Die Gartenlaube (1897)/Heft 10

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1897
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Nr. 10.   1897.
Die Gartenlaube.
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahresabonnement: 7 M. Zu beziehen in Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf., auch in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.


Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.


Trotzige Herzen.
Roman von W. Heimburg.

  (9. Fortsetzung.)

Der andere Tag brach an, Heinz Kerkows Hochzeitstag.

Auf Aennes Gesicht lag etwas Ernstes, Entschlossenes – ihr Bruder Walther, der Student, sagte: so etwa, als ob sie statt der Toni „angekoppelt“ werden sollte. „Willst du mit?“ fragte er dann. „Wir fahren nachher mit Richard Meyer nach dem Jagdschlößchen, die Schlittenbahn soll herrlich sein.“

„Ach was,“ brummte Robert, der Lieutenant, dem es nicht paßte, brüderliche Rücksichten zu nehmen, „damit sie die Nase erfriert! Ich sage dir, Aenne, bleib’ daheim und geh’ brautschauen!“

Tante und Mutter sahen verstohlen zu Aenne hinüber. Der Bruder war nicht unterrichtet von dem Breitenfelser Stadtklatsch, sonst hätte er diese Aufforderung unterlassen. Aber Aenne erwiderte sehr ruhig: „Natürlich gehe ich in die Kirche – du doch auch, Mama, und Tante ebenfalls?“

Frau May wäre trotz allem und allem eher „gestorben“ als bei dieser Gelegenheit ferngeblieben; und wäre der Kerkow erwiesenermaßen ihr ärgster Feind gewesen, bei seiner Trauung hätte sie zugegen sein müssen. „Ich gehe schon deshalb hin, um all den Leuten die Mäuler zu stopfen, und daß du mit willst, ist vernünftig,“ sagte sie zu ihrer Tochter.

„Aber warum sollte ich denn nicht?“ fragte Aenne, das, was ihre Mutter meinte, absichtlich nicht verstehend. „Ich habe doch kein Verbrechen begangen?“ – Im sicheren Gefühl, daß nur Günther ihr Geheimnis kannte, dem sie es selbst anvertraut und bei dem es so geschützt und geborgen war wie in ihrer eigenen Brust, bewahrte sie ihre Selbstbeherrschung vollständig; ihre innerliche Verzagtheit, ihr altes bitteres Weh wurde von dem trotzigen Mädchenherzen im Zaum gehalten. Wenn Heinz Kerkow überhaupt noch den leisen Gedanken gehabt hätte, daß sie um seinetwillen litt, heute sollte, mußte dieser schwinden; dann würde ihr die trotzige verzweifelte Kraft nicht fehlen, die Eltern zu überreden, dem zuzustimmen, was sie vorhatte!

Das Kloster Arkadi auf Kreta.

[150] Der Medizinalrat verfügte über Eintrittskarten für die Hofkirche, wie sämtliche Beamte des Hofes und die Honoratioren der kleinen Residenz. Für die Damen bedeutete das: elegante Visitentoilette, soweit die Begriffe von Eleganz in Breitenfels reichten; für die Herren: Frack und Cylinder. Zu sehen gab’s entschieden etwas, seit ewigen Zeiten war da droben in dem stillen Witwenleben nicht eine offizielle Festlichkeit gewesen.

Um halb zwei Uhr sollte die Trauung stattfinden, der ein kleines Festmahl im engsten Zirkel folgte; auf vier Uhr bereits war die Abreise des jungen Paares bestimmt.

Die Rätin klagte während der Toilette – das unvermeidliche Schwarzseidene war wieder aus dem Schrank geholt – über Reißen, es sei ungesundes Wetter, und die Jungen, die mittlerweile abgefahren waren, würden im Schneewasser wieder heimkommen. Es war in der That ein trüber, warmer Tag, die Schneedecke zeigte siebartig zahllose kleine Löcher, die der leichte mit Schnee untermischte Regen verursacht hatte, und in der Dachrinne gluckste und tropfte es. Um Mittag war es fast finster.

Aenne befand sich in ihrem Stübchen. Sie hatte ein gelblich-weißes Kaschmirkleid angelegt, kindlich einfach in der Form, faltige Bluse und faltige weite Aermel, und einen schmalen blauen Gürtel um die Taille. Sie wartete auf den Boten, der ihr die Nachricht von der plötzlichen Heiserkeit des Fräulein Hochleitner bringen sollte, und sie ward so blaß wie ihr Kleid, als sie endlich unten die Klingel hörte.

Dann Rufen nach ihr, eilige Schritte, das Rauschen eines Seidenkleides. „Das ist eine nette Geschichte“ – mit diesen Worten riß Frau Rat die Thür auf – „die Hochleitner ist krank geworden, die Friedrich nirgend zu finden! Ob du nicht den Psalm singen willst? lassen sie fragen – – als ob das so ginge! Wirst du’s können? Wenn du dich getraust, sollst du sofort in die Kirche kommen, läßt der Organist sagen, um noch einmal mit der Orgel zu proben.

„Wenn ich den Leuten aus der Verlegenheit helfen kann, sehr gern,“ sagte Aenne, nahm gelassen ihren weißen, mit Schwan besetzten Umhang vom Bett und folgte der Mutter.

„Ein Wagen steht drunten!“ rief die aufgeregte Frau. „Gott im Himmel – wenn du nun die Sache umwirfst – sag’s doch lieber ab, bedenke doch die Herrschaften, die zugegen sind!“ „Ich habe schon öfter vor ihnen gesungen,“ wandte Aenne ein.“ „Ja, nun ja! Aber wenn du plötzlich nicht weiter kannst, dann giebt’ s wieder eine Klatscherei, sie sagen womöglich, du habest aus Verzweiflung um den Heinz – –“

Aenne wandte sich nach ihrer Mutter um. „Ich werde nicht stecken bleiben,“ sagte sie kurz und hart, obgleich in ihrem Herzen die Zweifel stärker waren als je.

Im nächsten Augenblick saß sie in den Polstern des Hofwagens und rollte der Schloßkirche zu, die, dem Mittelbau des Schlosses angefügt, nach der Gartenseite zu lag. Ein wahres Kleinod der Spätgotik, gut erhalten und verständnisvoll restauriert, bildete sie so ziemlich die einzige Sehenswürdigkeit des Städtchens in künstlerischer Beziehung und wurde viel besucht von Architekten und Malern. Mit schlank aufstrebenden Säulen und herrlichen Spitzbogengewölben erschien sie wie ein Freiburger Münster im kleinen. Nur das Innere des Gotteshauses machte einen so günstigen Eindruck, denn das Portal war in späterer Zeit miteingebaut in das Schloß. Man passierte, um in die Kirche zu gelangen, die große Halle im Erdgeschoß des Mittelbaues; direkt von dem darüber befindlichen Festsaal konnte die herzogliche Familie sich in die für sie bestimmte Empore der Kirche, den sogenannten Fürstenstuhl, begeben.

Als Aenne durch die hohe Spitzbogenthür in den tief dämmerigen Raum trat – das matte Tageslicht vermochte kaum durch die gemalten Scheiben zu dringen – war das schöne Gotteshaus noch leer, nur um den reich mit Orangerie geschmückten Altar beschäftigten sich noch mehrere Diener, und mit geräuschloser Eile wurden Kerzen auf die riesigen Messingkronleuchter und die Kandelaber gesteckt. Der hohe Raum war ganz erfüllt von Blütenduft, dieser entstieg den mächtigen Orangenbäumen, deren Kübel mit den Landesfarben bemalt waren. Die gewundene Treppe herab von der Orgelempore kam dem jungen Mädchen mit allen Zeichen des Bangens der weißhaarige alte Organist entgegen. „Gott sei Lob, daß Sie da sind, Fräulein May! Stockheiser, die Hochleitner, und die Friedrich nicht zu finden, weder in ihrer Wohnung noch im Theater – der Himmel mag wissen, wo sie steckt! Haben Sie Furcht, Aenne?“

Er kannte das Mädchen wie sein eigen Kind. Ihre Stimme war schon manchmal von dort droben erklungen, als kleines Mädchen hatte Aenne schon beim Weihnachtsgottesdienst ihr helles Stimmchen in der Engelverkündigung erschallen lassen „Ehre sei Gott in der Höhe!“

„Wollen wir schnell einmal proben?“

„Wenn Sie es für nötig halten,“ antwortete sie, „mir ist der Psalm vertraut.“

„Wirklich? Mir fällt ein Stein vom Herzen! Sie kennen ganz genau die Stelle, wo Sie einzusetzen haben?“

„Ganz genau!“ Und sie lächelte ihn an, daß der alte verzweifelnde Mensch ordentlich wieder Farbe bekam. „Aengstigen Sie sich nur nicht,“ sprach sie tapfer, „ich mache Ihnen keine Schande.“

„Guten Tag, meine Damen! Die Hochleitner ist krank, Fräulein May hat die Freundlichkeit, uns auszuhelfen mit der Solopartie,“ wandte er sich an die versammelten weiblichen Mitglieder des städtischen Gesangvereins, dessen Direktor er war. Sie harrten auf der Empore vor der Orgel und keine einzige befand sich unter ihnen, die nicht das allerverblüffteste Gesicht machte, ob dieser Mitteilung.

Und Aenne, über deren jüngste Erlebnisse jede einzelne hergefallen war und sie nach Möglichkeit beschwatzt, bekrittelt und herabgewürdigt hatte, stand ruhig lächelnd da in ihrem weißen Kleidchen, wie eine sieggewohnte Primadonna. Wie viel Kraft sie dazu nötig hatte, das brauchte ja niemand zu wissen!

„Könntest du singen?“ fragte Fräulein Krause ihre Freundin Ida Sillig, „könntest du singen, wenn deine Liebe mit einer Andern getraut würde?“

Und die Andere meinte: „Wer weiß denn, ob’s wahr ist? Ich könnt’ nicht singen, ich würde entweder ohnmächtig, oder – ich“ Was sie thun würde, verschwieg sie, aber ihre Finger hatten sich gebogen, und ihre Augen funkelten vor Zorn bei dem bloßen Gedanken, daß ihr heimlich Angebeteter, der Provisor in des Vaters Apotheke, sich unterstehen könnte, ihr untreu zu werden.

Die Kerzen brannten jetzt, das Publikum wurde eingelassen. Seitwärts, unter dem Herzogsstuhl, war die Flügelthüre zu der Halle des Schlosses geöffnet, von welcher ein paar Stufen in die Kirche hinunterführten, die Lakaien posierten sich davor, der Weg bis zum Altar war mit roten dicken Teppichen belegt.

„Wird die Herzogin zugegen sein?“ wisperten die Damen.

Aenne gab Auskunft. Durchlaucht sei nicht wohl genug, der Medizinalrat schon in aller Frühe hinaufgeholt worden, die hohe Frau klage über Asthma.

Nun erdröhnten die Kirchenglocken über ihnen mächtig und laut, Heinz Kerkows Fest begann. In dem Gotteshaus war kein Platz leer geblieben. Aenne sah auch ihre Mutter und neben ihr Tante Emilie, die Aennes Einlaßkarte benutzt hatte, in einem altmodischen Crêpe-de-Chine-Tuch und ihrer besten Blondenhaube; der Vater, mit ein paar Orden geschmückt, saß hinter ihnen.

Plötzlich wurden alle Hälse lang, man mühte sich, seitwärts in den Eingang zum Schlosse zu blicken. Einige Lakaien traten nach vorn und stellten sich, Spalier bildend, zu den andern, dann kam die Hofdame Frau von Gruber in bordeauxroter mit Pelz verbrämter Sammetrobe, geführt von einem alten Herrn in Generalsuniform, einem Onkel der Braut, dann noch einige ältere Paare und ein blasses Mädchen im schlichten weißen Kleid am Arm eines älteren Kavaliers.

Aenne starrte teilnahmlos die Menschen an, wie sie langsam über den mit grünen Zweigen bestreuten Teppich dem Altar sich näherten. Und auf einmal zuckte sie zusammen und griff mit der Hand zum Herzen. Hinter ihr in jubelnden Tönen war die Orgel erbraust – das Brautpaar schritt die Stufen hinunter. Sie fühlte, wie ihr die Stirn feucht wurde, schwindelnd hielt sie sich an der Galerie des Chors, in dessen Mitte sie stand, und mit weit geöffneten Augen starrte sie hinab auf den Mann, an dessen Arm die in Spitzen, Atlas und Tüll gekleidete bräutliche Gestalt ging. Hatte sie sich zuviel zugetraut? Wie hilfesuchend irrten ihre Augen umher – sie trat zurück – „Fort! Fort!“ flüsterte sie.

Da trafen ihre Blicke die Augen einer alten Frau unten in dem Seitenschiff, die mit unsäglicher Bekümmernis zu ihr emporsah. [151] Sie hatte plötzlich die Kraft, sich aufzurichten, wieder vorzutreten. Mit fest zusammengepreßten Lippen sah sie die weiße Schleppe über den tiefroten Teppich gleiten, sah den Zug der Brautjungfern und Brautführer hinterher schreiten, und nun standen, den Rücken ihr zugewendet, die beiden am Altar vor dem Prediger.

„Ach, bleib’ mit deiner Gnade“ – brauste es hinter ihr, und Aennes Hände falteten sich auf der Brüstung, ihr Kopf hob sich, ihr Herzpochen ließ nach, aber ein paar große Tropfen rannen wie erlösend über ihre Wangen. Unter den Worten des Geistlichen wich das bittere, wehe Gefühl mehr und mehr, nur der Schmerz blieb, ein großer, stiller Schmerz um ihr verlornes Glück.

Endlich wurden die Ringe gewechselt, und das war der Augenblick, wo Aenne zu singen hatte. Leise begann die Orgel mit dem Chorgesang, und just in dem Augenblick, wo Heinz den funkelnden Ring an seinem Finger fühlte, da schwebte eine süße, innige Mädchenstimme durch den hohen Raum, eine Stimme, die ihm das Herz erzittern machte in Wonne und Weh.

„Halleluja! Seine Gnade ist groß!“

Aenne, Aenne sang ihm das Abschiedslied, das Lied der Verzeihung! Die Augen wurden ihm feucht, er biß die Zähne aufeinander, ach, er kannte so jede Modulation der geliebten, herrlichen Stimme, er hörte ihre emporquellenden Thränen heraus, ihr armes, blutendes Herz. – Wenn er nie gewußt hätte, daß sie ihn liebte, jetzt sang sie ihm die Wahrheit in seine Seele. –

Ach, sie hätte es nicht thun dürfen! Was wollte sie, indem sie zu dieser Stunde sich so singend, so groß in sein Denken drängte? Sich rächen für seine Untreue?

„Er segne eure Pfade und führe euch sanft immerdar!“

tönte es in sein Ohr. Ueberirdisch, wie Himmelsgesang klang die Stimme aus der Höhe.

Die Rätin beugte sich plötzlich tief herab auf ihr Gesangbuch und weinte, Tante Emilie sah starr zu dem Mädchen empor; engelhaft hob sich ihre weiße Gestalt dort ab aus dem Halbdunkel.

Nun trat Aenne zurück, der Chor fiel ein, und sie sank auf die kleine Bank neben der Orgel. Niemand achtete auf sie. Als der Segen gesprochen, der letzte Vers des Chorals gesungen war, schlich sie stumm hinunter. Der Wagen, der sie gebracht, fuhr auf den Wink des Portiers vor und in fluchtartiger Eile schlüpfte sie hinein. Zu Hause angelangt, floh sie in ihre Stube und riegelte hinter sich zu – nur niemand sehen, niemand hören!

Eine gute halbe Stunde später kehrten die Ihrigen zurück. Man pochte an ihre Thür, sie solle zu Tische kommen. Nach ein paar Minuten trat sie in die Eßstube, wo Vater, Mutter und Tante bereits saßen. Sie hatte sich umgezogen.

Der Vater, der sonst sehr karg war mit Lob, streckte ihr die Hand entgegen. „Du hast schön gesungen, Aenne,“ lobte er.

Die Mutter, welche die Suppenkelle bereits schwang, nickte ihr zu. „Besser hätt’s die Hochleitner auch nicht gemacht. Der Organist will noch kommen, um sich zu bedanken.“

Aenne sah sie freundlich an. „Das ist mir lieb, daß es euch gefallen hat, denn im Anschluß daran will ich euch um etwas bitten. Nachher,“ rief sie, „eßt doch nur erst, so eilig ist’s nicht!“

„Gelt,“ sagte Frau Rätin, „wieder neue Rosen? – Da wirst du schon ein paar Mark herausrücken müssen, May.“

„Ein paar Mark?“ wiederholte Aenne, und etwas wie Erschrecken überkam sie; sie war doch im Begriff, furchtbar viel zu fordern.

„Warum ißt du denn nicht?“ fragte die Mutter.

„Sei nicht böse, Mama, ich kann nicht!“ bat sie.

„Du siehst ganz aufgeregt aus – gibt’s denn so was Wichtiges?“

„Ja!“ gab sie tonlos zurück.

Die einfache Mahlzeit war bald beendet. „Na, dann schütte dein Herz aus,“ sagte der Medizinalrat freundlich. „Kann ich mit dir zuerst allein sprechen, Papa?“ „Das klingt ja schrecklich geheimnisvoll! Na, da komm’ mit!“ Aenne folgte ihm, holte ihm Cigarrenetui und Spitze und strich das Zündhölzchen an. Als er die ersten Züge that. trat sie vor ihn. Ihre zitternden Finger hatten sich ineinander gewunden, ihre vor Erregung weit geöffneten Augen hefteten sich in die seinen. „Lieber Papa, ich wollte dich bitten – erlaube mir, daß ich mich zur Sängerin ausbilde.

Er sah sie unangenehm überrascht an. „Mein Gott, du singst ja schon ganz nett,“ murmelte er.

„Aber nicht so, wie es nötig wäre, um es berufsmäßig – –?“ „Na, höre – berufsmäßig! Was ist denn das für ein Beruf? – Du hast doch nicht etwa die Idee, zur Bühne gehen zu wollen?“ „Nicht eigentlich, Papa, ich möchte Konzert- und Kirchensängerin werden, und auch Lehrerin, antwortete sie. „Wie kommst du denn darauf?“ „Ich möchte eine Lebensaufgabe, einen Beruf haben, Papa.“ „Gefällt’s dir denn so gar nicht mehr bei uns?“ „Doch, Papa – ach doch! Aber ich bin so überflüssig, ich möchte hinaus, nützen möcht’ ich, leben –“

„Du hast einen so schönen Lebenszweck von dir gestoßen. Sie preßte die Hände gegen die zuckenden Lippen. „Ich konnte nicht,“ flüsterte sie, „gewiß nicht, Papa!“ „Und wie denkst du dir denn das eigentlich? „Ich müßte nach Berlin oder Dresden gehen und studieren „Und woher soll ich das Geld nehmen für dieses teuere Studium?“

In diesem Augenblick trat Frau Rat ein, ihre Blicke flogen von Aenne zu ihrem Manne, sie sah, es ging um etwas Ernstes. „Na, was wird denn hier verhandelt?“ fragte sie, neben ihren Gatten tretend.

Herr Rat räusperte sich. „Aenne will Musik studieren, in Dresden,“ sagte er ruhig.

Frau Rat lachte kurz auf, dann ward sie still unter dem Blick ihres Kindes.

„Ich bin nicht in der Lage, dir das Studium zu ermöglichen,“ fuhr der Medizinalrat fort.

„Aber – Walther studiert doch auch, und Robert –“ wandte Aenne ein.

„Schwatz’ doch nicht solches Blech,“ fuhr die Mutter sie an, „Walther ist ein Junge, und –“

„Und wenn ich nun ebenfalls ein Junge wäre,“ unterbrach das Mädchen, „müßte ich dann auch hier sitzen, thatenlos, ohne Zweck und Ziel? Wäre dann auch nichts für mich da?“

„Du bist aber eben kein Junge, damit beruhige dich!“ rief die Rätin streng. „Sei doch froh, daß du deine Eltern noch hast und nicht hinaus brauchst in die Fremde!“

„Ich soll nichts thun, nichts lernen?“

„Nichts thun? Genug ist zu thun, Kochen, Flicken, Staub wischen, deine Mutter pflegen –“

„Aber Mama, dazu seid ihr schon drei mit dem Mädchen! Es ist ja ein furchtbares Faulenzerleben, zu dem ihr mich verdammt!“

„Die meisten Mädchen leben bis zu ihrer Hochzeit so, du bist auf der Welt zum Nutzen, zur Freude deiner Eltern, und um später die Frau eines braven Mannes zu werden – basta! Nun red’ nicht mehr davon!

„Nützen thu’ ich nichts, und freuen könnt ihr euch doch nur, wenn ich glücklich und froh bin,“ wendete Aenne ein, „und das kann ich nur sein, wenn ich frische, mir zusagende Arbeit habe, und Mama – verheiraten werde ich mich nie!“

Frau Rat öffnete bereits den Mund zu einer neuen gereizten Antwort, der Zorn flackerte ihr rot über das Gesicht, der Rat aber wehrte ihr, indem er ihr leise die Hand auf die Schulter legte. „Kind,“ sagte er, „wir wollen das Gespräch nicht fortsetzen, es wär’ verlorne Müh’ – ich habe die Mittel nicht.“

„Dann muß ich sehen, wie ich allein durchkomme,“ erklärte sie finster, sich zum Gehen wendend.

„Aenne!“ rief die Rätin, außer sich über den Trotz des Mädchens, und hielt sie am Aermel fest, „bist du denn ganz von Gott verlassen? Wer hat dir nur so verrückte Ideen in den Kopf gesetzt?“

Sie machte sich ruhig los, nur einen großen schmerzlichen Blick gönnte sie der erregten Frau. „Laß doch, Mama, ihr könnt oder wollt mich nicht verstehen, ich weiß wirklich nicht, was ich noch hier zu thun hätte.

„Woher soll denn dein Vater das Geld nehmen?“ schrie, ganz außer sich, die Mutter, „hast du denn gar keine Einsicht?“

„Doch! Ich verstehe es – da ich nur ein Mädchen bin, habe ich kein Rechte, etwas zu fordern; hieße ich Kunz oder Hans, so wäre es da,“ antwortete sie. „Ich will mich bemühen, mit dieser hergebrachten Ungerechtigkeit fertig zu werden.“

Sie ging hinaus, setzte sich in der sogenannten „guten Stube“ ans Fenster und lächelte bitter vor sich hin. Die Flittergoldfahne des Tannenbaumes inmitten der Tafel rauschte leise, [152] süßer harziger Weihnachtsduft umwehte sie. Sonst war dies alles so reizend, so traut gewesen, hatte sie sich denn nur allein verwandelt? Sie strich sich über die Stirn. Nein, sie konnte so nicht weiter leben, denn sie war nicht mehr das harmlose Kind früherer Tage. Hier in Breitenfels bleiben, bedeutete für sie das Absterben aller Lebenskraft; das Dasein drückte mit Bleigewichten auf sie. Die erregte Stimme der Mutter drang ein paarmal bis hier herüber – hatte sie ihren Eltern wirklich so wehgethan mit dem Wunsch, ihr Talent auszunutzen?

Sie hatte gewußt, daß sie gegen die herkömmlichen Ansichten verstieß, denen zufolge die Tochter still im Hause sitzen muß, wartend, bis irgend ein Mann kommt, der sie begehrt. „Es ist doch geradezu entwürdigend,“ flüsterte sie. Und ihretwegen mochten zwanzig kommen, sie würde doch keinen lieben können, denn den einen würde, sie nie vergessen – nie!

Sie wollte an die Herzogin schreiben, sie um eine Unterstützung bitten; wie viele studieren von solchen Stipendien! Ob sie es aber geben würde, die alte Dame? Morgen gehe ich zur Frau von Gruber,“ entschied sie, „und melde mich zur Audienz.“

Drüben schlug heftig eine Thür; Frau Rat kam durch den Flur und trat ins Zimmer, heiß geweint, dunkelrot. Als sie die Tochter so still dasitzen sah, wendete sie sich kurz ab und ging wieder hinaus. Ihre Tritte verloren sich in der Küche. „Undankbares Geschöpf!“ hatte sie beim Weggehen vor sich hin gemurmelt.

Aenne blieb allein mit ihrem bittern Lächeln. Nach einer Stunde etwa erschien Tante Emilie, ihr altes gutes Gesicht leuchtete wehmütig durch die sinkende Dämmerung.

Das Mädchen erhob sich. „Hier, Tante!“

„Komme doch doch ’mal herüber zu deinem Papa!“

Sie ging mit der alten Dame hinüber.

„Wir haben noch weiter überlegt,“ begann der Medizinalrat, „und ich will dir gern zugestehen, daß dir nach den jüngsten Ereignissen eine Veränderung wünschenswert sein muß. Anderseits glaube ich, daß du, wie hundert andere Menschen, das Gute erst schätzen lernen wirst, wenn du es verloren hast. Du weißt jetzt offenbar nicht, wie gut es dir geht, wie geschützt, wie gehegt und geliebt du bist –“ Er hielt inne, er war so bewegt, daß er nicht weiter reden konnte.

„Papa,“ flüsterte sie an seiner Schulter, „ich weiß ja alles, ich bin euch so dankbar – –. Wenn ihr alt und kränklich wäret, ich wiche keinen Schritt von euch, aber ihr seid verhältnismäßig jung und rüstig – soll ich denn meine Kräfte so ungenutzt lassen? Und wenn ich sie nie geübt und nie gelernt habe, auf eigenen Füßen zu stehen, wie soll es dereinst werden, wenn ihr von mir geht? Du kannst mir nichts hinterlassen, sagst du – soll ich als schwere Last die Schultern meiner Brüder drücken? Und abgesehen von allem, gönnt mir doch auch das beglückende Gefühl, mein Talent zu verwerten, mein Leben auf meine Weise zu gestalten!“

„Das klingt alles sehr schön in der Theorie, die Praxis ist anders, Kind! Du kennst das Leben nicht, du versprichst dir goldene Berge und wirst nichts als Mühe und Hindernisse finden.“

Sie reckte ihre schlanke junge Gestalt. „Ich habe Kräfte, Papa.“

„Du wirst mit gebrochenen Flügeln heimkehren, aber – wie du willst!“

„Ja?“ schrie, sie.

Er wehrte ihrer Umarmung. „Ich will nicht die Vorwürfe dereinst hören, du habest dein Leben verfehlt, also, ich gebe dir ungern, sehr ungern meine Einwilligung, eine Probe da draußen mit deinem Talent zu machen. Und weiter kann ich dir nichts geben als das Versprechen, daß wenn du müde und enttäuscht heimkehrst, du hier immer die alte Liebe und Treue finden sollst!“

Aenne stand ganz verständnislos, die Arme waren ihr heruntergesunken. „Ich danke dir,“ murmelte sie, „es ist schon sehr viel, deine Erlaubnis, Papa, zu dieser Probe, die Versicherung, daß sich jederzeit wiederkommen darf – aber davon –“

Da trippelte Tante Emilie zu ihr heran. „Ich hab’ dem Vater gesagt,“ begann sie verschämt, „ob ich in Dresden oder hier meine paar Groschen verzehre, ’s ist ja gleich und – allein kannst du doch nicht –. Für die Stunden – na, mein Gott, wie lang’ werd’ ich denn noch leben? – Die kleine Hypothek in Königsberg, die kündige ich, das wird ja wohl langen.“

Das Mädchen lag plötzlich schluchzend der alten Frau an der Brust. „Ach du – du!“ rief sie.

„Geh’ zur Mutter, sag’ ihr ein gutes Wort! Meinst du denn nicht, daß es ihr ans Herz greift, wenn ein Kind sich losreißen will von ihr?“

Und Aenne taumelte hinaus und fand die Mutter auf ihrem Bett sitzend in sich zusammengesunken, mit zornigen Augen.

„Hast’s durchgesetzt?“ fragte sie.

„Mama,“ rief Aenne niederknieend, „sage doch nur ein gutes Wort – du weißt ja nicht, ach, du weißt ja gar nicht –“

„Was ist denn da zu sagen? Anstatt daß ich dich, als glückliche Frau sehe, willst du umherziehen und die Leute amüsieren! Und anstatt der Enkel – na, bringst du, wenn’s Glück gut ist, mir einen verwelkten Lorbeerkranz mit ins Haus!“

„Aber – die Brüder, wenn die heiraten, dann –“

„Ach, das sind keine Tochterkinder – Tochterkinder sind die richtigen Enkel! Und wenn man alt und wacklig wird und vielleicht Witwe, dann ist’s mir nicht vergönnt, eine Zuflucht in deinem Hause zu finden, kann deine Kinder nicht auf den Schoß nehmen, sondern werde von Fremden herumgestoßen, und es ist noch eine große Gnade Gottes, wenn du Zeit findest, bei meinem Begräbnis zu sein!“

„Aber Mama,“ sagte Aenne, „jeden Augenblick, wenn du mich brauchst, bin ich da.“

„Ich seh’ ’s schon! Wenn eine selbst nicht weiß, wie’s einer Mutter ums Herz ist, dann fehlt die rechte Liebe! Und das ist meine einzige Tochter!“

Aenne stand auf. Sie kannte die wenig logischen Anschauungen der grundguten aber heftigen Frau. Sie streichelte ihr leise über das Haar, wie sie früher gethan, und legte ihre Stirn gegen die der Mutter. „Komm’,“ bat sie, „sei lieb zu mir, es thut dir sonst schrecklich leid, wenn ich fort bin.“

Da brach die Frau in Thränen aus und hielt ihr Kind auf dem Schoße. „Wenn die Emilie nicht mitginge, es wäre mein Tod!“ schluchzte sie. „Und nun laß mich allein und sage dem Vater, er soll zu mir kommen – ich mag jetzt mit keinem andern Menschen reden!“


Aenne umarmte noch einmal Tante Emilie, dann schlich sie leise aus dem Hause; es zog sie zu Fräulein Hochleitner. Als sie – des hohen Schnees wegen mußte sie durch die Stadt gehen – die Hauptstraße hinunterschritt, die todeseinsam und verschlafen wie immer lag, kam ein Schlitten mit hellem Schellengeläute hinter ihr drein. Es war schon Zwielicht, aber Aennes erschreckte junge Augen sahen deutlich, ach, so deutlich! – Sie wich zur Seite, da jagten die herrlichen Rappen an ihr vorüber, vom Kutsche in russischer Pelztracht gelenkt, das zierliche Gefährt ungestüm mit sich reißend.

Aenne stand regungslos. – Neben der dichtverschleierten Frauengestalt im grauen Mantel mit riesigem weißen Pelzkragen saß Heinz Kerkow. Das junge Paar flog vereint in die Welt hinaus. Ihr war es, als habe der Mann sich vorgebeugt, um sich zu überzeugen, ob sie wirklich, dastehe. Aber er grüßte nicht.

Nun fuhren sie nach der Bahnstation, und Aenne ging weiter, den Kopf, gesenkt, als trüge sie plötzlich eine schwere Last auf den Schultern. Was sie noch eben aufrecht und stolz dahingehen ließ, der Sieg, den sie über die Vorurteile der Eltern errungen, die beglückende Zuversicht, nur sich selbst dereinst eine Stellung im Leben zu verdanken, fiel von ihr ab angesichts des geliebten Mannes, der im engen Schlitten mit ihr seinem Glücke entgegenfuhr – unendlich selig, wie Aenne meinte. Ein starker, brennender Schmerz, eine heftige Eifersucht überfiel sie; heute nachmittag hatte sie dies nicht gefühlt, als sie die beiden vor dem Altar gesehen, jetzt aber, wo das Gefährt mit ihnen in den herabsinkenden Dunst und Nebel des Winterabends hineinfuhr, schüttelte es sie förmlich.

Das war ja doch das einzige, das wahre Glück, was dort vor ihren Augen entschwand, alles andere lohnte nicht, war nicht des Lebens wert. Wozu denn lernen – wozu überhaupt, weiter leben? Sie verspürte plötzlich Lust, in den verschneiten Wald hineinzulaufen, sich dort unter irgend einem Baum niederzuhocken, um im Frost und Schnee einzuschlafen und nie wieder zu erwachen.

Schwerfällig wandte sie sich um und schlug die Richtung nach dem Schloßpark ein, sie mochte selbst Fräulein Hochleitner

[153]

W. Heimburg in ihrem Arbeitszimmer.
Nach dem Leben gezeichnet von W. Claudius.

[154] nicht sehen. Aber sie kam nur bis zum Eingang des Parkes, da rief eine helle wohlbekannte Stimme ihr nach:

„Is dös ä recht; mi so wart’n z’ lass’n? I lauf hier herum wie a Eichkatzerl im Käfig und schau nach Ihn’n aus, derweil hab’n’s net a mal d’ Absicht g’habt, mit mir z’ red’n? Na, aber sag’n S’ g’schwind, was meinen die Herrn Eltern zu Ihr’m Plan?“

Fräulein Hochleitner in Kapuze und Pelzmantel stand neben ihr, und unter dem Schleier lachten die braunen Augen erwartungsvoll.

„Brav hab’n S’ g’sungen heut’ mittag,“ fuhr sie fort, als Aenne ihr stumm die Hand gab, „beinah’ hätt i a bisserl g’want. – I hab’ alles g’hört. Aber kommen S’, Kind, gehn wir a Stückerl weiter, damit die arme heisere Schannet von niemand g’seh’n wird. Herr Gott, war dös heut’ früh a Hetz,’ als i sag’n ließ, i sei heiser wie a alt’s verschnupft’s Werkl! Und die kleine Friedrich hat gelacht, rein auseinander sin wir g’wes’n vor Vergnüg’n. Die Friedrich ham ’s gesucht wie a Naderl und derweil hat’s in meiner Schlafstub’ g’sess’n und an Eierpunsch trunk’n, und i hab’ endli mit Müh’ und Not krächzt: ,Die Fräul’n May singt doch a ganz rechtschaffen, frag’n S’ halt bei der an.’ Na, und wie mir glaubt ham, alles is in der Kirch’, da san mir zwa a hin gang’n, ganz in a Eckerl druckt, ham ma zug’hört. Brav war’s, schön war’s, Fräul’n Aenne, gratulier’ Ihn’n herzli.“

Aenne dankte kleinlaut.

„Na, und ’s Vatterl und Mutterl, und die Frau Tant’?“

„Sie haben mir erlaubt, einen Versuch zu machen; nach Neujahr gehe ich nach Dresden. Fräulein Hochleitner – ich wollte auch eben zu Ihnen, um zu danken, aber ich war so traurig!“

„Man hat Ihn’n ’s Herzerl halt schwer g’macht, dös kenn i alles, anders thun’s die Alten net, und dös will überwund’n sein; sind aber ganz gesunde Schmerz’n, man kann halt net ewig am Rock vom Mutterl häng’n.“

Sie gingen in der breiten Allee längs des Schloßteiches dahin; öde und dunkel war’s ringsum, ein kalter Wind trieb ihnen entgegen und kräuselte die dünne Wasserschicht des Teiches, die das Tauwetter über dem Eise geschaffen.

„Dös is nichts für mein’ Heiserkeit,“ lachte Fräulein Hochleitner, „dreh’n ma um und suchen a geschützte Stell’, wo wir Abschied nehm’n können. Morgen mittag geht’s heim.“

Als sie sich wandten, lag hoch über ihnen das Schloß mit seinen erleuchteten Fensterreihen, die hochzeitsfestlich in die Dunkelheit strahlten. „Warum san S’ so trauri?“ fragte Jeanette Hochleitner endlich. „Sie überleg’n wohl, ob S’ Heimweh bekomm’n wer’n drauß’n in Sachsen – nach Breitenfels? ’´ Oder lass’n S’ gar was Lieb’s z’rück! hier – i mein’ – – Sie versteh’n schon – etwas hoffnungslos Lieb’s?“

Aenne wandte den Köpf. „Aber ich bitte Sie,“ sagte sie verletzt.

„I hab’ g’meint, i hätt’ so was aus Ihrer Stimm’ g’hört,“ fuhr die Sängerin fort. „Aber seh’n S’, Fräul’n Annerl, für so Herzensg’schicht’n, da is die Kunst das beste Heilmittel, unsere große herrliche Kunst! Ach, sich so recht alle Qual und alles Leid, von der Seel’ sing’n, dös is gut, dös is groß, macht leicht! Und glauben S’ mir, die nur kann so recht sing’n, so daß die Herzen der Menschen erzittern und die Aug’n übergeh’n, die so a hamliche tiefe Herzenswund’n hat. Mein Lehrer in Wien, der hat oftmals zu mir g’sagt, wie i frisch von Innsbruck hinkommen bin mit mei’m dummen unschuldigen Kinderg’müt. ,Schani,’ hat er g’sagt, ,i wollt’, Sie verliebten sich mal so recht unglückli, daß S’ glei meinen, am best’n wär’s in der Donau drunt’n, dann sollt’n S’ mal sehn, was S’ mach’n könnt’n mit Ihrer Mordsstimm’; jetzt sing’n S’ halt allweil z’ kalt, ’s g’friert a’m orndli – – Na, dös ist denn a net ausblieb’n, und g’rad’ da is er dann z’fried’n g’wes’n, wie i g’meint hab’, i könnt’ halt vor Thränen kan Ton aus der Kehl’ würgen. Und wie i auftret’n bin, is so blieb’n. Wenn mir am weh’sten ums Herz is, da kann i am best’n sing’n, und da is ’s Publikum am bravsten, ach – und dös thut wohl, wenn’s klatsch’n und ruf’n, dös is a Hochgefühl! Werden’s a erleb’n!

Aber,“ fuhr sie fort, „Sie müss’n mi net falsch versteh’n, Fräul’n Annerl, seiner Trauer, sein’m Gram darf ma net z’viel nachgeb’n – die Kunst ist a eifersüchtig’s Weiberl, die will uns ganz, die verlangt d’n Menschen mit Haut und Haar, sonst rächt sie sich, ’s is a ernste Sach’ um d’ Kunst, auch auf’m Theater, und was dem liab’n Publikum drunt’n so leicht und natürli vorkommt, is oft recht schwer und muß durch viel Fleiß und Studier’n errung’n werd’n trotz allem Talent. Und nun nichts für ungut! Net wahr? I mein’s von Herzen gut und es war mir a Freud’, Sie kenneng’lernt z’ hab’n, und i hoff’, wir sehn uns no ’mal wieder im spätern Leb’n, i hoff’s sicher; und wenn von Ihn’n d’ erste glänzende Kritik in den Blättern steht, da giebt’s halt keine, die sich mehr freut als i. Und nun leb’n S’ wohl, lieb’s Annerl, Ham S’ Dank für jede Freundlichkeit, die S’ mir erwies’n hab’n.“

Sie zog das Mädchen an sich und küßte es herzlich. „Viel Glück – und wenn S’ amal Zeit ham, schreib’n S’ an mi von Dresden aus. B’hüt’ Ihn’n Gott!“

Aenne stand plötzlich am Ausgange des Schloßgartens allein in der Dunkelheit. Die Thränen rannen ihr über das Gesicht, sie fühlte sich zum Sterben unglücklich. Sie hatte nicht die Spur von Mut in diesem Augenblick, und wenn jetzt, die Mutter ihr an der Schwelle des Hauses entgegentreten würde und sagte: „Bleib’ doch bei mir, Kind, was willst du denn draußen? Die Welt ist öde und weit, und wir haben dich lieb,“ sie würde mit einem Aufschrei der Erlösung an ihre Brust sinken und rufen: „Ja! ja! ich bleibe, ich habe Angst vor dem unbekannten Leben!“

Langsam ging sie auf dem Wege hin, dann beschleunigte sie plötzlich ihre Schritte – hinter ihr erklang Gelächter, Säbelklirren, Sprechen, es schien ein ganzer Trupp Offiziere zu sein, die von dem Hochzeitsdiner kamen. Sie schritt rascher vorwärts, konnte es aber nicht verhindern, daß ein Teil des Gespräches in ihre Ohren drang.

„Was soll man nun um Gotteswillen anfangen den langen Abend in diesem Wurstneste?“ fragte einer.

„Wenn wenigstens Theater wäre,“ meinte ein anderer.

„Ja, Donnerwetter,“ näselte eine hohe Stimme, „laden wir doch die Damen ein, die Hochleitner und die kleine Friedrich.“

„Dann schlage ich vor, Selden, daß du dem Fräulein Hochleitner die Einladung überbringst.“

„Warum denn?“

„Weil du trotz deiner engen Lackstiefel die Treppe verdammt geschwind wieder herunterkommen würdest – die versteht keinen Spaß!“

„Na, denn nicht, dann einen Skat –“

„Und ein Glas Punsch –“

„Trinken wir auf das Wohl der schönen jungen Frau!“

„Boshafter Mensch!“

„Nee, dieser Kerkow!“ begann ein anderer, „’s ist rein unbegreiflich – der Kerl muß vor lauter Langerweile auf diese Kateridee gekommen sein. Uebrigens, wer war das hübsche Mädchen, die ihn ins Elend hineingesungen hat?“

„Das ist die Tochter vom Leibarzt. Hübsch, was?“

„Aber keinen Dreier,“ kam es gelassen von den Lippen eines andern, „sonst hätte der Kerkow heute nicht die Geschmacklosigkeit verbrochen! Ich weiß ja nicht, ob’s wahr ist, man sagt aber – –“

Das andere verhallte undeutlich, denn Aenne eilte, vom Weg abbiegend, wie gejagt durch den tiefen Schnee des Platzes zu ihrer väterlichen Wohnung hinüber. An der Treppe, die zur Hausthür emporführte, blieb sie tief atmend stehen, den Kopf stolz in den Nacken gebogen, und in den Augen funkelten zornig ein paar Thränen. Es war die höchste Zeit, daß sie hinausging aus Breitenfels, um sich selbst wiederzufinden in heißer, treuer Arbeit, in begeistertem Streben. Sie wollte beweisen, daß ein Mädchen, auch ohne einen Dreier zu besitzen, noch etwas gelten kann in der Welt. – In diesem Augenblick wollte sie eine Patti werden!

Sie trat in den Hausflur; Tante Emilie schien gewartet zu haben, sie machte ein Zeichen, daß Aenne leise reden solle, und flüsterte ihr zu: „Sprich nicht mehr heute abend mit der Mutter, sie hat sich zu Bette gelegt und trinkt Baldrianthee, und Vater ist eben zur Herzogin gerufen, es soll ihr nicht gut gehen.“

„Und die Brüder?“

„Sind noch nicht daheim, Kind; wollt’ auch, sie kämen noch nicht, denn, siehst du, da hat’s auch gestern was gegeben.“

Sie waren flüsternd in die Eßstube getreten, wo der Tisch [155] gedeckt stand mit ein paar einfachen kalten Schüsseln. Tante Emilie kam dem Mädchen ganz nahe. „Der Große“ – das war der Lieutenant – „hat Schulden!“ wisperte sie.

Aenne erschrak: und sie war auch noch gekommen mit ihren Forderungen!

„Ich habe sonst immer ausgeholfen,“ flüsterte die alte, treue Seele weiter, „aber diesmal ging’s doch nicht; ich wußte ja bestimmt, daß du von hier fort wolltest, und hatte mir gleich vorgenommen – da gehst du mit, da hilfst du ihr, wenn sie dich auch gar nicht mehr lieb hat und gar nichts mehr von dir wissen wollte in der letzten Zeit!“

Sie konnte nicht weiter sprechen, denn des Mädchens Mund preßte sich fest auf ihre Lippen – eine wortlose Bitte um Verzeihung.

(Fortsetzung folgt.)




 Märzensonne.

Im Märzen, wenn es heimlich lenzt,
Da ist’s ein gutes Schreiten!
Der Himmel lacht, die Erde glänzt
In jungen Seligkeiten.

Es fließen durch die ganze Welt
Der Hoffnung gold’ne Wogen,
Schon ist vom Saatengrün das Feld
Sanftschimmernd überzogen.

Frau Sonne nickt dir zu vertraut:
„Wie steht es mit uns zweien?“
Dir ist es g’rad, als müßtest laut
Ins Blaue du juchheien.

Was du, des Winters übersatt,
An Leid hast tragen müssen –
Vorüber! – jedes grüne Blatt
Möchtest du küssen, küssen!

Das Auge blitzt, es wallt das Blut
In übermüt’ger Wonne –
Ach, keine Sonne kos’t so gut
Als wie die Märzensonne!
 F. Vochazer.




Ein Brief über W. Heimburg.
(Mit dem Bilde S. 153.)
Dresden, Februar 1897. 

 Meine liebe junge Freundin!

Als Sie Ihre Fragen über Wilhelmine Heimburgs Leben und Ergehen an mich richteten statt an die gefeierte Schriftstellerin selbst, war es Ihnen gewiß bekannt, wie sehr diese mit Briefen aus ihrem Leserkreis überschüttet wird - so sehr, daß es ihr, die nie gern einen Dank oder Gruß schuldig bleibt, doch unmöglich ist, sämtliche Zuschriften zu beantworten, die aus allen Gauen Deutschlands und Oesterreichs ihr zuströmen. Selten vergeht ein Tag, der nicht ein Zeichen der Liebe und Verehrung bringt, und zumal in der Weihnachtszeit hat der Postbote nicht wenig zu tragen an den Päckchen, die Spenden verschiedenster Art, oft von ihr ganz unbekannten Gebern, enthalten. Ob künstlerisch gestaltet oder von schlichtem Fleiß hergestellt, sind sie der Empfängerin alle gleich lieb als Beweis jenes sympathischen Bandes, das ihre Leser mit ihr verbindet.

Wie sehr W. Heimburg (ihr Familienname ist Bertha Behrens) auch im Ausland bekannt und geschätzt ist, geht aus den zahlreichen Uebersetzungen ihrer Schriften hervor. In fast allen europäische Sprachen sind ihre Romane und Novellen teils in Gesamt-, teils in Einzelausgaben erschienen, zuletzt im Czechischen. Diese Verbreitung spricht wohl am beredtesten dafür, daß diesen liebenswürdigen Erzählungen ein Zauber innewohnt, der allüberall sich unmittelbar die Herzen erobert. Und fragt man sich, worauf derselbe beruht, so staunt man über die Einfachheit der Mittel. Gerade die Schlichtheit, die anspruchslose Natürlichkeit ist es, die diesen Zauber ausübt. Die Tiefe des Empfindens, das zarte Verständnis für das Gefühlsleben, vereint mit einer glücklichen Beobachtungsgabe, verleihen ihren Büchern einen ungewöhnlichen Reiz. Ihre Schilderungen, zumal von Frauenschicksalen und alledem, was die Kraft des weiblichen Charakters ausmacht, der Treue, der Hingabe, der Aufopferung haben sie zu der heute wohl gelesensten Erzählerin am deutschen Familientisch gemacht. Wie fein sind in ihren Romanen und Novellen die Herzensfäden gesponnen! Und doch wie frei sind sie von übertriebener Empfindsamkeit, vor welcher die Verfasserin ein frischer Zug von Schalkhaftigkeit und Humor bewahrt! Gesund und natürlich sprudelt der Quell ihrer Erfindungsgabe und ebenso fließend und ungezwungen ist ihre Sprache, fern von effekthaschenden Stil- und Geschmacklosigkeiten, wie sie in neuester Zeit fast zur Mode werden. Die Wärme des Tons, die Unmittelbarkeit der Stimmung, die zumal manche ihrer Novellen zu wahren Kabinettstücken machen, zeigen W. Heimburg als eine Dichternatur, die auch dem feinfühligsten Leser viel zu geben versteht.

Doch, was erzähle ich Ihnen da! Alles dies ist schon oft und von berufenerer Feder gesagt worden. Wie soll man aber von W. Heimburg sprechen, ohne auf ihre Bücher einzugehen? Nicht nur, daß ihr Wesen sich in den Hauptvorzügen derselben fast durchsichtig spiegelt – nein, ihre schriftstellerische Arbeit macht auch den Hauptinhalt ihres Lebens aus. Aus ihr schöpft sie die beste Befriedigung. Das Talent, das eine gütige Fee ihr mitgegeben, ist der Sonnenstrahl, der ihr Dasein erhellt, vergoldet und beleuchtet. Ob sie in ländlicher Stille, wie früher in dem Giebelstübchen des Elternhauses, arbeitet oder wie jetzt in dem unruhigen Treiben der Großstadt, wo an Stelle des patriarchalischen Kachelofens ein moderner „Amerikaner“ Wärme verbreitet – überall trägt ihre Phantasie sie hinaus über die engen Grenzen des eigenen Lebens und läßt sie in Sinnen und Schaffen innerlich eine weite, reichbewegte Welt erleben.

Mit zagen Schritten betrat sie vor über zwanzig Jahren die Schriftstellerlaufbahn. Ihre erste Novelle „Melanie“ legte sie unter den Christbaum als Weihnachtsarbeit für ihren Vater. Dieser, selbst auf literarischem Gebiete thätig, so weit es sein zeitraubender ärztlicher Beruf erlaubte, entdeckte mit sicherm Blick die Begabung seines Töchterchens, und trotz deren Bedenken sandte er das Manuskript an die Frauenzeitung „Victoria“. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten und ebensowenig das Honorar. Fünfundsiebzig Mark selbsterworben! Der jungen Autorin, die eben mit der Notenmappe aus der Musikstunde heimkehrte, schien es ein Kapital! Die Frage, ob dasselbe zum Ankauf eines Schreibtisches verwendet werden solle oder lieber zu etwas prosaischerem, wurde eifrig erwogen, aber man entschloß sich für das erstere. Mit welchem Selbstvertrauen konnte man sich zu neuem Schaffen an den eigenen Schreibtisch niedersetzen, und in der That führte ein glücklicher Stern das junge Mädchen von den kleineren bald zu größeren Erfolgen. Trübe Schatten hatten sich auf ihr Leben gesenkt und die tieferen Saiten ihres Wesens erklingen lassen. Nach schwerem Leid war sie in längere Krankheit verfallen und in dem Geiste der Genesenden erwachten wie zum Trost die Gestalten des Buches, das bestimmt war, ihren Ruf dauernd zu begründen. Während ihren spätern Romanen selten oder nie Vorgänge aus der Wirklichkeit zu Grunde liegen, war es hier doch ein äußerer Anlaß, an den ihre schöpferische Phantasie anknüpfte. Sie erinnerte sich, wie ihre Blicke, aus dem bescheidenen Mädchenstübchen ins Freie schweifend, stets an dem Fenster gegenüber in der engen Straße haften geblieben waren. Dort wohnte ein altes Fräulein, das nur von Erinnerungen zu leben schien, denn nichts trat verschönend in ihr Leben als Gesang und Spiel, womit die Einsame sich die Zeit vertrieb. Zuweilen näherte sie sich dem Fenster und dann sah W. Heimburg in welke, müde Züge, durch ein reiches inneres Leben seltsam vergeistigt. Bald tauschten die Nachbarinnen einen gelegentlichen Gruß aus, und gewiß ahnte die ältere von den beiden nicht, daß ihre Begegnung in der jüngeren den Keim zu der ergreifenden Erzählung weckte, die [156] unter dem Namen „Aus dem Leben meiner alten Freundin“ von dem Städtchen in der Altmark, wo W. Heimburg damals lebte, einen weiten Flug in die Welt nehmen sollte. Nicht gleich fand dies Buch die rechte Würdigung. Die „Gartenlaube“ schickte das Manuskript zurück als nicht geeignet für ein Blatt, das wöchentlich erscheine. Nun wurde es im Feuilleton der Magdeburger Zeitung gedruckt und später als Buch im Verlag von A. und R. Faber. In dieser Gestalt sandte es der Vater der Autorin gegen deren Willem, da sie ihre Arbeit noch immer für minderwertig hielt, an den Herausgeber der „Gartenlaube“, Ernst Keil, der es aufs höchste bedauerte, daß er, durch eine Kur von den Redaktionsgeschäften seiner Zeitschrift damals ferngehalten, die anziehende Erzählung nicht persönlich hatte prüfen können. In diesem Sinne schrieb er, wie schon früher einmal (vergl. Jahrg. 1884, S. 650) in der „Gartenlaube“ mitgeteilt wurde, an Wilhelmine, erklärte sich tief bewegt von dem stimmungsvollen Reiz des Buches, das er als eine sichere Bürgschaft für die glänzende Zukunft der jungen Schriftstellerin betrachte. Sein Brief schloß mit den Worten: „Solche Ermutigung darf Ihnen ein Mann geben, der Tausende von Manuskripten und darunter manch Vortreffliches gelesen, und der morgen die letzte Nummer des ersten Vierteljahrhunderts seiner Zeitschrift zusammenstellt.“

Von jetzt an ständige Mitarbeiterin der „Gartenlaube“, verstand sie es, in steigendem Maße die Gunst des Publikums zu gewinnen, und als die Leitung des Blattes später in andere Hände überging, dauerte das glückliche Zusammenwirken zwischen Verfasserin und Herausgeber fort. Alle ihre Romane haben seither in der „Gartenlaube“ sozusagen das Licht der Welt erblickt und es ist fast zur Tradition geworden, daß jeder Jahrgang eines ihrer Werke bringt, denn sie ist für viele Leser eine vertraute Erscheinung, die man nicht missen mochte.

Aber die vielen, welche sie als Schriftstellerin so genau kennen, möchten – wie Sie mir schreiben – gern auch etwas von ihrer Person, ihrem Leben wissen, und bitten Sie um Erfüllung dieses Wunsches. Das ist nun nicht ganz leicht. Wilhelmine Heimburg spricht nicht gern von sich und hat eine bestimmte Art, alles abzulehnen, was sich mit teilnehmender Neugier an sie zu drängen versucht. Ihrer feinen vornehmen Natur widerstrebt alles Reklamewesen, daher ihre Scheu, an die Oeffentlichkeit zu treten, was zur Folge hat, daß man sie nie in Vereinen oder auf Kongressen sieht, in denen sich die Leute „von der Feder“ zusammenfinden. Sie hat auch nicht viel Zeit hierfür. Im Winter arbeitet sie, leider viel gehemmt durch Kränklichkeit. Die bessere Jahreszeit wird auf Reisen zugebracht, deren Ziel nur zu oft mehr vom Arzt als von ihrer freien Wahl abhängt. Seit sie im Jahre 1889 ein schweres Nervenleiden durchgemacht, drängen die Aerzte auf einen Wechsel ihrer Lebensweise. Damals teilte sie das freundliche Heim ihrer Eltern in Kötzschenbroda bei Dresden – ein idyllisches Landhaus mitten im Garten, in dem es im Frühjahr üppige „Boombluth“ und im Herbst viel saftige Birnen und süße Weintrauben giebt. Leider mußte dies enge Zusammenleben mit Vater und Mutter unterbrochen werden, wenn an eine Fortsetzung ihres schriftstellerischen Schaffens gedacht werden sollte. Nun entschädigt Fräulein Heimburg sich und die Eltern durch möglichst häufige Besuche, zumal die Sonntage gehören stets ihrer Familie. Dann kommt ihr an der Hausthür die liebe freundliche Gestalt der alten Mama entgegen, während der Vater schon lange vorher mit einem Feldstecher den Weg entlang gespäht hat. Beider Willkommen wird übertönt von dem Freudengebell des schwarzbraunen Teckels, Namens „Männe“, der weiß, daß auch ihm stets etwas mitgebracht wird.

Unsere Dichterin ist eine ebenso zärtliche Tochter wie Schwester und Tante. Ein liebliches Pflegetöchterchen hatte sie Jahre hindurch in ihrer ältesten Nichte, deren Erziehung sie vollendete und die aus dem geselligen Elternhaus immer noch gern und häufig in dem stillen Heim der Tante einkehrt, deren litterarische Neigung sie geerbt zu haben scheint. Wilhelmine Heimburg gehört zu den bevorzugten Frauen, denen es geglückt ist, sich durch eigene Kraft zu einer überaus angenehmen Lebensstellung aufzuschwingen. In ihrer künstlerisch ausgestatteten, schmucken Häuslichkeit waltet sie als tüchtige Hausfrau, die auch den Nähtisch im Erker nicht nur als Zierde betrachtet. Der Vormittag gehört meist praktischen Geschäften und Spaziergängen. Nachmittag und Abend, soweit sie diese allein verbringt, sind dem Schreiben und der Lektüre gewidmet. Lauschige Leseplätzchen sprechen überall in der Wohnung für die Lieblingsbeschäftigung der Herrin und gemütliche Plauderecken laden ihre Freunde zum Bleiben ein. Dann waltet sie mit heiterster Anmut ihres Amtes als Wirtin, und wer ihr näher tritt, weiß, daß diese Anmut der Ausdruck ihres ureigenen Wesens ist, jener wahren Liebenswürdigkeit des Herzens, die den Weg zu anderer Herzen findet. Ein Hauch echter Weiblichkeit liegt über ihrer Persönlichkeit ausgebreitet, warm im Empfinden, ist ihr Wesen rasch im Handeln, wo es gilt, anderer Not und Leid zu lindern.

Mit lebhaftem Interesse verfolgt sie alle neueren Erscheinungen auf litterarischem Gebiet und ist eine fleißige Theaterbesucherin, besonders des Schauspiels, wenn sie nicht gerade tief in der Arbeit steckt. Ist dies der Fall, dann ist sie freilich unzertrennlich von ihrem Schreibtisch – einem neuen von stattlicherem Umfang als der erste. Hier umgeben sie die Bilder ihrer Lieben und zahlreiche Andenken an Freunde und Bewunderer, sowie an ihre Reisen. An diesem Arbeitsplatz hat sie auch der ihr befreundete Künstler W. Claudius nach dem Leben gezeichnet.

Im Frühjahr erwacht die Sehnsucht ins Freie, dann sucht sie mit Vorliebe schöne waldreiche Gegenden aus. Die Natur, die schon auf ihre Kinderseele, als sie in dem großelterlichen Forsthaus ihre schönsten Stunden verlebte, einen tiefen Eindruck machte, lockt sie auch heute noch immer hinaus in Berg und Wald und Heide. Im Thüringerwald, im Schwarzwald und im Harz sucht und findet sie Stärkung für ihre Gesundheit und eine Zuflucht aus dem Drang der Arbeit, für die sie leider mehr von ihren Kräften einsetzt, als es sich zuweilen mit ihrer zarten Gesundheit verträgt. Zur Zeit denkt sie daran in einem der waldumrauschten Thäler des Harzes, wo ihre Wiege gestanden, sich ein Sommerheim zu bereiten. Möchte es ihr beschieden sein, dort sonnige Tage fröhlichen Wanderns und stiller Rast zu genießen, in denen sie sich zu neuem Schaffen und Wirken zu stärken vermag! In diesem Wunsche stimmen wir gewiß alle überein - Sie, mein liebes Fräulein, die zahlreichere Verehrer unserer lieben W. Heimburg und

Ihre ergebene  
M. v. Locella. 




Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.

Das Historische Museum der Völkerschlacht bei Leipzig.

Von Max Hartung. Mit Illustrationen von A. Liebing.

Wenn man die alte Lindenstadt Leipzig, dem Schienenstrang der elektrischen Bahn folgend, nach Südosten zu verläßt, gelangt man auf eine weite Ebene. Hier verkündete Geschützdonner in den Oktobertagen des Jahres 1813 den Beginn der großen Völkerschlacht, die Europa von der französischen Fremdherrschaft befreite. Außer etlichen einfachen Gedenksteinen erinnert nur wenig noch an das blutige Drama, das sich hier auf dieser Riesenbühne abspielte. Die alten Coulissen, die Häuser und Mauern von damals, sind fast sämtlich erneuert worden oder stehen überhaupt nicht mehr. Aber dafür hat man schon lange sein Augenmerk all den Dingen zugewendet, die sich hinter diesen Coulissen und in den Versenkungen des großen Kriegstheaters, den Massengräbern in der kühlen Erde, vorfanden, und bewahrt sie nun pietätvoll als kleine Denkmäler großer Zeit auf.

Einem fleißigen Sammler ist es gelungen, vielerlei davon an sich zu bringen und mit anderen stummen und doch so beredten Zeugen aus jenen Tagen zu einem Museum zu vereinen. Gegenüber dem Napoleonsteine, welcher die Stelle bezeichnet, von der aus der bleiche Korse die denkwürdige Schlacht am 18. Oktober 1813 leitete, hat dicht an der Landstraße der Wirt des dort gelegenen Gasthauses, Herr Bertsch, sein „Historisches Museum der Völkerschlacht und Zeit Napoleons I.“ errichtet. Große Lettern auf Front- und Giebelseite des zweistöckigen Baues, der im Stile eines einfachen Landhauses gehalten ist, verkünden seine Bedeutung, hinter der friedlichen Außenseite desselben mit den grünen Jalousien würde man sonst kein Kriegsgerät, keine Schlachtendokumente vermuten.

In zehn zur Verfügung stehenden Räumen sind hier etwa 4500 Gegenstände untergebracht.

Wir betreten zuerst die Waffenkammer, deren Inhalt wohl am unmittelbarsten auf uns einwirkt. Waffen der verschiedensten Truppenteile von Freund und Feind bedecken die Wände, neben europäischen die der asiatischen Völker, welche im Gefolge Rußlands fochten, Tscherkessensäbel, Kosaken- und Kirgisenlanzen, und selbst der Bogen der Baschkire, jenes tatarischen Volksstammes vom Südural, fehlt nicht. Hier gekrümmte Mameluckensäbel der Napoleonischen Leibgarde, dort Degen mit der heraldische Biene am Griffe, mit der Napoleon nicht nur die Wappendecke des

[157]

Photographie im Verlage von Franz Hanfstaengl in München.
Eine Versöhnung.
Nach dem Gemälde von J. Müller-Maßdorf.

[158] Kaiserwappens und den Krönungsmantel besäte, sondern auch Waffen schmückte, die er an hervorragende Offiziere verlieh. Ein Paar künstlerisch mit Perlmutter ausgelegter Pistolen, welche die Inschrift Palais Royal à Paris auf dem Feuerschloß tragen und von französischen Offizieren nach der Schlacht zurückgelassen wurden, stammt noch aus dem Besitz des unglücklichen Königs Ludwig XVI., der 1793 hingerichtet wurde. Auch ein Stück jener Brandraketen ist hier vorhanden, wie sie die nach dem Erfinder derselben benannten Congreveschen Raketenbatterien führten. Eine solche Batterie erzielte unter dem Kommando des englischen Kapitäns Bogue in dem wütenden Kampf um den Besitz von Paunsdorf am 18. Oktober 1813 einen unbestrittenen Erfolg. Der verheerenden Wirkung ihrer Geschosse war es hauptsächlich zuzuschreiben, daß die Reiterei der französischen Garde unter dem Befehl Nansoutys zurückweichen mußte. Der Säbel eines preußischen Husaren, auf dessen Klinge mit zitternder Hand in Blut das Datum der Schlacht vermerkt ist, die für ihn verhängnisvoll geworden war, erweckt unser ganzes Mitgefühl für die, denen dieser letzte Gruß gelten sollte.

In einem anderen Kabinett stimmt uns der Anblick einer auf dem Schlachtfelde aufgefundenen Tabakspfeife, deren Rohr und Kopf mit Perlen umstickt ist – gewiß das Liebeszeichen einer Soldatenbraut! – nicht minder wehmutsvoll.

Napoleon in der Tinte.
Karikatur auf Napoleon I. aus dem Jahre 1814.

Als Zeugen dafür, daß auch Frau Musica im Gefolge der Kriegsgöttin am Kampfgewühl stark beteiligt war, können wir wohl den alten preußischen Schellenbaum sowie das zerborstene Schlachthorn der Freischärler ansehen, welche im Verein mit anderen Gegenständen – darunter eine tscherkessische Feldflasche – unser Anfangsbildchen darstellt.

In den Bekleidungsschränken sind es neben allerlei bunten Uniformen vor allem die vielgestaltigen Kopfbedeckungen, die uns Bewunderung abnötigen; mächtige Bärenmützen der Garden (siehe die Illustration am Schluß), Helme der Lanciers mit ihrem phantastischen Schmuck (vgl. unser Initialbildchen), die typische Blüchermütze und die Hutform Napoleons. Am meisten aber spricht uns der schwarze Tschako der deutschen Freiwilligen an, wissen wir doch, daß unter einem solchen Patrioten wie Theodor Körner, Jahn (der Turnvater), Fröbel und andere für die Freiheit des Vaterlandes stritten. Und wie aus weiter Ferne hören wir es leise im Ohre klingen: „Das ist Lützows wilde verwegene Jagd!“

Interessant lesen sich die gedruckten Befehle und Erlasse hoher Militärpersonen sowie die Bekanntmachungen des damaligen Rats der Stadt Leipzig. Nach diesen ist es der Pleißenstadt vor allen ihren Schwestern im Reiche zu jener Zeit oft recht schlecht ergangen. Schon 1806 soll sie 45 000 Stab feines Offizierstuch „zum Bedürfniß der Kaiserlich Französischen Armee“ beschaffen. Am 21. September 1807 erlegt der Kaiser der Franzosen dem „Leipziger Creyße“ eine Kontribution von 2 896 740 Franken auf. Und zu diesen und anderen Forderungen kamen dann die Verluste des großen Kriegsjahres 1813 mit den Opfern, die Einquartierung und Pflege zahlloser Verwundeter forderten – fürwahr ein hartes Los für die arme Bevölkerung!

Einen wertvollen Schatz des Museums bildet die Autographensammlung, die an 300 seltener Dokumente, Briefe, Generalstabsberichte, Ordres etc. enthält. Die hervorragendsten Personen jener Zeit, Napoleon, Blücher, Theodor Körner, Königin Luise, sind in mehrfachen Nummern vertreten, Handschriften des Diostuprenpaares Goethe und Schiller sind vorhanden. Ergötzlich liest sich eine Ordre des „Marschall Vorwärts“, die sich gegen Bernadotte, den von den Ständen zum Kronprinz von Schweden erwählten nachmaligen König Karl XIV., wendet, weil er, obschon einer der Hauptführer der alliierten Armeen, durch seine zögernde zweideutige Kriegführung gegründeten Verdacht geheimer politischer Pläne erregte. Der alte Haudegen, der schlecht mit Feder und Tinte umzugehen wußte und seine Befehle mit dem Schwert an der Faust zu diktieren gewohnt war, schreibt in unbeholfener verkleckster Handschrift und mit eigener Orthographie am 16. Oktober 1813 auf der Höhe von Möckern bei Lindenthal:

Wenn der Hund von zigeuner nicht sofort erscheint, so muß in daß heilig kreuz granaden bomben Donnwetter klein schlachen.       Blücher“

Zahlreiche Bilder schmücken die Wände, in Oel- oder Wasserfarben gemalt, Kupferstiche und Holzschnitte. Fürsten schauen hoheitsvoll, Heerführer grimmigen Angesichts auf uns herab, Schlachtenscenen und Ansichten brennender Ortschaften erregen unsere Phantasie, wecken unser Mitleid. Wir sehen Napoleons Schwager Murat, den an seinem theatralischen Aufputz kenntlichen König von Neapel, im Kampfe mit einem Preußischen Dragoneroffizier, vor dessen Todesstoß ihn einer seiner Reiter schützt. Hier ist der jähe Untergang des polnischen Fürsten Poniatowski dargestellt, der auf der Flucht durch Leipzig in der Elster ertrank, nachdem die Brücke deren Zerstörung die französische Armee vor der Verfolgung des Feindes schützen sollte, durch diese selbst zu früh in die Luft gesprengt worden war. Dort wird uns die Ernennung Blüchers zum Feldmarschall am 19. Oktober 1813 auf dem Leipziger Marktplatze vorgeführt.

Auch der Humor kommt in einer Reihe von Bildern zum Ausdruck, die sich mit beißendem Spott gegen Napoleon richten. Karikaturen sind es, die nach des Korsen Besiegung und Abdankung (April 1814) sowie auf seine Verbannung nach Elba hin in Deutschland, Frankreich und England wie Pilze aus dem Boden hervorschossen.

Auf dem einen Blatt streckt Napoleons Sohn mit dem Rufe: „Vater, wo bist Du?“ die Arme verlangend nach dem Vater aus. Und das Bild giebt gleich auch die Antwort: Napoleon selbst sitzt in einem großen Fasse – „in der Tinte!“ Ein anderes Bild, in Oel ausgeführt, zeigt uns den Oestereicher, Preußen, Russen und Schweden, wie sie zusammen einen Napoleonshut emporhalten; unter diesem erscheint, von den Umrissen der Männer gebildet, deutlich des Korsen Kopf; im Hintergrunde erkennt man die Türme Leipzigs. Die nachstehenden Verse erläutern das Ganze:

„Ein Hut allhier ein Haupt bedeckt:
Alle sollten werden darunter gesteckt,
Für alle war er eine schwere Last –
Drum weg mit ihm, weil er nunmehr keinem jetzt paßt!“

Diese und andere Karikaturen aus jener Zeit sind auch in dem Werke „Napoleon I. in Bild und Wort“ von Dayot-Bieberstein (Verlag von Schmidt u. Günther, Leipzig) abgebildet.

Durchaus nicht humoristisch wirkt dagegen ein höchst origineller Kupferstich deutscher Herkunft. Er giebt das Porträt [159] Napoleons wieder, in dem die Gesichtszüge durch Leichen dargestellt sind, die wohl an die Opfer der Schlachten gemahnen sollen. An Stelle des Herzens webt eine Spinne inmitten ihres Netzes. Das Epaulett wird von starker Hand gebildet, die das Netz zerreißt. Auf dem Waffenrock sind die Namen der von dem Korsen verlorenen Schlachten eingezeichnet.

Eine Anzahl teilweise recht lebenswahrer Büsten berühmter Persönlichkeiten jener Geschichtsepoche und eine Totenmaske Napoleons mit ihren ernsten Zügen ergänzen die umfangreiche Bildergalerie.

An anderer Stelle finden wir Ordenszeichen, Geldstücke und Denkmünzen aus damaliger Zeit von mehr oder weniger künstlerischer Prägung vor uns ausgebreitet.

Der Hut Napoleons.
Karikatur auf Napoleon I. aus dem Jahre 1814.

Unser Gang durch das Museum führt uns weiter an Bibliotheksschränken vorüber, in denen die einschlägige Litteratur in alten und neuen Werken untergebracht ist, und endet in einem Gemach des zweiten Stockes, in dem es uns wie der Odem stiller Häuslichkeit entgegenweht und Reliquien freundlicheren Aussehens allerlei intime Dinge ausplaudern. Zwar fallen auch hier ein paar haarscharfe Klingen auf, aber sie sind friedlichen Zwecken gewidmet. Bartmesser mit dunklen geschnitzten Griffen sind es, deren sich Napoleon einst bediente und die ihm so lieb waren, daß er sie testamentarisch seinem Sohne vermachte. Eine Tasse mit dem Bilde „Werther, vor Lotte knieend“, die der große Korse mit gewohnter Hast oft geleert haben mag, ist wohl geeignet, die Ueberlieferung der Geschichte zu bestätigen, daß der Franzosenkaiser ein warmer Verehrer unseres Dichterfürsten gewesen ist.

Auf den Platz dicht daneben fällt ein Sonnenstrahl und läßt eine auf silbernem Grund in Gold und blauem Schmelz gestickte Morgenhaube aufleuchten, und vor unserem Geiste taucht das edle Antlitz der Königin Luise von Preußen auf, das von derselben einst umrahmt ward. Das Auge der Königin, das so mild blickte, hat sich freilich allzufrüh – schon 1810 – geschlossen und die Befreiung des deutschen Volkes von schmachvoller Tyrannei nicht mehr schauen können, und die Haarwelle, die hier hinter Glas und Rahmen verwahrt ist, hat nicht das Alter, sondern wohl die Sorge um das geliebte Vaterland gebleicht. Aber was diese seltene Frau in der kurzen Spanne Zeit ihres Wirkens als Königin gethan hat, das ist mit goldenen Lettern in die Tafeln der Geschichte eingezeichnet. Sie war es, die den König, ihren Gemahl, als er in den schweren Zeiten der Not und Erniedrigung, die über die deutschen Lande gekommen waren, fast verzagen wollte, aufrichtete und an die seiner harrende große Aufgabe zurückführte. Und als es an den für die Lösung derselben nötigen Geldmitteln gebrach, opferte sie ihr kostbares Geschmeide auf dem Altare des Vaterlandes und ward ein leuchtendes Vorbild für die deutschen Frauen und Mädchen jener Zeit, die später sämtlich kamen und mit rührendem Opfermut ihren Schmuck darbrachten. Allen denen, die in hochherziger Weise damals ihre Trauringe spendeten, wurden – welch’ sinnige Gegengabe! – Ringe von Eisen mit der Inschrift „Gold gab ich für Eisen 1813“ eingehändigt. Wir gedenken mit Stolz dieser einmütigen Opferwilligkeit und verkennen nicht, welch’ großen Anteil auch die Frauen an der völkerbefreienden That von 1813 gehabt haben.

Das letzte Stück der umfangreichen Sammlungen ist besichtigt, und uns ist, als hätten wir das letzte Blatt eines reich illustrierten Geschichtswerkes umgeblättert, dessen Inhalt uns begeistert hat und uns gar viel zu denken giebt. Und unter diesem Eindruck nehmen wir uns innerlich das Versprechen ab, die große Zeit der Befreiungskriege über den Erfolgen der neuesten Geschichte nie vergessen, sondern ihr immerdar ein dankbares Gedenken bewahren zu wollen.

Und wenn wir uns dann in weihevoller Stimmung wieder ins Freie begeben, auf den weiten Schlachtenplan hinaus, da muß es uns um so mehr befremden, daß man der großen, der gewaltigen Zeit, die uns die Achtung vor uns selbst wiedergegeben, der wir Ordnung und Wohlstand unser liebes teures Vaterland und mit ihm alles, alles verdanken, noch kein sichtbares Zeichen der Dankbarkeit errichtet hat! Doch man hat sich neuerdings dieser Pflicht besonnen. Ein Preisausschreiben für deutsche Künstler zur Beschaffung von Plänen eines Völkerschlachtdenkmals hat die Angelegenheit wesentlich gefördert, und für die im Reiche wie unter den Deutschen im Auslande ins Werk gesetzte Geldsammlung sind schon früher namhafte Beiträge eingegangen. (Sammelstelle bei Clemens Thieme in Leipzig, An der Pleiße Nr. 12, wohin alle Geldspenden zu senden sind.) Aber sie reichen noch bei weitem nicht aus, um etwas Ganzes, der großen Sache Würdiges zu schaffen. Und so wenden wir uns an alle, die ein deutsches Herz in der Brust schlagen fühlen: bringe jeder sein Scherflein herbei, so klein es auch sei, damit wir endlich die alte Dankesschuld abtragen können!

Vom Niederwald ragt ein mächtiges Wahrzeichen zur Erinnerung an das Jahr 1870 gen Himmel auf! Sorgen wir dafür, daß auch die denkwürdige That von 1813, ohne die es kein 1870 gäbe, kein Reich, keine deutsche Kaiserkrone – auf Leipzigs Schlachtgefilde ein weithin erkennbares Denkmal deutschen Dankes, deutscher Treue und Einigkeit erhalte!

[160]
Jung Volk will allein sein.
Ein Abenteuer aus der Zeit der Postkutschen.
Von R. Waldmüller-Duboc. Mit Illustrationen von Ant. C. Baworowski.


Es war spät abends und nahezu dunkel.

„Der Hauptwagen schon besetzt?“ fragte der schmarrenreiche, blaubebrillte Studiosus der Theologie Schelle den Kondukteur und entließ mit einem Trinkgeld den Lohndiener, der ihm Gepäck, Pfeifen und Rapiere nachgetragen hatte.

„Freilich ist er besetzt,“ rief der Kondukteur, vollauf mit Packen und Aufladen beschäftigt, „machen’s nur geschwind, daß Sie im Beiwage unterkomme!“

„Wo?“

„Da hinte.“

Schelle sah sich um. Ein gelbes Wäglein kam in Sicht, ein sogenannter Zweisitziger, der aber zur Not vier Passagiere aufnehmen mußte.

„Und wenn der auch schon voll ist?“

„So müsse Sie sich ebe bis morgen gedulde.“

„Himmelsakrament! Bis morgen? Nein! Lieber selbst zu fünfen. Aber wo sind denn meine Pfeifen? O jerum, hat das Rhinoceros alles in den Hauptwagen geschleppt!“ Und er lief dem eben von dannen rollenden Hauptwagen nach.

Währenddessen trottelte der Zweisitzige heran, besser als sein Ruf, geräumig genug, um viere zu beherbergen, wenn sie nicht allzuviele Schachteln und Pakete bei sich führten.

Der Postillon reichte dem Postknecht die Einschreibeliste hinab. Es war nur ein Passagier eingeschrieben, und dieser oder vielmehr diese – „Anna Walder“ las ihr der Postknecht pflichtschuldigst mit der Laterne in der Hand ihren Namen vor – hatte ihren Koffer schon vorausgeschickt und führte nur eine Hutschachtel mit sich. Sie war jetzt zur Stelle.

Während sie einstieg, fragte sie, ob sie allein bleiben müsse, denn sie sei eine furchtsame Natur.

Nein, es sei noch jemand eingeschrieben.

„Gott sei Dank, hoffentlich kein Kind!“

„Da kommt er schon.“

„Ein Herr?!“ Sie zog ihren Schleier vor.

„Ich denk’, Sie habe g’sagt, es dürfe kein Kind sein.“

„Schon gut.“

„Ihne kann man’s aber nicht recht mache.“

„Ich bin eben ein Hase, aber was kann man gegen seine Natur!“ Und sie drückte sich furchtsam in die dunkle Wagenecke.

Inzwischen hatte der Postknecht den Namen des ohne seine vermißten Schätze mürrisch wieder herangekommenen Passagiers aus der Liste herausbuchstabiert – „Schimmelpfennig – Studiosus Schimmelpfennig – stimmt’s?“

„Stimmt!“ Studiosus Schelle hatte den Spitznamen, den er in seiner Verbindung führte, eintragen lassen.

Er stieg ein, folgte im Dunkeln der Weisung, sich rechts zu setzen, denn links sitze schon jemand, und ließ sich verdrießlich in der ihm angewiesenen anderen Ecke nieder.

Wo seine Habseligkeiten geblieben waren, hatte er nicht herausgebracht; der Hauptwagen war nicht mehr zu erreichen gewesen; nun, die Rapiere konnten schon ein paar Püffe aushalten; aber wo hatte der Trottel von Hausknecht den gestickten Tabaksbeutel und die unersetzbare schön gebräunte Meerschaumpfeife untergebracht? Beides Angebinde von ihr! von Hedwig! – Der Studiosus Schelle war nämlich seit vorigem Semester verlobt, unter vier Augen verlobt; wenigstens hatte der Vater des jungen Mädchens, ein Superintendent, selbstverständlich seine Zustimmung von den ferneren Universitätserfolgen des noch grasgrünen Theologen abhängig gemacht und die beiden Liebenden durften noch nicht für verlobt gelten. – Es war um aus der Haut zu fahren!

Wer der Jemand war, der schon links sitzen sollte, kümmerte ihn wenig, den verlesenen Namen „Anna Walder“ hatte er zwar beim Herankommen gehört, aber nicht auf einen Mitreisenden in der Beichaise bezogen. „Ich möchte mich ohrfeigen,“ brummte er in sich hinein, „den gestickten Tabaksbeutel aus den Händen zu geben! Es war doch eine zu große Eselei; sie wird ihn bei unserem Wiedersehen gleich vermissen und ich stehe blamiert da; ihr Geschenk, ihre Stickerei! – und sie glaubt an schlimme Vorbedeutungen!“

Nach einer Weile verdrossenen Starrens begann er aber doch diesen ihren Hang zum Aberglauben als eine bisher von ihm nicht ernst genug bekämpfte Schwäche anzusehen, und daß er die Gelegenheit zu solchem Kampfe jetzt nicht vorübergehen lassen dürfte, ließ ihm das Ganze fast als eine höhere Fügung erwünschter Art erscheinen. So redete er denn vor sich hin: „Also keine Sentimentalität, Schimmelpfennig! Ist er weg, so ist er weg! Es wird Thränen kosten, aber was würd’ es helfen, wenn ich mir mit ihr gemeinsam die Haare ausraufte? Basta! Streusand drauf! Sie muß beizeiten sich beherrschen lernen – mache ich denn aus jeder Mücke einen Elefanten?“ Und er sah sich im Finstern nach seinem Reiseleidensgenossen um, ohne übrigens mehr entdecken zu können als sich zunächst eine pappene Hutschachtel. „Also eine Sie? Gewiß die ‚Anna Walder‘? Meinetwegen! Oder hat sie etwa ein Kind auf dem Schoß? Na, dann dank’ ich, dann kann es mir wieder wie letztes Mal ergehen, wo ich einen Schreihals stundenlang päppeln mußte.“ Er schämte sich doch des Tons, in den er in seinem Selbstgespräch verfallen war. „Warten wir ab, was der Himmel über uns verhängen wird! Als künftiger Seelsorger kann ich nicht früh genug mich in Geduld üben.“

Währenddessen hatte das junge Mädchen Mühe gehabt, ihre Fassung einigermaßen wiederzugewinnen. Wer in ihrem Herzen hätte lesen können, würde Zeuge der folgenden Betrachtungen geworden sein. „Die Sache ist und bleibt wirklich sehr, sehr unangenehm; wäre ich nur für den Hauptwagen eingeschrieben! Wie kann ich von 10 Uhr spät bis morgen früh 5½ Uhr mit einem fremden jungen Mann allein in der Post sitzen! Es ist zum Verzweifeln! Ich ängstige mich schon im voraus, daß mein Bräutigam mir deshalb sehr böse werden wird; schreiben muß ich’s ihm ja doch; – gesteht mir ja auch jede Kleinigkeit, die ihm begegnet ist; noch in dem letzten Briefe den dummen Scherz mit dem Milchmädchen; freilich waren die Kameraden an allem schuld! Hätte ich nur beizeiten erfahren, daß ich nicht mehr im Hauptwagen mitkonnte, so wäre ich beim Oheim noch einen Tag geblieben; ich versäume ja nichts zu Hause. Wirklich ganz außerordentlich fatal!“

Inzwischen war der bis dahin dicht verhüllt gewesene Mond hin und wieder auf kurze Augenblicke ein wenig aus den Wolken getreten, so daß Studiosus Schelle bei gelegentlichem Seitwärtsschauen etwas Verschleiertes und von ihm Abgewandtes zu gewahren glaubte, soweit er zu urteilen vermochte, keine Kinderfrau und auch keine Matrone. Die Beruhigung, daß ihm diesmal seine Unerfahrenheit im Kinderwarten nicht wieder Ungelegenheiten bereiten werde, verscheuchte einen großen Teil der Verstimmung, die ihm der Gedanke an die Möglichkeit derartiger Pflichten gegen seine Reisegefährtin bereitet hatte. Er begann sich zu fragen, ob die Reise in der bisherigen monotonen Weise fortzugehen brauche, und es fiel ihm ein, vielleicht könne er sie höflich auf das von der Decke des Wagens herabhängende Netz aufmerksam machen, damit sie dort ihre Hutschachtel unterbringe. Aber wenn sie nun etwa gerade im Einschlafen begriffen war?

[161]

Landbriefträger im Spreewald.
Nach einer Originalzeichnung von W. Zehme.

[162] Ein paarmal glaubte er, Atemzüge wie die einer schon Schlafenden zu hören.

In diesem Augenblick stieß der Wagen heftig gegen einen Stein und die Thür neben dem verschleierten Mädchen sprang auf. Das Fräulein hatte aufgeschrieen, sich aber, während er die Thür mit raschem Griffe schloß, schon wieder in die Ecke gedrückt – zum Fortschlafen mutmaßte er – und ihm blieb nach seiner Meinung höchstens übrig, über das Einschlafen der Postillons irgend etwas Belangloses zu äußern, was ihm aber selbst als eine allzu triviale Herkömmlichkeit erschien.

In verdrießlicher Laune drückte auch er sich von neuem in die Ecke. Er war doch sehr unzufrieden mit sich. „Wie pfiffig hätte ,Zachäus auf allen Kirchweihen’,“ murmelte er in den Bart, „wohl die Gelegenheit zu einer Anknüpfung benutzt!“ So lautete nämlich nach dem alten Sprichwort der Spitzname eines seiner guten Freunde, der nie in ähnlichen Lagen sich den Kopf zu zerbrechen brauchte und deshalb bei den Frauen immer Glück hatte. – „O, Zachäus auf allen Kirchweihen!“ Und um, statt sich Vorwürfe zu machen, seinem Scharfsinn etwas zu thun zu geben, fragte Schelle sich – woran er nie früher gedacht hatte – was dieser Zusatz ,auf allen Kirchweihen’ denn eigentlich besagen sollte. Auf den Kollegen paßte er ja vortrefflich. Bei allen Lustbarkeiten war er zu finden, und dabei versäumte er keine Vorlesung. Ein Mordskerl! Um diese Fähigkeiten beneideten ihn fast alle seine Kommilitonen und heute eigentlich auch er. Aber gleichviel: wie kam der richtige Zachäus zu diesem verfänglichen Anhängsel? Der Zachäus des Evangelium Lucä? „Als künftiger Gottesgelehrter sollte ich’s doch wissen, aber ich weiß es in der That nicht, habe auch nie darüber nachgedacht. Also wie kam Zachäus zu jenem volkstümlich gewordenen Zusatz? Was war Zachäus? Soweit ich mich zu erinnern vermag – ein Zöllner, sogar ein Oberster der Zöllner. Was weiter? Er war klein von Statur. Weiter: er kletterte auf einen Baum, auf einen Maulbeerbaum, um Jesus zu sehen, denn weil er klein war und weil viel Volk Jesus umringte, konnte Zachäus auf keine andere Weise ihn zu sehen bekommen. Schon gut, aber mit Kirchweihen, also, nach landläufigen Begriffen, mit Volkslustbarkeiten, hat das alles doch nichts zu thun! Wahrhaftig, ich muß mich schämen, erst in diesem Rumpelkasten auf die vertrackte Frage gekommen zu sein, ich, ein Studiosus der Theologie!“

Studiosus Schelle strengte sein Gedächtnis von neuem an und brachte weiter heraus, daß Jesus den kleinen Mann habe herabsteigen lassen, da er – Jesus – in dem Hause, des Zöllners einkehren müsse. Daß der Herr bei einem „Sünder“ einkehren wolle, erweckte dann ein Murren. Zachäus. aber sagte: die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen und so ich jemand betrogen habe, das gebe ich vierfältig zurück.

„Recht schön. Ich sehe aber immer noch nicht ein,“ redete Schelle ungeduldig in seinen Gedanken, „wie einem Manne, der so vieles herausrückt, der Spotttitel ,auf allen Kirchweihen’ angehängt werden kann!“

Und er verurteilte sich, den Rest dieser wunderlichen Nachtfahrt mit Anstrengungen zur Lösung dieser Frage verbringen zu wollen.

Uebrigens war seine Reisegefährtin keineswegs eingeschlafen, im Gegenteil, sie machte sich auch Vorwürfe. Welche? Nun – ihrem Nachbar für das rasche Schließen der Thür nicht gedankt zu haben; es war, sagte sie sich, der erste schickliche Anlaß gewesen, um ein paar höfliche Worte mit ihm, dem Leidensgefährten, zu wechseln. Daß er nicht selbst den Anfang gemacht hatte, sprach nur für seine gute Erziehung; wenige junge Herren hätten sich die Gelegenheit entgehen lassen, ein unbeschütztes Frauenzimmer während einer solchen mehrstündigen Nachtfahrt zu drangsalieren.

Dabei mußte sie doch seufzen. „Wenn man zuweilen nur zaubern könnte,“ sagte sie sich, „wär’s doch viel angenehmer, auf der Erde zu sein! Wie hübsch zum Beispiel, wenn ich aus diesem gewiß sehr vortrefflichen, aber gar nicht der Unterhaltung bedürftigen Herrn meinen Heinrich machen könnte! Natürlich müßte die Pappschachtel die Grenze zwischen uns bleiben, und daß er sie mir nicht eindrückte, dafür wollte ich schon sorgen; der Hut darin muß noch den ganzen Sommer aushalten! Aber so alle Station einmal, in Wilferdingen, in Pforzheim, Illingen, Schwieberdingen und wie alle die Dinger heißen mögen, ja, auf jeder Station sollte er mit mir aussteigen und, während die Pferde gewechselt würden, mich hübsch am Arme führen; vielleicht auch beim Wiedereinsteigen mir einen Kuß geben – versteht sich nur einen – auf keinen Fall mehr; es wäre wirklich die reizendste Nachtfahrt, die sich denken ließe!“

Inzwischen hatte die Zachäusgrübelei den Studiosus nicht verhindert, schläfrig zu werden. Ueber den unebensten Teil der Wege war man glücklich hinaus. „Wie mir,“ sagte sich Schelle, „wird es auch dem armen Fräulein da drüben in der Ecke besser bekommen, wenn sie der Natur ihr Recht gönnt. Ich will ihr mit gutem Beispiel vorangehen.“ „Wünsche wohl zu ruhen!“ gab er in „schicklichem“ Tone zu verstehen.

„Wünsche das gleiche,“ klang es weich zurück.

Es war ihm doch leichter ums Herz. „Menschenstimmen wieder zu vernehmen“, so hatte er erst unlängst in der Reisebeschreibung eines Missionars gelesen, „nachdem man lange Zeit nur Laute wilder Tiere vernommen hat, ist wirklich, ein hoher Genuß.“ Er hatte allerdings nicht, gleich dem Missionar, unter wilden Tieren gelebt, aber ein klein wenig gehörte sein Freund Zachäus in diese bedenkliche Sippe und mit ihm hatte er sich ja bis vor kurzem nicht ohne Widerstreben beschäftigt. „Ich that unrecht,“ sagte er sich, „nicht gleich anfangs ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen. War es wieder einmal Schüchternheit? Was muß sie von mir gedacht haben! Aber das ist die Schuld der Bücher, über denen unsereins seine schönsten Jahre versitzt. Schenkt mir, das heißt meiner Hedwig und mir, der Himmel dereinst Kinder – er mußte über die sonderbare Vorstellung lachen – so sollen sie womöglich alles aus Menschenmunde und aus Gottes schöner Natur lernen.“

Mit diesem löblichen Vorsatze nickte er ein und war bald in tiefem Schlaf.

Anders seine Reisegefährtin. „Der hätte mir gefährlich werden können!“ – das waren ihre Gedanken – „was doch im Klang einer Stimme alles liegt! Zu Thränen hat mich’s ja als Kind wie oft gerührt! Gerührt? Nein, Kinder sind nicht eigentlich gerührt, sie weinen nur, wenn sie andre weinen sehen; aber hörte ich zum Beispiel die Stimme meines Vaters am Altar den Segen halb sprechen, halb singen, ich weiß nicht, wie oft mir die Thränen gekommen sind!“

Sie stützte den Kopf auf den Arm und diesen auf den unteren Rahmen des offenen Fensters und blickte leichten Herzens in die schöne, duftige Juninacht hinaus. Unzählige Johanniswürmchen schwärmten leuchtend umher, vor allem in der Nähe von niedern Gebüschen; es funkelte und schimmerte gelb und bläulich, wohin sie nur blickte. Dann ging’s an einem Dorfkirchhof vorüber, die Kränze auf den Gräbern raschelten im Nachthauche, die weißen Seidenbänder an den Kränzen flatterten gespenstig hin und her; eine Nachtigall schlug dicht vor dem Fenster des Pfarrers, wie angezogen durch den Schein der Nachtlampe und die menschliche Nähe; Frösche quakten ohne Unterlaß, einer noch lauter und sonderbarer als der andere; sie dachte an frühere Zeiten, wo sie abends als Kind ihre Lust daran gehabt hatte, mit einem einzigen Steinwurf, den sie in die Mitte solchen Froschteiches geschleudert, ein ganzes Froschorchester für viele Minuten aus dem Takt zu bringen. An Bauernhöfen ging’s vorüber und an stattlichen Getreidescheunen; die Kühe brüllten in den Ställen, Hunde schlugen an, Gänse schnatterten und auf dem Kirchendache klapperte der Storch, als begrüßte er, der Weitgereiste, die rasselnde Post und die schlummernden Passagiere drinnen. Auch die Kirchturmglocke schlug – schlug ohne Unterlaß – 9 – 10 – 11. Anna konnte nicht zu Ende zählen, die Augenlider schlossen sich, und träumend spann sie weiter, was Storch und Nachtigall und Pfarrwohnung in ihr an heimatlichen, traulichen Gedanken angeregt hatten.

Die Post aber rasselte weiter und immer weiter, und der Postillon ließ die Peitsche knallen, wo nur ein Echo war, und stieß ins Posthorn, wo er nur einen alten Gevatter im schwülen Federbett wußte oder eine lustige Jungfer auf hartem Strohsack. Denn zwischen Pforzheim und Illingen kannte er jedes Haus und jeden Stall und wußte, was drin und dran war. Die freundliche, vielgeschlängelte Enz mit ihrer schillernden Fläche hatte er schon manches Jahr zur Nachtzeit passiert; Enzberg, das [163] erste württembergische Pfarrdorf, hatte die feste Nachtruhe schon oft genug durch die Fanfaren des badischen Schwagers gestört sehen müssen; „’s ist halt der Badische widder,“ sagten die Enzberger und drehten sich verdrießlich in ihren Betten um; „der Bursch’ giebt ka Ruh’ – nit möglich, daß er ’s Muhl halt’t.“

Aber in Illingen kam der württemberger Schwager an die Reihe; der trieb’s gelassener, obschon er noch nicht vierzig Jahr alt war. In Vaihingen hatte der seinen Herzensschatz und da wurde zwar geblasen, daß die Fenster des Wirtshauses „Zum wilden Mann“ klirrten und ächzten und vom alten Schloß herunter dreimal das Echo schmälte; nachher aber ging’s ruhig, kein Hund bellte und selbst die Hähne krähten nur hin und wieder.

Doch das Mädchen in der Beichaise hatte jetzt nur noch unruhigen Schlaf. Als sie von dem Horngeschmetter des Postillons einmal aufgeschreckt worden war aus ihrem Schlummer und eine Weile vor sich hinsann, hatte sie ihren Nachbar – offenbar aus schweren Träumen – allerhand Ungereimtes vor sich hin sprechen hören, wobei das Wort „Kirchweih“ immer wiederkehrte. „Der träumt von schönen Dingen,“ hatte sie sich gesagt. „Also ein Herumstreicher ist es. Wie gut, daß er schläft und daß ich mich nicht mit ihm eingelassen habe!“ Und sie faßte ihre Hutschachtel fester. Allmählich überkam sie aber doch wieder der Schlummer.

Von Schwieberdingen bis Stuttgart gab’s noch zwei Meilen und den letzten Pferdewechsel. Der Postillon für diese Strecke war noch stiller als der vorige, vielleicht weil’s kein Spaß ist, morgens um drei oder vier Uhr aus dem Bette aufs Sattelpferd zu müssen, vielleicht auch, weil die Nähe des Hohenasperg, unheimlichen Andenkens, seine düstere Wirkung auf die um ihn wohnenden Schwaben äußert.

Aber die Lerche nahm’s mit der Gefängnisnachbarschaft nicht so genau und jubilierte – wer weiß, ob nicht eben der armen Gefangenen wegen – so hell und tröstlich in den Morgen hinein, daß die Passagiere im Hauptwagen aus dem unruhigen Reiseschlummer erwachten, sich die Augen rieben, die verwirrten Haare ordneten und einander sehr gelangweilt und unbehaglich anstarrten, als wünschte einer den anderen in die sibirischen Goldgruben.

In der Beichaise erwachte jetzt der Studiosus zuerst. Er sah nach der Uhr – „Zwei volle Stunden noch bis Stuttgart, es ist zum Verzweifeln!“ Den Bart ordnete er mit vieler Sorgfalt: „wenn mich die Liebste in diesem Bart wiedererkennt,“ sagte er im stillen, „zumal die blaue Brille noch hinzukommt, dann will ich für alle Zeiten ,Pastor Schimmelpfennig’ heißen!“ Er beschaute sich wohlgefällig im Taschenspiegel und sah dann zu seiner noch schlafenden Nachbarin hinüber; Hut und Schleier hingen vor ihr am Ledergurt des Wagendaches, sie mochte beide dort besser untergebracht glauben als in der Pappschachtel; ein weißes Taschentuch hatte sie um den Kopf geknüpft und ihr braunes Haar suchte an beiden Seiten des Gesichts Raum, sich unbeengt zu kräuseln. Der Studiosus Schelle hatte aber kaum das von der Morgenröte umstrahlte Gesicht der Schlafenden näher angesehen, als er von seinem Sitz aufsprang, die Hutschachtel umstieß und einen festen Kuß auf die Lippen des Mädchens drückte.

Mit einem Schrei fuhr sie empor.

„Hedwig!“ rief der Studiosus, „ist’s denn möglich?“

Sie wußte, halb erst erwacht, kein Wort zu antworten; beide Hände hielt sie fest auf die Wangen gepreßt und schien nicht zu fassen, was mit ihr vorgehe. Er zog aber ihre Hände fort und küßte die abwehrenden Finger. „Ich bin’s ja selber,“ rief er, „Heinrich Schelle – laß meinen dummen Bart und die blaue Brille dich nicht bange machen; erkennst du mich denn noch immer nicht? – Ei, ei – und die ganze Nacht so zu verschlafen! Das ist doch ein Schabernack! Sprich, Herzliebchen, kennst du mich auch jetzt noch nicht?“

„Freilich kenne ich dich jetzt,“ rief Hedwig, halb lachend, halb weinend, „danach hat mir keine Ader geschlagen! Der Oheim sagte immer, du kämest einmal blitz, platz; aber ich meinte, du würdest mir’s erst mit der Post schreiben!“

„Und bist du denn nicht zufrieden, närrisch Ding, daß ich selber komme statt des Briefs? Hättest du mich nur gestern spät eines Wortes gewürdigt, als ich die aufgegangene Thür neben dir schloß!“

„Das wärst du schon gewesen?“

„Wer anders?“

„Nun, der Studiosus Schimmelpfennig – der saß doch dort, oder hab’ ich alles nur geträumt? Du heißt doch nicht Schimmelpfennig?“

„Und heißt du denn etwa Anna Walder?“

„Jetzt dämmert mir Verschiedenes …“

„Daß du nämlich von mir gehört hattest: wir Gottesgelehrten in spe pflegten auf unsere Spitznamen zu reisen …“

„Aus guten Gründen! Schlügt ihr einmal übern Strang, so …“

„Genug, und da hast du denn gedacht: Warum sollen wir junge Schönheiten nicht die nämliche Vorsicht gebrauchen …“

Sie hielt ihm den Mund zu. „Schäm’ dich! Meine Tante besorgte mein Billet, und da ist es auf ihren Namen ausgestellt worden! Doch du, erkläre mir lieber, was du als Gottesgelehrter in spe in einem fort im Traum von Kirchweihen und dergleichen zu reden hattest?“

„Ich?“

„Wer anders? Ich bin davon wieder aufgewacht und hab’ mich bekreuzt und gesegnet, daß meine Hutschachtel zwischen diesem scheinheiligen Kirmesjäger und mir stand.“

„Da muß ich denn doch protestieren,“ lachte Schimmelpfennig-Schelle. „Wie dies alles zusammenhing, erzähl’ ich dir ein andres Mal, oder dein Papa mag’s dir erzählen, denn der muß mir endlich auf den richtigen Weg helfen.“

„Ob dich als Gottesgelehrten in spe die Kirmeslustbarkeiten etwas angehen?“

„Nicht mich.“

„Aber wen denn?“

„Zachäus!“

„Nun, da bitt’ ich denn doch!“

„Wie so denn! Warum heißt es denn immer: ,Zachäus auf allen Kirchweihen’?“

„Das weißt du nicht?“

„Ich habe mir die halbe Nacht den Kopf darüber zerbrochen.“

„Gut, daß der Vater nichts davon zu erfahren braucht.“

„Aber wieso denn?“

„Weil du wissen solltest, daß Zachäus regelmäßig am Kirchweihtag genannt wird.“

„Wo?“

„Auf den Kanzeln.“

„O weh!“

„Und warum wird er auf den Kanzeln genannt?“

Der Studiosus schlug sich vor die Stirn. „Lukas 19, 1 bis 10,“ sagte er.

„Ganz recht: Zachäus hat im Evangelium für die Kirchweihtage eben seinen festen Platz. Als Töchterchen eines Superintendenten merkt man sich schon allerlei Beiläufigkeiten; in euren hochgelehrten Kollegien mögen sie wohl kaum erwähnt werden!“

„Mir ist in der That ein Stein vom Herzen gefallen,“ sagte der Studiosus aufatmend, „und nun zu einem Sprichwort, das keine Zweifel herausfordert – einen Kuß in Ehren darf keine verwehren!“ –

Womit die Beschreibung dieser Nachtfahrt zu Ende sein mag, denn wie heißt es noch im Sprichwort? – Jung Volk will allein sein!

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Blätter und Blüten.

Kloster Arkadi auf Kreta. (Zu dem Bilde S. 149.) Eine gute Tagereise von der Hafenstadt Retimo entfernt, liegt inmitten der Berge, in einer herrlichen Landschaft, deren Hintergrund der schneegekrönte Ida bildet, das Kloster Arkadi. Vor mehr als 800 Jahren wurde es vom Kaiser Heraklius zu Ehren des heiligen Konstantin errichtet. Berühmt war die Bibliothek von Arkadi, in welcher wertvolle Schätze der Wissenschaft gesammelt waren, berühmter war es aber noch als Stätte der Nächstenliebe, in welcher Arme und Bedrängte stets schützende Obhut fanden. Alle Völker, die in früheren Zeiten auf Kreta Krieg führten, die Araber, die Sarazenen und Venetianer, verschonten das Kloster und ehrten seine Unverletzlichkeit, bis schließlich in einem der letzten Aufstände gegen die türkische Gewaltherrschaft auch diese stille Stätte zum Schauplatz eines tiefergreifenden Kampfes werden sollte.

Es war im Jahre 1866; Kreta stand wieder, wie gerade jetzt, in Aufruhr und die Türkei bändigte die Insel mit einem Aufgebot von nahezu 100000 Mann. Die Aufständischen der Umgegend hatten ihre Frauen und Kinder in das Kloster gebracht. Außer diesen 300 wehrlosen Personen befanden sich in Arkadi nur noch 15 verwundete griechische Freiwillige und etwa 150 Mönche. An der Spitze des Klosters stand damals der greise Igumenos Gabriel, der einst in jungen Jahren im griechischen Freiheitskrieg gegen den Feind seines Volkes gekämpft hatte.

Anfang November 1866 erschien vor Arkadi der türkische Heerführer Mustafa Pascha mit 15 000 Mann und 30 Kanonen. Er begegnete jedoch dem hartnäckigsten, heldenmütigsten Widerstand. Die aus Mönchen, Greisen und Frauen bestehende Besatzung hielt drei Tage und drei Nächte das Bombardement der Türken aus und schlug mehrere Sturmangriffe ab. Endlich aber wurde eine Bresche gelegt und der Kampf begann schon im Hofe des Klosters zu wüten. Da faßten die bedrängten Verteidiger den Entschluß, sich lieber in die Luft zu sprengen, als sich den Türken zu ergeben. Wie Elpis Melena in dem Werke „Erlebnisse und Beobachtungen auf Kreta“ berichtet, nahm der Igumenos Gabriel als Abt die Ehre für sich in Anspruch, selber Feuer an die Pulverkammer zu legen. Indem er die Umstehenden segnete, wies er die Frauen, die Kinder und noch lebenden Verwundeten, der Zahl nach 103 Personen, an, sich nach der entgegengesetzten Ecke des Klosters zurückzuziehen, dann erwartete er, das Kruzifix mit einer, eine brennende Kerze mit der anderen Hand fassend, ruhig die hereinbrechende Flut der Stürmenden. Eine furchtbare Explosion erfolgte – die Hälfte des Gebäudes flog in die Luft, unter den Trümmern Griechen und Ottomanen begrabend. So wurde das ehrwürdige Kloster in einen Schutthaufen verwandelt, aber in der Geschichte der griechischen Freiheitskämpfe wird sein Andenken fortleben und dem gleich heldenmütigen Untergange von Missolunghi im Jahre 1826 zur Seite stehen.*     

Deutschlands merkwürdige Bäume:
Die „Riesenschlangenkiefer“ bei Bendestorf in Hannover.
Nach der Natur gezeichnet von Herm. Stuhr.

Deutschlands merkwürdige Bäume: Die „Riesenschlangenkiefer“ bei Bendestorf in Hannover. (Mit Abbildung.) Der „Armleuchterfichte“ bei Offenbach am Main, die wir in Nr. 45 des vorigen Jahrgangs der „Gartenlaube“ unsern Lesern in Bild und Wort vorgeführt haben, reihen wir heute eine merkwürdige Kiefer an. Sie wurde vor kurzem im Walde bei Bendestorf, einer kleinen Ortschaft unweit der Station Klecken[WS 1] an der Bremen-Harburger Bahn, entdeckt, und der Volksmund gab ihr bald den Beinamen „Riesenschlange“. In der That täuscht der schuppige, rotbraune, auf der Erde im grünen Moose liegende Stamm des Baumes den Anblick des Leibes einer Riesenschlange vor. Das Wurzelende, welches auf dem kleineren Bildchen in größerem Maßstab dargestellt ist, hat dabei entschieden die Gestalt eines Tierkopfes, dem man je nach der mehr oder weniger lebhaften Phantasie die Formen eines Molchkopfes oder gar Drachenhauptes zusprechen kann. Der mächtige Stamm hat bei der ersten Biegung einen Umfang von 1,06 m; seine Länge mißt von der Wurzel bis zu der Biegung 2,55 m und bis zum ersten Ast 5,30 m. Unser Holzschnitt ist die Wiedergabe einer an Ort und Stelle aufgenommenen Zeichnung. *      

Eine Versöhnung. (Zu dem Bilde S. 157.) In das schlichte Heim einer Fischerfamilie am Strande der Nordsee versetzt uns der Anblick des lebenswahren Bildes von J. Müller-Maßdorf. Sonniges Glück hatte hier einst jahrelang geherrscht, bis der heranwachsende Sohn im jugendlichen Leichtsinn auf Abwege geriet. In gerechtem Zorn hatte der Vater dem Rückfälligen das Haus verboten, da er seinen Versprechungen, sich zu bessern, keinen Glauben mehr schenkte. Das Mutterherz verzeiht leichter und die Mutterliebe giebt den Verirrten nimmer auf. So wendet sich die Mutter noch einmal an den tiefbetrübten Vater und sucht ihn zur Milde, zur Versöhnung umzustimmen. Sie findet in der schmucken braven Tochter, dem Liebling des Vaters, eine warmherzige Fürsprecherin – und fürwahr, die Liebe wird siegen, das lesen wir in dem Antlitz des Mannes, das neben dem Schmerz tiefe Rührung verrät. – Der Uebelthäter ist Zeuge dieser ergreifenden Familienscene und man sieht ihm an, daß sein Gewissen wach geworden ist. Hoffentlich wird er sich der Verzeihung und der Elternliebe würdig erweisen! *      

Der Landbriefträger im Spreewalde. (Zu dem Bilde S. 161.) Statt der Chausseen und Fußwege lauter Kanäle und Rinnsale – das ist es vor allem, was den Verkehr im wendischen Spreewalde so gar eigenartig macht. Auf dem Wasser, im geschmückten Boote, fährt man den kleinen Spreewaldbürger nach Lübbenau oder Burg zur Taufe, im Boot begiebt sich der Abcschütz nach der Schule, und auf den grünen, freundlichen Spreewellen läßt man sich zur Arbeit wie zur Freude tragen. Eines Tages hallen Trompetenstöße oder die weichen Töne des Dudelsackes über die stillen Wasserflächen; dem mit Musikern besetzten Kahne folgt ein blumenbehängtes, üppig aufgeputztes Fahrzeug, darin ein liebend junges Menschenpaar in die Kirche zur Trauung gleitet, und hinterher schaukeln die „Spreewaldkutschen“ der Hochzeitsgäste, Boot bei Boot. Weiter kommt ein Tag, wo Grabgesang über Wald und Wiese forttönt; in Kähnen geht es zum Gottesacker … Auf dem Wasser blickt der Spreewäldler zum erstenmal in die lachende Gotteswelt hinein, auf dem Wasser fährt er zur ewigen Ruhe.

Das schlanke Mädchen, dem der schalkhafte Postbote mit dem dicken Briefe eine so herzliche Morgenfreude bereitet, denkt mit keinem Gedanken daran, daß die leis bewegte Straße da unten sich auch zum Friedhofe wendet; sie sieht heute in ihr nur den Triumphweg, der geradeaus zum Altare führt, wo die Frage des Pfarrers ihr das freudige Ja entlocken wird. Annuschka hat wochenlang darauf gewartet, daß der Liebste, den sie zur Garde genommen haben, ihr von der großen Stadt Berlin und seinen Erlebnissen darin umständlichen Bericht geben würde. Nach langem Harren hat endlich die Schwarzäugige ihr Billetdoux vom unvergeßlichen Pionier, sie hält es sicher, sie hält es warm, und heute werden die Lustigkeit und das Singen im Blockhause nimmer aufhören. – Des in unserm Falle mit einigem Unrecht „Land“-Briefträger genannten Stephansjüngers Fahrt geht weiter die breite „Dorfstraße“ hinab: hier und da Abstecher in ein Sackgäßlein, dann, wenn jedem das Seine geworden ist, aus dem Klein-Venedig hinaus in den Erlenwald, dessen sonnendurchstrahltes Laub bis an die Erde hinunterklettert, hinaus in die Wiesenkanäle, zu den einsam gelegenen „Kaupen“, den Einzelansiedelungen, oft auch ins Herrenschloß. Unser Spreewaldbriefträger ist, selbst wenn Regen und Sturm ihm den Dienst erschweren, keineswegs schlimmer dran als seine Kollegen, die alleweil festen Erdboden unter sich haben; mit der Spreewaldstake rudert sich’s leicht – im Winter hilft, noch angenehmer, der Schlittschuh vorwärts! – und der wendische Bauer ist gastfrei, läßt den Boten zwar immer gute, doch nie böse Nachrichten entgelten. N.     


Inhalt: Trotzige Herzen. Roman von W. Heimburg (9. Fortsetzung). S. 149. – Das Kloster Arkadi auf Kreta. Bild. S. 149. – W. Heimburg in ihrem Arbeitszimmer. Bild. S. 153. – Märzensonne. Gedicht von F. Bochazer. Mit Illustration. S. 155. – Ein Brief über W. Heimburg. Von M. v. Locella. Zu dem Bilde S. 153. – Das Historische Museum der Völkerschlacht bei Leipzig. Von Max Hartung. S. 156. Mit Abbildungen S. 156, 158 und 159. – Eine Versöhnung. Bild. S. 157. – Jung Volk will allein sein. Ein Abenteuer aus der Zeit der Postkutschen. Von R. Waldmüller-Duboc. S. 160. Mit Abbildungen S. 160 und 163. – Landbriefträger im Spreewald. Bild. S. 161. – Blätter und Blüten: Kloster Arkadi auf Kreta. S. 164. (Zu dem Bilde S. 149.) – Deutschlands merkwürdige Bäume: Die „Riesenschlangenkiefer“ bei Bendestorf in Hannover. Mit Abbildung. S. 164. – Eine Versöhnung. S. 164. (Zu dem Bilde S. 157.) – Der Landbriefträger im Spreewalde. S. 164. (Zu dem Bilde S. 161.)



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. w:Bendestorf liegt im Landkreis Harburg.

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