Zum Inhalt springen

Die Gartenlaube (1898)/Heft 11

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Verschiedene
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: 1898
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
{{{SONSTIGES}}}
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[324 c]

11. Heft. Preis 10 cents. 1. Juni 1898.

Max Weil & Co., cor. 12th & Vine Street, Cincinnati, Ohio.

[324 d]

Inhalt.
Seite
Die arme Kleine. Eine Familiengeschichte von Marie von Ebner-Eschenbach (4. Fortsetzung) 325
Mein Feuersalamander. Von Dr. K. G. Lutz. Mit Illlustration von A. Kull 332
Die Kaisergaukler vom Kyffhäuser. Von Fedor von Köppen. 334
Vasco da Gama, der Entdecker des Seewegs nach Ostindien. Von Paul Holzhausen. Mit Bildnis. 337
Das Kaprunerthal. Von Prof. Dr. Theodor Petersen. Mit Abbildungen 339
Antons Erben. Roman von W. Heimburg (10. Fortsetzung) 342
Deutsche Nationalfeste 351
Blätter und Blüten: Anton Seidl †. (Zu dem Bildnis S. 354.) S. 352. – Die Seeschlacht bei Manila. (Zu den Bildern auf S. 354 u. 355.) S. 352. – Badeeinrichtungen bei der preußischen Eisenbahnverwaltung. S. 354. – Vorbereitungen zum Fest (Zu dem Bilde S. 328 und 329.) S. 354. – Instruktionsstunde. (Zu dem Bilde S. 345.) S. 354. – Eingeregnet. (Zu dem Bilde S. 349.) S. 355. – Der hundertjährige Kamelienbaum im Schloßgarten zu Pillnitz. (Mit Abbildung.) S. 356. – Elternfreude. (Zu dem Bilde S. 353.) S. 356. – Johannes mit dem Lamm. (Zu unserer Kunstbeilage.) S. 356. – I. Quittung für das Rittershaus-Denkmal. S. 356.
Illustrationen: Der Dorfprinz. Von R. Hesse. S. 325. – Vorbereitungen zum Fest. Von A. Moreau. S. 328 und 329. – Der Feuersalamander und seine Entwicklungsstufen. Von Albert Kull. S. 333. – Vasco da Gama. S. 337. – Abbildungen zu dem Artikel „Das Kaprunerthal“. Zell am See, Zell am See und Steinernes Meer. Das Kaprunerthal gegen die Schmittenhöhe mit Kesselfallalpenhaus. S. 339. Schloß Kaprun. Eingang zur Sigmund Thun-Klamm. S. 340. Kesselfall. Kesselfallalpenhaus. Sigmund Thun-Klamm. S. 341. Wasserfallboden. Mooserboden. S. 342. – In der Instruktionsstunde. Von Karl Müller. S. 345. – Eingeregnet. Von H. Bever. S. 349. – Elternfreude. Von O. Gräf. S. 353. – Anton Seidl †. S. 354. – Hafenbatterien von Manila. Ansicht des Hafens von Manila. S. 354. Kommodore Dewey. Konteradmiral Montojo y Pasarón. S. 355. – Vergnügte Rast. Von C. Bellanger. S. 355. – Der hundertjährige Kamelienbaum im Schloßgarten zu Pillnitz. Von A. Reinhardt. S. 356.


Hierzu Kunstbeilage XI:0 „Johannes mit dem Lamm“.0 Von Murillo.




Kleine Mitteilungen.


Frühlingsbowlen. Wenn draußen Frühlingssonnenschein lacht und Blatt um Blatt, Blüte um Blüte sich enthaltet, so weckt die Lenzespracht draußen mit den Liedern jubilierender Vögel auch im Menschen neue Lust und ungetrübten Frohsinn. Und niemals herrschen ungetrübte Heiterkeit und Freude mehr im gemütlichen Freundeskreise, als wenn die Hausfrau die erste „Frühlingsbowle“, den duftenden Maitrank uns kredenzt. Das „weingewordene Lied der Freude“ hat ein Dichter die Maibowle einmal genannt und sie verdient diese Bezeichnung mit Recht, wenn – und hier möchte ich einen Riesengedankenstrich machen – der Maitrank mit Lust und Liebe nicht allein, nein, besonders auch mit Sachverständnis bereitet wurde. Was man aber oft unter dem Namen Bowle vorgesetzt erhält, darüber würde ich aus Höflichkeit schweigen, wenn nicht tags darauf ein „Brummschädel“ deutlich davon redete.

Unsere Hausfrauen sündigen häufig bei der Bowlenbereitung auf eine erschreckliche Weise; herrscht doch bei vielen die Meinung, daß zur Bowle der billigste Wein gerade gut genug sei, denn bei der Mischung von Wein mit Zucker, Kräuter- oder Fruchtaroma kommt der Wein, wie sie sagen, doch nicht zur Geltung, da diese ihn verdecken. Ist aber eine Bowle sachkundig gebraut, so verdeckt Würzung und Süße den reinen Weingeschmack nicht, denn der Wein soll nur mit so viel Zucker gesüßt werden, daß sein Säuregeschmack zurücktritt, das Aroma aber, sei es, was es wolle, soll dagegen wohl bemerkbar, aber nicht vorherrschend sein. Bei Bowlen, die Anspruch auf Anerkennung machen, wird sich also aus den angegebenen Gründen die Verwendung der sogenannten „Bowlenweine“ verbieten, wenn die Hausfrau sie nicht aus falscher Sparsamkeit nimmt und die Bowle rettungslos verdirbt.

Ebensowenig aber wie saure Weine sollen schwere, leicht berauschende Weine zur Bereitung von Bowlen genommen werden; gute lieblich schmeckende Mosel- und Ahrweine sind die geeignetsten Bowlenweine, und nur ein Zusatz, etwa 1 zu 5, von schwerem Rheinwein giebt nach dem Urteil der Kenner der Bowle die höchste Vollendung. Manche Feinschmecker empfehlen übrigens besonders für die Maibowle die Zugabe von etwas rotem Rheinwein (ja nicht herbem französischen Rotwein!), der, wie ich nach vergleichenden Erprobungen bestätigen möchte, in der That trefflich mit dem Geschmack des Maitrankes harmoniert. Schaumwein ist für die Frühlingsbowle wohl entbehrlich, für andere Sommerbowlen dagegen wie Erdbeer-, Pfirsich-, auch Ananasbowle von großer Wichtigkeit. Es braucht kein teurer Champagner zu sein, ein leichter Schaumwein genügt völlig, für einfache Verhältnisse kann man sogar recht gut Fruchtschaumwein nehmen. Fruchtweine überhaupt, teilweise mit Traubenweinen oder ganz als deren Ersatz angewandt, sind zur Bereitung einfacher Bowlen immer besser als die sauren Krätzer von „Bowlenweinen“. Dagegen ist von dem Ersatz des Schaumweines durch Selterswasser, wie es oft genommen wird, abzuraten; seiner Salze wegen ist es völlig unbrauchbar und verdirbt den guten Geschmack der Bowlen. Wem Fruchtschaumwein noch zu teuer ist und wer dennoch den leichten prickelnden Geschmack auf der Zunge nicht missen möchte, der muß „kohlensaures“ Wasser verwenden.

Wieviel Zucker auf jede Flasche Wein zu nehmen ist, läßt sich niemals genau bestimmen. Eine genaue Gewichtsangabe könnte nur Unheil anrichten, da die Säure des Weines dafür ausschlaggebend ist. Wohl aber erscheint es angebracht, vor der Verwendung von Streuzucker bei Bereitung von Bowlen zu warnen, bei dessen Gebrauch man sehr leicht ein „Zuviel“ zusetzt. Am praktischsten ist die Bereitung eines Zuckersirups zum Versüßen der BOwlen, zu dem man 1 kg Zucker mit 1/2 l Wasser aufsetzt, gut schäumt und 5 Minuten kocht, um dann den Sirup zu filtrieren und in kleine Fläschchen zu füllen. Ein Weinglas dieses Zuckersirups ist gleich 100 g Zucker. Mit dem Zuckersirup läßt sich am besten der „Indifferenzpunkt“ des Weines, also der Punkt, wo die Weinsäure zurück-, der Zuckergeschmack aber nicht hervortritt, treffen.

Auch die Zuthat der verschiedenen Würzen läßt sich nicht genau vorschreiben, bei ihnen wird der persönliche Geschmack stets ausschlaggebend sein. Bei der Maibowle ist jedoch vor dem zu langen Ausziehen des Waldmeisters zu warnen, da sich in diesem Falle nicht nur der aromatische Stoff des Waldmeister, das „Cumarin“, sondern auch andere bittere Stoffe lösen. Am besten hängt man das Maikraut mit den Spitzen an einem Faden so lange in den Wein, bis eine Probe zeigt, daß er genügend Aroma besitzt. In leicht angewelktem Zustande entwickelt der Waldmeister übrigens das meiste Aroma. Die Zuthat anderer Würzkräuter wie Melisse, Johannisbeerblättchen etc., wie dies manche Vorschrift angiebt, ist nicht zu empfehlen: das Aroma des Maitranks leidet durch sie, nur einige Scheiben entkernter Apfelsinen, die man zuletzt in die Maibowle legt, können als harmonisch zum Aroma passend empfohlen werden.

Am schlimmsten aber ist der Zusatz von Rum, Arrak oder gar Cognac zu jeglicher Bowle, welcher diese stets verdirbt und nur einem verbildeten Geschmack zusagen kann, ganz abgesehen von den wenig angenehmen Nachwirkungen solcher Bowlen auf Geist und Körper.

Endlich ist die Temperatur der fertigen Bowlen nicht als unwesentlich zu betrachten. Bowlen im Frühling dürfen nicht so stark gekühlt werden wie im heißen Hochsommer, auch werden sie um so weniger gekühlt, je leichter die zu ihrer Bereitung verwendeten Weine sind. Am richtigsten wird im Frühling eine Temperatur von 10 bis 12° R., im Hochsommer eine solche von 7 bis 9° R. sein. Ein Eisschrank ist zum Kühlen am angenehmsten; wer ihn nicht besitzt, kann durch eine peinlich saubere, mit kleinen Eisstückchen gefüllte Flasche, die man in die Bowle legt, dieser die richtige Temperatur geben.

Wer aber bei solch trefflicher Maibowle, die man mit einem Kranz Frühlingsblüten umwindet, die echte Frühlingsstimmung nicht finde – dem ist nicht zu helfen, er bleibt ein Griesgram sein Leben lang. L. H.     

Für Laubsägekünstler. Noch ziemlich wenig bekannt ist die Benutzung der Laubsäge zur Herstellung von Steinmosaiken. Die technisch ungemein leichte, künstlerisch aber höchst wirksame Arbeit wird dadurch auch den Dilettanten möglich gemacht, daß aus gegossenem Marmor sowohl kleine und kleinste einfarbige Steinchen als auch größere einfarbige oder in verschiedener Weise marmorierte Tafeln in den Handel gebracht werden. Aus denselben kann man die herrlichsten Mosaiken zusammensetzen und sie als dünne Einlagen oder mit einem Kehlleistchen umrahmte Auflagen für allerhand flache Gegenstände, Kästchen, Tische, Briefbeschwerer, Bilderrahmen, Paneele, Konsolen u. v. a. verwenden. Tafeln und Steine sind quadratisch, und es ist nun die Aufgabe des Laubsägekünstlers, diese gewissermaßen als Rohmaterial zu betrachtenden Tafeln und Steine mit seinem Werkzeug so zu bearbeiten, daß eben das Muster als buntfarbige Mosaik erscheint, zu welchem Zweck es aus vielen einzelnen nach der Mustervorlage zugesägten Teilen zusammengesetzt wird. Für die Herrichtung der kleinen Steine, ihre Teilung in Dreiecke etc. bedarf man neben der Laubsäge noch einer kleinen sogenannten Schneidelade, wogegen die größeren, 10 X 10 cm messenden Marmortafeln ganz so wie Holzfourniere auf einem Sägetischchen allein mit der Laubsäge nach vorgezeichneten Linien in die gewünschten Formen zerschnitten werden, was sehr schnell von statten geht. Sind alle Einzelteile fertig zugeschnitten und provisorisch auf einem Bogen Papier aneinander gelegt, so bestreicht man sie eins nach dem andern mit Natronwasserglas und leimt sie auf diese Weise in den Gegenstand fest ein. Die dabei entstehenden Fugen werden sodann mit einem schwarzen oder goldenen Kitt ausgefüllt, hiernach die ganze Oberfläche mit einem Schabeisen schön geglättet und schließlich mit Mohnöl eingerieben, um die während der Arbeit unansehnlich gewordenen Farben aufzufrischen.

Zusammenlegbare Laterne. Für die Touristen, welche oft vor Tagesgrauen aufbrechen, ist eine höchst praktische Laterne erfunden worden. Zusammengeklappt, steckt sie in einem flachen Futteral nicht größer als eine gewöhnliche Brieftasche; faßt man sie oben an ihrem Ring und schüttelt sie mit einem kurzen Ruck nach unten, so stellen sich die Wände rechtwinklig gegeneinander, der Boden senkt sich herab, nur die Kerze muß man außerdem in der Tasche tragen. Die „Blitzlaterne“ wird von J. Böcklein, München, Reichenbachstraße 39, fabriziert.

[325]

Halbheft 11.   1898.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahresabonnement (1. Januar bis 31. Dezember) 7 Mark. Zu beziehen in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.


Die arme Kleine.

Eine Familiengeschichte von Marie von Ebner-Eschenbach.

 (4. Fortsetzung.)

Elika hatte ihr achtes Jahr erreicht, wuchs in die Höhe und blieb dabei beunruhigend zart und schmächtig. Nicht oft gab es einen Tag, an dem sie ohne Kopfschmerzen blieb, kam aber einmal einer, dann entschädigte er sie für eine lange Zeit der Leiden; eine ungewohnte Erscheinung trat ein – die arme Kleine war seelenvergnügt.

„Ich hab’ nicht gewußt, wie gut das ist, vergnügt sein,“ sagte sie zu Joseph und brachte es nach und nach dahin, sich durch körperliche Schmerzen die Laune nicht verderben zu lassen.

Den Gedanken, daß sie früh sterben werde, gab sie nicht auf. Er war ihr immer noch lieb. Sie spielte mit ihm, dichtete an ihm herum, stellte sich vor, wie der Abschied von Papa und von den Tanten, von den Brüdern und von den Hausleuten sein werde. Sie wollte an jeden einzelnen rührende Worte richten und sterben bei offenen Fenstern im Schein der aufgehenden Sonne, wie eine Heldin und wie eine Heilige.

Ihr Lerneifer hatte sich abgekühlt, seitdem sie des Lesens und Schreibens kundig war. Unter allen Gegenständen, die ihr Heideschmied in unnachahmlich liebenswürdiger und den Wissensdurst reizender Weise vortrug, liebte sie nur Geschichte, und besonders die alte, die der Sagenzeit am nächsten ist. Ihr Gebiet, das Daheim ihrer Träume, war das Märchen. Ein wonniges Glücksgefühl durchdrang sie, wenn sie vor dem Gartenhause, indem ihre Puppen verblichen und verstaubten, unter den alten Erlen auf und ab ging wie eine kleine Schildwache, ihr Buch in der Hand, und Märchen las. Mit größtem Entzücken die des alten französischen Märchensammlers Perrault. Sie hatte in wenigen Monaten von Frau Heideschmied französisch sprechen und lesen gelernt.

O Prinzessin Gracieuse, o Prinz Percinet, wie wurdet ihr geliebt! Wie wurdest du gehaßt, elende Fee Grognon! Und du Holde mit den goldenen Haaren, und du blauer Vogel und du gelber Zwerg, welche Gefühle der Lust und Unlust erwecktet ihr! … Und du guter dummer Königssohn mit der ellenlangen Nase, die sich in eine wohlproportionierte nicht verwandeln durfte, ehe du sprachst: „Ich seh es ein, meine Nase ist zu lang!“ wie wurdest du verspottet! O lachen und weinen, gesegnete Qual seliger oder gruseliger Erwartung, die dadurch nicht im geringsten vermindert wurde, daß die eifrige Leserin ihre Bücher, die unerschöpflichen Quellen all der Wunder, fast auswendig wußte.

Wenn die Brüder von der Lehrstunde kamen – und ihr erster Weg führte


Der Dorfprinz.
Nach dem Gemälde von R. Hesse.

[326] sie immer zur Kleinen, ob sie im Garten oder auf ihrem Zimmer war – versank die Märchenwelt. Sie lief den Brüdern in die Stallungen nach, und bald mußte für sie auch ein Pony gezäumt und gesattelt werden. Kosel selbst nahm ihr Pferdchen an den langen Zügel, und sie trabte neben ihrem zerstreuten Papa einher, der ihr oft zulächelte, ihr aber gar keinen Unterricht gab. So wurde sie eine ungeschulte, aber kecke Reiterin und nahm die „arme Kleine“ nicht mit auf den Rücken des Pferdes. Die legte sie ab mit ihrem weißen Kleidchen, wenn sie ihre „Amazone“ anzog, um wieder hineinzuschlüpfen, sobald sie von ihrem Rößlein gehoben wurde.

Auf dem Turnplatz zeichnete sie sich ebenfalls aus, vor einem ständigen Publikum, das jetzt weniger feindselige Elemente zählte, weil die Kleine mit ihrer um Liebe und Mitleid werbenden Miene öfters vor ihm erschien und Geschenke verteilte.

Seitdem Joseph den größten Teil des Tages in Vrobek zubrachte, war überhaupt ein längerer Waffenstillstand eingetreten, und erst gegen das Ende der Ferienzeit wurde er unterbrochen.

In den Gärten Leopolds und Franz’ waren neu angelegte Blumenbeete zerstampft, Bäume ihrer schönsten Zweige beraubt worden. Zum Ueberfluß flogen eines Morgens Steine von der Straße herüber, von denen einer die Schulter Elikas streifte. Da sprang Franz über den Zaun, erwischte den Uebelthäter und bläute ihn durch.

Auf das hin Klage der Eltern des Gezüchtigten beim Bezirksgericht, Zeugenverhör, wachsende Erbitterung der drei jungen Herren, als die Entscheidung des Gerichtes günstig für die Dorfbewohner ausfiel.

Um die Zeit fand ein Ereignis statt, dessen wirklicher Hergang für die Schloßbewohner in Dunkel gehüllt blieb. In ganz Velice hätte nur ein Erwachsener genaue Auskunft darüber geben können: der Herr Schullehrer. Und der schwieg, verriet nicht, daß er Zeuge einer Schlacht gewesen war.

Etwa zwanzig Knaben aus dem Dorfe hatten die drei Brüder gestellt. In einem Hohlweg, der zwischen Bauernfeldern lag.

„O je, die Herren!“ rief der rote Vichoda, grinste und riß höhnisch die Mütze vom Kopf.

Baros, der Bürgermeisterssohn, bläst sich auf, steckt die Hände in die Taschen:

„Woher? Vom Bauernfeld. Was haben Sie auf dem Bauernfeld zu suchen?“

Sogleich ging’s zu wie im ersten Auftritt von „Romeo und Julie“.

„Sucht ihr Händel?“

„Wenn ihr Händel sucht, ist’s recht.“

„Wir stehen zu Diensten.“

„So, ihr drei?“

„Hierher, Franz, Leopold, hier Schloß!“

„Hier Dorf!“

„Gesindel!“

„Wer – Gesindel?“

„Wer fragt.“

„Oho: Wartet ihr!“

Eine Schar wilder Jungen stürzt sich über die drei. Die sind gewandter als die Gegner, mutiger, ruhiger. Ein halbes Dutzend Feinde haben sie bald unlustig gemacht, den Krieg fortzusetzen. Doch ist die Ueberzahl zu groß, sie müssen endlich weichen, und der älteste und kühnste von ihnen kommt nicht dazu, seine ganze Kraft zu entfalten, weil er beim Angriff immer zugleich für die Verteidigung seiner Brüder sorgt.

Der Kampf war schon heiß entbrannt, als der Schullehrer, von einem Spaziergang heimkehrend, in die Nähe des Schlachtfeldes kam. Ein Strauch wilder Rosen an der Biegung des Weges verbarg ihn, und behaglich konnte er zusehen, wie die jungen Herren geklopft wurden.

Am härtesten bedrängt war Franz und auch am erregtesten von allen. Joseph verfolgte ihn mit den Augen und rief ihm einmal ums andere zu:

„Aergere dich nicht, wehr dich!“

Leopold bewahrte seinen guten Humor. Seine Spottreden prasselten und flogen, mancher Schlag, der ihn treffen sollte,ging fehl, weil der Angreifer beim Ausholen hatte lachen müssen. Aber die Schläge, die er austeilte, trafen alle und saßen fest. Jetzt unterliefen ihn ein paar Buben, er verlor das Gleichgewicht und war schon im Stürzen, als Joseph zu Hilfe kam und ihn aufrecht erhielt. Im nächsten Augenblick waren ihrer zehn über den beiden und die verdienten sich heute wieder ihren Spitznamen: die Löwen. So schön und großartig war ihre Kampfweise, daß einige, die mitgethan hatten, austraten, um zuzusehen. Sogar einen Bundesgenossen bekamen sie. Hanusch, der Sohn des Zimmermanns, ein Knopf von einem Burschen, stämmig wie ein Amboß, mit Fäusten wie Holzschlägel, rief auf einmal: „Hie Schloß!“ und parierte einen Hieb, der nach Joseph geführt wurde.

Nun gellte ein Schrei der Wut aus dem Getümmel, aus dem eben noch der Kopf des Bruders Franz geragt hatte. Eine Schar kleiner Jungen warf sich über einen, der am Boden lag.

Joseph brüllte: „Franz! Franz! sie haben ihn niedergerissen!“

Mit der Bewegung eines kräftigen Schwimmers keilte er die Arme in das Rudel der Feinde, schob sie auseinander und schleuderte sie hinter sich, daß sie reihenweise hinpurzelten, Leopold und der Hanusch vom Zimmermann deckten ihm den Rücken. Ein paar Schritte und er ist bei Franz, ein paar Fußtritte und die kleinen Bedränger kugeln nach rechts und nach links. Den letzten hebt er beim Hosengurt in die Höhe und der zappelt mit allen Gliedern wie eine aufgespießte Kreuzspinne.

Der Schullehrer eilt aus seinem Versteck herbei und zetert: „Mein Wenzi! Lassen Sie ihn! Ruhe! Ruhe!“

Joseph wendet sich, spricht kein Wort, wirft mit einer verächtlichen Gebärde dem Lehrer seinen Sprößling in die Arme und blickt zu Franz nieder.

Leopold kniet schon bei ihm und will ihn aufrichten. „Laß, laß, ich kann schon allein,“ sagt er, sieht mit unheimlich glasigen Augen um sich und sinkt zurück.

„Wenn er tot ist, müßt ihr alle sterben!“ donnert Joseph die Bauernkinder an, einige bleiben trotzig stehen, die meisten wenden sich eingeschüchtert ab, der Schullehrer tritt hinzu, seinen Wenzi führend, erschrickt und ruft:

„Franz! Jesus Maria, was ist ihm?“

Leopold hat die Hand auf das Herz seines Brudes gelegt – es schlägt – nach kurzem Stillstand schlägt es wieder, hastig, unregelmäßig … aber es schlägt doch wieder. „Was habt ihr ihm gethan?“ fragt Leopold, der immer Ruhigere, seine Angst verbeißend.

„Wir haben ihm nichts gethan!“ antwortet einer und der rote Vichoda setzt boshaft hinzu:

„Er hat sich nur geärgert.“

„Ja, ja, nur geärgert,“ klingt’s im Chor.

Und jetzt, ganz energisch setzt Franz sich auf, wischt mit der Rechten übers Gesicht, sie blutet. „Nichts haben sie mir gethan,“ sagt er laut.

„Franz! Herr Franz!“ wimmert eine Kinderstimme. Wenzi macht sich vom Vater los und läuft auf Franz zu und küßt ihm die blutende Hand, und stellt sich hin und heult und plärrt wie nur ein slavisches Kind heulen und plärren kann. Bäche fließen aus seinen Augen in seinen Mund, über sein Gesicht, das auf einmal voll Falten ist und ordentlich alt aussieht. „Lieber Herr Franz, ich hab’ Ihnen nichts gethan, ich hab’ Sie nur gebissen, ein wenig, ein wenig gebissen!“

Am nächsten Tag ging im Dorfe viel junges Volk hinkend und mit verbundenen Köpfen umher, und Heideschmied staunte über die blauen Flecke, mit denen seine Zöglinge bedeckt waren. Da ihnen aber nichts fehlte und sie seine Fragen über den Ursprung dieser vorübergehenden Tättowierung ausweichend beantworteten, versuchte er nicht, sich in ihr Vertrauen zu drängen.

Diese Schlacht war die letzte, die zwischen der kriegerischen Dorf- und Schloßjugend geschlagen wurde. Wie immer ihre Beziehungen zu einander sich auch gestalteten, zu Thätlichkeiten kam es nicht mehr.


[327] Elika war unzufrieden mit ihrem Bruder Joseph. Er kümmerte sich viel weniger um sie als früher, ihr Einfluß auf ihn verminderte sich. Wenn sie sonst geklagt hatte: „Joseph, ich bin müd’“, „Joseph, ich hab’ Kopfschmerzen“, hatte er sie immer unendlich bedauert. Hieß es aber gar: „Joseph, ich hab’ Herzweh“, dann kam er um alle Seelenruhe. Hatte doch der Arzt in Wien den Ausspruch gethan, Elika könne infolge ihrer Blutarmut herzleidend werden. Franz erfuhr es und erzählte es ihr, und seitdem bekam sie „Herzweh“, wenn ihr etwas Unangenehmes begegnete. Es war keine Lüge – sie sagte überhaupt keine Lüge. Das leidige Schmerzgefühl stellte sich wirklich bei der geringsten Veranlassung ein, und sie versäumte nie, ihre Umgebung nachdrücklich darauf aufmerksam zu machen.

Und dann war Joseph unendlich besorgt und liebreich, und was sie nur wünschte, hätte er ihr bringen und verschaffen mögen.

Und jetzt machte sie oft ganz vergeblich ihre traurigsten Kopfschmerz- und Herzwehaugen, er bemerkte es nicht. Es fiel ihm auch seltener ein als früher, ihr etwas zu schenken, und sie kam sich dadurch sehr zurückgesetzt vor. Joseph sollte nichts besitzen, das er ihr nicht gern dargebracht hätte.

Als Beweis seiner Liebe verlangte sie’s, nicht aus Habgier; sie nahm, um zu geben. Wenn sie auch nicht den „Schenkteufel“ (Apollonias Wort) in sich hatte, wie ihre Brüder, gab sie doch auch gern, nur anders. Ihre Brüder besaßen die göttlich leichtsinnige Großmut, die schenkt, aus Freude am Schenken, sie gab mit Bedacht und bedauerte sich dabei, weil sie nun die oder jene Lieblingssache nicht mehr hatte. Sie brachte Opfer und erwartete Bewunderung und Joseph hatte ihr die seine bisher immer gezollt. In letzter Zeit freilich auch nicht mehr so warm wie sonst.

Elika kam sich beschädigt, beraubt, aus seinem Herzen verdrängt vor, und ein verläßlicher Spürsinn sagte ihr durch wen.

Wo brachte er jeden freien Augenblick zu? Von wem sprach er fortwährend, wenn er heim kam? Und was Elika nicht begreifen konnte und was sie verdroß und ihr lächerlich erschien: der ganze Mensch veränderte sich, wenn Tante Luise unerwartet ins Zimmer trat. Da bekam er ein andres Gesicht, wurde verlegen bis zur Bestürzung, und seine Stimme klang gequetscht und fremd.

Was sollte das heißen? Was hatte das zu bedeuten? Sie wußte es nicht, aber es beleidigte und empörte sie, und sie ließ ihn bei solchen Gelegenheiten nicht aus den Augen. Unbarmherzig verfolgte ihn ihr spöttischer Blick, und er geriet oft in Versuchung, die Faust zu erheben gegen die boshafte kleine Kröte und sie niederzuschmettern. Aber dann, sobald sie bemerkte, daß er begann, die Herrschaft über sich zu verlieren, daß Gefahr drohe, neigte sie ihr Köpfchen zur Seite und sah hilflos drein, und der starke Joseph war entwaffnet.

Daß sie von ihrer Bedeutung für ihn verloren hatte, ihm weniger wichtig geworden war, davon gab er sich keine Rechenschaft. Und würde man ihn aufs Gewissen gefragt haben, er hätte antworten dürfen: sie ist mir so lieb wie je. Aber sich viel mit ihr zu beschäftigen, war ihm nicht mehr möglich. Seine Seele war zu voll von Qual und Bitternis. Der Umgang mit seinen Geschwistern hatte allen Reiz für ihn verloren, ihre Freuden und Leiden, ihre Spiele und ihre Studien erschienen ihm kindisch.

Die anderen aber, die Erwachsenen, die waren blind; sogar sie, die das Ziel seiner Wünsche und der Inhalt seiner Gedanken war, die leidenschaftlich Angebetete, behandelte ihn wie einen unreifen Knaben, zu dem sie freundlich bemutternd sprach: „Sei fleißig, Joseph! Lerne, ich bitte dich, lerne! Ich habe dich so lieb, ich möchte gar zu gern auch stolz auf dich sein.“

Sie ahnte nichts von der Grausamkeit dieser Bitte. Er hätte alles für sie thun können, rauben, morden – aber lernen konnte er nicht.

Ihre Nähe fing an, eine Qual für ihn zu werden, nach der er dürstete, ihre liebreiche Art war ihm ein Balsam, schlimmer als Gift.

Manchmal brachte er es über sich, einen ganzen Tag vergehen zu lassen, ohne Vrobek zu betreten, wo er sich notwendig und erwartet wußte. Dann kam Luise am Abend zu den Tanten und fragte:

„Was ist mit meinem Getreuen? Warum hat er mich heute verlassen?“

Joseph wurde gerufen und ließ sagen, er habe keine Zeit, er müsse studieren, oder er war schon im Augenblick, in dem Luise im Schloß erschien, auf und davon gerannt über Stock und Stein wie wahnsinnig. Sehr oft trieb es ihn wieder nach Hause zurück, er wartete im Garten auf sie und ging ein Stück Weges mit ihr, und dann noch ein Stückchen und immer noch ein Stückchen weiter. Entließ sie ihn am Ende des Waldes von Valahora mit einem herzlichen: „Jetzt aber gute Nacht, du Kind!“ wie oft that er da nur dergleichen, sich heimwärts zu wenden, umraste einen Hügel, der ihn vor ihr verbarg, und stand an der Thür des Hauses, wenn sie dort ankam, und sagte ihr ein zweites Mal Lebewohl.

Und nun mußte er erst recht hören: „Du Kind!“

Gegen Ende des Ferienmonats sagte Herr Heideschmied: „Lieber Joseph, wir müssen nun wieder anfangen, ernstlich zu studieren. Es ist allerhöchste Zeit, dieses Mal müssen Sie durchkommen in der dritten Klasse.“

Er blieb starr, als ihm Joseph mit eiserner Ruhe, mit der Festigkeit eines unwiderruflich gefaßten Entschlusses erwiderte: „Ich lasse mich nicht mehr prüfen, Herr Heideschmied. Es ist aus.“

„Joseph, Joseph,“ stammelte Heideschmied traurig und leise. „Sie müssen studieren, mein armer Joseph. Sie müssen die Matura ablegen. Sie werden doch nicht drei Jahre als gemeiner Soldat dienen wollen?“

Der Jüngling hatte ein verächtliches Achselzucken: „Und was weiter? … Zum Militär – lieber heut’ als morgen … Kommisbrot würg’ ich hinunter, Ihre Ambrosia der Buchweisheit hol’ der Teufel!“

Heideschmied sah ihn betrübt an und sagte: „Sie sind heute sehr aufgeregt.“

Da sprang Joseph empor und warf sich ihm in die Arme mit einer Wucht, die ihn wanken machte. Das Herz des Jünglings pochte wie mit Hammerschlägen an der Brust des alten Mannes, er schluchzte. „Ich schäm’ mich,“ brach es aus seiner gewürgten Kehle hervor: „Ich ertrag’s nicht mehr. Ich dank’ Ihnen, Herr Heideschmied, für alle Mühe, die Sie sich mit mir gegeben haben. Ich bitte Sie auch um Verzeihung, ich war im Anfang schlecht gegen Sie, ja, ja, schlecht und gemein, verzeihen Sie mir, Herr Heideschmied!“

Er stürzte aus dem Zimmer und ließ sich vor Abend nicht wieder blicken.

Luise war am Nachmittag nach Velice gekommen, kurz bevor ein schweres Gewitter, das seit Stunden drohte, niederging. Nach dem Souper wurde eingespannt, und sie fuhr in noch strömendem Regen heim. Das Gartenthor war hinter dem Wagen geschlossen worden, der Kutscher bog eben im scharfen Trabe auf die Straße ein, als ihm ein herrisches „Halt!“ zugerufen wurde. Joseph stand da unter einem Baume. Beim Schein der Laterne sah Luise, daß er totenblaß war und daß seine Augen düster flackerten. Plötzlich sprang er auf das Trittbrett und steckte den Kopf unter das Wagendach.

„Joseph, mein lieber Junge,“ sagte Luise und legte ihre Hand auf seine zerzausten Haare. Er nahm diese Hand, küßte und küßte sie. Durch den Handschuh fühlte Luise das Glühen seiner Lippen:

„Leb’ wohl – sehr wohl … Hörst du?“ keuchte er, stand im nächsten Augenblick auf dem Boden und befahl dem Kutscher: „Vorwärts!“

Im Hause auf dem Gang traf er Elika auf dem Wege nach ihrem Zimmer, lief ihr nach und flüsterte ihr zu: „Wenn Poli eingeschlafen sein wird, dann steh’ auf und öffne die Thür von deinem Lernzimmer. Ich muß dir etwas sagen, dir allein. Gieb acht, daß Poli nicht erwacht.“


[328]

Copyright 1894 by Braun, Clément & Cie. in Dornach.
Vorbereitungen zum Fest.
Nach dem Gemälde von A. Moreau.

[329] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [330] Apollonia brachte die Kleine zu Bett, löschte die Lichter und stellte den Schirm vor die Nachtlampe. Die Studierstube nebenan war nur durch einen Vorhang von Elikas Schlafzimmer getrennt. Sie führte auf den breiten gewölbten Bogengang durch eine Doppelthür, die abends von innen verschlossen wurde. Kaum war das geschehen, kaum hatte Apollonia ihr Gemach betreten und dessen Thür hinter sich zugezogen, als Elika sich aufsetzte und lauschte. Jetzt legte die Wärterin ihre Kleider ab, jetzt wusch sie sich und jetzt murmelte sie ihr Abendgebet, und Elika wußte jede Bewegung auswendig, die sie dabei zu machen pflegte, lächelte und dachte: Ich seh’ mit meinen Ohren. Und jetzt endlich richtete Apollonia sich von ihren Knien auf und ging zur Ruhe. Der Lichtstreif, der unter dem Thürspalt sichtbar gewesen war, erlosch. Einige Augenblicke noch und sie wird ein ganz klein wenig schnarchen, ganz lieblich, und Elika wird sich zur Gangthür schleichen und sie öffnen und dann wird Joseph kommen und ihr ein großes Geheimnis sagen. Etwas von der Prüfung gewiß und daß er nicht mehr lernen will. Und was wird dann geschehen? Was wird er thun? Was hat er vor? … O nur das eine nicht! das könnte sie nicht ertragen, nicht überleben … Joseph! Sie erschrickt, sie hat den Namen fast laut ausgerufen. Hält den Atem an, horcht. Gottlob, Poli schnarcht weiter. Elika darf’s wagen. Sie steht auf, geht zur Thür, dreht den Schlüssel im Schloß und kriecht dann wieder in ihr Bett zurück.

Gleich darauf stand Joseph vor ihr. Unhörbar, in Socken war er gekommen, hatte seinen alten Lodenanzug angethan, trug seinen alten Lodenhut, einen Knotenstock und seine Schnürstiefeletten in der Hand, einen Rucksack auf dem Rücken. Das alles legte er sachte auf den Boden und sagte mit tief gedämpfter Stimme: „Sei ganz still, rühr’ dich nicht, daß Poli nicht erwacht. Ich bin gekommen, um dir Lebewohl zu sagen. Ich gehe fort.“

So hatte sie richtig geahnt. Das Schlimmste, das ihr geschehen konnte, geschah. „Von mir fort? Mich verlassen? Was wird unsere Mutter im Himmel sagen, wenn du mich verläßt?“ fragte sie. Schmerzlich, vorwurfsvoll bohrte ihr Blick sich in den seinen.

Joseph nickte: „Von dir und von allen. Aber von dir nehm’ ich Abschied, weil ich Vertrauen zu dir hab’ und weil ich etwas von dir will. Dein Geld. Du bist reich. Wir haben nichts, die Brüder und ich. Gieb mir dein Geld.“

„Damit du von mir fortreisen kannst? Nein, ich geb’ dir nichts.“

„Gut, dann geh’ ich ohne Geld. Adieu. Ich bring’ mich auch so durch.“ Er stand auf, aber da umklammerte sie seinen Arm und flüsterte ihm zu:

„Nimm alles, ich geb’ dir alles, aber nimm mich mit.“

„Närrin,“ sprach er, „du bist ja eine Närrin. Ich gehe nach Hamburg auf ein Schiff. Ich gehe als Schiffsjunge nach Australien.“ Ich gehe zu meinem Freunde Bornholm, hatte er hinzusetzen wollen, unterdrückte es aber. Wozu brauchte sie das zu wissen? Auch sie hielt ja Levin für einen Missethäter.

Sie sah ihn groß und bewundernd an. Nicht der leiseste Zweifel stieg in ihr auf. Hätte sie gesagt: „Ich geh’ nach Australien,“ niemand, außer Poli, wäre erschrocken, und die wohl nur aus Gefälligkeit. Aber Joseph! Wenn er sagte: „Ich thu’s“, dann geschah’s. Nach Hamburg wollte er und auf ein Schiff – und nach Australien als Schiffsjunge. Ihr schwindelte und graute. Sie hatte eben die Geschichte eines armen, mißhandelten Schiffsjungen gelesen.

Joseph stand noch an ihrem Bette, sie hielt seinen Arm noch umklammert und preßte ihr Gesicht an seine Brust: „Du weißt nicht,“ sagte sie, „was ein Schiffsjunge ausstehen muß.“

„Weißt du, was ich hier ausstehn muß?“

„Alles wegen der dummen Prüfung.“

„Ja, die Prüfung! – und das andre, das ich nicht sagen kann – nicht dir und keinem – kaum mir selbst … Verstehst du? … Nein, nein, du kannst es nicht verstehn, du bist zu klein …“ Wie er litt! wie er rang, wie es in ihm kochte, während er ihr diese Worte zuraunte.

„Sag’, sag’! ich versteh’ alles,“ flüsterte sie. „Du schämst dich vor Tante Luise … Was hast du dich vor der zu schämen?“ Sie verzog verächtlich den Mund, im Ton ihrer Stimme lag der volle Haß der Eifersucht: „Vor der!“

Da stieß Joseph sie von sich, daß sie zurückfiel in die Kissen. „Adieu,“ murmelte er dumpf, wollte fortstürzen, besann sich aber und sagte schon halb abgewendet: „Wenn sie mich morgen suchen, weißt du nichts, sagst du nichts, kein Wort. Die Hand drauf.“ Er streckte ihr die Rechte entgegen. Sie faßte sie mit ihren beiden Händen.

„Ich sag’ kein Wort. Bleib’, bleib’ noch! nimm das Geld.“

„Willst du es mir denn geben?“

„Alles, alles geb’ ich dir!“

Er holte die kleine silberne Sparbüchse aus dem Glasschrank und mußte sie mit dem Messer aufsprengen, denn der Schlüssel befand sich in Polis Verwahrung.

Elika war wirklich sehr reich. Sie hatte zehnmal soviel Gulden als sie Jahre zählte. Joseph wollte nicht alles nehmen, er brauchte es nicht, ein zukünftiger Schiffsjunge fährt dritter Klasse. Aber seine Schwester zwang ihm das Ganze auf. Früher war sie reich gewesen, jetzt sollte er es sein.

Dann fingen sie an Abschied zu nehmen. Joseph empfahl ihr seinen alten Teckel und seinen Kanarienvogel und sagte: „’s ist Zeit, ich geh’.“ Er mußte die ganze Nacht durch marschieren, um am Morgen die große Kreuzungsstation zu erreichen. Auf einer kleinen Station in der Nähe durfte er sein Fahrbillet nicht lösen, da kannte man ihn, hätte Rechenschaft geben können von der Richtung, die er eingeschlagen hatte:

„’s ist Zeit,“ wiederholte er und wollte fort, aber Elika hielt ihn zurück mit ihren Fragen.

„Wenn du in Hamburg bist, was thust du dann?“

Ja, dann mußte er sich eben erkundigen, was zu thun sei, um als Schiffsjunge aufgenommen zu werden. Alles, was er wußte, war, daß man dazu in Hamburg keine Legitimation braucht, und daß von dort in nächster Zeit einige große Kauffahrer nach Australien segeln, wußte er auch. Vom Schiff aus versprach er, ein Telegramm ans Land zu schicken.

„An mich?“

„Nein, sonst merken sie, daß du etwas weißt. An Papa. Wenn das Telegramm ankommt, bin ich schon auf hoher See. Leb’ wohl, arme Kleine!“ Er wollte sich wieder in Socken davonschleichen, aber Elika versicherte ihn: „Wenn Poli so schnarcht wie jetzt, kannst du in Nagelschuhen tanzen, sie hört dich nicht.“

Joseph mußte sich wieder auf den Sessel setzen, sie stieg aus dem Bette, kniete vor ihm nieder und schnürte ihm die Stiefel zu, sorgfältig und rasch mit ihren dünnen geschickten Fingerchen. Und er ließ sich’s gefallen und tippte einigemal zärtlich auf ihren blonden Scheitel.

Sie war fertig, stand auf, betrachtete ihn voll Stolz und sprach: „Du bist mein großer Bruder.“

Auch er erhob sich, nahm seinen Rucksack und seinen Hut vom Boden auf und murmelte etwas, das wie ein abermaliges Lebewohl klang.

Die Thränen wollten Elika ersticken, doch sie weinte nicht. Wer einen so großen Bruder hat, weint nicht. Er hat einen Kummer, der ihn hinaustreibt in die Welt, auf die hohe See, in die Stürme, in Not und Tod, und weint nicht. Auch sie wollte nicht weinen. Dann aber durfte sie ihm nicht mehr die Hand geben, ihn nicht einmal mehr ansehen … Sie wich vor ihm zurück.

Am Himmel war ein fortwährendes Wetterleuchten und das Nebenzimmer, in das die Kinder traten, von fahlem, zuckendem Licht erhellt.

„Sperr’ ab hinter mir, vergiß nicht,“ sagte Joseph. Seine Sümme klang ungefähr so, wie wenn er mit Tante Luise sprach, und bevor Elika antworten konnte: „Ich werd’ doch nicht vergessen,“ war er fort.

Sie drehte mechanisch den Schlüssel im Schloß und stand da, barfüßig, in ihrem Hemdchen: „Ich werd’ – doch – nicht – ver – ges – sen –“ hauchte sie leise, unbewußt, mit zuckenden Lippen und starrte die Thür an, durch die Joseph verschwunden war. Und plötzlich überkam es sie mit Todesschrecken: Er ist fort, mit Todesschmerz. Und ich hab’ ihm nicht Lebewohl gesagt, ich hab’ ihm nichts gesagt, nicht einmal: Du hast mich immer [331] beschützt, ich dank’ dir, nicht einmal gefragt: Wann kommst du wieder?

Und jetzt ist er fort!

Aber nein, das ist Unsinn, ist unmöglich, so geht ein Bruder nicht fort von seiner Schwester. Er hat nur geglaubt, daß er fort kann von ihr, und wird schon sehen, daß er’s nicht kann, und wird zurückkommen und sie wird ihn auslachen. Sie stand und wartete und wartete und lehnte die Stirn an die Thür und schloß die Augen und wurde sehr schläfrig. Auf einmal fuhr es ihr durch den Kopf, daß sich Joseph einen Spaß mit ihr gemacht hatte. Nun dann – warte! Sie war sogleich umgestimmt, ging ins Schlafzimmer zurück zu ihrem Schranke, versteckte die aufgesprengte Sparbüchse in eine seiner Ecken, schlüpfte in ihr Bett und sann Rachepläne aus, über denen sie einschlief. Ihr Schlaf war aber unruhig und sie hatte einen schweren Traum. Sie sah ein Schiff auf hoher wilder See mit dem Sturme ringen. Turmhohe Wogen fegten alle Menschen vom Verdecke weg, ein einziger hing noch am Maste, sie kannte ihn, es war Joseph. Und nun fuhr ein Blitz vom Himmel und schlug in den Mast, und krachend stürzte er nieder.

Elika fuhr auf aus dem Schlafe in Angstschweiß gebadet, mit ungestüm pochendem Herzen. Am Horizont erglomm und erlosch ein fahles Leuchten, der Donner grollte, der Sturm pfiff und rüttelte an den Fenstern und Thüren des alten Hauses. Und plötzlich schoß ein wilder, toller Regenguß nieder, nahm den Kampf auf mit dem Sturme und besiegte ihn und prasselte fadengerade nieder auf die Bäume, auf das Dach und verwandelte die Traufen in brausende Wasserstürze. Das war lustig anzuhören vom Bette aus; aber die Armen, die draußen sind auf freiem Felde, die Armen, die auf offener Straße wandern – o die Armen!

„Joseph!“ rief die Kleine unwillkürlich aus, und nun war ihre Wärterin erwacht, trat an die Thür und horchte. Elika rührte sich nicht. Poli soll glauben, daß sie aus dem Traume gerufen hat, Poli soll wieder zur Ruhe gehen und schlafen, so tief wie früher. Das braucht die Kleine zur Ausführung des Entschlusses, den sie gefaßt hat, der ihr Gewißheit verschaffen soll. Sie hält den Zweifel nicht aus, der von neuem in ihr lebendig geworden ist.

Und nun wieder warten, eine endlose, fürchterliche Viertelstunde! Alles still nebenan. Sie wagt es – erhebt sich leise, unhörbar, schlüpft in die Badeschuhe, zieht ihr Röckchen an und schleicht hinaus auf den Gang.

Der Regen prallt vom steinernen Geländer ab, spritzt ihr ins Gesicht, in die Augen, der Boden ist überschwemmt. Sie ist naß bis auf die Haut, ehe sie zu dem geschlossenen Gange kommt, auf den die Thür des Betsaals mündet, und die des Zimmers, das Joseph bewohnt, und weiter dann der Eingang zur Treppe des Sibyllenturms. Tiefste Dunkelheit herrschte, Elika tappte sich an der Wand weiter. Da fiel plötzlich ein Lichtschein auf den Boden vor ihr; die Thür des Betsaals hatte sich geöffnet und heraus trat Tante Renate, eine Laterne in der Hand. Elika kauerte nieder und hielt den Atem an. Die Tante schritt weiter, ohne sich umzusehen, aufrecht in ihrer stillen, feierlichen Art. Vor dem Zimmer Josephs hielt sie an. Ihre Lippen bewegten sich nicht und doch sah man, daß sie betete. Mit einer schönen, großen Gebärde voll inbrünstiger Andacht machte sie das Zeichen des Kreuzes über die Thür, setzte ihren Weg fort und verschwand am Ende des Ganges.

Nun regte sich nichts mehr. Hastig, in fiebernder Eile, schritt Elika dem Zimmer Josephs zu. Sie wußte, daß sie es unverschlossen finden werde. Sich einsperren ist feig, sagte er.

Sie war bei ihm. Er hatte wieder geraucht, der Ungehorsame. „Joseph!“ rief sie in die Dunkelheit hinein und brauchte nicht zu fürchten, gehört zu werden. Es war niemand in der Nähe, Joseph wohnte schon seit einem Jahre allein und unbeaufsichtigt. „Schläfst du, Murmeltier, oder thust dergleichen? Hör’ einmal auf mit deinen Dummheiten, mein Guter.“

Keine Antwort, aber ein dumpfes Knurren ließ sich hören. Der alte, blinde, halbtaube Teckel war aufgestanden vom Polster neben dem Schreibtisch, stieß jämmerlich an ein paar Stühle an und trottete herbei auf seinen kurzen Pfoten. Er beschnüffelte die Füße Elikas, winselte, richtete sich an ihr auf und leckte wie bittend, wie heischend ihre Hände.

„Dackerl, wo ist dein Herr?“ fragte sie entsetzt. In Josephs Gegenwart hatte der Hund keine Liebkosung für einen andern.

Die Kleine trat an den Tisch, suchte unter Mineralien, ausgegrabenen Pflanzen, Samenproben, die dort in wüster Unordnung lagen, nach dem Feuerzeug, fand es und machte Licht.

Das Bett war unberührt. Er ist fort. Er hat gethan, wie er gesagt hat und was nicht geschehen darf – was sie verhüten wird. Auf, auf, das Haus! Einspannen, satteln, ihm nach! Sie weiß den Weg, den er genommen hat. Man holt ihn ein.

„Hilf, Heiland, hilf!“ ruft Elika zu dem Christusbilde über dem Bett empor. Es sieht ernst zu ihr nieder, vorwurfsvoll. Die Augen Josephs – alle finden es – haben Aehnlichkeit mit den Augen des Menschensohns. Und diese Augen sprechen: einer von euch wird mich verraten.

Aufschluchzend im schwersten Kampf, in einem nie gekannten Schmerze, sank die Kleine vor dem Bette nieder und küßte die Kissen, auf denen sein liebes Haupt geruht hatte. „Ich nicht,“ sprach sie, „deine Schwester nicht.“


„Gott im Himmel, wie sieht das Kind heute wieder aus!“ jammerte Apollonia am nächsten Morgen. „Schneeweißes Gesicht und rote Augen. Hat gewiß nicht geschlafen, hat gewiß Kopfschmerzen!“

Elika warf einen Blick in den Spiegel und erschrak. Sie konnte unwillkürlich zur Verräterin an Joseph werden. Es stand auf ihrer Stirn geschrieben: Ich habe etwas Schreckliches erlebt, ich habe einen großen Schmerz. Bald wird Joseph vermißt werden, man wird ihn suchen und nicht finden und dann gewiß fragen: Warum war Elika so verweint? und gewiß erraten: Sie hat um seine Flucht gewußt. Was sie dann thun und sagen werde, ahnte sie nicht, ihr war nur, als stände sie vor einer furchtbaren Gefahr, und sie betete zu Gott um Errettung aus ihrer Seelenpein, aus der entsetzlichen Klemme zwischen Verrat und Lüge.

Im Hause herrschte Bestürzung, als alle Nachforschungen nach Joseph fruchtlos blieben und Luise und Heideschmied sich seines seltsam aufgeregten Benehmens erinnerten, das sich sehr wohl als ein Abschied von ihnen erklären ließ. Kosel und die Tanten glaubten nun bemerkt zu haben, daß er ihnen am letzten Abend vor dem Schlafengehen mit besonderer Innigkeit die Hand geküßt hatte, und voll Rührung erzählten seine Brüder, wie gut er noch gewesen und zu ihnen gekommen war, als sie schon im Bette lagen, und ihnen „so lieb“ gesagt hatte: „Gott befohlen, Murmeltiere!“ Und Frau Heideschmied, die ihn die Marseillaise gelehrt, sprach von dem hinreißenden Ausdruck, mit dem er am Tage vor seiner Flucht den Vers: Le jour de gloire est arrive! gesungen hatte. Ueberhaupt war in letzter Zeit jedem Hausgenossen etwas Ungewöhnliches im Wesen Josephs aufgefallen. Jeder wollte von ihm außerordentlich berücksichtigt worden sein, jeder wußte täglich Neues von ihm zu sagen. Nur Elika wußte und sagte nichts. Sie war zu merkwürdig! sie verheimlichte ihr Leid, sie sprach den Namen Josephs nicht aus.

„Und doch,“ jammerte Apollonia, „frißt ihr die Sorge um ihn das Herz ab. Tag und Nacht sehnt sie sich nach ihm, hat keinen andern Gedanken. Ich seh’s ja, ich kenn’ sie ja. Sie ist wie der Papa, der weint auch nicht und spricht auch nicht und vergißt auch nicht.“

Große Beruhigung brachte allen Bewohnern von Schloß Velice ein Telegramm aus Hamburg: „Bin gesund, morgen auf See, Brief folgt, Grüße. Joseph Kosel, Schiffsjunge.“

Auf See! Schiffsjunge! die Brüder erfaßte ein Taumel. Joseph ist auf See, auf hoher See, ist ein Schiffsjunge auf einem großen ungeheuren Schiff. O, der sucht sich kein kleines aus!

Franz rannte in die Werkstätte zu Hanusch, der sein Freund geworden war seit der letzten Schlacht, und brachte ihm triumphierend die berauschende Kunde und fragte: „Möchtest du nicht auch ein Schiffsjunge sein? Möchtest du nicht auch auf hohe See?“

Hanusch blieb kühl. Von einer See, die in die Höhe steigt, konnt’ er sich keinen rechten Begriff machen, und zweifelte eigentlich an ihr.

Charlotte lief dem Herrn Pfarrer entgegen, als er sich zur [332] Abendunterhaltung einstellte: „Herr Pfarrer! Herr Pfarrer! Telegramm von Joseph! Schiffsjunge ist er, in Hamburg hat er sich anwerben lassen!“

„Gott behüt’ ihn,“ erwiderte der hochwürdige Herr. „Soll keine besonders erbauliche Gesellschaft sein, die der Schiffsjungen. Aber er hat gute Grundsätze. Wir wollen auf seine guten Grundsätze hoffen.“

Vater Kosel konnte sich eines Gefühls des Stolzes auf seinen kühnen und unternehmungsfreudigen Sohn nicht erwehren. Auch hatte er vor kurzem in einer Zeitung einen Aufsatz über Vererbungstheorie gelesen, der ihm viel Stoff zum Nachdenken gab und Joseph völlig entschuldigte. Die Familiengeschichte wies viele Kosel nach, die tapfere Soldaten gewesen waren, und einen, der ein großer Reisender war. Wer solches Blut in den Adern hat, ist schwer an häusliches Leben zu gewöhnen. Man kann ihn nicht am Lehrtisch festhalten und über Büchern seinen Thatendrang vergessen machen.

Herr von Kosel sagte das in Gegenwart von Leopold und Franz. Heideschmied hätte hinspringen und beiden zugleich die Ohren zuhalten mögen.

Renate schüttelte den Kopf zu solchen Gesprächen. „Lieber Felix,“ erwiderte sie, als er das Blut der Ahnen zum etwa dreißigstenmal von neuem anzapfte, „ich glaube nicht, daß unsre Religion – die übrigens lauter Duldung und Vergebung lehrt – uns gestattet, Verstorbene für das Unrecht Lebendiger verantwortlich zu machen.“

Oh non, Monsieur!“ versetzte Frau Heideschmied in zierlicher Bescheidenheit. Ihr Mann warf ihr einen zustimmenden Blick zu und sprach: „Nicht nur Thatendrang und Löwenmut haben unseren Joseph zur Flucht getrieben. Auch Furcht …“

„Furcht? Kann ich nicht zugeben.“

„– Vor der Prüfung, gnädiger Herr. Ich glaube, es wäre nützlich, seinen Brüdern die Sache auch von diesem Standpunkt aus zu beleuchten. Seit seiner Entweichung brennen ihnen die Köpfe, sie sind überhaupt nur noch für Geographie zu interessieren und auch da nur für überseeische. Sie stellen oft Fragen – mir wird angst und bang …“

Er liebte seine Zöglinge von ganzem Herzen, aber er liebte auch seine Stellung sehr, und die wäre unhaltbar geworden vom Augenblick, in welchem die beiden jüngeren Kosel gleichfalls das Weite gesucht hätten. Ein Erzieher ohne Erziehungsmaterial wäre ein Demosthenes, der nicht zu Worte kommt.

So hielt er denn seine Studenten in guter Hut und empfahl den Hausleuten und besonders dem Kaspar die äußerste und zugleich diskreteste Wachsamkeit. Die jungen Herren sollten zwar nicht aus den Augen gelassen werden, sich aber nicht gehemmt, beeinträchtigt fühlen in ihrer persönlichen Freiheit. Die Aufgabe war schwierig und mißlang. Leopold und Franz gerieten in Aufruhr, Heideschmied geriet in Mutlosigkeit und war nahe daran, allen seinen Ueberzeugungen zum Trotze die Dazwischenkunft der Familienautoritäten anzurufen. Da kam Hilfe – die Hilflose bot sie.

Eines Morgens klopfte ein kleiner Finger an seiner Thür, Elika verlangte Einlaß. Sie erschien als Parlamentär und überbrachte das Versprechen ihrer Brüder, daß sie jeden Gedanken an Flucht verbannen wollten, wenn ihnen ihre frühere Ungebundenheit wiedergegeben würde.

„Keine Aufsicht, lieber Herr Heideschmied,“ sagte Elika, „das mögen sie nicht, sie sind das nicht gewöhnt. Sie lassen Sie bitten um Vertrauen, sie werden ihm Ehre machen, sagt Leopold und Franz sagt: Das Mißtrauen ärgert uns.“

Sie stand vor ihm und sah zu ihm hinauf mit feuchten, leuchtenden Augen. Ihr ganzes kleines Wesen strömte Rührung und Ergriffenheit aus, und Heideschmied hatte einen schweren Kampf mit sich zu bestehen, um sie nicht in seine Arme zu nehmen, ans Herz zu schließen und auszurufen: Was du willst, Seelchen. Wie du willst, befiehl über deinen gehorsamsten Knecht! Aber er beherrschte sich, er behauptete seine Würde, belobte den guten Willen, den sie zeigte, sich zur Friedensbotin zu machen, und versprach, die Sache mit dem Vertrauen in Erwägung zu ziehen.

Er that es und faßte wunderbar schnell einen Entschluß, der den Wünschen der beiden Jünglinge völlig entsprach. Die „Polizeispitzelei“, wie sie sich ausdrückten, hörte von einem Augenblick zum andern auf. Das hatte die arme Kleine ganz allein durchgesetzt. War es nicht wunderschön, und konnte man ihr dankbar genug sein? Sie selbst mußte zugeben, daß es nicht leicht möglich sei.

„Seid also dankbar, wenn ihr schon wollt,“ sagte sie, schwer mit den Thränen kämpfend, „und bleibt immer und immer bei mir! Bis ich tot bin, müßt ihr bei mir bleiben; wenn ihr fort gingt und ich wäre eine Schwester ohne Brüder, stürb’ ich gleich.“

Und sie baten Elika, das Sterben nur noch aufzuschieben so lang’ als möglich, und wenn noch so lang’, wollten sie doch bei ihr bleiben.

(Fortsetzung folgt.)


Mein Feuersalamander.

Von Dr. K. G. Lutz.0 Mit Illustration von A. Kull.

Tiere, die der Mehrzahl der Menschen unsympathisch sind, dürfen, wenn immer möglich, auf meine Teilnahme an ihrem oft recht traurigen Geschick rechnen, und wenn ich ihnen einen Stein aus ihrem Lebenswege räumen kann, so thue ich dies mit wirklichem Vergnügen.

Zu diesen Verachteten, Verfemten, unter Umständen Verfolgten gehört mein Feuersalamander, der sein Dasein in einer kleinen Höhle unter einer Baumwurzel in der Nähe Stuttgarts fristete, bis er an einem regnerischen Apriltage des vorigen Jahres, als er eben nach Regenwürmern Umschau hielt, von mir entdeckt und sorgsam nach meiner Wohnung transportiert wurde. Es war ein Prachtexemplar, etwas über 18 cm lang. Tiefschwarz glänzte die Haut, und im schönsten Goldgelb prangten die großen Flecken, welche in zwei Reihen auf der Oberseite des Körpers und dem rundlichen Schwanze angeordnet waren. Der Feuersalamander fühlt sich allem Anscheine nach auch „unter dem Schutze der schwarz-gelben Flagge“ der Stadt Stuttgart ganz wohl, denn er ist in der Umgebung der letzteren, namentlich in den bewaldeten Schluchten, keine Seltenheit.

Ein prüfender Blick auf den Salamander und ich wußte, daß ich eine Vertreterin des schönen Geschlechts der Species Salamandra maculosa Laur. vor mir hatte, und diese Entdeckung veranlaßte mich zur Gefangennahme des hübschen Tieres. Ich hatte mir nämlich schon längst vorgenommen, die Entwicklung desselben einmal mit eigenen Augen zu verfolgen. Also richtete ich der Salamandra eine ihr, wie ich glaube, durchaus behagliche Wohnung zurecht: den Boden eines leeren Kastenaquariums belegte ich zur Hälfte mit Tuffsteinstücken, welche hierauf mit einer stets feucht gehaltenen Moosschicht bedeckt wurden; die andere Hälfte des Behälters erhielt ein ziemlich großes flaches Wassergefäß.

Hier ließ sich’s die Salamandra wohl sein. Den Tag über lag sie ruhig in ihrem Versteck unter dem Moos; mit Einbruch der Dämmerung kam sie hervor und verzehrte Regenwürmer, Nacktschnecken, Raupen und ähnliche kleine Tiere mit sichtlichem Wohlbehagen. Dieses Wohlbehagen wäre wahrscheinlich noch erhöht worden, wenn sie ihre Beute hätte zunächst etwas zerkleinern und dann fein kauen können. Allein hierzu sind Zähne von einiger Größe erforderlich und gerade an solchen fehlt es dem Feuersalamander. Er hat zwar in jedem Oberkiefer mehrere Reihen zweizinkiger Zähnchen und auch am Gaumen stehen Zähne in zwei s-förmig gebogenen Streifen; aber sie sind so klein, daß mit ihnen nichts anzufangen ist. Der Salamander muß seine Nahrung so gut es geht hinunterwürgen. Daß er aber im Verschlingen Großes leistet, davon konnte ich mich oft überzeugen: Regenwürmer, fast so lang wie er selbst, verschwanden ruckweise in kurzer Zeit zwischen den Kiefern des breiten Kopfes.

[333]

Der Feuersalamander und seine Entwicklungsstufen.
Nach einer Originalzeichnung von Albert Kull.

[334] Von besonderer Intelligenz konnte ich an dem plumpen und langsamen Tiere nichts entdecken. Doch nahm ich ihm das nicht übel, wußte ich doch, daß man an diejenigen Geschöpfe, welche von der Natur mit einem recht kleinen Gehirn ausgestattet wurden, eben keine großen Anforderungen in dieser Richtung stellen darf.

Eines Tages platzte der Salamandra die Haut rings um die Mundöffnung, löste sich immer weiter ab und stülpte sich nach rückwärts um. Nach weniger als einer halben Stunde war das Tier thatsächlich „aus der Haut gefahren“, und was geschah nun? Nachdem es das abgeworfene Kleid einige Augenblicke mit seinen dunkelglänzenden Augen betrachtet hatte, verzehrte es dasselbe ohne alle Umstände.

So ein Feuersalamander sei, behaupten viele, sehr giftig; es sei deshalb nicht ratsam, mit ihm vertrauteren Umgang zu pflegen. Wahr ist es: die Haut des Salamanders ist mit vielen Drüsen bedeckt, ja die Wülste derselben sind ganze Drüsenhaufen, von denen insbesondere derjenige in der Ohrgegend viel Sekret absondert. Wahr ist ferner, daß dieses dem Saft der Wolfsmilch ähnliche, klebrige Sekret, auf eine Schleimhaut (etwa in das Auge) gebracht, Entzündungen hervorruft. Aber die Absonderung dieses Giftstoffes (auch Salamandrin genannt) erfolgt eben nur, wenn der Salamander angegriffen, wenn er gestoßen, geschlagen, gebissen wird. Derartige Prozeduren, an anderen Tieren vorgenommen, sind auch nicht immer ganz ungefährlich. Läßt man den Salamander schön in Ruhe und quält man ihn nicht, so thut er niemand etwas zuleide.

Auf kleinere Tiere wirkt das Drüsensekret allerdings unter Umständen tödlich. So berichtet Dürigen in seinem Buche „Deutschlands Amphibien und Reptilien“, daß eine Eidechse, die sich an einem Salamander verbiß, binnen kurzem starb, und daß Fische eines Aquariums eingingen, nachdem ein Salamander in demselben gestorben war und im Todeskampf sein Drüsensekret ins Wasser abgegeben hatte. Das Salamandrin, das zur Fortpflanzungszeit und abends am reichlichsten abgesondert wird, ist also nichts anderes als ein Verteidigungsmittel, eine Waffe, die dem harmlosen Tiere im Kampf ums Dasein unter Umständen gute Dienste leistet. Gönnen wir ihm diese Waffe!

Anfangs Mai wurde meine Salamandra unruhig und am 10. des Monats brachte sie nicht weniger als 25 prächtige Junge zur Welt in einer Länge von 28 bis 32 mm.

Ich setzte dieselben in ein mit Wassergewächsen bepflanztes Aquarium, in dem sie sich außerordentlich wohl fühlten. In einem Alter von 11/2 Tagen glichen sie genau den beiden kleinen Figuren auf unserem Bilde unten rechts. Die ganze Gesellschaft war auf der Oberseite dunkelgrau, am Bauche heller, „fast farblos“; bei etwa 1 Monat alten Tieren zeigte sich an den quergefurchten Seiten und am Schwanz ein leichter Goldschimmer. Im Gegensatz zu jungen Tritonenlarven sind bei den Salamanderlarven schon bei der Geburt alle 4 Beine gut ausgebildet. Der Kopf ist ziemlich breit, und der Flossensaum des Schwanzes reicht nur bis zur Rückenmitte. Die Haut der Jungen ist noch so durchsichtig, daß man an der Unterseite die inneren Organe leicht sehen kann; zu beiden Seiten des Kopfes stehen je 3, etwa 4 mm lange Kiemenbüschel.

Nun mußte die hungrige Schar aber auch ernährt werden. In Tümpeln, namentlich solchen, auf deren Grund Pflanzenblätter verfaulen, leben zahllose kleine Krebse: Daphnien (Wasserflöhe), Cypris- (Hüpferlinge) und Cyclops-Arten (Muschelkrebse). Mit Hilfe eines kleinen Netzchens kann man ohne alle Schwierigkeiten Tausende dieser für die Fischzucht so wichtigen Tiere erbeuten. Solche Krebschen brachte ich nun in großer Zahl ins Aquarium zu den Salamanderlarven. Was das nun für ein Rennen und Jagen absetzte! Mit einer Schnelligkeit und Gewandtheit, die man den Abkömmlingen des trägen Feuersalamanders nicht zutraut, waren sie hinter den Krebschen her, warfen aber anfangs die wie eine Muschel mit zwei Schalen versehenen Cypris stets wieder aus; sie waren ihnen noch zu hart.

So wuchsen sie heran, verzehrten bald auch größere Tiere und kleine Fleischstückchen und hatten, 7 bis 8 Wochen alt, die Größe der auf unserem Bild unten links dargestellten Larven. Von jetzt an änderten sie sich in Färbung und Gestalt: der Goldschimmer verschwand, die Oberseite wurde schwarzbraun, die Unterseite ebenfalls dunkel, gelbe Flecken kamen zum Vorschein, und zwar zunächst am Grunde der Gliedmaßen, auf den Augenhügeln und den Ohrdrüsen; der Flossensaum verlor sich; der Körper rundete sich mehr und mehr und die Kiemenbüschel schrumpften. Dabei kamen die Larven fortwährend an die Oberfläche des Wassers und schnappten Luft, woraus ersichtlich war, daß die Lungen sich nun entwickelt hatten. Noch einige Tage, und von den Bewohnern des Aquariums stieg einer nach dem andern ans Land – auf den Felsen, von wo aus sie in das Terrarium versetzt wurden.

Sie glichen jetzt dem kleinen der beiden jungen Salamander, rechts auf unserem Bilde und waren von dem erwachsenen Tiere weder an Gestalt noch Farbe wesentlich verschieden. Dagegen hatten sie ihre frühere Beweglichkeit verloren und waren nun ebenso langsam wie die Alte: lagen meist in ihrem Versteck und wurden nur dann munter, wenn es etwas zu fressen gab; Fleischstückchen, Insekten, Würmer etc., vor ihren Augen hin und her bewegt, nahmen sie gerne an; doch wurden auch diese jungen Salamander bald ins Freie gebracht, damit sie sich vor Einbruch des Winters noch so reichlich mit Nahrung versorgen konnten, daß sie den Winterschlaf zu überdauern imstande waren.

Am 10. August entdeckte ich in einer 2 m langen und ebenso breiten, etwa 1 m tiefen, mit Wasser gefüllten Grube eine größere Anzahl Salamanderlarven, die häufig an den Wasserspiegel kamen, also die Verwandlung nahezu beendet hatten. In der Wassergrube mußte Kleingetier in großer Menge gelebt haben, denn diese Larven waren viel größer als die meinigen. Sie hatten eine Länge von 6,5 cm; ihre Haut war dunkelbraun und hell graugelb gefleckt, und die Kiemenbüschel waren auffallend groß und rostrot von Farbe. Zwei von ihnen sind auf unserem Bilde in der Mitte, rechts und links, dargestellt, und der größere der beiden jungen Salamander entspricht einem Exemplar, das sich nach wenigen Tagen aus einer solch großen Larve entwickelt hatte.

Die jungen Salamander bekommt man im Freien selten zu sehen; sie sollen sich am Tage im Boden versteckt halten und nur des Nachts ihrer Nahrung nachgehen. Sie wachsen langsam; es vergehen deshalb mehrere Jahre, ehe sie fortpflanzungsfähig werden. Seinen Namen verdankt der Feuersalamander einem Aberglauben, dem schon die alten Römer huldigten; er sollte, ins Feuer geworfen, dasselbe auslöschen. Früher sagte man dem harmlosen Tiere auch allerlei andere zauberkräftige Eigenschaften nach und die Alchimisten suchten sogar aus seinem verkohlten Körper – Gold zu gewinnen.


Die Kaisergaukler vom Kyffhäuser.

Von Fedor von Köppen.

Die Zeit der Hohenstaufenkaiser Friedrich I und Friedrich II, welche machtvoll des Reiches walteten, die Geringen und Schwachen gegen die Gewaltigen schützten, Recht und Gerechtigkeit übten überall, auch die Künste und Wissenschaften pflegten, galt den Deutschen noch lange nach dem Ausgange des mächtigen Geschlechts für ihr goldenes Zeitalter, nach dem sie sich zurücksehnten. Schon bald nach dem Tode Kaiser Friedrichs II, der im Jahre 1250, dem 56. seines Lebens, im Schlosse Fiorentino in Apulien starb, tauchte in Deutschland das Gerücht auf, der Kaiser sei nicht gestorben, sondern halte sich nur verborgen; er werde aber zu seiner Zeit wiederkommen und dem Reiche eine bessere Verfassung geben. Dieses Gerücht, das in der Sehnsucht des Volkes und in der Leichtgläubigkeit der Menge Nahrung fand, benutzten in der darauf folgenden trüben Zeit einige schlaue Betrüger, um sich für den zurückgekehrten Kaiser Friedrich auszugeben.

Als der erste dieser Art scheint bereits 1262 ein Mann aufgetreten zu sein. Die durch ihn den Fürsten drohende Gefahr führte dazu, daß man ihn – wie Pomarius in seiner sächsischen Chronik berichtet – „heimlich hinwegraffte“. Nicht lange danach [335] (im Jahre 1282) trat in Köln am Rhein ein alter Mann auf mit dem Vorgeben, daß er der Kaiser Friedrich sei; er hätte aus Verdruß den Kaiserthron verlassen und sich dreißig Jahre lang auf dem Kyffhäuserschlosse verborgen gehalten, wolle jedoch jetzt die Regierung wieder übernehmen. Da er in der alten Bischofsstadt wenig Glauben und Vertrauen erweckte, so begab er sich nach Neuß, gründete hier seinen eigenen Hofstaat und spielte seine Rolle weiter und so vortrefflich, daß er wirklich einigen Anhang fand. Er soll nach den Berichten gleichzeitiger Geschichtschreiber dem verstorbenen Kaiser Friedrich II sowohl nach Gestalt und Gesichtsbildung, als selbst nach dem Gange und nach Gebärden bis zur höchsten Täuschung ähnlich gewesen sein. Sein eigentlicher Name war Thilo Kolup oder, nach anderen, Dieterich Holztisch. Da er mehrere Jahre am Hofe Kaiser Friedrichs II gedient und selbst die Person dieses Fürsten als Kämmerling bedient hatte, so hatte er sich eine sehr genaue Bekanntschaft mit der Lebensweise und den Gewohnheiten desselben sowie mit den Sitten am kaiserlichen Hofe angeeignet. Zu seinen Anhängern gehörten nicht allein die Bürger verschiedener Städte, besonders einiger Reichsstädte der Wetterau, sondern auch einige Reichsstände, mehrere Grafen und Fürsten des Reiches. Herzog Heinrich der Wunderliche von Braunschweig-Lüneburg, die Landgrafen von Thüringen, Friedrich mit der gebissenen Wange und Diezmann, und manche andere Reichsfürsten ließen es sich ansehnliche Summen kosten, um den „aus dem Kyffhäuser erstandenen Kaiser“ aufs neue zur Herrschaft zu bringen.

Mit einem zahlreichen Hofstaate siedelte der Pseudokaiser nach der Reichsstadt Wetzlar über, hielt hier ein glänzendes Hoflager und teilte großmütige Spenden aus, wodurch sein Anhang sich mehrte.

Als die Friesländer bei dem Pseudokaiser Friedrich eine Beschwerde gegen den Grafen Florenz V von Holland vorbrachten, ließ er diesen vor seinen kaiserlichen Richterstuhl laden. Der Graf aber war nicht willens, sich dem Schiedsspruche des Gauklers zu unterwerfen, sondern sandte ihm einen in lateinischer Sprache verfaßten Brief. Derselbe beginnt mit einem Gruße an das „unerwartete Gespenst, welches sich für den weiland Römischen Kaiser Friedrich II ausgiebt“. Darauf giebt der Graf seinem Verwundern über das erschollene Gerücht und das ruchlose Beginnen des Abenteurers und seinem Erstaunen über die Anmaßung desselben Ausdruck, „nämlich darüber, daß Du, da Du, dem ersten Ansehen nach ein Mensch, ja nur ein kleiner Mensch zu sein scheinst, Dich doch erkühnest, die Person und Würde eines verstorbenen Menschen zu mißbrauchen. Denn ein verstorbener Mensch ist aus natürlichen und philosophischen Gründen kein Mensch mehr, und auf einen Leichnam, aus dem die Seele geschieden ist, kann die Definition vom Menschen nicht mehr angewandt werden. Denn unwidersprechlich gewiß ist’s, daß Friedrich von Hohenstaufen, weiland Römischer Kaiser, von einer schweren Krankheit ergriffen, die Schuld der Natur bezahlt hat, noch vor seinem Ableben aber, der von ihm begangenen Bosheiten und scheußlichen Missethaten halber, welche den Artikeln der rechtgläubigen Lehre schnurgerade zuwider waren, vor den Richterstuhl der Römischen Kirche geladen, hier seiner Vergehungen überwiesen und auf einer allgemeinen Kirchenversammlung von der christlichen Kirche sowohl, als von Christo, ihrem Oberhaupte, wie ein verdorbenes Glied getrennt worden ist. Du also – um hier das Allerwidersprechendste, bei dem kein Mittelweg stattfindet, zu unterstellen – bist entweder dieser Friedrich oder Du bist er nicht. Bist Du dieser Friedrich nicht, so bist Du nichts als ein frevelhafter Lügner. Bist Du aber jener Friedrich, so bist Du schon erwähntermaßen abgelöset von der christlichen Kirche und bist des Reiches nach vorhergegangener reifer Beratung verlustig erklärt. Erwache also aus Deinem Taumel und bitte den Papst um ein gedeihliches Mittel zur Heilung Deines Wahnes! Vor allen Dingen wende Dich an die deutschen Fürsten, welchen die Kaiserwahl nach dem römischen Rechte zusteht, und berate Dich zuvörderst mit denen, die nach Friedrichs Entfernung drei Könige zu Häuptern des Reiches gesetzmäßig erkoren haben, welche auch vom Papste bestätigt worden sind! Jetzt ist sogar schon der vierte Nachfolger am Reiche, der König Rudolf, von eben diesen Fürsten einmütig erkoren und hat die päpstliche, durch seine Tugenden verdiente Bestätigung erhalten. Diesem unserem dermaligen Herrn haben wir uns mit Leib und Leben unterworfen und ihm unter den schuldigen und gewöhnlichen Feierlichkeiten gehuldigt. Deine Befehle sind uns daher nicht bloß gleichgültig, sondern wir verachten sie, und das ist unsere Pflicht“.

Man sieht, daß der Verfasser dieses Schreibens bei allem Bemühen nach einer logischen Widerlegung des Betrügers doch eine gewisse Vorsicht beobachtet, die aus der Befürchtung entspringt, daß der angebliche Kaiser Friedrich ein Gespenst sein könne, eine Befürchtung, die übrigens in den Anschauungen der Zeit wohlbegründet war. Bald aber kam einer, der mit dem Gespenste nicht verhandelte, sondern kräftig zugriff.

König Rudolf, der sich gerade im Lager vor Kolmar befand, als er die ersten Nachrichten von dem Auftreten des falschen Friedrich in Wetzlar erhielt, hatte anfangs darüber gelacht und das Ganze für einen Mummenschanz gehalten. Da empfing er ein Schreiben von jenem Manne, in welchem er ihm befahl, die Krone niederzulegen und ihm zu huldigen oder seine Ahndung zu befürchten. Diese Dreistigkeit reizte des Königs Unwillen. Er zog mit seinem Heer vor Wetzlar und forderte die Stadt auf, ihm die Thore zu öffnen und den Betrüger auszuliefern. Die Wetzlarer weigerten sich anfänglich, Folge zu leisten. Als aber König Rudolf Anstalten traf, die Thore stürmen zu lassen, hielten sie es doch für besser, nachzugeben, und lieferten den falschen Kaiser an den rechten aus. Auf der Folter bekannte der Betrüger nun seinen wahren Namen und daß er veranlaßt worden sei, die Rolle des Kaisers Friedrich zu spielen, weil er bei einem Besuche auf dem Schlosse Kyffhausen für denselben gehalten worden sei.

König Rudolf hielt strenges Gericht über den Betrüger und ließ ihn darauf mit zweien seiner getreuesten Anhänger nahe der Stadt in einem Thale, welches noch heutigen Tages der „Kaisersgrund“ genannt wird, auf dem Scheiterhaufen öffentlich verbrennen. Die Städte, welche sich für ihn erklärt hatten, wurden mit schweren Geldbußen bestraft. Die Stadt Wetzlar bat den König wegen ihrer Leichtgläubigkeit und ihres Verhaltens um Verzeihung, welche dieser ihr auch gnädig gewährte, indem er urkundlich versprach, daß er wegen der ihm widerfahrenen Beleidigung keinen alten Groll weiter gegen sie hegen wolle. –

Außer diesem Thilo Kolup traten mit der Zeit noch verschiedene andere falsche Friedriche auf. J. Chr. Olearius führt in seinen „Thüringischen Historien und Chroniken“ (Frankfurt und Leipzig 1704) außer den beiden bereits erwähnten noch drei andere Abenteurer auf. Der eine soll die Lübecker betrogen haben und „heimlich hinweg gekommen sein“. Der andere wurde im Jahre 1295 auf Kaiser Adolfs Befehl zu Eßlingen verbrannt. Weiteres wird von diesen beiden nicht berichtet, und auch ihre Namen werden von dem Chronisten nicht gemeldet.

Nur von dem letzten, welcher sich 1546 auf dem Kyffhäuser Berge in dem wüsten Schlosse sehen ließ, haben wir ausführlichere Nachrichten. Wir verweilen daher noch bei diesem insbesondere.

Es war in der durch die Reformationsbewegung, die Wiedertäufer und die Bauernunruhen tief aufgeregten Zeit, als sich im Thüringer Lande das Gerücht von dem Wiedererscheinen des 1250 verstorbenen Kaisers Friedrich II auf dem Kyffhäuser Berge verbreitete. Einige Hirten und Landleute aus der Goldenen Aue sahen eines Abends hinter den Tannen des Kyffhäuser Berges einen dichten Rauch aufsteigen. Da in der Gegend, woher der Rauch kam, kein bewohnter Ort lag, so wunderten sie sich darüber und meinten, das könne wohl nicht mit rechten Dingen zugehen, wie denn vom Kyffhäuser Berge manche wunderbaren und unglaublichen Dinge erzählt wurden, so die Sage von jenem Hirten, der einmal in das Innere des Berges gelockt worden, dort eingeschlafen war und beim Wiedererwachen die Welt um ein Jahrhundert gealtert fand. Die verwegensten von jenen Landleuten gingen nun doch auf die verdächtige Stelle, woher der Rauch kam, zu. Da sahen sie bei der Kapelle der alten Burg einen alten, phantastisch aussehenden Mann am Feuer sitzen, das einen flackernden Schein auf sein fahles Antlitz warf. Sein Haar war grau und weiß und hing in seltsamer Verwirrung über die Stirne herab. Der lange, rötlich weiße Bart reichte bis auf den Schoß herab. Bekleidet war er mit einem faltenreichen, weißen Mantel und mit ledernen Hosen. Neben ihm auf der Erde standen irdene Töpfe, in denen er einen Trank zu brauen schien. [336] Allerhand ungewöhnlich geformte Waffen lehnten an dem Burggemäuer. Der Alte ließ seine Blicke ruhig aber verwundert und mit einem Ausdrucke von Wohlwollen über die erstaunt und furchtsam ihm zuschauenden Leute hingleiten und führte seltsame Reden, die man nicht verstand. Einer von den Zuschauern lief nach dem nahen Sittendorf und holte von dort den Pfarrer herbei. Dieser kam mit Kreuz und Bibel und begann eine Beschwörungsformel herzusagen.

Da richtete der Wunderbare sich majestätisch und stolz auf und sprach: „Ich bin kein Gespenst, keine Erscheinung der Hölle, Ihr verkennt mich. Ich bin Kaiser Friedrich, seines Namens der Zweite, der da Herrscher war über das heilige Römische Reich und über verschiedene andere Reiche dieser Erde. Ich bin nicht in Apulien umgekommen, wie die Leute wähnen, sondern ich habe in diesem Kyffhäuser Berge gewohnt und mich verborgen gehalten, weil ich die Aufgabe nicht erfüllen konnte, die mir von Gott geworden war wider den Papst und die, so ihm anhingen. Jetzt aber ist mir von Gott befohlen, Deutschland zu Hilfe zu eilen, den unseligen Streit zu beenden, der sein Volk spaltet, den Mann zu vernichten, der über Deutschland herrscht und sich Kaiser Carolus den Fünften nennt, und wieder Frieden in der Welt zu stiften; denn die jetzigen Fürsten werden’s nicht fertig bringen.“

Dem Volke gefiel die ruhige Rede und würdige Haltung des Alten. Eine Weile blieb alles still; – dann brachen alle in jubelnden Beifall aus und forderten ihn auf, sogleich mit herabzukommen. Sie wollten ihn schützen und dafür sorgen, daß ihm nicht ein Haar gekrümmt werde.

Der Alte aber stand ernst und still aufrecht mit untergeschlagenen Armen. Nicht um einen augenblicklichen Triumph für sich selber sei es ihm zu thun, meinte er, sondern darum, daß er dem unglücklichen Volke wahrhafte Hilfe bringe gegen die ungerechten Fürsten und die Pfaffen. Deshalb wolle er noch eine Zeit lang in der Verborgenheit bleiben und die Antworten von mehreren Fürsten abwarten, an die er sich gewandt habe. Erst wenn er einen hinreichenden Anhang um sich gesammelt habe, dann wolle er herabsteigen vom Berge und mit ihm gegen Kaiser Karl V ziehen. Das leuchtete den Leuten ein; sie verließen den Berg, um jedoch am folgenden Tage in noch größerer Menge zurückzukehren. Sie brachten Körbe mit Eiern, Schinken, Speck, Braten, Milch, Butter, Käse, Brot und Kuchen, auf daß der Kaiser keine Not zu leiden brauche, und gelobten, Gut und Leben für ihn zu lassen. Der Kaiser kam jedoch nur selten zum Vorschein, ließ sich vielmehr nur wie ein Geist, der plötzlich erscheint und plötzlich verschwindet, auf Augenblicke sehen.

Das Gerücht von dem zurückgekehrten Kaiser verbreitete sich unterdessen in immer weiteren Kreisen, und das Volk nahm dasselbe in gutem Glauben auf, ohne viel zu prüfen, ob es möglich sei, daß ein seit dreihundert Jahren zu den Toten gezählter Kaiser in die Welt zurückkehren und handelnd eingreifen könne. Es lag dies eben in der naiven Anschauungsweise jener Zeit, und wir dürfen uns darüber nicht wundern; soll doch selbst Luther, um seine Meinung befragt, die diplomatische Antwort gegeben haben: „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, der Teufel hat vordem mehr den Leuten eine Nase gemacht.“ Der gelehrte Olearius in den bereits erwähnten „Thüringischen Historien und Chroniken“ räumt ferner ein: „Wohl kann’s sein, daß der böse Geist zur Stärkung des Aberglaubens in Kaiser Friedrichs Gestalt sich sehen lasse, wie einst in des verstorbenen Propheten Samuel Gestalt.“ – Ein anderer Chronist, Melistantes, sagt in seiner „Kuriosen Beschreibung verwüsteter Bergschlösser“ (Frankfurt und Leipzig 1721), nachdem er die Annahme widerlegt hat, daß jener Abenteurer wirklich der gewesen, für den er sich ausgegeben: „Ich glaube aber, daß es der Teufel sei, welcher die einfältigen Leute zu äffen und zu betrügen sucht, wie er sein Spiel auch sonst auf dem schlesischen Riesengebirge mit dem sogenannten Rübezahl, in Thüringen vor Zeiten auf dem Hörsel- oder Siegerberge, bald mit dem wütenden Heer und anderen Gespenstern gehabt.“

Nun kam aber noch hinzu, daß gerade zu jener Zeit (1546) viele Leute und selbst Fürsten es nicht ungern sehen mochten, wenn dem immer noch zum Papste und zur römischen Kirche haltenden Kaiser Karl V durch den Pseudokaiser Friedrich in Deutschland Verlegenheiten bereitet würden. Die Knechte, welche zu dem Heere der Fürsten des Schmalkaldener Bundes gingen, rühmten sich, sie seien von dem Kaiser Friedrich II eingeladen worden, ihm gegen Karl V zu helfen. So nahm das Abenteuer eine immer drohendere Gestalt an.

Da entschloß sich der Graf Günther zu Schwarzburg-Rudolstadt und Sondershausen, dem Gespenst ernsthaft auf den Leib zu rücken. Er sandte seinen Landvogt v. Brüneck spät abends – weil man die aufgeregte Menge fürchtete – nach dem Kyffhäuser. Dieser legte dem Pseudokaiser mehrere Fragen vor, welche dieser auffallend sicher und würdevoll beantwortete. Auf die Frage des Landvogtes, ob er mehr als eine Sprache verstände, erwiderte er, daß man ihn in einer beliebigen der 72 Sprachen fragen könne, welche Gott gegeben habe. Darauf forderte ihn der Landvogt auf, ihm nach Frankenhausen zu folgen. Der Alte erklärte sich bereit dazu. Als man ihm aber die Hände binden wollte, rief er zornig, man möge ihn anständig behandeln, wie es einem „Kaiser“ gezieme, nicht wie man mit einem Schalke verfahre.

In Frankenhausen ließ ihn Graf Günther von Schwarzburg festnehmen und heimlich nach Sondershausen in festen Gewahrsam bringen. Hier ward er einer gestrengen Untersuchung unterworfen. In derselben entpuppte sich der angebliche Kaiser als ein Schneider aus Langensalza, Namens Johannes Leupold.

Der unglückliche, halb wahnsinnige Schneider ward nun zu Sondershausen in ein finsteres und feuchtes Kellerloch geworfen, wo er elendiglich verkommen und verkümmert sein soll. „Ja, Etliche verkünden sogar“ – heißt es in einer alten Chronik von Langensalza – „daß er von den Ratten und Mäusen sei bei lebendigem Leibe aufgefressen worden, und noch heutzutage zeigt man daselbst ein in Ketten geschmiedetes, klapperndes, langes Gerippe zum Wahrzeichen, daß es also geschehen.“

Als das Volk am Morgen nach der Verhaftung des Schneider-Kaisers wieder nach dem Kyffhäuser strömte und seinen „Kaiser Friedrich“ nicht fand, da war große Not und Klage. Man rief, man durchsuchte die Schluchten und Höhlen – alles vergeblich! Die schwarzburgischen Behörden, die allein wußten, wo er sich aufhielt, beobachteten Stillschweigen. Da beruhigten sich die Menschen endlich mit der Vermutung, der Kaiser werde sich wohl in das Innere des Berges verbannt haben und dort auf bessere Zeiten warten, und das Volk wartete seitdem auf die Wiederkehr des Kaisers und die besseren Zeiten.

Auch der Chronist von Langensalza schreibt: „Dessenungeachtet verblieb viel Volkes in dem Glauben, daß es wirklich gewesen sei Se. Kaiserliche Majestät Friedrich von Hohenstaufen. Auch sind nicht Wenige, welche noch heutzutage männiglich daran festhalten, es habe sich der Kaiser versteckt vor Günther, seinem Widersacher, in einer anderen Höhle auf der Ostseite des Berges, von wannen er wieder hervorkommen werde, alsobald das teutsche Reich werde frei sein von des Papstes als des Antichrists Gewalt und bis es sei worden ein großes, herrliches und einiges Volk, das seines Gleichen nicht unter dem Himmel habe. – – – Aber,“ fügt der Chronist hinzu, „bis diesen Tag, so ich, Luitbertus, weiland Mönch, itzo oberster Stadtschreiber zu Langensalza, dies schreibe, ist Se. Majestät noch nicht wieder hervorgekommen und darumb wallfahrtet noch immer das Volk, besonders an sonnenhellen Tagen und Sonntagen in hellen Haufen nach dem uralten Berge und vermeint, den Kaiser unten sitzen zu sehen in einem Spalte des Berges, an einem marmelsteinernen Tische, woselbsten sein langer Bart durch den Tisch sei gewachsen und ungeheure Schätze von Gold und Edelsteinen seien um ihn hergehäuft. Auch spiele sein Töchterlein gar lieblich ihm vor auf einer silbernen Laute, also daß der Kaiser gar wohlgefällig winke und lächle im Schlafe. Geschr. zu Langensalza im J.d.H. 1667.“ –

Die alten Kyffhäusersagen werden nun bald verklungen sein. Wir hören dieselben heute nur noch mit dem Behagen an, wie man sich als Mann etwa die Märchen ins Gedächtnis ruft, an denen man sich einst in der Kinderzeit erfreut hat. Aber schöner als diese Sagen und wärmer als die Berichte über jene Kaisergaukler vom Kyffhäuser mutet uns heutzutage die Thatsache an von dem vor nahezu dreißig Jahren neu gegründeten Deutschen Reiche und dem wiederaufgerichteten deutschen Kaisertume.


[337]

Vasco da Gama, der Entdecker des Seewegs nach Ostindien.

Von Paul Holzhausen.

Vielen meiner Leser und Leserinnen dürfte Meyerbeers große romantische Oper „Die Afrikanerin“ bekannt sein. Aus ihr erfährt man, daß der kühne Seeoffizier Vasco da Gama, der mit dem Admiral Bartholomeu Diaz nach dem Kap der Guten Hoffnung gefahren war, eine schöne Negerkönigin, Selika, von den afrikanischen Gestaden als Sklavin mit nach Lissabon gebracht hat, die den jungen Helden leidenschaftlich liebt und ihm schon einmal das Leben gerettet hat. Sie begleitet ihn auf seiner großen Expedition nach Ostindien, rettet ihm an der afrikanischen Küste zum zweitenmal das Leben, und als der Treulose sie um einer jungen Portugiesin willen verläßt, atmet sie, von den Palmen ihrer südlichen Heimat umrauscht, den Duft des giftigen Manzanillobaumes, um sich zu töten.

Die Dichtung spiegelt in romantischer Umrahmung eine große Wirklichkeit wieder, wie sie die Welt nur in wenigen Zeitaltern gesehen hat. Jahrhundertelang war der Handel mit den köstlichen Gewürzen des Morgenlandes in den Händen der Araber gewesen, die sie über Aegypten den Venetianern und Genuesen zugeführt hatten. Jahrhundertelang hatten die reichen Kaufherren am Canale Grande ihre Speicher mit den Früchten Asiens gefüllt, und noch heute zeugen die prächtigen Paläste der „Königin der Adria“ von dem Reichtum, der aus ihrem Handel geflossen. Dagegen hatte das kleine, aber damals mit der Schwungkraft der Jugend begabte Volk der Portugiesen sein Augenmerk auf die nahegelegene Küste Afrikas gerichtet, deren südliche Umseglung – so durfte man hoffen – einen Seeweg nach dem fabelhaften Gold- und Gewürzlande Indien eröffnen werde. Die Azoren, Madeira, die Inseln des Grünen Vorgebirges und Guinea waren entdeckt worden, und im Jahre 1486 wurde der kühne Seefahrer Bartholomeu Diaz nach der Westafrikanischen Küste geschickt, um die öfters versuchte Umschiffung des riesigen Kontinents endlich zu bewerkstelligen. Diaz folgte der Küste bis zu der heutzutage von den Engländern besetzten Walfischbai und steuerte dann in das offene Meer hinaus, bis die Kälte des Wassers und die immer wachsende Größe der Wogenberge des Oceans ihn auf den Gedanken brachten, daß er über die Südspitze des Festlandes hinausgelangt sein müsse. Nun richtete er seinen Kurs nach Osten, und siehe! die Küste blieb bei einer Fahrt von mehreren Tagen immer im Nordwesten! Man hatte Afrika umschifft! Aber die zagende Mannschaft drängte, wie die Gefährten des Kolumbus, zur Heimkehr! Im Dezember 1487 war Bartholemeu Diaz wieder in Lissabon.

Vasco da Gama.

Zehn Jahre später segelte eine neue Flotte in die afrikanischen Gewässer. Sie stand unter dem Befehle des Helden, an dessen Namen die Geschichte die Entdeckung des Seewegs nach Indien geknüpft hat. Vasco da Gama war um das Jahr 1469 zu Sines, einem Städtchen in der portugiesischen Provinz Alemtejo, geboren. Er stand also zu jener Zeit in der Blüte der Jahre. Voll Unternehmungsgeist und Wagemut, tapfer und entschlossen, dabei nicht ohne einen Anflug edler Ritterlichkeit, so lebt der große Portugiese im Gedenken der Nachwelt. Die Flottille bestand aus drei Fregatten und einem Lastschiffe. Ihre Mannschaft belief sich auf 148 Mann. In einer feierlichen Versammlung nahm der König von Portugal, Manuel der Große, von Vasco den Huldigungseid entgegen und legte mehrere Schreiben an die Fürsten Indiens, insbesondere an den Herrscher von Calicut, das man schon als eine große Seehandelsstadt kannte, vertrauensvoll in seine Hände. Eine kirchliche Feier gab dem Unternehmen die Weihe, und nachdem Vasco unter dem Andrang einer großen Menschenmenge von seinen Freunden einen rührenden Abschied genommen hatte, gingen die mutigen Seefahrer am 8. Juli 1497 in Lissabon unter Segel.

Drei Monde lang hatten sie an der afrikanischen Westküste mit den Elementen zu kämpfen, die ihnen den Kampfpreis des gewaltigen Unternehmens entreißen zu wollen schienen. Am 7. November erreichte Vasco am Kaplande die St. Helenabucht; am 18. erblickte man die Südspitze Afrikas. Unter hellem Jubel und Trompetenschall wurde das Vorgebirge umsegelt. Am Weihnachtsfeste gelangten die Portugiesen an eine schöne Küste, die sie, dem heiligen Tage zu Ehren, Costa da Natal („Weihnachtsküste“) benannten, ein Name, den sie bis zum heutigen Tage behalten hat. Als man sich dem Festlande näherte, zeigte sich eine große Anzahl Männer und Frauen, alle von schönem schlanken Körperbau. Die Fremden fanden eine gastliche Aufnahme und nannten das Land Agoada da boa Gente, den „Wasserplatz der guten Leute“. Am 23. Januar erreichte Vasco eine der Mündungen des großen Flusses Zambezi. Hier traf er eine schwarze, kraushaarige Bevölkerung an und erfuhr von einem Neger, daß nach Osten hin weiße Menschen leben sollten, die mit Schiffen, ähnlich den seinen, an diese Küste kämen. Er hatte die Schwelle des Morgenlandes überschritten und nannte dankbaren Sinnes den Zambezi den Fluß der guten Vorbedeutung. Ueberall, wo er landete, ließ er, nach der Sitte der Portugiesen, Wappenpfeiler am Meere errichten, um die Herrschaft seines Königs zu verkünden.

Eine fünftägige Fahrt brachte die Seefahrer vor den Hafen von Mozambique. Hier aber änderte sich das Bild. Die Stadt war von Arabern gegründet worden, und sogleich bei dem ersten Zusammentreffen mit den Portugiesen zeigte sich das Mißtrauen und der Haß dieses Volkes gegen die abendländischen Fremdlinge, in denen die Araber instinktmäßig die Feinde ihres ausgedehnten Orienthandels zu wittern schienen. Jahrzehntelang haben die beiden Völker um den Besitz der indischen Gewässer gerungen, und weder List noch Grausamkeit sind auf beiden Seiten in diesem blutigen Ringen gespart worden, bis sich die Schale des Sieges dem höher civilisierten Volke, den Portugiesen, zuneigte. Eine Ladung aus grobem Geschütz belehrte den Scheik von Mozambique über die Kriegsbereitschaft Vascos. Dann fuhr dieser wieder ab und erreichte, nachdem ihn die verräterischen Lotsen der Araber verschiedenemal in die Irre geführt hatten, am 7. April das entfernte Mombas, dessen hellschimmernde Häuser und flache Dächer die Portugiesen an die Städte ihrer fernen Heimat erinnerten. Hier wurden die kühnen Fremdlinge freundlich empfangen; aber einer noch besseren Aufnahme erfreuten sie sich in Malinde, einer großen Stadt mit schönen Straßen, in einer fruchtbaren Ebene, die bei vortrefflichem Trinkwasser und gesunder Luft einen großen Reichtum an Früchten und Lebensmitteln zeigte. Der König dieses Landes war der einzige Maure, der den Portugiesen mit ehrlicher Freundschaft entgegenkam und in richtiger Ahnung des weltumwälzenden Ereignisses, das sich vor seinen Augen hier abspielte, zu dem fernen Westlande in Beziehungen trat. So gewannen die Portugiesen eine wichtige [338] Flottenstation an der Küste Ostafrikas, die ihnen später die größten Dienste leisten sollte.

Auch einen gewandten und zuverlässigen Lotsen hatte ihnen der gastfreundliche König von Malinde für die Ueberfahrt nach Indien mitgegeben. Diese dauerte dreiundzwanzig Tage. Denn erst am 17. Mai 1498 ertönte der Landruf in den Rahen der portugiesischen Schiffe. Am Abend des 20. fiel der Anker vor dem ersehnten Hafen von Calicut, und bald wurde das Geschwader von dem bunten Völkergemisch eines morgenländischen Hafenplatzes umschwärmt, wo die Sprachen des Orients vieltönig durcheinander schwirrten.

Vasco da Gama hatte auf der zehnmonatigen Fahrt einen großen Teil seiner Mannschaft verloren. Namentlich der Skorbut, dieser Schrecken der Seefahrer, hatte viele Leute dahingerafft. Der kühne Portugiese lag jetzt vor einem der größten Hafenplätze der Erde, und es hing alles von der Laune des morgenländischen Herrschers ab, in dessen Reich er gekommen war. An der Küste Malabar, der indischen Westküste, wo Vasco gelandet war, herrschte ein Kaiser, der sich Samudrin Radschah, „Herr des Hügels und der Welle“, nennen ließ. Der Samudrin nahm die Anträge Gamas anfangs freundlich auf. Auf seine Einladung ließ sich letzterer auf einem Tragsessel nach dem Palaste des indischen Königs tragen, der, einige Meilen landeinwärts, in einem Palmenwäldchen gelegen war. Soldaten der Bürgerkaste, schöne Männer von staunenswerter Gewandtheit, schritten, ernsten Antlitzes, neben der Sänfte des Admirals einher. Der Samudrin empfing die Fremden, auf seinem Throne sitzend und von Diamanten strahlend, mit vornehmer Herablassung. Er zeigte sich nicht abgeneigt, ihren Wunsch, in den Bazaren Calicuts indische Waren einzuhandeln, zu gewähren. Aber bald sollten die Fremden auch hier den Neid der Araber verspüren, die von alters her mit Calicut handelten, sich in großer Anzahl dort niedergelassen und ausgedehnte Vorrechte erworben hatten. Der Pöbel begann, auf ihr Anstiften, die Fremden in den Straßen zu beschimpfen, und der Samudrin ließ die portugiesischen Faktoren (Händler) unter nichtigen Vorwänden festnehmen. Gama antwortete mit der Verhaftung vornehmer Inder und dem Donner seiner Schiffskanonen.

Bald verließ er das ungastliche Calicut, in dessen Hafen seine Nachfolger noch manchen harten Strauß bestehen sollten, und stach wieder in See. Dem Küstenorte Andjediva gegenüber stellte sich ein seltsamer Gast an Bord des Admiralschiffes ein. Es war ein spanischer Jude, der durch eine wundersame Verkettung von Umständen nach Indien verschlagen war und in Goa die Stelle eines Hafenkapitäns einnahm. Er war aus der Stadt Goa als Spion abgeschickt, um die Fremden auszukundschaften. Vasco nahm ihn mit List gefangen, und der kluge Mann leistete in der Folgezeit als Lotse die wichtigsten Dienste. Nachdem die Portugiesen noch mit dem Radschah des nördlich von Calicut gelegenen Hafens Cananor einen Handelsvertrag abgeschlossen und ihre Schiffsräume mit köstlichem Gewürz befrachtet hatten, dachten sie an die Rückfahrt.

Aber sie hatten ihre Rechnung ohne die Winde des indischen Meeres gemacht. Wie durch einen Zauber gebannt, lagen die Schiffe auf der spiegelglatten Flut und waren nicht vorwärts zu bringen. Erst nach drei Monaten kam die afrikanische Küste wieder zum Vorschein, und der Skorbut forderte unter den tapfern Seeleuten neue Opfer. Doch fanden sie wieder die freundlichste Aufnahme und Pflege in Malinde. Am 20. März wurde zum zweitenmal das Vorgebirge der Guten Hoffnung umschifft. Noch stand dem edlen Vasco ein herber Schmerz bevor. Auf der Azoreninsel Terceira starb in seinen Armen sein geliebter Bruder Paulo, der die Reise mitgemacht hatte, aber das Vaterland nicht wiedersehen sollte. Am 29. August erblickte der Seeheld wieder den heimatlichen Tejofluß. Sein erster Gang war eine fromme Wallfahrt nach dem Gotteshause Belem, wo er auch vor seiner Abfahrt in stillem Gebete geweilt hatte. Dann erst hielt er seinen feierlichen Einzug in die Hauptstadt. Er ward wie ein römischer Triumphator empfangen. Stiergefechte, Lanzenbrechen und Volksfeste folgten einander in buntem Wechsel; feierliche Prozessionen wallten durch die Straßen der portugiesischen Städte; der König erhob den Entdecker Indiens und seine Brüder in den Adelstand, schmückte sie mit einem stolzen Wappen, ernannte Vasco zum Admiral der indischen Meere mit einem ungeheuern Jahresgehalt und einem besondern Handelsprivilegium und machte ihn später, als sich die indischen Eroberungen zu immer höherem Glanze erhoben, zum Grafen von Vidigueira.

König Manuel hatte Grund, den Helden Vasco zu ehren. Er hatte in der Welt des Ostens gethan, was sechs Jahre vor ihm der große Genuese Christobal Colon im Westen vollbracht hatte. In den nächsten Jahren errangen die Portugiesen immer größere Erfolge. Alvarez Cabral führte eine neue Flotte nach Indien. Auf der Ueberfahrt westwärts getrieben, entdeckte er ein großes Land mit kupferfarbigen Menschen – Brasilien, das jahrhundertelang seine Schätze an den Tejo senden sollte. Endlich in Indien angekommen, schloß Cabral mit dem Sultan von Cochin, einem Vasallen des feindlichen Samudrin von Calicut, einen wichtigen Handelsvertrag. Doch, so groß Cabrals Verdienste auch sein mochten, es war wiederum Vasco da Gama vorbehalten, in dem schwierigen Lande festen Fuß zu fassen.

Im Frühling des Jahres 1502 lief er von neuem, diesmal mit einem stattlichen Geschwader, aus der Bai von Lissabon. Nach neuen Thaten in Ostafrika nahm er an dem Samudrin blutige Rache. Er zerstörte ihm zwei Flotten, befestigte das Ansehen seiner Landsleute bei den Vasallen des Sultans und kehrte am 1. September 1503 mit einer kostbaren Ladung nach Lissabon zurück.

Das waren herrliche Erfolge, ausreichend, ein Menschenleben auszufüllen und es zu einem der merkwürdigsten aller Zeiten zu gestalten. Aber noch eine andere große Aufgabe war dem Entdecker des Seewegs nach Indien vorbehalten. Fürs erste blieb er freilich in Portugal, und das war zur Wiederherstellung seiner von so gewaltigen Anstrengungen tief erschöpften Gesundheit dringend nötig. Inzwischen dehnten die Portugiesen ihre Besitzungen in Asien weiter und weiter aus. Sie vernichteten den arabischen und ägyptischen Handel und eroberten unter dem kühnen Albuquerque, dem genialsten der Nachfolger Gamas, einen Teil Hinterindiens. Aber schon bald zeigten sich die ersten Spuren des Verfalls. Von Osten her drangen die Spanier vor, und in Goa, dem Hauptorte der portugiesischen Verwaltung, begannen Zuchtlosigkeit, Beamtenbestechung und eine rohe Mißhandlung der Eingeborenen böse Früchte zu tragen.

Da sandte König Johann III, Manuels Nachfolger, noch einmal im Jahre 1524 den großen Vasco über die Wasser des Oceans. Er war im harten Seedienste frühzeitig gealtert, aber die Spannkraft der Jugend hatte er nicht verloren. Noch einmal bewährte sich der Zauber seines Namens. Sein erster Schritt war die Absetzung des unredlichen Kommandanten von Goa, der in seiner Pflichtvergessenheit so weit gegangen war, selbst die Kanonen an die Feinde zu verkaufen! Mit einem Schlage ward alles anders: die unrechtmäßige Besetzung der Aemter hörte auf; Handel und Wandel wurden geregelt; von neuem erblühte Goa. Aber der Anstrengungen und Aufregungen waren für den alten Vasco zu viele. Am Weihnachtstage 1524, dem sechsundzwanzigsten Jahrestage seiner Entdeckung des Natallandes, starb der große Mann in Cochin.

Von seinen Schöpfungen ist wenig mehr erhalten. Aus dem üppigen Grün der Palmengärten schauen in Goa, der verkommenen und fast verlassenen Stadt, die Ruinen der einst stolzen Paläste.

Vascos Sohn Christoph fand, etwa dreißig Jahre nach seines Vaters Tode, als Gefangner eines afrikanischen Königs ein schauerliches Ende. Des Entdeckers Gebeine waren 1538 nach Portugal geschafft und in der Kirche des Karmeliterklosters zu Vidigueira beigesetzt worden. Am 10. Juni 1880 wurden sie in prächtigem Aufzuge nach Lissabon gebracht und dort unter königlichen Ehren in der Gruft der Herrscher Portugals bestattet.

Es hat sich damals ein Streit erhoben über die Frage, ob jene Gebeine die echten gewesen seien. Aber nicht an diesem Staube hängt der Ruhm von Vascos Namen. Aus den Rahen der Schiffe, die den Ocean Indiens befahren, klingt er wieder, und Portugals größter Dichter, Luis de Camoens, hat ihm in seinen „Lusiaden“ ein für alle Zeiten unvergängliches Lied gesungen.


[339]
Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Das Kaprunerthal.

Von Prof. Dr. Theodor Petersen.
Mit Illustrationen nach Photographien von Würthle u. Sohn in Salzburg.

Zell am See.   Zell am See und Steinernes Meer.

Unter den österreichischen Alpenländern ist die Landschaft Salzburg von besonderer Schönheit und Mannigfaltigkeit. Früher begnügte man sich wohl damit, die herrlich gelegene Landeshauptstadt und deren nähere Umgebungen zu besuchen, aber immer zahlreicher drang das reiselustige Publikum die Salzach aufwärts und in ihre Nebenthäler ein, deren Erschließung ganz besonders dem erfolgreichen Wirken des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins zu verdanken ist.

Die lange Kette der Hohen Tauern mit ihren ausgedehnten Gletschern, aus denen sich prachtvolle Hochgipfel, wie die schlanke Pyramide des Großglockners und der breite Rücken des Großvenedigers, erheben, begrenzt das Salzburgische Land im Süden. Eine Reihe von mächtigen Wildbächen hat sich von dorther einen Weg zu dem Hauptthale gebahnt und hochromantische Gebirgsthäler gebildet, von welchen das Gasteinerthal längst Berühmtheit erlangt hat. Reich an prächtigen Wasserfällen, von denen die Krimmler zu den schönsten in den ganzen Alpen zählen, besitzen diese Nebenthäler auch großartige Felsenengpässe. In ihrer Tiefe verlischt das Tageslicht, und über wildbrausenden Gewässern kann der Wanderer nur auf kühn gebauten Stegen vorwärts dringen. Die Liechtensteinklamm und die Kitzlochklamm sind von ihnen die bekanntesten, beide vom Alpenverein erschlossen. Sehr bedeutende Arbeiten hat dieser Verein in den letzten Jahren auch im Kaprunerthal verrichtet.

Das Kaprunerthal gegen die Schmittenhöhe mit Kesselfallalpenhaus.

Wenn man den Pongau und die Mündungen der eben erwähnten Seitenthäler der Salzach passiert hat, weitet sich das Hauptthal zum vielgepriesenen Pinzgau. Gleich an dessen Anfang hat der reizende Zellersee in einer Seitenbucht Platz gefunden. Auch Zell am See verdankt seine heutige Bedeutung zum großen Teil dem Alpenverein, denn das von der Natur so reich ausgestattete Stückchen Erde, die „Perle des Pinzgaues“, ist durch ihn in den weitesten Kreisen bekannt geworden. Auf der aussichtsreichen Schmittenhöhe erbaute der Verein ein jetzt bedeutend ausgewachsenes und bequem zugänglich gemachtes Alpenhotel, von welchem Punkte sich die herrliche Gegend und der interessante geologische Aufbau des umliegenden Teiles der Alpen vorzüglich übersehen läßt. Von nicht minder großem Reiz ist die Rundschau vom See aus; sie kann während einer Rundfahrt auf zierlichem Dampfboot bequem genossen werden. Im Norden präsentieren sich die schroffen Kalkwände des Steinernen Meeres, am schönsten, wenn der Purpur des Abendrotes an ihnen verglüht; nach Westen erstreckt sich das schiefrige Mittelgebirge mit den Häusern der Schmittenhöhe; östlich ziehen saftig grüne Matten, mit zahlreichen Heustadeln besetzt, zum Hönigskogel hinan und im Süden jenseit des Pinzgaus erhebt sich das alte krystallinische Centralgebirge, ganz nahe das schlanke Kitzsteinhorn und der Hohe Tenn im strahlenden Eismantel. Zwischen beiden schaut man in das geheimnisvolle Kaprunerthal hinein.

Obgleich so nahe bei Zell gelegen, war das Kaprunerthal doch bis in die neueste Zeit nur wenig besucht wegen der schwer zugänglichen Felsenenge in seinem unteren Teil. Aber die rührige Alpenvereinssektion Zell am See, von weiland Vater Riemann gegründet und gegenwärtig unter der Leitung des [340] thätigen Herrn Blaschka, war auf ihrem Posten, dem Lande neue Anziehungspunkte zu verschaffen; die in der Gegend begüterte fürstliche Familie zur Beteiligung bereit, auch ein verständnisvoller Baumeister in der Person des Herrn Ingenieur Gaßner alsbald zur Hand. Und so sind die kunstvoll angelegte Fahrstraße in das untere Kaprunerthal und das nur wenige Stunden von Zell am See entfernte neue große Alpenhotel am Kesselfall rasch erstanden und bereits im Jahre 1895 dem Verkehr eröffnet worden.

Unweit Zell zweigt die neue Kunststraße von der Oberpinzgauer Landstraße ab, zunächst den breiten Thalboden des Kapruner Mooses querend. Abwärts haftet der Blick an dem prachtvollen Schloß Fischhorn, einer Zierde der ganzen Landschaft; aufwärts übersieht man den Pinzgau bis zu den duftigen Zillerthaler Bergen. Bald ist der Eingang des Kaprunerthales erreicht; wir biegen um eine Ecke, und nun liegt sein stolzes Schloß vor uns, unweit davon auf einem von der Ache umrauschten Felsen das Kirchlein des Dorfes Kaprun, ein Bild, so malerisch, wie man es nur wünschen kann. In grauer Vorzeit als einfacher Turm erstanden, hat das jetzt der Fürstin Löwenstein gehörige Schloß Kaprun im Laufe der Jahrhunderte den Wechsel der Zeiten reichlich erfahren; seine dicken Mauern und Türme haben wilden Anstürmen Trotz bieten müssen und gewähren noch heute einen imponierenden Anblick. Nur ungern trennt man sich von dem schönen Bilde, aber weitere Genüsse warten unser drinnen im Thale.

Schloß Kaprun.

Die kunstvoll angelegte Straße beginnt bald am Kesselbühl hinanzusteigen, eine Thalsperre, durch welche sich die Kapruner Ache in tiefer Schlucht den Durchgang erzwungen hat. Oben wird die Schlucht in dem kühnen Bogen der Bilinskibrücke von der Straße übersetzt. Dorthin lassen wir den Wagen weiterfahren und wenden uns dem mit der Überschrift „Sigmund Thun-Klamm“ versehenen hohen Holzthore zu, welches wie zu einem Bergwerk den Eingang in die Klamm vermittelt. Zwischen dunklen Felswänden braust und brodelt die Ache, ihr Staub netzt das Moos der Wände und die grünen Zweige, die von oben hereinhängen. Auf sicheren Stegen und Treppen schreiten wir weiter; endlich nähern sich über uns die Wände und wir erblicken die Brücke, bei der wir wieder auf die Straße gelangen, die nun zwischen Matten und Wald langsam weiter hinansteigt. Das kleine Wirtshaus „Zum Kaprunerthörl“ liegt auf einer Lichtung am Wege. Wiederum schließt sich der Wald, doch bald erscheint eine neue Lichtung und vor uns erblicken wir, von prächtigem Tannenwalde umgeben und von Bergluft umweht, das Hotel Kesselfallalpenhaus (vgl. Abbildung S. 341). Es liegt 1056 Meter über dem Meeresspiegel.

Ein Platz, gleich dankbar und gleich geeignet für Touristen zu großartigen Bergpartien wie für Sommerfrischler zu längerem behaglichen Aufenthalt, ist nicht leicht zu finden. Dem vielbesuchten Zell am See ist er durch die neue Straße mit ihrer täglich mehrmaligen Postverbindung auf zwei Stunden nahe gerückt. Eine glückliche Zukunft dürfte dem neuen Alpenheim beschieden sein. Schon jetzt finden wir beim Kesselfall eine ganze Kolonie, die sich wohl in der Folge noch vergrößern wird. Freilich hat es seine Schwierigkeit, weiteres Terrain dem engen Thale abzugewinnen. Auch der gegenwärtig bebaute Platz ist großenteils durch Sprengungen den Felsen abgerungen.

Den Mittelpunkt des Ganzen bildet das große zweistöckige Hauptgebäude, ein vornehm gehaltener Holzbau mit aussichtsreichen blumenverzierten Veranden in echtem alten Pinzgauer Baustil. Sein großer Speisesaal und seine dreißig Zimmer sind behaglich, die Möbel aus Zirbelholz, wie die ganze sonstige Einrichtung, elegant und praktisch. Verschiedene Nebengebäude gruppieren sich malerisch daneben: ein Touristenhaus für anspruchslosere Gäste, Führerwirtschaft, Badehaus, Post- und Telephongebäude, ebenfalls mit Wohnzimmer und Verkaufsläden, sowie eine schmucke Kapelle.

Eingang zur Sigmund Thun-Klamm.

Unmittelbar neben dieser den Brüdern Gaßner gehörigen stattlichen Anlage braust der mächtige Kesselfall, ein prachtvolles Schaustück des Salzburger Landes. Der terrassierte Platz am Rande der Schlucht vor dem Hotel gewährt einen guten Ueberblick der Scenerie, aber die wunderherrlichen Einzelheiten des tiefen Wasserkessels genießt man erst dann vollkommen, wenn man die sicheren Holztreppen beschreitet, zu den donnernden Wassermassen niedersteigt, dieselben rings umkreist und schließlich durch ein Felsenthor wieder zum Hotel zurückkehrt. Der Kesselfall ist dreimal überbrückt, die hölzernen Treppen und Gerüste, die man zu passieren hat, sind mit Eisentraversen ringsum fest in die Felsen gebaut. (Vgl. Abbildung S. 341.)

In das tiefe Felsenbecken ergießt sich übrigens nicht nur der Kapruner Hauptbach, sondern es vereinigt sich dort mit ihm auch [341] der vom Schmiedingergletscher herabkommende Zeferetbach, und noch zwei weitere Quellbäche schäumen über die Felsen zu ihm herab. Alle diese vereinigten Wassermassen stimmen unten im Kessel ein großartiges Naturkonzert an und sind in einem lauten Wettstreit begriffen, in dem alles in Schaum und Wogen aufgeht.

Die Wasserkräfte des Kaprunerbaches finden Verwendung zur elektrischen Beleuchtung der Wirtschaftsräume sowie des Wasserfalles selbst, der bis spät in die Nacht hinein – die Kraftquelle kostet ja nichts – durch weiße und farbige Bogenlampen tageshell und äußerst wirksam beleuchtet ist. Die Beleuchtungsanlage ist von Siemens & Halske in Wien ausgeführt, die dazu dienende Dynamomaschine etwas abwärts im Thale aufgestellt. Bequeme Parkwege, die abends ebenfalls elektrisch beleuchtet sind, führen vom Wasserfall weit in den Wald hinein.

Das Kaprunerthal bietet für den Naturfreund noch gar viel des Sehenswerten. Im Hintergrunde des Thales, auf dessen letzter Terrasse, dehnt sich der Mooserboden (s. Abbildg. S. 342) aus, von einem Hochgebirgscirkus eingerahmt, der in den östlichen Alpen seinesgleichen sucht. Vom Großen Wiesbachhorn, der Glockerin und den Bärenköpfen im Osten bis zum Hocheiser im Westen steigen blinkende Gletscher rings hernieder; der größte von ihnen, das Karlingerkees, tritt vom Rifflthor in breitem Absturz ganz nahe heran. Dort hinüber geht es für rüstige Fußgänger zur Pasterze und zum Großglockner.

Kesselfall.       Kessselfallalpenhaus.
 Sigmund Thun-Klamm.


Die breite Kapruner Fahrstraße endigt beim Kesselfallalpenhause. Aber eine schmälere Straße, der Fürst Liechtenstein-Weg, geleitet den Reisenden bis zum Mooserboden, wobei sich ihm schöne Rückblicke über das Thal auf die Schmittenhöhe und das Steinerne Meer bieten. Der Weg ist breit genug angelegt worden, um mit kleinen, von einem Pferde gezogenen Sesselwagen im Schritt befahren werden zu können, und manche Dame benutzt jetzt diese Fahrgelegenheit, um bis zur Höhenburg, einer prächtigen Aussichtswarte am Rande des Mooserbodens, ohne Anstrengung vorzudringen. Der Weg dorthin steigt in wohlangelegten Kehren in zwei Stunden zur Thalstufe des vom gewaltigen Großen Wiesbachhorn (3570 Meter) überragten Wasserfallbodens hinan, auf dem zwei bewirtschaftete Häuser, die Orglerhütte und die Erzherzog Rainerhütte, zur Einkehr einladen, führt nochmals eine gute Stunde zum Mooserboden mit neuem Gasthause bergan und endigt bei der Höhenburg. Vom Alpenverein angelegte, gut gangbare Pfade führen noch weiter hinauf, zum Wiesbachhornhause der Sektion München und zur Rudolfshütte im Stubachthal. Von den zahlreichen Hochgebirgspartien, welche sich vom hinteren Kaprunerthale aus unternehmen lassen, heben wir nur eine hervor:

Wer mit dem Besuche des Kesselfallalpenhauses eine größere Bergtour verbinden will, der wandre vor allem hinauf zum Kitzsteinhorn (3204 Meter), welches von da aus in sechs bis sieben Stunden ohne besondere Schwierigkeit bestiegen werden kann. Ein gut gangbarer Reitweg führt über die Zeferethöhe und den Gaisstein bis zur Schmiedinger Schirmhütte. Dann geht es über den Schmiedinger Gletscher und schließlich allerdings steiler empor, aber Drahtseile erleichtern den Aufstieg zum Gipfel. Vom Zeller See aus präsentiert sich das Kitzsteinhorn als schlanke eisgepanzerte Pyramide, die imposanteste Berggestalt, die der See darbietet. Wer sie von da gesehen, wird sich sofort sagen, daß es auch ein Aussichtspunkt ersten Ranges sein müsse, der die Mühe seiner Besteigung in reichstem Maße lohnt. Ein unvergleichlich prächtiges Bild vom Pinzgau und vom weiteren Salzburger Lande, von den Nördlichen Kalkalpen und Hohen Tauern gewährt in der That das stolze Kitzsteinhorn.

In Verbindung mit dem fünfundzwanzigjährigen Stiftungsfeste der Sektion Zell am See des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins sind die von dieser rührigen Sektion ins Leben gerufenen, schon im Jahre 1895 dem Verkehr übergebenen neuen Schöpfungen am 28. Juni 1896 durch eine imposante Festlichkeit eingeweiht worden, zu der die Spitzen der Behörden des Landes Salzburg und zahlreiche Gäste aus Oesterreich und dem Deutschen Reiche erschienen waren. Bei der Wegscheide, wo die neue „Franz Joseph-Straße“ von der [342] Pinzgauer Landstraße abzweigt, hat die Zeller Sektion zur Erinnerung an den Besuch des Kaprunerthals durch den Kaiser von Oesterreich im Jahre 1893 ein Denkmal mit dem Bronzemedaillon des Kaisers errichtet. Mit der Enthüllung dieses Denkmals begann die Feier, wobei der verdienstvolle Vorstand der Sektion Zell am See allen Gönnern und Förderern des Unternehmens, welches einen Aufwand von nahezu 100000 Gulden erforderte, voran dem Kaiser Franz Joseph in schwungvollen Worten dankte.

Wasserfallboden.   Mooserboden.

Ein prachtvolles Stück Alpenland ist dem größeren Publikum erschlossen, dem auch die unlängst eröffnete Pinzgauer Eisenbahn sehr zu statten kommt. Auch nach Zell im Zillerthal wird vom Innthale aus jetzt eine Eisenbahn hergestellt; dann bleibt nur noch die Ueberschienung der Gerloser Platte übrig, um die Lande Tirol und Salzburg in neue direkte Verbindung zu bringen. So wetteifern die östlichen Alpenbewohner unausgesetzt, es ihren westlichen Nachbarn gleichzuthun und Anlagen zu schaffen, welche sich den schönsten und großartigsten in der Schweiz würdig an die Seite stellen.


Antons Erben.

Roman von W. Heimburg.

 (10. Fortsetzung.)

Eines Tages verbreitet sich im Dorfe das Gerücht, auf dem Schlosse fange man an zu sparen, so arg, daß es schon nicht mehr schön sei, und die alte Baronesse sei die ärgste dabei.

Christel, die noch bei ihrem verwitweten Schwager ist – sie wagt ihn in seinem Schmerze noch nicht zu verlassen, obgleich es sie mit allen Kräften heimwärts zieht zu ihrer Wirtschaft – hört es von der Frau des Gemeindevorstandes, die das Aufgebot ihrer Tochter bestellt hat. Mit den kleinlichen Ansichten solcher Leute glaubt die Frau, es müsse Christel eine Genugthuung sein, wenn sie erfährt, daß es auf dem Schlosse bergab gehe.

„Die Pferde der Gnädigen haben sie verkauft, sogar den Pony vom kleinen Jungen, und den Leuten den Stuhl vor die Thür gesetzt; man bloß noch ein Mädchen, das kochen kann, und ein Stubenmädchen behalten sie, und die alte Kinderfrau soll ja wohl die Jüngsten mit der Flasche päppeln. Der Herr hat so ein neumodisches Ding kommen lassen, worin die Milch erst stundenlang gekocht werden muß. Und was die Baronesse ist, die thut nichts weiter als die Aepfel auf den Bäumen zählen, die noch daran geblieben sind, sie will sie verkaufen, wie die Leute sagen. Der Wilhelm, der Kutscher von der Gnädigen, sagt, ihm sei auch zu Michaelis gekündigt worden, er ginge aber gern, denn seitdem die gnädige Frau fort wäre, sei nichts mehr los in Wartau. Und das sagt er auch, daß sie nicht wiederkäme, und das sagen sie alle vom Schloß, und daß er nun seine Strafe kriegt.“

Christel, die wie teilnahmlos dagestanden hat, während die Frau redet, unterbricht sie kurz: „Also dies sind die Papiere – ist auch der Trauschein von Ihnen dabei? Schön, ich werde meinem Schwager, sobald er nach Hause kommt, alles berichten, und wenn Bescheid nötig ist –“

„Na, dann adje!“ sagt die erschreckte Frau, „und nehmen Sie’s nur nicht übel.“

„Adieu, Frau Sobbe.“

O, wie ihr dieser Aufenthalt hier zur Qual wird! Und sie muß noch volle acht Tage aushalten, bis die zweite Tochter zurückkehrt, die nun, so jung sie ist, den Haushalt des Vaters führen soll. Aber natürlich, sie kann aus ihrer Stellung nicht so mir nichts dir nichts fort und muß schon froh sein, daß die Herrschaft ihr erlaubt, zu gehen, sobald sie neuen Ersatz hat an ihrer Stelle. Aber länger, länger als eine Woche noch hält’s Christel nicht aus. Sie kann es gar nicht mit anhören, wenn die Leute so reden, sie sträubt sich, glauben zu sollen, daß diese aus heißer Neigung geschlossene zweite Ehe keine glückliche sei, daß es Thatsache sein könnte, was die Menschen flüstern, daß Edith nie wiederkehren werde.

Und die Kinder, die armen Kinder! Aber es ist ja Thorheit, die Leute schwatzen Unsinn – um der Kinder willen werden sie ausharren miteinander, das weiß Christel genau. Hätte sie Kinder gehabt, sie hätte sie in ihren Armen zu ihm getragen und hätte gefordert: „Um dieser willen – ich weiß, daß du mich nicht mehr liebst, dulde mich um dieser willen!“

Eine große Sehnsucht kommt über sie, sie möchte die Kinder sehen, einmal sehen! Und dann schämt sie sich dieses Wunsches. Sie fühlt, sie wird erst wieder ruhig werden in ihrem einsamen Hause da droben auf dem Hochplateau, mit der Aussicht in den Grasgarten, auf die Lindenbäume und den einsamen Weg, den so selten jemand betritt. Wie schön ist dort die Ruhe, die sie umgiebt nach gethaner Arbeit; sie atmet selbst auf, wenn Louischen und der Schwager wieder gegangen sind, die zuweilen auf einen nachbarlichen Besuch kommen. Sie braucht niemand, sie will niemand, sie ruht sich aus in ihrem stillen Zimmer, wo der Kanarienvogel wie im Traume zwitschert und die bewegten Blätter der Linden draußen kleine runde Sonnenflecke auf den Dielen [343] tanzen lassen. Sie vermag da zu sitzen und zu sinnen bis in den Abend hinein, bis neue Arbeit sie ruft.

Wäre sie nur erst wieder dort!

Und endlich kommt der Tag, da sie abreisen kann; ihre junge Nichte ist eingetroffen, blaß, mit verweinten Augen, um die Stelle der Hausfrau einzunehmen.

Christel geht zuerst mit Vater und Tochter an das Grab, und als man wieder heimgekommen ist, giebt sie in ihrer milden Art dem verängstigten Kinde einige Anweisungen für den Haushalt, und nachher – am andern Morgen will sie reisen – geht sie allein im Pfarrgarten auf und ab, in alte Erinnerungen verloren. Als endlich der Mond aufsteigt, steht sie still und schaut über die Mauer auf die Felder hinaus, die vernichteten Felder, über die heuer zur Erntezeit schon die Pflugschar gegangen ist, als wäre es bereits Spätherbst, und die jetzt ein schwächlicher grüner Schimmer der Futterkräuter schmückt, die man gesät hat, um doch etwas zu ernten.

Und Christel denkt, wie sehr diesem Bilde ihr Herz gleicht, wie darinnen auch einmal prächtige goldene Saat wogte, die vom Sturm des Geschickes niedergebrochen wurde, und daß jetzt, wie dort drüben auch, nur ein bißchen bescheidenes Grün wachse, die Pflänzlein der Entsagung und der stillen Treue, des thatenlosen Mitleids. Ja, könnte sie ihm helfen, könnte sie ihn bewahren vor dem Schweren, das ihm droht!

Ach ja, die Wirtschaft geht bedenklich zurück auf Wartau, sie hat ja alles erfahren in diesen paar Tagen. Christel weiß ja noch so genau, wie viel sie herausgewirtschaftet hat aus dem Kuhstall an Milch, Butter, Käse, an Kälbern und Kühen, sie weiß noch, wie stattliche Summen sie Anton brachte aus dem Garten an Gemüsen, Erdbeeren, Winterobst, wieviel aus dem Hühnerhof. Sie erinnert sich so deutlich, wie er sich darüber gefreut und sie gelobt hat. In der Landwirtschaft, da will das kleinste berücksichtigt sein, wenn etwas dabei gewonnen werden soll. Sie ist immer aufgestanden vor Tau und Tag und spät zu Bett gegangen; und wie war Anton selbst so sparsam, so sparsam auch in der Zeit, wo sie es nicht mehr nötig hatten. – – Und nun, nun hat er schwere Sorgen, und die Frau verthut sein mühsam erworbenes Geld in den Bädern!

Wäre sie nur gar nicht hergekommen, hätte sie es lieber nicht erfahren, ihn nicht gesehen mit der gefurchten Stirn und den grauen Haaren in dem blonden Vollbart. Sie fühlt, sie wird von Wartau scheiden, niedergedrückter noch als damals … damals!

Du hättest ihn nicht verlassen dürfen! sagt eine Stimme in ihr, du hättest wissen müssen, daß er mit jener Frau ins Unglück ging. Und sie bleibt stehen und schaut starr in den silberdurchleuchteten Nebel, der aus den nassen Aeckern emporsteigt, es fliegt wie ein Schauer über ihren Körper.

„Ich mußte!“ sagt sie leise.


Ueber Wartau liegt der Novemberhimmel; einförmig und trübe schleppen sich die Tage hin. Im Schlosse ist es kühl und ungemütlich, die zwei großen Amerikaneröfen im Flur werden aus Sparsamkeit nicht mehr geheizt. Mittags wird in einem kleinen Zimmer gespeist, das Tafelzimmer ist so schrecklich groß, zu groß für die zwei Menschen, die alte Stiftsdame und den Hausherrn. Zuweilen nimmt Anton seine Mahlzeit ganz allein. Nach dem kurzen einfachen Essen – wie in der ersten Zeit, wird nur ein Gericht aufgetragen – steigt Anton in die Kinderstube hinauf, nimmt seinen Jungen von dem Teppich empor, auf dem er spielt, hält ihn auf den Knieen und starrt die kleinen Mädchen an, die gewöhnlich schlafen. Er muß Lothar reiten lassen, muß versprechen, ihm seinen Pony mal ganz lebendig mit heraufzubringen, der gar nicht mehr vorhanden ist, und verbringt dann wieder Stunde um Stunde vor den Büchern und Berechnungen, um abends wieder stumm der Baronesse gegenüber zu sitzen.

Die alte Dame hilft ihm schweigend bei seinen Bestrebungen, sich einzuschränken. In der Küche ist sie deshalb beinahe verhaßt. Die neue Köchin hat eines Tages wieder gekündigt, sie hätte sich doch zu sehr getäuscht, sie habe gemeint, in ein wirklich vornehmes Haus zu kommen, aber wenn sie nicht mal das Sauerkraut mit Champagner kochen solle und nie mal eine Pastete oder dergleichen zu machen habe, dann wolle sie lieber gehen, denn auf so einer Stelle verlerne sie alles.

Die Stiftsdame giebt ihr ohne weiteres den Lohn und die Papiere, und nun kocht das frühere Küchenmädchen, allerdings ein bißchen primitiv, aber Anton merkt es kaum. Hier und da besucht einer der Herren, die bei ihm in den letzten Jahren verkehrt haben, den Einsamen, doch der ernste gedrückte Mann ist nicht imstande, den angenehmen Wirt zu spielen, und die guten Freunde bleiben weg.

Heine flucht und räsonniert, wenn er von dem Herrn zurückkommt. „Himmel – Herrgott – das sollte mir passieren!“ Und als die kleine Frau ganz erschreckt fragt: „Was ist denn nur um Gottes willen?“ da schreit er los: „So schindet man sich und spart und kratzt die Groschens zusammen, daß die Hunde Blut lecken, und wenn man denkt, man hat ein Loch zugestopft, dann reißt da ein anderes auf! Hol’ der Teufel all so ’n gottslästerliches Weibervolk wie die!“ Und er stellt sich vor seine kleine Frau, schlägt in die flache Hand und ruft: „Rund jeden Monat zweitausend Mark an diese Frau, und er muckt nicht mal dagegen! Ja, da arbeite du dir den Bast von den Händen und quetsche es heraus, wo du kannst, in den Sumpf geworfen ist’s doch! – – Kann er denn nicht zum Donnerwetter ein ‚Stopp!‘ hinwettern nach Neapel, oder wo sie sonst herumflaniert, die allergnädigste Frau Mohrmann, geborne von Ebradt? Ich kann ihr doch nicht sagen: wenn du so flott leben willst, dann hungern demnächst die Kinder, Goldgruben giebt’s hier nun zufällig mal nicht! Aber nee, nee – er fährt womöglich ‚dritter Güte‘ nach Leipzig, und ein Glas Wein gönnt er sich nicht mehr. Und weißt, was ich thue, Lieschen? Ich steche der Alten mal den Star, die weiß wahrscheinlich gar nicht, wie tief er drin sitzt? Mag die doch mal ihrer hochgebornen Frau Nichte klarmachen, daß es so nicht weiter geht. Er thut’s nicht in seiner übertriebenen Noblesse gegen diese Frau.“

Nein, Anton thut es nicht, obgleich ihm diese Summen schwerere Sorgen machen, als er sich selber eingesteht. Nur nicht mit ihr feilschen, die ihn ja eben dieses Mammons wegen nahm! Hätte sie noch mehr verlangt, er würde es herbeigeschafft haben.

Als aber Heine eines Tages wirklich der alten Baronesse eine Andeutung zu machen wagt, geht sie zu Anton und bittet ihn, nur noch die Hälfte des bisherigen Betrages Edith zu senden; sie finde, daß es geradezu ein Verbrechen sei, ihr solch luxuriöses Leben zu gestatten.

„Edith kennt meine Lage, ich machte ihr hier bereits Vorstellungen,“ antwortet er, „sie haben gar nichts genützt. Glauben Sie, daß es jetzt etwas nützen wird?“

„Aber, mein Gott, wenn sie einfach nicht mehr bekommt, was bleibt ihr dann übrig als sich einzuschränken?“

„Dann bleibt ihr noch übrig, Schulden zu machen!“

„Ach, aber ich bitte Sie, Herr Mohrmann!“ Josepha ist dunkelrot geworden und sieht fast gekränkt aus.

Er geht an seinen Schreibtisch und holt einen ganzen Packen Briefe. „Hier, Baronesse, diese Rechnungen habe ich nach Ediths Abreise, das heißt in den ersten Oktobertagen, bekommen; es sind sehr große Posten dabei, unter andern einige Sachen, für die ich ihr das Geld bereits eingehändigt hatte.“

„Aber – aber,“ stammelt Josepha fassungslos, „das durften Sie doch nicht leiden, das ist ja entsetzlich!“

„Soll ich vielleicht in die Zeitnng setzen lassen: Ich warne hiermit jedermann, meiner Frau Edith, Geborenen von Ebradt, etwas zu borgen, indem ich erkläre, keine Zahlung leisten zu wollen – wie so die übliche Fassung ist?“ fragt er.

Josepha preßt das Tuch an ihre Augen und geht nach oben, außer sich vor Schmerz und Zorn. Sie schämt sich, o sie schämt sich für die leichtsinnige Person, diese Edith, und sie muß ihr dennoch mildernde Umstände zusprechen, denn sie hat’s ja nicht besser kennengelernt. Ihr Vater, ihr Großvater, ihre Mutter, alle verstanden sie das Schuldenmachen aus dem Fundament, in den Augen der Wartaus war Schuldenmachen keine Schande, im Gegenteil ganz comme il faut, ein Privilegium ihres Standes. Und wenn die Gläubiger die Ehre, bis in das Blaue hinein zu borgen, nicht genügend würdigten, so war das deren Fehler, nicht der ihrige.

[344] Wie hatte Josepha unter diesen Verhältnissen gelitten! Hundertmal hatte sie es bedauert, daß sie nicht vermochte mit den Wölfen zu heulen, und daher stand sie wie ein Fremdling inmitten ihrer Familie mit ihren streng rechtlichen Ansichten, die sie ebenso unerläßlich für den Edelmann wie für den Bürger hielt, und die in ihrer ganzen Sippe nicht zu finden waren.

Sie geht in das Schlafzimmer und holt sich ein Brausepulver, zündet die Lampe an und setzt sich zum Schreiben. Ihre Hand zittert, als sie die Feder eintaucht, aber nach und nach wird sie fester und die großen steifen Buchstaben bedecken einen Bogen nach dem andern. Mögen sie diese Zeilen auf immer trennen von Schwester und Nichte, es ist ihr gleichgültig, wissen müssen sie wenigstens, wie sie denkt über solch unerhörten Leichtsinn. – 0000000000

Und dieser Brief trifft Edith in Neapel; während des Diners im Hotel Haßler wird er ihr gebracht mit verschiedenen andern Postsachen. Man hat eben für den andern Morgen eine Fahrt nach Pozzuoli verabredet, sie und ein Rittergutsbesitzer v. Mardeveld aus dem Hannöverschen, der mit seiner kränklichen Frau reist, sowie ein preußischer Gardeoffizier, der erst vorgestern von Monte Carlo heraufgekommen ist, um die Bella Napoli kennenzulernen, bevor er nach Kairo geht, weil die Lunge ein bißchen angeknackst sein soll, wie der Regimentsarzt daheim behauptet hat.

Edith will auch hinüber nach Kairo, wie sie gestern erzählt hat, das heißt, sie weiß es noch nicht bestimmt, hofft es aber. Sie ist sehr elegant gekleidet in ein graues Tuchkostüm mit schmalem Zobelbesatz, trägt die Haare, wie die Neapolitanerinnen aus dem Volke, mit einem Schildkrotkamm hoch auf den Scheitel gesteckt und hängende Brillanttröpfchen in den Ohren. Unglaublich reizend sieht sie aus, weiß es aber auch. Tante Tonette ist desto niedergedrückter; von Tag zu Tag hat sie gewartet auf einen Brief von Mohrmann, der die Bitte enthält: Komm’ wieder, Edith, es ist alles vergessen! Bis jetzt ist ein solcher Brief nicht gekommen, und Abend für Abend fleht sie ihre Nichte an: „Schreib’ du ihm zuerst, sage, du willst alles thun, um deine Uebereilung wieder gut zu machen.“

Ein Achselzucken und die Antwort: „Wenn er’s nicht will, ich habe keine Eile!“ ist ihr regelmäßiger Bescheid darauf. Wie es aber im Herzen der schönen Frau aussieht, bekommt Tante Tonette nicht zu erfahren.

Ach, und die alte Dame ist so innerlich zermürbt, sie sehnt sich so nach Ruhe. Diese ihr sicher schon verhaßten Hotelbetten, dieses ewige Gasthausessen, das grelle elektrische Licht, die befrackten Kellner und die langen Diners, diese ermüdenden Opernvorstellungen, nach denen sie noch ein Souper aushalten muß zwischen ihr total gleichgültigen Menschen, die ihre Nichte anschwärmen – sie ist förmlich krank vor Heimweh nach Wartau, nach ihrem gemütlichen Zimmer mit der Aussicht auf die Felder, nach den Kindern – ach, ihr kleiner Lothar, der so süß schmeicheln kann: ‚Hast du Otho lieb, Droßtante?‘ Sie kämpft jedesmal mit Thränen, wenn sie an den Jungen denkt.

„Hast du einen Brief aus Wartau?“ fragt sie flüsternd die Nichte, die in einer sehr animierten Unterhaltung begriffen ist über Pompeji, das sie heute früh besuchte, um einer Ausgrabung beizuwohnen. Tante Tonette muß dreimal fragen, das letzte Mal mit einem energischen Zupfen am Aermel.

„Ja?“ fragt Edith, sich etwas heftig umwendend, „ob ein Brief aus Wartau dabei ist? Sieh doch selbst nach,“ und sie giebt ihr drei oder vier Briefe hin, schon wieder mit ganzer Seele bei dem Gespräch der andern.

Ein zweites Zupfen am Aermel. „Es ist einer von Josepha dabei, darf ich ihn lesen, Edith?“

„Ja, bitte, ist mir sogar sehr lieb, ich weiß ohnehin schon, was darin steht,“ antwortet Edith, und der Hauptmann aus Berlin wiederholt noch einmal das Schlußwort seiner langen Rede:

„Jradezu fabelhaft malerisch!“

Der Kellner präsentiert eben Butter und Käse, die Sängerbande im Vorraum singt „O dolce Napoli“ und der Hauptmann beginnt einen neuen Satz: „Jradezu fabelhaft dieser Verkehr auf dem Toledo, Berlin wie ausjestorben dajegen. Ich muß gestehen, ich kann’s nicht vertragen, wenn ich anjerempelt werde, und hier wird man ja auf Schritt und Tritt jerempelt, werde künftig nur noch fahren.“

„Das macht mir gerad’ Spaß,“ sagt Frau v. Mardeveld und spricht das S und das P einzeln aus bei „Spaß“.

„Jradezu unjlaublich!“ erklärt der Offizier.

„Aber, ich bitte Sie, Wenn man jahraus jahrein auf einem einsamen Gute lebt, so kann man während der paar Reisewochen gar nicht genug Menschen sehen,“ verteidigt sich die nette Frau. „Nicht wahr, Frau Mohrmann? Was sieht man denn auf dem Hofe? Hühner und Gänse und, wenn’s hoch kommt, den Herrn Verwalter.“

„Und deinen Mann!“ bemerkt ihr Gatte.

Sie nickt ihm zu mit liebevollen Blicken, „aber dich sehe ich ja auch hier, Heinrich!“

„Natürlich! Ich möchte auch wohl wissen, was aus dir werden sollte auf Reisen – ohne mich?“

„O, man kommt allein auch durch die Welt als Dame,“ scherzt Edith, „wie ich bestens beweisen kann. Selbständigkeit lernt sich sehr leicht und ist doch auch sehr angenehm.“

Tante Tonette sitzt mit völlig zerknirschter Miene da, den zusammengefalteten Brief in ihrer zitternden Hand. Sie fühlt sich unfähig, noch länger hier zu bleiben, und flüstert ihrer Nichte zu: „Ich gehe immer voran.“ Sie keucht zu den zwei Treppen hoch gelegenen Zimmern hinauf, die Edith gemietet hat, und oben angelangt, setzt sie sich ans Fenster und schaut auf das dunkle Meer hinaus, das jenseit der Quaimauer unter einem heftigen Südwind wogt. Der Himmel ist völlig sonnenlos, es scheint zu regnen, und die alte Dame faltet die Hände und sagt laut: „Mein Gott, wie soll das enden?“

Was Josepha ihr da schreibt, hat sie ganz wirr und irr gemacht. – Wenn nur Edith bald käme, sie muß doch mit ihr reden, ernstlich reden! Edith darf nicht länger bummeln, sie soll zurück, sie ist’s ihm schuldig, das erste Wort zu sprechen. Tonette hält sich überzeugt, daß dieser gutmütige große Mensch mit offnen Armen wartet, sobald er den kleinsten Beweis erhält, daß seine Frau den Wunsch hegt, zurückzukehren; daß er schon zufrieden sein wird, wenn sie sagt: laß uns versuchen, weiter miteinander zu leben – um der Kinder willen!

Wie sie so lange bleibt!

Der Sturm draußen ist heftiger geworden und die See wirft hier und da klatschend eine Welle über die Quaimauer, so daß die Leute auf die Häuserseite flüchten. Die neue Jungfer, die Edith in Venedig gemietet hat für die Reisezeit – es ist eine Oesterreicherin – singt ein Lied im Nebenzimmer mit greller Stimme und öffnet dabei Schrankthüren und Kommodenschübe; sie legt Ediths Theatertoilette zurecht; in San Carlo wird die „Cavalleria“ gegeben mit einem berühmten Mailänder Sänger. Edith hat eine Loge mit Mardevelds und dem Hauptmann gemeinschaftlich bestellt.

Tante Tonette bliebe so gern daheim, aber Josepha hat ihr das Versprechen abgenommen, Edith nicht von der Seite zu gehen; eine qualvolle Pflicht, wenn man sechzig Jahre alt ist und kein sorgenfreies Herz hat.

Endlich öffnet sich die Thür und auf dem hellen Grund des elektrisch beleuchteten Vorsaales erscheint einen Augenblick die Silhouette Ediths, dann herrscht wieder Dunkelheit. Nur das leise Rauschen des seidengefütterten Kleides verrät ihre Anwesenheit der vom Licht geblendeten alten Dame.

„Edith,“ sagt sie vor Aufregung ganz heiser, „Edith, nun bitte, höre mich ruhig an, es ist wirklich die höchste Zeit, einzulenken – wir müssen heim.“

Edith, die eben den Knopf der elektrischen Leitung drücken will, um Licht zu schaffen, läßt die Hand wieder sinken. „Einlenken – ich? Ja, was soll denn das heißen, Tante? Ich habe ihn doch nicht verlassen, er hat mich ja gehen heißen.“

„Um dir Zeit zu gewähren, den Weg zu seiner Verzeihung zu finden, Kind.“

„Aber Tante, fange doch nicht wieder damit an, ich war gerade so vergnügt.“

Du mußt das erste Wort sprechen, Edith –“

„Das muß ich nicht! Wenn ich das thue, hätte ich nett verspielt für mein künftiges Leben. Was schreibt denn eigentlich Ehren-Josepha, daß du heute so ganz besonders dringend deine Versöhnungsarie singst?“

„Du kannst den Brief ja lesen, Hier, bitte, lies ihn!“

[345]

Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.

In der Instruktionsstunde.
Nach dem Gemälde von Karl Müller.

[346] „Ach was! Erzähle mir lieber, ich rege mich mir auf bei ihren Weisheitspredigten.“

„Sie fordert dich auf, dich mehr einzuschränken, weil Mohrmann unmöglich fernerhin so viel geben kann wie bisher.“

„Was?“ ruft Edith atemlos, „in seinem Auftrage?“

„Das schreibt sie nicht, sie erzählt nur, daß er sich thatsächlich durch den gänzlichen Ausfall der Ernte in Verlegenheit befindet.“

„Und das glaubst du natürlich pflichtschuldigst,“ sagt Edith geradezu mitleidig. „Du bist doch recht nervös geworden, Tante. Bei den Einnahmen aus dem Flußspatwerk – lächerlich! Nun hat dir Josepha dasselbe vorgeklöhnt, was er mir seiner Zeit weiszumachen versuchte; die scheint ja neuerdings auf ihn zu schwören, die gute Tante Josepha. Eine verunglückte Ernte wirft ihn nicht um – beruhige dich!“

„Aber Kind, du vergißt, daß drei schlechte Ernten vorangegangen sind, daß die Einrichtung und der Umbau des Schlosses eine recht anständige Summe gekostet haben, daß der Haushalt auf einen sehr großen Fuß eingerichtet war – –.“

„Wirklich?“

„Ja – wirklich! denn nach dem, was mir Josepha schreibt, haben sie in Wartau all und jeden Luxus beiseite gelegt, die Pferde verkauft, Dienerschaft entlassen – Gott weiß was noch!“

„Meine Pferde?“ ruft Edith, „natürlich meine Pferde, das ist toll, das ist einfach perfid!“

„Es wird doch wohl nötig gewesen sein – bitte, lies doch selbst, Edith!“

„Danke! Solche lächerliche Faxen mag ich nicht wissen, und wenn Mohrmann denkt, mich dadurch zurückzuzwingen, so irrt er sich. Ich komme höchstens auf seine Bitte, und dann vielleicht auch noch nicht gleich, und damit basta!“

Mit diesen Worten geht sie an den elektrischen Knopf, und im Nu flammen in den sechs herabhängenden Blütenkelchen des Kronleuchters die Staubfäden auf, ein warmes goldiges Licht verbreitend.

„So! In der Helligkeit werden dir die Grillen wohl vergehen, liebe Tante, und nun will ich noch ein wenig schlafen vor dem Theater; schlafe du auch. In acht Tagen reisen wir über Palermo nach Alexandrien, Hauptmann von Röben wird den Reisemarschall machen. Für dich ist das alles ja nichts Neues, aber ich freue mich darauf, o ich freue mich!“

„Dann reise du in Gottesnamen,“ sagt Fräulein Tonette und erhebt sich aus ihrem Stuhl, „ich gehe nach Wartau zurück.“

Edith dreht sich an der Thür ihres Schlafzimmers um und starrt ihre Tante an, als sei sie ein Meerwunder. „Du läßt mich im Stich?“ stottert sie.

„Wenn du es so zu nennen beliebst, ja!“

In Tonettens Herz bäumt sich jetzt ein ebenso heftiger Trotz auf wie im Herzen der Nichte.

„Du hast die Pflicht, bei mir zu bleiben,“ betont Edith.

„Wo steht das geschrieben?“ fragt Tonette.

„Schön, liebe Tante, ich fühle mich vollständig reif genug, um allein zu reisen. Also, auf deine Verantwortung –“

„Ich lehne von dieser Minute an jede Verantwortung für dich ab,“ erklärt die alte Dame.

„Also – wann reist du, Tante?“

Und Fräulein Tonette sagt mit einem energischen Auftreten des Fußes: „Morgen!“ und geht aus der entgegengesetzten Thür in ihre Schlafstube; dort wirft sie sich zitternd in das Sofa und schluchzt vor Aufregung und Aerger. Was wird sie nun beginnen, was wird sie nun beginnen? Die junge Frau kann ja gar nicht allein reisen, das ist unmöglich nach Tonettens Begriffen von Sitte und Anstand. Aber sie ist schon überwunden; wenn dieser kleine Teufel morgen bittet und schmeichelt, dann geht sie auch gutmütig, aber freilich tief verstimmt mit nach Afrika; sie darf sie nicht allein lassen, wenn jemals wieder Friede werden soll!

Sie hört, wie Edith in die Oper fährt, sie hört sie spät in der Nacht zurückkommen. Auf dem Korridor verabschiedet sich der Hauptmann von ihr, seine schnarrende Stimme dringt deutlich in das Ohr der aufgeregten alten Dame. „Um acht Uhr früh, gnädige Frau,“ sagt er. Und ebenso hört sie Ediths silbernes klangvolles Organ: „Sie müssen mich schon entschuldigen, meine Tante reist morgen nach Deutschland zurück, ich möchte sie doch auf den Bahnhof begleiten. Gute Nacht, Herr von Röben!“

„Allmächtiger Gott!“ spricht Tante Tonette vor sich hin und ringt die Hände, „sie ist imstande und forciert meine Abreise!“

Natürlich schläft sie keinen Augenblick, und am andern Morgen plagt ihre Migräne sie schlimmer als je; es ist keine Möglichkeit, abzureisen.

Edith steht in einem hochroten Flanellnegligé an ihrem Bette und sagt teilnehmend: „Tante, da wirst du die Abreise vermutlich um vierundzwanzig Stunden verschieben müssen; wie gut, daß der Anfall nicht unterwegs kam!“

Die Kranke stöhnt qualvoll unter dieser Marter und nickt der Nichte, sie möge sich entfernen.

„Ich gehe schon – armes Tantchen, recht gute Besserung!“ Und Edith macht eilends Toilette und kommt noch gerade zurecht, um mit Mardevelds und Hauptmann von Röben nach Pozzuoli zu fahren. „Poldi pflegt so gut Kranke,“ sagt sie, „und wenn einer Migräne hat, so ist ihm am wohlsten allein.“

Als am andern Morgen Tante Tonette einigermaßen schmerzfrei erwacht und Miene macht, aufzustehen, bemerkt Poldi, die ihr den Thee bringt, „Euer Gnaden brauchen sich gar nit zu ängstigen, i hab’ schon alles richtig verpackt, nur noch das bisserl, was Euer Gnaden zur Toilette brauchen, dann können’s reisen.“

Tonette ist nahe daran, wieder einen Anfall zu bekommen. Sie erklärt ganz matt, es sei ihr unmöglich, aufzustehen, sie habe noch zu starkes Kopfweh. „Lassen Sie mich nur allein, ich bitte Sie, und sagen Sie meiner Nichte, daß ich niemand sprechen kann, auch sie nicht.“

Als die Zofe gegangen ist, schleppt sie sich mühsam zu den Thüren, verschließt diese und schreibt ein Telegramm an Josepha:

„Veranlasse Mohrmann sofort, Wunsch zu äußern, daß Edith zurückkehre, sonst große Unannehmlichkeit. Brief folgt.
Tonette.“ 

Mit diesem Zettel und einem Zehnlirestück, dessen Betrag nach Abzug der Kosten dem freundlichen Boten gehören wird, steht sie an der Thür, die zum Korridor führt, und blinzelt durch einen ganz schmalen Spalt nach einer barmherzigen Seele aus, die das Telegramm besorgen soll. Allerlei Menschen passieren vorüber, niemand darunter, der sich eignet; endlich erscheint der Groom, der die Postsachen nach den verschiedenen Zimmern trägt, und wird in mangelhaftem Italienisch verständigt, ist auch sofort bereit, den Gang zu thun.

Ganz erschöpft, doch etwas ruhiger begiebt sich die arme Tante wieder in ihr Bett hinter die weißen Tüllvorhänge und läßt ihre trüben Gedanken spazieren gehen. Durch die Läden dringt hell die strahlende Sonne des Südens. Tonette hört im Salon nebenan Ediths Lachen und eine Herrenstimme.

„Wie wundervoll diese Veilchen!“ ruft die junge Frau. Eine sehr lange Unterhaltung entspinnt sich, endlich empfiehlt sich der Besucher. Tante Tonette hat den Hauptmann „von Jradezu“, wie sie ihn nennt, erkannt.

Was wird Mohrmann thun? Wird er Edith nie vergeben? Ja, was soll dann nur werden? Eine Reihe schreckhafter Zukunftsbilder entrollt sich vor ihr und die Reue klopft bitter an ihr Herz. Ja, sie ist nicht schuldlos daran, wenn er sich jetzt in Geldverlegenheiten befindet. Herrgott – der Umbau des Schlosses und die Einrichtung hat ja ein Vermögen verschlungen, Tapeten zu fünfzig bis sechzig Mark das Stück, und der Smyrnateppich im großen Saal, heller gelblicher Grund mit Rokokoarabesken und Rosen – sie schaudert jetzt, indem sie bedenkt, daß er dreitausend Thaler gekostet hat.

Warum ist er nur nicht dazwischen gefahren mit einem Donnerwetter, hat die Stirne gerunzelt, gefragt: „Muß das durchaus sein?“ Na ja, die Stirn hat er wohl gerunzelt, das hat man gesehen, aber nicht darauf achten wollen. – Er konnte ja einfach verbieten, warum litt er es denn? Es wird schon so sein, wie Josepha schreibt. – Die verschwemmte Ernte, das ist schlimm, aber wer kann denn dafür? Ein bissel übertrieben wird Josepha auch haben, doch in einem hat sie recht: Edith muß sich mehr einschränken! Ueberall werden Toiletten gekauft, und Kunstgegenstände, und immer die besten Zimmer in den Hotels [347] gemietet, und immer nur Landauer. Aber man hat ja keine Macht über sie!

Als Tante Tonette gegen Abend noch immer nicht genesen ist, erscheint, von Frau Edith gesendet, der Hotelarzt und erklärt, nachdem er den Puls gefühlt und die Zunge besehen hat, Patientin werde gut thun, etwas aufzustehen und an die Luft zu gehen, der Anfall sei ganz vorüber und ein längeres Verweilen im Bette nur schädlich. Er finde es sogar durchaus nicht allzugewagt, wenn die Baronesse abreise, Luftveränderung würde ganz besonders wohlthätig sein. In Rom die Nacht bleiben, andern Tages nach Genua, es gehe prächtig!

„Aber ich muß doch selbst am besten wissen, ob ich mich so fühle, Herr Doktor,“ wehrt Tante Tonette; „ich bin so entsetzlich matt, Sie glauben nicht, wie sehr. Vielleicht übermorgen, oder in drei Tagen – morgen keinenfalls.“ Sie steht Höllenqualen aus; sie fühlt, Edith will, daß sie abreist, und sie darf nicht, nein, sie darf nicht. Wenn doch die Depesche den beabsichtigten Erfolg haben möchte! Sie betet, sie betet, wie sie lange nicht gebetet hat, aber der folgende Tag vergeht ohne Rückantwort, und wieder einer; am dritten Morgen hält sie es nicht mehr aus im Bette und steht auf.

Im Salon trifft sie Edith, die am Schreibtische sitzt und freundlich lächelnd fragt: „Nun, Tantchen, wieder auferstanden? Wohl schon reisefertig?“

„Ich warte auf Nachricht von daheim,“ entgegnet die alte Dame kurz. „Wenn dein Mann mit meiner Rückkehr einverstanden ist, befreie ich dich von meiner lästigen Gesellschaft, wenn nicht, mußt du sie weiter ertragen. Mir macht’s, weiß Gott, auch kein Vergnügen, dich zu chaperonnieren, ich sehne mich nach Hause.“

„Lieber Gott,“ seufzt Edith, „du thust mir leid, und seekrank wirst du auch immer gleich, ich kann es kaum verantworten, dich mitzunehmen.“

„Die Afrikareise ist ja noch nicht verbrieft und besiegelt,“ murrt Tante Tonette.

„Aber sicher ist sie das!“

„Gottlob herrscht in deiner Kasse gerad’ mal wieder Ebbe.“

„Du vergißt den Kreditbrief, den ich mir neuerdings von der Bank in Leipzig schicken ließ.“

„Edith, du bist ein unverantwortlich leichtsinniges Geschöpf; denke doch an deine Kinder!“ Und die alte Dame bricht in bitterliches Weinen aus und sucht wieder ihr Zimmer auf.

Und wieder keine Nachricht, und auch am andern Morgen keine. Edith ist schon in aller Herrgottsfrühe an ihrem Bette gewesen und hat gesagt: „Leb’ wohl, Tantchen, wir machen eine Partie auf die See; laß dir die Zeit nicht lang werden.“ Und dann ist sie gegangen.

Und Tante Tonette liegt wie ein trotz!ges Kind im Bette, und als sie endlich aufsteht und in den Salon kommt, sieht es ihr drinnen so anders aus wie sonst, und sie weiß nicht, woran das liegt, bis sie merkt, daß die Nippes und Kunstgegenstände fehlen, die Edith überall zusammengekauft hat, um das Zimmer damit zu schmücken; daß selbst der Schreibtisch abgeräumt ist. Und wie ein Blitz fährt eine schreckliche Ahnung durch ihre Seele. Sie läuft zur Klingel, und anstatt Poldi erscheint das Stubenmädchen des Hotels und bringt einen Brief.

„Die gnädige Frau sind abgereist, nach Palermo,“ sagt sie.

Tante Tonette fühlt sich einer Ohnmacht nahe; mit zitternden Händen öffnet sie das Schreiben:

 „Liebe Tante!

Reise heim, es ist mir ein zu peinliches Gefühl, Dich bei meinem unsteten Wandern so umherschleppen zu sollen. Du brauchst Ruhe und außerdem ist’s billiger, wenn ich allein reise, was Mohrmann doch sicher nur erwünscht sein wird in der jetzigen Zeit der Ebbe.

Mardevelds kommen bis Sicilien mit; ich gedenke dort etwa vier Wochen zu bleiben. Dann gehe ich nach Aegypten; Frau v. Mardevelds Mutter und Schwester treffe ich in Kairo, also alles comme il faut – kannst Dich beruhigen.

Geld für Dich hat der Wirt in Verwahrung. Ich hätt’s Dir zwar lieber selbst gegeben, aber ich fürchtete eine Scene. – Nach Wartau kehre ich erst dann zurück, wenn Mohrmann es wünscht, vorher nicht; ich habe keine besondere Eile.
Immer Deine Edith.“ 

„So! Nun sind wir ja so weit,“ sagt Fräulein Tonette von Wartau ganz laut, nachdem sie den Brief, den Edith für sie zurückgelassen, in größter Erregung gelesen, „nun sind wir ja auf der schiefen Ebene angelangt, nun giebt’s kein Aufhalten mehr, nun wird’s kommen, wie es kommen mußte! Sie verrammelt sich mit ihrer Fahrt ins Blaue hinein ganz einfach die Thür zur Wiederkehr. – Herrgott, konnte denn dieser Dickkopf in Wartau nicht das erste Wort sprechen? Sie ist doch eben nur ein verzogenes eigensinniges Kind – konnte er denn nicht der Großmütige, der Verständige sein? Aber das muß biegen oder brechen!“

Ihre thränenreiche Stimmung ist völlig geschwunden; sie ist zornig, furchtbar zornig, und wie sie noch in ihrer Erregung auf und ab rennt, tritt der Groom des Hotels ein und bringt einen zweiten Brief, diesmal mit deutscher Marke – aus Wartau, von Josephinens Hand.

Sie wirft sich in den nächsten Sessel und reißt das Couvert auf, eine Photographie, in Seidenpapier gewickelt, fällt heraus. Tonette beachtet sie zunächst nicht, sie lechzt nur nach dem Inhalt des Schreibens:

 „Liebe Tonette!

Wider mein besseres Gefühl habe ich doch, Deinem Wunsche zufolge, mit Mohrmann gesprochen, um ihn zu bitten, an Edith zu schreiben und sie zur Rückkehr zu veranlassen.

Er hat mir’s rundweg abgeschlagen aus folgenden Gründen: Edith liebt mich nicht, folglich wird ein Wunsch von mir sie nicht zur Rückkehr bestimmen können. Daß sie jederzeit als Mutter meiner Kinder in mein Haus zurückkehren darf, das weiß sie; da sie aber das Pflichtgefühl bisher nicht dazu veranlaßte, muß ich annehmen, daß sie sich fern von hier wohler fühlt. Ich verlange keinen Widerruf ihrer damaligen Offenbarungen, denn dem würde ich nicht glauben; sie braucht ja nur einfach zu kommen, wann sie will; aber die Entschließung muß von ihr ausgehen. Von einem Wiederfinden oder – besser gesagt – einem schließlichen Finden unserer Herzen kann nie die Rede sein, doch bin ich bereit, in einem höflichen Nebeneinander mit ihr für unsere Kinder zu leben, weiter kann ich nichts thun! – So, meine liebe Tonette, sagte Mohrmann, und siehst Du, er hat recht. Wie soll er dazukommen, die Frau, die ihn jahrelang mit jedem Atemzüge belogen hat, zu bitten und anzuflehen, daß sie zurückkehre? Die einzige Art, wie sie seinerseits etwas Achtung wiedergewinnen kann, ist, daß sie wenigstens ihre Mutterpflichten anerkennt, daß sie Sehnsucht äußert nach den Kindern, und das hat sie bis jetzt nicht gethan.

Ich habe den Eindruck, daß sein Empfinden für sie völlig erloschen ist. Er spricht ganz ruhig über die Angelegenheit, und als ich versuchte, ein wenig seine Eifersucht zu stacheln, reagierte er gar nicht darauf. Wenn überhaupt noch etwas in ihm sich regt, so ist’s der Zorn, daß er jahrelang düpiert wurde von einem Talmigeschöpf, wie diese Edith leider eines ist.

Du hast eine schwere Verantwortung zu tragen, Tonette. Thue, was in Deinen Kräften steht, um sie zur Einsicht zu bringen, um in etwas Deinen Fehler wieder gut zu machen. Beifolgend die Photographie der Kinder und ein paar Löckchen, vielleicht rührt sie das!“

Und die arme Tonette sitzt und starrt auf die süßen Kindergesichtchen des Bildes und von ihnen auf das Meer hinaus, in dessen blauer Ferne das Schiff verschwunden ist, das diejenige entführt, die sie zur Pflicht zurückführen soll, und sie kommt sich wie eine Gerichtete vor. Am liebsten stürzte sie sich hinein in das Wasser, wo es am tiefsten ist. Was soll nur werden, wenn sie allein nach Wartau kommt? Und sie muß ja doch hin, denn Edith nachreisen, um mit den liebenswürdigsten Bosheiten wieder fortgegrault zu werden, das kann sie nicht. Sie hat genug gelitten in diesen Tagen.

Und seufzend ordnet sie ihre Habseligkeiten und reist mit dem Nachtschnellzuge von Neapel ab. – 00

*               *
*

Sie hat nicht den Mut gehabt, sich anzumelden und um den Wagen zu bitten. Sie wandert von der Station aus in sinkender Dämmerung die schmutzige nasse Chaussee entlang, zitternd vor Angst über den Empfang, den Mohrmann, den [348] Josepha ihr bereiten werden, wenn sie ohne Edith kommt. Mitten in der Lindenallee holt eine große Gestalt sie ein, Mohrmann, der von einem Birschgange über die Felder zurückkehrt, in hohen Stiefeln, Flauschrock und Spessartmütze, die Flinte über der Schulter.

„Tante Tonette?“ fragt er, sie groß anstarrend.

Sie kann kaum sprechen, nur mühsam unter aufquellenden Thränen sagt sie: „Schelten Sie mich – ich komme allein.“

Er lächelt ein wenig, aber ein Lächeln, das sie um alle Fassung bringt, so hohnvoll überzuckt es das ernste Gesicht. Sie bleibt stehen und faßt den Mann am Aermel seines Jagdrockes, sie will sprechen, aber die Thränen stürzen ihr stromweis aus den Augen, und sie schreit es fast hinaus:

„Sie wollte nicht mit mir kommen, sie wollte nicht!“

Er antwortet nicht, er bückt sich nur und hebt ihren Pompadour vom Boden auf und geht ruhig weiter.

Sie folgt ihm, das Schluchzen gewaltsam unterdrückend. Er schreitet neben ihr, die große Gestalt ein wenig gebeugt, so stumpf, so gleichgültig, als habe ihr Erscheinen durchaus nichts Unerwartetes für ihn, als sei es völlig selbstverständlich, daß Edith nicht mitkommt.

Im Flur des Schlosses verläßt sie ihn und steigt hastig die Treppen empor, und droben in der Kinderstube erschreckt sie die alte Klauß und wirft sich fassungslos neben Lothar, der am Boden spielt, auf die Kniee und weint an seinem Lockenköpfchen so heftig, daß das Kind in ein jämmerliches Geschrei ausbricht und Josepha herübereilt, die ihren Augen nicht traut, als sie die Schwester in der großen zitternden Frauengestalt erkennt.

„Tonette!“ ruft die Stiftsdame und rüttelt sie an der Schulter, „um Gottes willen – wo kommst du her?“

Da steht sie auf, und die Arme sinken lassend, sagt sie mit zitternden Lippen: „Sie wollte mich nicht mehr – sie ist allein – weiter gereist.“


Der Winter schleicht vorüber, furchtbar öde und still. Der Weihnachtsbaum, den die beiden alten Schwestern für die Kinder schmücken, erhellt nur gerade die Kinderstube und die Herzen der Kleinen, weiter reichen seine Strahlen nicht; es ist und bleibt finster in den andern Räumen und in den andern Herzen auch.

Der Januar und der Februar bringen Schnee, ungeheure Massen von Schnee, Wartau liegt wie verschanzt hinter weißen Mauern. Kein Laut, kein Ton in Hof und Garten; das Fauchen und Klappern der Dampfdreschmaschine fällt aus in diesem Winter, wie die Ernte im Sommer ausgefallen ist. Die Fenster des Schlosses sind gleichmäßig zugefroren; der schmale, durch den Schnee geschaufelte Pfad ist wenig betreten. Weder die alten Fräulein noch Mohrmann verlassen das Schloß oft, und zum Besuch kehrt niemand mehr ein, nur der Briefbote erscheint fast zu häufig, denn er bringt selten etwas Frohes. Anton sieht ihm immer von seinem Fenster aus entgegen, mit Sorgenfalten auf der Stirn.

In solchen stillen Zeiten kommen die Erinnerungen gern zu den Menschen. In den Abendstunden, wenn das bläulichweiße Schneelicht das Zimmer dämmernd erhellt, dann treten sie ein, die Gestalten, die von uns gegangen sind, gleichviel ob aus dem Leben oder durch das Leben von uns geschieden, und reden so eindringlich, obgleich ohne Laut und Sprache; und in einem Winkel sitzt eine Gestalt mit vorwurfsvollen in Leid verschwommenen Augen und starrt uns unverwandt an. Das ist die Reue, deren Blicke so martern können, daß man sie kaum zu ertragen vermeint. Und jeden Abend fast kam sie zu Anton und quälte ihn, und jeden Abend trat die Erinnerung zu ihm und fragte: „Weißt du noch? Weißt du noch?“ Und er fühlt sich elender und kränker von Tag zu Tage.

Zuerst ist’s immer die alte Mutter, und immer liegt sie da wie in ihrer Sterbestunde, und immer sagt sie: „Halte dein Weib hoch, Anto, halte sie gut! Ja, die ist von anderm Schrot und Korn, wie die da in Halle, du weißt schon – halte sie gut, Anto, deine Christel!“

Und dann kommt die Christel. Die sagt gar nichts, die will nur zu ihm und will ihm über die Stirn streichen, wie sie so scheu zärtlich that, wenn er verstimmt schien. Sie war so schüchtern, sie fand selten den Mut zu einer Liebkosung, obgleich sie ihn liebte so tief und so treu, wie er jetzt erst weiß. Und in diesen Erinnerungen weicht auch sie zurück vor der schönen jungen Frau, die sich ihm an die Brust wirft und heiße Küsse für ihn hat. Und während er so träumt, klingen ihm die Worte Ediths in die Ohren: „Ich habe ihn nie geliebt, und liebe ihn auch heute noch nicht, ich habe mich einfach für euch und für Wartau geopfert –“, das Geständnis: „Ich fürchtete mich vor der Armut.“ Und er macht eine Bewegung mit den Armen, als wolle er sie fortstoßen. Sie ist so schmachvoll, diese Erinnerung; die Seele ist ihm wund davon, der Kopf schmerzt, so oft muß er an diese Worte denken. Er kann nicht anders – immer wieder – immer wieder sind sie da!

Der Arzt hat ihm Brom verordnet gegen seine Schlaflosigkeit, aber was hilft Brom dawider? Irgend eine Zufälligkeit, ein Gegenstand, der an sie erinnert, und das wohlthätig beruhigte Gehirn ist in neuer fieberhafter Thätigkeit, und ein Gedanke jagt den andern, bis das ganze Trugbild vor ihm steht. Von ihr kommt er auf die Kinder, die nun keine Mutter haben, und von ihnen auf ihre Erziehung, ihre Zukunft, auf seine pekuniären Sorgen, die ihn fast zu Boden drücken. Geld soll er schaffen, immer wieder Geld! Geld für das Bergwerk, Geld für den Bau der Brauerei, Geld für Futtermittel seines Viehes, für Kartoffeln; es sind ja keine geerntet, und das, was noch eingebracht wurde von dieser unentbehrlichen Frucht, riecht schon aus der Schüssel, wenn sie aufgetragen wird, und sieht mißfarbig und krank aus. Geld für Saatkorn, Geld für den Hausstand und Geld für die ferne Frau, die bis jetzt in keiner Weise ihre Forderungen beschränkt hat.

Heine kommt und geht finsteren Gesichtes mit den Wirtschaftsbüchern; noch ist ja immer Rat geschafft, aber wie lange noch wird es so weiter gehen? Wie lange noch? „Wenn die nächste Ernte eine zehnfache wäre, dann vielleicht,“ sagt er zu seiner Frau, „und wenn das verrückte Frauensbild, Gott vergeb’ mir die Sünde, da draußen ein bißchen in der Wüste promeniert und es käme gerade ein hungriger Löwe –“

„Heine! Heine!“ warnt seine kleine Frau, „man soll keinem Böses wünschen!“

„Na, meinetwegen – dann wünsche ich, daß ein indischer Nabob sie zur Frau nimmt und sie vergolden läßt, wenn wir nur Ruhe vor ihr kriegen. Einmal, mein Gott, muß ihm doch die Geduld reißen!“ – 0000000

Die beiden alten Fräulein sitzen da oben in ihren Stuben, scheu und kleinlaut, und machen Pläne über Pläne, wie das zerstörte Glück des Hauses wieder aufgebaut werden könnte, aber es bleibt bei den Plänen. Was sollten sie denn auch thun? Die Stiftsdame hat zuerst an Tonettens Stelle zu Edith reisen wollen, aber sie fühlte, daß ihre geistige und körperliche Kraft nicht mehr ausreichen würde, um das Rettungswerk, das ohnehin sehr fragliche Resultate versprach, auszuführen, zweitens fehlte das Geld, und drittens wußte man nicht, wo Edith sich aufhält. Briefe kamen nach Wochen zurück mit dem amtlichen Vermerk, daß Adressatin nicht aufzufinden sei, und der Bankier in Leipzig, an den die Damen sich hinter Antons Rücken wandten, konnte nur mitteilen, daß Frau Mohrmann anstatt der monatlichen Geldsendungen um einen Kreditbrief gebeten habe, ausgestellt auf Bankiers der verschiedensten Städte Italiens und Südfrankreichs.

Was nun?

Und die beiden alten Damen pflegen, im Verein mit der Frau Klauß, die Kinder und suchen nach Möglichkeit gut zu machen an dem einsamen Manne da unten, was ihm durch ihre Nichte Uebles geschehen ist, jede nach ihrer Weise. Aber sie haben wenig Glück damit, er bemerkt es kaum. –

Der Februar geht vorüber, noch immer im Schnee, der schützend auf der Wintersaat liegt. Der März tritt seine Herrschaft an und bringt ihn zum Schmelzen, auf dem Hofe wird’s lebendig, Heines Stimme wettert wieder zwischen den Knechten, und in langer Reihe ziehen die Gespanne zum Pflügen ins Feld. Auch über Anton kommt es wie ein Erwachen: er nimmt Mütze und Stock und geht vom Hofe. Es ist heute einer der bekannten Sommertage, die der März bringt, fast heiß in der Sonne, die über den kahlen Bäumen und Sträuchern lacht. Die Chausseegräben stehen bis zum Rand voll Wasser, hier und da im Schatten ein bißchen mißfarbener Schnee, und die Stare sitzen auf den Zweigen vor den altgewohnten Kästchen und singen.

[349]

Eingeregnet.
Nach dem Gemälde von H. Bever.


Im Garten, wo die Sonne so recht heiß auf den Kies scheint, werden die Kinder spazieren geführt, respektive gefahren. Die kleinen Mädel schlafen im Wagen; Lothar hat die alte Klauß am Schürzenzipfel und zieht mit der anderen Hand sein auf Rädern befestigtes Pferdchen nach. Plötzlich fängt er an zu schreien mit seinem kräftigen Knabenstimmchen: „Papa! Papa!“ Jenseit der Buchenhecke, im freien Felde, hat er Anton gesehen; er läßt Pferd und Schürze los und läuft den Weg zur Hecke hinunter, und den Mann da drüben berührt der Ruf so weich und wohlig, als gehöre er hinein in den sonnigen Frühlingstag, der ihn aus seinem Stumpfsinn wecken will. Er bleibt stehen und sieht dem Bübchen entgegen, das da jubelnd angetrottet kommt, immer „Papa! Papa!“ rufend. Die alte Frau hat ihre Equipage im Stich gelassen und eilt dem Knaben nach.

„Aber, Lotharchen!“

Da ruft Anton: „Heben Sie mir das Kind herüber.“

[350] Ganz verdutzt hebt die kleine dicke Person den Jungen auf und reicht ihn dem Herrn über die Hecke.

„Willst du mitkommen, Lothar?“

„Ja, und mein Pferdchen –

„Nein, das bleibt hier; Papa trägt dich.“

„Gottchen, Herr Mohrmann,“ stottert die Alte.

„Ich bringe ihn schon zur rechten Zeit wieder,“ beruhigt er sie, „komm’, Lothar.“ Er setzt das Kind zur Erde, und es an der Hand führend, wandert er den Feldweg hinauf. Es geht ein wenig langsam, und deshalb nimmt Anton das Kind auf den Arm. Das dunkle Lockenköpfchen schmiegt sich so dicht an seine Wange, die klugen Kinderaugen sehen ihn ernsthaft und erstaunt an, und das Aermchen schlingt sich so vertrauend um seinen Hals. Dem verbitterten Mann funkeln plötzlich ein paar Thränen in den Augen. „Hast du Papa lieb?“ fragt er.

Das Kind nickt, ohne seinen Blick von ihm zu lassen. „Papa lieb,“ wiederholt es.

„Mein Junge!“ murmelt Anton, „mein lieber kleiner Bengel!“ Wie ein Vorwurf dünkt es ihm, daß er sich seinen Kindern so entzogen, so wenig um sie gekümmert hat.

„Papa ist dir auch gut, mein Kerlchen; wir sind uns beide gut, nicht wahr?“

Wieder das stumme Nicken, und dann die langsam gesprochenen Worte: „Meine Mama fort – warum ist meine Mama fort?“

Anton erschrickt; hat jemand ihm das eingelernt? „Wer hat das erzählt, Lothar?“ erkundigt er sich.

Aber statt der Antwort spricht der Kleine weiter: „Kommt meine Mama wieder?“ Und dabei sieht er noch immer unverwandt in seines Vaters Augen mit dem ernsthaften fragenden Kinderblick.

„Möchtest du, daß sie wiederkommt?“ sagt Anton leise.

Aber Lothar steckt das Fingerchen in den Mund und antwortet nicht. Nachdenklich trägt Anton seine leichte Last weiter: ob sich solch Kind wirklich schon sehnen kann? Ob es nicht etwas entbehrt, das ihm nie ersetzt werden wird, und bestände die ganze Liebe dieser Mutter auch nur aus einer gelegentlichen Liebkosung? Kann es nicht später einmal fragen: warum vertrugt ihr euch nicht miteinander – um meinetwillen? Er fühlt, wie ihm die Schweißtropfen auf der Stirn perlen, er keucht fast. Warum kam sie nicht? Er hat’s ihr ja freigestellt? – –

Ach ja, gebeten will sie sein! Nein, nimmermehr! Nimmermehr! Der Großmütige, der Klügere sollte nachgeben, hat die Stiftsdame am Weihnachtsabend traurig zu ihm gesprochen, aber es ist ihm nur so an den Ohren vorüber geweht, er hat kaum darüber nachgedacht. Nein, nein, nie! Und was sollte überhaupt aus dem Zusammenleben werden? Eine nicht auszudenkende Qual! Er fühlt, er würde schlecht, würde charakterlos werden. Nein, da müßte das Schicksal eine sonderbare Auskunft ersinnen, wenn er es ertragen sollte, sie neben sich zu haben. O nie, nie! Jeder Nerv sträubt sich dagegen.

Und als ob ihm das Kerlchen mit einem Male zu schwer werde, wendet er um, den alten mutlosen Ausdruck im Gesicht, und trägt es zurück. Merkwürdig, wie matt er sich fühlt und wie ihm das Blut pocht in den Schläfen!

„Du mußt ein wenig gehen, Liebling,“ sagt er und bückt sich, um das Kind auf die Erde zu setzen, und dabei fühlt er einen stechenden Schmerz im Kopfe. Langsam nähert er sich der Stelle, wo er vorhin den Kleinen in Empfang genommen hat; er späht hinüber, aber die alte Kinderfrau und ihre zierliche Equipage ist nicht mehr zu sehen. Er muß den Weg um den ganzen Park und den Gemüsegarten machen, damit er das Kind wieder abliefern kann. Seufzend geht er weiter, der Kopf schmerzt ihm geradezu unerträglich. Er nimmt es, wie ungeduldig, wieder auf den Arm und fühlt auch gleich wieder den sonderbar forschenden Blick des Kleinen, den erstaunten, nachdenklichen Blick, wie ihn nur dreijährige Augen haben können.

„Lieber, lieber Papa,“ sagt der kleine Bursche zärtlich, legt das Köpfchen auf seine Schulter und schließt die Augen. Als Anton ein paar Minuten später den Hof betritt, kommt ihm die Altwitzer Equipage leer entgegen.

„Wer ist gekommen?“ fragt er den Diener.

„Die Frau Gräfin und die gnädige Frau,“ antwortet dieser, den Hut über den Scheitel haltend.

Anton wundert sich – wer mag die „gnädige Frau“ sein? Vermutlich ein Besuch, den die Gräfin den alten Schwestern vorstellen will. Auch die passendste Zeit dazu! Na, es ist ja nun doch so allmählich schon ins Publikum gedrungen, wie es um ihn steht. – – Gottlob, daß er daheim ist, er hat nicht geglaubt, daß solch Kind so schwer sei, und die Legende des heiligen Christophorus fällt ihm ein, der das Jesuskindlein durch ein Wildwasser trug und fast erlegen wäre unter seiner Last, denn er trug das ganze ungeheure Leid der Welt.

Im Flur stehen die beiden Küchenmägde und der Kutscher, die eifrig halblaut sprechen; sie fahren nach allen Seiten auseinander, als sie ihn erblicken; er achtet kaum darauf.

„Tragen Sie Lothar nach oben,“ befiehlt er der Köchin, „und bringen Sie mir ein Glas frisches Wasser in mein Zimmer, Friedrich!“ Er liegt dann im Sessel und hält sich das Tuch vor die schmerzende Stirn, als der Kutscher, der die Stelle des Dieners jetzt vertritt, zurückkehrt mit dem Begehrten.

„Verzeihen Sie, Herr Mohrmann. Herr Mohrmann wissen wahrscheinlich noch nicht – die gnädige Frau ist vorhin angekommen.“

Anton erhebt sich halb, alles Blut ist ihm zum Herzen geströmt, er sieht jetzt leichenblaß aus.

„Meine Frau?“ fragt er.

„Jawohl! Die Frau Gräfin v. Altwitz sind mitgekommen.“

„Es ist gut,“ murmelt Anton. Der Kutscher geht, nachdem er noch bemerkt hat, die gnädige Frau sei bei den Fräulein Tanten oben.

In Antons Zimmer sind die Läden geschlossen der grellen Märzsonne wegen. Er sitzt mit zusammengepreßten Lippen und geschlossenen Augen da. Was soll das? Was will sie? Er kann sie nicht sehen, es überläuft ihn kalt wie im Fieber. Er steht endlich auf und greift nach dem Hute; nur fort aus dem Hause, den nächsten Stunden entfliehen! Es dünkt ihm unmöglich, sein Wort zu halten, das ihr, falls sie zurückkehrt, das Recht gewährt, in seinem Hause zu leben. „Gut, mag sie bleiben, aber dann gehe ich – auf das Vorwerk oder irgendwo hin – nur nicht lügen und Komödie spielen einen Tag wie alle Tage!“

Die Klinke, nach der er die Hand schon ausgestreckt hat, bewegt sich, die Thür öffnet sich langsam und über die Schwelle kommt die liebenswürdige Gräfin Altwitz. Sie ist noch im Reisemantel und das einfache englische Kapothütchen sitzt ein klein wenig schief auf dem weißen schlichten Scheitel; das feine alte Gesicht ist ängstlich bewegt.

„Mein lieber Herr Mohrmann,“ sagt sie und streckt ihm beide Hände entgegen, die er an seine Lippen zieht, indem sie seine Hände noch immer hält mit festem Druck, „Sie wissen, wen ich mitgebracht habe?“

„Meine Frau,“ erwidert er und sieht an ihr vorüber.

„Eine andere Edith,“ fährt sie fort, und als er eine Bewegung macht, ihr seine Hände zu entziehen, „eine andere, lieber Mohrmann, eine recht kanke, schwerkranke Edith, die ich im Hospitale zu Genua fand und unter unsäglichen Mühen hierher transportierte.“

„Frau Gräfin!“

Sie läßt seine Hände los und wischt sich eine Thräne ab, die ihr langsam auf der Wange herabgerollt ist. „Erlauben Sie, Herr Mohrmann, daß ich mich setze,“ bittet sie, „den alten Füßen wird das Stehen schwer, und bitte, setzen auch Sie sich, ich möchte in aller Kürze doch noch sagen, wie ich sie fand. Altwitz und ich kamen von Sicilien zurück, ich war meines Bronchialkatarrhs wegen in Catania gewesen,“ beginnt sie, sich in den Lehnstuhl setzend. „In Genua bereitete mein Mann mir die Ueberraschung, einen ganz sonderbaren Zustand zu bekommen, eine plötzliche Herzgeschichte, die ihn wie leblos umsinken ließ und mir einen furchtbaren Schrecken einjagte, wie Sie denken können. Ich klingele natürlich Sturm, rufe nach Hilfe, nach einem Doktor, und da wird mir gesagt, daß gerade ein berühmter Arzt von dem Ospedale di Pammatone hier sei, um eine schwer erkrankte deutsche Dame, die übrigens schon seit Wochen hier liege, in das Krankenhaus überführen zu helfen. Natürlich wurde er – wir wohnten auf dem nämlichen Korridor – herübergerufen. Er leistete Altwitz, der sich auch bald völlig erholte, die nötige kleine Hilfe, schob den Anfall auf die große Hitze und den Chianti und empfahl Ruhe und Diät, versprach auch, andern Tages wiederzukommen.

Er kam dann auch, und da dieser vielleicht an sich unbedeutende Anfall meinen Mann sehr beunruhigte, kam der Arzt noch [351] öfter, wir plauderten mit ihm, und eines Tages fragte ich nach dem Namen der erkrankten Dame und wie es ihr ergehe. Sie können sich denken, wie wir beide erschüttert waren, als wir den Namen ‚Mohrmam‘ hörten. Ich erkundigte mich dann, was ihr fehle, ob ich sie sehen könne, und fuhr mit einer Karte des Arztes sofort hinaus nach dem Krankenhause.“

Sie schweigt plötzlich; wieder ein paar Thränen, die getrocknet werden müssen.

„Wie das so schnell gekommen ist, wie es überhaupt kam, das lassen Sie sich in einer guten Stunde wohl von ihr selbst berichten, wenngleich sie so wenig als möglich sprechen soll. Hier“ – sie reicht Anton einen Brief – „dies gab mir der Arzt für Sie; was sonst zu thun ist, wird Ihnen Ihr Hausarzt sagen und Ihr Herz.“

Und als Anton noch immer wie abwesend den Brief hält, fügt die alte Dame hinzu: „Die Josepha und Tonette haben sich nicht zu Ihnen getraut, ich nahm ihnen diesen Weg ab, lieber Mohrmann, sie sind vor Schmerz um das junge Weib und vor lauter Ueberraschung fassungslos. – Es gehört ein ruhiger, gefaßter Mann dazwischen; ich weiß, Sie sind es. Und nun haben Sie die Güte und inkommodieren Sie sich gar nicht, ich finde schon jemand, der den Wagen heranwinkt, er fährt ein wenig in der Allee auf und ab; vorher will ich aber noch einmal hinaufgehen.“

Im nächsten Augenblick ist Anton allein, mit dem Brief in der Hand. Ueber sich hört er ein heftiges Laufen, ein Möbelrücken; Ediths Zimmer werden so rasch es geht in stand gesetzt.

Sie ist wieder da, krank, schwerkrank, sie hat hilflos, allein in einem fremden Lande gelegen. Kam sie freiwillig, oder war sie schon so willenlos und elend, daß man sie herschleppen mußte? Diese Fragen und das Gefühl, das ihm die wehe Enttäuschung gebracht, die Abneigung, die sich bis zum Ekel gesteigert hat, sind furchtbar stark über ihn gekommen; mit Mühe zwingt er sich, den Brief zu lesen:

 „Geehrter Herr!
Ihre Gattin leidet seit längerer Zeit an chronischer katarrhalischer Lungenentzündung, die jetzt plötzlich akut geworden ist, d. h. an galoppierender Schwindsucht. Der Zustand läßt leider das Schlimmste in nicht zu langer Frist befürchten. Da sich eine gute Gelegenheit bietet, die Heimat wieder zu erreichen, haben Gräfin Altwitz und ich die Kranke überredet, heimzukehren, aus Gründen, die Ihnen mitzuteilen Ihre Frau Gemahlin allein berufen ist. Jedenfalls galt es, sie hier aufregenden Einflüssen zu entziehen.

Hochachtungsvoll ergebenst 
Dr. Z.“ 

Es dauert noch eine ganze Weile, bevor er sich entschließt, hinaufzugehen; zuerst sucht er Josepha auf. Die Stiftsdame scheint um zehn Jahre gealtert, als sie ihm in Ediths Wohnzimmer entgegentritt. Die Kranke war bereits zur Ruhe gebracht.

„Haben Sie Mitleid mit ihr,“ bittet das alte Fräulein mit bebender Stimme, „um der Kinder willen seien Sie freundlich zu ihr!“

„Sagen Sie mir doch um Gottes willen, was geschehen ist!“ fragt er gefoltert.

Aber das zitternde alte Geschöpf bricht in Thränen aus. „Wir hätten sie nicht allein lassen dürfen,“ stößt sie hervor, „Tonette oder ich hätten sie suchen müssen, auch gegen ihren Willen uns an sie hängen müssen – – “

Er steht blaß, mit gerunzelter Stirn. Was soll er zu hören bekommen? Es giebt Dinge, die er nicht verzeihen darf. „Sprechen Sie, ich bitte Sie!“

„Sie hat gespielt in Monte Carlo – mit – Unglück. Eine russische Dame und ihr Sohn, denen sie sich angeschlossen hatte, scheinen ihr Geld geliehen zu haben, soviel ich bisher ermitteln konnte, zu Wucherzinsen. An Sie hat sie sich natürlich nicht wenden mögen. – Man hat wohl gedroht – ich weiß nicht – sie ist heimlich abgereist – ich glaube, die Russin hat sie als Betrügerin – es ist so entsetzlich – an ihrem Krankenbette war eine gerichtliche Vernehmung – Altwitz hat, so scheint es mir, die Sache geordnet.“

„Und nun?“ fragt er ganz ruhig.

„Sie ist schwerkrank. Schonen Sie sie, wenn Sie können, beruhigen Sie sie wegen der Affaire; sie hat hohes Fieber und glaubt sich verfolgt.“

Anton zögert noch ein Weilchen, dann tritt er in das Zimmer seiner Frau. In aller Eile hat man das Bett hergerichtet so gut es ging, über den rosaseidenen Vorhängen fehlen noch die Spitzen, es trägt alles noch den Hauch der langen Abwesenheit der Bewohnerin. Im Ofen flackert ein Feuer und kämpft siegreich mit der dumpfen Luft, ein Fenster steht offen und läßt die letzten Strahlen der Sonne ein. Tonette ordnet mit vom Weinen geschwollenem Gesicht die eben abgelegten Kleidungsstücke der jungen Frau; als sie Anton erblickt, geht sie hinaus.

Im nächsten Augenblick zittert ein heiserer schwacher Laut durch das Zimmer, und nebenan weinen die beiden alten Schwestern bitterlich. Es wird nicht viel gesprochen zwischen Mann und Frau, ihre arme Brust verbietet es, das Fieber schüttelt sie, und er kann vor Bewegung nichts sagen, als er sie sieht, kein Wort. Nur ihre Augen sprechen, flehend angstvoll: „Hilf mir – rette mich!“

„Werde nur ruhig,“ bittet er endlich, „ich spreche mit Altwitz und bringe die Sache in Ordnung; werde nur ruhig!“

Etwas wie Erlösung fliegt über das abgemagerte schöne Gesichtchen, sie greift mit beiden Händen nach seiner Rechten und streichelt sie. Unwillkürlich zuckt er zusammen, und sie lächelt bitter und zieht ihre Hände zurück. Da faßt er nach ihrer Rechten und sagt noch einmal mitleidig und gut: „Werde ruhig, Edith, ich thue, was ich thun kann, schon der Kinder wegen. Um ihretwillen mußt du gesund werden.“

Sie nickt: „Ja, ja, ja!“

„Ich lasse den Arzt kommen, heute noch.“

Wieder nickt sie, und mit aller Anstrengung flüstert sie, schon wieder beherrscht von fieberhafter Angst, „aber niemand weiter, niemand; sie wollen mich ja holen, sie geben mir Gift –“

„Du bist sicher bei uns, Edith, ruhe dich aus, schlafe, ich lasse niemand ein,“ tröstet er.

„Ja, ja – aber die Alte – der Graf soll sie nicht – bitte, bitte!“

„Ich rufe die Tante, sie setzt sich an dein Bett. Schlafe, schlafe nur.“

Da er gehen will, richtet sie sich empor, und mit den übernatürlich glänzenden Augen ihn anschauend, fragt sie flüsternd: „Bist du die Wendeltreppe herauf gekommen? Gehe nicht auf dieser Treppe – sie ist schuld. Wär’ die Treppe nicht gewesen – – die Treppe muß fort – versprich mir – wenn sie fort ist, dann ist alles wieder gut!“

„Ja,“ sagt er erschüttert und betroffen, „ja, ich gehe nicht dort, siehst du, hier gehe ich.“ Er tritt auf die Thür zu, die nach dem Flur mündet.

„Ja, ja!“ nickt sie, „die Treppe –“ Und dann sieht er nur noch, wie sie sich schwer zurückfallen läßt.

(Fortsetzung folgt.)


Deutsche Nationalfeste.

Ein wichtiger Schritt ist auf dem Wege zur Schaffung der Deutschen Nationalfeste gethan worden. Am 24. März hat der Vorstand des Reichsausschusses in Berlin beschlossen, Rüdesheim zum Festort zu wählen. Auf dem Niederwalde, hoch über den Fluten des Rheins, wo die Germania stolz und friedensstark die Kaiserkrone über die deutschen Lande emporhebt, soll die Feststätte geschaffen werden, welche dereinst zum Weiheplatze des gesamten deutschen Volkstums werden möge!

Als wir vor zwei Jahren (vergl. Jahrgang 1896, S. 218[WS 1] der „Gartenlaube“) über die ersten Vorschläge berichteten, Nationaltage für deutsche Kampfspiele ins Leben zu rufen, waren die Ansichten über deren Gestaltung noch nicht geklärt. Dank der unermüdlichen Arbeit einer großen Schar warmherziger Volksfreunde ist es inzwischen gelungen, mehr und mehr eine Einigung herbeizuführen und das Programm für die Deutschen Nationalfeste wenigstens in allgemeinen Umrissen festzulegen.

Ihr Zweck soll durchaus ideal sein. Nicht eitles Schaugepränge und rauschende Belustigungen sollen sie den Teilnehmern und Zuschauern bieten, sondern veredelnd auf das deutsche Volkstum einwirken. Diese Feste wollen das vaterländische Empfinden [352] stärken, ein Vorbild der Einfachheit der Sitte im Festesleben schaffen und Volksgesundheit wie Volkskraft heben.

Zu allen Zeiten haben einsichtsvolle Männer in den Leibesübungen einen lebendigen Quell zur Erhaltung und Erfrischung der Volkskraft erkannt. Nur ein leiblich gesundes und kräftiges Volk vermag im Wettstreit mit den anderen seinen Platz in der Weltgeschichte zu behaupten. Leibesübungen haben sich einst als ein siegreiches Mittel bewährt, das deutsche Volk zu verjüngen und aus seiner zeitweiligen Erniedrigung emporzuheben. Die Zeiten haben sich gottlob geändert, aber wir sind heute mehr denn je den gesundheitsschädlichen Einflüssen des Kulturlebens ausgesetzt und müssen durch körperliche Uebungen im Freien den drohenden Schäden zu begegnen suchen. In alle Gauen des deutschen Vaterlandes ist heute diese Einsicht gedrungen, überall turnt man und übt sich in ähnlichen Künsten. Es gilt nun, diese Bewegung zu fördern, ihr Ansehen zu stärken. Das wird ein erstrebenswertes Ziel der Deutschen Nationalfeste sein. Die Tüchtigsten aus dem deutschen Volke werden auf ihnen erscheinen, um sich in körperlichen Wettkämpfen zu messen. Alle Formen der Leibesübungen sollen sich bethätigen. Im Gehen, Laufen, Springen und Ringen, im Turnen, Rudern und Schwimmen und im Radfahren und Fechten wird man sich versuchen, und auch gesunde Volksbelustigungen wie Tauziehen, Armbrustschießen, Fischerstechen und ähnliches sollen zugelassen werden.

Diese Bethätigung deutscher Kraft und Gewandtheit soll aber noch durch die deutsche Kunst verschönert werden. Sie wird schon bei der Ausschmückung der Feststätte in mannigfacher Weise mitwirken können, außerdem sollen aber neben den körperlichen auch künstlerische Wettkämpfe stattfinden. Vor allem sind hierzu Musik und Dichtung berufen. So wird man auf den Nationalfesten preisgekrönte Werke für Musik und Gesang und volkstümliche dramatische Dichtwerke aufführen.

Sämtliche Vorführungen sollen ohne Ausnahme von vaterländischer Anschauung getragen werden. Was ihr widerspricht, wird nicht geduldet. Alle Ausländerei ist ausgeschlossen. Ausführlicheres über diese Fragen kann jedermann in der Schrift „Deutsche Nationalfeste“, Auskunftsbüchlein von Wilhelm Rolfs (R. Oldenbourg, München und Leipzig) finden; darin heißt es auch treffend: „In deutschen Ruderbooten, auf deutschen Fahrrädern, an deutschen Geräten sollen die Siege auf den deutschen Nationalfesten errungen werden. Die deutsche Sprache wird rein und durch kein Sportwelsch mißhandelt zur vollen Geltung kommen, und der schlichte Eichenkranz ist der einzige höchste Preis, der als Lohn den Siegern winkt.“

Jeder unbescholtene Deutsche, der sich zum deutschen Volkstum bekennt, ist zur Mitwirkung zugelassen, und die deutsche Frau erfährt hierbei die gleiche Berücksichtigung wie der Mann.

Auf der Feststätte will man für 100000 Teilnehmer und Zuschauer Platz schaffen. Da werden außer den umfangreichen Anlagen für die körperlichen und künstlerischen Wettkämpfe auch Verwaltungs-, Erfrischungs- und Erholungsräume nötig sein. Nach und nach sollen diese Bauten entstehen, bis die Feststätte das Bild einer kleinen Feststadt gewährt. Voraussichtlich werden wir schon im Jahre 1900 das erste Deutsche Nationalfest feiern können, dem alle vier oder fünf Jahre weitere folgen sollen.

Um einen so groß angelegten Plan würdig durchzuführen, dazu ist die Mithilfe des gesamten deutschen Volkes innerhalb und außerhalb der Reichsgrenzen unbedingt notwendig. Es gilt darum zunächst, diesen echt vaterländischen Gedanken in immer weitere Kreise zu tragen, bis er überall feste Wurzeln geschlagen hat. Von den Festen ist jede Tagespolitik, jeder Konfessionshader ausgeschlossen, sie dienen nur dem deutschen Volkstum. Darum sollen überall Ortsausschüsse, die für die Idee wirken, geschaffen werden. Deutsche Männer, die dieses ideale Ziel fördern möchten, werden von dem Ausschusse gern über alles Nähere unterrichtet. Die im Reiche wohnen, mögen sich an den Vorsitzenden der Reichsabteilung, Bürgermeister Heyne in Görlitz, und die außerhalb der Reichsgrenze Ansässigen an den Vorsitzenden der Alldeutschen Abteilung, Prof. Dr. Hasse in Leipzig, wenden.

Die Mithilfe des gesamten deutschen Volkes muß aber auch in einer anderen Hinsicht werkthätig sein. Zur Gründung und Erhaltung der Feststätte sind große Geldmittel nötig. Der „Reichsausschuß für die Nationalfeste“ wendet sich darum an die Opferwilligkeit aller Volkskreise und bittet um freiwillige Beiträge zur Förderung eines Werkes, das dem ganzen Volke zum Segen gereichen soll. Gegenwärtig nehmen die Depositenkasse der Deutschen Bank in Berlin W., Mauerstraße, sowie ihre Filialen in München, Frankfurt a. M., Hamburg, Dresden, Bremen und London Beiträge an. Es sollten aber außerdem möglichst viele freiwillige Sammelstellen errichtet werden.

Mit fester Zuversicht hoffen wir, daß dieser Aufruf überall, wo Deutsche wohnen, den lebhaftesten Wiederhall wecken werde. Man möge an dem im Werden begriffenen nationalen Werke zu bessern suchen, aber durch kleinliches Erwägen sollte man nunmehr seinen Fortschritt nicht hemmen. Schließen wir uns fest zusammen, damit an der Wende des Jahrhunderts an den Ufern des Stromes, um den das deutsche Volk gelitten und gestritten hat, das erste Nationalfest stattfinde dem deutschen Volkstum zum Heil!

0


Blätter und Blüten.


Anton Seidl †. (Zu dem Bildnis S. 354.) Am 28. März ist in New York unerwartet früh ein Musiker vom Tode hingerafft worden, der sich um die Pflege der deutschen Musik im Ausland, besonders in Amerika außerordentliche Verdienste erworben hat. In Anton Seidl hat die Opernbühne der Gegenwart einen ihrer besten Dirigenten, die Wagnerische Musik einen ihrer begeistertsten und erfolgreichsten Apostel verloren. Zu Budapest am 7. Mai 1850 geboren, studierte Seidl 1870 bis 1872 am Leipziger Konservatorium; er hatte dann das Glück, von Richard Wagner nach Bayreuth gezogen zu werden, um diesem bei den Vorarbeiten für die erste „Nibelungen“–Aufführung daselbst zu helfen. So wurde er einer der wenigen Operndirigenten, die von Wagner selbst in all seine künstlerischen Absichten eingeweiht wurden, ehe sie daran gingen, nach Bayreuther Muster auf anderen Bühnen die großen Musikdramen Wagners ins Leben zu rufen und deren Aufführungen mit vollem Einsatz ihrer besten Kraft zu leiten. Auf Wagners Empfehlung wurde Seidl 1875 von Angelo Neumann als Kapellmeister nach Leipzig an das Stadttheater berufen, auf dessen Bühne damals die „Nibelungen“–Tetralogie zur ersten Aufführung gelangen sollte. Den in ihn gesetzten Erwartungen wußte er hier in glänzender Weise zu entsprechen. Er trat auch an die Spitze der Operngesellschaft, welche Neumann gründete, um mit ihr in allen Hauptstädten Europas Proben aus den „Nibelungen“ zur Aufführung zu bringen. Dann fand er eine feste Stellnng als Dirigent des Theaterorchesters in Bremen. 1885 folgte er einem Rufe nach New York, um nach Damroschs Tod die Leitung der verwaisten jungen dentschen Oper dort zu übernehmen. Als Kapellmeister des New Yorker Metropolitan–Opernhauses, als Direktor der dortigen Philharmonischen Gesellschaft und der Seidl-Society hat er in Amerika die Musik Wagners zum allgemeinen Verständnis und zu jener Beliebtheit gebracht, deren sie sich dort gegenwärtig erfreut. Wiederholt hat Seidl in Bayreuth als Mitdirigent der Musteraufführungen gewirkt, zuletzt noch im vorigen Jahre; bei dieser Gelegenheit feierte er seinen letzten Triumph in Deutschland durch die geradezu klassische Durchgeistigung, mit welcher unter seiner Direktion der „Parsifal“ in Scene ging.

Die Seeschlacht bei Manila. (Mit den Bildern auf S. 354 u. 355.) In den Gewässern des Stillen Oceans, im Hafen von Manila wurde die erste entscheidende Schlacht in dem Kriege der Vereinigten Staaten gegen Spanien geschlagen. Das amerikanische Geschwader, das sich unter Oberbefehl des Kommodore George Dewey bei Hongkong gesammelt hatte, erschien vor der Insel Luzon, und es gelang ihm, am Morgen des 1. Mai die Einfahrt in die Bucht von Manila zu erzwingen. In derselben lag die spanische Kriegsflotte, und ihr Befehlshaber Admiral Montojo sah sich genötigt, den vorn Feinde eröffnetem Kampf aufzunehmen. An Zahl waren die spanischen Schiffe den Amerikanern zwar überlegen, aber an Größe und Ausrüstung standen sie entschieden dem Gegner nach. Das Feuer des amerikanischen Geschwaders hatte eine furchtbare Wirkung, und die zum Teil hölzernen ungeschützten Schiffe der Spanier erlitten die stärksten Beschädigungen. Zwei derselben, das Flaggschiff „Reina Cristina“ und der Kreuzer „Castilla“, gerieten in Brand und sanken. Nach wenigen Stunden war die spanische Flotte völlig vernichtet und die mit Küstenforts befestigte Stadt Cavite zerstört. So konnten die Amerikaner bald darauf Manila

[353]

Elternfreude.
Nach einer Originalzeichnung von O. Gräf.

[354] selbst blockieren. – Die Folgen dieser Niederlage dürften für Spanien sehr verhängnisvoll werden. Voraussichtlich werden die Vereinigten Staaten nunmehr die Philippinen besetzen und sie als Unterpfand für die Preisgebung Cubas und Zahlung der Kriegskosten behalten. Die Durchführung dieser Absicht wird ihnen dadurch erleichtert, daß auf den Philippinen seit lange ähnliche Zustände wie auf Cuba herrschen. Seit Jahren versucht auch hier die eingeborene Bevölkerung die spanische Herrschaft abzuwerfen, und eine Reihe von Aufstanden konnte nur in blutigen Kämpfen unterdrückt werden. Auch gegenwärtig haben sich auf den Philippinen Unzufriedene erhoben, so daß die Amerikaner im Lande selbst Bundesgenossen finden dürften.

Anton Seidl †.
Nach einer photographischen Aufnahme von
R. Wilhelm in New York.

Die tausend großen und kleinen Inseln, aus denen der Archipel der Philippinen besteht, sind ein herrliches Stück Erde, auf welchem der üppigste Pflanzenwuchs herrscht und dessen Boden köstliche Früchte abgerungen werden können. Die größte der Inseln, Luzon, umfaßt ein Areal, das dem Gebiete der drei süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg und Baden gleich ist, und die zweitgrößte, Mindanao, ist nicht viel kleiner. Etwa acht Millionen Menschen bewohnen die Inselwelt, und die Hauptstadt Manila anf Luzon zählt über 150000 Einwohner. Diese Bevölkerung ist sehr eigenartig zusammengesetzt. Die Ureinwohner aus dem Stamme der Negritos, der den Papuas der Südseeinseln verwandt ist, sind schon seit alten Zeiten in die Berge zurückgedrängt; Einwanderer halten das fruchtbare Land besetzt, und diese Einwanderer gehören zumeist dem malayischen Volksstamme an. Ein Teil derselben, der im Innern des Landes wohnt, bekennt sich zum Islam, die Mehrzahl aber, die in Küstengebieten ansässig ist, wurde schon in vergangenen Jahrhunderten der katholischen Kirche zugeführt; diese Eingeborenen bilden den wichtigsten Bestandteil der Bevölkerung und werden von den Spaniern Indios genannt. Sie besitzen zum Teil eine sehr gute Schulbildung, es giebt unter ihnen Doktoren, die auf europäischen Universitäten studiert haben.

Unsere Abbildungen zeigen dem Leser eine Ansicht des Hafens von Manila und einen Teil der Befestigungen.

Das spanische Viertel ist mit Mauern umgeben und durch eine Citadelle gedeckt. An großen Monumentalbauten ist die Stadt nicht reich, denn auf den Philippinen sind viele Vulkane thätig und Erdbeben überaus häufig. Die Stadt liegt an der Mündung des Pasig, eines Abflusses der Laguna del Bay; über den Strom führt eine 110 m lange Steinbrücke. Manila exportierte im Jahre 1890 über 100 Millionen Stück Cigarren, 170 Millionen kg Zucker und 63 Millionen kg Manilahanf, wie die Faser der Bananenart Musa textilis genannt wird. Auch eine Eisenbahn von 192 km Schienenlänge führt von hier nach Dagupan. Die Stadt hat neben verschiedenen anderen Lehranstalten auch eine Universität.

Hafenbatterien von Manila. Ansicht des Hafens von Manila.

Die Zahl der Spanier, die auf den Philippinen wohnen, ist sehr gering, sie wird auf nur 20000 geschätzt. In kultureller Beziehung ist der Einfluß der Spanier auch nicht hervorragend. Sogar der Handel, der sich hauptsächlich in Manila konzentriert hat, liegt in den Händen fremder Nationen. Seine Hauptträger sind Deutsche, Engländer und Amerikaner, und was an Verbesserung der Verkehrswege, im Bau von Eisenbahnen auf den Philippinen erreicht worden ist, muß auf das rührige Einschreiten dieser fremden Kaufleute zurückgeführt werden. So wird leider durch die Verlegung des Kriegsschauplatzes nach den Philippinen auch ein Teil des europäischen Handels ungünstig beeinflußt. Bei dem regen Interesse, das die europäischen Großmächte gegenwärtig für Ostasien zeigen, wird die weitere Entwicklung des Feldzugs im Gebiete der Philippinen mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt werden.

In Amerika ist der Sieger von Manila der Held des Tages. Kommodore George Dewey ist ein bewährter Seemann, der schon wiederholt Beweise seiner kriegerischen Tüchtigkeit geliefert hat. Er ist 61 Jahre alt und wurde im Staate Vermont geboren. Auf der amerikanischen Marineakademie Annapolis erhielt er seine Ausbildung und trat 1854 in den Dienst der amerikanischen Flotte. In dem Bürgerkriege zeichnete er sich aus bei der Erzwingung der Einfahrt in den Mississippi unter Kommodore Farragut am 1. Mai 1862 und durchbrach die Blockade der Südländer flußaufwärts bei Port Hudson. Im Jahre 1884 wurde er zum Kommodore ernannt.

Der spanische Konteradmiral Don Patricia Montojo y Pasarón wurde am 7. September 1839 in Ferrol geboren. Seine Ausbildung erhielt er in Cadix. Nachdem er verschiedene Fahrten im Atlantischen Ocean und im Mittelländischen Meere mitgemacht hatte, wurde er zum Fregattenkapitän ernannt und nahm 1860 teil an den Kämpfen auf Mindanao und 1866 an der Beschießung des peruanischen Hafens Callao. Später war er im Marineamt thätig und zeichnete sich als Marineschriftsteller aus.

Badeeinrichtungen bei der preußischen Eisenbahnverwaltung. Seit längerer Zeit ist die preußische Bahnverwaltung darauf bedacht, ihren Beamten und Arbeitern die Wohlthat eines Bades zu gewähren. In den Hauptwerkstätten, wo der Schmied am Feuer steht und zahlreiche andere Handwerker emsig schaffen, auf den größeren Bahnhöfen – dort, wo Hunderte von Leuten des Zug- und Lokomotivpersonals, des Rangierpersonals, wo Wagen- und Maschinenwärter in Sonnenbrand und in Kälte ihrem mühevollen und oft „anschwärzenden“ Dienste nachgehen, hat man Badeanstalten errichtet. In denselben werden Dampf-, Wannen- und Duschebäder nach bestimmten Grundsätzen meist unentgeltlich, zuweilen, wenn es sich um Bäder für Bureaubeamte handelt, gegen eine sehr geringe Vergütung verabreicht. Welch hygieinischen Wert solche Badeeinrichtungen haben, läßt sich leicht ermessen, wenn man sich z. B. in die Lage eines Lokomotivbeamten versetzt, der stundenlang dem Ruß, dem Staube und Rauche ausgesetzt gewesen ist und sich im erfrischenden Bade säubern und verjüngen darf, bevor er sein Heim aufsucht. Die Verwaltung ist in Erkenntnis dieser Thatsache fortdauernd bestrebt, die Badegelegenheiten zu erweitern und zu vermehren. Bd.     

Vorbereitungen zum Fest. (Zu dem Bilde S. 328 u. 329.) Vor fünfundzwanzig Jahren, an einem hellen freudigen Sommertage, war in das alte Schloß mit dem herrlichen Garten ein junges glückliches Paar eingezogen. Morgen wird es an derselben Stätte das hohe Jubelfest der Silbernen Hochzeit feiern. Da rühren und regen sich fleißige Hände, um das traute Heim würdig zu schmücken, und Freundinnen aus der Nachbarschaft sind erschienen, um der Tochter des Hauses bei der freudigen Arbeit zu helfen. Mit bewegtem Herzen reicht das junge Mädchen der Freundin die Blumen zu dem prächtigen Gewinde. Dankbarer denn jemals ist sie heute den Eltern für ihre Liebe und Güte; denn sie haben es gewollt, daß an dem Tage der Silbernen Hochzeit auch eine Verlobung im Hause stattfinde, der innigste Herzenswunsch ihres Kindes in Erfüllung gehe. Da sind auch die Freundinnen mit besonderem Eifer thätig; was Garten und Gewächshaus bieten können, wird herbeigeschafft; es kann ja kaum genug Blumen geben, um ein solches Fest zu schmücken – ein Doppelfest, das die alte Erinnerung mit silbernem Glanze umwebt und die junge Hoffnung mit goldenem Lichte verklärt!

Instruktionsstunde. (Zu dem Bilde auf S. 345.) „Ein tüchtiger Soldat muß nicht bloß in der Praxis ein forscher Kerl und auf dem Exerzierplatz und dem Scheibenstande fix sein. Er soll auch die sogenannte graue Theorie innehaben, und um euch all die militärische Gelehrsamkeit beizubringen, dafür ist eben die Instruktionsstunde da, die ich mit euch abhalten werde. [355] Sperrt also gütigst eure Ohren recht weit auf, namentlich ihr zwei Erzschlauberger: Obermeyer und Rühnking, und merkt euch ganz genau, was ich euch sage, sonst –“ Ein undeutliches, aber drohend klingendes Gemurmel beendet den Satz, mit welchem Sergeant Hummel die erste mündliche Dienstunterweisung bei seinen Rekruten begonnen hat. Den militärischen Neulingen wird nun zunächst eingeprägt, welchem Truppenteile sie angehören, Name und Zahl des Regiments, beziehungsweise des Bataillons und der Kompagnie. Dann geht der Vortragende weiter zur Brigade, zur Division und zum Armeekorps, wobei seinen Zuhörern das Behalten schon schwerer fällt, und die Namen der direkten Vorgesetzten, vom Korpskommandeur bis zu den Kompagnieoffizieren, ihnen einzuprägen, ist nun gar eine schlimme Aufgabe. Sie erpreßt den Rekruten zahlreiche Tropfen Angstschweiß, und mancher von ihnen träumt sogar von dieser endlosen Liste schwer zu behaltender Namen. Da kann es vorkommen, wenn der Korporalschaftsführer nächtlicherweile unwillig ruft: „Wer schnarcht da hinten so mörderlich?“, daß der so plötzlich aus dem Schlafe und seinen ängstlichen Träumen Aufgescheuchte mit der Antwort emporfährt: „Seine Excellenz der kommandierende General von X.!“ Nicht minder schwierig gestaltet sich die Gewehrinstruktion, die Unterweisung über das Gewehr, seine Einrichtung und einzelnen Teile, wobei die erheiterndsten Antworten zu Tage gefördert werden.

Kommodore Dewey.

Konteradmiral Montojo y Pasarón.

Auch auf Karl Müllers ergötzlichem Gemälde hat der aufgerufene und stramm dastehende Rekrut auf die an ihn gerichtete Frage des gestrengen Herrn Sergeanten eine möglichst dumme Antwort gegeben. Man sieht es dem angebenden Vaterlandsverteidiger an, daß das Pulver sicherlich noch nicht erfunden wäre, hätte es von ihm abgehangen, und daß er seinem Lehrmeister am liebsten mit Lohengrin zuriefe: „Nie sollst du mich befragen!“ Da nun aber die unerbittliche militärische Disziplin erheischt, daß er antwortet, so hat er verzweifelt den einen Nebenmann angestoßen, damit er ihm aushelfe, was dieser aber nicht thut. In dieser Not flüstert ihm sein Hintermann, ein Schalk, etwas zu, was der Arglose alsbald laut wiederholt, wodurch er die helle Heiterkeit des einen Nebenmannes, wie des am Fenster stehenden Gefreiten hervorruft. Der Sergeant dagegen bewahrt seinen würdevollen Ernst und blickt zürnend auf den Sünder, der ihm – er weiß es – noch genug zu schaffen machen wird, bis er ihm nur das Notdürftigste glücklich eingetrichtert hat. „Obermeyer,“ sagt er, „setzen Sie sich. Jede Kompagnie muß ja einen Dummkopf haben, aber Sie können schon für drei gelten!“ Fr. R.     

Eingeregnet. (Zu dem Bilde S. 349.) Der Mißmut, welcher den Maler auf unserem Bilde erfüllt, dürfte wenigen Lesern fremd sein. Denn wem von ihnen sind nicht auch schon kostbare Ferientage verregnet und welchen Alpentouristen gar wäre das Mißgeschick noch nicht widerfahren, mitten in der schönsten Naturumgebung „eingeregnet“ zu werden? Für den Maler aber, der mit seinem Malgerät im Rucksack hinauf in die Berge zog, um das Schönste, was ihn entzückt, mit treuem Fleiße zu malen, hat solche Heimsuchung noch ihre besondere Bitterkeit. Wie soll er weiter schaffen an seinem Bilde, wenn Regengewölk und Nebelgebräu die Landschaft verhüllen? Wie soll er sich in Geduld fassen, wenn ein Tag nach dem andern grau in grau dahinschleicht und die Farben auf der Palette unbenutzt eintrocknen, während die Regenflut Weg und Steg überschwemmt?

Unser Flüchtling ist noch im ersten Stadium einer solchen hochnotpeinlichen Geduldprobe. Noch darf er hoffen, daß das Unwetter, das ihn mit seiner Malerei unter das Vordach einer Sennhütte trieb, sich bald ausgetobt haben wird. Aber er kennt diese Gebirgsregen und ihre Zähigkeit; die schlimmsten Befürchtungen gewinnen Macht über ihn ... Wenn er


Photographie im Verlag von Braun, Clément & Cie. in Dornach.
Vergnügte Rast.
Nach dem Gemälde von C. Bellanger.

[356] sich nur einmal umwenden wollte! Das saubere Dirndl, das da durch das Fenster mit heiterer Miene auf ihn herausschaut, scheint über den Regen ganz anders zu denken als er. Ihr wäre es ganz recht, wenn sie durch das Unwetter zu ein bißl Unterhaltung käme in ihrer Einsamkeit. Auch sie hat ihre Arbeit verlassen müssen und in ihrer Kuchel Zuflucht gesucht. In der aber hat schon mancher Tourist bei Milch und Brot ein behagliches Plauderstündchen gefunden, während draußen der Regen das Weiterwandern unmöglich machte.

Der hundertjährige Kamelienbaum im Schloßgarten zu Pillnitz. (Mit Abbildung.) Vor etwa hundert Jahren sandte der damalige Kaiser von China drei Kamelienbäumchen nach Europa. Das eine kam nach Pillnitz, das andere nach Frankfurt a. M. und das dritte nach St. Petersburg. In Frankfurt a. M. ist das eine Kamelienbäumchen eingegangen, die beiden andern aber bestehen noch heute, und besonders prächtig gedeiht der Fremdling aus Ostasien in dem Garten des königlich sächsischen Lustschlosses Pillnitz. Gegenwärtig hat der Baum eine Höhe von ungefähr 8½, mit dem Gezweig eine Breite von 7½ m und einen Umfang von etwa 21 m. Während der kalten Jahreszeit erhält er natürlich ein dichtverschlossenes, mit Fenstern versehenes Bretterhaus, das entsprechend geheizt wird, da die Temperatur nicht unter +5° R. sinken darf.

Der hundertjährige Kamelienbaum im Schloßgarten zu Pillnitz.
Nach der Natur gezeichnet von A. Reinhardt.

Elternfreude. (Zu dem Bilde S. 353.) Der kleine Stammhalter entwickelt sich prächtig in der Sommerfrische. Seine Bäckchen sind röter und runder, seine Aeuglein leuchtender geworden. Die würzige Waldluft und die gute Milch bekommen ihm ausgezeichnet, das sieht ihm jeder an. Die Eltern, die in der Ferienmuße doppelt Zeit haben, ihrem Liebling sich zu widmen, nehmen aber mit Freude wahr, wie auch die Sinne und der Geist des Kindes sich, einer Blütenknospe gleich, immer reizender entfalten. Erkennen und Begehren sind in der jungen Seele erwacht und man kann schon mit dem Jungen ein neckendes Spiel treiben, das für die Eltern geradezu entzückend ist. Das sind herrliche Stunden, die sie unter dem grünen Dache der Parkbäume verleben. Vor zwei Jahren, da waren sie hier gewesen, und da sich ihre Herzen gefunden hatten, hielten sie sich für die glücklichsten Menschen. Daß ihr Glück noch gesteigert werden könnte, daran hätten sie damals nimmer glauben mögen. Und doch ist dieses Wunder geschehen. Ein neues erhebendes Gefühl hat ihre Herzen erfüllt, die Elternliebe, die ihnen so reine Freuden bereitet. *      

Johannes mit dem Lamm. (Zu unserer Kunstbeilage.) Murillo ist nicht nur der größte Madonnenmaler der Spanier gewesen; er hat auch in einer Beziehung alle die anderen großen Maler der Renaissance und seiner Zeit übertroffen, die das Christuskind auf dem Schoß der Madonna und die Engel des Himmels vor Gottes Thron in bezaubernder Anmut dargestellt haben. So wie Murillo hat es keiner verstanden, die irdische Poesie der fröhlichen lebensprühenden Kinderwelt auf die Wolkenauen des Himmels zu versetzen, und niemand hat gleich ihm mit so unerschöpflicher Phantasie das Jesuskind in selbständiger Thätigkeit gestaltet, bald spielend wie andere Kinder, bald fern vom Schoß der Mutter eigenen Zielen nachgehend.

Eines der berühmtesten Bilder Murillos der letzteren Art zeigt das Jesuskind mit dem kleinen Johannes, dem späteren „Täufer“, in einer rührend lieblichen Scene vereinigt. Der um sechs Monate ältere Johannes kniet am Ufer eines Baches und giebt dem Spielgefährten aus einer Muschelschale zu trinken. Neben Johannes liegt ein Lamm und das Christuskind trägt ein zierliches Kreuz, um das sich ein Band mit der Aufschrift windet: „Ecce agnus Dei“, dem Anfang des Spruches „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt“. Dieser Hinweis auf die Worte, mit welchen Johannes der Täufer Christus begrüßte, als dieser sich im Jordan von ihm taufen ließ, hat bereits in der älteren christlichen Kunst einen symbolischen Charakter erhalten. Man gelangte dazu, das Lamm allein als Symbol für Christus gelten zu lassen. Auf dieser Symbolik beruhen die reizvollen Bilder Murillos, welche das Kind Johannes mit einem Lamm darstellen, von denen eins unsere heutige Kunstbeilage wiedergiebt. Das Originalgemälde befindet sich im Museum der Eremitage zu St. Petersburg. Die wunderbare Kunst des Malers, Vorstellungen symbolischer Art so zu verkörpern, daß sie völlig natürlich anmuten, feiert in diesem Bilde ebenso einen Triumph wie die Meisterschaft Murillos als Darsteller von echt irdischer Kindesschönheit und Kinderlust, die von himmlischer Weihe verklärt sind.


Für das Rittershaus-Denkmal. Bald nach dem Tode von Emil Rittershaus hat sich ein Komitee gebildet, das die Errichtung eines Denkmals für den „Dichter des sangesfrohen Rheinlandes“ in seiner Vaterstadt Barmen erstrebt. Wir haben bereits früher (vergl. Jahrg. 1897, S. 420) den betreffenden Aufruf veröffentlicht und versprochen, über die eingegangenen Beiträge in der „Gartenlaube“ zu quittiren. Wir kommen heute dieser Verpflichtung nach durch den Abdruck der ersten Quittung, der bald weitere folgen werden. Mit freudiger Genugthuung dürfen wir die Zuversicht aussprechen, daß das schließliche Gesamtergebnis dem reichen Anfang entsprechen werde. Die warme Teilnahme, welche das Unternehmen zunächst vor allem in der engeren Heimat des Dichters, in Rheinland und Westfalen, gefunden bat, darf sicher auf lebhaften Wiederhall weitum im Vaterland rechnen. Emil Rittershaus ist ja auch nicht ausschließlich der Verherrlicher des Rheinlands gewesen, er hat hundertfältig im Lied zu preisen gewußt, was jedem Deutschen gleich teuer und wert ist; hat er doch – wie es im Aufruf heißt – die flammenden und erhebenden Worte seiner Dichtung im Dienst der idealen Mächte des deutschen Volkslebens ertönen lassen, ein Mahner und Herold der ganzen Nation in ihren trüben und in ihren glorreichen Tagen! Die Expedition der „Gartenlaube“ ist bereit, Beiträge in Empfang zu nehmen, über welche dann ebenfalls an dieser Stelle quittiert werden wird.

I. Quittung. 100 Mk. von Freiherrn v. Lipperheide in Berlin; 200 Mk. von Frau L. B. in Horchheim; 100 Mk. von Abg. Ernst v. Eynern in Barmen; 10 Mk. von Dr. Ziel in Cannstatt; 20 Mk. von Prof. Dr. H. Bulthaupt in Bremen; 250 Mk. vom Leseverein „Lessing“ in Köln; 50 Mk. von Hofrat Dr. J. Fastenrath in Köln; 10 Mk. von Dr. Jul. Rodenberg in Berlin; 50 Mk. von Friedr. Röber in Düsseldorf; 3 Mk. von J. L. in ?. 300 Mk. von Geh. Kommerzienrat Gust. Selve in Altena; 5 Mk. von Frau Geh. Sanitätsrat Strauß in Barmen; 20 Mk. von Wolfgang Büdingen in Wiesbaden; 20 Mk. von Wirkl. Geh. Ober-Justizrat Hamm in Leipzig; 10 Mk. von Arnold Heyder in Barmen; 10 Mk. von Carl Lang in Bad Ems; 5 Mk. von M. Stettenheim in Hamburg; 50 Mk. von Kommerzienrat Otto Budde in Barmen; 50 Mk. von Landtags-Abg. L. F. Seyffardt in Krefeld; 2 Mk. von zwei Rittershaus-Freunden in Magdeburg; 100 Mk. vom Offizierverein des Landwehrbezirks Barmen; 5 Mk. von Wilh. Schramm in Oestrich i. Rheingau; 3 Mk. von Wunsch in Wülfrath; 20 Mk. von Ew. Viefhaus in Brüssel: 200 Mk. von Friedr. Wilh. Dicke in Bannen; 20 Mk. von Oberbürgermeister Geh. Rat Wegner in Barmen; 20 Mk. von Beigeordneter Kirschstein in Barmen; 20 Mk. von Beigeordneter Biermann in Barmen; 20 Mk. von Beigeordneter Sehlbach in Barmen; 20 Mk. von Beigeordneter Schwartner in Barmen; 20 Mk. von Stadtbaurat Schülke in Barmen; 10 Mk. von Stadtbaurat Winchenbach in Barmen; 10 Mk. von Stadtbau-Inspektor Bovermaun in Barmen; 5 Mk. von Stadtkämmerer Weggen in Barmen; 5 Mk. von Polizei-Inspektor Schnübbe in Barmen; 3 Mk. von Obersekretär Seifert in Barmen; 5 Mk. von Schlachthaus-Direktor Koch in Barmen; 5 Mk. von Oberingenieur Vespermann in Barmen; 3 Mk. von Seminar-Direktor Reichert in Barmen: 20 Mk. von Rentner Caspar Dorff in Düsseldorf; 100 Mk. von Adolf Erbslöh in Barmen; 100 Mk. von Dr. v. Mevissen in Godesberg; 10 Mk. von Carl Feldgen in Barmen; 500 Mk. vom Verlag der „Gartenlaube“ in Leipzig.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.

[356 a] 0


Allerlei Winke für jung und alt.


Kinderhütchen. Etwas rosa Musselin, ein Stück leichter Tüllspitze (es braucht nicht einmal neue zu sein), ein Seidenband: daraus läßt sich ein allerliebstes Kinderhütchen herstellen, ohne daß man die Modistin zu bemühen braucht.

Kinderhütchen.

Das Drahtgestell sogar, wenn man kein passendes fertig bekommt, kann man aus weißem Hutdraht selber machen. Hat die Krempe des Gestells außen etwa 80 cm Umfang, so richtet man sich einen Streifen Munsselin von 1,20 m Länge und etwa 40 cm Breite her, mit dem man Krempe und Kopf überzieht; der äußerste Längsrand des Stoffes wird dicht eingereiht und am inneren Rand des Hutes festgenäht, die Breite der Krempe abgemessen, der Stoff doppelt zusammengelegt und so, daß über diese hinaus noch ein „Köpfchen“ von 1 cm Breite stehen bleibt; der Krempe entlang nochmal eingereiht; hierauf der Stoff an der Oberseite der Krempe zum Kopf zurückgezogen, wieder eingereiht und um den Kopf festgenäht. Am andern Längsrand des Musselins reiht man nochmal ein, zieht ihn ganz fest zusammen und verwahrt oben auf dem Kopf die Naht zwischen den Falten so, daß diese sich bauschig darüber legen. Um den Kopf windet man ein rosa Seidenband, eine Spitzenrüsche fällt darunter hervor auf den gezogenen Rand und endigt in der seitwärts befestigten Bandschleife. Das Hütchen ist sehr leicht, schützt und kleidet vorzüglich.

Postkartenmappe.

Postkartenmappe. Wer eine Anzahl hübscher Ansichtskarten handlich aufbewahren möchte, ohne Truhe oder dickes Album, findet vielleicht folgendes praktisch: Aus heller Holzpappe wird eine Anzahl gleich großer Blätter geschnitten, am Rand durchlocht. Die beiden äußersten, aus stärkerem Karton, verziert man als Deckel mit Malerei. Unsere Abbildung giebt ein Nelkenmotiv, in der Art von Metallbeschlägen behandelt und mit wenig Farben zu tönen. Auch gestickte oder mit Brokat überzogene Deckel machen sich gut. Schmale feste Seidenbänder werden durch die Löcher an der Rückenseite gezogen und halten die Blätter zu einem Buch zusammen; in den vorderen Rand kann man Bänder zum Schließen einfügen. Auf den inneren Blättern – es sollen je drei Karten auf eine Seite zu stehen kommen – bringt man eine Vorrichtung zum Festhalten der Karten an, aufgeklebte verzierte Ecken oder schräge Streifen, wenn man die Karten nicht einkleben will. Wächst die Sammlung, so lassen sich leicht weitere Blätter einreihen. J.     

Unterrock aus einem Staubmantel. Schadhaft oder unscheinbar gewordene Staubmäntel müssen durchaus nicht als unbrauchbar beiseite gelegt werden, sondern lassen sich auf folgende Weise noch einmal praktisch verwenden. Man zertrennt zuerst den Mantel, wäscht die einzelnen Teile in einer Lösung von Quillajarinde und bügelt den Stoff, so lange er noch feucht ist. Nun schneidet man aus den Stücken einen Unterrock zu. Die weiten Aermel oder das etwaige Cape des Mantels ergeben die Verzierung des Rockes: Schrägstreifen, Volant oder Plissee. Je nach der Menge des vorhandenen Stoffes kann man einen oder zwei Volants anbringen, die mit einigen Reihen Seidenbändchen in abstechender Farbe oder mit wollenen Zierbörtchen benäht werden. Ist genügender Stoff zu zwei Garnierungen da, so trennt man die beiden durch ein farbiges plissiertes Band, dem unten eine hübsche Spitze angesetzt ist. Diese Art der Verzierung giebt dem Rock ein sehr elegantes Aussehen, und man wird sich zu der größeren Ausgabe um so eher entschließen, als der Stoff zum Rock selbst nichts kostet.

Kinderschürzchen.

Ein hübsches Kinderschürzchen, das sich in allen Größen herstellen läßt, bringen wir in beistehender Abbildnng. Man verwendet blau- oder rotgestreiften Kattun dazu und verziert den unteren Rand sowie die Passe und die Tragbänder mit einer gestickten Besatzborte. Aermel werden nur in Form von Volants angesetzt und diese wie auch der viereckige Halsausschnitt mit einem Häkelspitzchen oder einem schmalen Stickereistreifen berandet.

Derartige Schürzchen sehen trotz ihrer Einfachheit sehr niedlich aus, sind billig und schnell herzustellen und auch gut zu reinigen. Der erforderliche Schnitt läßt sich nach der Abbildung unschwer selbst entwerfen.


Für Naturfreunde.


Ein Mondglobus für Schule und Haus. Unter allen Himmelskörpern reizt wohl der Nachbar unserer Erde, der Mond, am meisten die Neugierde der Menschen. Um nun dem Schüler oder angehenden Jünger der Astronomie die Beschaffenheit der Mondoberfläche, die seltsame Bildung von Gebirgen und Kratern zu veranschaulichen, dazu genügen Mondkarten nicht.

Relief-Mondglobus.

Viel klarer wird das Bild, wenn beim Unterricht ein Relief der Mondoberfläche vorgeführt werden kaun. Darum ist es mit Freude zu begrüßen, daß ein eifriger Liebhaber der Astronomie und erfahrener Mondbeobachter, Eduard von Lade zu Monrepos-Geisenheim, einen plastischen Mondglobus entworfen hat. Namentlich bei künstlicher Beleuchtung kommt das sorgfältig ausgearbeitete Relief zur vollen Geltung. Da nur die eine Hälfte der Mondkugel sichtbar ist, wurde die zweite Hälfte des Globus mit einer Karte des Mondes versehen, auf der die Namen der wichtigeren Punkte eingetragen sind. Durch eine sinnreiche Vorrichtung, durch Einstellung des auf unserer Abbildung bei c sichtbaren Zeigers auf der Mondkarte und durch Verschiebung desselben auf das Relief ist es ermöglicht, rasch die Benennung jedes Gebirges, Kraters etc. zu ermitteln. Der Globus eignet sich vorzüglich für den Anschauungsunterricht in den Schulen, bildet aber auch einen hübschen Schmuck eines Studierzimmers. Er ist im Verlage der „Geographischen Verlagsbuchhandlung Dietrich Reimer“, Berlin SW, erschienen.

Für Vogelfreunde. Zu den Büchern, welche weitere Kreise mit der Vogelwelt vertraut machen sollen, ist ein neues hinzugekommen: „Die Vögel Europas“ von Fr. Arnold (C. Hoffmannsche Verlagsbuchhandlung [Albert Bleil], Stuttgart). Dem Naturfreund, der kein Fachmann ist, wird das fleißig ausgearbeitete und gut ausgestattete Werk nach zwei Richtungen hin besonders gute Dienste erweisen. Es enthält 45 farbige Tafeln, auf welchen alle wichtigeren Vogelarten Europas in naturgetreuer Weise dargestellt sind, und drei weitere Tafeln mit farbigen Wiedergaben der Vogeleier. Durch diese Abbildungen wird dem Laien das Erkennen und Bestimmen der Arten, die er noch nicht kennt, wesentlich erleichtert. Ein weiterer Vorzug des Werkes besteht darin, daß in ihm die Pflege und Zucht der Vögel in der Gefangenschaft gebührend berücksichtigt wird. Praktische Ratschläge und Winke sollen den weniger erfahrenen Vogelfreund vor Mißgriffen bei der Pflege seiner Lieblinge bewahren.

Für Aquarien- und Terrarienfreunde ist ein neues Werk von hohem praktischen Werte erschienen, das vom Prosektor am Anatomischen Institut der Königl. Tierärztlichen Hochschule zu Berlin, Dr. E. Zernecke, im Auftrage des Vereins „Triton“ bearbeitet worden ist. Sein Titel lautet: „Leitfaden für Aquarien- und Terrarienfreunde“ (Gustav Schmidt, Berlin). Das Werk ist mit großer Sachkenntnis geschrieben und bespricht nicht nur das Süßwasser-, sondern auch das Seewasseraquarium, sowie die verschiedenen Formen des Terrariums, die ungeheizten, die geheizten und die Aqua-Terrarien. Ein besonderes Gewicht ist von dem Verfasser auf die Beschreibung der Pflege neuer aus der Fremde eingeführter Arten von Pflanzen und Tieren gelegt. Sehr wichtig sind ferner einige praktische Belehrungen über die Krankheiten der Fische, über trübes Wasser im Aquarium, über das Ueberwintern der Tiere etc. Das Buch ist mit einer Tafel und 112 Abbildungen im Text ausgestattet. Dem Anfänger wird es als ein ausgezeichnetes Lehrbuch die besten Dienste leisten, aber auch dem bereits geübten und erfahrenen Liebhaber wird es in schwierigen Fragen ein treuer und bewährter Ratgeber sein.

[356 b]

Allerlei Kurzweil.


Bilderrätsel.
Von Erh. Lipka.

Schachaufgabe.
Von Fr. Dubbe †.
SCHWARZ

WEISS
Weiß zieht und setzt mit dem dritten Zuge matt.


Kreuzrätsel.
Nachstehend die Visitenkarten der beiden größten Zierden des Stadttheaters zu X-Hausen:

Verteilt man die Buchstaben jener Namen richtig in die Felder des obenstehenden Kreuzes, so werden durch den senkrechten sowie den wagerechten Balken desselben die beiden Hauptrollen einer Tragödie namhaft gemacht, in der die Obengenannten zusammen auftreten.
Oscar Leede.     


Rätseldistichon.

Ein zum britischen Reich gehöriger Hafen des Ostens
Wird eine deutsche Stadt, setzt du ein Zeichen ihm vor.
 E. S.


Rätsel.

Mit a ein Tier, mit u ein Tier!
Die beiden Tiere sage mir!
Das Sonderbare ist dabei:
Ich kenne solcher Paare drei.


Scherzrätsel.

Mit F und I beginnt
Der Name für ein Tier,
Und er ist dann der Rest;
Den Namen sage mir.


Homonym.

Was ist zugleich – das sage mir –
Bewaffnung, Bauteil und Papier?


Auflösung des Kreuzrätsels auf
dem Umschlag von Halbheft 10.


Die Auflösung der Skataufgabe erscheint auf dem Umschlag des nächsten Halbhefts.


Auflösung des Rätsels auf dem Umschlag von Halbheft 10. 0 Bass, Alt – Basalt.


Auflösung des magischen Zeichenrätsels „Der Weinpokal“ auf dem Umschlag von Halbheft 10.
Die Buchstaben an den weißen Perlen bezeichnet man mit den fortlaufenden Zahlen 1 bis 5, ebenso die Buchstaben an den schwarzen Perlen mit 1 bis 6. Somit erhält jeder Buchstabe der beiden Gruppen je seine bestimmte Zahl. Ersetzt mau nun die Perlen unten je nach der bei der Perle stehenden arabischen Ziffer durch den richtigen Buchstaben, so ergiebt sich
„Der Wein erfreut des Menschen Herz.“


Auflösung des Homonyms auf dem Umschlag von Halbheft 10. 0 Lippe.




[Werbung des Verlags Ernst Keil's Nachfolger und von 2 weiteren Firmen (für den amerikanischen Markt?) - hier nicht abgebildet.]



Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Paginierung nach der Halbheftausgabe. Entspricht in der Wochen-Nr. 13, S. 211 f.