Die Gemälde-Galerie des Grafen Schack − Kapitel 12
[58] Indessen musste meine Sammlung doch Einiges von dem grossen Urbiner aufzuweisen haben. Sein Bildnis Julius II. in den Uffizien – das andere, auch höchst vortreffliche im Palaste Pitti scheint eine Kopie von venezianischer Hand zu sein – zeigt uns den gewaltigen Papst in hohem Greisenalter, doch in ungebrochener Kraft, mit loderndem Feuer in den Augen. Er sitzt zusammengesunken da, in Brüten vertieft, und scheint mächtige Entschlüsse in der Brust zu wälzen. – Vielleicht noch anziehender ist das Bildnis eines eben zum Jünglinge erblühten Knaben in schwarzer Tracht, der das Haupt in die Hand stützt. Die unaussprechliche Anmut und der seelenvolle Ausdruck in seinen Zügen müssen ihm jedes Herz gewinnen. Auch dieses vorzügliche Werk des Rafael wurde von Liphart, der später nach Paris übersiedelte, nebst noch zwei anderen der schönsten Bilder des Louvre für mich kopirt. Das eine der letzteren ist ein Gemälde, das nach meiner Ansicht zu den besten Arbeiten des Giorgione gehört, mag es ihm auch in neuerer Zeit von zweifelsüchtigen Kritikern abgesprochen worden sein. Auch hier, wie im „Concert“ des Palastes Pitti, wird die Musik verherrlicht. Während ein Jüngling auf einem Wiesenplane mit einem Landbewohner und einem nackten Mädchen ruhend die Laute spielt, scheint die ganze Natur, in Wonne aufgelöst, den Tönen zu lauschen. Die schönsten Träume von einem arkadischen Hirtenlande haben sich hier verkörpert, und wie wir diese Gruppe glücklicher Menschen betrachten, die sich inmitten einer reizvollen Landschaft dem süssesten Genusse des Augenblickes hingibt, empfinden wir Neid auf eine so selige Existenz. Dabei wirkt der Schmelz und die goldene Leuchtkraft des Kolorits wahrhaft hinreissend. – An diesen Giorgione reiht sich ein Tizian des Louvre, ebenfalls eine Liebesscene darstellend und von gleicher Kraft der schönsten Sinnlichkeit durchglüht. Der berühmte Feldherr Karl V., Marques del Vasto, eine hohe kräftige, in Stahlrüstung gekleidete Gestalt, in deren Zügen sich bei eiserner Energie doch auch gewinnende Milde ausprägt, steht im Hintergrunde. Das Bild stellt den Moment dar, wo er von seiner Gemahlin Abschied nimmt, um in den Krieg zu ziehen; vorn erblickt man die Letztere, eine gläserne Weltkugel als Symbol der Vergänglichkeit alles Irdischen in der Hand haltend, während Sieg, Liebe und Hymen sie zu trösten versuchen. Wir kümmern uns nicht viel um diese Allegorie; das Nachdenken über sie könnte nur unsere Empfindung erkälten: wie bei der „irdischen und himmlischen Liebe“ genügt die äussere Erscheinung vollkommen zu unserer Befriedigung. Der grosse Maler hat dieselbe Gruppe mit verschiedenartigen, aber in ähnlicher Stellung zu einander befindlichen Figuren mehrmals wiederholt; so auf der „Einweihung einer Bacchantin in die Mysterien der Venus“ in der Pinakothek zu München und im Palast Borghese zu Rom; aber dem Bilde im Louvre möchte der Preis der Schönheit gebühren.
Ein junger Künstler, Hans von Marées, hatte durch ein in der Weise der besten Niederländer ausgeführtes Kabinetstück eine Pferdeschwemme darstellend und durch ungewöhnliche Kraft der Farbe bestechend, meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ich glaubte, dass das Kopiren nach alten Meistern zur Ausbildung seines eigenen vielversprechenden Talentes beitragen würde, und liess ihn deshalb nach Rom reisen. Er wandte zuerst seinen Fleiss auf eine Madonna, im Palast Colonna, das Jesuskind einem anbetenden Jünglinge weisend, welchen der zur Seite stehende Apostel Petrus beschützt. Dieses Gemälde gehört immerhin zu den guten, wenn auch nicht zu den besten Leistungen des Palma, der sich in einigen Werken zu der Höhe der grössten Maler erhoben hat. Aus Florenz sandte Marées mir zunächst eine Kopie des Reiterbildnisses Philipps IV. von Velasquez im Palast Pitti. Dasselbe ist eine kleinere, aber meisterliche Wiederholung des grossen Gemäldes in Madrid und kam nach Florenz, weil ein dortiger Bildhauer die Reiterstatue Philipps, die jetzt vor dem Palaste der spanischen Hauptstadt steht, danach zu fertigen hatte. Es zeigt alle Vorzüge des Velasquez und wirkt in dem kleineren Format durch die konzentrirte Kraft der Farbe vielleicht um so intensiver. – Eine dem Tizian zugeschriebene, aber wahrscheinlich von Savoldo herrührende Anbetung des Christuskindes würde ich wohl kaum gewählt haben; Marées kopirte sie, um die Zeit auszufüllen, bis ein anderes Gemälde, auf das er reflektirte, frei würde. Sie bringt bei sehr hellem Lichte grosse Wirkung hervor, ist aber infolge von Nachdunkelung so schwarz, dass man an trüben Tagen wenig von ihr erkennen kann. – Sodann widmete Marées seine Arbeit einem schönen Frauenbilde im Palast Pitti. Dasselbe hatte dort lange wenig beachtet gehangen, bis J. D. Passavant an ihm die Züge des Weibes zu erkennen glaubte, das zum Modell der sistinischen Madonna gedient hat, und das Werk dem Rafael beilegte. Ob dieses ausser Zweifel steht, ob die weitere Meinung, wonach wir hier die Fornarina vor uns haben sollen, begründet ist, wage ich nicht zu sagen; jedenfalls aber ist dieses weibliche Porträt, das freilich leider durch Übermalung stark gelitten hat, des grossen Meisters würdig, und das Weib, das es vorstellt, mit seinen edlen Gesichtsformen und dem dunkel glühenden Auge war nicht unwert, von ihm geliebt zu werden. Alle diese Arbeiten führte Marées mit Liebe, Sorgfalt und vielem Talente aus, und ich hätte sehr gewünscht, dass er bei derselben Beschäftigung noch länger ausgehalten hätte. Es ist in hohem Grade zu beklagen, dass so viele Künstler sich durch Kopiren zu erniedrigen glauben, während dasselbe doch nicht nur die beste Vorschule zu eigenen Leistungen ist, sondern auch schon selbstschöpferische Kräfte von nicht geringem Grade erfordert. Der gewaltige, überreich mit Erfindungskraft ausgerüstete Rubens hat es nicht verschmäht, mehrere Kopien nach Tizian (in den Museen von Madrid und Stockholm befindlich) zu liefern, und der grosse Andrea del Sarto kopirte Rafaels Leo X. so vortrefflich, dass Giulio Romano, der an dem Gemälde seines Lehrers mitgearbeitet, später die Kopie für das Original hielt; eine Beschäftigung, welcher solche Meister sich gerne unterzogen wird Niemandem zur Schande gereichen.
Während meiner alljährlichen Aufenthalte in Italien richtete ich bei meinen Besuchen der Galerien von Venedig, Florenz, Rom und Neapel, auch Parma, meine Aufmerksamkeit auf die Kopien, welche dort in grosser Anzahl für den Verkauf gefertigt werden. Aber sehr selten fand sich darunter eine, die sich als von Künstlerhand herrührend kundgab, und diese hatte dann fast immer schon ihren Besitzer. Die meisten waren unter aller Kritik, roh und schlecht, so dass man es als ein wahres Sakrilegium, als eine Entweihung der hohen Originale brandmarken muss, wenn solche Karrikaturen derselben feilgeboten werden. Das Glück fügte es jedoch, dass mir einige wirklich künstlerisch ausgeführte Arbeiten, die nicht bestellt waren, bekannt wurden, und diese liess ich mir nicht entgehen. Die kleine unsäglich liebliche Madonna von Rafael, die sich früher im Hause Connestabile in Perugia befand, dann für einen enormen Preis nach Petersburg verkauft wurde, hatte B. Entres vortrefflich kopirt; dieser Künstler gehörte noch jenem Kreise junger deutscher Maler an, die sich im ersten Viertel unseres Jahrhunderts zu Rom mit Andacht in das Studium der altitalienischen Malerei versenkten, und seine Leistung zeigt in jedem Pinselstriche von der Hingebung und Pietät, mit der er sich ihr gewidmet. Man fühlt, wie sein Herz, nicht bloss seine Hand, daran geschaffen hat. Gegen das bescheidene Aussehen dieser Madonna von Rafael bildet die überschwängliche Farbenpracht von Tizians Himmelfahrt der Maria einen entschiedenen Gegensatz. Wenige Bilder nur mögen so aus begeisterter Seele unmittelbar auf die Leinwand geworfen worden sein, wie diese Darstellung der heiligen Jungfrau, die im Schwunge der Andacht, von jubelnden Engelchören
[59] getragen, mit ausgebreiteten Armen gen Himmel schwebt, während die niedere Erde unter ihr versinkt. Die überaus gelungene Kopie des verstorbenen trefflichen Malers Karl Fries gibt, wenn auch in verkleinerten Verhältnissen, doch noch einen sehr schönen Begriff von der Herrlichkeit des Tizianischen Werkes. – Ein anmutvolles Bildnis eines Jünglings von Sustermans, einem Niederländer, der sich in Florenz niedergelassen, hat der früh verstorbene Schüler Schwinds, Anton Kraus, geschickt wiedergegeben. – Noch höher stehen die beiden Kopien von A. Cassioli, einem florentinischen Maler, der in seiner Vaterstadt hohen Rufes geniesst. Das Bildnis der Giovanna d’Aragona, das, im Palaste Doria zu Rom, dem Leonarda da Vinci zugeschrieben wird, gehört zu den Perlen der Kunst. Diese Giovanna, eine vornehme Römerin, galt für die schönste Frau ihrer Zeit, und es gibt ein eigenes Buch, in welchem Gesänge von hundert Dichtern zum Preise ihrer Schönheit gesammelt sind. Rafael malte sie, und das sie darstellende Porträt im Louvre zu Paris wird von Einigen für sein Werk gehalten, von Anderen nur für die beste unter zahlreichen Kopien, die von dem untergegangenen Originale vorhanden sind. Die Wiederholung im Palaste Doria ist auf freie Art in die Weise des Leonarda da Vinci übersetzt und mit grösster Feinheit ausgeführt. Das Rom der rafaelischen Zeit scheint freilich ein ganz anderes Ideal von der weiblichen Schönheit gehabt zu haben, als es jetzt den Meisten vorschwebt; denn heute würde man sicher vielen, von den venezianischen Malern verewigten Frauen den Preis des Liebreizes vor dieser kalten Blondine zuerkennen; das thut aber dem Werte des Kunstwerkes keinen Eintrag. – Die Schlacht von Cadore von Tizian war ein grosses, weitberühmtes Gemälde im Dogenpalaste zu Venedig, das durch einen Brand zu Grunde gegangen ist. Nur eine in den Uffizien zu Florenz befindliche Skizze hat uns die gewaltige Komposition aufbewahrt und ist daher ganz unschätzbar, weshalb es mir die grösste Freude gewährte, eine höchstgelungene Kopie derselben von Cassioli zu gewinnen. Rubens zollte dieser Skizze hohe Bewunderung, wie solches eine dieselbe wiederholende Handzeichnung von ihm beweist, und sie hat ihm offenbar bei seiner „Amazonenschlacht“ in der Pinakothek zu München als Muster gedient. Diese Amazonenschlacht ist prächtig; nur vergleiche man sie nicht mit ihrem Vorbilde: denn da tritt die unermessliche Überlegenheit des Venezianers sofort zu Tage. Das grosse Gemälde muss neben Rafaels „Schlacht des Konstantin“ das herrlichste aller Kriegsbilder gewesen sein, ja, da hier die reichere Farbengebung die Macht der Komposition hob, jene an Wirkung noch übertroffen haben. Die Wildheit des Kriegsgetümmels um eine Brücke, das Heruntertaumeln der Kämpfenden von der steilen Felswand, das Niedersinken der Sterbenden auf Tote, macht selbst auf der Skizze einen überwältigenden Eindruck.Vielleicht der schönste Schmuck des an edlen Kunstwerken so reichen Belvedere in Wien ist die heilige Justina des Moretto. Es gibt einige Künstler, die in einem einzigen Werke so Hochvortreffliches geschaffen haben, dass sie darin mit den grössten ihres Faches konkurriren können, während sie in ihren anderen Leistungen zwar auch sehr achtbar, jedoch nicht auf gleicher Höhe dastehen. Als Beispiel davon unter den Musikern kann man Spontini nennen, dessen Vestalin zu den grandiosesten Schöpfungen der Tonkunst gehört und selbst hinter Don Juan und Fidelio nicht zurücksteht, während schon sein Ferdinand Cortez auf eine etwas tiefere Stufe hinabsinkt, und wir seine übrigen Kompositionen kaum noch demselben Meister zuschreiben möchten. So hat auch Moretto in seiner „Justina“ ein Werk hervorgebracht, das meines Bedünkens seine sämmtlichen anderen Bilder, an denen besonders seine Vaterstadt Brescia noch so reich ist, um Haupteslänge überragt und dem Besten, was die Kunst überhaupt producirte, gleich kommt. Die Heilige, die einen Palmenzweig in der Hand, ein Einhorn zu ihren Füssen, vor einem sie anbetenden bärtigen Manne dasteht, ist eine Gestalt von Majestät und Holdseligkeit zugleich, von ehrfurchtgebietender Hoheit neben anziehender und Vertrauen erweckender Milde, und meines Erachtens ist die Heiligkeit nie schöner in einem Menschenantlitze [60] ausgedrückt worden. D. Penther in Wien hat eine gelungene Kopie des Wunderbildes für mich gefertigt, die nicht nur den edlen Formen, sondern auch dem lichtschimmernden, in seinem weissen Glanze gleichsam die Keuschheit der Heldin symbolisirenden Kolorit gerecht wird. – Demselben Künstler verdanke ich eine Kopie der Lucrezia des Palma Vecchio, gleichfalls im Wiener Belvedere. Die tugendhafte Römerin auf diesem Gemälde zeigt den vollendetsten Typus venezianischer Frauenschönheit, und hierum war es offenbar dem Künstler auch allein zu thun; das Dramatische des dargestellten Vorganges hat er ganz ausser Acht gelassen. Seine Lucrezia stösst sich den Dolch so behaglich, mit so heiter lächelndem Gesichte in den Busen, als ob für sie der Tod die grösste Wonne wäre.