Die Gräfin Kielmansegge

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Autor: Johann Georg Theodor Grässe
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Titel: Die Gräfin Kielmansegge
Untertitel:
aus: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 2. S. 164-168
Herausgeber:
Auflage: Zweite verbesserte und vermehrte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Schönfeld
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Erscheinungsort: Dresden
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Quelle: Google-USA* und Commons
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[164]
775) Die Gräfin Kielmansegge.
Mündlich. S. a. E. M. Oettinger, Gräfin Kielmannsegge u. Kaiser Napoleon I. Brünn 1865, 4 Bde. in 8.

Am 26. April des J. 1863 starb in dem Wasserschlößchen an der Brücke des Dorfes Plauen bei Dresden Auguste Charlotte von Schönberg, zum zweiten Male vermählt mit dem Reichsgrafen Hans Ludolph von Kielmansegge (10. April 1802), von dem sie aber schon 1812 wieder geschieden ward. Sie ward zu Dresden am 18. Mai 1777 dem damaligen [165] Besitzer des Rittergutes Schmochtitz bei Bautzen und kursächsischen Hausmarschall Peter August von Schönberg, geboren und verlebte einen Theil ihrer Jugend auf jenem herrlichen Landsitze. Am 13. Mai 1796 verheirathete sie sich mit dem Grafen Rochus August von Lynar, vertrug sich aber nicht mit ihm und als derselbe am 1. August 1800 plötzlich nach dem Genuß eines von ihr ihm gereichten Kirschkuchens zu Lichtenwalde gestorben war, so hatte das Volk sie damals schon als Giftmischerin in Verdacht. Auch ihren zweiten Mann sollte sie haben vergiften wollen, allein man erzählte sich damals, er sei geflohen und nie wieder mit ihr zusammengekommen, sondern habe aus der Ferne seine Scheidung eingeleitet und durchgesetzt. Daß keine dieser Beschuldigungen irgendwie bewiesen ward, versteht sich von selbst. Von dieser Frau, welche übrigens zu den klügsten und gebildetsten Frauen, die je existirt haben, gehörte, laufen nun noch heute im Munde der Dresdner und Plauenschen Bevölkerung sonderbare Sagen herum.

Sie lebte nach ihrer Scheidung ganz von ihrer Familie getrennt und stand mit Napoleon I., so oft derselbe nach Dresden kam, in einem sehr intimen Verhältniß, ja als derselbe zum letzten Male in Dresden war, wohnte sie längere Zeit bei ihm im Palais Marcolini auf der Friedrichstraße in Friedrichstadt. Die Frucht dieses Zusammenlebens sollte nun ein Knabe gewesen sein, der angeblich im Geheim von ihr im J. 1814 geboren ward, als erwachsener Mensch mehr als einmal sich zu ihr in Plauen Eingang verschaffte und von ihr, gestützt auf angebliche Briefe und Zeugnisse Unterstützung und Anerkennung verlangte – er führte nämlich den Namen Julius Wilhelm Wolf Graf – aber stets aufs härteste von ihr zurückgewiesen ward, und als er auch in ihrem Testamente nicht bedacht war, wie er erwartet hatte, sich am 14. April 1866 das Leben nahm. Wie dem auch sein mag, sie war bis an ihren Tod eine glühende Verehrerin des Kaisers Napoleon, zu dessen Befreiung aus der Gefangenschaft auf St. Helena sie kurze Zeit vor dessen Tode nach Paris gereist sein [166] und dort eine Verschwörung angestellt haben soll, die aber von der französischen Polizei entdeckt ward und ihr längere Gefangenschaft und schließlich Verweisung aus Frankreich zuzog. Sie rächte sich an Napoleon’s Kerkermeister Hudson Lowe dadurch, daß sie dessen Portrait auf dem Aborte ihres Schlößchens aufhing.

Alle diese Eigenheiten würden ihr aber hier keinen Platz verschaffen, wäre nicht noch eine andere vielfach bestrittene Sage mit ihrem Leben verbunden gewesen. Man erzählte sich nämlich, sie sei, nachdem sie auch ihren zweiten Gemahl habe vergiften wollen, nur dadurch der weltlichen Gerechtigkeit entgangen, daß sie nach Rom gegangen, dort katholisch geworden sei und vom Papste als Buße auferlegt bekommen habe, von Stund’ an allen Umgang mit ihres Gleichen abzubrechen, zeitlebens in elenden Kleidern einherzugehen und einen Strick um den Hals zu tragen, als eine Galgencandidatin sich auch gefallen zu lassen, daß der damalige Dresdner Scharfrichter Fritzsche jährlich einmal zu beliebiger Zeit zu ihr kommen dürfe und nachsehe, ob sie solchen Strick wirklich trage. Dieses ist nun zwar neuerdings von Ed. M. Oettinger in dem über sie im J. 1865 abgefaßten Romane und in seinem Moniteur des dates, Art. Schönberg (T. VI. p. 33. Anm.), ausdrücklich in Abrede gestellt worden, allein es ist daran doch soviel wahr, daß ich selbst einmal in der Arnold’schen Buchhandlung, welche sie in den 40ger Jahren dieses Jahrhunderts fast täglich besuchte, um dort politische Broschüren zu kaufen und sich mit dem damaligen Besitzer der A. B., Herrn Reimann, den sie sehr gern hatte, zu besprechen, hinter ihr stehend und die Gelegenheit benutzend, daß sie sich bückte, um etwas aufzuheben, ihr in den Nacken sah, wo ich ganz deutlich einen groben hanfenen Strick, der freilich ebensogut ein einfaches Bußinstrument, wie dies bei Katholiken üblich ist, sein konnte, erblickte. Auch Hr. Fritzsche, den ich früher sehr oft sah, bestätigte mir die Sage und ebenso leugnete solches eine gewisse Chr. Brückner († 1872), welche 13 Jahre zu Plauen in ihren Diensten gestanden hatte, mir gegenüber nicht ausdrücklich, als [167] ich sie befragte. Uebrigens war diese Dame Jedermanns Feind und fand ein Vergnügen darin, Andere zu ärgern und ihnen Possen zu spielen. Dagegen war sie eine große Hundefreundin und ließ einem ihrer Lieblinge in ihrem Garten eine Kreuz auf sein Grab setzen, was sie jedoch wieder entfernen mußte. Man erzählt sich aber, ihre Seele könne keine Ruhe finden und sie gehe zu und bei Schmochtitz (?)[1] und Plauen noch jetzt um und zwar in derselben Kleidung, in welcher ich sie unzählige Male gesehen habe, nämlich mit einem großen weißen, gelbgetippelten Atlashut, einem dergl. Atlasmantel, der einst weiß oder weißgrau gewesen war, aber weil er sehr oft naß geworden war, fast gelb aussah, und in großen Knöchelschuhen oder Filzschuhen, welche sie Sommer und Winter zu tragen pflegte. Eine besondere Eigenheit von ihr war, daß sie nie eingestehen wollte, daß eine Dienstperson ihr nicht gehorchte oder sie betrog. So hielt sie zwei Wächter, einen ältern und einen jüngern, welche des Nachts in ihrem Hause zur Bewachung schlafen sollten, der jüngere ging aber gewöhnlich nur eine kurze Zeit hin und lief dann wieder weg. Als ihr dies nun einst von der vorhin genannten Dienerin angezeigt ward, versetzte sie gleich: „weißt Du nicht, ob dies nicht mit meiner Bewilligung geschehen ist?“ Uebrigens trieb sie auch geheime Wissenschaften und oft hörten ihre Leute sie in ihrem Zimmer, trotzdem daß Niemand außer ihr darin war, laut sich mit Jemand unterreden und dieser Jemand antwortete, wenn sie aber hineinkamen, war Niemand da. Ihre höchst interessanten Briefe sind laut ihres Testamentes nach ihrem Tode verbrannt worden: sie bekam täglich Schreiben aus allen Theilen Europas und beantwortete sie auch, allein Keiner ihrer Leute – sie hatte nur weibliche Bedienungen – sah je eine Adresse an sie oder von ihr, sie hatte eine Brieftasche, in welche sie die von ihr geschriebenen Briefe legte und selbige dann verschloß: so schickte oder trug sie selbige nach Dresden, ein von [168] ihr eigen dazu erwählter Postbeamter öffnete solche mit einem zweiten Schlüssel, nahm den Inhalt heraus und legte die angekommenen hinein und so wußte nur dieser, der aber ihr Geheimniß nie verrieth, mit wem sie brieflich verkehrte.


  1. Die weiße Frau, die sich selbst bei Tage auf der Straße zwischen der Viehwalze und Salzenforst sehen läßt, kann sie nicht sein, denn diese sah man schon vor ihrem Tode.