Die Heimath in der neuen Welt/Dritter Band/Achtunddreißigster Brief

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Siebenunddreißigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Dritter Band
von Fredrika Bremer
Neununddreißigster Brief
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Textdaten
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Autor: Fredrika Bremer
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Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band
Untertitel: Achtunddreißigster Brief
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Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
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Verlag: Franckh
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden. Tredje delen.
Originalsubtitel: Trettiondeåttonde brefvet
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
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Achtunddreißigster Brief.
Brief an Ihre Majestät die verwittwete Königin Caroline Amalie von Dänemark.
Cuba, Westindien im April 1851. 

Ew. Majestät!

„Schreiben Sie mir von America aus,“ war Ew. Majestät freundliches Abschiedswort an mich, als ich zum letzten Mal auf Sorgenfrei die Freude hatte Ew. Majestät zu sehen. Und diese Worte haben mich auf meiner langen Fahrt begleitet als eine der schönen und theuren Erinnerungen, welche ich dem guten Dänemark zu verdanken habe, denn sie erinnerten mich an die große Güte, die Dänemarks Königin mir bewiesen. Sie sind bei mir geblieben nebst dem Wunsch, Ihnen dadurch entsprechen zu können, daß ich von der Erde der neuen Welt aus Ew. Majestät einige recht schöne geistige Blumen zu bringen vermöchte, nicht unwürdig der Rosen, die Ew. Majestät eigene schöne Hand aus Ew. Majestät Rosengarten in der Abschiedsstunde mir schenkten. Aber es hat lange gewährt, bevor ich Geistesfreiheit und Ruhe genug gefunden habe, um aus der reichen Flora, die America erzeugt, etwas Bouquet- oder Kranzartiges zusammenzubinden, Etwas, wovon ich dachte, daß es Ew. Majestät Vergnügen machen könnte. Und mit Geringerem konnte ich selbst nicht zufrieden sein.

Von der Königin der Antillen, von der schönen tropischen isla de Cuba aus, schreibe ich jetzt an Dänemarks schöne und gute Königin. Und während eine glühende Sonne über den Kaffee- und Bananashainen auf Caffetal la Concordia (meiner gegenwärtigen Heimath) aufsteigt, während rosenfarbige Flamingos ihre Flügel ausstrecken, um sie im Morgenwinde zu kühlen, und kleine Negerkinder — nackt, wie Gott sie geschaffen hat — auf grünen Plänen umherhüpfen und sich tummeln, wo smaragdgrüne Colibri prunkende Hybiscusblüthen umflattern, versetze ich mich im Geist nach den grünen Inseln, nach der kühlen, schattenreichen Wohnung, wo ich die Nachtigallen in den Buchenhainen um Ew. Majestät her singen hörte, und bringe da in diesen Zeilen meinen Tribut der Verehrung und Ergebenheit dar.

Auf Cuba kann ich besser als von irgend einem andern Punct auf dieser Seite der Erdkugel aus von der neuen Welt sprechen, denn Cuba liegt zwischen Nord- und Südamerica; der anglonormännische und der spanische Volkstamm begegnen sich hier in Gutem und Bösem, heimlich und offenbar um die Herrschaft streitend; und mitten in dieser wunderbar schönen Natur, welche dem Wendekreise angehört, unter der tropischen Sonne, unter den Palmen und Kaffeepflanzungen, sieht man bereits nordamericanische Wohnungen, Eisenbahnen und Handelsbuden und das angloamericanische go a head (Ueberstürzungssystem) stößt hier zusammen mit dem Wahlspruch der spanischen Creolen poco a poco (nur langsam) und überflügelt es früher oder später; das ist nicht schwer vorherzusehen.

Mit dem frischen Bild von Nordamericas Natur, Bevölkerung und Staaten in der Seele ist es eine große Erquickung auf dieser schönen Insel ein so stark contrastirendes Gemälde aufzunehmen, wie dasjenige ist, das Südamericas Natur, Bevölkerung und Staaten darbieten. Denn beide gehören wesentlich dem Gemälde der neuen Welt an, und Nordamerica stellt in Natur, Cultur und Sitten bloß die eine Hälfte davon dar. Die südliche Hälfte mit ihren noch unorganisirten Staaten, ihrem chaotischen Volksleben, aber ihrer reichen, großen Natur, ihrem Amazonenstrom und ihren Andes, ihren Palmen und ihrem ewigen Sommer wird noch in der Berührung mit der Bevölkerung der nördlichen Hälfte ein herrliches Leben entwickeln, vielleicht nicht so stark wie das Leben der letzteren, aber lieblicher und schöner. Und beide werden eins werden in dem großen menschlichen Reiche, das zwischen dem atlantischen und dem stillen Meer, zwischen dem nördlichen und dem südlichen Ocean emporwächst. Denn wenn auch Südamerica jetzt keine Bevölkerung und keine Charaktere aufweist, welche Achtung und Bewunderung hervorrufen; wenn sie noch der Natur zu unterliegen scheinen, statt sich über sie zu erheben; wenn die Sonne sie ermüdet, statt daß sie von ihrem glühenden und reinen Lichte inspirirt werden; so wissen wir doch, daß unter diesem Himmelsstrich, unter dieser Sonne, diesen Palmen die sonnenanbetenden Peruaner und die edlen Azteken lebten; daß unter diesem Himmelsstrich, dieser Sonne, diesen Palmen im Osten die älteste Weisheit, die älteste Poesie auf Erden hervorgebracht wurden, die Vedas der Hindus, ihre Tempel, deren Ruinen noch jetzt unsere Bewunderung ausmachen, ihre Gesänge und Dichtungen, Sakontala, Urvasi und Vikrama und dergleichen liebliche und edle Poesien, die bloß unter Palmen und in einer Luft wie diese gedichtet werden konnten, die sinnreichen Märchen, das Schachspiel, der Bajaderen lustiger Tanz und manche Kunst und Wissenschaft für Verschönerung des Lebens, welche bloß da emporkommen kann, wo das Naturleben wie ein Festtag ist. Und was einmal geblüht hat, das kann unter ähnlichen Verhältnissen in neuen oder ähnlichen Bildungen wiederkehren. Des Morgenlands tropischer Kreis hat seine Blume hervorgebracht; des Westlands Kreis wird die seinige noch im Lichte des Christenthums hervorbringen. Jetzt kann man bloß ahnen, was er dereinst werden wird; man kann es ahnen aus dem herrlichen Naturleben, das noch immer sein schönstes Erzeugniß ist.

Aber von Nordamericas Bevölkerung und Staaten wünschen Ew. Majestät Etwas zu hören, und von ihnen will ich vor allen Dingen sprechen, denn so sehr Ew. Majestät das Schöne in der Natur lieben, so weiß ich, daß Ew. Majestät gleichwohl noch inniger das lieben, was zum Menschenwohl und Menschenglück in der eigentlicheren und höheren Bedeutung gehört. Sind nicht Ew. Majestät eine der Mütter der Menschheit, eine von jenen hohen und holden, die das junge Geschlecht umfassen, um es höher emporzuheben, näher dem Vater des Lichtes und der Vollkommenheit?! … Waren Ew. Majestät nicht von vater- und mutterlosen Kindern, die zu Ihnen als zu einer Mutter aufschauten, umgeben, als ich Ew. Majestät zum ersten Mal sah an jenem Weihnachtsabend, wo die Weihnachtslichter an der nordischen Fichte brannten, den Kindern zur Freude und dem himmlischen Kinderfreunde zu Ehren? Und habe ich nicht mehr als einmal Ew. Majestät den Wunsch und die Hoffnung aussprechen gehört, daß einst eine Gesellschaft auf Erden sich bilden möge, in welcher alle Mitglieder gleiche Gelegenheit zur Erlangung von Tugend, Kenntnissen, Thätigkeit und Wohlstand haben werden, eine Gesellschaft, in welcher Güte und Tüchtigkeit die höchste Aristokratie ausmachen würden und der höchste Rang dem höchsten menschlichen Werthe zukäme? Und so entfernt auch Americas Vereinigte Staaten noch von diesem Gesellschaftsideal sein mögen, so läßt es sich nicht läugnen, daß sie darnach streben, daß sie ihn täglich immer näher kommen, mehr vielleicht als irgend andere Staaten auf Erden. Dieß gilt insonderheit von den nördlichen und freien Staaten der Union, die hauptsächlich von den Abkömmlingen der ältesten Pilger bevölkert sind, und wo der Quäkerstaat überall hin seine Boten von innern Licht, von Freiheit, Frieden und allgemeiner Brüderschaft ausgesandt hat. Enthusiasmus für Religion und Menschenwohl hat diese nördlichen Staaten gegründet. Auf diesem Grund sind sie groß und stark geworden und wachsen noch heute, ihre Herrschaft immer mehr ausbreitend.

Die südlichen Staaten erkennen zwar dieselben Principien von Freiheit, Menschenrecht und Menschenwohl als ihr Ziel an, aber sie tragen eine Kette, die ihre Fortschritte auf dem Weg der menschlichen und staatlichen Entwicklung hemmt, eine Kette, die sie theils nicht abschütteln wollen, theils nicht abschütteln können, nemlich das Sklavereiinstitut. Sie haben den Neger als Sklaven gebunden und der Negersklave bindet sie, hindert sie das Schulwesen, die Industrie und alle guten gesellschaftlichen Einrichtungen zu entwickeln, welche den Staat stark und groß machen, wie dieß in den nördlichen Staaten der Union geschieht.

In diesen ist es eine große und reine Freude, die Entwicklung des Freiheitslebens zu betrachten. Und trotz der Unarten und Abarten desselben, die sich da noch frei machen und Unordnungen stiften, gewährt doch das Ganze ein herrliches Schauspiel.

Denn die Bewegung der ganzen Gesellschaft ist da eine aufwärts gehende; sie ist ein Strom von Cultur und Zunahme, der alle Classen, alle Zweige der Thätigkeit umfaßt, der auch das entfernteste Individuum erreicht und selbst das vereinsamste mit sich nimmt.

Dazu ist es in der Gesellschaft gekommen, daß sie klar bei sich empfindet und klar und stark in Worten und Handlungen ausgesprochen hat, daß es Pflicht des Staates ist, dafür zu sorgen, daß jeder Bürger desselben ein Mensch werden kann.

Daher das große und vortreffliche Volksschulsystem, das zuerst in dem Pilgerstaat Massachussets begonnen, hernach aber mit Modificationen und Verbesserungen in allen freien Staaten der Union befolgt worden ist. Ueberall sind da freie allgemeine Schulen entstanden, wo die Kinder, Knaben und Mädchen (in abgesonderten Schulen) freien Unterricht bis in ihr fünfzehntes oder sechzehntes Jahr erhalten, wo sie dann von diesen Schulen aus in Hochschulen und Akademien eintreten können, falls sie es nicht vorziehen, ins praktische Leben zu treten mit dem Maaß von Kenntnissen, welches die allgemeine Schule ihnen gegeben hat, und das nicht so unbedeutend zu sein scheint, da viele von Nordamerikas besten Leuten und trefflichsten Staatsmännern in keiner andern Schule als in dieser und in der Schule des Lebens studirt haben.

Ew. Majestät weiblichem und mütterlichem Sinn möchte ich vor allen Dingen diese großen und immer mehr sich entwickelnden Anstalten für die Erziehung des jungen Geschlechtes, die allen jungen Mitgliedern der Staatsgesellschaft geöffnet sind und die Kinder der Armen noch mehr begünstigen als die Kinder der Reichen, sodann neben diesem Gemälde die wachsende Bedeutung vorstellen können, welche das junge Weib als Lehrerin auch außer der Familie und der Heimath im Staate gewinnt. Ich möchte den Blicken Ew. Majestät diese großen heitern Lehrsäle vorführen können, die man jetzt in den allgemeinen Schulen sieht von Massachussetts bis Wisconsin und Illinois, von New-Hampshire bis nach Ohio, Lehrsäle, wo Licht und Luft frei hereinströmen dürfen, Lehrsäle voll von schönen Kindern mit hellen, lebensvollen Blicken, und wo die jungen Lehrerinnen, Neuenglands Töchter und Neuenglands Ehre, fein und anmuthsvoll an Wesen und Ansehen, gleichwohl fester auf ihrem Boden stehend als die Alpen und Anden, einen Schwarm junger Republikaner in der Schule beherrschen, leichter und besser, als irgend ein strenger Magister mit Baßstimme und Karbatsche.

Americas junge Töchter in den freien Staaten der Union werden nicht in Unwissenheit und Unthätigkeit erhalten, wie noch immer der größere Theil der jungen Mädchen in Europa. Frühzeitig lernen sie, daß sie sich auf Gott und auf sich selbst verlassen müssen, wenn sie Achtung und selbstständigen Werth gewinnen wollen; frühzeitig treten sie aus der väterlichen Heimath und in die Schulen, wo ihnen Gelegenheit bereitet ist in Studien und Wissenschaften eben so weit zu kommen wie die Jünglinge, und wo sie beweisen, daß die Wissenschaften, die man bisher für sie zu schwer geglaubt, ihnen eben so leicht erreichbar sind, wie die oberflächlichen Kenntnisse und Talente, auf die man bisher ihre Erziehung beschränkt hatte. Sie zeichnen sich aus durch ihre Kenntnisse in der Mathematik, in der Rechenkunst, Physik, den alten Sprachen, wenigstens dem Latein, und mehreren andern ihnen bis jetzt verwehrten Zweigen der Gelehrsamkeit; ihre schriftlichen Compositionen in Versen und Prosa bekunden eine bei so jungen Jahren ungewöhnliche Reinheit des Styls, Klarheit des Gedankens und Weite des Gesichtskreises. Man sieht, daß der Geist der neuen Welt die Schwingen ihrer Geister gelöst hat und ihnen einen freien Flug über das Feld der Erde hin gestattet. Das amerikanische Weib wird zur Weltbürgerin gebildet; sie soll die ganze Menschheit umfassen lernen. Dieß ist offenbar der Sinn ihrer Schulerziehung, wenn es ihr auch noch an einem System fehlt, das dazu führen kann. Aus den allgemeinen Schulen können die Mädchen in Hochschulen und Frauenzimmerakademien übertreten, wo sie den Grad und das Diplom erhalten, und damit versehen können sie als Lehrerinnen über die ganze Union ausgehen.

Und dieß thun insbesondere die Töchter der Staaten Neuenglands, die einen eigenthümlichen Beruf für den Lehrstand zu haben scheinen, welchen sie sehr häufig, nicht aus Nothwendigkeit, sondern aus Neigung ergreifen.

Ueberall in den Vereinigten Staaten, im Westen wie im Norden und Süden der Union, wo immer die Schule in Wirksamkeit tritt, findet man junge Lehrerinnen aus den Staaten Neuenglands, d. h. aus denjenigen Staaten, die von den Abkömmlingen der Pilgerväter bevölkert worden sind. Und das Ansehen des Weibes als Lehrerin der Jugend steigt in Amerika immer mehr.

Aber nicht bloß in ihrer Eigenschaft als Lehrerin sucht der Geist der neuen Welt der Frau eine freiere Entwicklung ihres Wesens und Wirkungskreises zu bereiten; auch in der Kunst und Industrie sucht er ihr freie Bahnen zu eröffnen.

„Wenn ich die Wahl hätte, ob ich die Erziehung in einem Lande den Männern oder den Weibern übergeben sollte, so würde ich die Männer bei Seite lassen und mit den Weibern anfangen‚“ sagte eines Tags einer der Gesetzgeber hier zu Lande zu mir.

Und ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte, daß diese Ansicht vom größten Theil der Männer in den Vereinigten Staaten getheilt werde. So stark ist die Ueberzeugung von der Macht des weiblichen Einflusses auf das aufwachsende Geschlecht.

Und es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß die Arbeit für die höhere Entwicklung und Bedeutung des Weibes im Staate zu den ausgezeichnetsten Zügen, den größten Verdiensten und der wichtigsten Zukunftsarbeit der neuen Weltbildung gehört. Es ist jetzt nur nöthig, daß man sie nicht auf halbem Weg stehen lasse. Ich glaube nicht, daß es den Männern an Rechtssinn und Ritterlichkeit fehlen wird, wenn die Weiber mit Verstand und edlem Ernst die Stelle einnehmen wollen, welche die Staatsgesellschaft ihnen hier zu gestatten beabsichtigt.

Mit Recht pflegt man den Bildungsgrad eines Volkes nach seiner Achtung für die Frau und nach der Stelle, welche sie in der Gesellschaft einnimmt, zu bemessen; denn um ein Wesen zu würdigen, dessen höchste Kraft eine geistige ist, ist ein nicht geringer Grad von geistiger Cultur erforderlich. Americas Volk hat bewiesen, daß es diese Cultur besitzt, und sie wird in dem Maße zunehmen, wie die Frauen des Landes sich darum verdient machen werden.

Ich sprach von einen Strom von Cultur und Wachsthum, der in den freien Staaten alle Mitglieder der Gesellschaft beschäftige, und ich bezeichnete die Volksschule als die wesentlichste Macht desselben. Diese und mehrere die menschliche Entwicklung begünstigende Anstalten gehören dem Staate, aber ihnen zur Seite geht eine Bewegung freier Entwicklung im Volksleben, die ich mit der Cirkulation des Saftes in einem freiwachsenden Baume vergleichen möchte. Die freie Association tritt an die Stelle der alten Zunftordnung als Ordnerin und Fördererin all der verschiedenen Interessen und Verrichtungen des Gesellschaftskörpers. So entstehen religiöse, moralische und industrielle Corporationen innerhalb der großen Gesellschaft und in getreuem Verhältniß zu ihr, während der gute Wille und die besondere Kraft und Begabung jeden Individuums darin bis zum höchsten Grad geltend gemacht wird. Die Vereinigten Staaten stellen die höchste Entwicklung und Bereinigung der Individualität und der Allgemeinheit dar. Diese Bewegung von innen, aus dem eigenen gesellschaftlichen Wesen der Menschheit heraus, wird von außen begünstigt durch die freie Circulation und Communication, welche Nordamerikas viele schiffbare Flüsse darbieten, auf denen Tausende von Dampfbooten gehen, und in der letzten Zeit durch die Eisenbahnen und Telegraphenlinien, die sich über alle Theile der Union von Staat zu Staat, von Stadt zu Stadt hinspinnen.

Die starke Verbreitung von Zeitungen im Lande sowie aller Bücher, welche die Liebe des Volksherzens gewonnen haben, namentlich der religiösen Volksliteratur, die sich in Millionen kleiner Schriften, Traktätchen oder Erzählungen gleich einem Morgenthau oder einem Mannaregen über die Bevölkerung ausgießt, gehört wesentlich mit zu dieser lebenspendenden Circulation.

Und überall wo der Angloamericaner auftritt, entstehen dieselben Bildungen und dasselbe Leben. Mit erstaunlicher Kraft und Sicherheit führt er seine Mission als Cultivator der Welt und Bildner freier sich selbst regierender Staaten aus, und selbst das Sklavereiinstitut vermag der Kraft der Cultur und Freiheit, die mit ihm über die Erde hingeht, nicht zu widerstehen.

Ueberall wohin die Söhne und Töchter der Pilger dringen, gründen sie das Familienleben, die Schule und Kirche, die Handelsbude, die gesetzgebende Versammlung, das Hotel für Fremde, das Asyl für die Unglücklichen oder die Elternlosen, und selbst das Gefängiß wird in eine Besserungsanstalt, in eine Schule für den unwissenden oder entarteten Sohn verwandelt. Ueberall wohin sie kommen, bekennen sie laut den Namen und die Lehren des Meisters, welcher der Weg ist und die Wahrheit und das Leben, und auf diesen Fels gründen sie das Leben des Staates und der Gesellschaft. Des angloamericanischen Volkes Recht ein großes Volk zu werden, liegt in seiner Christologie. Der Geist des Weltversöhners ists, der es zum Welteroberer macht.

Wenn man die nordöstlichen Staaten, wo die Fahne der Religion und Freiheit zuerst aufgepflanzt wurde, verläßt und sich westwärts begibt bis an die Grenzen der Wüste jenseits des Missisippi, wo noch der Indianer Wildpret jagt, seine Zelte errichtet und seine nächtlichen Feuer anzündet, kann man den Gang und die Art und Weise der neuen Cultur am besten beobachten.

Ew. Majestät haben gewiß schon oft Beschreibungen des wunderbaren Niagarafalles und der beinahe noch wunderbareren Prairien des Westens, wo die Sonne ihr Bild in einem Ocean von Sonnenblumen abspiegelt, die im Winde wogen, gewiß auch schon oft von dem plötzlichen Wachsthum der Staaten und Städte in dem großen Westen, von dem großen Missisippifluß und den Goldgruben Californiens, dieses Löwen des großen Westlandes, gelesen. Aber weniger bekannt, weniger beschrieben sind die ersten Schritte der Bildung, ihr erstes Keimen in der Wildniß, und das war es, was neben dem großen Naturschauspiel meine Aufmerksamkeit am meisten anzog. Denn es ist angenehm an den ersten Schritten des Kindes zu bemerken, wie es später gehen und bis zu den Mannesjahren heranwachsen wird.

Wollen Ew. Majestät sehen, wie das Kind — die Cultur der neuen Welt — seine ersten Schritte thut?

Die Bäume fallen vor der Axt des Colonisten an den Ufern der Flüsse entlang — und Flüsse finden sich überall in Nordamerika; — ein kleines Blockhaus erhebt sich am Saume des Waldes und am Ufer des Flusses; ein Weib steht an der Thüre mit einem kleinen, derben Kind auf dem Arm. Vor dem Haus reißt der Mann die Erde auf und pflanzt Mais; in einiger Entfernung weiden ein paar fette Kühe und einige Schafe auf dem freien, unverschlossenen Felde. Der Mann bepflanzt den Acker und milkt die Kühe; er verrichtet alle Arbeit außer dem Hause. Das Weib bleibt im Innern des Hauses und versorgt die Kinder und das Hauswesen; besser sorgt kein Weib. Die Reinlichkeit und Ordnung in ihrem eigenen Wesen spiegelt sich in allen Dingen innerhalb des Hauses ab. Auf der ganzen Welt findet sich kein saubereres und angenehmeres Haus, als das americanische — selbst das arme. — Kein Wunder also, wenn der Mann drinnen sein Behagen findet, wenn der Americaner fast von keinem andern Vergnügen weiß, als von demjenigen, das er in seinem Heimwesen findet, wenn er kein andres Ziel der Glückseligkeit auf Erden kennt, als den Besitz einer guten Gattin, eines guten Hauswesens. Das Blockhaus ist im Walde entstanden und nicht weit davon entstehen auf dieselbe Art zwei oder drei andere Blockhäuser; darin findet man zierlich aufgeschlagene Betten und auf dem Schrank immer eine Bibel, ein Gesangbuch und einige Lehrbücher. Etwas weiter davon erhebt sich ein etwas größeres Blockhaus, wo ein paar Duzend Kinder, halbwilde Jungen der Wildniß, sich versammeln. Dies ist die Schule. Das Zimmer ist arm und ohne Möbel; aber an den Wänden hängen Carten von allen Theilen der Welt, und in den Händen des Kindes befinden sich Bücher, welche die Aussicht über die ganze Welt gewähren, und Lehrbücher, welche die edelsten Perlen der Literatur in Denksprüchen, kurzen Abhandlungen, Erzählungen, Poesien u. s. w. enthalten.

Nach der Hand erheben sich mehrere Häuser, einige von Brettern, andere von Stein; sie werden immer zierlicher, umgeben sich mit Obstbäumen und Blumen; man sieht eine hölzerne Kapelle gleichzeitig mit den hölzernen Häusern entstehen; wenn die steinernen Häuser kommen, so kommt auch die steinerne Kirche und das Staatshaus. Das Erdreich ringsum ist von Ernten bedeckt; die Heerden wachsen, und bald sieht man ein paar Dampfboote den Fluß heraufkommen, an der neuen Colonie anlegen, Waaren austauschen und Zeitungen zurücklassen. Binnen zwei Jahren ist hier ein Städtchen von 2000 Personen; mütterliche Weiber stiften die Sonntagsschule in der Kirche, versammeln kleine Kinder zur Unterweisung im Christenthum und richten das Asyl für die elternlosen Kleinen ein. Die Handelsbude hat sich gleichzeitig mit der Schule und der Kirche erhoben und bildet nebst diesen das Handzeichen des Angloamericaners. Und überall, wo er sie aufpflanzt, da zieht sich der rothe Mann, jetzt beinahe ohne Widerstand, mit seinen Zelten und seinen erniedrigten Weibern zurück und geht, um weiter hinweg in der Wüste seine Feuer anzuzünden und seine Zelte zu errichten. Er weiß aus Erfahrung, daß die Colonie, die er aufwachsen sieht, innerhalb eines Vierteljahrhunderts eine große Stadt mit 50,000 oder noch mehr Einwohnern sein wird.

Ich habe von dem Fortschreiten des neuen Menschen im Westlande gesprochen, aber ich muß zur Steuer der Gerechtigkeit auch einige Worte von dem Fortschreiten des alten sagen; denn auch der alte geht gleichzeitig mit dem neuen voran, und er ist auch hier auf der neuen Erde der alte Sünder, er sauft, rauft, spielt, er stiehlt, macht Possen und brüstet sich, tout comme chez nous, und in dem großen Westen am Missisippi und an dem stillen Ocean treibt er es vielleicht noch etwas schlimmer, weil die Menge gewissenloser Glücksritter sich hauptsächlich da versammelt und die zurückhaltenden Kräfte sich noch nicht vollkommen geltend machen konnten. Die Freiheit ist hier noch in ihren Flegeljahren.

Eine große Schwierigkeit in der Cultur des Westens ist die starke Auswanderung dahin, unternommen von einem großen Theil der rohesten und ärmsten Bevölkerung Europas sowie von den ungerathenen Kindern der östlichen Staaten Americas. Allmälig jedoch ordnet sich diese Bevölkerung unter dem Einfluß der neuen Weltcultur, und mit jedem Jahr erhält der neue Adam eine größere Herrschaft über den alten, je mehr die bessere Auswanderung aus den Pilgerstaaten zunimmt und festen Fuß faßt, je mehr mit ihr die Schule, die Kirche und die bessere periodische Presse Spielraum gewinnen.

Das Missisippithal hat Platz für ungefähr 200 Millionen Anbauer, und die Union Americas hat Herz und Macht genug alle Fremdlinge, alle verwahrloste oder mißrathene Kinder der Erde in sich aufzunehmen und ihnen einen Theil ihrer Erde und ihres geistigen Lebens zu geben.

Dieses Missisippithal, Nordamerikas Centralregion, stellt in seiner Ausdehnung alle Hauptzüge dar, welche das große Reich der Vereinigten Staaten auszeichnen, wozu ich, was Volk und Natur betrifft, auch die englischen Colonien im Norden rechne. Es umfaßt von den Quellen des Missisippi im nördlichen Minnesota an bis zur Mündung des großen Flusses im mexicanischen Meerbusen im Süden alle Arten von Clima mit Ausnahme des nördlichsten, alle Producte, welche dieser Welttheil hervorbringt, alle Bevölkerungen, die er in seinem Schooße birgt. In Minnesota sehen wir die Indianer noch mächtig. Der Tannenwald ist hier zu Hause und der Winter ist frisch wie bei uns. Da sind herrliche Quellen, fischreiche Flüsse und Seen, reiche Jagden und gute Kornfelder, aber ungebaut. Norweger und Dänen haben angefangen bis hieher zu dringen. Aber die eigentlichen Colonien der letzteren und der Schweden finden sich jetzt südlich von Minnesota, in den Staaten Wisconsin und Illinois, wo die Natur wie eine großartige, freundliche Idyllle ist. Hier wächst allmälig ein neues Scandinavien empor. Und es macht mir Freude bezeugen zu können, daß unsere Landsleute allgemein als ehrliche, fleißige und brave Leute betrachtet werden. Sie müssen streng arbeiten und im Anfang Vieles entbehren. Aber je mehr die Zahl der Arbeiter zunimmt, je leichter die Arbeit wird, um so mehr gibt der im Allgemeinen reiche Erdboden. Die Norweger bilden den ackerbauenden Kern der scandinavischen Bevölkerung. Die Dänen sind im Vergleich mit dieser schwach vertreten, und ich fand sie hier öfter als Handelsleute, denn als Ackerbauer.

In Wisconsin und Illinois beginnt Nordamericas eigentliche Kornregion und die ungeheure Kornkammer, die, auf beiden Seiten des Missisippi bis in die Staaten Kentucky und Missouri fortgesetzt, wie man sagt, alle Staaten der Union mit Brod versehen könnte, nemlich wenn einmal ihr Boden vollkommen angebaut ist. Jetzt sieht man da zwar große Felder von dem goldnen säuselnden Mais, aber noch größere, auf denen bloß hohes Gras und wilde Blumen wachsen. Deutsche und Irländer strömen nach dieser Region. Die halbe Bevölkerung der großen, starkbewohnten Städte besteht aus Deutschen. Sie musiciren, halten Scheibenschießen und Tänze, und trinken Bier wie in der alten Welt, während sie an der Gesetzgebung und dem Geschäftsleben der neuen Theil nehmen. Unterhalb Kentucky und Missouri beginnt die Baumwollenregion. Man sieht Baumwollenplantagen und Sklavendörfer. Hierauf kommt die Region des Zuckerrohrs mit sommerwarmen Winden und Sonne mitten im Winter, schönen Plantagen, Magnolien und Orangenhainen. Hier ist Louisiana, die mildeste Sommerluft und die härteste Sklaverei und der südlichste von Missisippis Staaten.

Hier trifft man Franzosen und Spanier sowie Leute aus allen Ländern der Welt, Alles unter anglo-americanischer Regierung.

Ein eigenthümliches Schauspiel im Leben der Vereinigten Staaten gewähren die südlichen Staaten durch ihre Natur und ihre Einrichtungen. Der Reisende in diesen südlichen Staaten wird nicht erbaut. Keine Gesellschaftsideale lenken hier sein Gemüth und seine Blicke in die Höhe; kein großes allgemeines Streben hebt hier, wie in den freien Staaten, das Leben des Individuums und des Staates. Aber er ergötzt sich an den vielen neuen und ungewöhnlichen Gegenständen, er trifft viele außerordentliche und angenehme Personen, glänzend wie Diamanten im Sande; er sieht eine neue Naturwelt voll von Schätzen vor sich aufgethan — — der Zauber der eigenthümlichen Natur des Südens, die Lieblichkeit der Luft während des größern Theils vom Jahre, die Urwälder an den rothen Flüssen entlang, mit ihren tausenderlei Baumarten, Blumen und Schlingpflanzen, der Gesang des hundertzüngigen Vogels, der Nachtigal Amerikas (turdus polyglottus) und des lieblichen, aber eintönig flötenden Whip poor Will, die vielen herrlichen Bäume, Die Lebenseichen mit ihren langen, flatternden Moosen, die Magnolie mit ihren großen schneeweißen Blumen, die Cypressen, die Tulpe und der Ambrabaum, die Fächerpalmen, der Reichthum an Sonne, Blumenduft und Vogelsang, die lieblichen Früchte und mitten in dieser schönen Naturwelt das Negervolk mit seinem eigenthümlichen von der Sklaverei nicht verwischten Leben, mit seinen religiösen Festen, seinen Hymnen und fröhlichen Melodien — — der Reisende im Süden wird nicht wie im Norden der Union von edlen, großartigen Bestrebungen und Institutionen erbaut, aber er wird angenehm belebt; er ruht und genießt, wenn er nicht durch irgend eine neue bittere Erfahrung des Unrechts, das die Gesetze hier aufrecht halten, gestört wird, oder sich über die Personen ärgert, die aller Wahrheit und gesunden Vernunft zum Trotz dasselbe als etwas Gutes und Erlaubtes vertheidigen.

Die Sklavereifrage ist die große Streitfrage des Tags in America und wird es wohl auch bleiben, bis die Sklaverei aufgehört hat, denn diese Institution ist ein allzu schneidender und lügenhafter Contrast gegen das americanische Staatsprincip, eine allzu himmelschreiende Sünde gegen Recht und Menschlichkeit.

Das muß man jedoch sagen, daß der nordamericanische Gesellschaftsgeist in den letzten Jahren einen starken Einfluß auf die Milderung des Zustandes der Sklaven ausgeübt hat, und man kann mit Recht behaupten, daß dieser von Jahr zu Jahr besser werde. Der edlere Volkssinn in den südlichen Staaten thut gegenwärtig viel, um die schwarze Bevölkerung sowohl leiblich als geistig zu heben. Das Evangelium wird immer allgemeiner den Sklaven gepredigt, besonders in den Staaten, wo das religiöse Leben von jeher stark war, in Georgien und Carolina, und wo es gepredigt wird, da heben sich die Sklaven, bilden religiöse Gesellschaften, predigen selbst mit Kraft und Freude den Erlöser, den Versöhner, und erheben zu seiner Ehre Hymnen, von deren Schönheit und Harmonie man keine Ahnung hat, wenn man die musikalischen Talente der Africaner bloß nach ihren Gesängen und ihrem Geheul in ihrem wilden Zustand beurtheilt. Ja, würden die Gesetze in den südlichen Staaten dem Evangelium auf der Spur folgen, so würde ich ihnen eine große Zukunft zu prophezeien wagen, und sie würden da ein großes Werk ausführen.

Betrachtet man den Zustand der Sklaven nach seiner besten Seite in den Staaten Americas, so ist er unter einem guten Herrn ein Stillleben ohne Zukunft, aber nicht ohne Genüsse. Der Sklave auf der Plantage hat sein eigenes sauberes Häuschen, seinen eigenen Garten, dabei ein Schwein und Federvieh. Seine Arbeit wird ihm mit Billigkeit zugemessen und er kann sich einige frohe Tage machen; seine Kinder werden gut genährt und er denkt nicht an den morgenden Tag.

Die Haussklaven sind in guten Häusern besser gehalten und versorgt — z. B. in Bezug auf Wohnungen und das Alter — als zuweilen die freien Diener bei uns.

Aber es ist nicht gut dem Menschen ein ausschließliches Recht über seinen Mitmenschen zu geben. Keine Lage ist schauerlicher und hoffnungsloser als die Lage eines Sklaven unter einem bösen Herrn, und es finden sich Beweise dafür genug in der Alltagsgeschichte der Sklaverei in den Vereinigten Staaten Americas. Ueberdieß führt die Institution unselige und erniedrigende Folgen sowohl für die weiße als für die schwarze Bevölkerung mit sich, Folgen, welche selbst die besten Herrn nicht abwehren können. Und auch der beste Herr muß sterben oder kann er in Geldverlegenheiten kommen, und dann werden seine Diener verkauft wie das liebe Vieh.

Für die wirklich edlen und guten unter den Sklavenbesitzern in diesen Staaten ist die Sklaverei eine Quelle mannigfacher Bekümmernisse, und sie betrachten diese Einrichtung als ein Unglück, dem sie gern ein Ende machen möchten. Mehrere arbeiten auch wirklich in ihren nächsten Umgebungen im Stillen dafür.

Bei dieser flüchtigen Zeichnung einiger der vornehmsten Erscheinungen in dem großen Staatsleben der Vereinigten Staaten habe ich mehrere geringere bei Seite lassen müssen, die jedoch gleich Genrebildern in einer Gemäldegalerie geeignet sind dem Ganzen Wechsel und ein lebhafteres Interesse zu verleihen. Ich muß jedoch unter diesen einige kleine Gesellschaften nennen, die in der großen Gesellschaft in Freiheit leben, obschon sie sich durch ihre eigenen Manieren und Sitten von ihr unterscheiden, wie z. B. die Quäker mit ihrem einfachen Aufzug, ihrem Du mit der ganzen Welt, ihrem stillen Gottesdienste, und der Theilnahme ihrer Weiber an der Predigt und an der Rathsversammlung; die Schäker mit ihrem tanzenden Gottesdienst; die kleinen socialistischen Vereine, welche liebevoll allen guten Arbeitern ein gleiches Maß von den Gütern des Erdenlebens zuzuwenden suchen; die Brüdergesellschaft der Herrnhuter, die von Deutschland ausgegangen sind und noch jetzt in America, wie z. B. in den Städtchen Nazareth und Bethlehem, ihre Liebesmahle und ihre schönen Chöre fortpflanzen.

Zu den pittoresken, eigenthümlichen Schauspielen auf Americas Erde müssen die Taufscenen an Flüssen und Seeen gerechnet werden, wo man weiße und schwarze Neuchristen zum Leben der Heiligkeit einweiht; die religiösen Feste, Lagerversammlungen genannt, bei welchen in der Tiefe der Nacht und der Wälder, an den Flammen des Feueraltars Tausende von Stimmen harmonische Stimmen erheben, und die Seele schauert in einem religiösen Gefühlsleben, das mit körperlichem Wohlbehagen durch Speise und Trank abwechselt. Diese Feste sind insbesondere die Saturnalien der Negersklaven, und Gebete, und Gesänge sind warm und belebend wie die Sonne des Südens.

Wenn man die Vereinigten Staaten verläßt und sich nach der südlichen Hemisphäre Americas begibt, so findet man sich binnen drei Tagen in eine neue Welt versetzt. Auf Cuba tritt sie uns zuerst entgegen. Himmel und Erde, Volk, Sprache, Gesetze, Sitten Bauart, Alles ist neu, und dieser plötzliche Scenenwechsel hat etwas unbeschreiblich Erfrischendes, wenn auch nicht Alles daran gut ist.

Südamericas Natur, vorherrschende Bevölkerung und Sprache ist es, was uns auf Cuba entgegentritt; es ist die Region der Palmen, die Sonne des Wendekreises, Spaniens Sprache und Herrschaft. Die eine Hälfte Americas gehört der anglogermanischen und normännischen Völkerrace, die andere der romanischen. In der ersteren waltet der Protestantismus vor, in der letzteren der Katholicismus. Aber auf Cuba, dieser herrlichen Oase zwischen den beiden Welthälften, mitten in dem salzigen Weltmeer, scheinen die beiden Racen sich ein Rendezvous gegeben zu haben — ob zum Krieg oder zur friedlichen Vereinigung, läßt sich jetzt unmöglich schon sagen.

Cuba ist in diesem Augenblick ein Zankapfel zwischen zwei stolzen Regentinnen, und noch ist kein Paris aufgetreten, um den Streit zu schlichten.

Cuba ist auch ein Kampfplatz für die Mächte des Lichtes und der Finsterniß und selten auf Erden sieht man sie so nahe beisammen und in schärferem Contraste stehen.

Auf der Nachtseite sind der Staat und die Kirche; der Staat mit seiner gewaltsamen und despotischen Regierung, die von Spanien aus blind die ferne Colonie durch Abgesandte verwaltet, welche das Mutterland nicht zu bewachen vermag, und den Eingebornen alles Recht auf Selbstregierung verweigert; die Kirche, die bloß in prunkenden Ceremonien lebt und alles geistigen Religionslebens ermangelt; auf der Nachtseite ist vor Allem die Sklaverei, die auf Cuba in ihrer rohesten Form auftritt, und der Sklavenhandel mit Africa, welcher täglich vor sich geht, wenn er auch nicht offen betrieben wird. Die Regierung auf der Insel läßt sich von dem Sklavenhändler bestechen und thut, als ob sie die Tausende von Sklaven nicht sehe, die jährlich ans Land gesetzt werden. Ja es wird behauptet, daß sie es heimlich nicht ungerne sehe, wenn die Insel sich mit wilden Africanern fülle, weil die Furcht vor ihren ungezügelten Kräften (wenn sie einmal losgelassen werden) die Creolen vom Aufruhr gegen eine Regierung abhält, welche sie nicht anders als hassen können. Die Regierung bedrückt den Sklavenhalter, der Sklavenhalter bedrückt den Sklaven, und weiß, um ihn zu bezwingen, kein anderes Mittel, als Peitsche und Ketten. Der Zuckerpflanzer treibt nicht selten seine Sklaven härter als Lastthiere und verlangt von ihnen mehr Arbeit, als die Menschennatur auszuhalten vermag. In den Festungsmauern der Bohea leben die Sklaven wie das Vieh. Es wird ihnen kein Erlöser gepredigt, und die einzigen Genüsse, die ihnen erlaubt sind — wie wohl auch dieß im allerknappsten Maße — sind thierische Genüsse. Wilder Aufruhr hat zuweilen von der Gräßlichkeit des Druckes, sowie von dem wilden Muth und der Kraft der Neger gezeugt; aber öfters sterben sie, ohne daß sie es wagen ihre Stimme zu erheben oder eine Hand zur Vertheidigung oder Anklage zu rühren; oft machen sie in den ersten Tagen der Gefangenschaft ihren Qualen selbst ein Ende, da unter ihnen der Glaube gäng und gäbe ist, daß sie gleich nah dem Tode in ihrem Heimathland wieder auferstehen werden. Die Regierung und der Zustand auf Cuba sind in ihren Hauptzügen vom Palast des Gouverneurs an bis zur Bohea des Sklaven eine Regierung der Gewalt und des Despotismus. Gerechtigkeitsgefühl und Edelsinn findet sich zwar bei Einzelnen, aber nicht im Allgemeinen. Es gibt Gesetze, die von einem hochsinnigen Geist zeugen, aber sie werden so viel als möglich umgangen.

Mit dieser Nachtseite vom Leben auf Cuba steht die Lichtseite im stärksten Contrast. Da ist der Tropenhimmel, so mild wie eines Engels Blicke, seine Sonne so rein und zart wie die reinsten Töne der Musik; da ist der Wind, ein Hauch, so lieblich, so rein, so voll von lebendigem Leben, als entspringe er ganz frisch aus der Quelle des Lebens und der Liebe, wie an jenem Morgen, wo Alles jugendfrisch und gut war; da ist die eigene Naturwelt der Tropen, voll von wunderbaren Pflanzen und Scenen; diese Palmhaine, wo Unsterbliche lustwandeln sollten; diese paradiesisch schönen Gärten, wo Caffeebusch und Bananasbaum in zierlichen Pflanzungen wachsen und eine ewige Blüthe, eine ewige Fruchtbildung vorherrscht, diese stattlichen Guadarajahs von Königspalmen, welche zu Triumphzügen von Königen und Königinnen gepflanzt zu sein scheinen, eine Schönheit in Lust und Leben, Formen und Farben, welche unwillkürlich die Sinne bezaubert, aber sich nicht mit Worten oder Farben, sondern nur mit Tönen beschreiben läßt. Und Cuba, die Antillenkönigin, ist eine Kalypso, schön in ihren Sünden, die den Reisenden dermaßen fesselt, daß er wie weiland Telemach, um sie zu verlassen, eines weisen[WS 1] Mentors bedürfte, der ihn köpflings ins Meer hinabstürzte. Diese Empfindung habe auch ich, während ich von Woche zu Woche meinen Abschied von der Zauberin aufschob, überdieß zurückgehalten von der liebenswürdigen Gastfreundschaft der Creolen und von der Bekanntschaft mit einigen der edeln Menschen, welche die Zierde der Erde sind und auch von der Sklaverei, wenigstens für den Augenblick, ihren Fluch zu nehmen vermögen. Unter diesen muß ich besonders zwei Damen nennen — die eine davon hat dänische Eltern — die ich Dänemarks mütterlicher Königin vorstellen möchte, denn sie sind Mütter in des Worts höchster und heiligster Bedeutung, Mütter für die Mutterlosen, für den Fremdling, für den Sklaven, für alle Bedürftige.

Ich habe vom Nachtleben des Negers auf Cuba gesprochen. Lassen Sie mich jetzt auch Etwas von seinem Lichtleben erzählen, denn dieses gehört wesentlich zur Tagseite von Cubas Leben.

Cuba ist zu gleicher Zeit die Hölle und das Paradies des Negers. Die Sklavengesetze Spaniens, zu Stande gekommen unter dem Einfluß von sanften und edeln Individuen, wie der spanische Priester Las Casas[WS 2] war, sind mild und günstig für ihre Loskaufung. Und würden sie befolgt werden, so würde sich unter Spaniens Herrschaft kein ganz Unglücklicher vorfinden, weil dann kein hoffnungsloser Sklave da wäre. Aber wo das Sklaveninstitut vorherrscht, da ist das Gesetz immer außer Stands sich geltend zu machen. Inzwischen gibt es doch einige Punkte, in welchem die Freiheitsgesetze Spaniens für die Sklaven sich wirklich geltend machen, und zwar weil Spanien Gerichte und Richter eingesetzt hat, die darüber wachen, und an welche die Sklaven appelliren können.

Diesen Gesetzen zufolge kann der Sklave sich mit der gesetzlich bestimmten Summe von 500 Pesos oder Dollars aus der Sklaverei loskaufen. Kein Sklavenhalter hat das Recht dem Sklaven die Freiheit zu verweigern, wenn er dieses Lösegeld für sich bezahlt. Und das muß man sagen, daß mancher Sklavenhalter mild und gerecht genug ist, um dem Sklaven für eine weit geringere Summe seine Freiheit zu geben. Sollte der Sklavenhalter dem Sklaven die verlangte Freiheit verweigern, so kann sich dieser an den Syndicus der Stadt oder des Bezirks wenden. Dieser ernennt dann unter Zustimmung des Sklaven und seines Herrn ein Schiedsgericht von drei Personen, das einen Vergleich zwischen den Parteien herbeizuführen hat.

Nach dem spanischen Freiheitsgesetz hat eine Mutter das Recht ihr Kind vor seiner Geburt für 15 Pesos und nach der Geburt für die doppelte Summe loszukaufen. Doch soll dieses Gesetz nicht befolgt werden, wenn nicht gutmüthige Herren ihre Einwilligung ertheilen.

Das spanische Freiheitsgesetz gibt den Sklaven mehrere Gelegenheiten Geld zu erwerben, so daß der Augenblick der Freiheit ihnen immer wie ein Bethlehemsstern auf ihrem Weg durch die Wüste vorleuchten kann. Dieß gilt insbesondere von den Sklaven in den Städten. Auf den Plantagen und innerhalb der Mauern der Bohea wird es ihnen nicht leicht vom Stern der Befreiung zu hören und noch weniger ihn zu finden. Doch geschieht auch das zuweilen.

Diese Freiheitsgesetze haben inzwischen die Folge gehabt, daß von der Negerbevölkerung Cubas, die beinahe aus 500,000 Seelen besteht — ungefähr die Hälfte der Bevölkerung der ganzen Insel — beinahe ein Drittheil freie Neger sind. Und der freie Neger auf Cuba ist das glücklichste aller Geschöpfe. Die Gesetze des Landes gewähren ihm Schutz gegen alle Uebermacht und die Anfälle, die ihn in seinem eigenen Vaterland von Seiten feindlicher Stämme beständig bedrohen. Für eine geringe Abgabe wird er Eigenthümer einiger Morgen Land, dort baut er seine Hütte aus der Rinde der Palme und dem Laub der Palme. Um dieselbe pflanzt er seines Heimathlands Bäume und Wurzeln, sowie das goldene Korn. Die Erde trägt bei geringem Anbau Alles, was er bedarf. Er braucht nur wenig zu arbeiten und er kann viel genießen und ruhen. Die Sonne gibt ihm Feuer und hält ihn — wenigstens für den größeren Theil des Körpers — in den Kleidern frei; die Cocospalme gibt ihm Milch, der Platanenbaum Brod, die Königspalme füttert sein Schwein und seine Hühner, das Feld gibt ihm Zuckerrohr, und die wilden Bäume des Waldes lassen ihre mannigfaltigen Früchte für ihn fallen. Die africanische Trommel mit ihrem muntern Leben, Africas wilde Tänze und Gesänge sind ihm hier gestattet. Er führt hier ein wahres Canaansleben und will um keinen Preis nach Africa zurückkehren. Er ist glücklich.

Ich gestehe Ew. Majestät, daß es mich überrascht und schwer betrübt hat, finden zu müssen, daß die Vereinigten Staaten Americas an Gerechtigkeitsgefühl und Freiheitssinn in der Gesetzgebung für die Sklavenbevölkerung so weit hinter Spanien zurückstehen. Und es wird mir schwer zu erklären, wie der Edelsinn und der Nationalstolz dieses Volkes es dulden kann, in Freiheitsgesetzen von einer Nation übertroffen zu werden, der es sich gleichwohl an humanistischer Bildung weit überlegen glaubt, wie es in vielen Beziehungen auch wirklich der Fall ist. Die Spanier auf Cuba haben also nicht ganz Unrecht, wenn sie in dieser Sache auf die Americaner herabschauen und sie, wie ich dieß selbst gehört habe, Barbaren nennen.

Auf Cuba sind in diesem Augenblick vielleicht mehr glückliche schwarze als weiße Menschen. Der Sklavenbesitzer ist nicht glücklich; für ihn fächeln die Palmen nicht, ihn kost der liebliche Wind nicht, für ihn strahlt der klare, milde Himmel nicht; zwischen ihm und aller Herrlichkeit der Natur steht die Bohea und die Zuckermühle mit Negersklaven, die ihn fürchten, wie er sie fürchtet. Cubas milder Himmel gibt ihm keine Ruhe; er sieht das Damoklesschwert über seinem Haupte hängen und die Zukunft düster. Deshalb geht sein Dichten und Trachten dahin so viel Geld als möglich und so schnell er kann auf Cubas Erde zusammen zu raffen und sodann Cuba für immer zu verlassen.

Wenn ich an diese schöne Insel, an ihre herrliche Natur, ihre reichen Mittel denke, so kann ich nicht umhin, sie in meinen Gedanken in das zu verwandeln, was sie sein sollte, zu was sie in dem Gedanken des Schöpfers bestimmt zu sein scheint, ja nicht bloß sie, sondern all die schönen Inseln, welche Gott mit reicher Hand in das Südmeer ausgestreut hat, wie Juwelen auf seinem wogenden Mantel.

Unter diesen stehen als Vertreterinnen aller andern drei am höchsten in Bezug auf Schönheit, Größe und Reichthum: Cuba, St. Domingo und Ceylon. Aber ich will jetzt von Cuba, der schönen Königin der Antillen, sprechen.

Ich sehe sie da von ihren Fesseln erlöst und frei von Sklaven, sehe sie gekrönt von ihren Palmen und hohen Bergspitzen, gleichsam wiedergeboren aus den Wogen des Meeres, umkost von ihnen und von unsterblichen Zephyrn, ein neues Eden, eine Heimath des ewigen Frühlingslebens, eine goldene Gesundheitsquelle, wohin die Kinder aller Welttheile wallfahrten können, um neues Leben zu trinken und neue Offenbarung zu schöpfen aus dem Reichthum des Schöpfers und aus den Wohnungen der Seligen in dem großen Vaterhause. Dort würden sie in Bananas- und Orangenhainen lustwandeln, paradiesisch liebliche Früchte genießen oder in Schaukelstühlen sich wiegend auf den Höhen sitzen, wo die Palmen wehen, umtanzt von den Windhauchen, welche der Ocean, voll von erneuerndem Leben, sendet. Sie würden so sitzen und athmen und schauen und fühlen und denken, wie schön das Dasein ist. Die Sonne geht in milder Herrlichkeit unter; leuchtende Cucullos durchschneiden die Lüfte und bedecken die Wipfel der Bäume mit glitzernden Juwelen; die Luft wird erfüllt von der Musik cubanischer Contretänze und spanischer Seguidillas; der muntere Tact der africanischen Trommel läßt sich im Hintergrund vernehmen, und das südliche Kreuz erhebt sich während der dunkelnden Nacht langsam am Horizont. Es ist Nacht. Aber Niemand braucht hier die Nacht zu fürchten. Sie hat keine Kühle und keinen Thau. Die Nacht des Paradieses konnte nicht unschuldiger sein als die Nacht Cubas. Die Schwachen und Kränklichen sollten hieher kommen, um heilendes Leben einzuathmen. Die Alten sollten kommen, um an eine ewige Jugend zu denken, die Niedergeschlagenen und Bedrückten, um neue Hoffnung zu schöpfen. Junge Eheleute sollten kommen, um zu lernen, daß das Leben eine ewige Blüthe und Fruchtbildung sein kann, ohne Herbst und ohne Winter. Der Philosoph sollte kommen, um hier seinen Blick über das unendliche Reich des Menschen und der Schöpfung sich erweitern zu lassen; der Dichter und Künstler sollten kommen, um neue Schönheitsformen, neue Gruppirungen des Edeln und Lieblichen in Farbe und Form zu studiren. Der Staatsmann sollte kommen, um seinen Glauben an die Ideale des Lebens und die Möglichkeit ihrer Verwirklichung zu stärken. Und dieses neue Reich der Schönheit und Güte auf Erden müßte von einer Königin regiert werden, einer Beherrscherin des Herzens sowohl als des Staats, welcher alle Herzen und alle Völker, schwarze und weiße, rothe und olivenfarbige und gelbe, einen freiwilligen Tribut bezahlen sollten — von einer Königin gut und schön wie Ew. Majestät.




Charleston, Südcarolina im Mai 1851.  

In den Vereinigten Staaten Nordamericas schließe ich den Brief an Ew. Majestät, den ich unter dem Himmel des Südens begonnen habe. Ich sehe nicht mehr sein unaussprechlich mildes Licht, seine wogenden Palmen, aber ich sehe vor mir ein großes und wachsendes Volksleben, eine Guadarajah von Staaten, die wie Palmen in die Höhe emportreiben. In der südlichen Hälfte Americas ist die Natur der größte Dichter, in der nördlichen der Mensch.

Gleichwohl schreibe ich noch im Süden, und zwar in einem der Sklavenstaaten Nordamericas.

Es ist im Monat Mai, und Südamericas üppige, aber weiche und beinahe krankhafte Schönheit steht in der vollsten Blüthe. Sie sind doch herrlich diese ungeheuren Lebenseichen mit langen herabhängenden Moosranken, welche den Wald in eine gothische Naturkirche verwandeln; die Magnolienbäume mit ihren großen, schneeweißen Blumen und den Wohlgerüchen, welche die warme, weiche Luft erfüllen.

Die Gesänge der Negersklaven vom Flusse her, auf dem sie nach ihren Wohnungen zurückfahren, nachdem sie ihre Waaren in der Stadt verkauft haben, erklingen in diesem Augenblick in die mutterwarme schöne Heimath herein, wo ich die Freude habe, an Ew. Majestät zu schreiben, und wo ich mich dem guten Dänemark gleichsam näher fühle, denn die Hausmutter ist eine Dänin, der dänischen Familie Monefeldt angehörig, und wohl würdig der Königin Dänemarks vorgestellt zu werden wegen ihrer Liebe zum Mutterland und wegen der schönen, mütterlichen Gesinnung sowohl gegen Schwarze als gegen Weiße, welche diese edle Dänin auszeichnet.

Ich habe weiter oben die Sklaverei das Unglück der südlichen Staaten genannt. In diesem Augenblick wäre ich geneigt sie ihr Glück zu nennen, wenn sie nämlich jetzt das Unglück, den Fluch fest anfassen und in Segen verwandeln würden. Und es unterliegt keinem Zweifel, daß[WS 3] sie das können. Man sagt, die Kohle sei die Mutter des Diamants. In der Sklaverei besitzen die Staaten des Südens die Kohle zu einem Diamant, was sage ich? zu einem Diadem aus Juwelen, würdig einer neuen Königin der Südlande, stattlicher als diejenige, die zu Salomo kam.

Seit ich auf Cuba die Neger in ihrem wilden ursprünglichen Zustand gesehen, seit ich ihre Tänze gesehen und ihre Gesänge gehört habe und sie mit demjenigen vergleichen kann, was sie in den Vereinigten Staaten und zwar in den besten Plätzen dafür sind, ist es mir nicht mehr möglich an dem wohlthätigen Einflusse der angloamericanischen Cultur auf die Negerrace und an der Mission zu zweifeln, welche America berufen ist bei den Völkern Africas auszuführen, und zwar just durch das Volk, das die Americaner zuerst in Sklaverei geführt haben, das sie aber einmal in doppelter Beziehung frei machen dürften. Der saure wilde Apfel ist unserem edlen klaren Astrachan nicht unähnlicher, als der Gesang der wilden Africaner dem Gesang des christlichen Negers in den Vereinigten Staaten unähnlich ist, er mag nun Hymnen singen oder frohe Negerlieder, die er selbst gedichtet hat. Und diese Vergleichung gilt für sein ganzes Leben und seine ganze Welt. Es ist ein großer, großer Unterschied zwischen der prunkenden Improvisation der Neger auf Cuba und der begeisterten und begeisternden Predigt von dem Erlöser und seinem Reich, von Licht und Freude, welche ich die Neger in Südcarolina, in Georgien, Maryland und Louisiana extemporiren hörte. Und niedrig und thierisch ist das regellose Leben und der Sinnenrausch in den Tänzen, dem Getrommel und den polternden Festen der wilden Neger, wenn man es mit dem Leben und dem geistigen Rausch in Gesang und Gebeten und religiöser Freude vergleicht, welchen man bei den religiösen Festen der Neger hier sieht und hört. Wie wild und leer ist nicht der Ausdruck in den Blicken der erstern, mit denjenigen verglichen, den ich in den Augen der letzteren strahlen sah, wenn ihnen das Lichtleben des Christenthums klar und lebendig gepredigt wurde!

Dieß geschieht auch in den Sklavenstaaten Nordamericas in immer ausgedehnteren Kreisen, zumal in den östlichen Staaten von Virginien an bis nach Südcarolina und Georgia; besonders der letztgenannte junge Staat scheint mir von einem edlen, jugendfrischen Freiheitssinn belebt zu sein. Und immer allgemeiner wird es, daß Neger selbst unter ihrem Volke als Religionslehrer sich erheben und daß Kirchen errichtet werden. In den südwestlichen Sklavenstaaten dagegen ist das christliche Leben nicht sehr geweckt, und der Zustand der Neger auf den Plantagen sehr häufig eben so düster in Bezug auf das Seelenleben, wie in Bezug auf das körperliche Leben. Aber — darüber besteht dennoch kein Zweifel — das nimmt seinen Fortgang; edelsinnige Christen brechen seinen Strahlen Bahn, und den Sklaven wird bald das Evangelium gepredigt werden, selbst in den sumpfigen Ebenen des Missisippi und an den entlegenen Ufern der rothen Flüsse.

Das Evangelium schreitet voran, die Kirche Christi breitet ihre Arme aus, und die Thüren des Sklavengefängnisses werden in allen Sklavenstaaten Americas vor ihr aufspringen; Alles was man jetzt von ihnen als christlichen Staaten mit Recht fordern kann, ist, daß das Evangelium ungehindert voranschreiten dürfe, daß das Gesetz dem Evangelium auf der Spur folgen möge, und daß die Sklavengesetze der Vereinigten Staaten das Freiheitsgesetz in sich aufnehmen, welches die Gesetze Spaniens jetzt ihnen voraus haben.

Würden die Gesetze der südlichen Staaten gleich denen Spaniens dem Sklaven und der Sklavin gestatten ihre Freiheit durch Arbeit zu erwerben; würde ihnen die Aussicht eröffnet sich und ihre Kinder für einen gewissen, gesetzlich festbestimmten billigen Preis loszukaufen, und würden Richter eingesetzt, um das Recht der schwarzen Bevölkerung zu überwachen; — würden sie dabei großsinnig ihr Volksschulsystem auf die Kinder der Schwarzen ausdehnen — wäre es auch in besondern Schulen — und muthig entwickeln, was aus diesem Benehmen erfolgen sollte, dann könnte man den südlichen Staaten Americas getrost eine große Zukunft prophezeien, weil sie ein Werk ausführen würden, das ihnen ein Recht auf die Dankbarkeit zweier Welttheile verliehe und die Bewunderung der ganzen Welt in Anspruch nähme — ein Werk, das offenbar in Gottes Plan zu liegen scheint und das die besten und edelsten Bürger in den Sklavenstaaten — obschon meines Wissens nicht öffentlich — als die Aufgabe Americas bezeichnen.

Africas Colonisation und Christianisirung durch Americas befreite Negersklaven ist dieses Werk, das bereits durch die auf der africanischen Küste angelegte Negercolonie Liberia begonnen hat und jährlich zunimmt durch die Beihülfe sowohl der südlichen als der nördlichen freien Staaten und durch die Opfer einzelner Personen.

In der Anlegung und Erweiterung dieser Colonie[1] haben die nördlichen und südlichen Staaten sich als eine edle Union mit einem Herzen und einer Seele gezeigt. Hier reichen sie einander die Hand zur Versöhnung in dem großen Streit, der zwischen ihnen besteht.

Ich muß jedoch gestehen, daß dieses Werk mir bloß ein Theil desjenigen zu sein scheint, was die Staaten des Südens ausrichten können. Diese Staaten würden ohne die Negerbevölkerung viel von ihrem pittoreskesten und eigenthümlichsten Leben verlieren. Auch dürften sie die Arbeit der Neger niemals entbehren können. Reis, Baumwolle und Zucker können, behauptet man, nur von den Negern angepflanzt werden, für welche die Gluth der Sonne eine Gewohnheit und eine Wollust ist. Wo die Weißen vor Hitze und den Miasmen, welche sie auf der Erde hervorruft, sterben, da befinden sich die Schwarzen wohl, gedeihen und mehren sich oder leiden bloß unbedeutend an climatischen Fiebern. Wenn das Verhältniß zwischen den Weißen und Schwarzen gut ist, so sieht man, daß diese Racen, statt sich feindselig gegenüberzustehen, einander lieben und sich gegenseitig anziehen, verschiedene Naturen, die ihre gegenseitigen Mängel ersetzen. Der gutmüthige heitere Neger liebt den ernsten verständigen weißen Mann und läßt sich von ihm leiten. Dieser liebt den gutherzigen Schwarzen und läßt sich gerne von ihn pflegen.

Ich sage nichts Anderes als was edle und denkende Männer in den Sklavenstaaten geäußert haben, wenn ich vor Ew. Majestät die Ueberzeugung ausspreche, daß die edelste, weil schwerste Zukunftsarbeit der Sklavenstaaten darin bestehen dürfte, einen Theil ihrer Sklavenbevölkerung in freie Arbeiter zu verwandeln. Ich sage einen Theil, denn es ist klar, daß nur ein Theil sich dazu eignen würde als frei unter der americanischen Herrschaft zu bleiben. Derjenige Theil, der nach Africa gehen will, mag nach Africa gehen; derjenige Theil dagegen, der sich mit Americas Erde und Bevölkerung fest verknüpft hat und im Stande gewesen ist, sich seine Cultur und Arbeitsamkeit anzueignen, wird in den südlichen Staaten bleiben, wo er aufgewachsen ist, wohin er durch Natur, Gewohnheit und Herz gehört, und wird dort in höherem Maaß als jetzt durch sein Leben und seine Arbeit auf den Plantagen und in den Städten, durch seine religiösen Feste, seine fröhlichen Gesänge und Tänze das farbenreiche romantische Leben in diesen von der Sonne geliebten Ländern erhöhen.

Nach dem, was ich von dem guten Verhältniß zwischen Weißen und Negern gesehen habe, glaube ich, daß viele der besten Köpfe und Hände unter dem Negervolk als frei lieber in America bleiben, als von da auswandern würden.

Der Reisende wird dann diese Staaten mit einer Bewunderung besuchen, die nicht mit niederschlagenden Rückhalten versetzt ist, denn sie werden selbst in sittlicher Schönheit und politischer Macht voranschreiten, und die americanische Union wird dann ohne eine einzige Ausnahme das werden, was sie sein zu wollen erklärt hat, ein großer Freistaat, welcher die Segnungen der Freiheit allen Völkern der Erde spendet.

Es ist klar, daß eine solche Befreiung nicht auf einmal kommen kann, ja nicht einmal in mehreren Jahrzehnten. Mag sie auch noch hundert Jahre auf sich warten lassen, wenn wir nur ihren Anfang schon heute in Morgendämmerungen erblicken, welche auf den kommenden Tag hindeuten.

Und Gott sei gelobt, an diesen Dämmerungen fehlt es nicht ganz, sie durchbrechen schon zu dieser Stunde die nächtlichen Schatten, welche durch die letzten politischen Streitigkeiten zwischen den Freistaaten und den Sklavenstaaten über die Union heraufgerufen werden. Ich habe Ew. Majestät bereits die Arbeit der Colonisationsgesellschaften sowohl in den nördlichen als in den südlichen Staaten als eine solche bezeichnet, die das Befreiungswerk in Africa befördert. Zu den Bewegungen, die auf eine Emancipation der schwarzen Sklavenbevölkerung in America ausgehen, zähle ich den Gesetzesvorschlag des edeln und patriotischen Staatsmannes Henry Clay, welcher beantragte, daß alle nach einem gewissen Jahr (ich meine, es war das Jahr 1850) gebornen Kinder von Negersklaven frei sein sollen, ein Vorschlag, der jedoch unter den minder großen Staatsmännern keine Unterstützung fand; ferner die Versuche, die einige edle Privatpersonen zur Erziehung und Befreiung ihrer Sklaven machten.

Unter diesen Bestrebungen ist vor allen Dingen eine, auf welche ich den Blick Ew. Majestät lenken zu dürfen wünsche, theils weil sie von dem weiblichen und mütterlichen Elemente in der Gesellschaft ausgeht, theils weil sie dem Senfkorn gleicht, das, obschon ein kleiner Same, dennoch zu einem großen Baum heranwachsen und seinen Schutz weit umher über das Land verbreiten kann.

Es finden sich in den Sklavenstaaten einige junge Mädchen, Töchter und Schwestern von Plantagenbesitzern, die es für keinen Raub erachten selbst für Kinder der Sklaven auf den Pflanzungen Schule zu halten und sie beten, denken und arbeiten zu lehren. Sie legen lautes Zeugniß ab von der Fassungsgabe und Gelehrigkeit der Negerkinder, besonders wenn der Unterricht ihnen auf eine belebende und spielende Art durch Erzählungen und Bilder zukommt.

Wenn die jungen Töchter der südlichen Staaten dieses gute Beispiel allgemeiner befolgen wollten, so könnten sie noch kräftiger als die Gesetze ein glückliches Befreiungswerk vorbereiten. Denn die Befreiung würde ohne Gefahr für weiße oder schwarze Bevölkerung einem Volke zu Theil werden, dessen Kindheit einmal in Liebe erzogen und an Gottesfurcht, Ordnung und Arbeit gewöhnt wäre. Und ich theile vollkommen die Ansicht eines klugen alten Mannes, daß die Möglichkeit künftiger Befreiung aus der Sklaverei hier zu Lande mehr in der Gewalt der Frauen, als der Männer liege.

Junge Mütter der Menschheit habe ich die jungen Lehrerinnen aus den Staaten Neuenglands, die Töchter der Pilgerväter, genannt. Den jungen Weibern der südlichen Staaten ist ein ähnliches Amt angewiesen, und zwar ein so nahe liegendes und so natürliches, daß es mir scheint, als sei es ihnen von Gott Vater selbst angewiesen.

Es ist auf den südlichen Plantagen allgemeiner Brauch, daß, so lange die Sklaven, Männer und Weiber, draußen bei der Arbeit sind, alle Kinder unter der Aufsicht etlicher Weiber an einem Ort versammelt gehalten werden. Ich habe sie so zuweilen in einer Anzahl von 60, 70 und noch darüber beisammen gesehen, und ihre Aufseherinnen waren alte Negerhexen, die mit Binsenruthen in den Händen die Herrschaft über die schwarzen Lämmer führten, welche mit unverkennbarem Ausdrucke von Angst und Schrecken sich in Haufen zurückdrängten, wenn die gefürchteten Hexen ihre Ruthen schwingend auf sie zukamen. In kleineren Plantagen, wo weniger Kinder und die Aufseherinnen sanftere Personen sind, ist die Scene nicht so anstößig, erinnert aber doch immer an eine Heerde Schafe oder Schweine, die man bloß füttert, damit sie eßbar gemacht werden. Und gleichwohl sind diese Geschöpfe Menschen mit der Fähigkeit zur edelsten menschlichen Entwickelung, was Gefühl und Tugend betrifft, Menschen mit unsterblichen Seelen.

Hier liegt der Stoff zur Sonntagsschule bereits fertig vor. Aber wo ist der Lehrer? Wo ist die Lehrerin? Die Kinder werden am Morgen hieher getrieben, werden am Morgen, Mittag und Abend wohl gefüttert, bekommen dazwischenhinein Drohungen und Strafen, und werden dann Abends wieder in ihre Hütten heimgetrieben. So behandelt man sie, bis sie arbeitsfähig geworden sind und unter das Gesetz der Peitsche gebracht werden können.

Wäre es zu viel für die Gattin, die Tochter oder Schwester des Sklavenbesitzers, wäre es von christlichen Frauen zu viel verlangt, wenn sie ein- oder zweimal in der Woche zu diesem schutzlosen, verwahrlosten Kinderhaufen herabsteigen, mit ihnen von ihrem Vater im Himmel sprechen und sie beten lehren sollten: Vater unser!

Vater unser! Wie würdig und schön ein junges weißes Mädchen — sie würde als ein Engel des Lichtes erscheinen und hier wirklich einer sein — unter den kleinen Schwarzen stehen zu sehen, sie lehrend dieses heilige, allgemeine Gebet der Erde mit Verstand auszusprechen!

Vater unser! Zuerst dieses für Weiße und Schwarze gemeinschaftliche Gebet. Dann wird alles Andre zu seiner Zeit kommen, wie der gute und große Vater es will.

Schön und würdig wäre es auch, wenn junge weiße Frauenzimmer die schwarzen Kinder in Gesang und Tanz üben wollten, denjenigen ähnlich, wie sie dieselben in ihrem Vaterland haben; in diesen Gesängen mit Chören, welche das Herz alles Gesangs bei den Kindern Africas zu sein scheinen, und denen leicht ein sinnreicher Inhalt gegeben werden könnte.

Ich weiß einen Gesang, der als Muster zu solchen Liedern dienen könnte. Er wurde von africanischen Weibern für einen weißen Reisenden gesungen, dem sie in einer sturmvollen Nacht Herberge in ihrer Hütte gegeben hatten, und er lautete also:

Der Sturm heulte und der Regen fiel,
Der arme weiße Mann,
Müde und matt,
In der finstern Nacht,
Setzte sich unter unsern Baum
Er hat keine Mutter, die ihm Milch gibt,
Kein Weib, das sein Korn mahlt.
Chor.
Habt Mitleiden mit dem weißen Mann,
Er hat keine Mutter u. s. w.

Dieser Gesang aus dem Mutterherzen Africas könnte America den besten Weg zur Bildung des Negervolkes zeigen. Ein Volksgeist, der einen solchen Gesang hervorbringen kann, muß mit Achtung behandelt werden.

Schöner und würdiger wäre eine solche Beschäftigung für die jungen Töchter des Südens, als wenn sie ihre Tage in Faulheit oder auf Besuchen und in nichtigen Zeitvertreiben vertrödeln, wie jetzt so viele thun.

Doch ich kenne einige, die den bessern Theil erwählt haben, und es dürften sich noch mehrere finden. Segen über sie! Mögen ihrer viele werden! Und das große Werk der Befreiung wird still und schön, wie von selbst voranschreiten.

Es ist in Europa etwas sehr Gewöhnliches, den Vereinigten Staaten Nordamericas das Sklavereiinstitut als eine Sünde gegen den heiligen Geist, die ihrem Freistaat alle Wahrheit und allen Werth raube, zur Last zu legen. Aber man vergißt dabei gewöhnlich, daß nur ein Theil dieser Staaten Sklaven hat, und daß England es war, das ihnen zuerst die Sklaven aufzwang. Mehrere von den jungen Colonien, unter ihnen besonders Virginien und Georgien, protestirten in ihrem Beginn aufs Kräftigste und Ernstlichste gegen die Einführung der Sklaverei. Vergebens. England war damals das Mutterland und es trieb Sklavenhandel; es bedurfte eines Marktes für seine Sklaven, und da befahl es den jungen americanischen Colonien dieser Markt zu werden. Dazu kamen noch der Eigennutz der Pflanzer, sowie das Klima und die Produkte im südlichen Nordamerica. So kam das Sklavereiinstitut in die Vereinigten Staaten. Gewohnheit, Klima, Produkte und mancherlei Ursachen, sowohl gute als böse, erhalten es noch immer dort, — bis auf Weiteres.

England schüttelte in der Periode eines neugeweckten, großen Nationalbewußtseins und unter dem Einfluß von Männern wie Wilberforce die Sklaverei von sich ab und befreite die Sklaven in seinen Colonien mit dem ungeheuren Opfer von zwanzig Millionen Pfund Sterling. Man sagt, die Sache hätte mit mehr Weisheit behandelt werden können; schwerlich jedoch mit größerem Edelsinn. Americas Wilberforce erwarten wir noch immer.

Die Bevölkerungen der südlichen Staaten ärgern sich heftig über die nördlichen und über Europa, wenn diese sich in ihre Privatangelegenheiten, wie sie es nennen, mischen wollen und in Sachen des Sklavereiinstituts und ihrer Berechtigung dazu sprechen und handeln, gleich als ob es sie irgend etwas anginge.

Sie müssen verzeihen, daß die americanische Union und die großen Zwecke, welche sie ausgesprochen und zu deren Ausführung sie sich berufen erklärt hat, von so großer Wichtigkeit, von so unendlicher Bedeutung in den Augen aller freien Staaten, für das ganze Menschengeschlecht, für alle Völker auf Erden so wertvoll sind, daß sie nicht umhin können sich für ihre Ausführung zu interessiren, als für Sachen, die sie selbst angehen. Sollen sie in Wirklichkeit sie nichts angehen?

Die Vereinigten Staaten Americas haben die Freiheit und die Rechte des Menschen ausgesprochen. Bei diesem großen Freibrief fühlen sich alle Menschen betheiligt.

Maiblume hieß das Schiff, das die erste Colonie freier Männer und Weiber, welche auf der Erde Nordamericas den neuen Staat begründete, von der alten Welt in die neue überführte. Die Maiblume war das Symbol der jüngsten Hoffnungen der alten Welt. Die Gesellschaft der Vereinigten Staaten wurde die Maiblume des Menschengeschlechts. Es will nicht dulden, daß irgend ein Wurm in seinem thauvollen Kelch erzeugt werde, daß irgend ein Nidhögg an seiner Wurzel nage. Das ist verzeihlich.

Aber gar zu lang habe ich Ew. Majestät Aufmerksamkeit mit dieser Seite der Geschichte der Vereinigten Staaten beschäftigt, und ich fürchte, daß mein Brief dadurch zu einer ungebührlichen Länge angewachsen ist.

Ich kann jedoch diesen Rechenschaftsbericht, den ich Ew. Majestät über das Leben in der neuen Welt erstatte, nicht beschließen, ohne ein Wort über das Familienleben daselbst zu sagen.

Denn in Americas Familien habe ich über die ganze Zeit meines Aufenthalts in diesem Welttheil gelebt und als Gast gewohnt; in diesen Familien und unter vertraulichem Zusammenleben mit ihren Mitgliedern habe ich das Gesellschaftsleben der neuen Welt betrachtet und überdacht; da habe ich geliebt und gedacht, geruht und genossen; Americas häuslichem Leben habe ich das Vornehmste von Allem, was ich hier gelernt und erlebt, zu verdanken; Americas häusliches Leben hat mir mehr als alle Schätze Californiens, hat mir ein neues Leben für Seele und Herz geschenkt.

Das Haus ist in der neuen Welt, was es für unsern alten Norden war und noch immer ist — eine heilige Stätte. Das americanische Haus will auch eine schöne Stätte sein. Es umgiebt sich gerne mit grünen Plätzen, mit schönen Bäumen und Blumen. Auch in den Städten findet man es so. Zierlichere Wohnungen gibt es nicht auf Erden. Innerhalb des Hauses findet man Gottesfurcht, Sittlichkeit und Familienliebe. Das americanische Heimwesen ist es, das den americanischen Staat befestigt und ihn stark macht in Gottesfurcht und sittlichem Leben. Americas beste und edelste Männer von Washington an sind von frommen Müttern in edlem und sittlichem Familienleben erzogen worden.

Was das Familienleben der neuen Welt von dem der alten Welt am meisten auszeichnet, das ist vielleicht die Herrschaft des Weibes in demselben. Für den Americaner ist es Gesetz, daß er innerhalb des Hauses das Weib Gesetze geben lasse. Er beugt sich willig unter ihren Scepter, theils aus Liebe, theils aus Ueberzeugung, daß es so am besten und richtigsten ist, und aus ritterlicher Galanterie gegen das Geschlecht. Denn der Americaner glaubt, daß dem Weibe etwas Göttliches von höherer und feinerer Art inne wohne. Er liebt es darauf zu lauschen und in allen Fragen des innern Lebens daran zu appelliren. Er liebt es seine Lebenshälfte höher zu stellen als sich selbst.

Sie, der es gestattet ist, ihre Welt und ihr Wesen frei im Hause zu entwickeln, die selten auf Widerspruch, niemals auf Zwang stößt, ist gewöhnlich ihrer schöneren Natur getreu und zeigt sich mild, häuslich, liebevoll. Und vom östlichen Ocean bis zum Missisippi, vom nördlichen Minnesota bis zum Wendekreis habe ich im Westland nichts Lieblicheres und der Vollkommenheit näheres gesehen, als das mütterliche Weib. Auch habe ich nirgends auf Erden Wesen von thauartigerer Frische, von schönerer und ursprünglicherer Lebendigkeit gesehen, als Americas junge Mädchen.

Ringsumher um diese herrliche Gruppe von schönen Weibern muß ich jedoch gestehen, daß es im Westen Weiber gibt, welche dem Ideal, zu deren Erreichung die neue Weltbildung sie beruft, keineswegs entsprechen, Weiber, deren Gedankenlosigkeit, Leerheit, Eitelkeit und anspruchsvolles Wesen den Betrachter zuweilen stutzig machen und bei ihm die Frage anregen können, in wiefern die große Freiheit, welche hier dem jungen Weib frühzeitig gegeben wird, für die höhere Entwickelung ihres Wesens vortheilhaft sei.

Die besten sehen diese falsche Richtung bei einem Theil ihres Geschlechts und beklagen sie aufrichtig. Nur ihrem Beispiele zu liebe möchte ich diese Freiheit keineswegs beschränken, aber ihr ein höheres Ziel und Bewußtsein geben. Was das Weib bedarf, ist nicht eine geringere, wohl aber eine höhere Achtung vor sich selbst und ihrem Beruf, ein höherer Begriff von dem menschlichen Werk und Werth, wozu sie berufen ist. Nur ein höheres Bewußtsein kann sie aus ihrer egoistischen Unbedeutsamkeit retten.

Im Allgemeinen kann man sagen, daß die Bürgerin in der Gesellschaft der neuen Welt noch nicht vollkommen erwacht sei. Wie in der Gesellschaft der alten Welt, schlummert sie noch eingelullt von dem alten Wiegenlied und von der kleinen Stimme, welche sie hindert auf die große zu lauschen, sowie von der Schwachheit der Männer für das bloß Angenehme und Reizende bei diesem Geschlecht.

In Folge dieses Mangels am Bewußtsein eines höhern Berufs ist der Einfluß der Frauen im Familienleben und auf die Erziehung der Kinder im Allgemeinen bei Weitem noch nicht das, was er sein sollte und müßte in diesem Lande, wo die Macht des Gewissens und der inneren Gesetze einer zehnfachen Verstärkung bedürften, zumal da die äußeren Gesetze dem Willen und den Launen der Einzelnen so wenige Hemmnisse entgegenstellen. Die Americanerin verheirathet sich jung, oft sehr jung, und wenn sie kaum aus den Kinderjahren getreten ist; sie bekommt bald Kinder und beweist ihre Mutterliebe oft hauptsächlich dadurch, daß sie ihre Kinder verzieht, daß sie alle ihre Launen und Wünsche begünstigt, wie sie selbst im elterlichen Hause verzogen und begünstigt worden ist. Disciplin und Strenge überläßt sie der Schule, in welche das Kind frühzeitig kommt. Und die Schule thut, was sie kann. Sie gibt dem äußern Menschen einige Kenntnisse, einige Dressur, läßt aber den innern ungefähr so, wie er aus dem Mutterhause gekommen ist.

Daher — besonders in den Sklavenstaaten, die Maßlosigkeit in Launen und Handlungen, der Mangel an strengerer Moral und Gewissenhaftigkeit, den man dem americanischen Jüngling nicht ohne Grund vorwirft, und die Unordnungen, die hieraus in den Familien und in der Gesellschaft entstehen[2]. Die starken Frauen, die in Strenge und Liebe Bürger erziehen, diese Frauen, wie Lykurg sie bilden wollte, um seine Republik stark und groß zu machen, sie findet man hier nicht.

Auch ist dieser antike Typus von Stärke nicht das Einzige, was Noth thut. Die neue Welt kennt einen andern. Und würde dieser allgemein werden, würde das Weib in den Vereinigten Staaten Americas das werden, was es werden kann, und den in ihrer Macht liegenden Einfluß auf die Seelen der Kinder und Männer, auf das Gesellschaftsleben und die großen Interessen des Staates ausüben, so würden die Vereinigten Staaten auch das Staaten-Ideal werden.

Mehrere ausgezeichnete und liebenswürdige Frauen in Nordamerica — Quäkerinnen unter ihnen — haben edle Vorbilder ihres Geschlechtes dargestellt, und mehrere Bewegungen in den freien Staaten haben in den letzten Zeiten einen keimenden Bürgergeist bei den Frauen gezeigt. Möge er wachsen und sich tief einsenken, dann wage ich zu sagen, daß die Americanerin als das schönste und vollendetste Weib der Erde dastehen werde.

Könnte ich Ew. Majestät die americanischen Frauen vorstellen, welche mir den Typus der Eva der neuen Welt am reinsten zu repräsentiren scheinen, so würde Ew. Majestät Blick auf ihnen mit einem Ausdruck ruhen, der sowohl die Befriedigung des Schönheitssinnes als des moralischen Gefühles verriethe. Ich sehe, daß Ew. Majestät eigenes holdes Wesen ein Vergnügen darin findet, verwandte Wesen zu erkennen, und ich meine von Ew. Majestät Lippen das Urtheil zu hören:

„Sie gleichen den lieblichsten Frauen in unserem Welttheil, die Anmuth ihres Wesens ist ebenso groß, als ihre Grundsatzfestigkeit. Aber sie haben etwas mehr als die Frauen Europas. Ihr Blick scheint mir eine größere Welt, ihre Intelligenz eine größere Wirksamkeit zu umfassen, und ihr Herz scheint mir groß genug, um die menschliche Gesellschaft in allen ihren Kreisen zu umfassen und emporzuheben.“

Vielleicht ist es nicht mehr als recht und billig, wenn man sagt, daß der Mensch in der neuen Welt nicht besser sei als in der alten; aber er steht auf einem vortheilhafteren Platze, er befindet sich in Umständen, die eine freie und gute Entwicklung mehr begünstigen. Er kann als einzelner und als Gesellschaftsmitglied vollkommener werden. Denn jede einzelne Vollkommenheit kann hier ein Gemeingut werden.

Aber es ist Zeit, daß ich schließe, und ich muß bereits fürchten, Ew. Majestät durch die Länge meines Briefes ermüdet zu haben. Die interessanten Gegenstände und das Interesse, das Ew. Majestät dafür ausgesprochen haben, mögen mir als Entschuldigung dienen.

Binnen Kurzem verlasse ich den Süden. Groß ist seine Zauberkraft; aber mein Sinn steht jetzt nach dem Norden. Auf seinen Granitfelsen wächst der Baum der Freiheit kräftiger und die Gesellchaft daselbst gleicht unserem alten, ewig jungen und grünenden Ygdrasil, der jeden Morgen von der Nornen Hand aus dem Urdabrunnen begossen, beständig näher zur Heimath der Sonne emporwächst. So in Americas nördlichen Staaten, so auch in unserem scandinavischen Norden. Aber was dieser Norden besitzt und was America nicht hat, das ist diese Vorzeit voll von Sängen und Sagen, von herrlicher Prophezeiung und Symbolik, von Göttern und Helden, diese Vorzeit, die Scandinavien ein so großes, so eigenthümliches und so romantisches Leben verleiht. Diese Vorzeit, ihre Bedeutung für die gegenwärtige Zeit, ihr Leben in unserer Natur und unserem Alltagsleben ist es, was mich so mächtig wie meiner Mutter Stimme nach meinem Heimathland zurückzieht. Ein Besuch in dem mir so theuern Copenhagen steht mir bei meiner Rückkehr nach Schweden als ein Lichtpunkt vor den Augen, und noch in diesem Herbst hoffe ich Dänemarks fröhliche Hauptstadt zu begrüßen.

Ich werde mich glücklich schätzen, dort noch einmal Dänemarks schöne und gute Königin begrüßen zu dürfen und ihr freundliches Bild im Heiligthum meines Herzens mit mir zu nehmen, um als einer seiner theuersten Schätze bewahrt zu werden.

Ew. Majestät Güte macht mich dreist genug dieß zu hoffen, und im Vertrauen darauf wage ich auch um ein Plätzchen in der Erinnerung Ew. Majestät mitten unter den Vielen, die Ew. Majestät lieben, zu bitten.


  1. Einige der Sklavenstaaten, zuvörderst unter ihnen die ältesten, Virginien und Maryland, haben nicht unbedeutende Staatsbeiträge für die Colonisation freier Neger in Africa bewilligt, und jährlich gehen von Baltimore in Maryland und von Savannah in Georgien ein paar Dampfschiffe mit schwarzen Emigranten, die sowohl aus allgemeinen als aus Privatmitteln mit allen Erfordernissen zu ihrer Colonisation ausgerüstet sind, nach Liberien ab. Jede kirchliche Gesellschaft bedenkt die dieser Gesellschaft angehörenden Mitglieder besonders.
  2. Ich muß jedoch sagen, daß sie, obschon sie hier größern Lärm von sich machen, mir nicht schlimmer erscheinen, als die Unfuge, die in europäischen Staaten mehr in der Stille und in größerer Menge getrieben werden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. schwedisch: „vis“; Vorlage: weißen
  2. Bartolomé de Las Casas; Vorlage: Lascases; im schwedischen Original: Las Cases
  3. Vorlage: das
Siebenunddreißigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Dritter Band
von Fredrika Bremer
Neununddreißigster Brief
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