Die Goethe-Gesellschaft in Weimar
[644] Die Goethe-Gesellschaft in Weimar. Das lange verschlossene Goethe-Schatzhaus in Weimar hat seine Pforten geöffnet: der letzte Enkel Goethe’s hat diese reichen archivalischen Schätze der Großherzogin von Weimar vermacht, welche ihrerseits dieselben als ein nationales Vermächtniß annahm, das dem Kultus des großen Dichters gewidmet werden soll. Der schriftstellerische Nachlaß soll jetzt erforscht, gesichtet, in werthvollen Theilen veröffentlicht und so verarbeitet werden, daß daraus eine neue vollständige Lebensbeschreibung Goethe’s, eine neue vollständige Ausgabe seiner Werke in einer Form hervorgehen wird, welche den wissenschaftlichen Forderungen der Gegenwart entspricht. Dies sind auch die Aufgaben, welche die Goethe-Gesellschaft in Weimar mit übernommen hat, deren Zweck die Pflege der mit Goethe’s Namen verknüpften Litteratur sowie die Vereinigung der auf diesem Gebiete sich bethätigenden Forschung ist. Vorsitzender der Gesellschaft ist der würdige Präsident des Reichsgerichts in Leipzig, Simson, von Jugend auf ein begeisterter Anhänger und genauer Kenner des großen Dichters. Als junger Jurist hatte Simson den verehrten Meister besucht, und in den Aufzeichnungen des Letzteren findet sich eine Erwähnung, daß ihm dieser Besuch einen günstigen Eindruck hinterließ.
Man darf es den Deutschen nicht nachsagen, daß sie im Goethe-Kultus lässig gewesen sind; die kaum zu registrirende Goethe-Litteratur liefert hierfür den thatsächlichen Beweis. Gleichwohl wird dieselbe bei dem erneuten Aufschwung, der jetzt zu erwarten ist, gewiß Gediegeneres leisten als bisher: so fehlt noch immer eine deutsche Goethe-Biographie. Das Goethe-Jahrbuch von Ludwig Geiger, dessen siebenter Band jetzt vorliegt, enthält den ersten Jahresbericht der Goethe-Gesellschaft, und von den im Auftrage des Vorstandes von Erich Schmidt herausgegebenen Schriften der Goethe Gesellschaft liegt der erste Band vor, der die Briefe von Goethe’s Mutter an die Herzogin Anna Amalie enthält, welche die „Frohnatur“ der liebenswürdigen Frankfurterin von Neuem beweisen, denn die Frische dieser Mittheilungen ist von keinem ceremoniellen Hof- und Briefstil angekränkelt. †