Die Gartenlaube (1888)/Heft 4
Alle Rechte vorbehalten.
Lothar trat mit seiner Schwester ein. Claudine hatte ihn am Hofe nur in seiner Rittmeisteruniform gesehen – glänzend und sieghaft „wie ein Kriegsgott!“ hatten sich die anderen Hofdamen immer zugeflüstert. Heute war er im schlichten, grauen Civilanzug, und sie mußte sich, wie schon vorhin unter den Linden, gestehen, daß es nicht „zumeist“ der bestechende Glanz der Soldatenerscheinung gewesen war, der ihn, selbst neben dem ritterlich schönen, imposanten Herzog, zu der auffallendsten Männergestalt am Hofe gemacht hatte.
Sie verließ das Fenster und wollte sprechen; aber er hob lächelnd die Hand. „Es bedarf keines Wortes weiter,“ beeilte er sich zu sagen. „Beate theilte mir bereits mit, daß Ihr romantisches Eulenhaus seine Schätze herausgegeben habe – die uralte Habe eines Klosters! Wie interessant! – Jedenfalls sind es die Geisterhände der Nonnen selbst gewesen, die das Mauerwerk gelockert haben, wohl weil endlich ‚die Rechte‘ gekommen ist.“
Claudine sah unwillkürlich nach den dunkelbärtigen Lippen, die so liebenswürdig zu sprechen wußten. – Das war nicht mehr der Mann, der an der Seite der Prinzessin nie ein freundliches Wort verwandtschaftlicher Annäherung für sie gehabt, dessen verfinsterter Blick die neue Hofdame immer nur verstohlen, in schlecht verhehltem Verdruß gestreift hatte.
Beate schob sie ohne Weiteres an den Kaffeetisch zurück. „Geh’, thue nicht gar so feierlich, Claudine! Wir sind nicht bei Hofe!“ sagte sie. „Setze Dich! Deine ‚Aschenbrödelfüßchen‘, ‚das Pensionswunder‘ – weißt Du noch? – werden sich wohl gewundert haben, daß ihnen ein solcher Marsch zugemuthet worden ist.“
Die junge Dame suchte erröthend schleunigst ihren Platz wieder auf, und Beate setzte sich zu ihr, während Baron Lothar, die Hände auf die nächste Stuhllehne gestützt, ihnen gegenüber stehen blieb.
„Allerdings ein langer Weg durch den tiefen Wald,“ pflichtete er seiner Schwester bei, – „ein Weg, den eine Dame allein doch nicht wagen sollte! Fürchten Sie nicht, daß Ihnen die – Rohheit begegnen könnte?“
„Ich habe keine Furcht. Im Walde bin ich früher stets zu Hause gewesen wie in unserer Kinderstube. Ich habe weit eher die Zuversicht, daß er mich beschützt wie ein alter Freund.“
„Ja, solch ein Waldläufer durch Dick und Dünn und Nacht und Nebel bin ich auch!“ lachte Beate. „Wir
[54] sind eben Thüringer Waldkinder. Aber für Deine feinen Söhlchen, Claudine, ist der Weg jetzt doch entschieden zu strapaziös –“
„Und ein völlig zweckloses Opfer, das Sie Ihrem überstrengen Rechtsgefühl gebracht haben,“ fiel ihr Bruder ein. „Denn es bedarf wohl keiner subtilen salomonischen Weisheit unsererseits, um sofort zu entscheiden, daß wir auch nicht einen Schein von Recht an dem Fund haben. Das Eulenhaus ist seit langen Jahren im Besitz der Altensteiner Linie – wie kämen wir dazu, so weit in die Vergangenheit zurückzugreifen mit Ansprüchen, die uns um so weniger zustehen, als wir eigentlich ein Unrecht gut machen müßten? Ich habe nämlich nie begriffen, wie mein Großvater auf den Tausch hat eingehen mögen, nach welchem ihm für den werthlosen Trümmerhaufen ein ausgezeichnetes Ackergrundstück zugefallen ist.“
„Der Meinung bin ich auch,“ stimmte Beate mit einem energischen Kopfnicken zu. „Nun mag Dein alter Heinemann beweisen, daß seine Abschätzung des Fundes richtig ist … Ein jährlicher Zuschuß zu Deinem Wirthschaftsgeld wird Dir nicht unwillkommen sein –“
„Praktisch wie immer, liebe Beate!“ sagte Baron Lothar. „Aber ich möchte fast gegen dieses Los der Nonnenerbschaft protestiren. Wäre es nicht poetischer, wenn sich der Blüthenstaub, den die Bienen vor uralten Zeiten zusammengetragen haben, in edle Steine verwandelte? – Vielleicht in eine Brillantengarnitur, welche die Erbin bei ihrem ersten Wiedererscheinen am Hofe tragen würde?“ warf er leicht hin, indem er halb abgewendet die ehemalige Hofdame über die Schulter fixirte.
Sie hob die Wimpern, ihr verdunkelter Blick begegnete dem seinen. „Steine für Brot?“ fragte sie. „Mir ist das Glücksgefühl, die Sorge aus meinem Heim verscheuchen zu können, mehr werth, und deßhalb denke ich ‚praktisch‘ wie Beate … Und was soll ich bei Hofe? Sie scheinen nicht zu wissen, daß ich meine Entlassung genommen habe –“
„Wohl, das pfeifen die Spatzen von den Dächern der Residenz … Aber geben Ihnen nicht Ihr Name und Ihre vielbeneidete Eigenschaft als Liebling der Herzogin-Mutter jederzeit das Recht, zu Hofe zu gehen? –“
„Vom armen Eulenhaus aus?“ unterbrach sie ihn mit zuckenden Lippen, und ihre Augen flimmerten.
„Allerdings, die Entfernung ist zu groß –“ gab er zu; aber seine Stimme klang dabei so hart und unerbittlich, als habe er ein ihm verfallenes Opfer unter den Händen, das er um jeden Preis festhalten wolle. „Acht gutgemessene Fahrstunden! – Nun, vielleicht findet der Hof selbst ein Auskunftsmittel – er braucht Ihnen ja nur näher zu rücken …“
„Wie wäre das möglich?“ rief sie jäh emporschreckend, mit halbverhaltenem Ton. „Außer dem alten Birschhaus ‚Waldlust‘ hat das herzogliche Haus kein bewohnbares Besitzthum in unserer Nähe.“
„Und in dieser famosen ‚Waldlust‘ mit ihren drei engen Stuben läuft das Wasser von den Wänden,“ lachte Beate. „Der Sturm wird das verwahrloste Gerümpel nächstens über den Haufen blasen.“
Baron Lothar schwieg. Er begann, im Zimmer auf- und abzuschreiten. „Ich hielt mich vorgestern auf meiner Reise nach hier einige Stunden in der Residenz auf, um der Prinzessin Thekla die kleine Enkelin zu bringen,“ hob er nach einem augenblicklichen Schweigen wieder an, indem er stehen blieb. „Und da hörte ich flüchtig von einem derartigen Projekt des Herzogs.“ – Er richtete plötzlich bei Nennung dieses Namens seinen Blick fest, durchdringend, ja fast feindselig auf das schöne Gesicht der ehemaligen Hofdame, über welches eine flammende Röthe hinschlug. „Man zischelte und kombinirte da so viel durcheinander“ – fuhr er fort, wobei er mit einem bitterhöhnischen Lächeln den Blick von dem errötheten Gesicht wegwandte. „Sie kennen ja das Hofgeflüster. Es kommt gehuscht wie die Motte aus dem Winkel und läßt sich schwer einfangen und festhalten; aber seine Spur bleibt an irgend einem angenagten Heiligenschein oder dergleichen.“
Bei diesen Worten hob Claudine das gesenkte Antlitz. „Ich kenne das ‚Hofgeflüster‘“, bestätigte sie; „aber ich habe mich nie so weit herabgelassen, ihm einen Einfluß auf mein Urtheil zu gestatten.“
„Bravo, alter Pensionskamerad!“ rief Beate. „Du bist ja wirklich mit heiler Haut davongekommen!“ Ihre klaren Augen hatten scharfprüfend die erregten Gesichter der beiden Sprechenden gestreift. „Aber nun lasset diese Hofreminiscenzen ruhen!“ setzte sie mit gerunzelter Stirne hinzu. „Der Klatsch ist mir in tiefster Seele verhaßt, einerlei, ob der am Brunnen und Waschtrog oder am Hofe; er hat immer und überall seine gemeine Seite. … Sage mir lieber, wie Du Dich in Deine neue Aufgabe findest, Claudine!“
„Nun, der Anfang war schwer,“ antwortete die junge Dame mit ihrem schönen, sanften Lächeln, dem sich so leicht ein Hauch von Schwermuth beigesellte. „Hände und Schürzen tragen die Spuren der Ungeschicklichkeit beim Kochfeuer. Aber dieses erste Stadium ist glücklich überwunden, und ich finde nun auch Zeit, mich an unserem Stillleben und Joachim’s heiterem, zufriedenem Gesicht zu erquicken.“
„In der That? Er sieht Sie mit heiterem Gesicht – Magddienste verrichten?“ Seine Augen sahen sie spottblitzend an.
„Glauben Sie, ich wüßte nicht zu verhüten, daß er mich beim häuslichen Schaffen sieht?“ gab sie heiter lächelnd zurück – sie ignorirte seinen Hohn geflissentlich. „Und dazu bedarf es wahrlich keiner besonderen Schlauheit. Joachim schreibt von früh bis spät an seinem Reisewerke über Spanien, in welches er seine schönsten Gedichte einwebt. Und bei diesem beglückenden Schaffen steht er außerhalb des wirklichen Lebens mit seinen kleinlichen Sorgen und Bedrängnissen. Er ist ein Mensch, der auf harten Dielen so gut schläft wie im weichen Bette, der ausschließlich bei Milch und Schwarzbrot zufrieden leben kann. Aber Liebe braucht sein zärtliches Gemüth, liebevolles Verstehen – und das findet er stets, wenn er aus seiner stillen Glockenstube zu den Seinen herabkommt. O ja, ich darf mir sagen, daß ich meine neue Lebensaufgabe begriffen habe – Joachim ist eine echte Dichternatur, die mir keine Geringere als Frau Poesie in Pflege und Obhut gegeben hat!“ Sie erhob sich und griff nach Hut und Handschuhen. – „Und nun will ich heimgehen und für den Abendtisch noch Eierkuchen backen – lache nicht, Beate –,“ sie stimmte aber selbst für einen Moment herzlich in das Lachen der Pensionsschwester ein – „meine gute Lindenmeyer ist ganz stolz auf die flinke Art und Weise, wie ihre Schülerin den Kuchen auf die andere Seite zu schwenken versteht.“
„Das müßte Deine alte Hoheit sehen!“
„Es würde ihr gefallen, das weiß ich. Sie ist eine deutsche Frau; das hausmütterliche Element steckt ihr im Blute, wenn sie auch fürstlich geboren ist.“
„Ob es ihr aber gefiele, wenn das bittere Muß sie plötzlich aus ihrem Audienzzimmer an den Küchenherd versetzen würde? – Der Wechsel zwischen Licht und Schatten, wie Du ihn auf Dich genommen hast, ist zu grell – heute thut mir das Herz weh.“
„Beruhige Dich, Beate!“ unterbrach sie ihr Bruder mit hörbarer Ironie. „Diese Prüfung währt nicht lange. Sie ist ja nur ein Uebergangsstadium, so eine Art Märchenepisode à la König Drosselbart. Ehe Du Dich dessen versiehst, wird ein Sonnenglanz die vermeintliche Schattenblume bescheinen, ein Sonnenglanz, um welchen sie alle Rosen von Schiras beneiden müssen.“
Die beiden Geschwister hatten bereits unbemerkt einen Blick des Einverständnisses gewechselt, und jetzt bei seinen letzten Worten verbeugte sich Baron Lothar und verließ rasch das Zimmer.
„Er phantasirt, wie es scheint!“ meinte Beate achselzuckend und sichtlich verständnißlos, indem sie nach der Thür schritt, die in das Nebenzimmer führte. „Einen Augenblick Geduld, Claudine; ich will nur ein wenig Promenadentoilette machen, denn ich möchte Dich begleiten!“
Claudine trat einstweilen wieder an das Fenster zurück. Ihre Wangen brannten und die feinen Brauen zogen sich in finsterem Brüten zusammen. … Was Alles mochten Bosheit und Frivolität im Herzogsschloß ersinnen, um ihr, die muthig einen ihr besseres Selbst rettenden Schritt gethan, Steine nachzuwerfen! Und womit hatte sie den Mann, der eben hinausgegangen, je so beleidigt und gereizt, daß er ihr mit anscheinend scherzhaft hingeworfenen, aber in Wahrheit verletzenden Bemerkungen das kaum beschwichtigte Herz aufregen und verbittern durfte?
[55] Da draußen, dem Fenster ziemlich nahe, stand der Wagen mit seinem Kinde. War er verbittert und ließ es Andere entgelten, weil sie von ihm gegangen war, die fürstliche Frau, die seinem Dasein einen unerhörten Glanz gegeben hatte? Er mochte freilich schwer tragen an seinem Geschick. Sie war ihm für immer entrissen, und was ihm von ihr geblieben, da lag es, gebrechlich und hilflos, und der glänzende Reichthum, den die Prinzessin hinterlassen, vermochte nicht, ihrem Kinde so viel Kraft zu geben, daß es auf seine Füßchen treten konnte! … Wie viel war schon um dieses winzige Geschöpfchen gekämpft und gestritten worden! – Die Großmutter, die Prinzessin Thekla, die sich über den Tod ihrer Lieblingstochter nicht beruhigen konnte, war selbst in Italien gewesen, um sich das Kind zu erbitten; aber Baron Lothar hatte sie scharf und entschieden zurückgewiesen. Nun flüsterte man bei Hofe, die alte Dame verfolge den Plan, dem verwittweten Schwiegersohn auch die ihr gebliebene Tochter, die Prinzessin Helene, als zweite Frau zu geben, damit das geliebte Enkelkind nicht in die Hände einer fremden Stiefmutter falle, und einige Kluge, die das Gras wachsen hörten, wollten wissen, daß die junge Prinzessin nicht „Nein“ sagen würde, da sie ja schon zur Zeit der Brautschaft ihrer Schwester eine stille Neigung für den schönen Schwager gehegt habe… Die Prinzessin Helene war hübscher als die Verstorbene, aber sie hatte auch die großen, unheimlichen Funkelaugen, mit denen das Kind da draußen unverwandt hinauf in das Lindengeäst starrte. Es lag gestreckt in den weißen Kissen und die dünnen Fingerchen pflückten im nervösen Spiel an dem blauen Atlas der Bettdecke, während eine alte Kinderfrau strickend neben dem Wagen saß und dabei unter lebhaften Gesten dem Kinde vorerzählte.
Ein starkes Räderrollen erschütterte den Boden unter den Füßen der jungen Dame, und gleich darauf trat Beate, zum Ausgehen umgekleidet, wieder in das Zimmer. Sie nahm das Weidenkörbchen mit den Erdbeeren vom Tische und hing es an den Arm. „Für Deine kleine Elisabeth,“ sagte sie zu Claudine, und ein rother Schimmer lief über ihr Gesicht.
Zuckerdose und Kuchenreste wurden noch eiligst im Wandschrank verschlossen, dann ging es fürbaß.
Draußen vor der offenen Hausthüre hielt ein Wagen mit zurückgeschlagenem Verdeck. Baron Lothar saß auf dem Bock und hielt die Zügel.
„Vorwärts, Schatz!“ trieb Beate, als Claudine wie erschreckt auf den Thürstufen zögerte und sichtlich widerstrebte, eine solche Aufmerksamkeit in Neuhaus anzunehmen. – „Die schmucken Kerlchen da vorn“ – sie zeigte nach den Pferden, herrlichen, jungen Thieren, die sich ungestüm gebärdeten – „schnauben wie die Sonnenrosse; sie möchten uns am liebsten durchbrennen.“
Gleich darauf brauste der Wagen unter den Linden hin und die Fahrstraße hinab. Baron Lothar regierte das feurige Gespann leicht, mit spielender Sicherheit. Und dabei musterte er von Zeit zu Zeit die Roggen- und Rübenfelder, die mit grünen Früchtebüscheln besetzten Zweige der Obstbäume zu beiden Seiten des Fahrweges. Aber nicht einmal wandte er sich nach den Insassen des Wagens zurück. Er hatte vorhin Claudinens Zögern gesehen und den Widerspruch in ihren Zügen gelesen; sie wußte es, denn ihr Blick war dem seinen begegnet, einem Spottblick, der ihr das Blut in die Wangen getrieben hatte; aber wohl oder übel mußten sie nun doch zusammen fahren, „Montecchi und Capuletti“ in einem Wagen, der mit seiner hellen Atlaspolsterung, seiner ganzen blitzenden und schimmernden, vornehmen Ausrüstung wie ein verkörpertes Stück Hofglanz durch das Paulinenthal flog.
In würzigen Feld- und Walddüften und in dem tiefen Goldglanz der Spätnachmittagsonne förmlich schwimmend, breitete sich das schöne, weite Thal hin, ein jugendstrotzendes Gelände, das der kleine, weit droben aus der Bergbrust quellende Fluß in fröhlichem Lauf durchschnitt. Wellenglitzernd, bald verdunkelt unter Weidengebüsch hinkriechend, bald im freien Sonnenlicht übermüthig an den Uferblumen reißend, kam er daher, der Schuldige, der im Verein mit Gewitter-Regengüssen wiederholt zum wilden Raubthier geworden war. Wer sah es ihm an, daß er einen Theil des Gerold’schen Wohlstandes verschlungen hatte?
Ringsum, wohin der Blick fiel, wurde noch rüstig vor Feierabend gearbeitet. Die Sense des Mähers fuhr mit blendendem Blitz durch das niederrauschende Wiesengras; in den Furchen der Kartoffeläcker hantirten ganze Kolonnen gebückter Frauen mit der Hacke, und auf dem Anger am Flußufer und zwischen den wilden Schlehenbüschen der grasigen Raine trieben barfüßige, im Gehen strickende Mädchen ihre Gänse und Ziegen vor sich her. Hoch vom Walde herunter aber scholl das taktmäßige Aufschlagen der Holzaxt. Treuherzig grüßende Zurufe der fleißigen Menschen flogen den Vorüberfahrenden von allen Seiten zu und wurden freundlich erwiedert, und Claudine kam zum ersten Mal der Gedanke, daß sich die Insassen des stolzen Wagens nicht vor dem schweißtriefenden Arbeiterfleiß zu schämen brauchten; sie waren nicht wie die nutzlosen Lilien im Felde, nicht wie die Drohnen im Bienenkorbe; sie arbeiteten und schafften auch, die Eine im angeborenen Thätigkeitstrieb, und die Andere um der Genugthuung willen, sich die Selbstachtung zu retten, sich nützlich zu machen und damit das Wohl geliebter Menschen zu fördern …
Für einen kurzen Moment wurde weit drüben hinter den Baumwipfeln der Gärten das mächtige Schieferdach des Altensteiner Gutshauses sichtbar. Die Fahnenstange ragte noch kahl in die Lüfte – das schmerzlich beweinte, verlorene Vaterhaus beherbergte den neuen Besitzer mithin noch nicht. Aber auf der Chaussee kam langsam ein schwerbeladener Möbelwagen daher, dem ein niederes Gefährt mit der Holzkiste eines Koncertflügels folgte.
„Der neue Nachbar zieht ein, wie es scheint,“ sagte Beate mehr wie für sich und musterte mit scharfem Blick die vorüberfahrenden Wagen.
In diesem Augenblick wandte sich Baron Lothar rasch nach Claudine zurück.
„Sie wissen, wer das Gut gekauft hat?“ unterbrach er sein bisheriges Schweigen so urplötzlich, wie ein Richter, der seinen Delinquenten in einem unbedachten Moment zu überrumpeln sucht.
„Wie kann ich das wissen?“ gab sie, durch seinen Ton befremdet, etwas scharf zurück. „Wir suchen zu vergessen, daß wir jenseit des Waldes zu Hause waren, und forschen grundsätzlich nicht, wer dort nach uns kommt.“
„Das weiß hier im Thal noch Niemand, Lothar,“ bestätigte Beate. „Unsere besten Klatschweiber im Dorfe zerbeißen sich die Zähne an der harten Nuß. Mich beschleicht manchmal die geheime Furcht, daß ein reicher Industrieller der Käufer ist; das was ich eben durch die Vorhanglücken des Möbelwagens gesehen habe, bestärkt mich in dem Glauben – diese Leute können es ja nie stilvoll und brillant genug haben! Schrecklich! Qualmende Fabrikschlöte in unserem schönen, luftreinen Thal!“
Baron Lothar hatte sich längst wieder umgewendet; er antwortete nicht und ließ die Peitsche auf dem Rücken der Pferde spielen. Und weiter brauste der Wagen, nun im Walde, und Beate meinte mit einem Blick auf das Unterholz, das sich laubenartig über den mit Blüthensternen besäten und von Farrenwedeln umfächelten Moosboden ausbreitete, sie glaube wohl, daß die in der Residenz mit ihren verstaubten Lungen sich gern einmal auf solch ein grünes Polster hinstrecken möchten. Sie hatte das Körbchen mit den Erdbeeren auf dem Schoße und ein kleines Batisttuch als Schutz gegen die Sonne über die köstlich duftenden Früchte gebreitet. – Diesmal ging die Fahrt freilich rascher von statten als neulich mit den Miethgäulen.
„Sieh, sieh, wie hübsch sich doch Dein Eulenhaus herausgemausert hat!“ rief Beate überrascht, als die kleine Besitzung in Sicht kam. „Seit meinem letzten Besuch bei Dir und Deiner Großmama bin ich nicht wieder hierhergekommen. Es hat sich ja förmlich mit einem grünen Mantel behangen!“
Sie hatte Recht. Erst in ihren letzten Lebensjahren hatte die verstorbene Besitzerin Anpflanzungen von wildem Wein am Thurm gemacht. Noch vor vierzehn Tagen hatten die mit schwachentwickelten Blättchen besetzten Ranken nur wie ein dünnes, wenig sichtbares Fadennetz die Mauern umstrickt; heute aber ließ das üppige Blattgewebe nur noch ein paar Fensterbogen frei. Bis über die untere Thurmstube kroch es hinauf; es umrahmte die auf die Plattform führende Glasthür und hing seitwärts wieder über dem Geländer herab, wie ein hingeworfener Teppich.
Heinemann hatte der kleinen Elisabeth eben ein Vogelnest hoch im Gebüsch gezeigt; er trug das Kind noch auf dem Arme
[56][57] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [58] und ging so dem herankommenden Wagen entgegen. In ängstlicher Spannung zog er die dicken, gelben Brauen in die Höhe – kamen die dort vielleicht gleich mit, um ihren Antheil zu reklamiren?
Der Wagen hielt. Der alte Gärtner öffnete mit einem höflichen Gruß den Schlag; aber nur seine junge Herrin stieg aus. Beate blieb sitzen und reichte dem Kinde, das er auf dem Arme behalten hatte, die Erdbeeren hin. Mit Ueberraschung sah Claudine dabei ein schönes, zärtliches Lächeln über das ernste Gesicht der Pensionsschwester hinfliegen, und auch das Kinderherz mochte instinktmäßig herausfühlen, daß dieser Sonnenstrahl ein seltener sei; denn die Kleine reckte sich plötzlich hinüber und schlang die Arme um Beatens Hals; dann nahm sie, glückselig in sich hineinlachend, unbedenklich das Körbchen aus den „großen Händen“, die sie neulich ganz empört von ihrem Puppenliebling abgewehrt, und strebte, schleunigst von Heinemann’s Arm zu kommen, um nach dem Hause zu laufen.
Beate stellte „der Herrin vom Eulenhaus“ ihren Besuch für die allernächste Zeit in Aussicht, „auch solch eine Ankunft auf eigenen Füßen, einen Marsch, der den Haushaltungsärger wieder einmal aus dem Blute jage“. Gleich darauf wandte sich der Wagen und fuhr heimwärts.
Baron Lothar hatte kein Wort mehr gesprochen; aber er hatte sich mit einer tiefen Verbeugung von Claudine verabschiedet und dem alten Gärtner ein freundliches Wort zugerufen.
„Sapperlot, alles was wahr ist! Ich bin kein Freund von den Neuhaus’schen – ganz und gar nicht, im Gegentheil! Sie haben mehr Glück als Verdienst, und die Altensteiner müssen vor ihnen die Segel streichen – leider Gottes!“ sagte Heinemann, während er die Hand beschattend über die Augen hielt und der fortbrausenden Equipage mit langem Halse und höchstem Interesse nachsah. „Aber das muß ihm der Neid lassen, ein bildschöner Soldat ist und bleibt er, auch in dem müllergrauen Rock, dem simplen. Bin ja auch Soldat gewesen – ein forscher, gnädiges Fräulein – und weiß die Herren Officiere zu taxiren. Ich glaube, wenn der vor seiner Schwadron reitet, da halten sich die Kerls noch einmal so stramm und stolz auf ihren Pferden … Wie’s freilich inwendig aussieht, das weiß man ja – viel Uebermuth und ein krasser Dünkel auf die vornehme Heirath; und wie es mit dem da steht –“ er machte mit Daumen und Zeigefinger die Geste des Geldzählens und streifte mit einem ängstlich fragenden Seitenblick das Gesicht seiner jungen Herrin – „hm, da nimmt man wohl auch, wo es zu haben ist?“
Claudine lächelte. „Sie können ruhig sein, Heinemann, der Fund bleibt in Ihren Händen; Sie können damit thun, was Ihnen beliebt –“
„Was? Wirklich? Sie nehmen nichts, die da drüben?“ Er war nahe daran, einen Freudensprung zu machen. „Ein Stein ist mir vom Herzen – ein Centnerstein! Mir war zuletzt himmelangst, bis Sie kamen! Na, das wäre überstanden, Gott sei Dank! – Nun sollen Sie aber einmal sehen, was der alte Heinemann kann, gnädiges Fräulein! Dem Kerl da in der Stadt, dem reichen Bolz, dem die Bienenväter hier zu Lande nie Wachs genug schaffen können, dem will ich seine Sparpfennige aus dem Leibe pressen, daß er Ach und Wehe schreien soll! … Wir können’s brauchen, gnädiges Fräulein, können’s gerade jetzt gut brauchen, wo wir gewiß manchmal vornehmen Besuch kriegen. Und da darf es doch nicht zu armselig im Hause sein – beileibe nicht, das sind wir schon unserer guten gnädigen Frau in der Erde schuldig! Ich nehme morgen das gute Zinn gleich mit in die Stadt zum Zinngießer, es muß wieder einmal ein bischen aufgefrischt werden; einen neuen Sahnegießer zum Kaffeegeschirr brauchen wir auch; und wie wär’s denn, wenn wir in die gute Stube neue Vorhänge kauften? Fräulein Lindenmeyer hat nach der letzten Wäsche um all ihr Leben gestopft und geflickt, und wenn sie das auch pikfein macht, da und dort sieht man’s doch –“
„Aber, mein Gott, wozu denn das Alles?“ fragte Claudine erstaunt. „Fräulein Beate –“
„Ach, wer spricht denn von der? – Die flickt und stichelt ja selbst alle alten Lappen und Läppchen zusammen und hängt sie wieder an die Fenster; die ist gar häuslich und sparsam und spottet nicht über einen zugestopften Riß!“ Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter nach Fräulein Lindenmeyer’s Eckstube. „Da drin sitzt sie, die Dorfklatsche, die Försterin aus Oberlauter, die alle neuen Nachrichten brühwarm aus der Residenz kriegt und sie nachher im Stricksack von Haus zu Haus trägt, bis es altbackene Semmeln sind. Wenn wir näher ans Haus kommen, da werden Sie’s riechen, gnädiges Fräulein – eitel Zimmet und Vanille! Fräulein Lindenmeyer hat nämlich vor Freude über den raren Besuch Chokolade gekocht, eine steife Chokolade – der Löffel bleibt drin stecken – Brr! Und morgen wird unser altes Mamsellchen wieder einmal auf der Nase liegen und ihre allerschönsten Magenschmerzen davon haben – na meinetwegen! Die Nachricht, die uns der brave Postillon im Weiberrock zugetragen hat, ist am Ende so ein bischen Schmerzen werth; unser Herzog hat nämlich unsern lieben, schönen Altensteiner Geroldshof gekauft.“
Claudine stand noch neben dem Eibenbaum am Eingang des Gartens. Mit einer jähen Bewegung griff sie in die Zweige des Bäumchens, als taste sie nach einem Halt. Das Blut stürmte ihr nach dem Kopfe und gleich darauf überzog eine tiefe Blässe ihr Gesicht.
„Du lieber Gott, wie Sie das angreift!“ rief Heinemann erschrocken und griff zu, um sie zu halten. „Ich alter Tapps, daß ich auch so mit der Thür ins Haus fallen muß! – Aber an der Sache ist ja doch nichts mehr zu ändern“ – er schüttelte trübe den Kopf – „kein Titelchen! Und ist’s denn nicht doch tausendmal besser, der Geroldshof kommt in solche Hände, als daß vielleicht ein reicher Fabrikant in den Stuben und Sälen spulen und spinnen läßt? … Und Ihre schöne Jugend, gnädiges Fräulein! Fragen Sie doch die da unten“ – er zeigte auf den Boden unter seinen Füßen, den ehemaligen Kirchhof der Nonnen – „ob nicht eine Jede mit tausend Freuden wieder aus dem einsamen Walde entwischt wäre, wenn sich nur ein Schlupfloch in den himmelhohen Mauern gefunden hätte! … Sehen Sie, das ist ja das Schöne bei der Sache – Sie kommen wieder in Ihre Gesellschaft, in Ihr richtiges Element! Eine jede Blume will ja auch ihren besonderen Boden. Der ganze Hof zieht für den Sommer auf das Altensteiner Gut. Der Herzog will eine Milchmeierei extra für seine junge Frau einrichten; sie soll ja an der Schwindsucht laboriren, das arme Frauchen, und da soll nun die Luft im Kuhstall helfen.“ Er kratzte sich hinter dem Ohr. „Du lieber Gott, das ist auch so ein Nothbehelf, wie der Moschus, wenn’s Matthäi am letzten ist!“
Die junge Dame ging langsam und schweigend tiefer in den Garten hinein. Ihre erblaßten Lippen waren wie im Krampfe geschlossen. Heinemann sah sie scheu von der Seite an. In diesem sanften, schönen Gesicht, das er kannte, seit es zum ersten Mal die blauen, wundertiefen Augen aufgeschlagen, spiegelte sich ein Kampf ab, für welchen ihm das Verständniß fehlte. Das war nicht der Schmerz um das verlorene Vaterhaus, wie er anfänglich gemeint hatte; es sah vielmehr aus, als ringe sie innerlich mit einer unheimlichen Gewalt, die auf sie einstürme, als wechselten Rede und Gegenrede in der Seele, während die Lippen stumm blieben. Er sah es an dem Zurückwerfen des Kopfes, an den abwehrend ausgestreckten Händen. Seine Anwesenheit schien sie völlig vergessen zu haben.
Er sagte deshalb auch kein Wort mehr und machte sich am nächsten Gemüsebeet zu schaffen; und erst, als sie im Begriff stand, in das Haus zu gehen, kam er ihr nach und bat um Urlaub für den nächsten Tag, „von wegen des Wachshandels“. – Sie nickte ihm mit einem matten Lächeln gewährend zu und ging die Treppe hinauf.
Droben, in ihrem stillen Zimmer, sank sie auf einen Stuhl und schlug die Hände muthlos vor das Gesicht. … War alles umsonst gewesen? Durfte ihr wirklich die Versuchung nachschleichen, wohin sie auch flüchten mochte? … Nein, nein, ihre Lage war nicht mehr so schutz- und hilflos, wie noch vor wenigen Wochen! Stand nicht ihr Bruder neben ihr? Und durfte sie jetzt nicht auch sagen: „Mein Haus ist meine Burg – ich kann und will es vor Jedem verschließen, der meine Schwelle nicht betreten soll?“ …
Treten wir in eine Häuslichkeit, in welcher Kinder gellend schreien und sich nicht beruhigen lassen wollen oder in der Hunde uns entgegen bellen und immerfort kläffen, so empfangen wir keinen angenehmen Eindruck. Ungezogen sind die Einen, schlecht erzogen die Anderen. Auch das Thier kann, gleich dem Menschen, nur dann ein guter Genosse sein, wenn ihm eine sorgfältige oder mindestens eine angemessene Erziehung zu Theil geworden.
In dieser Wahrheit liegt die Erklärung, weßhalb wir so viele widerwartige Köter unter den Hunden, falsche und boshafte Katzen, störrische Pferde, unliebenswürdige Papageien vor uns sehen. Wer nicht selber wohl erzogen ist, kann auch keinen Andern gut erziehen; dieser Ausspruch gilt auch den Hausthieren gegenüber. Alle Untugenden, welche ein solches Thier hat, bilden nur das Spiegelbild der eigenen Fehler und Schwächen des Menschen.
Von Natur zeigt sich der Vogel in jenem wundersam anmuthenden Wesen, welches wir mit dem Worte harmlos bezeichnen. Dies finden wir bewahrheitet noch heut zu Tage und in unserer Nähe, z. B. an den gefiederten Gästen, welche zur Winterzeit aus dem hohen Norden bei uns einkehren, den Seidenschwänzen u. a. Sie bleiben dicht vor uns sitzen und blicken dem Schützen ahnungslos in das Tod und Verderben sprühende Rohr. Bald aber haben sie den Menschen in seiner Furchtbarkeit kennen gelernt und dann sind sie scheu und verschlagen geworden, wie leider die meisten Vögel unserer heimischen Fluren.
So hat der Verkehr des Menschen mit den Thieren auf diese überall eingewirkt – und sein Einfluß insbesondere auf die Entwickelung des einzelnen Thieres ist ein um so größerer, je geistig höher dasselbe steht, je näher es also ihm selber verwandt ist.
Wenn ein begabter Künstler eine Reihe inniger Beziehungen zwischen dem Menschen- und Thierleben uns vor Augen führt, wenn er Thiere in menschlichen Gestalten oder umgekehrt Menschen sinnbildlich als Thiere dargestellt hat, so weiß der verständnißvolle Blick auch hier aus dem Scherz wohl gar ernste Lebenswahrheiten zu entnehmen; denn eben im Guten und Bösen, in Freude und Leid, in Scherz und Ernst giebt es Uebereinstimmungen zwischen der Menschen- und Thierwelt.
Ganz eben so, wie sprichwörtlich Pudel, Mops, Windhund, Katze u. a. m. in der äußeren Erscheinung und selbst im innern Wesen ihre Herren verbildlichen können, so ist dies entschieden auch beim Papagei der Fall; nur kommt es bei ihm mildernd und entschuldigend in Betracht, daß ein derartiger Tropenbewohner selbst einem gebildeten Publikum nach allen seinen Eigenthümlichkeiten hin noch keineswegs bekannt genug ist. Lediglich von dem Gesichtspunkte aus, daß Niemand nach seinem Vogel – ich meine hier nur den Papagei – falsch beurtheilt werden möge, will ich es mir angelegen sein lassen, Anleitung zur rechten Erziehung eines gefiederten Sprechers zu geben.
Kommt ein solcher Vogel nach der Reise vom Händler her dem Käufer unbeschreiblich wild, unbändig und mit unerträglichem Geschrei entgegen, so könnte er ihm die Liebhaberei in der That ein- für allemal verleiden, und doch vermögen wir dasselbe unausstehliche Geschöpf in überraschend kurzer Frist in einen liebenswürdigen Gesellschafter zu verwandeln, der uns Vergnügen in hohem Maße gewähren und bedingungsweise sogar unser Freund werden kann.
Vor allem gilt es, ihn zu beruhigen und dann zu zähmen. Der Weg zum ersteren Ziel ist mühelos; man überläßt den Papagei zunächst ganz sich selber und vermeidet es nur sorgsam, ihn zu erschrecken oder zu ängstigen. Er bemerkt bald, daß keinerlei Gefahr für sein Leben vorhanden sei, und mit dem Gefühl der Sicherheit gewinnt er auch die Ruhe, um alles rings umher aufwerksam zu beobachten. Bei immer gleichmäßig ruhigem und freundlichem Begegnen erkennt er in dem bis dahin so sehr gefürchteten Menschen nunmehr seinen Wohlthäter, und dann schließt er sich ihm mit voller Hingebung an; Leckereien, wie Nüsse, süße Mandeln u. a. führen rasch zur innigen Befreundung und zum Zahmwerden. Bekannte Kunstgriffe, um diesen Zweck zu erreichen, sind noch, daß man seinen Käfig keinenfalls höher als das menschliche Auge und dann auch so stelle, daß der Pfleger sich zwischen dem Vogel und dem Licht befinde, sowie daß man jedes seiner Bedürfnisse selber befriedige, ihm also stets persönlich das Futter, Wasser u. dergl. reiche. Allerdings giebt es einzelne hartnäckige Naturen, welche freiwillig durchaus nicht zahm werden wollen und deren Trotz also durch Zwangsmittel gebrochen werden muß. Aber in Anbetracht dessen, daß solch ein Vogel für jede wirkliche oder vermutliche Mißhandlung ein erstaunlich treues Gedächtniß hat und es z. B. selbst nach Jahren noch dem nachträgt, der ihn einst mit Gewalt aus dem Versandkäfig hervorgeholt hat, sollte jeder derartige Zwang wie auch jede Bestrafung nur in negativen Maßregeln, wie Hunger, Durst, Verdunkelung, niemals aber in positiven, wie Schläge und dergleichen bestehen.
Jetzt beginnt der eigentliche Unterricht und dieser muß mit großer Umsicht ausgeführt werden. Am besten früh Morgens und Abends in der Dämmerung; nachdem man den Vogel ruhig und liebevoll, ohne ihn zu erschrecken, ermuntert hat, sagt man ihm zunächst ein Wort und zwar immer nur dasselbe, genau in gleicher Betonung, klar und deutlich ausgesprochen vor. Worte mit vollem Vokal a oder o und scharfen Konsonanten k, r, t, bei Vermeidung von sch und z lernt er vorzugsweise leicht; so bei den Vogelhändlern gewöhnlich Lora, Hurrah, Jako etc. Sobald er nur ein solches Wort klar und sicher nachspricht, hat man den Beweis, daß der Vogel zur Abrichtung tauglich ist.
Mit dem zweiten, dritten und den folgenden Worten geht es dann ungleich rascher von Statten. Man hat nur die Vorsicht zu beachten, daß man niemals ein neues Wort folgen läßt, bevor er das vorhergegangene gut und sicher aussprechen kann. Bald beginnt man auch mit kurzen Sätzen, denen dann allmählich längere Redensarten folgen. Wenn der Jako übt, so soll man nicht nachhelfen, indem man in das Wort, bei welchem er stockt, einfällt; das giebt eine fehlerhafte Aussprache. Unter sorgsamer Beachtung dessen, sage man vielmehr jedesmal den ganzen Satz, beziehentlich das Wort von neuem vor.
Freilich ergiebt sich die Begabung als außerordentlich verschiedenartig und zwar sogar bei den einzelnen Papageien von ein und derselben Art. Ein Graupapagei, und gleicher Weise eine Amazone, lernt rasch jedes vorgesprochene Wort, vergißt jedoch über dem neuen stets bald wieder das vorige; ein anderer lernt schwieriger, behält dann aber auch für immer; ein dritter lernt gut und behält gut; ein vierter lernt überhaupt garnichts; ein fünfter lernt wohl, jedoch nichts deutlich auszusprechen; ein sechster nimmt die menschliche Sprache nicht an, ahmt dagegen alle möglichen anderen Laute nach, wie Hundegebell, Hahnenschrei, Thürknarren u. a.; ein siebenter hat auch keinen Sinn für menschliche Worte, doch vermag er eine, ja selbst drei bis vier Liedermelodien tadellos nachzuflöten. Große Schwierigkeit, natürlich aber auch ein hoher Reiz für den Liebhaber liegt in der Mannigfaltigkeit dieser Begabung, und ein Haupterforderniß für das Gelingen der Abrichtung ist es erklärlicher Weise, daß man vor allem die betreffende Veranlagung des Vogels zu ermitteln suche und ihr entsprechend den Unterricht gestalte. Erklärlicher Weise stuft sich auch der Werth der einzelnen Vögel je [60] nach ihrer Begabung bedeutsam ab; um dies aber ermessen zu können, bedarf es bereits recht gründlicher Kenntnisse und Erfahrungen.
Wenden wir uns nun dem Unterricht wieder zu, so muß ich bitten, Folgendes als vorzugsweise wichtig zu beachten. Von vornherein strebe man mit größter Sorgfalt danach, daß der Papagei dabei an Zeit, Ort, Persönlichkeiten, Dinge und Vorgänge immer bestimmte Vorstellungen knüpfe. Die meisten sprachbegabten Papageien, namentlich die großen kurzschwänzigen und auch manche langschwänzige Arten begreifen dies leicht und behalten dergleichen mit unglaublicher Sicherheit im Gedächtnis. Ein solcher sachgemäß abgerichteter Vogel wird niemals die Namen von Personen verwechseln, die er einmal kennt und deren Eigentümlichkeiten er sich eingeprägt hat; er darf niemals anders als früh „guten Morgen“, spät „guten Abend“ sagen, beim Anklopfen „herein“, beim Fortgehen „lebe wohl“; er weiß alle Gegenstände, die ihm behagen, genau zu unterscheiden, und wenn er eine Leckerei fordert, die man ihm vorenthält, weil sie ihm schädlich sein kann, während man ihm eine andere zum Ersatz bietet, so wirft er die letztere voller Entrüstung fort, selbst wenn sie ihm sonst ganz angenehm sein würde, so z. B. ein Stückchen Obst anstatt eines Knochens mit Fleisch zum Benagen.
Ein Papagei, der ein oder wenige Worte spricht, ist erklärlicher Weise gleich weit werthvoller und mit jedem einzelnen Wort, welches er hinzulernt, oder gar mit jeder Redensart steigt sein Preis außerordentlich, so daß ein solcher Vogel, der beim Einkauf 15, 20, 30 bis 40 Mark kostete, dann bald für 30, 50, 100, ja 300 Mark und darüber verkauft werden kann. Wer also mit der sachgemäßen Abrichtung sprachbegabter Papageien sich beschäftigt, kann darin einen reichen Ertrag gewinnen. Dazu gehören aber ganz besondere Erfordernisse, und zwar vor allem eine möglichst gründliche Kenntniß der verschiedenen Papageienarten, welche zum Sprechenlernen fähig sind, sodann ein liebevolles Herz für diese Vögel; denn wenn man den gefiederten Schüler nicht mit größter Sorgfalt, Geduld und Liebe behandelt, so wird man keinen willigen, lernbegierigen Schüler an ihm vor sich haben. Schließlich hat die Erfahrung auch gelehrt, daß ein Papagei nur dann bald und gut sprechen lerne, wenn der Lehrmeister eine klangvolle Stimme hat; daher sind Frauen in solcher Unterrichtung meistens vorzugsweise glücklich.[1]
Der hochbegabte Vogel entwickelt im Umgang mit dem Menschen, welcher ihn einsichtsvoll und verständig behandelt, eine erstaunliche Klugheit. Wenn nun zu dem Papagei Jemand geführt wird, der das Wesen eines solchen Thieres gar nicht kennt, auch keine Einsicht in die obwaltenden Verhältnisse hat, so ist es wohl erklärlich, daß derselbe entweder glaubt, ein Wesen vor sich zu haben, welches ihm gleich stehe, sein Freund und Genosse sein, mit ihm denken und fühlen, leiden und sich freuen könne, oder daß er trotz alledem, die Achseln zuckend, ein absprechendes Urtheil fällt und meint, dies Alles sei doch nur eingelerntes, mechanisches Nachplappern.
Ja, Wunder sehen wir eben nur durch unsere Brille, die unserer Sentimentalität oder unseres guten Glaubens – und im schroffen Gegensatz dazu urtheilt auch die sogenannte strenge Wissenschaft nur zu häufig falsch, eben weil ihr hier der Boden des tatsächlichen Wissens durchaus fehlt. Gerade den hochorganisirten Thieren gegenüber hat unsre Kenntniß noch so viele Lücken, daß wahrscheinlich viele Menschenalter dazu gehören werden, um dieselben sach- und wahrheitsgemäß auszufüllen.
Uebrigens gilt alles Gesagte nicht vom Jako oder Graupapagei allein, sondern auch von allen Papageien überhaupt, aus deren Reihen wir bis jetzt gefiederte Sprecher vor uns haben. Die Amazonenpapageien oder Kurzflügel stehen wenigstens in den großen Arten der eigentlichen oder gemeinen Amazone, dem sogenannten doppelten Gelbkopf, dem Gelbnacken, der Surinamamazone, der Mülleramazone u. a. dem Graupapagei mehr oder minder gleich und auch einige der kleineren Amazonen, so der kleine Gelbkopf, sind manchmal reichbegabt. Dann folgen die Edelpapageien, unter denen es gleichfalls einzelne hervorragende Sprecher giebt; weiter die Kakadus und die Araras, von denen auch manche hochgerühmt werden. Diesen Kurzschwänzen reiht sich dann als ebenbürtig auch ein Geschlecht der Langschwänze an und zwar eine Gruppe der Edelsittiche, die sogenannten Alexandersittiche.
Auch die farbenprächtigen Loris oder Pinselzüngler lernen zum Theil recht niedlich plappern, ferner die gleichfalls sehr bunten Plattschweifsittiche, von denen manche gleichfalls einige Worte nachsprechen können. Unter allen zahlreichen übrigen, den Langflügelpapageien, Keilschwänzen, Dickschnäbeln, Schmalschnäbeln u. A. haben wir keine namhaften Sprecher mehr vor uns; sie lernen sämmtlich nur ein oder einige Worte mechanisch nachplappern. Nur wenige Papageiengeschlechter giebt es aber, deren Angehörige bis jetzt noch gar keine Sprachbegabung gezeigt haben, so z. B. die allbeliebten, fast durchgängig leicht züchtbaren Zwergpapageien und die niedlichen, komischen Fledermauspapageien. Ueber kurz oder lang aber wird man sicherlich auch bei ihnen diese schöne Naturgabe entdecken. Das ist meine feste Ueberzeugung; denn wir haben ja einen der allerkleinsten lebend eingeführten Papageien, den allbekannten Wellensittich, bereits in mehreren Fällen als menschliche Worte allerliebst nachplaudernden Sprecher vor uns.
Nach zwölfjähriger Bauzeit ist das neue Wiener Hofburgtheater der beengenden Hülle hölzerner Gerüste prangend entstiegen. Eine kürze Spanne Zeit noch, und die Pforten des prächtigen Palastes werden sich öffnen, und man darf voraussehen, wie sich der Menschenstrom „nach unsrer Bude“ drängt
„Und mit gewaltig wiederholten Wehen
Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt,
Bei heilem Tage, schon vor Vieren,
Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht“ ...
Es wird ein echter und rechter Festtag werden, die Einweihung der herrlichen Heimstätte, welche am Donau-Ufer der dramatischen Kunst bereitet wurde. Von einer Saison zur andern ist diese Einweihung verschoben worden, nun aber ist sie in endgültiger Weise nahegerückt; das Aeußere des Hauses präsentirt sich in der ganzen Fülle seiner reichen Schönheit, und im Innern wird so emsig, so unablässig geschafft und gearbeitet, daß man beobachten kann, wie der schöne Künstlertraum mit weitausgreifenden Schritten seiner Vollendung entgegengeht.
Jeder Unparteiische muß seit Langem bekennen, daß das alte Burgtheater nicht mehr ausreiche, den Anforderungen eines verfeinerten Geschmackes nicht mehr entspreche, in Dingen der Bequemlichkeit und Behaglichkeit weit hinter dem zurückstehe, was heut zu Tage das Publikum zu verlangen gewöhnt ist. In dem neuen Hause wird all das sich zusammenfinden, was dem alten gefehlt hat: Luft, Licht, Komfort, stilgemäße Ausstattung, moderne Scenirung, ein Zuschauerraum, welcher Einem ermöglicht, zu sehen und gesehen zu werden – ein Rahmen, entsprechend dem kostbaren Gemälde, das er umschließen soll. Das Alles weiß man, und die Wiener blicken mit Stolz auf das Bauwerk, welches den Musen geweiht ist, und doch ... und doch überkommt es eine ganze Generation wehmütig bei dem Gedanken, daß das traute, halbdunkle, enge und winklige alte Burgtheater seiner bisherigen Aufgabe entzogen werden und daß Stücke und Darsteller und Publikum hinüberwandern sollen in das prunkvolle Haus am Franzensring. Das alte Theater hatte sich einen europäische Ruf erworben; dort waren die gefeierten Lieblinge emporgestiegen: Karl Fichtner, Ludwig Löwe, Heinrich Anschütz, Friedrich Beckmann, Josef Wagner, Julie Rettich, die längst Dahingegangenen; dort erblühten auch Neuere, die noch heute wirken: Adolf Sonnenthal, Josef Lewinsky, Charlotte Wolter und noch Andere, mit denen wir in dem kleinen Saale der „Burg“ – so kürzen die Wiener sich das „Burgtheater“ ab – in einen Verkehr von seltener Innigkeit getreten sind. Dort lenkt nichts das Auge von den Vorgängen auf der Bühne ab, man kommt ohne Nebenabsichten, nur des von den Schauspielern Gebotenen wegen. In einem Briefe aus Wien vom Jahre 1833 schildert Willibald
[61] Alexis die intime Beziehung zwischen Darstellern und Zuhörern; er sagt: aus einem Berliner Parterre plötzlich in das Wiener getreten, glaube man sich in ein Land der „Unschuld“ versetzt. „So giebt hier alles Achtung, freut sich, nickt und blickt dem Schauspieler, dem Dichter, dem Drama zu.“
Daß am gedeihlichsten sich hier das Konversationsstück entwickelte, liegt in dem Charakter der Wiener wie in der Eigenart der Räumlichkeit, in welcher auch nicht die feinste, leichtest hingeworfene Bemerkung ungehört verhallt.
Als im Jahre 1876 das Burgtheater seinen hundertsten Geburtstag beging, fühlten alle Klassen der Gesellschaft sich angeregt, an der Feier theilzunehmen. Damals erschien eine mit Fleiß und Sachkenntniß gearbeitete „Chronik des Hofburgtheaters“ aus der Feder des verdienstvollen Intendanzbeamten, Regierungsrathes Wlassack.
An einer pragmatischen Geschichte des bedeutenden Instituts fehlt es aber noch immer, und gerade die Eröffnung des neuen Hauses wäre der richtige Anlaß, um die Annalen des alten festzustellen, auf daß sie nicht in Vergessenheit gerathen. Wir, deren beste Jugenderinnerungen sich an diese Stätte knüpfen, möchten wenigstens ihre Lebensbeschreibung besitzen, wenn schon die Stätte selbst uns entrissen wird. Ich hebe diese Momente hervor, um dem Nicht-Wiener wenigstens einigermaßen begreiflich zu machen, warum ein Theil der Bevölkerung der Kaiserstadt mit gemischten Gefühlen das alte, unzulängliche, aber so überaus liebgewordene Theater durch das neue verdrängt sieht. Ein kommendes Geschlecht, frei von unseren Reminiscenzen, wird sich des köstlichen Besitzes allerdings unbeirrt freuen. Als ein solcher darf der Bau bezeichnet werden, den Freiherr von Hasenauer mit edler Hingebung durchgeführt hat.
Das neue Hofburgtheater, in üppig heiterem Renaissancestil gehalten, steht auf einem der architektonisch prächtigsten Plätze des verjüngten Wien. Es bildet direkt das Gegenüber zu dem Rathhause, Friedrich Schmidt’s bewundernswerthem Werke; zu nahen Nachbarn hat es die Votivkirche und die Universität Ferstel’s, das Parlament Hansen’s, den Justizpalast Wilemans’. Es leuchtet weithin in sonnigem Frohsinn, seiner hohen künstlerischen Sendung sich bewußt. Es trägt dem Grundsatze Rechnung, daß ein Bau sich aus sich selbst erklären, die Form dem Inhalte entsprechen müsse. Niemand kann sich darüber unklar sein, daß er ein Theater und nichts Anderes als ein Theater vor Augen habe. Bühne und Zuschauerraum sind im Aeußeren deutlich markirt, und wo der Architektur das Wort zur Erklärung versagt, da greift die Plastik helfend ein.
Von den Giebeln der großen Fenster des hohen Mittelbaues grüßen neun Dichterbüsten: Goethe, Shakespeare, Schiller, Lessing, Grillparzer, Hebbel, Halm, Molière, Calderon. Unter jeder dieser Büsten vertreten zwei Zwickelfiguren wichtige Gestalten aus den Werken des Poeten. Sagt der Architekt: dies ist ein Theater, so fügt der Bildhauer hinzu: es ist dem Kultus der edelsten Gattungen der Bühnendichtung gewidmet.
Von der Erscheinung des Hauses giebt der Stift des Zeichners einen viel anschaulicheren Begriff, als die beschreibende Feder dies vermöchte. Der Grundriß ist treffend mit einer Armbrust verglichen worden. Der Schaft besteht aus dem Hauptgebäude: dem höheren Bühnenhause und dem in sanfter Neigung zeltartig abfallenden Zuschauerraum, welchem Foyers und Logengänge vorgelegt sind und der in der Façade als Halbkreis abschließt. Rechts und links liegen Flügeltrakte, welche die großartigen Treppenanlagen enthalten. Diese gliedern sich dem Mittelbau organisch an, bewahren ihm aber dadurch, daß sie ihm so wichtige Bestandtheile abnehmen, jene volle Freiheit, welche die mehr massige und gedrückte Hofoper schmerzlich vermissen läßt. Schwung und Freiheit kennzeichnen überhaupt den Bau, der Schimmer einer begeisterten und begeisternden Freudigkeit liegt auf diesen Säulen und Balustraden, auf Attica und Kuppel, auf Maß- und Gesimswerken, auf all den hundert und hundert Einzelnheiten, aus denen solch ein vielverzweigtes Gebäude sich zusammensetzt. Kein Theilchen widerspricht dem Ganzen, jedes fügt sich harmonisch dem Gesammtbilde ein. Die Plastik hat für das neue Burgtheater mehr als für ein anderes Wahrzeichen des modernen Wien geleistet. Giebelgruppen, Reliefs, Friese, überlebensgroße Statuen allegorischen, mythologischen und theatergeschichtlichen Inhaltes, Figuren für Piedestals und für Blendnischen wechseln mit einander ab, und die besten Wiener Bildhauer haben ihr Bestes geboten: Benk, Meyer, Kundmann, Tilgner, Costenoble, Silbernagel, Hofmann etc. Man käme nicht zu Ende, wollte man es unternehmen, auch nur das Wichtigste von dem anzuführen, was die Plastik da für die theuere Schwesterkunst gethan hat. Macht schon der Bau an und für sich einen herzerquickenden Eindruck, so wird dieser durch die Mithilfe der Bildhauerei noch erheblich vermehrt.
Das Innere steht dem Aeußeren keineswegs nach. Der zweitausend Personen – also um 500 weniger als das Opernhaus – fassende Saal wird einen blendenden Eiudruck machen. Wie für die Eleganz, so ist aber auch für die Sicherheit in vollstem Maße gesorgt. Das Theater kann sich innerhalb weniger Minuten entleeren, so daß ein etwa ausbrechender Brand keine Katastrophe im Gefolge haben wird. Zu dem Parquett muß man allerdings 25 Stufen emporsteigen, aber dem Publikum stehen sechs breite Treppen zur Verfügung. Eisenkonstruktionen und elektrische Beleuchtung sorgen ferner für die Beseitigung von Gefahr. Der scenische Dienst vollzieht sich mittels hydraulischer Maschinenwerke. Mit unglaublicher Schnelligkeit kommen und verschwinden ganze Koulissenkomplexe. Es wird dies für die Stammgäste des alten Burgtheaters eine Ueberraschung sein; denn in letzterem wird im Falle von Verwandlungen bei offener Scene ein Krönungssaal hübsch langsam emporgezogen, während ein Wald eben so langsam
[62] herabgeleitet wird, und die einen Diener in Livreé tragen eine Rasenbank fort, während andere einen Thronsessel herbeischleppen. Macht sich in der Ausstattung die vervollkommnete Technik geltend, so wird doch des Guten nicht zuviel geschehen. Zu Aufführungen, welche etwas von dem oben besagten intimen Rapport voraussetzen, kann die Bühnenöffnung, die höher und breiter ist als im alten Hause, entsprechend regulirt werden. In der Vertiefung des Portals ist eine verstellbare Blendarchitektur angebracht, durch deren Vor- oder Zurückschieben in Verbindung mit einer beweglichen Decke die Bühne verkleinert oder vergrößert wird. – Alle Erfahrungen, welche man auf dem Gebiete des Theaterbaus gesammelt hat, sind bei dem neuen Hause in Anwendung gekommen. Man darf nun wünschen, daß die artistische Leitung sich bestrebe, für die tadellose Schale immer den richtigen Kern zu finden. Ist das Haus einmal seiner Bestimmung übergeben, dann treten die Künste, die bei seiner Herstellung thätig waren, in den Hintergrund gegen die eine: die dramatische. Einem Direktor, dem man ein solches Theater übergiebt, darf man sagen: Hic Rhodus, hic salta!
Alle Rechte vorbehalten.
Tullus blickte finster auf die Versammelten; da näherten sich ihm die Jünglinge und luden ihn ein, zu ihnen zu treten. Sie führten auch ihn vor jenen ehrwürdigen Greis, der ihn mit milden Worten anredete und willkommen hieß. Zu den Anderen gewendet sprach er.
„Rüstet das heilige Liebesmahl. Wenn diese Beiden, die der Herr uns gesendet hat, auch nicht unseres Glaubens sind, so sind sie doch unseres Geistes; denn sehet, wie Beiden die himmlische Liebe aus den Augen leuchtet. Deßhalb mögen sie von ferne an unserem Feste theilnehmen und in Frieden unter uns weilen.“
Sogleich brachte man einen Korb herbei, darin befand sich ein Krug voll Weins, ein Becher und ein Laib Brotes; langsam und feierlich, als wären es heilige Dinge, wurden sie herausgenommen. Der Alte stellte sich hinter einen altarähnlichen Stein, alle Anderen ordneten sich vor ihm. Die beiden Jünglinge aber traten dem Greis an die Seite.
Dieser sprach inmitten einer großen Stille:
„Zwar des Menschen Sohn gehet hin, wie von ihm geschrieben stehet; wehe aber dem Menschen, durch welchen des Menschen Sohn verrathen wird! Es wäre demselben Menschen besser, daß er nie geboren wäre.
Und indem sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach es und gab es ihnen und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib.
Und nahm den Kelch und dankte und gab ihnen den; und sie tranken Alle daraus.
Und er sprach zu ihnen: das ist mein Blut des neuen Testamentes, das für Viele vergossen ist.“
Also der Greis.
Und er nahm von dem einen der Jünglinge Krug und Becher und schenkte ein. Alle traten hinzu, Einer nach dem Andern, und tranken von dem Wein. Dann nahm der Greis von dem andern Knaben das Brot, brach es und die Gemeinde trat von neuem herzu, auch das Brot zu empfangen. Nur Tullus und Acca standen von ferne, Beide von dem feierlichen und geheimnißvollen Vorgang auf das Tiefste ergriffen, sich nicht zu dem hehren Mann heranwagend. Da blickte dieser zu den Beiden hinüber, winkte sie mit einem gütigen Lächeln zu sich und sprach:
„Auch Euch kann der Heiland und Erlöser geboren werden, welcher ist Jesus Christus, der Sohn Gottes.“
Tullus schrie auf.
„Acca, es sind Nazarener!“
Und er wollte sie fortreißen, wollte mit ihr voller Grausen entfliehen.
In demselben Augenblick stürzte vom Hain her ein Jüngling in die Grotte.
„Löscht die Fackeln, flieht in die Tiefe! Der Priester Atinas kommt mit Leuten von der Leibwache des Cäsars, uns gefangen zu nehmen. Rettet Euch!“
Niemand zeigte Schrecken oder Furcht; Alle waren vorbereitet, den Feinden ihres Gottes in die Hände zu fallen und den Märtyrertod zu erleiden. Ihr Bischof mußte ihnen befehlen, die Fackeln bis auf eine zu löschen. Dann wendete er sich zu den Beiden, die nicht seines Glaubens waren:
„Verlaßt uns! Es könnte der Wille des Herrn sein, daß die Heiden uns hier finden; der Priester Atinas ist es, der nach uns sucht, unser und des Herrn, unseres Gottes, grimmigster Feind. Weiche von uns, Sohn des Atinas, damit Dein Vater, sollte Gott uns in seine Hand geben, nicht wähne, Du seiest Einer der Unseren. Denn wenn Du uns auch hassest, so möchte es Deinen Vater doch kränken, daß Du eine Stunde als unser Freund bei uns weiltest. Geh, Jüngling, und nimm diese holdselige Jungfrau mit Dir. Aber das wisse: wen der Herr suchet, den findet er. Auch Deine Stunde wird kommen, ehe Du es denkst. Und so ziehet hin in Frieden!“
Nach diesen feierlichen, mit lauter Stimme gesprochenen Worten winkte der Bischof den Beiden gebieterisch, die Grotte zu verlassen. Tullus schlich mit der weinenden Acca hinaus.
Als sie draußen am Eingang standen, im Dunkel des Haines, rannte der Jüngling dem Mädchen zu.
„Warte hier auf mich!“
„Was soll ich?“
„Ich komme gleich zurück.“
„Wo willst Du hin?“
„Still!“
„Tullus!“
Aber er war schon fort.
„Tullus, was willst Du thun?“
Aber auf ihre angstvolle Frage kam keine Antwort.
Sobald Tullus der finsteren Waldung entronnen war, stürmte er vorwärts. Dann besann er sich, blieb stehen, spähte um sich; doch er entdeckte nichts. Nun stand er und lauschte. Er hörte keinen Laut. Aber jetzt – – es klang wie gedämpfte Stimmen, wie Geräusch von Waffen, ihm ganz nahe. Da rief er.
„Vater, Vater! Ich bin’s! Dein Sohn Tullus!“
Ein erstickter Aufschrei. Aus dem Dunkel der Nacht löste sich die Gestalt eines Mannes und stürzte auf Tullus zu.
„Ich bin es, Vater.“
„Du fort von der Insel, Du hier?!“
„Dir nach. Verzeih’ mir! Acca ist auch da. Ich will Dir helfen, die Nazarener zu verderben. Wir sind diese Nacht mit ihnen zusammengekommen.“
„Mit den Nazarenern? Wo sind sie?“
„In einer Grotte, dort beim Hain.“
„Tullus!“
„Ihr Priester ist bei ihnen. Ich führe Dich. Kommt, kommt schnell!“
Die Leute von der Leibwache des Cäsars und ein Hauptmann waren zu den Beiden getreten. Tullus eilte den Männern voraus. Athemlos erreichte er den Hain, tastete sich bis zum Eingang der Grotte. Aber hier war keine Acca. Sie war auch nicht im Walde, welchen Tullus, den Namen der Geliebten rufend, durchsuchte.
Atinas erschien mit dem Hauptmann und der Wache; Tullus mußte vom Suchen ablassen und den Leuten die Höhle zeigen. Plötzlich kam ihm ein entsetzlicher Gedanke. Er stürzte seinem Vater und den Römern voraus in die Grotte hinein. Drinnen fand er sie.
Acca stand mitten unter den Jungfrauen, bei den Christen, die Tullus an die Römer verrathen hatte. Atinas rief seinem Sohne zu:
„Sie bekennt sich als zu Diesen gehörend.“
Die gefangenen Nazarener wurden herausgeführt; sie gingen festen Ganges, erhobenen Hauptes, sich einander Trost und Muth
[63] zusprechend. Acca schritt in der Reihe der Jungfrauen, welche liebevoll um die neue Christin besorgt waren.
In einiger Entfernung folgte Tullus den Gefangenen. Sein Gesicht war fahl, seine Mienen waren verzerrt; er taumelte wie ein Trunkener und ließ von Zeit zu Zeit ein jammervolles Aechzen hören. Und von Zeit zu Zeit rief er sie an, die er mit den Anderen verrathen hatte.
„Acca! Acca! Acca!“
Doch Acca hörte nicht auf ihn.
Der Morgenwind wehte, die Sterne erblaßten; ein todtenfarbenes Zwielicht erhellte die Welt. Aber schon regten sich die Vögel und aus den Lüften drang Lerchenjubel durch die Dämmerung.
Als die Römer mit ihrer menschlichen Beute durch die Porta Capena in die Stadt zogen, ward es Tag. Ein blutiger Glanz flammte über dem Albanus und dem Heiligthum des höchsten Gottes auf; schnell griff der Brand der Morgenröthe um sich, entzündete Himmel und Erde, schien Rom mit allen Tempeln und Göttern verzehren zu wollen
Beim Coelius, in der Nähe des großen Cirkus, wurden die Christen in den Kerker geführt. Acca war die Letzte. Bevor der finstere Eingang sie aufnahm, blieb sie stehen, wendete sich zurück, mit feierlicher Gebärde Tullus winkend. Dann schlug die Thür zu hinter der lichten Gestalt.
Mit einem dumpfen Wehlaut warf sich der Zurückbleibende auf den Boden, das Antlitz gegen die Erde pressend. Von göttlicher Sehnsucht getrieben, war er ausgezogen, Heldenthaten zu begehen, und seine erste That war Verrath gewesen, ein Verrath gegen die, welche ihm Gutes erwiesen; seine erste That war Mord gewesen, ein Mord, verübt an der Schwester, an der Geliebten.
Jene Anderen, die Verrathenen, die sich erhobenen Hauptes zum Tode führen ließen, sie, die Verabscheuten und Gehaßten – sie waren Helden!
Und der unglückselige Jüngling stöhnte auf, als wäre er ein Sterbender.
Der Cäsar gab den Römern in seinem neuen Hause ein Fest.
„Endlich wohne ich wie ein Mensch,“ hatte der Gott gesprochen, als aus dem Schutt und den Trümmern des abgebrannten Roms des Kaisers Haus sich erhob. Von Gold erstrahlten Wände und Decken, von Gold funkelte der Estrich. Juwelen waren in des Kaisers Haus den Steinen gleich geachtet, und das schlechteste Material, daraus man es aufgeführt hatte, bestand in dem kostbarsten Marmor aller drei Welttheile. Wo der Gott menschliche Nahrung zu sich nahm, wölbte sich über der glanzvollen Halle ein sonniger Himmel, von dem Narben herabthauten, der sich öffnete, um auf den Gott und seine Gäste Veilchen und Rosen herabrieseln zu lassen. Dieser Saal drehte sich um eine goldene Achse, Gestirne kreisten und die Musik der Sphären ertönte.
Wenn Nero schwelgte, stiegen die Himmlischen selber von ihren seligen Höhen hernieder, um die Freuden ihres Brudergottes zu theilen, die göttlicher waren als die ihren; wo Nero wandelte, erblühten Blumen, sangen Vögel, freuten sich Menschen und Götter; wo Nero weilte, verwandelte sich die Welt in den Olymp, Rom ins Elysium. Nur die Römer blieben, was sie seit den Zeiten des großen Augustus geworden waren: ein Volk von Knechten, Speichelleckern, Kreaturen und hündischen Kriechern.
Heute nun wollte der Gott mit seinen Geschöpfen sich auf menschliche Weise ergötzen.
Rings um den Palast, die Tiefen zwischen vier Hügeln füllend, erstreckten sich weite Fluren mit umfangreichen Seen, köstliche Haine, welche die Thiere der Wildniß bewohnten. Durch diese wundersamen Gefilde sollte heute Nacht des Cäsars Weg führen, wenn sich der Herr von seinem Hause zum Cirkus begab. Denn hier ließ der Kaiser dem römischen Volke olympische Spiele veranstalten, bei denen er seinen Römern als Apollon-Helios erscheinen wollte, ein Sechsgespann weißer Rosse lenkend.
Den Weg vom Kaiserpalast bis zur Arena sollten diese Nacht Fackeln erhellen, wie sie noch keinem Unsterblichen geleuchtet hatten.
Schon früh am Tage begannen die Vorbereitungen, zu denen die Römer sich drängten, welchen sie voll Entzücken zuschauten. Aus den Kerkern und Grüften des Coelius wurden die Christen herbeigetrieben: sie, welche, den ewigen Göttern zum Hohn, Rom in Brand gesteckt hatten, – denn so wollte Gott Nero, daß es geschehen sein sollte – sie mochten den ewigen Göttern zum Ruhm in Flammen auflodern. In Scharen brachte man sie herbei: Greis und Jüngling, Matrone und Jungfrau, Mann und Kind. Das römische Volk heulte auf vor Mordgier. Und es würde diese unersättliche, nach Blut lechzende Menge, welcher Todesschreie und Sterberöcheln Musik war, entzückt haben, wenn ihr „göttlicher“ Kaiser seine Römer hätte die wilden Thiere sein lassen, denen man in der Arena menschliche Leiber zum Zerreißen vorwarf. Wie die Bestien ihre Opfer zerfleischt haben würden!
Unter dem Gebrüll und Geheul der Plebs, darunter sich „edle“ Römer, Senatoren und Ritter befanden, wurden die Christen nach dem Hause des Kaisers geschleppt. Hier vor dem Palast, dem palatinischen Berg gegenüber, wonelbst die eherne Kolossalstatue des Gottes aufgestellt war, Angesichts des Forums, dieser hochehrwürdigen Stätte, welche die Größe Roms geschaut hatte, nahm das Fest seinen Anfang.
Pfähle bedeckten den Platz, lagen hoch aufgeschichtet, an dem einen Ende zugespitzt, um in die Erde gesenkt werden zu können. Nun kamen die Christen. Ihre Wächter überlieferten sie ihren Henkern.
Diese rissen ihnen die Kleiber herab, schnürten sie an die Pfähle, in solcher Weise, daß ihr nackter Leib hoch über den Pflock hinausragte, wickelten sie bis zur Brust in Werg, das mit Oel und Pech getränkt wurde. Darauf schleppte man die menschlichen Fackeln hinweg, dahin, wo sie in den Boden gegraben werden sollten. Zu beiden Seiten des Weges wurden die Pfähle aufgerichtet; vor dem Palast des Kaisers und dessen Bildsäule sollten die schönsten Flammen lodern: die Jungfrauen, die Jünglinge, die Kinder.
Nachdem die Körper der Christen in die sonnigen Lüfte ragten, schickte man sich an, die kaiserlichen Fackeln kaiserlich zu schmücken. Mit sidonischer Seide und phönicischem Purpur wurden die Pfähle verziert, um die Leiber Blumen geschlungen, daß bis zur Brust Krokus und Tazetten, Lilien und Narcissen sie umhüllten; die Häupter erhielten Kränze von Lotosblumen. Von Pfahl zu Pfahl, von Fackel zu Fackel wurden mächtige Rosengewinde gezogen, die Wege mit Myrthen- und Cypressenzweigen bestreut, zu beiden Seiten der Straße Dreifüße aufgestellt, die in herrlichen Gefäßen Specereien und Sandelholz trugen.
An manchen Stellen wurden Triumphbögen erbaut.
Hier sollten die Senatoren und Ritter, die Flötenspieler und Sänger den Kaiser erwarten.
Endlich war alles vorbereitet. Ein leuchtender Himmel wölbte sich über dem Festplatz; ringsum strahlten die Paläste, die Tempel, die Götterbilder. Frühlingslüfte erwachten; in den Gärten der Kaiserpaläste schlugen die Nachtigallen; und die Menschen freuten sich ihres Lebens und des Sterbens der Hunderte.
Unter der Menge, welche die Straße auf- und niederwogte, befand sich auch Tullus. Vor einer jeden der vielen lebenden Fackeln blieb er stehen und schaute hinauf, immer von Neuem in der Erwartung, unter den Blüthen ein geliebtes, holdseliges Antlitz zu erblicken. Und wenn er die fand, die er suchte, was sollte er dann beginnen, was würde ihm dann geschehen? Bei Acca’s Anblick entseelt hinsinken, bevor der liebliche Leib in Flammen aufging!
Aber Acca war nicht unter den Vielen, und Tullus blieb leben.
Er gewahrte alles, was geschah; er sah die Römer in bestialischer Wuth, sah die Christen voll heldenhafter Ergebung; er hörte Jene die Götter preisen, hörte Diese ihren Gott anrufen. Unter manchem Pfahl blieb Tullus stehen und schaute hinauf; er sah das bleiche ruhige Antlitz der Sterbenden; er vernahm, was diese von Göttern und Menschen Verlassenen in der letzten Stunde ihres Lebens, kurz vor einem martervollen Tode sich sagten: Mütter ihren Söhnen und Töchtern, Gatte der Gattin, Freund dem Freunde. Sie trösteten einander, sie sprachen sich Muth zu; sie sagten sich große erhabene Worte, die gleich Flammen in des Jünglings Seele drangen.
„Unser Herr, der erleiden mußte, was wir erleiden, sprach: Vergebt ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun. Laßt uns diese Worte unserm Herrn und Heiland nachsprechen.“
Das thaten sie, das thaten Alle.
[64] Ein Greis ermahnte:
„Auch Dessen gedenket in dieser Stunde: daß uns geboten ward zu lieben, die uns hassen und verfolgen, und zu segnen, die uns fluchen. Erfüllet den Willen des Herrn, der für uns gestorben ist.“
Wiederum ein Anderer:
„Harret aus! Bald ist’s überwunden.“
„Ja, bald werden wir bei unserm lieben Herrn im Paradiese sein.“
Tullus hörte diese Reden, und als er über einer der Triumphpforten, die heute Nacht der siegreiche Cäsar durchschreiten sollte, in goldener Inschrift die Worte las: „Euch, Ihr ewigen Götter!“ zuckte der Jüngling zusammen und wendete sich jählings ab.
Es dämmerte. Vor dem Palast des Cäsars zog die Leibwache auf, drängte die Menge zurück und besetzte die Straße. Die Senatoren und Ritter, die Sänger und Flötenspieler erschienen. Im Volke ward es still, nach dem wilden Getöse ein Todesschweigen.
Schnell nahm die Finsterniß zu. Plötzlich erschallten feierliche Stimmen. Wie aus den Lüften herab schwebten die Töne über die sich verdunkelnde Erde – der Sterbegesang der Christen.
„Hosiannah! Hosiannah!“
Es ward Nacht.
*
Durch die Hallen und Säle des Palastes wälzte sich der kaiserliche Zug: Nero, in schleppenden goldenen Gewändern, in den duftenden Locken einen Rosenkranz, den der Gott, wenn er im Cirkus der Welt als glanzvolles Tagesgestirn aufging, mit einer Strahlenkrone vertauschen würde. Eine Schar von Korybanten und Bacchantinnen umschwärmte den Unsterblichen; junge Weiber ließen aus krystallenen Gefäßen Wohlgerüche auf den Boden rieseln, schöne Knaben spielten Cither und schlugen silberne Becken, brachten dem auf Erden wandelnden Gott in goldenen Schalen Brandopfer dar, daß dichtes Gewölk den Himmlischen und sein Gefolge umwallte.
Jetzt trat Nero aus seinem strahlenden Hause in die Finsterniß. Vor dem Gott erhellte sich die Nacht – aufflammten die Fackeln!
*
Der Zug des Cäsars ward gestört. Tumult erhob sich, ein Gedränge entstand.
Was geschah?
Angstvoll fragte es der erblaßte Gott, für sein unsterbliches Leben zitternd. Auch seinen Vorgänger auf dem römischen Gottesthron hatten bei ähnlichem, festlichem Nachtgange die Dolche der Meuchelmörder getroffen.
Senatoren und Ritter beeilten sich, den Cäsar zu beruhigen.
Nichts war geschehen! Ein Schwärmer, ein Phantast, ein Verrückter hatte die Reihen der kaiserlichen Leibwache durchbrochen und dem Zug des Göttlichen sich in den Weg gestellt und gerufen, auch er sei ein Christ.
„Wer ist’s?“
Man lief, man forschte, man brachte dem Kaiser Bescheid: „Ein fremder Jüngling. Er nennt sich Tullus, Sohn des Priesters Atinas.“
„Des Priesters Atinas – –“
Und es zuckte um des Göttlichen Mund.
„Was soll mit dem Nazarener geschehen?“
Und der Unsterbliche bedachte sich. Darauf gebot er:
„Des Atinas Sohn für die Bestien!“
Und Nero lächelte.
Weiter ging der Zug.
Tullus war glücklich; was er begangen hatte, war keine Heldenthat gewesen – wenigstens hielt er es nicht für eine solche – aber glücklich war er doch. Nicht Acca’s hatte er gedacht, auch nicht des Gottes dieser Nazarener; er sah Jene den Heldentod sterben und mochte nicht länger leben.
Und jetzt bereitete er sich auf das Christenthum vor.
Unter den Gefangenen, die für den Kampf im Cirkus aufgehoben worden, befand sich der Bischof, jener von Tullus an die Römer verrathene ehrwürdige Greis. Es war dieser beredte Mund, der dem jungen Heiden das Evangelium verkündete, und da es das Evangelium der Liebe war, so ward es von Tullus vernommen. Der Jüngling erfuhr, daß Jesus Christus auch für ihn gestorben sei, daß seine Schuld ihm vergeben wurde, daß seiner die Seligkeit harrte, das Auferstehen und das ewige Leben.
Mit Acca zusammen würde er vom Tode auferstehen, mit Acca zusammen das ewige Leben erhalten – –
Und er würde zusammen mit ihr sterben.
Denn noch lebte Acca, für denselben Tod aufbewahrt, zu dem Tullus verdammt war; dem es verheißen worden, sie am Tage seines Sterbens wiederzusehen. Dann wollte der Bischof die Beiden vermählen. Nun ersehnte Tullus den Tod, wie er sich einstmals nach dem vollen Strome des Lebens gesehnt hatte.
Der letzte Tag kam und die beiden Getrennten sahen sich wieder; mit strahlendem Antlitz eilte Acca dem Freunde entgegen; sie flüsterte ihm zu:
„Wohin ich gehe, dahin mußt Du gehen, und wo ich bin, da mußt Du sein.“ Darauf laut und freudig. „Wie ich Dir von unserer Insel ins Leben folgte, so begleitest Du mich aus dem Leben in den Tod. Deine Liebe ist die größere.“
Tullus preßte die Geliebte an seine Brust, mit ersticktem Jubel sie fragend.
„Bist Du glücklich, Acca?“
„Glückselig in der Ewigkeit – mit Dir,“ lautete Acca’s feierliche Erwiederung.
Dann wurden sie vermählt.
Eben sollten sie mit den Anderen ihren Todesgang antreten, als Beide vor den Priester Atinas gerufen wurden. In einem besonderen Raume des Kerkers empfing dieser eifrigste Verfolger der römischen Christengemeinde das Paar. Todtblassen Gesichtes, aber erhobenen Hauptes trat Tullus vor seinen Vater, seine junge Gattin an der Hand.
„Vergieb mir!“
Atinas winkte ihm heftig zu schweigen. Dann reichte er seinem Sohn einen Becher Weins, der auf dem Tische stand.
„Trinke.“
Tullus zauderte.
Mit einer Stimme, die keinen Widerstand duldete, gebot Atinas nochmals.
„Trinke!“
Da nahm Tullus aus seines Vaters Hand den Becher; ihm mit den Augen dankend, trank er.
Und nach ihm trank Acca.
Den ewigen Göttern mußte das Leben der beiden Christen geopfert werden; aber Atinas wollte barmherzig sein.
Mit verhülltem Antlitz stand er, bis es zu seinen Füßen still geworden ward; dann hob er den Mantel von seinem Haupt und schaute starren Blickes auf die beiden Todten herab. Ihre Mienen waren still und friedlich; Acca trug auch noch im Tode ihr holdes Lächeln, und Tullus’ trotziges Gesicht hatte einen Ausdruck tiefsten Friedens. Da mußte der Priester denken:
Wenn sie dennoch für eine heilige Sache gestorben wären – In Athen soll ein Altar stehen, dem unbekannten Gotte geweiht – wie, wenn jener unbekannte Gott Jesus hieße? Und wenn dieser Jesus ein wahrer Gott wäre, ein ewiger Gott? Was wären dann die ewigen Götter?
Und Atinas stöhnte auf wie Einer, der eine Todeswunde empfangen. Er wankte. Es war, als ob er über den beiden Leichen zusammenbrechen würde; dann aber raffte er sich mächtig auf und schritt von seinen todten Kindern hinweg festen Ganges hinaus, um die Schar der Nazarener in die Arena zu führen.
So war der Wille des Cäsars. – –
Purpurfarbige Frühe lag über Himmel und Meer; Gluth des aufsteigenden Tages bestrahlte ein mächtiges Gewölk, das langsam und feierlich dahinschwebte; Morgenluft wehte, über das ewige Antlitz des Meeres glitt es wie ein Erzittern und Schauern.
In der weiten Einsamkeit der Wellen lenkt Atinas den Nachen, gegen dessen Planken die Wogen rauschen und raunen. Zwei Todte schiffen dahin, zwei Vereinigte, der Heimath zu.
Requiescat in Pace, Tullus – Acca, requiescat in Pace! (Ruhe in Frieden, Tullus – Acca, ruhe in Frieden!)
[65]
Es war eine dunkle und stürmische Novembernacht. In dem ansehnlichen Dorfe N., wohin wir unseren Leser führen, lag alles in tiefem Schlafe. Mitternacht war vorüber, als auf einmal von einem Hause am Ende des Dorfes ein Feuerschein leuchtete. Es brannte unter dem Dache eines stattlichen Bauerngehöfts. Die Flamme, durch den Sturm kräftig angefacht, griff rasch mächtig um sich. Noch hatte keiner der Dorfbewohner das drohende Unglück bemerkt.
Doch da – endlich ertönt der Feuerruf. Gleich darauf wird die Sturmglocke gezogen und – schauerlich beleuchtet von dem inzwischen gewaltig angewachsenen Brande, bemühen sich bald die Mannschaften der beiden Dorfspritzen, des Feuers Herr zu werden. Doch vergeblich sind ihre Anstrengungen. Die Gefahr für das Dorf wächst mit jeder Minute, da der Sturmwind brennende Korngarben weithin durch die Luft führt.
Gleich nach Ausbruch des Feuers hat der Ortsvorsteher, dessen Gehöft in der Nähe der Brandstelle liegt, seinen erwachsenen Sohn zu Pferd nach der acht Kilometer entfernten Stadt geschickt, um die schleunigste Hilfeleistung der dortigen, als ausgezeichnet tüchtig bekannten Feuerwehr zu erbitten. Inzwischen führt die Feuerwehr des Dorfes den aussichtslosen Kampf gegen das entfesselte Element mit Aufbietung aller Kräfte fort. Doch da kommen neue Hiobsposten. Das Flugfeuer hat an zwei entfernten Stellen des Dorfes gezündet. Die Spritzen überlassen nun das ohnehin verlorene Gebäude seinem Schicksal und rücken ab, um den neuen Feind zu bekämpfen. In angstvoller Erwartung hoffen die Dorfbewohner auf das baldige Eintreffen der städtischen Feuerwehr.
Doch – was ist das? Blutbespritzt und mit Schaum bedeckt sprengt das reiterlose Pferd, das vor einer Stunde den hilfesuchenden Boten zur Stadt tragen sollte, in das Dorf zurück. Ein Blick genügt, zu erkennen, daß das Pferd unterwegs gestürzt ist und seinen Reiter abgeworfen hat. Ein anderer reitender Bote wird abgesandt. Doch die verlorene kostbare Zeit ist nicht wieder einzubringen. Die Kräfte der Feuerlöschmannschaften sind erschöpft. Das Feuer greift immer weiter um sich.
Als endlich nach langem verzweiflungsvollen Harren die städtische Feuerwehr eintrifft, findet sie das halbe Dorf in Flammen. Die brave Feuerwehr leistet das Mögliche und verhindert mit Erfolg das weitere Umsichgreifen des Brandes; doch liegen, als der Morgen endlich trübe heraufdämmert, mehr als 30 stattliche Bauernhöfe in rauchenden Trümmern.
Am Nachmittage nach den soeben berichteten Ereignissen saßen in der Gaststube des vom Feuer verschont gebliebenen Wirthshauses mehrere Männer in eifrigem Gespräch. Außer dem Wirthe, der zugleich die Postagentur des Ortes verwaltete, waren noch der städtische Feuerwehrhauptmann sowie der telegraphisch herbeigerufene Oberinspektor der ... Feuerversicherungsgesellschaft und endlich der Ortsvorsteher anwesend. Der zuletzt Genannte, dessen gesammtes Besitzthum den Flammen zum Opfer gefallen war und der erst vor wenigen Stunden seinen bei dem nächtlichen Ritte verunglückten Sohn in das städtische Krankenhaus gefahren hatte, saß jetzt als ein gebrochener Mann, als ein Bild des Jammers da.
„Das Unglück Ihres Sohnes,“ wendete sich der Feuerwehrhauptmann zu dem Vorsteher, „hat diesen nicht allein getroffen; das ganze Dorf hat schwer darunter gelitten. Hätten wir die Meldung rechtzeitig bekommen, so würde der Brandschaden kaum halb so groß geworden sein.“
„Haben Sie denn nicht,“ fragte jetzt der Oberinspektor den Wirth, „den Versuch gemacht, nach der Stadt zu telegraphiren?“
„Gewiß,“ war die Antwort, „trotzdem ich die Nutzlosigkeit des Versuches voraussah, habe ich stundenlang fast ununterbrochen das Rufzeichen gegeben; da aber in der Stadt das Telegraphenzimmer Nachts geschlossen ist und unsere Gemeinde seiner Zeit die Einrichtung einer Unfallmeldestelle abgelehnt hat, so habe ich natürlich keine Antwort bekommen.“
Bei dem Worte „Unfallmeldestelle“ horchten der Oberinspektor wie auch der Feuerwehrhauptmann hoch auf
„Was für eine Einrichtung erwähnen Sie da eben?“ fragte der Erstere.
„Nun,“ erwiederte der Wirth und Postagent, „sollten Sie davon noch nichts gehört haben? Das ist ja doch schon eine alte Geschichte. Vor länger als einem Jahre bekam ich mal von der Oberpostdirektion ein Schreiben, in dem auseinandergesetzt war, wie es in verschiedener Beziehung für kleine Landorte mit Telegraphenverbindung höchst nützlich wäre, in dringenden Nothfällen auch zur Nachtzeit Depeschen absenden zu können. Die Einrichtung müßte jedoch von der Gemeinde beantragt werden, die auch für die besonderen Kosten, ich glaube, es waren 50 Mark, aufzukommen hätte. Ich habe damals mit unserem Vorsteher – Nachbar, ist’s nicht so? – über die Sache gesprochen; der meinte aber, die Gemeinde könnte ihr Geld nützlicher anwenden, als es für solchen neumodischen Firlefanz auszugeben. Ich glaube, die Sache ist in der Gemeinderathssitzung wohl überhaupt nicht vorgebracht worden.“
„Ja, meine lieben Herren,“ antwortete jetzt mit matter Stimme der Vorsteher den fragenden Blicken der beiden Fremden, „wer konnte denn auch wohl dies schreckliche Unglück voraussehen? Und daß nun mein einziges Kind, mein armer guter Fritz, so furchtbar dafür leiden muß! O Gott, es ist zu viel!“
Von dem Gefühle seines Unglücks überwältigt, wankte der alte Mann schluchzend zur Thür hinaus.
„Man sollte es denn aber doch wirklich nicht für möglich halten,“ sagte der Feuerwehrhauptmann, „daß, wenn auch der Ortsvorsteher in dieser Sache beschränkt und starrköpfig ist, Niemand sonst in der Gemeinde Interesse für eine Einrichtung zeigt, die doch nicht bloß bei Feuers- und Wassersnoth, sondern eben so auch bei Verunglückungen und Krankheiten zur schleunigen Herbeirufung des Arztes oder bei Einbruchsdiebstählen und Verbrechen der Polizei etc. von größtem Nutzen sein muß. Haben Sie denn nicht,“ wandte sich der Sprecher an den Postagenten, „Ihrem Pastor oder sonst Jemand von dem Schreiben der Behörde Mittheilung gemacht?“
„Das nun eigentlich nicht,“ war die Antwort, „dazu hatte ich keinen Auftrag; und, offen gefagt, unsereinem geht so mancherlei durch den Kopf, daß ich nachher auch gar nicht wieder daran gedacht habe. Aber Sie sollen mal sehen,“ fuhr der Agent fort, „sobald wir nur erst wieder einigermaßen in Ruhe sind, da wird die Gemeinde schon ihren Antrag wegen Einrichtung einer Unfallmeldestelle an die Oberpostdirektion richten. Darauf können Sie sich verlassen.“
„Ja, ja,“ sagte der Oberinspektor, „immer die alte Geschichte; erst wenn das Kind hineingefallen ist, wird der Brunnen zugedeckt.“
„Uebrigens muß ich Ihnen gestehen, Herr Hauptmann,“ fuhr der Versicherungsbeamte fort, „daß ich heute zum ersten Male von der Einrichtung des für die Feuerversicherungsangelegenheit so ungemein wichtigen Unfallmeldewesens höre. Haben Sie denn schon davon gewußt? Für das Feuerlöschwesen ist die Sache doch auch von Belang.“
„Mir geht es gerade wie Ihnen,“ erwiederte der Hauptmann; „mir ist die Sache auch bis jetzt unbekannt gewesen, ich werde aber nicht verfehlen, auf dem nächstens stattfindenden Bezirksfeuerwehrtage das heutige Erlebniß zur allgemeinen Kenntniß zu bringen. Doch jetzt vor allem, Herr Wirth, holen Sie uns einmal das Schreiben Ihrer Behörde, damit wir etwas Zuverlässiges über die Einrichtung erfahren.“
Der Angeredete schob verlegen sein Käppchen aufs Ohr und sagte dann achselzuckend: „Damit kann ich leider nicht dienen, meine Herren. Das betreffende Schreiben habe ich damals unserm Vorsteher zum Durchlesen gegeben und habe leider vergessen es zurückzufordern. Jetzt nun wird es wohl mit verbrannt sein. Aber beim Postamte in der Stadt ist es sicher vorhanden.“
„Nun, dann ist’s gut,“ sagte der Oberinspektor, „zufällig kenne ich den Postamtsvorsteher; ich bin sicher, dort die gewünschte Auskunft zu erhalten.“
Die beiden Herren entfernten sich hierauf, um ihre Berufsgeschäfte auf der noch immer rauchenden Brandstelle wieder aufzunehmen.
[67] Am andern Morgen treffen wir den uns schon bekannten Versicherungsbeamten in lebhafter Unterhaltung mit dem Vorsteher des Postamtes in der Stadt. „Der Dienst bei unsern ca. 8800 Telegraphenbetriebsstellen,“ erklärte der Amtsvorsteher, „ruht, wenn wir von etwa 200 der größeren Städte absehen, während der Nacht. Gleichwohl läßt sich ohne besondere Schwierigkeit eine von der obersten Postbehörde vor etwa Jahresfrist angeordnete Einrichtung treffen, durch welche die mit den Postämtern durch den Telegraphendraht verbundenen kleineren Landorte in den Stand gesetzt werden, in Nothfällen auch zur Nachtzeit Telegramme abzusenden. Diese Einrichtung besteht einfach in der Anbringung einer elektrischen Klingel, die je nach Verschiedenheit der örtlichen Verhältnisse in dem vom Telegraphenbureau des Postamts entfernt belegenen Postdienstzimmer, oder im Beamtenwachtzimmer oder endlich im Schlafzimmer des Beamten neben dessen Bette, kurz, jedenfalls da angebracht wird, wo dieselbe von einem Beamten gehört werden muß. Sobald nun von der Postagentur durch einen Druck auf den Knopf des Apparates oder durch die Umdrehung einer Kurbel die bei dem Postamte befindliche elektrische Weckvorrichtung in Bewegung gesetzt wird, begiebt sich der diensthabende Beamte in das Telegraphenzimmer und meldet der Agentur seine Bereitschaft zur Entgegennahme der Depesche.
Die Landgemeinden, die sich auf diese Weise eine Tag und Nacht zuverlässige telegraphische Verbindung sichern wollen, haben nichts weiter zu thun, als dies ihrerseits bei der Postbehörde zu beantragen und zugleich ihre Bereitwilligkeit zur Uebernahme der Kosten der Anschaffung der elektrischen Weckvorrichtung etc. (50 Mark) zu erklären.“
„Durch Ihre Mittheilungen,“ ergriff jetzt der Oberinspektor das Wort, „bin ich aufs Angenehmste überrascht. Das ist ja eine ganz vortreffliche Einrichtung, die wir der umsichtigen Thätigkeit Ihrer Behörde verdanken. Hätte dieser biedere Dorfpascha in N., der ja allerdings schwer genug dafür gestraft ist, nicht in stumpfsinniger Beschränktheit die Anregung Ihrer Behörde unbeachtet gelassen, so würde Ihre vorzügliche Feuerwehr fast drei Stunden früher zur Stelle gewesen sein; das Brandunglück wäre sicher nicht entfernt so verhängnißvoll geworden und auch meine stark betheiligte Gesellschaft hätte viele Tausende erspart. Ich werde fernerhin nach Kräften dahin wirken, daß diese so wohlthätige neue Einrichtung immer weitere Verbreitung findet.“
„Von Herzen wünsche ich guten Erfolg,“ erwiederte der Beamte, „doch dürfen wir unsere Erwartungen nicht zu hoch spannen. Recht gerne lassen sich viele unserer Mitbürger alle die zahlreichen Verbesserungen der Verkehrsverhältnisse gefallen, die ihnen zu Theil geworden sind. Aber selbst für dergleichen auch nur ein geringfügiges Opfer zu bringen, fällt ihnen gar nicht ein. An Belegen hierfür fehlt es nicht. Ich will nur das Eine anführen, daß von den sieben Postagenturen, die dem hiesigen Amte zugetheilt sind, auch nicht eine einzige die Einrichtung einer elektrischen Nachtklingel beantragt hat, obwohl die Anregung hierzu durch Vermittelung der Postagenten seiner Zeit gleichmäßig an die betreffende Gemeinden ergangen ist.“
„Aber das ist ja kaum zu glauben,“ rief der Oberinspektor aus. „Da stellen sich die Leute bezüglich ihrer Intelligenz und ihres Gemeinsinns ja geradezu ein Armuthszeugniß aus.“
„Pst, pst,“ fiel der Beamte ein, „dies Thema wollen wir hier lieber nicht berühren. Lassen wir uns, mein lieber Herr Inspektor, durch unerfreuliche Erfahrungen nicht entmuthigen. Thun wir, ein Jeder an seinem Theil, in dieser Sache, wie überhaupt, unsere Schuldigkeit oder auch wohl noch etwas darüber, so wird, früh oder spät, der Erfolg, der der Allgemeinheit zu Gute kommt, nicht ausbleiben und dies Bewußtsein ist auch etwas werth.“ W. P.
Blätter und Blüthen.
Eine Jugendliebe Emanuel Geibel’s. Nach dem Erscheinen seiner ersten Gedichtsammlung galt Emanuel Geibel für den zartesten Liebeslyriker der Neuzeit: es ist begreiflich, daß man nach den Anregungen forschte, welche die Muse des Dichters so begeistert hatte. Ueber diese schöne Zeit der ersten Liebe giebt uns Karl Theodor Gaedertz in seinen „Emanuel Geibel-Denkwürdigkeiten“ erwünschten Aufschluß. Ein Fräulein Cäcilie Wattenbach, die Tochter eines Hamburger Kaufmanns, dessen Wittwe nach Lübeck gezogen, war die Muse der lyrischen Erstlinge, welche der Dichter aufs Papier warf. Er machte als Primaner im Jahre 1833 mit seiner Mutter einen Besuch bei Frau Wattenbach, deren älteste Tochter sich mit einem von dem jungen Emanuel hochverehrten Lehrer verheirathet hatte. Wie erstaunte er, als er in dem ihm noch fremden Familienkreise plötzlich das Mädchen als Schwester der Braut begrüßen konnte, welches er etliche Tage vorher zuerst auf der Straße gesehen, in grauem blauseiden gefütterten Mantel und braunem Velbelhut, blondhaarig und blauäugig, mit den entzückendsten kleinen Händen und Füßen (er selbst erfreute sich solcher, weshalb er bei Damen sehr darauf achtete), eine liebreizende Erscheinung, von der er die letzten Nächte geträumt! Das leicht entzündbare Herz des achtzehnjährigen Primaners hatte Feuer gefaßt. Als er die holde Jungfrau erröthen sah und beide zum ersten Male mit einander sprachen, da war’s um sie geschehen, als er nun gar erfuhr, daß sie selbst auch heute ein Fest feiere, ihren Geburtstag, da kamen ihm seine Wünsche aus doppelt voller Seele. Nimmer vergaß er dieser Stunde und in tiefer Wehmuth gedachte er auch im spätesten Alter dieser Begegnung. Er war dann oft ein gerngesehener Gast im Wattenbach’schen Hause und dichtete auch ein Festspiel zum Polterabend. Cäcilie als Kolumbine hatte ein reizendes Lied zum Preise Italiens vorzutragen, welches die Strophe enthielt:
„Himmel und Erde
Lieben sich dort,
Grüßen und träumen
Ewiglich fort.
Lieder und Küsse
Klingen und wehn:
Könnt ihr die Sprache
Der Liebe verstehn?“
Im Frühling und Sommer wurden gemeinschaftliche Ausflüge gemacht in die anmuthige Umgebung Lübecks. Ein Pfingsten 1834 unternommenes Picknick im Riesebusch begeisterte den Dichter zu einer formschönen Elegie. Am nächsten Geburtstage überreichte er seiner Freundin ein Heftchen Gedichte, von denen nur wenige in die spätere Sammlung aufgenommen worden; nur ein einziges spricht seine Empfindungen in der Blumensprache aus.
Im November 1834 hatte der Primaner das Abiturientenexamen bestanden; in einer der französischen Kolonie angehörigen Familie führten Geibel und Cäcilie lebende Bilder mit auf und stellten Bruder und Schwester vor. Noch im hohen Alter gedachte Geibel dieser gemeinsam verlebten Stunden mit schmerzlicher Wonne und ihn überwältigte einmal förmlich die Erinnerung, als er seine Tochter zufällig über dem Lernen einer kleinen Rolle für ein Festspiel traf.
„Ich mußte ihr von jenem glücklichen Abend erzählen, den wir bei Boissonnet’s mit einander verschwärmten. Wie steht das Alles noch frisch und farbig vor meiner Seele! Cäcilie zuerst in amaranthfarbener Seide, dann in weißem Kleide mit schwarzem Sammetgürtel. Das ist neben dem 6. November, da ich zuerst mit ihr redete, vielleicht in meiner ganzen Jugend der Tag gewesen, an dem ich des reinsten, völlig wolkenlosen Glückes genoß, und ich habe ihn lange Zeit hindurch alljährlich ganz im Stillen festlich begangen.“
Als Geibel von Lübeck fortziehen mußte, um die Universität Bonn zu besuchen, schrieb er dem ihm befreundeten Bruder Cäciliens drei Abschiedslieder ins Stammbuch, die alle eine zarte, schüchterne Empfindung athmen. Die Schlußstrophe des dritten lautet:
„Und nun leb’ wohl, und sollt’ ein leises Singen
Sanftwiegend einst in Deinem Traum erklingen,
So denk’, es seien meine sehnsuchtsvollen
Gedanken, die von fern Dich grüßen wollen.“
Diese Gedichte haben zwar keinen höheren Werth; aber sie spiegeln die Stimmung wieder, aus welcher jene Liederblüthen einer „keuschen blonden Minne“ hervorgingen, welche einige Jahre später auf allen Toilettentischen zu finden waren. Ohne darin genannt oder gefeiert zu sein, war Cäcilie Wattenbach die Laura des jugendlichen Petrarca. †
Eine klassische Stätte. Zu der ersten Lektüre der Kinderjahre gehört bei uns in Deutschland außer unseren herrlichen Volksmärchen auch die rührende Geschichte der frommen Dulderin Genoveva, und wer sie nicht aus Büchern kennt, der hat sie sicherlich auf der Bühne eines Marionettentheaters an sich vorüberziehen sehen. So bekannt und volksthümlich nun auch die Geschichte ist, so wenig wird des Ortes gedacht, wo sich das Familiendrama abspielte; gewöhnlich verlegt man die Sage nach Frankreich in eine Gegend der Normandie, während der Schauplatz derselben doch ein Stück gute deutsche Erde ist.
An dem düsteren Laacher See in der Eifel liegt nach Mayen hin der stattliche Hochsimmer, ein 1823 Fuß hoher Berg, welcher vor Zeiten, wie alle seine Genossen in diesem Gebirge, ein Vulkan war. Hier stand die Burg des Pfalzgrafen Siegfried, des Gemahls der schönen Genoveva, welche der schändliche Schloßvogt Golo, als sein Herr nach langer Abwesenheit wieder in seine Feste zurückkehrte, in unwürdigster Weise verleumdete. Der empörte Pfalzgraf ließ sein unschuldiges Weib einkerkern und später mit ihrem Kinde in die Wildniß hinausstoßen, wo sich eine Hirschkuh zu ihnen gesellte und mit ihrer Milch das fast schon verschmachtete Knäblein ernährte. Als sich nach langen Jahren Siegfried einst auf der Jagd befand, verfolgte er diese Hirschkuh, welche er bereits verwundet hatte, bis zu der Höhle, wo sie bei Genoveva, der diese Höhle zum Aufenthalt diente, Schutz suchte und fand. Das unerwartete Wiedersehen stimmte den Pfalzgrafen zur Milde: er hörte seine Gemahlin ruhig an und das ganze Lügengewebe des Schloßvogts kam an den Tag. Die Gattin Siegfried’s kam wieder zu Ehren; Golo aber empfing seine gerechte Strafe.
[68] Unweit von Obermendig, wo die Landschaft ihren düsteren Charakter abgelegt hat und ein freundliches, anmuthiges Gesicht zeigt, liegt ein einsames Kirchlein, das den Namen „Frauenkirche“ führt. Hier befindet sich die Grabstätte der heiligen Genoveva und hinter dem Altare dieses kleinen Gotteshauses soll der Sage nach die Höhle gewesen sein, in welcher einst die Verstoßene gehaust hatte. Von der Burg Siegfried’s auf dem Hochsimmer ist freilich nichts mehr zu sehen; die Hauptperson der Sage aber gehört zu den rührendsten und poetischsten Gestalten unserer vaterländischen Sagendichtung, die selbst einen Ludwig Tieck und Fr. Hebbel zu dramatischer Bearbeitung zu begeistern vermochte.
Eisbrecher auf der Oder. (Mit Illustration S. 53.) Starr liegt, obgleich der Winter im Scheiden ist, noch die Eisdecke auf der Oder und dem Haff. Ungeduldig werden die Rheder und Schiffer in Stettin: die Frachten sind abgeschlossen, aber es ist wenig Aussicht, die Fahrt zu beginnen. In anderen Hafenstädten regt es sich schon längst und in dem Vorhafen Stettins, Swinemünde, sind Steamer von dorther eingetroffen – aber wie soll die Ladung in die Handelsstadt hinübergeschaft werden? Da dampft eines Tages ein eigenartig gebautes Fahrzeug in den Hafen; es ist telegraphisch hierher beschieden worden und wird mit Jubel begrüßt. Es ist ein starker Eisbrechdampfer, er trägt Schoonertakelung; Masten und ein Schornstein von mächtigem Umfang sind stark nach hinten geneigt. Vermöge seiner starken Maschinen und Kessel besitzt er eine bewältigende Kraft; die noch etwa 9 bis 10 Zoll starke Eisdecke ist fur ihn kein Hinderniß. Vier bis fünf Schiffslängen geht er vor derselben zurück; dann dampft er mit voller Kraft nach vorwärts, der mächtige Rumpf hebt sich aus dem Wasser und schiebt sich aufs Eis, das krachend unter so großer Last zusammenbricht. So geht es Schritt um Schritt weiter; eine breite Rinne bildet sich, in welcher die andern großen Dampfer dem bahnbrechenden Pionier folgen, und die Schifffahrt ist eröffnet. †
Das entflohene Modell. (Mit Illustration S. 56. und 57.) Die ganze kleine Welt des Ortes, welcher der vortreffliche Maler Vautier die ausdrucksvollsten Züge verliehen, ist hinter dem Maler in das Zimmer eingedrungen, in welchem derselbe sein „entflohenes Modell“ sucht. Natürlich erregte Flucht und Verfolgung das größte Aufsehen in dem ganzen Orte, und es scheint, daß die kühne That des kleinen Mädchens bei den Altersgenossen und -genossinnen lebhaften Beifall findet. Da steht dasselbe hinter der Treppe, auf welcher ein neutrales Baby emporklettert und, unbekümmert um den Lärm, dem Maler freiwillig ein Modell darbietet, das sich allerdings nicht für eine geflügelte Amorette eignen würde. Die Schuldige selbst, mit ihrem ängstlichen und lieblichen Gesicht, den scheuen Blick auf den Verfolger gewendet, den Tragkorb neben sich, mit dem sie wahrscheinlich in verschiedenen unbequemen Stellungen dem beobachtenden Blick des Künstlers Stand halten mußte, mag von diesem schmerzlich vermißt werden, denn sie ist in der That ein reizendes Kind. Der Maler verhandelt über das Geschäftliche mit der Mutter; denn die kleine Kunstschülerin ist vielleicht gegen eine vorausbezahlte Summe verhandelt worden und hat sich eines schnöden Kontraktbruches schuldig gemacht, der das Einnahmebudget der Familie zu gefährden droht. †
Eine seltsame Audienz. Der Zar Peter der Große hatte am Hofe von St. James schon wiederholt den Wunsch zu erkennen gegeben, mit England einen Handelsvertrag abzuschließen; aber letzteres zögerte, auf dieses Verlangen einzugehen, weil es fürchtete, damit die heimische Industrie zu schädigen. Endlich aber gab die britische Regierung dem Verlangen des Kaisers nach und sandte eine Gesandtschaft an denselben ab, um den Vertrag zum Abschluß zu bringen. Der Zar ließ die Engländer sehr lange warten, ehe er die nachgesuchte Audienz bewilligte; schließlich aber erhielten sie die Mittheilung, daß der Kaiser bereit sei, sie zu empfangen, aber auf einem im Hafen liegenden Dreimaster. So eigenthümlich auch der Ort gewählt war, so mußten die Gesandten sich doch fügen, und sie fanden sich daher zur bestimmten Stunde auf dem Schiffe ein. Wie erstaunten sie aber, als man ihnen sagte, Seine Majestät befinde sich oben im Mastkorbe des Besanmastes und lasse sie ersuchen, sich dort oben ihm vorzustellen. Was war zu thun? Der mächtige Zar ließ nicht mit sich spaßen und unverrichteter Sache durften sie nicht nach England zurückkehren; sie mußten sich daher wohl oder übel der Grille des Kaisers fügen, der gewöhnt war, unbedingten Gehorsam zu finden. Zitternd vor Angst machten sich die Gesandten, die wohl das Parkett des Windsorpalastes, aber nicht die schwankenden Strickleitern eines mächtigen Segelschiffes kannten, auf den Weg, und nach einer bangen Viertelstunde waren sie oben in schwindelnder Höhe auf dem engen und schmalen Platz angelangt. Würdevoll, als sitze er auf seinem Throne, empfing sie Peter, vernahm ihre Anrede und erwiederte dann in Ausdrücken, die für England und dessen König außerordentlich schmeichelhaft waren. Aber einen Zug von Schadenfreude vermochte er nicht zu unterdrücken, und als endlich Alle die gefährliche Reise abwärts glücklich zurückgelegt und auf dem Verdeck wieder festen Boden unter den Füßen hatten, da erklärte ihnen der Kaiser lachend, daß die kleine Prüfung, welche er ihnen auferlegte, eine Strafe fur ihre verspätete Ankunft gewesen sei. Der Handelsvertrag aber kam zu Stande, und zwar unter Bedingungen, die für England sehr vortheilhaft waren, so daß die Gesandten entschädigt für die ausgestandene Angst und befriedigt von dem Erfolg in ihre Heimath zurückkehrten.
Papierne Kleider im Jahre 1718. Auch die Papierwäsche, die wir als eine Errungenschaft unserer Zeit betrachten, hat schon ihre Vorgänger gehabt. Eine Nachricht vom Ende des Monats Juni des Jahres 1718 meldet aus Paris: „Zu Paris tragen die Dames bei dieser Sommerzeit Kleider von Indianischem Papiere, welche aber nicht länger als einen halben Tag halten. Es hat diese Façon von Kleidern der Spitzenhändler Boileau erfunden, welcher selbige mit allem, was darzu gehörig, als Manteaus, Jupes, Jupons, Corsets, die allein mit Leinwand gefüttert, Band und dergleichen für fünfundzwanzig Livres verkauft.“ In der „Allgem. Kammer der Kauffmannschafft“, dessen 3. Theil (Leipz. 1742) wir diese interessante Mittheilung entnehmen, ist beigesetzt, daß das indianische Papier ohne Zweifel chinesisches oder japanisches war. „Es mag allerdings diese Art Kleidung bei heißer Sommerzeit dem Frauenzimmer eine gar angenehme Art von Wedeln geben, nur daß sie, wegen allzukurzer Dauer, dem Beutel etwas beschwerlich fallen dürfte.“ Einige Jahre vorher hatte man in Frankreich Versuche gemacht, Stoffe und Kleidungsstücke von der Seide der Spinneneier herzustellen. Der Erfinder dieser Seide, Kammerpräsident Bon zu Montpellier, hatte im Jahre 1710 dem König Ludwig XIV. eine Weste und der königl. Gesellschaft der Wissenschaften ein paar Strümpfe aus dieser Seide verehrt. Letztere wogen nur 21/4 Unzen. Eine im Jahre 1711 zu Leipzig erschienene Schrift: „Curieuse Nachricht von einer neuen Art Seide, welche von den Spinneweben zubereitet wird, und davon der jetzige König Ludovicus XIV. eine Weste trägt“ befürwortete die Nachahmung dieser Industrie in Deutschland. Allein weder hier noch in Frankreich hatte die Sache Bestand, was sehr erklärlich wird, wenn man das Rechenexempel des berühmten Physikers Réaumur hört, nach welchem zu einem Pfund „Spinnenseide“ nicht weniger als 55 296 der größesten Spinneneier nothwendig sein würden.
Auf Seite 716 des Jahrgangs 1884 brachten wir eine Rössel-Aufgabe als Seitenstück zu dem bekannten Problem der Aufstellung von 8 Damen. Die Aufgabe, welche wir heute unseren Lesern vorlegen, verknüpft in gewisser Beziehung die beiden früheren Ideen: es sollen nämlich a) 4 Damen und 1 Springer, b) 4 Damen und 2 Springer, c) 4 Damen und 3 Springer, d) 4 Damen und 4 Springer, e) 4 Damen und 5 Springer, f) 4 Damen und 6 Springer, oder g) 4 Damen und 7 Springer derartig auf dem Schachbrette aufgestellt werden, daß 1. weder unter einander noch gegenseitig die Damen und Springer sich schlagen können, und daß 2. in keiner Position ein Feld frei bleibt, welches noch mit einem Springer besetzt werden könnte, ohne daß man dabei gegen die Bedingung zu 1) verstößt. (In obigem Beispiele darf z. B. auf c 3 kein weiterer Springer stehen, weil er einerseits sowohl vom S e 4 als auch von der D a 1 geschlagen werden kann, und weil er andererseits zugleich die D b 5 bedrohen würde) –
Auch mit diesem Problem hoffen wir unseren Lesern einen ansprechenden Unterhaltungsstoff für manches Musestündchen geboten zu haben.
Kleiner Briefkasten.
M. P. in Altona. Der Lauf des Amazonenstromes wird auf 5000 Kilometer, der des Kongo auf 4500 Kilometer geschätzt – Die größten Wassermassen entsendet zum Meere der Amazonenstrom. – Der Niagarafall besteht aus zwei Armen, von denen der eine 330 Meter breit und 47 Meter hoch, der andere 578 Meter breit und 44 Meter hoch ist. Man nimmt an, daß in diesen Fällen stündlich 100 Millionen Tons Wasser hinabstürzen. Der Rival Niagaras, der berühmte Wasserfall des südafrikanischen Sambesistromes, wird von den Engländern Victoria-Fall genannt, im Munde der Eingeborenen heißt er Mosiwatunja, das heißt „donnernder Rauch“; er ist 900 Meter breit und etwa 100 Meter hoch.
Karl B. in Hamburg. Sie wünschen von uns die Bezeichnung eines Reisewerkes, „das nicht im trockenen Docentenstil geschrieben ist und den Leser nicht nur belehrt, sondern ihn zugleich auch angenehm unterhält.“ Derartige Werke giebt es nicht eben viele. Lesen Sie aber: Carletto, „Von Leipzig nach der Sahara“ (Leipzig, Schmidt und Günther) und wir glauben, Sie werden mit uns Friedrich v. Hellwald zustimmen, der im Vorwort zu diesen reich illustrirten Reiseschilderungen aus Frankreich, Spanien, Algerien und den Ziban-Oasen sagt: „Der liebenswürdige Plauderer hat ein gut Stück Welt gesehen und seinen Blick geschärft für Menschen und Dinge. Er ist ein guter Beobachter, ein lebhafter Schilderer. Und noch eins! Die Wahrheit des Erlebten, des Geschauten leuchtet aus jeder Zeile hervor!“ Der Verfasser, der sich bescheiden unter einem Pseudonym verbirgt, ist übrigens ein bekannter Leipziger Buchhändler.
Dr. P. H. S. in A. Die unter dem Namen „Venus von Milo“ bekannte altgriechische Statue wurde im Jahre 1820 auf der Insel Milo (im Alterthum Melos) gefunden und durch König Ludwig XVIII. von Frankreich dem Louvre überwiesen. Statuen, welche im Motiv gleich oder ähnlich sind, sind mehrfach erhalten, z. B. die durch Gypsabgüsse bekannte sogenannte Venus von Capua im Neapeler Museum. In den römischen Museen giebt es deren eine ganze Menge.
H. W. Die Manuskripte stehen zu Ihrer Verfügung. Wir ersuchen um Angabe der Adresse.
Inhalt: Das Eulenhaus. Hinterlassener Roman von E. Marlitt. Vollendet von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 53. – Jaki’s Erziehung und Unterricht. Von Dr. Karl Ruß. Mit Abbildung. S. 59. – Das neue Hofburgtheater in Wien. Von Ferdinand Groß. S. 60. Mit Illustration S. 61. – Die Todteninsel. Von Richart Voß (Schluß) S. 62. – Galanterie auf dem Eise. Illustration S. 65. – Unfall-Meldestellen. S. 66. – Blätter und Blüthen: Eine Jugendliebe Emanuel Geibel’s. S. 67. – Eine klassische Stätte. S. 67. – Eisbrecher auf der Oder. S. 68. Mit Illustration S. 53. – Das entflohene Modell. S. 68. Mit Illustration S. 56 und 57. – Eine seltsame Audienz. S. 68. – Papierne Kleider im Jahre 1718. S. 68. – Kombinirte Damen- und Springer-Aufgabe. S. 68. – Kleiner Briefkasten. S. 68.
- ↑ Nähere Auskunft über alle diese Verhältnisse und Anleitung zur Abrichtung habe ich in meinem Buch „Die sprechenden Papageien“ gegeben. Dort finden die Leser auch eine ausführliche Beschreibung der vielfach benutzten Papageienständer, von denen ein sehr praktischer, der sogenannte verstellbare Papageienständer, am Anfang dieses Artikels abgebildet ist.