohl er von keinem Tischler geschaffen, sondern von unserem Tausendkünstler Theiß improvisirt worden war und eigentlich nur aus zwei Böcken bestand, aus denen ein ausgehobener Fensterladen ruhte. Für den Kunstfreund in mir hatte Herr Jeffé senior, nach Bericht der Gärtnersfrau ein leidenschaftlicher Maler und Zeichner, durch einige seiner artistischen Leistungen gesorgt, die unter Glas und Rahmen an den Wänden hingen. Der Naturfreund fand in dem erst herbstlichen, dann in Winterschnee und silbernem Reif prangenden Park recht artige Befriedigung seiner Wünsche. Gegen den Hauskobold, den Alp und andere nächtliche Ungethüme schützte der geweihte Buchsbaumzweig, der an der Wand hinter meinem Bette befestigt war.
Der Park hinter dem Hause ist nicht groß, aber recht hübsch mit seinen Schlangenwegen, die unter alten, von Epheu und Immergrün übersponnenen Laubbäumen und zwischen dichtem Busch- und Strauchwerk hinlaufen; von der Mauer rechts her rieselt aus moosbedeckten, mit Farrenkraut und breitblätterigen Pflanzen bewachsenen Steinen ein Quell hervor, der ein Bächlein und einen kleinen Teich bildet, auf dem Enten schwimmen. Links an der Mauer ziehen sich von einer Wagenremise aus, über welcher die Gärtnersleute wohnen, eine Reihe von Obstspalieren und vor denselben theils offene, theils mit Glas bedeckte Gemüse- und Blumenbeete hin. In den Gängen des Parkes sah man in hellen Herbstnächten die hohe Gestalt und die weiße Mütze des Kanzlers aus den Büschen in den Mondschein heraustreten und langsam weiter wandeln. Ueber was sann er nach, der schlaflose Mann, welche Gedanken wälzte er in seinem Haupte, der einsame Wanderer, welche Pläne keimten oder reiften ihm in stiller Mitternachtsstunde? – Minder andächtig stimmte ein anderer Freund des Parkes, der ewig junge Musenjünger Abeken, wenn man ihn mit wenig melodischer, aber desto lauterer Stimme des Abends in dem Gesträuche Strophen griechischer Tragiker oder „Wanderers Nachtlied“ recitiren hörte, und fast komisch nahm sich’s aus, wenn der alte Jüngling am nächsten Morgen unter den dürren Blättern am Boden empfindsam nach Veilchen für die Frau Geheime Legationsräthin in Berlin suchte. Doch ziemte sich’s am Ende nicht, daß ich darüber inwendig lächelte; denn ich habe zu bekennen, daß ich, von ihm angesteckt, meiner Frau Doctorin endlich auch einige schickte und Freude damit anrichtete.
Wie man sieht, war nicht das gesammte mobile Auswärtige Amt im Hause der Madame Jeffé einquartiert. Bucher hatte eine stattliche Wohnung auf der Avenue de Paris bezogen. Keudell und die Chiffreurs waren in Häusern untergebracht, die etwas weiter oben aus der Rue de Provence stehen. Graf Hatzfeldt wohnte dem unseren schräg gegenüber. Mehrmals war übrigens davon die Rede, den Kanzler umzuquartieren und ihm ein geräumigeres und eleganter ausgestattetes Haus zur Verfügung zu stellen. Indeß unterblieb die Ausführung, vielleicht weil er selbst das Bedürfniß nach einer solchen Aenderung nicht [67] stark empfand, vielleicht auch, weil er die Stille liebte, die in der verhältnißmäßig einsamen Rue de Provence herrschte.
Diese Stille und Ruhe war jedoch am Tage nicht so idyllischer Art, wie manche Zeitungscorrespondenten sie damals schilderten. Ich denke dabei nicht an die Trommeln und Pfeifen ab- und heranziehender Bataillone, die man fast täglich auch bei uns hörte, und ebensowenig an den Lärm, den die Ausfälle verursachten, welche zweimal von den Parisern in der Richtung nach uns hin unternommen wurden, ja nicht einmal an die hitzigsten Tage des Bombardements, an die man sich gewöhnte, wie der Müller an das Klappern und Rauschen seiner Räder. Ich meine vorzüglich die vielen Besuche der mannigfaltigsten Art, die der Kanzler in diesen ereignißvollen Tagen empfing, und unter denen sich auch unvollkommene befanden. Manche Stunde glich unser Haus einem Taubenschlage; so viele Bekannte und Fremde gingen ein und aus. Von Paris aus kamen erst nichtofficielle Horcher und Postenträger, später in Favre und Thiers officielle Unterhändler, zuweilen mit mehr oder minder zahlreichen Begleitern. Aus dem Hôtel des Reservoirs erschienen Fürstlichkeiten. Wiederholt war der Kronprinz, einmal auch der König da. Auch die Kirche war unter den Besuchern durch hohe Würdenträger, Erzbischöfe und andere Prälaten vertreten. Berlin schickte Reichstagsdeputationen, Parteiführer, Banquiers; von Württemberg und Baiern stellten sich Minister zum Abschluß von Verträgen ein; die amerikanischen Generale, Mitglieder der fremden Diplomatie in Paris, darunter auch ein schwarzer Gentleman, der Vertreter Haytis, wünschten den vielbeschäftigten Staatsmann in der kleinen Stube oben zu sprechen, und daß auch die Neugier der englischen Reporters sich an ihn heranzudrängen suchte, versteht sich von selbst. Dabei Feldjäger mit gefüllten Depeschensäcken, Kanzleidiener mit Telegrammen, Ordonnanzen mit Nachrichten vom Generalstabe und über dem Allen Arbeiten hochwichtigster Art vollauf, Verdruß und Aerger, getäuschte Erwartungen, die wohlberechtigt gewesen, thörichte Urtheile der deutschen Zeitungen, Wühlereien der Ultramontanen – kurz, es war mitunter schwer zu begreifen, wie sich der Kanzler unter allen diesen Ansprüchen an seine Arbeitskraft und Geduld, unter diesen Störungen und Reibungen im Großen und Ganzen seine Gesundheit (er war in Versailles nur einmal zwei oder drei Tage unwohl) und die Frische bewahrte, die er oft noch spät am Abend in ernster und scherzender Rede an den Tag legte.
Erholung gestattete sich der Minister nur wenig. Ein Spazierritt zwischen halb drei und vier Uhr, eine Stunde bei Tische, eine halbe Stunde bei dem darauf folgenden Kaffee im Salon, dann und wann später, nach zehn Uhr Abends, beim Thee noch eine längere oder kürzere Unterhaltung mit Denen, die zu haben waren, ein paar Stunden Schlaf nach der Morgendämmerung – die ganze übrige Zeit des Tages war, wenn nicht ein Ausfall der Franzosen oder sonst eine bedeutendere militärische Action ihn an der Seite des Königs oder allein nach einem Beobachtungsposten rief, dem Studiren und Produciren auf seinem Zimmer oder Besprechungen und Unterhandlungen gewidmet.
Bei Tische sah der Kanzler ziemlich alle Tage Gäste bei sich, und man lernte auf diese Weise fast alle bekannten und berühmten Namen, die in dem Kriege hervortraten, von Angesicht zu Angesicht kennen und hörte sie sich äußern. Wiederholt aß Favre mit uns, erst zögernd, „weil seine Landsleute drinnen hungerten“, dann auf verständigen Rath und Zuspruch hörend und den vielen guten Dingen, die Küche und Keller boten, so rechtschaffen wie Andere Gerechtigkeit widerfahren lassend. Einmal nahm auch Thiers mit seinem gescheidten Gesichte an unserem Diner Theil. Ein anderes Mal erwies uns der Kronprinz die Ehre, mit uns zu speisen und sich die ihm bis dahin nicht bekannten Mitarbeiter des Kanzlers vorstellen zu lassen. Wieder ein anderes Mal war Prinz Albrecht zugegen. Von anderen Gästen und Besuchern des Ministers nenne ich noch den Präsidenten des Bundeskanzleramts, Delbrück, der mehrmals wochenlang in Versailles war, den Herzog von Ratibor, den Fürsten Putbus, von Bennigsen, Simson, von Friedenthal und von Blankenburg, die baierischen Minister Graf Bray und von Lutz, die würtembergischen von Wächter und Mittnacht, ferner den Erzbischof Ledochowski und dann den Nuntius Chigi, Odo Russell, den jetzigen englischen Gesandten beim deutschen Reiche, von Roggenbach und den Fürsten Radziwill. Die Unterhaltung war, wenn der Chef zugegen, immer lebhaft und mannigfaltig, oft lehrreich. Die materiellen Genüsse lieferte zum Theil die Heimath in Gestalt von Liebesgaben, die in fester und flüssiger Gestalt zuweilen in Ueberfülle einliefen, sodaß die Speisekammer sie kaum faßte. Zu den edelsten gehörten eine Sendung Flaschen vom besten Pfälzerwein (wenn ich mich recht erinnere, Deidesheimer Kirchenstück und Forster Hofstück, die Jordan – oder war’s Buhl? – gespendet) und eine riesige Forellenpastete von Friedrich Schulze, dem Wirthe des Leipziger Gartens in Berlin, dessen patriotischer Wohlthätigkeitssinn uns zugleich reichlich mit vortrefflichem Biere versorgte. Zu den rührendsten zähle ich ein Gericht Champignons, welche Soldaten in einer Höhle ober einem Keller gefunden und dem Kanzler gewidmet hatten. Werthvoller noch und poetischer war ein Strauß Rosen, welchen andere Soldaten im feindlichen Feuer gepflückt.
Bedient wurden wir in der Hauptsache von unsern Kanzleidienern. Was weiblichen Händen überlassen werden mußte, wurde von einer gemieteten Aufwärterin und der Gärtnersfrau besorgt. Letztere erwies sich als eine feuerige französische Patriotin, welche die „Prussiens“ von Herzen haßte und Paris auch dann noch für uneinehmbar hielt, als Favre bereits die Capitulation unterschrieben hatte. Bazaine, Favre, Thiers waren ihr „Verräther“; vom Exkaiser sprach sie nur als von einem „cochon“, welches man, wenn es sich wieder in Frankreich betreffen ließe, auf das Schaffot schicken werde. Dazu blitzten die schwarzen Augen der kleinen, mageren, hektischen Frau so [68] schrecklich und grausam, daß man sich von Rechts wegen hätte fürchten sollen.
Madame Jeffé ließ sich erst in den letzten Tagen vor unserer Abreise sehen und machte, wie bemerkt, keinen vorteilhaften Eindruck. Sie hat dann allerhand Räubergeschichten über uns verbreitet, die von der französischen Presse mit Wohlgefallen nacherzählt wurden. Unter Anderem sollten wir ihr Silberzeug und ihre Tischwäsche eingepackt und mitgenommen haben. Auch habe ihr Graf Bismarck eine werthvolle Pendule entführen wollen. Die erste Behauptung war eine einfache Abgeschmacktheit, da das Haus kein Silberzeug enthielt; es müßte sich denn in einer vermauerter Ecke des Kellers befunden haben, die auf ausdrücklichen Befehl des Chefs ungeöffnet blieb. Die Geschichte von der Pendule aber verlief in ganz anderer Weise, als Madame sie unter die Leute gebracht hat. Die Uhr war die mit dem kleinen bronzenen Dämon im Salon. Die Jeffé bot dieses an sich ziemlich werthlose Möbel dem Kanzler in der Voraussetzung, das Teufelchen daran werde ihm als Zeuge wichtiger Vorgänge von Werth sein, zu einem exorbitanten Preise an. Ich glaube, sie verlangte fünftausend Franken dafür. Sie erreichte aber ihre Absicht, damit ein gutes Geschäft zu machen, nicht, da das Anerbieten der habgierigen und für die rücksichtsvolle Behandlung ihres Hauses undankbaren Frau abgelehnt wurde. „Ich erinnere mich,“ erzählte der Minister später in Berlin, „daß ich dabei die Bemerkung machte, das koboldartige Bildchen an der Uhr, welches eine Grimasse schnitt, könnte ihr als Familienportrait ein liebes Besitzthum sein, und dessen wollte ich sie nicht berauben.“
Es war im Jahre 1864, als nach langem und eintönigem Friedens- und Garnisons-Leben die Kriegstrompete erschallte, um die schleswig-holsteinischen Landeskinder vom dänischen Drucke zu befreien. In langen Reihen zogen die Regimenter aus den alten Heerstraßen nach Norden; mit Sang und Klang ging’s zum frischen fröhlichen Krieg hinaus. Der wohlbeleibte Commandeur des ersten Bataillons des damaligen fünfzehnten Infanterieregimentes in Minden hatte das Zeichen zum Rendezvous geben lassen. Die einzelnen Compagnien sammelten sich truppweise um ihren Führer, warfen das feldkriegmarschmäßige Gepäck bei Seite und gruppirten sich rechts und links zur Seite des Chausseegrabens. Die jugendlich kräftigen Gestalten, lauter Söhne der „rothen Erde“, fühlten trotz ihres frischen Muthes das Bedürfniß nach ein wenig Ruhe. Galt es ja doch augenblicklich auch nur, die blanken Waffen gegen den so beliebten Pumpernickel und westfälischen Schinken zu führen, welcher nebst obligatem „Schluck“ dem Brodbeutel behaglich entnommen wurde.
„Was ist Dir, Milo?“ schallte es aus dem Munde einiger Cameraden dem sonst so heiteren Flügelmanne entgegen. „Schmeckt’s nit, was Dir das Gretche noch beim Abschied eingepackt? Trink’, Bruder, und sei lustig! Es geht ja in den Krieg.“ Der Angeredete reckte seine riesige Körpergestalt bei den letzten Worten hoch auf, erfaßte krampfhaft die dargebotene Feldflasche und leerte sie bis zur Nagelprobe. „So, das that wohl,“ rief er kopfnickend, „aber essen, nein, essen kann ich nit.“ Fast in demselben Augenblicke entstand eine allgemeine Aufregung unter den frühstückenden Soldaten. Ein Hund kam querfeldein auf drei Beinen dahergehinkt. Die Zunge hing dem Thiere aus dem mit Schaum bedeckten Maule, und erschöpft vom Laufe blieb er zu Milo’s Füßen liegen. „Nimm Dich in Acht, Milo! Der Hund ist toll,“ rief es von allen Seiten; „rührt ihn nicht an!“ Erschreckt wichen fast Alle vor dem erschöpft auf dem Boden liegenden Thiere zurück, nur Milo allein fühlte keine Scheu. Er reichte dem willkommenen Gaste das verschmähte Frühstück, welches das Thier brockenweise mit heißhungeriger Gier verschlang. Die in der Nähe befindlichen Officiere waren gleichfalls auf den Hund aufmerksam geworden.
Der Hauptmann, der soeben mit dem Compagniearzt herantrat, rief: „Nun Doctor, was meinen Sie – scheint Ihnen das Thier gefährlich?“ - „Wir wollen sehen – Wasser herbei!“ Schnell hatten einige der Soldaten dem Befehle Folge geleistet und die bereits entleerten Feldflaschen in einer in der Nähe befindlichen Lache mit Wasser gefüllt. Man reichte dies dem halb verschmachteten Hunde im Deckel eines Kochgeschirres, und mit sichtlichem Behagen leckte derselbe die kühlende Labung hinunter. „Das ist ein sicheres Anzeichen, Herr Hauptmann, der Hund ist nicht wasserscheu, mithin auch ungefährlich.“ Mittlerweile hatte Milo schon den blutenden Hinterfuß seines Schützlings erfaßt und mit Geschick einen langen Holzsplitter aus demselben entfernt. Die Wunde wurde ausgewaschen, das Verbandszeug herausgeholt und ein schnell zurecht geschnittener Streifen Leinewand um den kranken Fuß gebunden. Das Thier leckte mit sichtbarer Dankbarkeit seinen Wohlthäter die Hände und richtete die klugen Augen auf die Umstehenden, gleichsam, als wollte es sagen: das werde ich Euch niemals vergessen, Ihr Lieben. Von diesem Moment ab wich der Hund nicht mehr von der Seite seines Wohlthäters. „Und er gehört der Compagnie,“ rief es in der Runde, „und soll so heißen wie unser Flügelmann: ‚Milo‘.“ Der Hauptmann nickte Beifall, meinte aber zweifelnd: wenn er nur bleibt. Und er blieb. – Woher der braun- und weißgefleckte Hühnerhund gekommen, ob er sich auf der Jagd oder sonst wo verlaufen, das kümmerte von jetzt ab Niemand mehr. Auf dem rechten Flügel, dicht an der Seite seines gleichnamigen Wohlthäters, hielt Milo gleichen Schritt mit der Compagnie. Und so blieb es während des ganzen grausig kalten Feldzuges.
Die Officiere und Mannschaften der Compagnie wetteiferten mit einander in der Pflege des treuen Hundes und theilten nicht selten den letzten Bissen Brod mit ihm. Als aber das fünfzehnte Regiment in seine Garnison Minden zurückkehrte, da war auch Milo noch an der Spitze der ersten Compagnie zu finden. Schwer wurde dem Flügelmann der Abschied von dem treuen Genossen, als er, zur Reserve entlassen, in seine Heimath abging und sehen mußte, wie Milo sich entschied bei seiner Compagnie zu verbleiben. Der rechte Flügel war und blieb der Platz, welchen der treue Compagiehund bei allen größeren Exercitien behauptete. Fand ihn der Hauptmann bei solcher Gelegenheit nicht an seinem Platze, dann war sicher dessen erste Frage: „Wo ist Milo?“
Die schönsten Feiertage für den Hund waren diejenigen, an welchen sich die Compagnie auf Wache befand. An solchen Tagen pflegte Milo den Leib sorglos auf den Lagern der postenstehenden Soldaten, er wußte genau, daß diese ihn nicht überraschen konnten. In den Nachmittagsstunden jedoch suchte er seine Leute auf. Trat dann die Wache in’s Gewehr, so faßte Milo neben dem wachhabenden Unterofficier Posto und verfolgte mit den Augen die passirenden Officiere in vollkommen militärischer Weise, sodaß jene nicht selten zur Heiterkeit gestimmt wurden. Zum großen Herbstmanöver, welches im nächsten Jahre stattfand, sollte Milo in der Garnison zurückbleiben. Aus diesem Grunde hatte man ihn in eine im ersten Stock gelegene Kammer eingesperrt. Die Klagetöne, welche der Hund hierüber erhob, verstummten erst gegen Morgen. Man glaubte, er sei eingeschlafen, doch er war ausgeflogen. Die zerbrochene Fensterscheibe zeigte, welchen Weg das treue Thier genommen, nun seiner lieben Compagnie nachzueilen.
„Milo ist da,“ klang es andern Tags von Mund zu Mund in der sechs Meilen weit von Minden entfernt marschirenden Compagnie. „Milo ist aus der Festung ausgerückt.“
„Aber er muß hinter der Front bleiben,“ lautete der Befehl des Hauptmanns, „wir sind hier nicht im Felde.“
Dies geschah freilich nicht immer. Der Spürsinn des Jagdhundes machte hier seine Rechte geltend; wenn es durch Kraut- und Rübenfelder ging, dann blieb er eben nicht hinter der Front. Zum großen Gaudium Aller trug er sogar eines Tages einen angeschossenen Hasen herbei und legte denselben pflichtschuldigst zu den Füßen des Feldwebels nieder. Mann befand sich gerade im Bivouac. Das Wild wurde unter Jubel am provisorischen Spieße gebraten, und der Hauptmann theilte lachend mit den Officieren der Compagnie die im Deckel eines Kochgeschirres dargereichten Keulen. Das beendete Manöver
[69] wurde einerseits als ein Nachspiel des Schleswiger Feldzuges betrachtet, andererseits konnte es als ein Vorspiel für das kommende Jahr gelten. Denn kaum hatte die Frühlingssonne des Jahres 1866 wärmere Strahlen auf unsere Mutter Erde gesandt, da zogen auch schon wieder schwere Gewitterwolken am politischen Himmel sich zusammen. Es war jene sorgenschwere bange Zeit, in welcher Preußen fast isolirt den Kampf gegen die sich vereinigenden Bruderstämme aufnahm. In der alten Festung Minden rüstete man sich auf’s Neue zum Ausmarsch.
Das fünfzehnte Regiment und mit ihm Milo’s Compagnie sollten die baierische Grenze besetzen. Jetzt entstand kein Zweifel – der bewährte Combattant durfte mitziehen. In aller Hast ging’s per Dampf dem Süden zu. In Hannover hatte man wegen Stockung der Militärzüge einen kurzen Aufenthalt, und als die Compagnie spät am Abend eine gute Strecke über die ehemalige Hauptstadt des blinden Königs hinaus war und sich anschickte, die Quartiere für die Nacht zu beziehen, da wurde der Hund vermißt. Milo war weg und blieb trotz aller Nachfrage verschwunden. Einige Leute entsannen sich, daß er auf dem Bahnhofe in Hannover einer kleinen Freundin nachgelaufen war. Diese mußte zur Verführerin unseres Milo geworden sein. In der Hast des Einsteigens war er deswegen nicht vermißt worden, weil Jeder der Leute glaubte, Milo befinde sich in einem andern Coupé.
„Wir müssen unter allen Umständen unsern Milo wieder haben,“ rief der Hauptmann erregt, noch ehe er die Quartierbillets vertheilen ließ. „Unterofficier Schulze, Sie besteigen sofort mit zwei Mann eine Reservemaschine, fahren zurück nach Hannover und kehren nicht eher wieder, bis Sie den Hund gefunden haben.“
Noch ehe am andern Morgen das Signal zum Ausrücken geblasen wurde, befand sich der Wiedergefundene zu Aller Freude wieder bei der Compagnie.
Die kriegerische Situation wurde ernster und immer ernster; schon war die baierische Grenze überschritten, und mit voller Musik rückte das fünfzehnte Regiment gen Kissingen vor. Voran die erste Compagnie und auf ihrem rechten Flügel der treue Compagniehund. An dem Ufer eines Wassers tummelten sich spielend einige Bauernkinder. Erschrocken über den ungewohnten Anblick der in der Sonne blitzenden Helme und Gewehre, liefen die Kleinen schreiend durch einander. Ein kleines Mädchen hatte dabei das Unglück, zu fallen und rollte das ziemlich steile Ufer hinab in das Wasser. Der Commandeur warf seinen Schimmel schnell herum, rief dem Milo einige verständnisvolle Worte zu, und noch ehe derselbe geendet, war das treue Thier mit wenigen kräftigen Sprüngen am Orte der Gefahr. Geschickt faßte er die sich aufblähenden Röckchen des versinkenden Kindes und erreichte in wenigen Secunden, den Körper vor sich herschiebend, schwimmend das Ufer. Die händeringende Mutter, die mittlerweile herbeigeeilt, war noch Zeuge von Milo’s rettender That. Zur allgemeinen Freude war das Kind mit dem bloßen Schrecken davongekommen. Milo aber befand sich im andern Augenblicke wieder an seinem gewohnten Platze bei den ohne Aufenthalt weiter marschirenden Truppen. Er schüttelte den nassen Körper ab und richtete die klugen Augen mit einem gewissen Ernst auf diejenigen, welche ihm schmeichelnde Worte zuriefen, als wollte er ihnen sagen: Ich habe nichts als meine Pflicht gethan.
Einige Tage später folgte das Gefecht bei Kissingen. Die blauen Bohnen pfiffen um die Köpfe der Fünfzehner, und Milo, als hätte er den Soldaten die bekannte Bewegung abgesehen, duckte sich jedes Mal mit ihnen, wenn das gefürchtete Geräusch ertönte. Schon mancher der Braven lag dahingestreckt und netzte den grünen Wiesengrund mit seinem Blute, als auch unsern Milo das Geschick ereilte. Eine feindliche Gewehrkugel durchbohrte ihm den oberen Theil der Schnauze, mit der er noch vor einigen Tagen ein junges Menschenleben aus dem todbringenden Wasser getragen. Laut heulend und sich windend vor Schmerz, brach das Thier an der Seite eines ebenfalls verwundeten Unterofficiers seiner Compagnie zusammen. In solchen Moment ist Jeder mit sich selbst beschäftigt. Nicht achtend des Jammers und der Schmerzen der gefallenen Cameraden, denkt er im Kampfgewühl so lange nur an das eigene Ich, bis auch ihn vielleicht ein gleiches Schicksal erreicht. Der neben Milo liegende Verwundete wurde durch dessen fortgesetztes klägliches Gewinsel nach und nach aus seiner Ohnmacht aufgeweckt. Ferner schon tönte das Knattern des Kleingewehrfeuers, aber noch immer schlugen die Kugeln hin und wieder rechts und links neben den Daliegenden ein. Seiner eigenen Schmerzen nicht achtend, öffnete der Unterofficier mit schnellem Entschluß seine Kleider, riß ein Stück Leinen aus seinem Hemd und legte, so gut es eben ging, dem treuen Thiere einen Verband um das blutende Maul; an seine eigene Wunde hatte er dabei noch nicht gedacht. Erst spät am Abend erschien das Sanitätscorps, um auch hier seine traurige Aufgabe zu erfüllen. Der Unterofficier erbat sich vom Arzte, welcher Beide verband, die Erlaubniß, seinen Milo mit in das Lazareth nehmen zu dürfen. Selbstverständlich wurde dieser Wunsch gewährt, und sechs Wochen lagen die Beiden als gute Cameraden neben einander gebettet.
Die Compagnie kehrte nach beendetem Feldzuge nach Minden zurück. An ihrer Spitze schritt stolz einher der mit einem Eichenlaubkranz geschmückte Compagniehund. So stolz, daß er das Gekläff der ihn umringenden Hunde mißachtete und auf das Geheiß der Soldaten, die Kläffer zu vertreiben, fast unwillig ob dieser Zumuthung, stolzen Hauptes weitertrabte. Am andern Morgen erschien Milo zum Appell geschmückt mit den aus Blei gegossenen Feld-Ehrenzeichen, ja man hatte ihm sogar an das lederne Halsband rechts und links einen Gefreitenknopf angenäht. „Die bleiernen Ehrenzeichen will ich mir gefallen lassen, aber die Knöpfe, Leute, das sind wirkliche militärische Abzeichen – die müssen weg,“ befahl der Hauptmann lächelnd. An Stelle deren erhielt Milo ein schönes Halsband mit der Aufschrift: „Milo, 1. Cp. d. 2. Westf. Inf.-Rgmts. Prinz d. Niederlande.“
Bei Uebergabe der Compagnie rief der scheidende Hauptmann dem neuen Compagniechef zu: „Ich übergebe Ihnen auch unsern Milo. In zwei Feldzügen hat er Freud’ und Leid mit uns getheilt, und sollte, was Gott verhüten möge, einmal wieder die Kriegstrompete erschallen, so wird er sich auch das dritte Mal im Felde bewähren.“ Nun, diese Zeit war nicht allzu fern. Schon einige Jahre später wehte die Kriegsluft von den nahen französischen Grenzen über den Rhein nach Westfalen. Die Fünfzehner waren unter den Ersten, welche die französische Grenze überschritten. Der Popanz der Zuaven und Turcos erwies sich nur zu bald als unhaltbar und die Feuerprobe des Lulu als Humbug. Unaufhaltsam marschirten auch die Fünfzehner weiter und weiter in das Herz von Frankreich, und an der Spitze ihrer ersten Compagnie Milo, der treue Compagniehund. Bei allem Kriegsglücke gab es indessen auch Tage, wo man nichts zu beißen und zu brocken hatte. Nach vielen Tagemärschen hatte die Compagnie eines Tages in einem verlassenen Schlosse eine wohlthuende Ruhestätte gefunden. Die Proviantcolonne konnte bei dem allgemeinen Kriegsgewirr schon seit einigen Tagen nicht mehr erreicht werden. Der Schloßcastellan, ein alter, sich taub stellender Franzose, kam der einmarschirenden Compagnie in kriechender Weise entgegen.
„Nix manger, messieurs,“ gab er achselzuckend auf die allseitig an ihn gerichtete Frage zurück. „Prussiens, Prussiens, nix manger,“ wiederholte der alte Sünder mit einer Leichenbittermiene.
„Ach was, nix manscheh – die Ausreden kennen wir; komm’, Milo! Wir wollen einmal das Franzosennest durchsuchen.“ Und nun ging’s vom Boden bis zum Keller, Milo immer vorauf, angefeuert durch den Zuruf der Soldaten: „Such’, such’, Milo! Hier giebt’s was zu essen.“ Der Alte hatte seine Vorräthe gut verwahrt. Milo indessen, unverdrossen spürend, führte seine Begleiter immer tiefer in die endlos scheinenden Kellerräume des Schlosses. Jetzt schien das Ende erreicht zu sein. Eine weiß übertünchte Mauer schloß den letzten Raum ab. „Komm’, Milo! Es ist vergebens, die Franzosen haben Alles weggeschleppt.“ Der Hund aber war von dieser Wand nicht wegzubringen. Er kratzte winselnd an derselben herum, als wollte er sie mit seinen scharfen Krallen aufreißen. Es mußte Etwas dahinter stecken. Schnell war ein Feldbeil herbeigeholt und das provisorische Hinderniß mit wenigen Schlägen beseitigt. Den erstaunten Soldaten that sich nun ein weiter Raum auf, wohlgefüllt mit allerlei Raritäten. Das war ein Jubel. Milo erhielt zum Lohne das erste Paar Mettwürste, deren eine lange Reihe in militärischer Ordnung an einer besonderen Vorrichtung hingen. Der Burgunder perlte in den feingeschliffenen französischen [70] Gläsern und das erste Hoch galt unserm Compagniehunde.
„Morgen wollen wir uns noch ein kräftiges Frühstück mitnehmen,“ hieß es. „Die Brodbeutel sollen bis obenan gefüllt werden – das wird uns der Hauptmann wohl erlauben.“ Es kam jedoch anders. Dem Jubel des Tages folgte eine aufregende Nacht. Die Fünfzehner hatten die ermüdeten Glieder frühzeitig auf die weichen Daunen der französischen Schloßbetten niedergestreckt und träumten süß von den Genüssen des Tages. Die Straßburger Gänseleberpasteten thürmten sich verlockend vor den schnarchenden Soldaten auf; der Rothwein perlte fort und fort in den anklingenden Gläsern, und dazwischen knallten die Champagnerpfropfen. Doch – war das Traum oder Wirklichkeit? Milo erhob seine laut schallende Stimme, und dazwischen knallte es auch. – Das waren aber nicht die geträumten Pfropfen des Brauseweines – das waren weit in die Nacht hinein schallende Flintenschüsse, die als Alarmsignal ertönten. Die ausgestellten Vorposten hatten einen umherschleichenden Trupp Franctireurs mit einer Gewehrsalve verscheucht, und in solchem Falle galt es immer Vorsicht. Mit der Nachtruhe war’s vorbei. Es wurde schleunigst aufgebrochen. Wer dachte wohl jetzt noch daran, die Brodbeutel zu füllen?
Man fand bald das ganze in der Nähe verstreut liegende Regiment auf den Beinen, da alle Vorzeichen zu einem bevorstehenden Gefecht eingetroffen. Noch ehe der Morgen graute, begann der Kampf. Die Westfalen befanden sich bald mitten im dumpfen Treffen. Das war ein heißer Tag. Und als der Abend mit unaufhaltsam strömendem Regen hereinbrach, da hatte man den überlegenen Feind zwar zurückgedrängt, viele aber der tapferen Fünfzehner lagen todt oder verstümmelt auf dem Schlachtfelde.
Der nächste Morgen bot ein trauriges Bild der Verwüstung. Milo’s Compagnie war, an der Spitze kämpfend, am härtesten bedrängt gewesen, und wer von denn völlig Durchnäßten mit heiler Haut davon gekommen, dem waren gewiß die Glieder von Kälte und Nässe sämmtlich steifgefroren. Wo in dieser Verwirrung Milo geblieben, das wußte von den sich nach und nach zusammenfindenden übriggebliebenen Mannschaften der ersten Compagnie Keiner zu sagen. Das arme Thier wird wohl auch hinüber sein, wie leider so viele unserer Cameraden, hieß es – sonst hätte er uns sicher wieder gefunden. Schon war der Befehl zum schleunigen Weitermarsch eingetroffen und deshalb keine Zeit zu verlieren. Mißmuthig und niederschlagen marschirte die Compagnie in langen Eilmärschen ohne ihren treuen Compagniehund weiter. Erst in Dôle, einem französischen Städtchen, gönnte man den Leuten wieder ein wenig Rast. Das sechszigste Regiment hatte hier bereits Quartier genommen, und bei der allgemeinen Ueberfüllung mußten die Fünfzehner, so gut es eben ging, Quartier suchen.
„Cameraden, ich habe unsern Milo gesehen,“ ertönte es mit einem Male aus dem Munde des Hornisten, „dort in jenem weißen Hause befindet er sich bei den Sechszigern.“
Fort war alle Betrübniß, alle Ermüdung; man dachte nicht mehr daran, das langersehnte Quartier zu finden; es galt vor Allem, sich davon zu überzeugen, ob der Trompeter recht gesehen hatte. Das bezeichnete weiße Haus wurde fast bestürmt, und kaum hatten die Fünfzehner sich vor denselben gezeigt, als sie auch das wohlbekannte Gebell ihres Milo vernahmen. Aber er kam nicht fröhlich zu ihnen herangesprungen, wie sie es sonst gewöhnt waren, die winselnden Töne des treuen Thieres verhallten hinter der sich schließenden Hausthür. Die Westfalen merkten bald, daß ihr Compagniehund wider seinen Willen festgehalten wurde. Die Sechsziger hatten das treue Thier auf dem Schlachtfelde aufgefunden. Von Hunger, Nässe und Kälte vollständig erschöpft, hatte der Hund trotzdem treulich Wache gehalten neben der Leiche eines gefallenen Fünfzehners. Nur mit Gewalt konnten sie denselben von der Stelle fort bringen, an welcher auch er sicherlich seinen Tod gefunden hätte. Aus diesen Grunde glaubten die Sechsziger einen berechtigten Anspruch auf den Findling zu haben und waren nicht dazu zu bewegen, denselben seiner alten Compagnie auszuliefern. Die Angelegenheit ging bis zum oberstcommandirenden General (Freiherr v. d. G.); soviel lag den beiden streitenden Theilen an dem Besitze des Hundes. Erst als von dieser Stelle aus ein bestimmter Befehl erging, erhielten die Westfalen ihren alten Compagniehund zurück.
Die nachtheiligen Folgen der letzten Erlebnisse blieben jedoch für Milo nicht aus. Er erkrankte bedenklich. Mann mußte seine Behandlung einem französischen Thierarzte überlassen, da ein deutscher nicht an Ort und Stelle war. Unter dessen sorgsamer Pflege, welche die Fünfzehner dem feindlichen Arzte heute noch nachrühmen, erholte sich Milo zwar nach und nach, seine bei Kissingen erhaltene Wunde am Kopfe war jedoch wieder aufgebrochen und blieb bis an sein Lebensende eine offene. Bei den ferneren Märschen mußte der Hund seiner Schwäche wegen vielfach gefahren werden. Dies geschah auch nach dem glücklich beendeten Feldzuge auf dem Rückmarsche nach Bar le Duc. In wollene Decken gehüllt, befand sich der Reconvalescent auf dem Victualienwagen. Der Unterofficier, welcher mit der Führung dieses Wagens betraut war, wurde persönlich für den Hund verantwortlich gemacht. Trotzdem passirte es eines Morgens, bei einem sehr eiligen Ausmarsche, daß der seiner Schwäche wegen viel schlafende Hund das Abrücken seiner Compagnie nicht bemerkt hatte und im Quartier zurückgelassen worden war. Erst am Abend vermißte man das Thier, als der Hauptmann sich nach dem Befinden desselben erkundigte. Der Unterofficier stammelte einige unverständliche Worte der Entschuldigung, wurde aber von seinem Vorgesetzten sehr hart angelassen. „Unterofficier, ich habe Sie persönlich für unsern Milo verantwortlich gemacht; entweder schaffen Sie mir denselben bis morgen früh, noch ehe wir weitermarschiren, ober ich stecke Sie drei Tage in Arrest.“
Es hätte wohl kaum dieser Strafandrohung bedurft. Mehrere der Leute meldeten sich freiwillig, denn vergessenen Liebling noch in der Nacht zu suchen. In gestrecktem Carrière fuhr der Unterofficier unter Begleitung der Mannschaften auf dem gekommenen Wege zurück. Sie hatten die Freude, schon unterwegs den Vermißten zu finden. Milo befand sich auf einem Protzkasten der heranziehenden Batterie „Schreiber“. Er hatte sich, als er von seinem ungewöhnlich langen Schlafe erwachte und bemerkte, daß seine Compagnie ausgerückt war, trotz seiner Schwäche auf den Weg gemacht, deren Spur ganz richtig verfolgend. Unterwegs traf er auf die desselben Weges marschirende Batterie. „Es ist der Milo von der ersten Compagnie der Fünfzehner,“ hieß es, „das arme Thier sucht seine Leute; wir wollen ihn aufnehmen; man sieht ja, er kann kaum noch weiter.“ Milo, als habe er diese Ausrufe verstanden, fügte sich willig, als man ihm ein weiches Lager auf dem Protzkasten zurecht machte. Nun aber war er nicht mehr zu halten. Mit heiserem Gebell verabschiedete er sich beim Erscheinen des bekannten Proviantwagens von den freundlichen Artilleristen und nahm denn altgewohnten Platz unter freudiger Begrüßung der in demselben schnellen Tempo zurückkehrenden Fünfzehner ein.
Von dieser Zeit ab betrachtete sich jeder Mann der Compagnie als persönlich verantwortlich für die Pflege des leidenden Compagniehundes. Auf dem Wege zur Garnisonstadt Minden hatte man ihm aus gesammelten französischen bleiernen Geschossen ein „Eisernes Kreuz“ gegossen. Geschmückt mit diesem wohlverdienten Ehrenzeichen zog er unter den wenigen Uebriggebliebenen der ersten Compagnie, welche vor Jahresfrist mit frischem, fröhlichem Muthe zugleich mit ihm in’s Feld gerückt waren, in die alte Festung wieder ein.
Milo erholte sich nach und nach von den vielfach erlittenen Strapazen dieses zwar siegreichen, aber blutigen Feldzuges. Wieder in altgewohnter Weise versah er seinen Dienst in dem ruhigen Garnisonleben. Er zog mit auf Wache, inspicirte die Kammerarbeiter und revidirte vor Allem die Menage, damit die Abfälle der Fleischportionen nicht in unbefugte Magen geriethen. Auf Posten vor der Caserne gestattete er nur Militärpersonen den Eintritt, die verhaßten Civilisten ließ der treugediente Soldatenhund niemals passiren.
Im Sommer 1873 wohnte Milo zum letztens Male einer längeren militärischen Uebung auf der in der Nähe befindlichen Haide bei. Von da ab betrachtete er sich als Pensionär. Die zwölfjährige Militärdienstzeit war mit Ehren beendet; eines besonderen Civilversorgungsscheines bedurfte es bei ihm nicht. Frau K., die ehrsame Casernenwärterin, übernahm seine Versorgung und Pflege. Unter ihrer treuen Fürsorge fristete der Pensionär sein Leben bis zum Beginn des Jahres 1876. Zuletzt schmecktet ihm auch die dargereichten leckersten Bissen, selbst der
[71][72] mit westfälischem Schinken belegte Pumpernickel, nicht mehr. Am Morgen des 2. Januar fand man in der Scheibenkammer der Caserne den treuen Compagniehund Milo – verendet.
Unter großer Theilnahme wurde der „treu Gediente“ ganz in der Nähe der Caserne mit allen militärischen Ehren begraben. Eine Trauerweide haben die Cameraden ihm auf das Grab gesetzt. Ein öffentliches Denkmal diesem treuen Thiere zu setzen, beabsichtigt ein alter Soldat, indem er Milo’s Lebens- und Leidensgeschichte der weitverbreiteten „Gartenlaube“ hiermit zur Veröffentlichung übergiebt.
„Noch bin ich mit meiner kleinen Erzählung nicht ganz zu Ende,“ fuhr Emil Brunn nach wenigen Augenblicken fort. „Ich erfuhr erst später, was der alte Bekannte von Schloß Waltersburg dem Officier erzählt hatte. Der Freiherr Ottokar von Waltershausen stand in einem Liebesverhältnis mit seiner schönen Schwägerin. Die junge Dame, deren Geschichte ich erzählt, hatte einen Triumph ihrer Eitelkeit darin gesucht, die schöne Schwägerin, die vornehme Schloßfrau, bei dem Freiherrn, wie man zu sagen pflegt, auszustechen. Es war ein ordinärer Weg, den die schöne Pfarrerstochter eingeschlagen, mein Fräulein,“ schloß der junge Mann dann wirklich, „ich habe mich auch einmal zu einem solchen Wege hinreißen lassen. Ich mußte doch meine Rache oder vielmehr Sie mußten Ihre Strafe haben. Das Schwerste, das Härteste einer Strafe pflegt zu sein, daß sie mit dem Schuldigen auch Unschuldige trifft. Kehren Sie zu Ihrem Vater zurück! Sie werden von ihm das Nähere erfahren. Und damit leben Sie wohl!“
Er verließ die Laube. Draußen an der Hecke des Gartens erwartete ihn sein Freund und Genosse, Georg Hausmann. Der Bauernadvocat hatte sein Geschäft mit dem Pfarrer schneller beendigt, als sein hochverehrter Freund das seinige mit der Pfarrerstochter. Die beiden Freunde entfernten sich. Regine Reif war lange nicht im Stande, sich von der Bank der Laube zu erheben, aber als sie einen Schritt vernahm, raffte sie sich doch mit angestrengter Kraft auf. Sie sah ihren Vater im Garten langsam auf- und abgehen.
Der Pfarrer Reif war ein stattlicher Mann in der Mitte der fünfziger Jahre. Sein ganzes Wesen zeigte Muth und Kraft, aber in diesem Augenblicke lastete ein schwerer Druck auf ihm; er ging gebeugt, und die Züge seines Gesichts waren voll Kummer.
„Vater –“ sagte Regine sich erhebend und ihm entgegentretend. Thränen erstickten ihre Stimme. Er wollte sich voll Unmuth von ihr abwenden, aber er vermochte es nicht, war sie doch sein Kind. Sie ergriff seine Hand.
„Vater, kannst Du mir verzeihen? Was der Mensch, der bei Dir war, Dir, uns Allen angedroht hat – ich allein habe es verschuldet. Ich kenne den Inhalt seiner Drohung nicht. Theile ihn mir mit, damit ich mit Dir trage, was getragen werden muß!“
Der Pfarrer schaute noch finster vor sich nieder.
„Wohlan!“ sagte er endlich.
Georg Hausmann, der Bauernadvocat, hatte nur eine kurze Unterredung mit dem Pfarrer gehabt.
„Herr Pfarrer,“ hatte er begonnen, „ich bin hier als Abgesandter der Gemeinde, um Ihnen den Beschluß zu verkünden, den sie gefaßt hat. Der Tag der Freiheit ist für die Völker angebrochen. Der Unterschied zwischen Hammer und Amboß soll und muß aufhören. Auch der Bauer soll nicht mehr der Leibeigene des Edelmanns sein, die Gemeinde nicht mehr die willenlose Heerde des Geistlichen. Zwischen der Schloßherrschaft und uns haben wir jedes Band zerrissen. Von dem Pfarrer wollen wir uns nicht sofort lossagen, denn die Abfindung mit der Kirche läßt sich nicht so schnell bewerkstelligen. Sie sollen noch bei uns bleiben, Herr Pfarrer. Aber nicht als unser geistlicher Herr. Unser Pfarrer soll nur der Diener an der Kirche sein, die uns, der Gemeinde, gehört. So haben wir Sie heute gewählt und in Ihrer Stellung bestätigt. Und ich bin an Sie abgesandt, Ihnen das zu verkünden und Sie zu fragen, ob Sie die Wahl annehmen wollen.“
Georg Hausmann schwieg oder machte eine Pause, die Erwiderung des Pfarrers abzuwarten. Dieser hatte ihn mit Ruhe angehört.
„Seid Ihr zu Ende, Georg Hausmann?“ fragte er jetzt ebenso ruhig.
„Ich bin zu Ende.“
„Haben Eure Bauern Euch keinen Auftrag für den Fall gegeben, daß ich ihre Forderungen zurückweise?“
„Ja, Herr Pfarrer.“
„Und er lautet?“
„Er lautet dahin, daß Sie durch die Zurückweisung selbst Ihre Entlassung nehmen und daß Sie noch heute die Pfarre zu verlassen hätten.“
Der würdige Pfarrer bedurfte keines Augenblicks des Nachsinnens über die Antwort auf diese Drohung.
„Georg Hausmann, kehrt zu Euern Bauern zurück und sagt ihnen Folgendes: Auf ihre Forderungen einzugehen, verbietet mir mein Amt und mein Gewissen. Mein Amt ist mir aufgetragen von der gesetzlichen, verfassungsmäßigen Obrigkeit des Landes; nur diese kann es nach Recht und Verfassung mir wieder nehmen. So lange das nicht geschehen ist, fordert mein Gewissen von mir, es treu zu verwalten nach den Pflichten, die es mir auferlegt und die ich beschworen habe.“
Und ruhig, wie der Pfarrer gesprochen hatte, erwiderte der Bauernadvocat:
„Ist das Ihr letztes Wort, Herr Pfarrer? Besinnen Sie sich wohl, ehe Sie antworten! Der Beschluß der Gemeinde ist unabänderlich.“
„Ihr habt mein letztes Wort gehört, Georg Hausmann.“
„Besinnen Sie sich noch einmal, Herr Pfarrer! Sie haben treue Freunde in der Gemeinde, die Sie nicht missen möchten. Sie haben aber diese Freunde verloren, wenn Sie bei Ihrem Entschlusse bleiben.“
„Ich bleibe bei ihm.“
Die Ruhe verließ den Bauernadvocaten nicht, denn er war ein geriebener Mensch. Aber der Trotz und die Frechheit seiner gemeinen Natur waren mindestens so groß wie seine unerschütterliche Ruhe.
„Herr Pfarrer, so weichen Sie von hier! Mit dem Untergange der Sonne müssen Sie die Pfarre und das Dorf mit Ihren Kindern und Ihrem Eigenthum verlassen haben. Aber Sie dürfen nur Ihr persönlich erworbenes Eigenthum mit sich nehmen, kein Stück, das zur Pfarre gehört. Wir werden Ihren Abzug überwachen. Und sollte der letzte Strahl der Sonne Sie noch hier antreffen, so, Herr Pfarrer, müßten Sie mit Gewalt aus der Pfarre entfernt werden. Die Macht ist jetzt auf unserer Seite.“
Der Pfarrer wandte ihm schweigend den Rücken.
„Nun?“ fragte ihn Georg Hausmann trotziger.
Auch diesmal keine Antwort.
„Auf Wiedersehen also!“ rief der Bauernadvocat. „Und, Herr Pfarrer, wenn Sie ein glückliches Paar sehen wollen, gehen Sie in Ihren Garten! In der Laube von Jasmin werden Sie Ihre schöne Tochter mit dem Herrn Emil Brunn finden.“
Hausmann entfernte sich mit einem höhnischen Lachen.
Seine letzten Worte waren ein Donnerschlag für den Pfarrer. Er mußte unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft sich sammeln. Dann begab er sich in den Garten, seine Tochter aufzusuchen. Mit widerstreitenden Gefühlen war er ihr entgegengetreten. Sie hatte Schmach gehäuft auf ihr eigenes, auf sein Haupt und das Gemüth der Mutter mit dem bittersten Schmerze erfüllt, mit einem Schmerze, welcher dieser den Todesstoß gegeben. Sie hatte, verstoßen von der Familie, deren Gastfreundschaft sie so schnöde mißbraucht, die Stadt verlassen und in das elterliche Haus zurückkehren müssen, beladen mit Schuld und Schmach. Die
[73] Mutter verzieh ihr in ihrer Sterbestunde, das Herz des Vaters aber vermochte sich erst nach längerer Zeit ihr wieder zu öffnen. Als er ihre aufrichtige Reue sah, als er länger als ein Jahr erfahren und erprobt hatte, mit welcher Liebe und Hingebung sie ihren jüngeren Geschwistern die Mutter zu ersetzen suchte und zu ersetzen verstand, als Alles an ihr ihm die Ueberzeugung gewährte, daß eine völlige Umkehr sich in ihr vollzogen habe, da erst löste ihr stilles Leiden die Kruste, die sich um sein Herz gelagert hatte; die Liebe des Vaters umfing sie wieder – er verzieh ihr. Sie war wieder sein geliebtes Kind geworden.
„Wohlan,“ sagte der Vater, als seine Tochter bittend seine Hand ergriffen hatte. Er theilte ihr mit, was der Bauernadvocat ihm eröffnet hatte.
Als sie ihm auch den Inhalt ihrer Unterredung mit Emil Brunn mittheilen wollte, sagte er ruhig:
„Laß’ das! Die Ausdrücke, gar die Drohungen seiner unedlen Leidenschaften will ich nicht hören. Beschäftigen wir uns lieber mit dem, was wir zu thun haben! Ueberlegen wir ruhig! Wir stehen einer rohen, leidenschaftlichen Gewalt gegenüber, ohne irgend ein Mittel des Widerstandes, der Vertheidigung. Unterwerfen wir uns also der eisernen Nothwendigkeit! Ein Unterkommen werden wir bei meinem Bruder in der Kreisstadt für heute Nacht finden, aber wir werden es nur für kurze Zeit bedürfen, denn es ist eine vorübergehende Krankheit, die das Volk ergriffen hat, ein Rausch, der schnell verfliegen wird, wie er schnell entstanden ist. Treffen wir unsere Anstalten! Der letzte Strahl der Abendsonne darf uns hier nicht mehr finden.“
Vater und Tochter kehrten zu den jüngeren Kindern zurück, und ihre Ruhe theilte sich auch diesen mit; ohne Klage und Murren machten Alle ihre Vorbereitungen zum Auszuge aus der Pfarre.
Der Rittmeister Ottokar von Waltershausen und seine Schwägerin Emma hatten durch den Park den Weg zum Schlosse eingeschlagen. Sie gingen, wie gesagt, stumm und kalt neben einander, wie zwei fremde Menschen. Nur einen Augenblick hatte das Herz der Frau, die so arm an Glück, so leer an Freude war, sich schwach erwiesen, aber dieser Augenblick der Schwäche lastete wie eine schwere Schuld auf ihr. Glühende Röthe und Leichenblässe wechselten in ihrem Gesichte, als sie dem Gatten und dem Schwager begegnete.
Die Ueberraschung der beiden Brüder war so groß wie ihre Freude.
„Ah,“ jubelte laut, wie ein glückliches Kind, der Baron Kurt, „da bist Du ja, meine gnädige Schwägerin. Und unter dem Schutze unseres tapferen Ottokar. Auch Du –“
Er wollte den Bruder begrüßen, aber er trat bescheiden zurück, denn der erste Gruß gehörte dem Schloßherrn, dann erst kam die Reihe an den apanagirten jüngeren Bruder.
Und der Baron Adalbert trat vor, ernst und gemessen, wie es dem Stammherrn geziemt, und ruhig, wie er immer war.
„Willkommen, lieber Bruder Ottokar! Doppelt willkommen, da Du so treu zu unserer Hülfe herbeigeeilt bist! Wir sahen uns lange nicht. Du siehst gesund aus.“
Er küßte den Bruder auf beide Wangen.
„Ja, ja, lieber Ottokar,“ sagte dann Baron Kurt, „nun Du hier bist, haben wir nichts mehr zu fürchten. Mögen die Bauern nur kommen! Wir werden sie zu Paaren treiben! Ah, wo hast Du denn Deine Husaren? Und wie bist Du mit unserer theuren Schwägerin zusammengetroffen? Erkläre mir diese Räthsel!“
Sie waren Beide verlegen geworden, die Baronin wie der Rittmeister. Emma’s Gesicht übergoß sich wieder mit glühender Röthe. Ottokar suchte nach einer Antwort.
„In der That – durch welches glückliche Ungefähr fandet Ihr Euch?“ fragte jetzt auch der Baron Adalbert.
Der Rittmeister mußte antworten. Konnte er die Wahrheit sagen? Durfte er eine Lüge vorbringen?
„Es war wohl nicht ganz ein Ungefähr, mein Bruder,“ sagte er. Dann stockte er.
Da trat rasch und entschieden die Baronin vor.
„Mein lieber Adalbert, ich hatte Gründe meinen Schwager vorher allein zu sehen; ich theile sie Dir nachher mit! Gehen wir jetzt zum Schlosse! Ottokar bedarf der Ruhe, und wir Alle müssen uns sammeln, um zu überlegen, was am Abend zu thun.“
„Du hast immer den besten Rath, meine liebe Emma,“ sagte der Baron, indem sie zum Schlosse zurückgingen.
Kaum waren sie dort angelangt, als die Nachricht eintraf, die Bauern im Dorfe hätten früher, als man erwartet, sich bewaffnet und zusammengerottet und seien im Anzuge gegen das Schloß. Sie hätten Kunde davon erhalten, daß Husaren zum Schutze des Schlosses im Anmarsch seien, daß ein Officier ihnen durch den Park vorausgeritten sei, um ihre Ankunft zu melden und die schleunigsten Vorbereitungen zur Vertheidigung einzuleiten. Da hätten auch die Bauern sich beeilt, um vor den Soldaten im Besitze des Schlosses zu sein. Dem Rittmeister wurde die Nachricht Veranlassung zu einem um so schleunigeren und energischeren Handeln.
„Bruder Adalbert, erlaubst Du mir, hier alle Anordnungen zu treffen, die zur Vertheidigung des Schlosses erforderlich sind?“
„Lieber Ottokar, Dein militärisches Commando macht Dich zum Herrn des Schlosses. Wir Anderen alle, auch ich, müssen uns Dir unterwerfen. Befiehl!“
Der Rittmeister traf seine Anordnungen nach allen Seiten. Diener des Schlosses mußten sich auf die Pferde werfen, den Husaren entgegen zu sprengen und sie auf dem nächsten Wege durch den Park zum Schlosse zu führen. Andere Diener wurden ausgesandt, um auszukundschaften, von welcher Seite, in welchen Trupps und wie bewaffnet die Bauern anrückten. Noch Andere verschlossen überall das starke eiserne Gitter, von dem die Schloßgebäude, wie wir früher erwähnt, umgeben waren. Wieder Andere hatten die Thore und Thüren des Schlosses und seiner Nebengebäude zu verschließen, zu verbarrikadiren und die Fenster mit Läden zu versehen.
Die Befehle des Rittmeisters wurden mit Umsicht ertheilt, mit Pünktlichkeit vollzogen. Die Kundschafter waren noch nicht zurückgekehrt, die Husaren noch nicht angekündigt, von den Bauern hatte man nichts wieder vernommen, als der Rittmeister, der überall die Befestigung überwachte, die Erklärung abgeben konnte, gegen den ersten Anprall sei man geschützt, bevor sie einen zweiten versuchen möchten, seien seine Husaren da. Man erwartete mit Spannung das Weitere. Jedermann war auf seinem Posten. Die Schloßherrschaft hatte sich in dem Familienzimmer versammelt. Der Rittmeister ging im Zimmer auf und ab, horchte nach allen Seiten, blieb bei jedem Geräusche stehen, mied die Blicke des älteren Bruders und seiner Schwägerin, wich selbst denen des jüngsten Bruders aus. Und gerade auf ihn, den Helfer, den Retter, waren die Augen der Anderen gerichtet. Freilich nicht die der Baronin. Ihre Blicke suchten Niemanden auf. Sie hatte einen Lehnstuhl in einem Winkel des Zimmers eingenommen; dort saß sie, den Kopf in die Hand gestützt, vor sich niederblickend, mit ihren Gedanken beschäftigt. Nur zuweilen schaute sie plötzlich auf, sie war unruhig geworden, ihre Augen suchten den Gatten, sie wollte sich erheben, sich zu ihm begeben. Sollte sie ihm den bittersten Kelch seines Lebens reichen? Hatte sie dem Gatten nicht versprochen, sie wolle kein Geheimniß vor ihm haben? Der Baron Adalbert saß, in jener glücklichen Ruhe da, die keine Gefahr kennt, mußten doch die Husaren jeden Augenblick eintreffen. Der Baron Kurt endlich! Seine Gedanken reichten gerade so weit wie seine Augen; er sah die Unruhe des Rittmeisters, die innere Aufregung seiner Schwägerin, die absolute Ruhe des Schloßherrn. Seine Neugierde erwachte. Was haben jene Beiden denn? Aber er konnte es nicht errathen, fragen durfte er in der augenblicklichen Lage nicht. „Ich werde es ja später erfahren.“
Tiefe Stille herrschte im Zimmer, im Schlosse, in der ganzen Umgebung. Im Zimmer vernahm man nur das leise Klirren der Sporen des langsam aus- und abschreitenden Rittmeisters; kein anderes Geräusch wurde im Innern laut, drang von außen herein. Auf einmal aber wurde es lebendig auf dem Schloßhofe. Der Rittmeister stand schon an einem der Fenster des nach dem Hofe und zu ebener Erde gelegenen Zimmers und schaute hinaus.
„Bannhart kommt, bringt Nachrichten.“
Die beiden Barone waren aufgesprungen, während die [74] Baronin in ihrem Lehnstuhle blieb. Es war, als beruhige die äußere Gefahr, die Unruhe der Anderen ihr Inneres.
Der Haushofmeister, Lieutenant Bannhart, erschien im Zimmer. Das graue knorrige Gesicht des alten Husarenwachtmeisters verkündete nichts.
„Was bringst Du, Bannhart?“ rief ihm der Baron entgegen.
„Die Husaren, Bannhart?“ fragte Baron Kurt, der ihm entgegen gesprungen war. Aber der alte Bannhart antwortete weder dem Einen, noch dem Andern. Er war wieder Soldat, nur Soldat. Als solcher hatte er nur dem Rittmeister zu rapportiren, der das Obercommando im Schlosse führte.
„Herr Rittmeister,“ sagte er, „die Bauern sind im Anzuge.“
„Und die Husaren?“ rief der Baron Kurt.
Der Lieutenant ließ sich in seinem Rapport nicht unterbrechen.
„Herr Rittmeister, die Bauern rücken in drei Haufen heran. Einer auf das große Schloßthor zu; der zweite durch den Park, der dritte vom Walde her auf die Hintergebäude des Schlosses los.“
„Von wem hast Du die Meldungen?“ fragte der Rittmeister, der, wie sein Bruder, aus alter Gewohnheit den Lieutenant duzte.
„Von den Posten, die ich aufstellte. Sie machten mir gleichzeitig die Meldung; die Bauern waren pünktlich zu der gleichen Zeit am Schlosse eingetroffen.“
„Sie scheinen gut disciplinirt zu sein,“ bemerkte der Rittmeister.
„Ja wohl, Herr Rittmeister,“ sagte der alte Bannhart. „Daß jetzt jeder Mensch Soldat werden muß, hat seine guten, aber auch seine schlimmen Seiten. Ich habe es immer vorausgesagt, wenn das Gesindel disciplinirt wird –“
„Lassen wir das jetzt, Bannhart!“
„Zu Befehl, Herr Rittmeister!“
„Wie sind die Leute bewaffnet?“
„Auch das ist eine schlimme Sache, Herr Rittmeister! Da haben unsere Bauern von den Polen Anno Einunddreißig gelernt. Sie sind mit Sensen und Mistgabeln versehen; manche haben gar noch die Landsturmpiken von Anno Dreizehn; die großen Bauern tragen Jagdflinten, manche Büchsen, und drei Böller, in die sie Steine laden können, haben sie noch von den hohen Geburtstagen her. Endlich, Herr Rittmeister, führen sie auf Karren, wie auf Laffetten, große und schwere Hebebäume zum Aufsprengen von Thoren und Thüren mit sich.“
„Hm, Bannhart, wie viele sind dieser bewaffneten Bauern?“
„Jeder Haufen soll seine sechszig bis siebenzig Mann zählen.“
„Sind sie schon am Schlosse?“
„Sie waren noch etwa hundert Schritte entfernt, als meine Kundschafter zu mir eilten.“
„Und man hört noch nichts von ihnen?“
„Die Disciplin wieder, Herr Rittmeister. Sie waren von einander getrennt und werden wohl Zeichen zum gleichzeitigen Angriff verabredet haben. Auf diese warten sie vermuthlich noch.“
Die Mienen des Rittmeisters stimmten dem alten Wachtmeister bei. Er überlegte dann schweigend einen Augenblick.
„Wir sind Belagerte,“ sagte er. „Die Belagerer können in einer Minute überall auf dem Platze sein, in wenigen Minuten ihre Arbeiten beginnen. Die eisernen Gitter, die das Schloß umgeben, sind gegen starke Hebebäume ein schwacher Schutz; sie können in wenigen Minuten niedergeworfen werden, gleichviel ob an einer oder an mehreren Stellen. Die Gesammtheit der Belagerer kann sich dann in den Schloßhof ergießen. Dem bewaffneten, überlegenen Haufen können die wenigen und meist unbewaffneten Bewohner des Schlosses das Eindringen in den Hof nicht wehren, aber die starken Mauern des Schlosses sprengt kein Hebebaum, kein Böller. In spätestens einer Viertelstunde müssen meine Husaren hier sein, und durch sie werden die Belagerer zu Belagerten. Der Lieutenant von Steinmann führt meine Soldaten, er ist ein ebenso tapferer wie umsichtiger Officier und wird nicht vorrücken, ohne das Terrain recognoscirt zu haben. So wird er die Breschen des Gitters entdecken, sie besetzen lassen und den Eingedrungenen den Rückzug abschneiden.“
Ottokar von Waltershausen war ein unerschrockener Mann; er wollte auch den Muth seiner beiden Brüder kräftigen. Auch den seiner Schwägerin? Sie war muthig wie er – er wußte es. Er suchte ihre Blicke, während er sprach, aber sie hatte sich von ihm abgewandt, und das beunruhigte ihn. Er kannte seine Schwägerin, seit der letzten Stunde hatte er sie ganz kennen gelernt. Sie hatte zu ihrem Gatten gesagt: „Ich hatte Gründe, meinen Schwager vorher allein zu sehen: ich theile sie Dir mit.“ Er kannte ihren edlen und festen Willen und wußte, daß sie ihr Wort halten werde; er war überzeugt, daß sie dem Gatten die Wahrheit nicht verschweigen werde, weil sie als ehrliche Frau es nicht durfte. Und als ehrliche Frau hatte sie sich bekannt und bewiesen. Dies Alles beunruhigte ihn nicht blos, indem er es rasch überdachte: es erschreckte ihn.
Sie darf Adalbert nicht sprechen. Ich könnte ihm nicht wieder unter die Augen treten. Ich wäre geächtet, vernichtet.
Aber wie sollte er sie zurückhalten? Sollte er sie darum bitten? Welch’ anderes Mittel stand ihm zu Gebote? Er suchte einen Blick von ihr zu erhaschen, nur einen einzigen. Er erfuhr durch ihn ihren Entschluß. Sie hatte sich von ihm gewandt, sie mied ihn geflissentlich und wollte in ihrem Entschlusse nicht wankend werden. Angst befiel ihn, und doch mußte er Muth haben und ihn zeigen. Den Muth, in den Tod zu gehen. In den Tod? Ja, gegen den Todten hatte sie keine Anklage mehr.
Geräusch, Getöse wurde laut, es erhob sich hinten an dem Gitter an den Wirthschaftsgebäuden des Schlosses und fast in demselben Moment vorn an dem Gitterthore, das in den großen Schloßhof führte. Mit Hebebäumen wurde dort gegen die starken Eisenstäbe gerannt, und Hebebäume sollten hier die nicht minder starken Stäbe niederwerfen. Ein wildes Hurrah begleitete jeden Stoß, und Schüsse halfen den Schreck der Schloßbewohner vermehren.
Nordamerikanische Artilleriepferde. (Mit Abbildung Seite 71) Parade- und Excercirplatz und Manöverterrain bilden für die Soldaten die drei Stufen des Waffenlebens, hinter welchen es keine andere Stufe mehr giebt, als den Krieg. Nur wer selbst Soldat war, nicht aber der wenn auch noch so verwandtschaftlich interessirte Zuschauer, weiß, was jede der drei Stufen für ihn zu bedeuten hat, und er wird bei keiner derselben in späteren Jahren selbst Zuschauer sein, ohne das alte Soldatenblut in sich aufsteigen zu fühlen. Von allen Waffengattungen imponirt am meisten die der Artillerie, je höher unsere drei Stufen steigen. Bei der großen Parade mögen die Infanteriewaffen die Blicke auf sich ziehen und mag der Prachtanblick der blinkenden Reitergeschwader Alt und Jung begeistern, während die langgedehnten Artillerieaufzüge vielleicht sogar langweilen. Schon auf dem Excercirplatz ändert sich das Bild. Wenn aber das Manöver das volle Kriegsbild aufrollt, dann macht nur noch der Kürassier dem Kanonier den Eindruck des Furchtbaren streitig, aber nicht lange. Denn donnert auch der Boden, wenn ein Regiment der geharnischten Reiter daherstürmt, so verschwindet dies Alles doch vor dem Anprall der wie die Windsbraut daher tobenden Batterien, die kein Hinderniß des Terrains kennen, soweit ein Pferdepaar noch Boden fassen kann, und die, Erz, Pferd und Mensch, wie zusammengegossen ihr festgelegtes Ziel verfolgen. Da staunen wir die Menschenstärke an; da stehen wir erschrocken vor dem, was ein Mann leisten und ertragen kann. Deshalb wenden wir unwillkürlich unsere Aufmerksamkeit auch Allem zu, was zu dieser erprobtesten Siegeswaffe gehört, und ebendeshalb erregte auch das an sich so einfache Bild eines Artilleriepferdezugs gleich bei der ersten Aufstellung desselben in New-York allgemeines Wohlgefallen. Der Winter ist keine Excercirzeit für die Artillerie, aber die für die Waffe eingeschulten Pferde müssen erhalten werden. Und so zeigt denn unsere Illustration den winterlichen Spazierritt von Artilleriepferden einer Vereinigten-Staaten-Garnison, wie ihn der treffliche Pinsel Vogt’s in New-York in einem großen Bilde darstellt, das sich die Gunst der Pferde-, wie der Kunstkenner ebenso gewonnen hat, wie die der Männer des ehernen Kriegsfaches.
Bitte für einen alten Vater. Seit dreieinhalb Jahren wird der Vergoldergehülfe Paul Klein, geboren 1850 zu Breslau, vermißt. Sein alter, verlassen dastehender und schwer leidender Vater bittet durch uns Alle, welche in der Lage sind, ihm Nachrichten über seinen einzigen Sohn zukommen zu lassen, um baldgefällige Mittheilung, für die er im Voraus herzlich dankt. –
Ueber verschiedene überseeische Vermißte, die neuerdings durch unsere Zeitschrift gesucht wurden, sind folgende Mittheilungen aus Amerika eingegangen:
Ernst Platzmann, Bildhauer und Zeichner, gebürtig aus Westfalen, ist am 3. December vorigen Jahres in New-York begraben worden.
M. Robert Reinsburg, Conditor aus Leipzig, wohnt augenblicklich in Mexia, Texas.
Gustav Voigt aus Querfurt ging 1873 von New-York nach Süd-Amerika und ist, glaubwürdigen Nachrichten zufolge, dort gestorben. Näheres dürfte durch dessen Bruder, C. A. Voigt in Boston, Columbus-Platz 9, zu erfahren sein.