Zum Inhalt springen

Die Gartenlaube (1897)/Heft 9

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1897
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[133]

Nr. 9.   1897.
Die Gartenlaube.
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahresabonnement: 7 M. Zu beziehen in Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf., auch in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
Trotzige Herzen.
Roman von W. Heimburg.

(8. Fortsetzung.)

Seit Frau von Gruber an ihre Freundin in Schlesien jenen Brief geschrieben, in welchem sie ihr die Enttäuschung mitgeteilt hatte, die ihr Neffe Kerkow in Bezug auf das Vermögen seiner Braut hatte erleben müssen, waren zwei Wochen vergangen. Hede Kerkow hatte der Tante und dem Bruder erklärt, sie werde bei der Polterabendfeier nicht zugegen sein, und wenn man ihr zureden wollte, hatte sie gerufen: „Soll ich denn zweimal hintereinander in dem nämlichen weißen Kaschmirkleidchen hier auftreten? Und das möchte noch gehen, aber mir steht der Sinn nicht nach so viel Menschen, ich gebe meinem Herzen schon einen großen Stoß, wenn ich das Hochzeitsdiner mit absitze. Laßt mich, bitte, bitte! Eigentlich wollte ich nur dem Heinz das Geleit in die Kirche geben!“

In der Nachmittagsstunde vor dem Polterabend klopfte sie an die Thür von ihres Bruders Zimmer; sie mußte ihn noch einmal sehen, bevor sie ihn für immer hergab. Vorläufig war noch nichts in seinen Räumen geändert; erst wenn das junge Paar abgereist sein würde, sollte die Schar der Handwerker sich ihrer erbarmen und unter Tante Grubers Aufsicht eine elegante Wohnung daraus schaffen. Tonis Wünsche in Beziehung hierauf hatten sich nicht geändert, überdies war bereits alles bestellt gewesen.

Heinz Kerkow saß müßig in einer der Fensternischen, draußen wirbelte dichter Schnee. So dicht fielen die Flocken, daß von dem Städtchen und der weilen Ferne draußen nichts mehr zu sehen war; kaum noch konnte man die am Schloßplatz liegenden Häuser erkennen.

„Du, Heinz,“ sagte sie herzlich, als sie auf das „Herein!“ in das Zimmer getreten war, „sei nicht böse, daß ich noch einmal komme, ehe der große Trubel beginnt, ich hatte solch große Sehnsucht nach dir, morgen bist du schon weit fort.“

„Willkommen, Hede,“ antwortete er freundlich, „ich bin gerad’ noch ein paar Stunden ,Freiherr’. Meine Geschäfte hat Se. Excellenz seit heute


Ein Treffer.
Nach dem Gemälde von Fr. Prölß.

[134] mittag übernommen, Toni macht Toilette und Tante Gruber ebenfalls. ’s ist die Stille vor dem Sturm, Kind, und da du heute abend nicht unser Fest verherrlichen willst, so wollen wir uns einander jetzt schadlos halten.

Er war aufgestanden, hatte ihr seinen Stuhl im Erker überlassen und nahm nun ihr gegenüber Platz. „Sitzt sich’s hier nicht nett, wenn das Wetter da draußen sein Unwesen treibt?“

„Sehr nett – aber Heinz, du bist mir doch nicht böse, daß ich nicht mitthue, heut’ abend?“

„Ach, Kind, ich begreife dich vollkommen in deiner Trauerstimmung.“ Sie hatten sich die Hände gereicht und schauten sich liebevoll in die Augen. „Ja, ja,“ sagte er, mühsam lächelnd, „nun wird’s Ernst.“ „Heinz, wenn du doch recht glücklich würdest,“ sprach sie mit zitternden Lippen.

„Ich werd’ schon – ich werd’ schon!“ tröstete er und streichelte ihre Hände. „Mache dir nur keine Gedanken, Kind; deine Zukunft liegt mir mehr am Herzen, macht mir mehr Sorgen als die meine. Unsereiner beißt sich schon durch.“

„Wie das klingt für einen angehenden Ehemann,“ bemerkte sie, halb lachend, halb weinend, „durchbeißen! Beißen! Weißt du noch, wie wir Hochzeit hielten als Kinder, als du Nachbars Willy mit mir trautest und die schöne Rede hieltest. ‚Schlagt euch nicht, beißt euch nicht, zerkratzt euch lieber das Gesicht,’ und ‚Wenn euch die bösen Buben locken, so lauft voran auf schnellen Socken’?

Er lachte. „Gottloses Volk waren wir doch, Hede was? Ich glaube, ihr habt euch dann auch möglichst bald gekratzt, du und dein Willy“ –

„Versteht sich! Aber dann nahm ich mir kaltblütig einen andern, den Paul Gröber.“

„Ja“, sprach er, zwischen Scherz und Ernst schwankend, „das war erlaubt und recht einfach.- Wenn sich richtige Eheleute später beißen und kratzen, so ist’s zwar nicht hübsch, aber sie müssen trotzdem zusammen bleiben.“

„O Heinz, ich meine, das kann man vor der Hochzeit schon fühlen, ob man sich später beißen oder kratzen wird!“

„Hm! Das möcht ich nicht gerade behaupten“, antwortete er, „aber hab’ keine Angst, Hede, meine Ehe wird nicht beißig und kratzig – sie wird musterhaft friedlich sein.“

Sie sah ihn wieder mit dem schmerzlich fragenden Blick an, wie immer, seitdem sie ihn das erste Mal neben der Braut in seiner neuen Stellung gesehen hatte. Es lag ein eigentümlich bitterer Ton in seiner Stimme, matt und scharf zugleich.

„Ob ich dir das garantieren kann, meinst du?“ fragte er. „Gewiß, denn, siehst du, zum Zanken, Kratzen, Beißen gehören zwei, und ich meinerseits bin darauf durchaus nicht versessen – verstehst du, Kleine?“

„O ja“, antwortete sie, „und zum Lieben gehören auch zwei“.

„Nun sieh ’mal an, wie klug du bist, also –“

„Heinz!“ Sie konnte ihrer Bewegung nicht mehr Herr werden. – „Ach, Heinz, red nicht so leichtfertig – wie anders bist du nur geworden!“ stieß sie hervor, „als wärst du nicht mehr der goldtreue, edle, fröhliche Junge wie früher! Schon dieses Civil schmerzt mich, das dich gar nicht kleidet, nein, gar nicht – und alles, alles – –“

„O wirklich nicht?“ unterbrach er sie lächelnd, um dem Gespräch eine harmlosere Wendung zu geben, „und ich bildete mir ein, hinreißend im Frack zu sein, mindestens ebenso vornehm wie im Waffenrock! Na, laß gut sein, Hede, was du meinst, verstehe ich – kannst es mir nicht verzeihen, daß ich die Uniform auszog? Aber sieh, Kind, ich hätt’s so wie so thun müssen, denn zum Weiterdienen langte es nicht, das weißt du. Indessen, verlass’ dich darauf, wenn ein Feldzug kommt, ist der Frack im Umsehen aus und die Montur angezogen!“

„Ich hätte mich lieber als Soldat durchgehungert,“ sagte sie trotzig. „Und allein, verstehst du, ganz allein – es wäre doch gewiß gegangen!“

„Ach du, du ahnst ja nicht, was du sprichst,“ murmelte er.

Sie wurde dunkelrot. „Du hast doch hoffentlich bei dem Schritt, den du gethan, nicht an mich gedacht, Heinz? Das wäre mein Tod, ich könnt’s nicht ertragen!“

„Nicht allein an dich, auch an unsere alte Mutter, unsere Schwester in Halle – denkst du nicht an sie, Hede?“

Sie trocknete die Thränen und preßte die Lippen zusammen; er wandte den Kopf ab und schaute hinaus. Drunten, hinter den wirbelnden Flocken tauchten die Umrisse der Gebäude deutlich auf, hier die Oberförsterei , dort das Haus des Medizinalrats May, in dem Riesengebäude, dem Gasthof, wurden schon verschiedene Fenster hell. Dort wohnten die fremden Gäste, die zu seinem heutigen Polterabend geladen waren, Familien aus der Residenz, aus der Umgegend, die Sippe der Ribbenecks, die Kameraden seines alten Regiments – –

„Wenn ich dir helfen könnte,“ sagte Hede plötzlich laut und leidenschaftlich, „ich brächte Ottilie um – und mich dazu – wozu leben wir auch!“

„Wozu – oder wovon helfen?“ fragte er betroffen und wandte sich nach ihr um.

„Von deiner Heirat! –“

„Du bist toll, Mädel!“ antwortete er, seine Augen blitzten drohend und eine Röte lagerte auf seiner Stirn. „Was geht dich das an, was kümmert dich die Wahl meiner Frau? Hast du einmal Vorwürfe zu gewärtigen, wenn die Sache schlecht ausgeht?“

„Nein!“ sagte sie hart, „du könntest mir auch keinen Vorwurf machen, denn ich – ich möchte dich am liebsten mit diesen meinen beiden Händen von ihr wegreißen!“

„Hede!“ rief er, aufspringend bei dem rücksichtslosen Bekenntnis des sonst so ruhigen Geschöpfes.

Aber die grenzenlose Enttäuschung über die Schwägerin, eine Enttäuschung, die in ihrem Herzen sich seit ihrer Anwesenheit in Breitenfels, seitdem sie Toni zum erstenmal gesehen, aufgesammelt hatte, die Angst, der Schmerz um das Schicksal des über alles geliebten Bruders ließen sie jede Rücksicht vergessen. Sie sprang empor, eilte zu ihm, und neben ihm niedergleitend, faßte sie seinen Arm. „Muß es denn sein?“ rief sie halb erstickt, „besinne dich doch, Heinz, du bist doch sonst nicht feige gewesen – nichts als ein kurzer Entschluß gehört dazu – Hunderte von Verlobungen gehen zurück. Da drunten das junge Mädchen, von dem jetzt alle Welt spricht – wie heißt sie doch gleich? hatte den Mut, habe ihn doch auch, mach’ dich nicht unglücklich, Heinz, lieber Heinz – noch ist’s Zeit – denke nicht an uns, gehe hinaus in die Welt, schaff’ dir ein freies Glück!“

Er hatte sie emporgerissen, sie in einen Stuhl gedrückt und holte ein Glas Wasser. „Trink!“ sagte er kurz, „beruhige dich, deine Nerven spielen dir übel mit! Lernst du sie nicht beherrschen, so betrittst du denselben Weg, den unsere unglückliche Schwester jetzt wandelt. Sieh mich nicht so entsetzt an! Wenn du so unsinnig sein und deinem Bruder den Rat geben kannst, ein Schuft zu werden, indem er sich, um einem eingebildeten Unglück zu entgehen, der Pflicht eines Ehrenmannes entzieht – entzieht in der elften Stunde, so bist du nicht mehr normal! Fasse dich! Ich weiß, dich läßt die Liebe zu mir in der Mücke einen Elefanten sehen, und deshalb will ich dir die Scene, die du mir heute machst, nicht anrechnen. Für die Zukunft aber, Hede und nicht wahr, es liegt dir daran, daß wir zueinander halten in echter Geschwisterliebe? – für die Zukunft darfst du nie wieder ein Wort gegen die sagen, die meine Frau ist, denn sieh – sonst müssen wir uns trennen. Nun reiche mir die Hand und sei meine vernünftige Hede – komm, gieb mir einen Kuß. Er beugte sich nieder und küßte sie, sie aber saß wie ein wächsernes Bild und mühte sich vergebens, ihres Zitterns Herr zu werden.

Eine lange Zeit blieb es stumm zwischen ihnen; er stand am Fenster, ihr rieselten unausgesetzt große Tropfen über die Wangen. Ja, lieber Gott, sie hätte sich das sparen können, hatte sich auch schon alle Tage, die sie hier weilte, gesagt. „Es ist nichts mehr zu ändern daran!“ Nun platzte sie zuletzt doch noch damit heraus! Und er – er schaute zu Aenne Mays Vaterhaus hinunter und dachte über Hedes Ausruf nach. Die hatte den Mut gehabt, sich frei zu machen; ja, die konnte es auch, das lag anders! Sie hatte einfach einen Irrtum eingesehen, er aber, er war der Werbende gewesen, er hatte nach Toni Ribbeneck gegriffen wie der Ertrinkende nach dem Strohhalm. Jetzt, wo er sich auf festes Land gerettet, konnte er sie nicht verlassen. Daran gedacht hatte er, vor drei Wochen noch, als er mehr und mehr die Oede des Gestades erkannte, auf dem er gelandet durch sie; er [135] meinte damals, es sei nicht möglich, darauf zu leben. Nun, wo sie in Anbetracht ihrer Ansprüche ans Leben so gut nie mittellos geworden, kamen jene verzweifelten Gedanken einer Flucht nicht mehr; er wußte, was er sich schuldig sei, und es war so etwas wie Galgenhumor über ihn gekommen. ‚Vorwärts mit frischem Mut!’ trommelte er auf den Fensterscheiben.

Da scholl die Stimme Hedes hinter ihm. „Willst du mir verzeihen, Heinz? Ich sehe ja ein, ich war toll, du kannst ja gar nicht anders, vergieb mir!“

Er wandte sich sogleich um und nahm sie in den Arm. „Siehst du, du dummes Mädel? Wozu das alles erst – du solltest mich doch kennen!“ „Ja, es war dumm von mir.“

„Na, laß gut sein,“ tröstete er, „wir beide bleiben die Alten; ich wollte nur, ich könnte dich in der Nähe behalten!“

„Ich wollte es auch, aber es geht doch nicht, Heinz.“

„Meinst du nicht, daß du hier auch einige mallustige Mädel zusammenbringst, wenn du dir ein paar Stübchen mietest?“

Sie schüttelte den Kopf. „Und wovon soll ich unterdes leben, ich meine, bis ich die Malmädel gefunden habe?“

„Aber Hede, welche Frage! Bei mir steht immer der Tisch gedeckt für dich.“

„Nein“, sagte sie, indem sie sich aus seinen Armen wand, und ihr Gesicht bekam etwas Starres, Hartes, „nein, nichts – nichts von Toni!“

Er sah sie an, halb ernst, halb spöttisch. „Von Toni würde wohl nicht viel dabei sein, Hede, ich bezweifle, daß ihre Gage weiter reicht als zur Bestreitung der Toilette.

Sie verstand ihn nicht. „Aber – das große Vermögen?“ stotterte sie.

„Das? Er lachte auf einmal so herzlich wie in alten Tagen „das ist so sicher angelegt, daß sie gar nicht dazu kann, Hede.“ Ihr betroffenes Gesicht amüsierte ihn geradezu.

„Was soll das heißen? Toni ist arm?“

„Ungefähr so. Du siehst also, Schatz, du könntest ohne zu große Gewissensbisse an unserem Tische mitessen.“

„Nein!“ wiederholte sie kurz und mühsam atmend, „du hast schon übergenug Last an Ottilie!“ Sie war in den Stuhl zurückgesunken und starrte vor sich hin. Mit welchen Hoffnungen war sie hergekommen aus ihrem Elend daheim! Auf Liebe, auf Sonnenschein hatte sie sich gefreut, auf ein Atmen in anderer Luft, und nun blieb ihr doch nichts weiter, als wieder hineinzutauchen in das Jammerleben, das Stundengeben für einen Bettellohn, das Hungern bei Thee, Kartoffeln und Grießbrei, das Hungern nach einem Herzen, welches ihr nahe stand.

„Heinz“, sagte sie endlich, „ich reise übermorgen wieder heim“.

„Warum willst du nicht noch ein Weilchen bei Tante Gruber bleiben, Hede? Es würde deiner Gesundheit so dienlich sein.“

„Nein! Nein! Ich verwöhne mich hier nur, und wenn du fort bist – was soll ich hier?“ sprach sie heftig.

„Aber ich bleibe ja nicht lange, Kind, Italien haben wir heimlicherweise längst aufgegeben – acht Tage Berlin, voilà tout!“

„Nein, nein, es ist besser, ich reise!“

„Wie du nur aussiehst,“ schalt er, „ich muß ja Angst haben, dich hier allein zu lassen heute abend-“ „Aber warum? Ich bitte dich, ängstige dich nur nicht um mich! Ich lese, ich werde –“

Er sah nach der Uhr. „Nun ist’s auch für mich Zeit,“ sagte er zögernd, das blasse Mädchen mit den starren, dunklen Augen that ihm so unsäglich leid.

„Hast du etwas zum Lesen?“ fragte er und trat an ein Tischchen, auf dem Bücher und Journale lagen, nahm einige davon und ergriff dann noch eine Zeitung, auf deren Titel „Breitenfelser Amtsblatt“ zu lesen war, und übergab ihr alles. „So, Hede, da hast du allerlei, sogar die neuesten Begebenheiten in Breitenfels, von meinem Polterabend bringen sie sicher auch einen Sums. Und nun fange keine Grillen, auf mich kannst du immer bauen, hörst du, Hede, wenn ich auch kein Krösus bin. Und thue mir den Gefallen, überlege, ob du nicht lieber hier dein Domicil aufschlagen willst!“

Sie hielt, wie geistesabwesend, die Bücher im Arm.

„Komm,“ sagte er, „ich bringe dich hinüber.“

Sie schritten miteinander den langen, teppichbelegten Korridor hinunter. Hedes Zimmer lag nach der Seite hinaus, die von der Herzogin Mutter bewohnt wurde, nur zwei Treppen höher. Er trat hinter der Schwester ein, die Hängelampe brannte, die Vorhänge waren zugezogen, im Kamin züngelten die Flammen.

„Ist dir’s auch warm genug?“ erkundigte er sich; „dein Souper ist angeordnet. – Daß du auch so allein bist! Soll ich nochmals zu dir kommen, wenn das Fest zu Ende?“ Sie nickte. „Bitte!“

„Ich werde vorsichtig anklopfen, falls du schläfst.“ „Ich erwarte dich, ich schlafe nicht.“ – Es ist der letzte Abend, den du noch mir gehörst, wollte sie sagen, verschluckte es aber.

„Leb’ wohl indessen, Hede, ich sehe dich also noch,“ setzte er rasch hinzu, wie um weitere Betrachtungen abzuschneiden. Dann ging die Thür und das Mädchen war allein.

Sie zog an den Kamin einen Sessel und hockte sich hinein, die Füße emporgezogen, die Bücher und Zeitungen hielt sie noch immer an sich gepreßt. So verharrte sie eine ganze Weile. Bis hier hinauf drang kein Laut, das Schloß war ja überhaupt so geräuschlos, als sei es von Geistern bewohnt, und so still war es hier wie daheim in ihren niedrigen einsamen Zimmern. Nur die Uhr tickte, eine Bronceuhr im Empirestil.

Hede brach auf einmal in leises leidenschaftliches Schluchzen aus, ein unsägliches Grauen vor der Zukunft hatte sich ihrer bemächtigt. Bisher, seit Mutters Tode, war Heinz ihre Hoffnung gewesen, und diese, lieber Gott, war gescheitert! Der arme Junge, der würde selber seine Not haben, durchzukommen. Und sie fühlte, wenn sie weiter leben mußte wie bisher, ohne einen Menschen, der ihr nahe stand, es würde Wahrheit werden, was Heinz ihr angedroht, sie würde dort enden, wo ihre Schwester schon war – im Irrenhause! Sie gedachte der Nächte, da sie, furchtdurchschüttelt ob der entsetzlichen Einsamkeit und Verlassenheit, in ihrem Bette aufrecht saß, sterben und verderben konnte sie, keiner hätte es gemerkt! Sie gedachte der Morgen, an denen sie frierend umherschlich, um auf dem Spirituslämpchen Thee zu bereiten, dachte an das Heizen des Ofens mit den starren zitternden Fingern. Ja, wenn sie’s gewöhnt gewesen wäre! Aber bis vor kurzem hatte sie noch eine Aufwartefrau gehabt. Und dann die Unterrichtsstunde mit dem schmerzenden Kopf, in dem Terpentindunst, und mittags die paar eiligst gekochten Kartoffeln, ein Ei dazu, wenn’s hoch kam, und wieder ans Werk, dutzendweise dasselbe Motiv auf Ober- und Untertassen, und doch welch’ Glück, wenn sie Arbeit hatte!

Dann kamen die langen Abende, an denen sie vorzeitig aus Müdigkeit und Frost ihr Lager suchte, denn der Schlaf floh sie bis zum Morgen. Sie schlug sich plötzlich mit der flachen Hand vor die Stirn und blickte sich um, als erwachte sie eben aus schwerem Traume. Dann setzte sie die Füße herunter vom Stuhl und betrachtete wie abwesend die Lektüre, die sie noch in der Hand hielt – „Breitenfelser Amtsblatt“, las sie. Mechanisch faltete sie es auseinander – Politik – Hofnachrichten – der Name ihres Bruders sprang ihr entgegen, die Namen der eingetroffenen Gäste – wie großartig das klang! Dann Theateranzeige: „Der Barbier von Sevilla“ – vorletzte Vorstellung, – eine Verlobungsanzeige, – irgend jemand hatte Zwillinge bekommen, irgend jemand war gestorben – eine Büffettmamsell mit feiner Garderobe wird gesucht – und endlich blieben ihre Augen wie gebannt an folgendem Satze hängen.

„Eine gebildete Dame als Repräsentantin seines Hauses, die bei drei Kindern im Alter von 7, 5 und 3 Jahren Mutterstelle zu vertreten hätte, sucht möglichst sofort
der herzogl. Oberförster Günther.“

Sie las noch einmal und saß dann wieder regungslos wohl eine Viertelstunde lang, bis die Uhr neben ihr mit silberner Stimme sechs Schläge ertönen ließ. Plötzlich sprang sie empor, setzte hastig ihren schmucklosen Filzhut auf, fuhr in das Jackett, griff nach dem Muff und verließ das Zimmer. Sie vermied die Haupttreppe und schritt die für die Dienerschaft bestimmte Stiege hinab. Sie kannte die Seitenthür, die direkt unter den Zimmern der alten Herzogin auf den Schloßberg mündete. Der Weg führte zum Marstall und zog sich in Windungen durch jetzt kahles Fliedergesträuch hinunter. Sie ging mit schnellen und kurzen Schritten, ein starkes Herzklopfen peinigte sie. Die Fensterreihen der Gemächer der Herzogin strahlten mit ihren rötlichen

[136]

Auf dem Marienplatz in München zu Ende des 15. Jahrhunderts.
Nach einer Originalzeichnung von K. Weigand.

[137] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [138] Lichtern in die Schneenacht hinaus, ihren Weg erhellend. Bald war sie am Fuße des Berges und schritt auf dem Schloßplatz dahin, der Oberförsterei zu. Die ersten Wagen mit Gästen rollten eben langsam den steilen Berg hinan, am Eingange des Schloßhofes flammten Pechfackeln und zuckten mit ihrem Schein über die Gebäude und die dürren Wipfel des Parkes.

In wenig Minuten hatte Hedwig von Kerkow die Oberförsterei erreicht und trat ein in den kaum notdürftig erhellten Flur. Die Schelle rasselte laut und mißtönig, ein paar Dachshunde fuhren ihr belfernd entgegen, und bald nachher trat aus der nach rechts gelegenen Stube ein Mädchen, dem sich einige Kinder nachdrängten, und fragte nach ihrem Begehr.

„Ist der Herr Oberförster zu Hause?“

„Ja! Wen soll ich melden?“

„Sagen Sie ihm, eine Dame, die auf seine Annonce hin gekommen ist.“

Das Mädchen musterte im Abgehen Hede Kerkow vom Kopf bis zu den Füßen. Nach einem Weilchen kam es zurück. „Der Herr Oberförster lassen bitten, einstweilen einzutreten, er stehe gleich zur Verfügung. Sie führte Hede in ein Zimmer; die Lampe brannte auf der Platte des Schreibtisches und warf ihren Schein auf dienstliche Papiere: der Sessel war halb zurückgeschoben, als sei eben jemand eilig aufgestanden.

„Nehmen Sie Platz!“ sagte das Mädchen und schob einen Stuhl so ziemlich in die Mitte der Stube.

Hede dankte und blieb stehen. Das Mädchen machte sich am Ofen zu schaffen. Ein schöner Hühnerhund erhob sich von der warmen Lagerstatt und kam langsam herüber zu der fremden Dame; als er vor Hede stand, bewegte er den Schweif und schaute sie an aus seinen glänzenden, klugen Augen, und sie streichelte leise den schönen Kopf des Tieres.

„Wenn Sie hier die Stelle haben wollen, dann sagen Sie man nichts auf die gewesene Braut,“ begann plötzlich das Mädchen plump vertraulich. „Was die Stübken is, die is deshalb hinausgeflogen gestern, aber mit Dampf, und sie hatte doch gedacht, sie macht es recht schön. Na, meinswegen, ich bin froh, daß das Lügenmaul raus is!"

Hede maß die Schwätzerin mit einem kühlen Blicke von oben bis unten und wandte sich wieder zu dem Hund. Das Mädchen zögerte noch ein Weilchen, dann ging es.

„So ’ne olle hochmütige Trine, was braucht die sich zu melden,“ murmelte es, „der werd ich’s eintränken, wenn sie hier in Konditschon kommt!“

Hede stand noch mit dem Tiere beschäftigt, als Günther eintrat. „Entschuldigen Sie, Fräulein,“ bat er, „ich ließ Sie warten. Wollen Sie nicht Platz nehmen?“ Er wies zum Sofa hin und ergriff den Stuhl ihr gegenüber.

„Ich komme,“ begann sie, dunkel erglühend. – „Ja, ich weiß,“ unterbrach er, ihr feines vergrämtes Gesicht betrachtend. „Ich suche – ich bin nämlich Witwer, Fräulein – eine Dame, die meinem Hause vorsteht und die ein wenig gut ist mit den Würmern – Unruhe und Arbeit würden Sie reichlich finden, ich bin nicht allzuviel daheim, verlange aber auch keinerlei Berücksichtigung meiner Person. Seeben, das ist mein Faktotum, ein alter invalid geschossener Waldläufer, der sorgt für mich, mit mir haben Sie also keine Last, Fräulein. Aber trotzdem – Sie sehen zart aus – am End’ wird’s doch zu schwer für Sie.“

„O, sicher nicht!“ antwortete sie, „ich habe viel Lust zur Wirtschaft und Kindererziehung, viel Uebung freilich nicht. Vielleicht versuchen Sie es mit mir, Herr Oberförster?“

„Haben Sie Zeugnisse?“ fragte er.

„Nein,“ sagte sie, „ich war bisher noch nicht in Stellung, ich lebte bis vor kurzem mit meiner Mutter zusammen. Sie starb so rasch, und ich fühle mich einsam und wünsche Thätigkeit. Vorhin las ich Ihr Gesuch – ich bin sogleich gekommen.“

Er heftete den Blick auf sie. Ein schmales, edel geschnittenes Gesicht, nervös die Farbe wechselnd, um den feinen Mund ein herber Zug, und ein Paar großer dunkler Augen, in denen viel zu lesen war von verschwiegenem Kummer, von herben Erfahrungen. Sie gefielen ihm, diese bangen fragenden Augen. „Und Sie könnten gleich kommen, Fräulein?“

Sie zögerte ein wenig. „Ja!“ sagte sie dann, „ich denke, es wird meinem Bruder so recht sein.

„Lebt Ihr Bruder hier?“

„Er lebt hier,“ antwortete sie stockend, „es ist der Hofmarschall von Kerkow.“

Der Mann vor ihr war jählings aufgestanden. Des Kerkows Schwester? – Er trat zum Schreibtisch und wühlte dort planlos umher, und seine Hand zitterte dabei. – Die Schwester des Mannes, dem er indirekt die bitterste Erfahrung seines Lebens verdankte! „Weiß Ihr Herr Bruder?“ fragte er tonlos.

„Nein!“ erwiderte sie, „aber ich weiß, er wird sich freuen, wenn wir bei einander bleiben. Wir haben uns beide nötig, er und ich, Herr Oberförster.“

„Aber sollte dem Herrn Hofmarschall von Kerkow es recht sein, daß seine Schwester eine – – es ist doch immerhin eine dienende Stellung, Fräulein?“ „Wenn nicht hier, dann wo anders, Herr Oberförster. Er sowohl wie ich – waren und sind nicht in der Lage –“

Er unterbrach sie rasch. „Ich möchte doch erst die Einwilligung des Herrn Hofmarschalls –“

„Ich bin mündig,“ erwiderte sie, „zweiunddreißig Jahre alt. Aber wenn Sie Bedenken haben – es wäre, freilich es wäre ein Glück für mich gewesen, in seiner Nähe bleiben zu können!“ Sie stand auf und schickte sich zum Gehen an.

Ihm war es auf einmal wie eine Erleuchtung gekommen. „Wenn Sie es versuchen wollen, Fräulein,“ sagte er, „ich würde mich glücklich schätzen, eine Dame wie Sie um die Kinder zu wissen, und lieb wäre es mir, wenn Sie bald, recht bald kommen könnten! Soviel an mir liegt, will ich Ihnen die Stellung angenehm machen, Sie müssen nur entschuldigen, ich bin nicht auf dem Parkett groß geworden. Wenn ich –“

Sie streckte ihm die Hand entgegen. „Ich verspreche Ihnen, alles zu thun für die Kinder, was in meinen Kräften steht. Gott gebe, daß ich ihre Herzen gewinne!“

Er schüttelte die Hand. „Und die Bedingungen?“ sagte er unsicher.

„Das überlasse ich Ihnen,“ antwortete sie, entschlossen, in dieser Hinsicht durchaus nicht prüde zu sein. „Geben Sie nur, was Sie Ihrer vorigen Hausdame gaben, oder weniger, jedenfalls aber, ehe wir das vereinbaren, warten Sie, ob Ihnen meine Leistungen genügen. Und jetzt zeigen Sie mir, bitte, die Kinder!“ Er ging mit großen schweren Schritten aus dem Zimmer, und kam dann wieder, das Jüngste auf dem Arm, die beiden andern zur Seite. „Da ist eure neue Tante – Sie erlauben doch, gnädiges Fräulein –“ schaltete er verlegen ein.

„Bitte, bitte“, sagte sie, „und nennen Sie mich nicht ‚gnädiges Fräulein’, nur einfach ‚Fräulein Kerkow’ oder ,Fräulein Hedwig’, oder auch nur ‚Fräulein’. – Kommt einmal zu mir, Kinder, und erzählt mir, wie ihr heißt! Sie nahm ihm das Kleine vom Arm und setzte sich mit ihm auf den nächsten Stuhl, während sie den beiden größeren freundlich zulächelte. Sie ließ sich durch die unguten Mienen der verschüchterten Kinder nicht schrecken, sie redete tapfer in sie hinein, fragte nach Puppen und Schaukelpferd, und nach einer Weile antwortete der Junge ihr zuerst, dann mischte sich Agnes ein mit unendlicher Wichtigkeit, und das ganz Kleine ward auch gesprächig. Es wurde ein wahres Vogelgezwitscher in der sonst so stillen Stube.

„Bleibst du gleich hier?“ fragte der Bub’.

„Heute nicht, ich komme aber wieder – übermorgen.“ „Bleib’ doch lieber gleich, meinte die Aelteste, „der Papa ist so traurig, das ist gar nicht schön!“

„Uebermorgen komme ich, und heut’ geht ihr schlafen ohne mich und morgen auch. Und wenn ihr zum drittenmal schlafen geht, dann komme ich mit und erzähle euch ein Märchen dabei.“

Sie waren es so zufrieden und begleiteten die neue Tante mit dem Vater bis an die Hausthür. Mit einem hellen „Auf Wiedersehen!“ schied sie und ging schnellen Schrittes den Weg zurück, den sie gekommen. Der Oberförster aber stand am Fenster und sah der schlanken Gestalt nach, die so unversehens nun in sein Leben getreten war.

Des Kerkow Schwester in seinem Hause! Des Mannes Schwester, von dem er jetzt geträumt im Wachen und Schlafen, an den er nur im tiefsten, herbsten Groll gedacht! Und nun – nun wußte er auf einmal alles, als habe ihm jemand aufgezeichnet, [139] wie es um jenen und um Aenne stand. Der arme Offizier hatte blutenden Herzens dem heimlich geliebten Mädchen entsagt und um seiner Familie willen die andere genommen, und das vor Zorn und Schmerz verzweifelnde Kind hatte sich in seine Arme gestürzt. Ihr armen Beiden! Sie war an der Schwelle der Ehe zusammengebrochen unter der Unmöglichkeit, einen andern zu lieben; der Mann schleppte sich bis zum Altar und weiter, immer weiter, bis ihm das Herz erstarrte in seiner Brust.

Der Oberförster fühlte seinen Groll schwinden gegen Heinz Kerkow, aber er seufzte tief, er war hineingezogen worden in diesen Kampf und jedermann kannte seine Wunden. Es sollte das letzte Mal sein, daß ein Weib in sein Leben gegriffen, das hatte er sich gelobt! Er pfiff dem Hunde, setzte sich in die Sofaecke und tätschelte den Kopf des schönen Tieres. „Bist doch die Treueste,“ sagte er leise und zärtlich, „gelt, Diana? Wenn wir miteinander da draußen sind in dem weiten herrlichen Gotteswald, dann wird die ganze Jämmerlichkeit dieses Lebens so wesenlos und klein, nicht wahr, Alte?“

(Fortsetzung folgt.)

Moore und Moorausbrüche.

Von Dr. H. J. Klein.

Die Tagesblätter haben vor kurzem die seltsam klingende Nachricht gebracht, daß bei Killarney in Irland ein großes Torfmoor sich plötzlich in Bewegung gesetzt und die Umgebung weithin verheert habe. Etwa 16 km von der 5000 Einwohner zählenden Stadt Killarney erstreckt sich das große Torfmoor von New Rathmore. In der Nacht vom 27. auf den 28. Dezember vor. J. begann es plötzlich in Bewegung zu geraten. Ein gewaltiger Schlammstrom wälzte sich meilenweit zu Thal und schob alles vor sich her. Ein Haus, das im Wege, den die Torfmasse nahm, sich erhob, wurde samt den Bewohnern verschlungen. Steinbrüche wurden aufgefüllt und überschritten und der Fluß Flesk derart mit Schlamm erfüllt, daß die elektrischen Lichtwerke versagten und die Stadt Killarney in Dunkelheit gehüllt wurde. Dieses „wandernde Moor von New Rathmore“ hat die Aufmerksamkeit weitester Kreise erregt und zahlreiche Erklärungen des Vorgangs sind zu Tage getreten. Die Erscheinung ist überaus selten, denn für den Zeitraum von 1745 bis 1883 konnte der Botaniker J. Klinge, welcher sich eingehend mit den Moorausbrüchen beschäftigt hat, nur neun Fälle ermitteln, von denen die meisten in Irland erfolgt sind. Dort giebt es freilich viele und ausgedehnte Moore, ja, der zehnte Teil der Insel Irland soll Moorboden sein, aber auch in Holland und in Nordwestdeutschland sind zahlreiche und mächtige Moore vorhanden. Die Moore der Provinz Hannover umfassen allein über 100, diejenigen Oldenburgs 67 Quadratmeilen.

Es sind überaus öde, einförmige Flächen, deren schwankender Boden keine Wege duldet und über denen sich der Himmel wölbt, bis er am fernen Horizont mit dem Moore zusammenzufließen scheint. Ferdinand Senft, der sich mit Untersuchung der Torfmoore eingehend beschäftigte, hat die äußere Erscheinung der Torfmoore sehr treffend geschildert. „Eintönig und in mancher Beziehung unheimlich,“ sagt er, „treten dem Wanderer die vom Menschen noch ungestörten Torfmoore entgegen. Im Frühling, besonders nach schneereichen Wintern, gleichen sie weiten Wasserspiegeln, aus denen hier und da Erlen- und Weidengebüsche, in Gesellschaft von Rohr- und Schilfhalmen, inselartig hervortreten. Hat dann die Frühlingssonne das Moorwasser zur Verdunstung gebracht, so beginnen die moorbewohnenden Pflanzen zu grünen, und bald prangt die Oberfläche der Moore als Wiese, welche nur durch die Gruppen von Rohrhalmen, Schilfen, Wasserlilien und anderen Sumpfgewächsen, die unter ihr verborgene, vom Wasser durchdrungene Torfmoornatur erraten läßt. In trockenen Sommern schmückt sich das Grasmeer des Moores mit unzähligen Fruchtbüscheln, unter denen die des Wollgrases wie weiße Baumwolle aussehen, und an manchen Stellen sind die Moore oberflächlich so ausgetrocknet, daß man da und dort darüberschreiten kann. Aber trotz ihres schönen Blütenschmuckes erscheinen sie dem einsamen Wanderer unheimlich, denn abgesehen von ihrer wassererfüllten, filzigen oder schlammigen, immer zum Verschlingen des sie betretenden Menschen oder Tieres bereiten Masse, herrscht auf ihnen während des Tages gewöhnlich Grabesstille, die nur durch das krächzende Rufen des Moorhähers oder, wo Wasserbecken die Moorfläche unterbrechen, durch das dumpfe Gurgeln der Rohrdommel oder das melancholische Unken der Rohrkröte eine Unterbrechung erleidet. Dabei erheben sich oft an warmen Abenden nach heißen Sommertagen unter eigentümlichem Geräusche, welches dem Getöse eines fernen Wasserfalles ähnelt, unangenehm riechende, der Gesundheit schädliche Dünste aus der Moorfläche, welche, zumal bei kühler Luft, sich zu mannigfachen, wie Geister hin- und herschwebenden Nebelgebilde verdichten und sehr oft auch die ganze Fläche mit einer undurchsichtigen, dunkelgrauen Nebelhülle überziehen. So zeigt sich das Moor während des Sommers. Wenn aber die Herbstzeit eintritt, so erscheint zuerst seine Pflanzendecke wie verbrannt, weiter aber verschwindet sie infolge der Herbstregen unter dem jetzt das Moor bedeckenden Wasser, um in ihrem nassen Grabe, ähnlich allen ihren Vorgängern, sich in Torfmasse umzuwandeln.“

Man unterscheidet zwei Arten von Mooren, nämlich Grünlands-, Wiesen- oder Niederungsmoore und Heide- oder Hochmoore. Die ersteren finden sich hauptsächlich in flachen, von stagnierenden Wasseransammlungen durchzogenen Gegenden, und ihre Vegetation besteht aus grasartigen Gewächsen, Riedgräsern, Binsen, Wollgräsern und Astmoosen. Diese Moore liefern, wo ihre Entwässerung ausführbar ist, einen sehr wertvollen Kulturboden, der bei geeigneter Bebauung in Ackergefilde von überaus großer Fruchtbarkeit umgewandelt werden kann. Die weit ausgedehnten Hochmoore kommen nicht in Ueberschwemmungsgebieten vor, sondern auf sanft gewölbten Hügeln, an Abhängen und in flachen Muldenthälern. Die Unterlage ihrer Vegetation bilden Wassermoose, die alles um sie herum befindliche Wasser aufsaugen.

Auf ihnen siedeln sich Flechten an, welche verwesend eine Moorerde liefern, auf welcher endlich die Moorheide üppig wuchert und in immer neuen Generationen den Boden des Moores erhöht. Der mittlere Teil, wo selbst für das Gedeihen der Moorpflanzen die günstigsten Bedingungen sind, wächst am meisten in die Höhe, so daß die Oberfläche eines solchen Moores etwas gewölbt erscheint, woher auch wohl der Name Hochmoor stammt. Die an dieser Oberfläche wachsenden Pflanzen bilden eine trügerische Decke über den unteren, mehr oder weniger vertieften Moorschichten, die bisweilen, je nach der Bodengestalt, bis zu 6 und selbst 12 m mächtig, d. h. tief, sind. Diese Hochmoore sind den größten Teil des Jahres völlig unwegsam, wer sie ohne kundigen Führer betreten hat und einsinkt, ist rettungslos verloren, jede Anstrengung, sich zu befreien, läßt den Unglücklichen nur nöch tiefer in den schwarzen Moorboden einsinken. Nur die Anwohner kennen bei manchen Mooren gewisse feste Schollen oder Bälten, über die man, von einer zur anderen springend, in das Moor eindringen kann, mit geringerer Gefahr, aber keineswegs gefahrlos. Den Pferden und Kühen werden, damit sie nicht im Moor versinken, Bretter untergebunden. Diese Hochmoore zeigen bisweilen die merkwürdige Erscheinung einer blasenförmigen Aufblähung ihrer Oberfläche, besonders dann, wenn letztere durch lang’ anhaltende Trockenheit eine feste Beschaffenheit angenommen hat. Die Ursache hiervon ist leicht zu erkennen, sie besteht darin, daß die aus der tiefer liegenden Torfmasse sich entwickelnden Gase nach oben hin keinen Ausweg finden und deshalb ihre Decke emportreiben. Bricht dieselbe endlich, so entweichen die Gase unter hörbarem Brausen und die Moorfläche sinkt wieder zusammen. Bisweilen sind diese Gase brennbar. In den Torfgründen des Leopoldskronmoors bei Salzburg wollte im Jahre 1879 ein Arbeiter, der mit Torfstechen beschäftigt war, seine Pfeife anzünden. In dem Augenblick, als das Zündhölzchen sich entzündete, erfolgte ein schwacher Knall und es entstand eine hochauflodernde Flamme, welche stundenlang brannte und erst durch Uebergießen des Bodens mit Wasser und Torfschlamm gelöscht werden konnte.

[140] Die Hochmoore bilden fast ausschließlich den Schauplatz der sogenannten Moorausbrüche. Das Gemeinsame dieser Erscheinungen ist nach den Forschungen von Dr. Klinge folgendes: Zunächst zeigt sich ein blasenförmiges Auftreiben des Moores und während des Ausbruches finden mehrfach Detonationen, von Bodenerschütterungen begleitet, statt. Die eigentliche Eruption wird eingeleitet durch plötzliches Bersten der hochgespannten, verfilzten Moordecke, worauf dünnflüssige bis breiartige Schlammwasser heraustreten und sich in die Umgebung ergießen. Nach dem Ausbruch findet schnelles Erstarren der Schlammwasser statt und das Moor sinkt an der Ausbruchsstelle zusammen, an welcher dann meist eine trichterförmige Vertiefung entsteht. Senft sieht die Ursache dieser gelegentlichen Ausbrüche in der Lage der Hochmoore selbst. „Findet sich,“ sagt er, „ein Hochmoor auf schiefer Unterlage, so kann dadurch, besonders in recht nassen Jahren Veranlassung zu einem Ausbruch gegeben werden. Frischer, noch in seiner Bildungsstätte lagernder Torf besitzt ein außerordentlich starkes Wasseraufsaugungsvermögen, so daß er unter geeigneten Umständen bis zum doppelten seines ursprünglichen Umfanges aufzuquellen vermag. Wenn ihm nun in nassen Jahren, nachdem er einmal vollgesaugt ist, noch mehr Wasser zugeführt wird, so muß seine Masse infolgedessen, ähnlich einem in Gärung befindlichen Mehlteige, so stark aufgetrieben werden, daß sie ihre Lagerstätte überschreitet, aufplatzt und sich nun in wildem, schwarzschlammigen Strome über das umliegende Land ergießt.“

Mit dieser Erklärung stimmen die beim Moorausbruche bei Killarney jüngst beobachteten Erscheinungen überein. Auch dort ist das Moor nach starken Regengüssen geplatzt und der schwarze Schlammstrom ergoß sich in einer Mächtigkeit von 30 Fuß die Hügel hinab, alles verschlingend oder vor sich herschiebend, bis auf eine englische Meile Entfernung von der ursprünglichen Ausbruchstelle.

Man darf also nicht, wie vielfach in den Tagesblättern geschehen ist, von einem „wandernden Moore“ sprechen, sondern nur von einem geplatzten Moore oder einem Moorausbruch. Merkwürdig ist unter Annahme der von Senft gegebenen Erklärung, daß Moorausbrüche so überaus selten vorkommen, während man doch erwarten sollte, daß sie in der regenreichen Jahreszeit häufiger einträten. Diese Seltenheit hat in der That Zweifel an der Richtigkeit dieser sonst sehr einleuchtenden Erklärung hervorgerufen, und manche Forscher sind geneigt, die Moorausbrüche auf Gasansammlungen und Explosion derselben zurückzuführen. Daß solche Gasansammlungen tatsächlich unter der oberflächlichen Bedeckung der Moore stattfinden, haben wir bereits kennengelernt, von heftigen Explosionen derselben, welche zu Ausbruchkatastrophen führten, weiß man aber nichts. Der oben erwähnte Botaniker Klinge hält daher beide Erklärungen für nicht zutreffend und meint, Moorausbrüche könnten nur durch ganz ungewöhnliche Ereignisse veranlaßt werden. Als solche bezeichnet er Erderschütterungen und Erdstürze zusammen mit plötzlichen unterirdischen Wasserergüssen in das Moor. Diese Flüssigkeitsmassen, sagt er, zertrümmern den Torf mechanisch, vermischen sich mit ihm, verflüssigen ihn und brechen mit ihm aus. Die meisten Ausbrüche von Mooren kommen in Irland vor, weil dieses zum großen Teil auf Kalkgebirge liegt. In keiner anderen Gebirgsart sind aber Erdstürze so häufig als in dieser, in welcher durch Auswaschung große Höhlen mit gewaltigen Wassermassen entstehen. Nach solchen Erdstürzen müssen aber die unter hohem Druck stehenden Wasser emporsteigen, das Moor durchsetzen und zum Abfließen bringen. Einen Beweis dafür, daß eine mechanische Zertrümmerung der Torfmassen und keine Auflösung und Verflüssigung derselben stattfindet, sieht Klinge in der Thatsache, daß man fortgeschwemmte Torfschollen weit von ihrem Entstehungsorte antrifft, und zwar rühren diese Torfstücke von den obersten Moorschichten her. Ueber die Ursache der Moorausbrüche sind also die Forscher zur Zeit noch nicht einig und von den mitgeteilten Erklärungen hat jede etwas für sich, ohne daß von allen Erscheinungen dadurch Rechenschaft gegeben würde.


Der Marienplatz in München zu Ende des 15. Jahrhunderts.

(Zu dem Bilde S. 136 und 137.)

Der alte „Schrännen“ – wie früher der Marienplatz zu München hieß – hat sich zwar im Laufe der Jahrhunderte nicht so stark verändert, daß man ihn nicht auf den ersten Blick erkennen würde, aber was sich auf ihm vor vierhundert Jahren an einem schönen Morgen abspielte, davon werden doch wenig Passanten, welche heute dort auf die Pferdebahn warten, einen rechten Begriff haben. Deshalb ist es sehr interessant, das nach den alten Stadtbüchern hergestellte Weigandsche Bild des damaligen Münchener Marktplatzes zu betrachten, welcher noch in ganz anderem Sinne als heute Stadtcentrum und Schauplatz alles irgendwie Sehenswürdigen war. Feste und Versammlungen, Turniere, Sonnenwendfeuer, Schäfflertanz und Metzgersprung fanden dort statt, aber auch Prangerstehen und Hinrichtung, so daß die guten Münchener oft genug etwas zu sehen hatten, das über das gewähnliche Markttreiben hinaus die Gemüter in Erregung setzte. Auch dieses war ohne Zweifel bunt genug. Die Bevölkerung der Stadt war wohl nicht groß, sie betrug im Jahre 1782 erst etwa 37800 Seelen. Immerhin mag ein schönes Gedränge auf dem Platz geherrscht haben, wenn Getreide-, Vieh- und Viktualienmarkt ihn und die angrenzenden Straßen füllten vor allem aber zur Zeit der zweimal im Jahre wiederkehrenden „Dult“ (Messe), die sich mit ihren Verkaufs- und Schaubuden weit in die Kaufingergasse hinein erstreckte.

Es gehörte die ganze Geduld der guten alten Zeit dazu, um das vergnüglich zu finden!

Denn der mäßig große Platz war ja nicht, wie heute, freigelegt, er trug, nahe dem „Lindwurmeck“ der Weinstraße (so genannt von einem furchtbaren Drachen, der sich hier einst niedergelassen und die Pest mitgebracht haben sollte), die uralte „Gollierkapelle“, welche seitwärts rechts auf unserm Bilde steht. Außerdem befanden sich abwärts davon gegen das Rathaus zu die verschiedenen, vom Maler als Mittelpunkt der Scene genommenen Bußanstalten welche zu betrachten das Volk in Haufen herbeiströmte. Da ist erstens der Pranger mit seiner Garnitur von alten und jungen Spitzbuben im unteren Gelaß, auf die niemand achtet, weil aller Augen von dem ergötzlichen Schauspiel der Plattform gefesselt sind: zwei böse Weiber, deren wütendes Gebelfer ohne alle Thätlichkeit verhallen muß. Es sind ja die erhitzten Köpfe und kratzlustigen Hände allzugut in der durchlöcherten Holzdiele befestigt!

Ferner steht da der in alten Schriften vielgenannte Hölzerne Esel, welchen besteigen mußte, und zwar verkehrt, wer durch Raufereien, leichtsinnige Streiche oder sonst durch Wort und That Aergernis gab, also etwa dasjenige verübte, was heute unter den Begriff des „groben Unfugs“ fällt. Eine auf dem Rücken angebrachte Schrift belehrte alle, welche lesen konnten, über die Gründe des unfreiwilligen Rittes. Hinter beiden Schandplätzen aber ragte der böseste von allen, der Galgen, empor, dessen finsterer Meister vom langen Richtschwert auch die „minderen Geschäfte“ des Stäupens und Prangerstellens zu versehen hatte. Die soliden Nerven damaliger Zeit nahmen keinen Anstoß an dem greulichen Schauspiel, welches sich hier jeweils den umwohnenden und aus dem Fenster schauenden Bürgern und ihren Frauen darbot.

Köpfen und Hängen waren gewöhnliche Sachen. Außergewöhnliches Interesse gewannen sie nur durch besondere Umstände, so z. B. im Jahre 1591, als ein italienischer Schwindler mit einem vergoldeten Strick gehängt wurde, weil er dem Herzog Wilhelm V. vorgelogen, er könne Gold machen. Daß er’s nicht konnte, hatte der Herzog zu seinem Schaden nur allzuwohl erfahren, zur größeren Vorsicht aber erschoß man doch hinterher auch noch des Gerichteten zwei große schwarze Hunde, denn die Möglichkeit, daß in ihnen höllische Dämonen steckten, schien doch bei alledem nicht ausgeschlossen!

Heute steht an der Stätte so vielen Schreckens die stets blumenumgebene Mariensäule mit dem Bild der Himmelskönigin, welche Kurfürst Maximilian als Dank für seinen Sieg am Weißen Berge 1620 errichten ließ. Den in Bayern so tief gewurzelten Marienkultus bezeichnet auch das auf unserm Bilde dem Lindwurmeck gerade gegenüber liegende Eckhaus der Rosengasse, wo das Bild der Gottesmutter mit der Bezeichnung. „Rosa mystica“ angebracht war. Der vor dem Hause befindliche Blumenmarkt eröffnete anmutig den Zug der hier beginnenden Rosengasse.

Im Rücken des Beschauers ist das alte Rathaus zu denken, dessen ursprünglich gotische Gestalt erst wieder vor einigen Jahrzehnten aus einer unglücklichen Zopfrestauration des Jahres 1778 hergestellt wurde.

Ueber all dies bunte Treiben, das uns durch das Weigandsche Bild vergegenwärtigt wird, schauen die Türme der Frauenkirche herab, der eine bereits vollendet, der andere im Bau. Ursprüglich, als München noch ein kleiner Flecken war, stand an ihrer Stelle eine bescheidene Marienkapelle, in welcher nachmals die Leiche Ludwigs des Bayern beigesetzt wurde. Später erweiterte man, dem Wachstum der Stadt entsprechend, den Bau, und 1468 legte Herzog Sigismund den Grundstein zur jetzigen Kirche, die dann langsam fortgebaut wurde, weniger durch Spenden der selbst stets geldbedürftigen Herzöge, als durch Beisteuern des frommen Volkes und ausgiebige, von den Päpsten bewilligte Ablaßgelder. Der Baumeister Jörg v. Halspach erlebte die Vollendung der Kirche nicht mehr. Erst nach seinem 1488 erfolgten Tode wurden die Türme ausgebaut und die runden Helme aufgesetzt, welche heute dem Münchener Stadtbild ein so eigenartiges, von allen andern verschiedenes Gepräge geben und den über die weite bayrische Ebene Herfahrenden schon von ferne verheißungsvoll grüßen. R. Artaria.     

[141]

Bretonische Gavotte.
Nach dem Gemälde von T. L. Deyrolle.

[142]

Die Hansebrüder.

Roman von Ernst Muellenbach (Ernst Lenbach).

(Schluß.)

16.

An einem schönen Vormittag im Frühherbst schloß der erste Bibliothekar Doktor Hans Ritter sein Amtspult ab, steckte den Schlüssel in die Tasche und machte die Abschiedsrunde vom Kabinett seines Chefs bis zum Pult des jüngsten Kollegen und als er, mit den freundlichsten Reisewünschen der sämtlichen Herren ausgestattet, die große steinerne Treppe der Bibliothek herabstieg, leuchtete sein Antlitz fast so selig wie das des Oberprimaners Karl von Seedorf beim letztmaligen Durchschreiten des Schulhofs. Dieser war aus der Klausur hinausgezogen um in der weiten Welt das frische Leben zu finden, und der Doktor Hans Ritter zog aus, um aus der weiten Welt sich das frische Leben in seine Klausur zurückzuführen – zum erstenmal nach zwei Jahren, und natürlich wieder auf bequemen Umwegen.

Waren sie ihm wirklich so lang und schwer geworden diese zwei Jahre? Die Leute schienen nichts davon zu merken. Aeltere Bekannte, die ihn nach längerer Abwesenheit wiedersahen wünschten ihm mit ungeheuchelter Ueberzeugung Glück zu seinem Aussehen, und seine tägliche Umgebung, die gute Luise, Kollegen, Freunde und Schülerinnen, meinten, daß er immer munterer und zufriedener werde. Der Doktor Hans Ritter meinte es selber, und er glaubte auch, die Ursache deutlich vor Augen zu sehen, als er daheim den Koffer gepackt hatte und einen letzten langen Blick auf seinen Schreibtisch warf. Da stand das Bild des weißen Mädchens, und da war das Schubfach, welches ihre Briefe, bibliothekarisch sorgsam geordnet, in langer Reihe barg, Briefe mit deutschen, dänischen, schwedischen, norwegischen Marken, Briefe aus der Anstalt und Briefe aus den Ferien, in die man „eigentlich nur mit bösem Gewissen und auf besonderes Zureden des Paten anderswohin als zu ihm reiste“, um es hinterher doch immer „entzückend“ zu finden, bei den Schulfreundinnen in Kopenhagen, am Wettersee und am Christianiasfjord, an verschiedenen deutschen Orten, und ganz ausnehmend auf der Nordseeinsel, wohin man die Lieblingslehrerin begleitet, mit ihr vier Wochen gebadet, Seehunde festgestellt und natürlich sehr viel vom Paten gesprochen hatte. Konnte man überhaupt von irgend etwas anderem mit irgend jemand lieber sprechen? Am wenigsten mit dem „Vetter Karl“, der sich heuer in den Osterferien – angeblich auf der Durchreise zu botanischen Studien in irgend einem scheußlichen Moorgebiet – vier Tage lang in der Stadt am schiffbaren Busen der Ostsee aufgehalten und bei den Damen im weißen Hause einen sehr günstigen Eindruck hinterlassen hatte. Stattlich, mit gebräunten Wangen und einem „richtigen“ Schnurrbart in Chokoladebraun, spazierte er durch ein paar Briefe Gretes aus jenen Tagen, um dann wieder in seiner Welt zu verschwinden Es war in diesen Briefen eine merkwürdige Entwicklung, ein Ausknospen und Blühen, welches der Gärtner in der Ferne mit glückseliger Aufmerksamkeit verfolgte. Anfänglich herrschte in ihnen noch der reine Ton der Kindheit, die von großen Dingen unbefangen plaudert und dann wieder um eine rührende Kleinigkeit himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt herumschwärmt. Dieser Ton verklang nicht, aber allmählich mischten sich andere Noten ein, erste schüchterne Frühlingsrufe eines neuen, jungfräulichen Seelenlebens. Aber auch von so viel dunklen Rätseln zog sich leise der Vorhang weg. Oft und öfter wurde das fließende Plaudern unterbrochen von stammelnden Fragen. Es war dann, als ob sich die junge Seele in diese Briefe wie in ein eigenes Heiligtum zurückziehen, um vor der Weisheit Eines, dem sie mit ihrem ganzen Verlangen angehörte, all ihre neuen Fragen und Gedanken niederzulegen.

Fräulein Martha Weber hätte vielleicht solche Stellen nicht mit ungeteilter Freude gelesen denn sie würden ihr gezeigt haben, daß sie als wohlgeschulte Pädagogin recht gehabt, das „liebe kleine Mädchen“ einem allzu mächtigen Einflusse zu entziehen, aber zugleich, daß sie das richtige Mittel diesmal nur halb gefunden hatte. Sie hätte auch den briefliche Verkehr zwischen den beiden durchschneiden müssen, und vielleicht würde auch das nichts geholfen habe. Aber der Doktor Hans Ritter gehörte nicht zu denen, die sich ein kleines Weihrauchopfer damit verschaffen, daß sie vertraute und ehrende Briefe Dritten zu lesen geben und am wenigsten hätte er gerade Fräulein Martha Weber einen Einblick in Gretes Bekenntnisse gestattet. Es kam ihm manchmal vor, als ob sein freundschaftliches Verhältnis zu dieser Dame gleichsam auf einem Träger beruhe, dessen Metall nicht durchweg gleich legiert sei auf seiner Seite nur das solide Eisen persönlicher Achtung mit einem ehrlichen Zuschuß Dankbarkeit, auf der ihrigen noch ein wenig von einem fremden Bestandteil, dessen Art und Namen sich schwer erkennen ließ. Fräulein Martha würde es vielleicht für „geistiges“ Interesse an einer eigenartigen Künstlernatur erklärt haben ‚Hans Ritter’ war so bescheiden, es mit dem Wohlwollen einer umsichtigen Tante für einen erwachsenen Neffen zu vergleichen. Vielleicht war es noch etwas anderes, jedenfalls war es da, und Hans Ritter empfand es im geheimen um so öfter, je mehr sich ihm in Gretes Briefen die morgenreine, noch von keiner Sonnenglut und Wetterschwüle versehrte Blume einer jungen Mädchenseele erschloß.

Er öffnete das Schubfach und überblickte die lange Reihe noch einmal, zog den ersten und letzten heraus und verglich die Schriftzüge der Adresse. Hier die ganz schulmäßige, steife und unpersönliche Kinderhand, dort die zierliche, leichte und doch deutliche Schrift, die fast ein wenig absichtlich seiner eigenen angenähert schien. Dann, während er die beiden Briefe wieder einordnete, streifte sein Blick eine andere, sehr viel dünnere Reihe, die daneben lag, mit großen, weit ausgeschwungenen Schriftzügen – Kurts Briefe; „sie vertragen sich ganz friedlich,“ sagte er vergnügt lächelnd, „und sind so verschieden!“ Knapp und sachlich erzählten sie von Erlebnissen – „daß ich auf der Reise auch Grete aufsuchte und einige Tage dort in der Stadt verweilte, weißt du wohl schon. Grete sieht sehr wohl aus, die Damen waren ungemein freundlich. Ausführlicher wurde über Studien, Lehrer, Bücher, künstlerische und wissenschaftliche Interessen, auch über Dinge aus der studentischen Welt berichtet, am wenigsten über Empfindungen und Herzenskämpfe.“

Er verschloß die Briefe und machte sich reisefertig.

Auf dem Bahnhof begegnete er Frau Geheimrat Hermann, die ihren gelehrten Gatten in die Ferien nach einer schöngelegenen süddeutschen Universität geleitete; der Herr Geheimrat wollte dort Handschriften vergleichen und seine stärkere Hälfte wollte sich auch auf ihre Weise erholen. Sehr gewinnend begrüßte sie den Doktor Hans Ritter; er galt nun längst auch an der Gesellschaftsbörse dieser Dame und ihrer Kreise für „in jedem Betracht“ gut.

„Ei“, sagte sie, „Sie wollen auch auf Reise gehen? Man sollte nicht glauben daß Sie eine Erholung brauchen, Sie sehen ja so schmuck aus wie ein Bräutigam.“

„Ja“, erwiderte Hans Ritter vergnügt, „ich hole mein Mündel aus dem Pensionat ab, sie ist jetzt sechzehn Jahr alt.“

Die Frau Geheimrat lächelte merkwürdig verständnisvoll. „Ach, das ist ja aber reizend,“ lispelte sie.

Jetzt kam auch der Geheimrat zu Wort Er nannte sein Reiseziel und bemerkte weiter. „Vielleicht werden wir ja auch Ihren früheren Zögling, den jungen Herrn von Seedorf, dort treffen? Sie sagten mir doch neulich, daß er auch einen Teil der Ferien dort bleiben werde. Ein hoffnungsvoller junger Mann; mein alter Freund Stubinger, bei dem er dort hört, hat mir erst dieser Tage Gutes von ihm geschrieben.

„Ach ja“, fiel die Gattin ein, „ein reizender junger Mensch! Unsere Elise, unsere Aelteste, die jetzt nach Pfingsten ein paar Wochen bei Stubingers zu Besuch war, schwärmte ordentlich für ihn. Wie so junge Mädchen eben sind! Nun, gewiß werden wir ihm viele Grüße von Ihnen bestellen!“

Hans Ritter verbeugte sich dankend und überrascht, es wäre ihm wirklich nicht eingefallen, ihr diese Grüße aufzutragen. Als er endlich in seinem Coupé saß, seufzte er erleichtert. „Es giebt gewisse Leute, denen ein Jäger nicht gern bei der Ausfahrt begegnet,“ dachte er höchst respektlos. „Aber ich bin ja kein Jäger, und diese Reise soll mir kein übles Vorzeichen verderben können.“ Dann zündete er seine Cigarre an, lehnte sich zurück, dachte an sein weißes Mädchen und berechnete die Stunde bis zu dem nächsten frohen Morgen, wo er sie in dem weißen Hause am [143] Seegestade wiedersehen sollte. „Es soll mich doch wundern wie sie geworden ist,“ dachte er. – –

Dem ersehnten waren schon drei, vier frohe Morgen gefolgt, die beiden ungleichen Reisegefährten waren von dem Buchenwald am Seestrande schon wieder viel weiter entfernt als von dem stillen Vorstadtgarten mit den Kapuzinerkressen, und noch war Hans Ritter des Wunderns nicht „Meister“ geworden. Es war ein glückseliges Wunder, das ihn immer von neuem gefangen nahm, wenn die schlanke biegsame Mädchengestalt leichtfüßig, den Wanderhut am Arm, neben ihm herschritt, wenn er sie auf schmalem Wald- und Bergpfad vorantreten ließ, um sich von der reinen Melodie ihrer sicheren und anmutigen Bewegungen, ihrer ganz eigenen, freien und unbewußt stolzen Haltung entzücken zu lassen, wenn sie dann lachend den weißen, nach der Mode des Jahres unbedeckten Hals und das von dicken goldrot glänzenden Flechten gekrönte Köpfchen zu ihm zurückwandte und die klaren, treuen Augen lebhafter noch als ihre helle Stimme so viel Liebes und Frohes zu erzählen wußten und wenn die alte Pilzsammlerin im Walde ihnen auf ihre Frage nach dem rechten Weg zur Ruine freundlich grinsend Auskunft gab: „Gehen Sie nur so weiter, Sie können’s nicht verfehlen, das andere junge Pärchen ist auch schon vorausgegangen!“ Grete faßte die Hand ihres Paten und sah ihn lachend an, wenn sie dabei errötete, war es wohl nur vor Freude und Wanderlust. Ihn aber überlief es wunderlich, als ihm aus dem Mißverständnis der Alten zuerst deutlich mit fremder Stimme ein Gedanke entgegenklang, der heimlich und scheu während dieser Tage in ihm erwacht war – so seltsam und so fernab von allem, was sein Gefühl für Grete bisher bestimmt hatte, daß er ihm kaum ins Antlitz zu sehen wagte! Er bezwang sich, sein Benehmen gegen sie wurde förmlicher, minder unbefangen ein paarmal fiel es ihr sehr auf, sie dachte nach, womit sie ihn wohl verstimmt haben konnte, und war nun absichtlich erst recht lieb und zärtlich zu ihm. Als sie sich abends trennten, faßte sie ihn schmeichelnd bei den Händen. „Bist du mir böse? Hab’ ich etwas verkehrt gemacht?“ Er wandte sich ab. „Nicht doch, Kind! Ich bin vielleicht etwas müde. Aber du mußt mich nicht so fragen. Es wird vergehen.“

Aber es kam wieder, in der Einsamkeit der Nacht, nun schon beherzter, mit Gründen und mit Beispielen, an denen es in der akademischen Gesellschaft nicht fehlte und mit denen sie sich regelmäßig nach kurzem ausgesöhnt hatten, selbst mit dem längsten Falle des Geheimen Medizinalrats Weitzel, der sich vor anderthalb Jahren in seinem hundertunddreißigsten Semester mit einer Freundin seiner jüngsten Tochter vermählte. Der Doktor Hans Ritter hatte die beiden noch neulich durch die Allee wandeln gesehen. Sie schienen äußerst zufrieden und eine ländliche Schöne mit bunten Bändern an der Haube schob vor ihnen ein Korbwägelchen her, auf dessen schreienden Insassen sich das faltige graubärtige Antlitz des berühmten Klinikers mit einem unbeschreiblichen Stolze richtete …

Nach dem Urteil der Welt fragte der Doktor Hans Ritter noch weniger als der Geheime Medizinalrat Weitzel, aber an Selbstbewußtsein kam er ihm nicht völlig gleich. Es gelang ihm nicht, sich mit Bestimmtheit ein Recht auf Besitz und eine Fähigkeit des Beglückens zuzusprechen, die der Geheime Medizinalrat auch beim zweitenmal allem Weinen und Kopfschütteln der Seinen zum Trotz ebenso unbedenklich für sich in Anspruch genommen hatte wie fünfunddreißig Jahre zuvor beim erstenmal. Der Geheime Medizinalrat hatte eben nur immer erwogen, was er alles bieten konnte, der Doktor Hans Ritter ermaß, was er alles zu begehren wagte, und das Wagnis erschien ihm auch dann nicht geringer, wenn ihm eine schmeichelnde Stimme zuflüsterte, daß dies Begehrenswerte ja doch größenteils durch ihn erst so köstlich geworden sei. Denn nicht für sich hatte er es bisher gepflegt und behütet in wunschloser Hingabe hatte er nur die Stelle der Toten zu vertreten getrachtet, die Stelle des Freundes und derer, die er geliebt und der er nur entsagt hatte, um sie in einem reineren Sinne fortzulieben. War es die Krönung seines Werkes, wenn er das Geschaffene behielt, um es nicht in fremde, minder sorgsame Hände fallen zu sehen? Oder war es der Widerruf alles dessen, was er für Recht erkannt und geübt hatte, wenn er nach einem halben Menschenalter freiwilligen Wirkens plötzlich die Rechnung vorwies und das ganze Werk als Preis einzog?

Vor dieser Zweifelsfrage irrte das Gewissen ängstlich hin und her, aber eine andere Macht, welcher der Philosoph Hans Ritter bisher niemals ein Recht auf Entscheidung eingeräumt hatte, begann listig nachzuhelfen und als Grete zum erstenmal nach zwei Jahren wieder durch das Gartenpförtchen trat und ausrief: „Ach, unser altes, liebes Haus! Hier ist es doch am schönsten, hier möcht’ ich immer bleiben!“ – da klang das bedeutsame Wort schon bestimmter in der Seele des Mannes wieder als vier Tage zuvor jenes erste Omen im thüringischen Tannenwalde. „Unser Haus!“ sagte er leise und sah sie traumhaft vergessen an. Ihre Augen erwiderten seinen Blick mit unschuldiger, glücklicher Zärtlichkeit. – Aber da kam auch schon die gute Luise zur Begrüßung herbei – – und Wöppy, das liebe, einzige, reizende Hündchen. – – –

17.

Nun hatte sie die erste Nacht wieder in „unserem Hause“ geschlafen und zuerst wieder den von seiner Bibliothek heimkehrenden Paten mittags an „unserem Gartenthürchen“ erwartet, um mit ihm zuerst wieder an „unserem Tische“ zu speisen und nach dem Mittagsmahl waren sie hinaufgestiegen zu „unserem Weinberghäuschen,“ wo der Doktor Hans Ritter besonders an schönen Herbstnachmittagen am liebsten sann und dichtete. Dort hatten sie sich getrennt, Grete wandelte längs der Höhe weiter nach der anderen Seite des Bergvorsprungs, an dessen Fuße dort Fräulein Martha Weber seit einigen Jahre einen grasreichen Baumgarten als Erholungs- und Spielplatz für ihre Mädchen besaß, und Hans Ritter blieb einstweilen zurück, um angeblich noch ein Stündchen zu „arbeiten“. Sehr gewissenhaft hatte er einen weißen Bogen Papier mit allem Schreibwerkzeug auf dem kleinen Tische zurechtgelegt, das weiße Blatt war nach einer halben Stunde noch so leer wie zuvor, als sich die Thüre plötzlich vor einem höchst unvermuteten Besuch öffnete.

„Sieh da! Willkommen, mein Junge! Daran hätte ich wirklich nicht gedacht,“ rief der Doktor Hans Ritter, sehr erfreut und doch auch etwas verlegen, denn er hatte seit einige Tagen überhaupt viel weniger als sonst an den Studiosus Karl von Seedorf gedacht und ihn keineswegs hergewünscht. „Ich glaubte dich kaum vor Ende des Monats erwarten zu sollen. Es ist doch nichts vorgefallen? Du siehst etwas angegriffen aus.“

„O nein“, sagte Karl. „Ich – ich bin nur eher fertig geworden weißt du, und da dachte ich, je eher ich – –“

„Du weißt ja, wie willkommen du immer bist“, warf der Doktor Hans Ritter ein. Es fiel ihm auf, wie verlegen Karl war, und damit wuchs seine eigene Verlegenheit. „Luise hat dir wohl gesagt, daß wir hier oben seien? Grete ist schon voraus zu Webers, nach dem Baumgarten, weißt du – –.“

„Ja,“ antwortete Karl und spielte mit der dargebotenen Cigarre, ohne sie anzuzünden. „Du, Onkel Hans,“ begann er dann plötzlich entschlossen, „ich muß dir etwas erzählen. Du kennst ja die Frau Geheimrat Hermann, ihr Mann ist mit meinem Professor Stubinger noch von der Studentenzeit her befreundet, und daher verkehren auch die Familien noch miteinander, obgleich man sich nichts Verschiedeneres denken kann. Diesen Sommer war ihre älteste Tochter, die lange Elise, ein paar Wochen bei Stubingers zu Besuch; sie hat uns mit ihrer unglückseligen Koketterie unglaublich gequält, und ich glaube, unser Professor und seine prächtige Frau waren auch froh, als sie wieder einmal unverlobt abzog. Gestern mittag war ich nun bei Stubingers eingeladen – wir waren gerade am Abend vorher mit dem Professor von einem achttägigen Studienausflug heimgekehrt – und da treffe ich auch die Frau Geheimrat; sie ist jetzt mit ihrem Manne da, der dort auf der Bibliothek irgend etwas bearbeitet. Sie redet mir erst allerlei von ihrer Elise vor, und ich muß wohl nicht nach Wunsch darauf reagiert haben, denn auf einmal setzt sie so ein säuerliches Lächeln auf und sagt: „Nun, dem Herrn Doktor Ritter wird man nun wohl bald gratulieren können.“ „Wozu?“ frage ich verwundert. Und da sagt sie … aber bitte, Onkel, hör’ mich ruhig an … sie sagt … du wollest dich verheiraten … mit unserer Grete! Und du hättest es ihr selber gesagt.“

„Ich hätte ihr das gesagt?“

„Ja, nicht wahr?“ fuhr Karl fort. „Ich bestritt ihr das natürlich auch, und es mag sein, daß ich mich etwas vergessen [144] habe; die Frau Professor verwies es mir nachher sehr deutlich. Aber wie kann da einer ruhig bleiben! Noch dazu, wo sie darauf bestand und ordentlich nachmachte, wie du es ihr gesagt hättest du holtest dir jetzt die Braut ab! … Onkel Hans, denk’ dir!!“ – Und weiß der Himmel, was sie noch alles schwatzte, ich entschuldigte mich bei der Frau Professor und lief heim. Erst wollte ich dir’s schreiben aber ich brachte es nicht fertig, solche Verleumdungen aufzuschreiben, und da bin ich lieber gleich hergekommen.

Der Doktor Hans Ritter war sehr blaß geworden, aber er sah dem aufgeregten Jüngling fest in das Gesicht. „Demnach scheinst du es doch nicht für eine bloße Verleumdung zu halten?“

Karl fuhr in ängstlicher Ueberraschung auf. „Nein, Onkel Hans“ stotterte er, „du – du mußt mich nicht mißverstehen … Weißt du, es war mir ja wohl in der ersten Aufregung … Wenn eine das so bestimmt wiederholt … Aber ich schämte mich im selben Augenblick darüber … denn da könnten ja hundert alte Basen kommen und so etwas behaupten. Es bliebe ja doch unmöglich; du und Grete! – – Das heißt, bitte, mißverstehe mich nur nicht – sieh’ ’mal, es giebt ja kein Wesen in der Welt, das für dich zu gut wäre, Onkel Hans, und wenn du wirklich … verzeih’ … wenn etwas Wahres daran wäre … verzeih’ … ich rede nur so –“ er schöpfte tief Atem und versuchte, ruhiger zu sprechen: „Sieh’ ’mal, Onkel Hans, Grete könntest du ja mit einem einzigen Wort zu allem bringen. Andere Mädchen in ihrem Alter stellen sich das Bild von dem Pastor, der sie eingesegnet hat, oder von einer Lieblingslehrerin auf ihr Tischchen, denn sie müssen irgend ein Heiligenbild haben; Grete braucht das nicht, die hat dich, dein Bild steht in ihrem Herzen, nicht bloß auf ihrem Tischchen; du bist sozusagen ihr irdischer Herrgott – du hast sie eigentlich so lieb und hold gemacht, wie sie ist, und sie gehört dir, es ist, als wenn du ihr Vater wärest und eigentlich noch etwas Heiligeres. Und eben darum …“; er stockte und trat in größter Verwirrung ans Fenster.

Auch Hans Ritter schwieg und blickte eine Weile starr vor sich hin. Es war ein großer Schmerz in seiner Seele, und doch etwas wie eine Befreiung, als hätten die stammelnden Worte des Jünglings mit einem Schlage den Streit in seinem Innern entschieden, den er selbst nicht zu schlichten wagte. Aber noch etwas anderes hatte er aus diesen Worten herausgehört. Urplötzlich stand vor seiner Erinnerung in greller Deutlichkeit eine andere Scene, als er die Hoffnung seiner ersten großen, ungestandenen Liebe im Geständnis eines rascheren – glücklicheren Freiers untergehen sah. „Sag’ ’mal, Karl,“ begann er – „seit wann ist dir dein Gefühl für Grete so klar?“

Karl wandte sich hastig um. „Wie … was meinst du damit, Onkel Hans?“ fragte er errötend.

Hans Ritter sah ihn ruhig, fast heiter an. Jetzt, wo er mit einem beherzten Griff die Versuchung aus seiner Seele gerissen hatte, die ihn einige Tage lang entzückt und gepeinigt hatte, war er wieder der alte. „Ich meine,“ sagte er, „seit wann du weißt, daß du Grete so liebst?“

Karl zögerte einen Augenblick, dann erwiderte er treuherzig den Blick seines Erziehers.. „Wenn du es denn einmal gemerkt hast, Onkel Hans … Weißt du, als ich sie jetzt zu Ostern wiedersah … da kam es über mich. Und seitdem war ich ja ganz in diesem Banne! Bitte, lieber Onkel Hans, sei nicht böse, wenn ich dir’s sage, siehst du, du hast mich ja auch in der Ferne weiter erzogen, und wenn ich vielleicht mehr oder eher als andere daran dachte, etwas Richtiges zu werden, daran warst du schuld; freilich, seit Ostern war’s doch mehr die Grete … Aber,“ fuhr er nach einer Weile fort, „wie lieb ich sie habe, das weiß ich doch erst seit gestern mittag!“

„Hast du Grete jemals merken lassen …“ fragte Hans Ritter.

„Aber wo denkst du hin!“ rief Karl „Nein, sieh’ ’mal, dann machte ich dir doch wenig Ehre! Sie war ja noch ein halbes Kind … oder vielmehr, sie ist es am Ende noch … und ich … weißt du, Liebe muß man sich doch verdienen, nicht wahr? – Aber sag’ ’mal, Onkel, glaubst du – ich meine, ob Grete …“

„Ob sie deine ungestandenen Gefühle teilt, du großer Junge? Das weiß ich natürlich nicht, und wenn ich’s wüßte, würde ich dir’s nach deinen eben gehörten, sehr löblichen Grundsätzen erst recht nicht sagen. Nein, du hast recht. Liebe muß man sich erst verdienen, und so lange mußt du schweigen. Inzwischen ist es ja schon genug, daß du mir’s gestehst. Der Umweg ist zwar nicht mehr Mode, aber mitunter ist er doch noch zweckmäßig. Nicht wahr? Denn wenn ich bei Grete soviel gelte, wie du dir denkst, so kommt wohl auf meine Meinung etwas an, ganz abgesehen –“

„Onkel Hans!“ rief Karl und faßte bittend die Hand seines Erziehers, der aber fuhr sehr ruhig, nur mit etwas heiserer Stimme fort. „Ganz abgesehen, meine ich, von meinen rechtlichen Befugnissen, die mir ja wohl noch auf eine hübsche Reihe von Jahren zustehen, und die ich sogar noch in etwas erweitern möchte, indem ich Grete adoptiere. Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür sind ja wohl alle vorhanden – auch der Unterschied im Alter, setzte er seufzend hinzu. „Geändert wird ja in meinem Verhältnis zu ihr eigentlich nichts dadurch, aber wir wollen es der Frau Geheimrat und ähnlichen Leuten zu Gefallen thun, damit diese armen Seelen Ruhe haben. Und es ist ja die einfachste Lösung, nicht wahr? Na, nun thue nur nicht so zärtlich, mein Junge! Dein Vater hat doch recht, es ist etwas von einer anderen Art in dir, oder bist du erst seit Ostern so liebevoll gestimmt? Erzähle mir lieber von dir und deinen großen Plänen! – Aber das können wir unterwegs thun, denn nun willst du doch wohl Grete sehen, nicht wahr?“

Es war schade, daß der Professor Stubinger und die anderen hohen Meister des Studiosus Karl von Seedorf nicht mitgingen; sie wären gewiß mit ihrem Schüler sehr zufrieden gewesen. Ein wenig Neigung zum Docieren hatte er doch noch – oder hatte er sie schon wieder? Denn Docent wurde er, das stand fest, und bereits lugten auf dem Boden dieses Entschlusses allerhand Pläne zu Einzelforschungen, großen Studienreisen als Keime hervor. „Siehst du, Onkel Hans, ich bin kein Streber, aber wozu ich Neigung und am ersten Talent habe, darin möchte ich auch etwas Rechtes und Nützliches leisten, und sonst verdiente ich ja auch nicht einmal, im stillen Grete zu lieben. Denn mir sind die Wege leichter gemacht als viele anderen, also ist auch meine Pflicht größer. Seit vorigem Jahre bin ich mündig; ich habe Vater natürlich gebeten, mein Vermögen weiter zu verwalten, es hat mir Mühe genug gekostet, ihn zu bewegen, daß er wenigstens jetzt meinen Wechsel aus dem Meinigen deckt. Bis dahin hatte er ja immer Zins auf Zins laufen lassen, und es ist jetzt so viel, daß ich mit materiellen Schwierigkeiten gar nicht zu rechnen brauche, und wenn sie mich zwanzig Jahre als Privatdocent sitzen ließen. Aber, so Gott will, dauert es nicht ganz so lange.

„Und es steckt doch auch viel von dem Alten in ihm“, dachte der Doktor Hans Ritter, aber er verschwieg den Gedanken. Denn sie waren jetzt an dem jenseitigen Saume der Höhe angelangt, wo sich zwischen den letzten Bäumen ein bequemer Pfad zu dem Baumgarten absenkte. Sehr lustig und anmutig ging es da unten zu. Fräulein Martha Weber saß auf einer Bank unter dem größten der breitwipfligen Kirschbäume, welche die Wiese einfaßten. Sie war nachgerade den Mitspielern doch nicht mehr gewachsen, und sie begnadigten sie, sich mit dem Posten als Oberbefehlshaber und Schiedsrichter. Einige jüngere Kolleginnen aber waren mitten drin zwischen den jungen Spielerinnen, die lachend und jauchzend über den weichen Rasen hintollten. Es war wunderbar anzusehen, wie die schlanken, lebensvollen Gestalten in bunten und leichten Kleidern gruppenweise zusammenhuschten und von dannen eilten, wie ein noch im Werden begriffener Strauß von lebendigen Bäumen, der sich immer wieder auflöst, um sich sogleich wieder neu und reizvoll zu bilden. Ein wenig abseits stand Grete in ihrem weißen Gewand und ließ sich eben von einer Freundin das goldige Haar wieder aufstecken, worauf sie lachend in die Reihe zurücksprang, jetzt durchaus nur ein glückseliges, spielfrohes Kind.

Vor diesen Anblick klappte der zukünftige Privatdocent sein unsichtbares Heft zu und schien fürs erste nur noch ein Ziel auf Erden zu kennen, welchem er im Laufschritt hügelab zustreben wollte. Der Doktor Hans Ritter aber zog ihn bei der Hand zurück. „Wart’ noch ein wenig, mein Junge,“ sagte er, „und sieh dir’s genau und nachdenklich an, denn das ist so ziemlich der hübscheste Blick, den der Herrgott einen auf dieser Erde genießen läßt. Dem Menschen kann mit der Zeit manches leid werden, das er früher mit Vergnügen ansah, wer aber solch ein Kränzchen netter, artiger junger Mädchen im einfachen Schulkleid ansehen kann, ohne daß es ihm wohler ums Herz wird, der

[145]

Gemsen im Hochgebirg.
Nach einem Gemälde von J. Schmitzberger.

[146] soll sich doch nur ja sogleich begraben lassen! Es ist aber mehr als hübsch, es ist auch rührend, und wenn du lieber sagen willst: es ist beschämend, so habe ich auch nichts dagegen. Denn wenn es auch keine Engel sind – na, knurre nur nicht mit den Augen! – sagen wir also: wenn auch höchstens ein halber Engel darunter ist, so haben sie doch wenigstens eines von den Engeln, den guten Willen, den Willen zu lernen, zu helfen, zu sorgen, zu lieben, zu danken – kurzum besser zu werden! Darin sind sie euch über. Ein Dutzend von euch jungen Männern mit all eueren Worten, Plänen, Idealen und was weiß ich sonst noch, und ganz besonders mit euerem berühmten höheren Verstand, hat nicht so viel reinen guten Willen als ein einziges von den Mädchen da unten. Es ist aber mehr als beschämend, es ist heilig! Sieh diese zierliche Menschenblüte,“ sein Auge suchte sein weißes Mädchen, „so anmutig, so leicht und rein, es ist, als hätte sie der liebe Gott am Sonntagnachmittag gebildet, zu seinem Vergnügen. Aber wie teuer ist sie in Wahrheit erkauft! Wie viel Hände wurden müd’, wie viel Nächte waren schlummerlos und wie viel Tage voll Mühe und Not, damit die zarte Pflanze sicher aufwachse, getränkt mit Thränen, umschauert von Sterbeseufzern! Ueber Gräbern wuchs sie empor, welche die Sorge um ihr Gedeihen vielleicht früher grub, als es der Lauf der Natur gewesen wäre. Die sie lehrten, gaben für sie in jahrelangem Mühen ihr Wissen und ihre Arbeit hin, damit ein zarter, eingeborener Trieb den Weg zum Licht nie verfehle; und die sie liebten, gaben ihre eigenen Hoffnungen hin, damit an ihr die Hoffnung nicht zu Schanden werde, damit sie stark werde, dereinst im Lebenssturm zu bleiben, wie sie jetzt im Spiele blüht: rege, hilfreich und freudig! Erinnere dich an das Lied, das ich dir beim Abschied in das Buch deiner fröhlichen Burschenstunden schrieb.

‚Seht das holde Mädchen hier!
Sie entfaltet sich im Spiele;
Eine Welt erblüht in ihr
Zarter, himmlischer Gefühle.
Sie gedeiht im Sonnenschein,
Unsre Kraft in Sturm und Regen;
Heilig soll das Mädchen sein,
Denn wir reifen uns entgegen!‘

Nun komm und laß uns gehen, sie zu begrüßen!“


18.

Droben am Himmel gehen Sonne, Mond und Sterne ihre gemessenen Bahnen, hier drunten auf Erden gehen wir Menschen unseren Freuden und Geschäften nach, in einem krausen Gewimmel, stoßen und stören einander, als wäre die kleine Erde wirklich schon längst zu klein für uns geworden. Seltener, als uns not thut, blicken wir aufwärts zu der wandelnden Welt; seltener noch mag es geschehen, daß einer auch durch die Wolken die Sterne leuchten sieht, wie es dem Doktor Hans Bardolf an seinem letzten irdischen Weihnachten zu teil ward. Aber doch sind wir mit unzähligen goldenen Fädchen an die himmlischen Begleiter geknüpft. Wir messen unser Wirken und Ruhen, unser Schlafen und Wachen nach ihren Bewegungen, und wunderlich ist es, daß wir auch unser Erinnern nach ihrem Winke sinken und steigen lassen. Es sitzt einer, der sonst das Jahr über fröhlich ausschaut, in trüben Gedanken, weil die Sonne wieder einmal denselben Stand erreicht hat, wo sie stand, als sein Herz einen Bund schloß, der längst vermorscht und vergangen ist, und ein mächtiges Volk erwacht an einem Morgen in einem ernsten, heiligen Gefühl des Dankes, nur weil fünfundzwanzig Erdumläufe verflossen sind, seit ihm ein paar Züge mit einer goldenen Schreibfeder nach Kampf und Sieg den Frieden wiedergaben.

Ein ganzes Volk! Denn wenn viele darunter sind, die an solchem Tage nichts Besonderes fühlen, die auch an ihm nur für sich und ihre höchsteigenen Leiden und Freuden Sinn haben, so sollen sie uns die Einheit nicht stören. Sie laufen so mit; und es ist doch die ganze Wiese grün, wenn auch hier und da zwischen den Halmen eine sauere Stelle im Boden ist, wo höchstens ein Unkraut gedeiht oder ein Giftschwämmchen.

Der Geheime Hof- und Edukationsrat Doktor Mohr, Ritter eines fürstlichen Ehrenkreuzes vierter Klasse am grünen Bande, lief auch so mit. Er hatte wahrhaftig genug mit sich selber zu thun. Denn er trug die schwerste Last, die eines Mannes Schultern drücken kann: ein leeres Dasein.

Es hatte eine Zeit gegeben, wo dem Doktor Hans Mohr kein Ziel begehrenswerter erschien, als in Wohlstand und Würden ohne Arbeit, ohne Sorgen für andere von einem Tag in den andern leben zu können. Früher als er hoffte, hatte er dieses Ziel erreicht, vereint, wenn auch nicht immer einig, mit einer gleichgesinnten Gefährtin, war er beherzt drauf losgeschritten, quer durch den Sumpf. Alle unpraktischen Ideale und Grundsätze, die ihn in einer früheren Zeit zu einem munteren armen Teufel und immerhin zulässigen Gliede des Hansebundes machten, hatte er unterwegs eins nach dem andern als lästigen Ballast aus dem Ranzen gepackt und weggeworfen, ohne daß die Leute es merkten – mit derselben Gewandtheit, mit der er früher sein Teil am Einkauf für ein bescheidenes Junggesellenmahl verschämt und versteckt unter dem feinen Röckchen zu tragen wußte. Der Ranzen blieb darum nicht leer. Andere schöne Dinge hatte der Doktor Mohr nach und nach hineingepackt: Wohlweisheit, Biedermannswürde, sogenannte Menschenkenntnis und Andacht zum eigenen Wohlbefinden. Und es war schrecklich, wie schwer diese Dinge drückten, als er nun endlich drüben angelangt war und sich unter lauter Leuten fand, die alle ganz dieselben Güter in ihrem Sack trugen und alle ebenso schwer daran zu tragen hatten. Denn diese Leute, zu deren Orden der Doktor Mohr jetzt gehörte, sind auf einander angewiesen. Sie finden sich schon darum überall zusammen, weil jeder von ihnen den thätigen und sorgenden Menschen über kurz unausstehlich wird.

Der Geheime Edukationsrat Doktor Johannes Mohr vermied es seit einer Reihe von Jahren, die Universitätsstadt wieder zu sehen, in der er einmal so arm und fröhlich gewesen war. Aber man hatte ihm gar zu dringend den Geheimen Medizinalrat Weitzel empfohlen, und so stellte er sich an diesem gesegneten zehnten Mai des Jahres 1896 dem berühmten Kliniker dar. Auch blieb sein Vertrauen nicht unbelohnt: der Geheime Medizinalrat entdeckte bei dem wohlbeleibten Herrn bereitwillig Anzeichen einer möglicherweise vorhandenen Verfettung und entließ ihn mit einer langen Diätvorschrift.

Als der betrübte Patient aus der Villa des Arztes trat, fiel ihm das Festgeläut auf. „Ach Gott, ja, das Friedensjubiläum!“ seufzte er verdrießlich. Was ging ihn das an? Aber plötzlich stieg in ihm die Erinnerung an einen anderen zehnten Mai auf, an dem die Hansebrüder, just ein Jahr nach dem Frankfurter Frieden ihre „Buden“ in dem Hause der „komischen, alten Dame“ bezogen und feierlich den Bund gestiftet hatten. Und die Erinnerung zeitigte in seiner von frischen Todesängsten weichgemachten Seele ein ungewohntes Verlangen, den andern Ueberlebenden des Bundes noch einmal wiederzusehen. Es konnte ja sein, daß auch der sich einsam fühlte und über manches Gebrechen zu klagen hatte, und übrigens war er ja längst ein angesehener Mann, mit dem selbst Frau Beate höflich verkehrt haben würde.

Der Mietskutscher nickte verständnisvoll, als ihm sein Fahrgast die Adresse des Oberbibliothekars Doktor Ritter nannte. Unterwegs, nahe dem Bahnhof, begegnete ihnen ein anderer Wagen, darin saß ein sehr stattliches junges Paar in hellen Reisekleidern. Die junge, schöne Frau hielt einen großen Rosenstrauß in der Hand, und ihre blauen Augen blickten so strahlend und dankbar in die Welt hinaus, als hätte der liebe Gott diesen sonnigen, blühenden Maitag eigens für sie geschaffen. Der Kutscher grüßte die beiden und bekam ein holdseliges Nicken zurück; der Geheime Edukationsrat aber sah gar nicht hin, er las in seiner Diätvorschrift und seufzte.

Er blickte erst auf, als der Wagen um die letzte Ecke bog. Da lag das alte Haus kaum dreißig Schritt vor ihm, bis auf den Anbau ganz wie früher und doch ganz wie verzaubert. Die Außenseite der grauen Gartenmauer war längs der Straße mit Guirlanden bekränzt, vor dem Gartenpförtchen waren Blumen gestreut, und drinnen auf der Wiese, unter den blühenden Kirschbäumen, saß und stand um eine lange Festtafel, scherzend und bankettierend, eine fröhliche Gesellschaft alte und junge Herren, in dunklem Festanzug und in Uniformen, würdige Matronen in Schwarz und schöne, weißarmige Mädchen in lichten, leichten Kleidern, mit Blumen im Haar.

„Halt, Kutscher, halt!“ rief der Geheime Edukationsrat, und nachdem er das heitere Bild lange verwundert betrachtet, fragte er: „Was ist denn da los?“

Der Kutscher sah ihn maßlos erstaunt an „Nanu,“ sagte er, „das wissen Sie nicht? Ich dachte, der Herr gehörte dazu, [147] und ich wunderte mich schon, daß Sie die Zwei vorhin so vorbeifahren ließen. Da ist ja heut’ Hochzeit!“

„Was sagen Sie da?“ fragte der Geheime Edukationsrat „Hat sich der Herr Oberbibliothekar verheiratet?“

„Ach ne,“ erwiderte der Kutscher, „seine Tochter, natürlich. Mit dem Doktor von Seedorf, dem Privatdocenten aus München! Das heißt, es ist ja nur seine angenommene Tochter, eigentlich hieß sie Bardolf, Fräulein Grete Bardolf. Ich kenne das ganz genau, weil nämlich meine Frau in dem Hause früher gedient hat – und eigentlich hätte ich auch das junge Paar fahren sollen, nicht der Johann,“ setzte er ärgerlich hinzu, denn der Fahrgast mißfiel ihm nachgerade.

„So, so!“ sagte der Geheime Edukationsrat und seufzte. „Dann fahren Sie mich nur gleich nach meinem Gasthof.“

„Ist auch besser“, brummte der Kutscher und drehte um.

Der Oberbibliothekar Hans Ritter stand im Garten, etwas abseits von der fröhlichen Gesellschaft, mit dem Rücken gegen die Straße, und plauderte mit dem Hauptmann von Seedorf, der bei Tisch eine so schöne Rede gehalten hatte vom Frieden, der heute vor fünfundzwanzig Jahren geschlossen worden sei und den der Vater der Braut miterstritten habe, vom Frieden dieses Hauses, in dem auch ihre Eltern Hochzeit gemacht und in dem sie unter der Obhut ihres zweiten Vaters so lieblich aufgeblüht, und vom Frieden der Liebe, der niemals in ihrer Ehe abnehmen möge. Da trat Fräulein Martha Weber zu ihnen, sehr munter und sehr aufgeregt. Sie fing nun auch schon an, ihre grauen Haare ohne Scheu zu tragen; die fremde Beimischung in ihren Gefühlen für den Doktor Hans Ritter hatte sich verflüchtigt oder veredelt, und sie waren nun ganz und gar nur richtige Freunde.

„Denken Sie, lieber Freund“, rief sie, „da hielt eben drüben an der Ecke einige Augenblicke ein Wagen – ich möchte drauf schwören, daß der Herr, der drin saß, niemand anders war als mein ehemaliger Kollege, der Doktor Hans Mohr.“

Hans Ritter wandte sich hastig nach der angegebenen Richtung um. „Nein,“ sagte Fräulein Martha, „er ist schon längst wieder fort. Am Ende war’s doch auch nur eine Aehnlichkeit, denn was hätte der Herr hier zu suchen? Damit wandte sie sich wieder einer Gruppe von jungen Mädchen zu, Freundinnen Gretes, von denen zwei aus weiter Ferne herbeigereist waren, um das unschätzbare Amt der Brautjungfern nicht zu versäumen.

Der Hauptmann von Seedorf blickte dem lebhaften Fräulein wohlgefällig nach. „Ihre verehrte Freundin hat wie gewöhnlich recht,“ sagte er. „Was hätte der Herr hierzu suchen? Und gerade heute, wo es, wie Sie mir sagten, vierundzwanzig Jahre sind, daß Sie und Bardolf mit ihm hier jenen denkwürdigen Bund stifteten. Ich weiß zwar nicht, ob der Herr abergläubisch ist – seine ausgezeichnete Gemahlin reist ja neuerdings viel als Sendbotin irgend einer geisterseherischen Sekte herum – aber auf jeden Fall müßte er doch das Gefühl haben, gegen irgend etwas Unsichtbares zu rennen, wenn er sich hier heute sehen lassen wollte. – Im übrigen, lieber Freund, Sie wissen, ich bin kein Gelehrter, und am Ende könnte mir auch alle Gelehrsamkeit keine genaue Vorstellung vom Leben der Seligen geben, aber ich denke mir, so ’ne gewisse Fühlung mit Wohl und Wehe der irdischen Hinterbliebenen ist jedenfalls gesichert, und dann muß es heute im Himmel eine sehr zufriedene stille Ecke geben. Von der ich, beiläufig bemerkt, nach Gretes Eltern und Voreltern und meiner seligen Frau auch den würdigen Professor Isaak Bernstein nicht abgeschlossen haben möchte!“

Eine von Gretes Freundinnen, mit einer dunkelroten Rosenknospe im schwarzen Haar, kam vom Tisch herüber und kredenzte ihnen Wein. Erschrocken blickte sie auf den Römer, den sie dem Hauptmann hingereicht. „Es ist – der Wind hat’s gethan,“ stammelte sie. „Es ist eine Kirschenblüte.“

Der Hauptmann nickte ihr lächelnd zu. „Blüten im Wein, Blüten in jungen Locken und auf weißem Haar“, sagte er. „Ueberall Blüten! Sie müssen zugeben, lieber Freund, daß ich Geschmack hatte, als ich vorhin den Mädchen riet, ihre Köpfchen, zu Ehren unseres botanischen Brautpaares so zu schmücken, und zu Ehren des Friedens. Ja, dies ist in der That ein Friedensfest, wie ich es mir seit fünfundzwanzig Jahren gewünscht habe. Schade, daß es in ein paar Stunden vorbei ist! Es wird Ihnen fürs erste sehr einsam vorkommen, lieber Freund. Ich habe daheim, gottlob, soviel Aerger damit, meine Polacken zu Menschen zu erziehen, daß ich wenig Zeit habe, an mich zu denken. Aber Ihr Erziehungswerk – an einem unvergleichlich edleren Gegenstande – ist zu Ende. Was bleibt Ihnen nach all dem Ringen?“

Der Doktor Hans Ritter sah ihn lächelnd an. „Was mir bleibt?“ fragte er leise. „So Gott will – der Friede!“



Blätter und Blüten.

Bretonische Gavotte. (Zu dem Bilde S. 141.)

Neben dem Baskenlande ist die Bretagne diejenige Provinz Frankreichs, wo sich die eigene Sprache, die alten Gebräuche und Kleidertrachten am stärksten behauptet haben. Der allgemeine Militärdienst und die obligatorische Volksschule haben freilich auch hier schon manchen Sieg errungen zu gunsten der französischen Sprache, der französischen Mode und der den Pariser Kaffeekonzerten entstammenden Gassenhauer, aber doch trifft man hier und da an Kirchenfesten und Jahrmärkten große Vereinigungen des Landvolkes, bei welchen alt und jung den altväterischen Staat der Landestracht anhat, wo man noch die alten Tänze tanzt und aus unförmigen weißen Steinkrügen den Apfelwein trinkt. Von einem solchen ländlichen Tanzvergnügen giebt uns der Maler Deyrolle in seiner „bretonischen Gavotte“ ein lebhaftes und anschauliches Bild. Dieser Maler ist ein so eifriger Bewunderer des bretonischen Volkslebens und der dortigen malerischen Volkstracht geworden, daß er nun schon seit langen Jahren in Concarneau, d. h. in der Mitte der bretonischesten Bretagne, seinen Wohnsitz aufgeschlagen hat und nichts anderes malt als ländliche Genrebilder aus seiner nächsten Umgebung. Er versteht es meisterhaft, derartige Volksscenen mit Kraft und ohne Schönfärberei, aber auch ohne realistische Uebertreibung wiederzugeben.

Daß wir uns auf dem Bilde in der Bretagne befinden, verrät – ganz abgesehen vom Kostüm der Personen – dem Kenner der Landschaft das in der Mitte emporragende mit Figuren reich geschmückte steinerne Kreuz. Solche „Calvarien“ stehen fast neben jeder bretonischen Kirche und sehr oft zeigen sie mehr Originalität und künstlerischen Charakter als die Kirche selbst. Bei den großen Bittgängen, den sogenannten „Pardons“, bilden diese Calvarien den Mittelpunkt der religiösen Zeremonie. Ein solcher „Pardon“ ist ohne Zweifel das ernste Vorspiel zu dem heiteren Nachspiel gewesen, das der Maler hier dargestellt hat. Bauern und Bäuerinnen haben sich für den lieben Gott in ihren schönsten Staat geworfen. Stickerei und reicher Bänderbesatz ist an den Kleidern der Frauen und den Jacken der Männer sichtbar. Frisch gewaschen und gebügelt prangen die weißen Hauben der Bäuerinnen, welche für einige französische Nonnenorden zum Vorbild geworden sind. Auf zwei großen Mostfässern haben die Musikanten Platz genommen. Sie handhaben die beiden nationalen Instrumente, die Bombarde und das Biniou, das erstere eine Art von Fagott, das letztere ein Dudelsack. Der Maler läßt den Bombardenbläser sich abmühen, während der Biniouspieler sich gütlich thut. Auch das ist ganz richtig beobachtet, denn die Ablösung ist die Regel bei dieser primitiven Tanzmusik, das Zusammenspiel die Ausnahme. Die Ohren gewinnen dabei, denn die beiden Instrumente sind gewöhnlich in der Stimmung um einen halben Ton auseinander. Zwei ältere Bauern eröffnen mit zwei ländlichen Schönen den alten Tanz der Gavotte, der seine Benennung von den Gavots, den Bewohnern der Landschaft Gap im Departement Hautes Alpes, erhalten haben soll. Lange Zeit nur als Volkstanz geübt und zu scenischen Darstellungen auf der Bühne verwendet, wurde die Gavotte zur Zeit des ersten Kaiserreichs in Paris zu einem Gesellschaftstanz ausgebildet. In der Bretagne war sie seit jeher beliebt. Wären bei dem Feste, das unser Bild darstellt, deutsche Ohren zugegen, so würden sie mit Ueberraschung aus dem Munde des jungen Bauern, der den Musikern zujubelt, mehr als ein heimatliches „ch“ hören, an denen die bretonische Sprache so reich ist, während der eigentliche Franzose diesen Laut kaum zu sprechen vermag. Schließlich bemerken wir noch, daß die obenstehende bretonische Gavottenmelodie dem trefflichen Buche von Quellien „Chansons et danses des Bretons“ (Paris, 1889) entnommen ist. Felix Vogt.     
[148] Das Neuberhaus zu Laubegast. (Mit Abbildung) In dem nahe bei Dresden gelegenen Laubegast ist vor kurzem ein kleines baufälliges Häuschen abgetragen worden, das die Bedeutung einer Sehenswürdigkeit hatte, das Neuberhaus, wie es unsere Abbildung zeigt. Die Inschrift: „Hier starb Caroline Neuber am 30. Nov. 1760“ war über der Thür auf einer Tafel zu lesen. An den Namen der „Neuberin“, deren Geburtstag sich am 9. März d. J. zum zweihundertstenmal erneut, knüpfen sich glanzvolle Erinnerungen der deutschen Theatergeschichte. Das große Reformwerk, das um die Mitte des vorigen Jahrhunderts aus dem Theater in Deutschland ein Institut nationaler Kunstpflege machte, befähigt, dem Genius Lessings, Schillers, Goethes würdig zu dienen, hatte in dem energischen Geist dieser bedeutenden Frau den erfolgreichsten Pionier. In einer Zeit, da – wie Schiller später klagte – keines Mediceers Güte der deutschen Kunst lächelte, da auf den deutschen Hoftheatern nur italienische Opern- und französische Schauspieltruppen gesehen wurden, die deutsche Volksbühne aber vom Possenreißer beherrscht war, gelang es der Neuberin, die ersten Schauspielkräfte der Nation zur Gestaltung von Aufführungen zusammenzufassen, welche der deutschen Bühnendichtung das Interesse der Gebildeten eroberten. Mit ihrer Truppe, in der sie auch als hervorragende Schauspielerin wirkte und für welche sie das Privileg von „churfürstlich sächsischen Hofkommödianten“ erwarb, trat sie in Leipzig in den Dienst der Bestrebungen Gottscheds, durch Anlehnung an die Muster des klassischen Dramas der Franzosen das deutsche Schauspiel der herrschenden Flachheit und Regellosigkeit zu entreißen. Aber auch Lessings junger Feuergeist, der wiederum gegen diese Nachahmung kämpfte, erhielt durch die Neuberin nachhaltige Förderung, seine Jugenddramen kamen durch sie zuerst auf die Bühne. Der Entartung des deutschen Volksstücks zur Hanswurstiade gebot sie anderseits ein gebieterisches Halt und durch die bekannte „Verbrennung des Hanswursts“ auf ihrer Bühne erklärte sie symbolisch, daß die von ihr gepflegte Kunst Höheres erstrebe, als das Publikum lachen zu machen.

Das Neuberhaus in Laubegast und das Portrait von Karoline Neuber.

Aber trotz des Beifalls und Erfolgs, den sie mit ihrer Truppe nicht nur in Leipzig und Dresden, sondern auch in vielen anderen deutschen Städten errang, war ihr Lebensweg dornenvoll, und es war ihr nicht vergönnt, die Saat reifen zu sehen, die sie ausgesät. Ihr Schicksal ist schon früher in der „Gartenlaube“ Gegenstand ausführlicher Darstellung gewesen. Am 9. März 1697 zu Reichenbach im sächsischen Vogtland als Tochter des Gerichtsinspektors Weißenborn geboren, hatte sie die Heimat preisgegeben, um ihrem Beruf zu folgen. Als Gattin des Schauspielers Neuber fand sie in diesem nur eine geringe Stütze bei der Durchführung ihres kühnen Unternehmens, zu welchem die eigene Kunstbegeisterung sie drängte. Der Ausbruch des Siebenjährigen Kriegs und das Elend, das er heraufbeschwor, führten zur Auflösung ihrer Truppe. Das Bombardement von Dresden 1760 überraschte sie als trauernde Witwe, ohne Mittel und sichere Unterkunft. Krank und elend mußte sie fliehen; ihr Arzt, Dr. Loder, wollte sie bei einem Bekannten in Laubegast unterbringen. Doch fand sie in dessen Hause nicht die erwartete Aufnahme. Die Gastlichkeit eines Bauern, Georg Möhle, verschaffte ihr dann in den ihm gehörigen Häuschen am Elbufer das letzte Asyl. Hier fand die einstmals so Gefeierte nach schweren Leidenstagen einen einsamen Tod. Im nahen Leuben wurde sie beerdigt. Lange blieb ihr Grab unbeachtet, 1852 widmeten ihr dann Mitglieder des Dresdner Hoftheaters eine Gedächtnisfeier, deren Ertrag zur Ausschmückung des Grabes benutzt ward. Auch in Laubegast ward ihr ein Denkstein errichtet. Das rührendste Erinnerungszeichen aber, das „Neuberhaus“, ist nun geschwunden und hat der „Neuberterrasse“ Platz gemacht, auf welcher der Besitzer des benachbarten Gasthofs zur „Stadt Amsterdam“ die Gedenktafel, die sich über der Thür des Häuschens befand, angebracht hat. Man hat von dieser Terrasse eine prächtige Aussicht über die Elbe auf die Pillnitzer Höhen und die Sächsische Schweiz. G. S.–P.     

Gemsen im Hochgebirg. (Zu dem Bilde S. 145.) Wenn die ersten Frühlingslüfte wehen, verlassen die Rudel der Gemsen die tiefer gelegenen Wälder, in denen sie während der harten Winterszeit Unterschlupf gesucht haben, und steigen zu den baumkahlen Zinnen des Hochgebirgs empor. Dort oben wird der Schnee eher als im Thale durch den Wind weggefegt und an Felshängen erscheinen saftige Alpenkräuter. In dieser Felsenwelt sind die Gemsen in ihrem eigentlichen Element und können ihre Künste als geborene Bergsteiger bethätigen. Mit erstaunlicher, oft unbegreiflicher Geschicklichkeit verstehen sie an steilsten Hängen Auf- und Abstieg zu nehmen; gewagt erscheinen ihre Züge durch die Felskamine, tollkühn ihre Sprünge – und doch sind die Gemsen, mit den Gefahren des Hochgebirgs wohlvertraut, äußerst vorsichtige Tiere, die jede Gefahr rasch wahrnehmen und ihr geschickt aus dem Wege gehen. Freilich geschieht es manchmal, daß auch diese Kinder der Alpen überrascht werden, und manches Rudel ist schon unter dem Schnee- und Felsgeröll einer Lawine begraben worden. Einer solchen Gefahr war das Rudel Gemsen auf dem trefflichen Bilde J. Schmitzbergers ausgesetzt; es hat aber noch rechtzeitig hinter dem schützenden Felsabhang Rettung gefunden.

An der Lotsenbrücke bei Vlissingen. (Zu unserer Kunstbeilage.) Vlissingen, auf der Insel Walcheren an der Mündung der Westerschelde gelegen, ist in neuerer Zeit ein bedeutender Handelshafen geworden und bildet eine der wichtigsten Stationen für die Ueberfahrt nach England. Außerdem ist es eine Lotsenstation für Antwerpen, so daß in dem Hafen sich mehr als 250 belgische Lotsen aufzuhalten pflegen. Der durch seine Marinebilder wohlbekannte Maler H. Petersen-Angeln stellt auf seinem Bilde, das wir in unserer Kunstbeilage wiedergeben, die Lotsenbrücke dar mit dem Ausblick auf die stille, in Abenddämmerung gehüllte See. Die Sonne ist längst gesunken und der Mond, der hinter den Wolken hervorschaut, vermischt seine Strahlen mit dem letzten Wiederschein der Dämmerung. Diese Lichtreflexe breiten einen eigenartigen Zauber über die weite Wasserflut aus. Ueber dem flüssigen glitzernden Silber der Wellen gleiten wie schwere Schatten ein sich nähernder Dampfer und die segelbespannten Fischerbarken dahin. Wenn am lauen Sommerabend das unendliche, ewig bewegte Meer in nächtlichen Schlummer zu versinken scheint, dann wird auch der Mensch im Tiefinnersten ergriffen und unvergeßlich bleibt ihm der überwältigende Eindruck des stimmungsvollen Bildes, zu dem Himmel und Meer sich vor seinen Augen vereinen. *      


☛      Hierzu Kunstbeilage V: „An der Lotsenbrücke bei Vlissingen“. Von H. Petersen-Angeln.


Inhalt: [ Verzeichnis der Beiträge in Heft 9/1897]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.