Die Heimath in der neuen Welt/Dritter Band/Siebenunddreißigster Brief
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den 23. April 1851.
Draußen auf Abenteuern im fremden Lande, mein Herzchen, und zwar für den Augenblick Abenteuern von minder behaglicher Art. Ich sitze allein in einer kleinen spanischen Posada oder Fonda (einem Wirthshause dritten Rangs), so unfreundlich[WS 1] als möglich, umgeben von Leuten, die mich nicht verstehen, wie ich sie nicht verstehe. Ich sitze hier in Erwartung einer Volante von Sennora Carrera, die mich nach ihrer ungefähr fünf englische Meilen von hier gelegenen Plantage abholen sollte; aber möglicher Weise hat sie den Brief, der sie von meiner Ankunft dahier unterrichten sollte, noch nicht erhalten, und die Volante dürfte noch ein paar Tage warten und mittlerweile muß ich hier sitzen; doch bin ich weder brod- noch rathlos, denn mein kleiner Reisekobold ist bei mir, er erhält mich im besten Humor und hat mich hier auf der Eisenbahn einen kleinen spanischen Don finden lassen, der ein wenig französisch radbricht und gar zu gern zu meinen Diensten sein möchte. Mit seiner Hülfe, meinen paar spanischen Redensarten und einem spanischen Wörterbuch bringe ich mich weiter fort. Und inzwischen habe ich ein Empfehlungsschreiben abgesandt, das ich an Don Ildefonso Miranda hatte, welcher drei Stunden von hier in Caffetal en Alquizar wohnt, und ich erwarte im Verlauf des Tags Nachrichten von ihm zu erhalten und mit seiner Hülfe aus meiner Fonda loszukommen, denn er spricht französisch wie ein Franzose, sagte man mir, und ist ein Cabalero perfetto (vollendeter Cavalier). Ich schreibe Dir jetzt in einem kahlen Stübchen mit übertünchten Wänden und bloßem Erdboden, wo das ganze Ameublement aus einem hölzernen Stuhl und einem alten hölzernen Tisch besteht und der Wind mit aller Macht zum Fenster hereinbläst. Aber dieß ist Cubas warmer Wind, man kann nicht mit ihm hadern. Die heutige Morgenfahrt auf der Eisenbahn war herrlich, wie eine andre Morgenfahrt, die ich vor etlichen Wochen machte, und die Palmen und zierlichen Blumen der Caffetaler glänzten am Wege entlang. Diese ganze Seite der Insel ist berühmt durch die Schönheit ihrer Caffeepflanzungen, deren beste Tage jedoch jetzt vorbei sind, da sie den Caffee nicht in der Menge und Güte produciren können wie die südlichen Plantagen auf der Insel, daher sie seit einigen Jahren in Verfall gerathen sind. San Antonio de los bannos ist ein Städtchen oder Flecken (pueblo), berühmt durch seine Bäder und durch die schöne Gebirgsnatur in seiner Nachbarschaft. In diesen Gebirgen befinden sich Plantagen, wo die Hitze niemals groß wird, wo frische Seewinde beständig spielen, der Grasboden das ganze Jahr hindurch grünt, luftige Wohnsitze mit großartigen Aussichten auf das große Meer. San Antonio ist ferner durch einen unterirdischen Fluß bekannt, auf dessen Entdeckung ich ausgehen will, nachdem ich einen Wegweiser verabschiedet habe, den mein Freund Don Manuel mir anschaffte, wobei er mir im Vertrauen sagte, daß er ein großer Hallunke sei, wofür ich ihn auch in dem Grad hielt, daß ich ihn fähig glaubte mich plötzlich einmal in den unterirdischen Strom hinabzustoßen, den ich betrachten wollte. Ich entschuldigte mich also und schützte den Wind vor. Dieser bläst auch dermaßen in mein Zimmer herein, daß ich nicht mehr schreiben kann. Das Papier flattert unaufhörlich …
Seit ich das letzte Mal schrieb, habe ich alle möglichen kleinen Unruhen und Abenteuer gehabt, die sich aber alle zum Besten kehrten, und jetzt lebe ich und schreibe Dir in der allerschönsten Ruhe und Annehmlichkeit auf Madame Carreras schöner Caffeeplantage und in ihrer Familie. In San Antonio mußte ich den Tag ganz allein in meiner kleinen Posada zubringen. Aber mein Zimmer war, wenn auch kahl, doch sauber, und der Diener im Hause, Raymundo, war sehr ehrerbietig und freundlich und begann allmälig aus lauter gutem Willen, wie ich glaubte, mich zu verstehen, und wäre ich nicht in dieser Posada auf einige Zeit allein gelassen worden, hätte ich nicht diese kleinen Widerwärtigkeiten gehabt, so hätte ich auch nicht die Bekanntschaft mit San Antonio de los bannos machen können, wie ich jetzt that, und das wäre sehr Schade gewesen.
Nachdem ich mein Mittagessen, bestehend aus gut gekochtem Ochsenfleisch und Yamswurzeln, verzehrt hatte, und als der Tag kühler zu werden anfing, begab ich mich auf einen einsamen Streifzug, schon längst abgehärtet gegen die verwunderten Blicke der schreienden und springenden Negerjungen, die mir im Anfang folgen, wenn ich allein ausgehe.
Einige palmenbedeckte Hütten in den Platanenhainen verlockten mich ein Stück weit von der Posada hinweg, denn ich vermuthete da Wohnungen freier Neger. Und ich täuschte mich nicht. Ich befand mich bald in einem unregelmäßigen Städtchen und wandelte durch Straßen mit Baumrinden- und Reisighütten in kleinen Gärten voll von den schönen Bäumen und Pflanzen des Landes. Cocospalmen und Bananas standen überall. Unter ihnen sah man auch überall splitternackte Negerjungen, die umhersprangen und spielten. Negerweiber arbeiteten oder standen an den Thüren der Hütten. Ich befand mich offenbar auf africanischem Gebiet.
„Bonjour Madame!“ scholl es mir aus einer der Hütten entgegen, und in der Thüre stand eine dicke, wohlgekleidete Negerin, die wie eine personificirte Einladung aussah. Ich nahm sie an und trat ein, froh, daß ich mit Jemand von dem Volk reden konnte. Ich fand hier in der geräumigen Hütte das allerfreundlichste und heiterste alte Negerpaar, das man sich denken kann. Sauber und wohlgeordnet war Alles um sie her, im Wohnzimmer, in der Schlafstube, in der Küche und im Garten, und die Alte führte mich überall herum und lachte aus vollem Hals bei jeder Frage oder Bemerkung, die ich machte. Sie war auf St. Domingo geboren und hatte vor der Revolution auf der Insel in einem französischen Hause gedient. Sie drückte sich sehr unvollkommen französisch aus, gab mir aber doch manchen Aufschluß über den Zustand der freien Neger in dem Städtchen. Sie schienen zufrieden und glücklich zu sein, nährten sich von ihren kleinen Erdantheilen, von ihrem Bischen Vieh sowie von verschiedenen Arbeiten für die weiße Bevölkerung in der Stadt. Sie selbst besorgt feine Wäsche und war mit ihrer Welt zufrieden. Für den Augenblick genoß sie ein dolce farniente, und dies that auch ihr Mann, der bloß spanisch konnte, deßhalb sich bei unserem Gespräch nicht betheiligte, sondern nur mit einem Ausdruck der herzlichsten Zufriedenheit da saß und seine Cigarre rauchte. Als ich einige Bananasbäume in ihrem Garten sah, der nicht außerordentlich gut besorgt war, fragte ich sie, ob sie Bananas zum Frühstück esse. Dieß fand sie unbegreiflich lustig, und beinahe athemlos vor Lachen sagte sie, sie müsse gebratenen Speck und Caffee zum Frühstück haben, aber ihr Mann esse gebratene Bananas.
Ich wünschte dem glücklichen alten Paar langes Leben in ihrer Hütte und wanderte auf gut Glück weiter, und bei jedem Schritt steigerte sich mein Vergnügen über das regelmäßige, aber poetische und pittoreske Gemälde, welches San Antonio de los Bannos vor meinen Blicken darstellte.
Denke Dir einmal Folgendes: Ruinen von alten hohen Mauern und Säulenhallen mit Frescogemälden zwischen zwei weißen oder hübsch bemalten cubanischen Häusern und palmenbedeckten Rindenhütten, Alles unter einander; einen tiefen, aber schmalen kristallhellen Strom mit buschigen baumbewachsenen Ufern; an diesem Strom Rindenhütten mit Palmdächern; über ihnen von den abschüssigen Ufern herabgeneigt, wogende Bananas und Bambusbäume; zwischen diesen Gebüsche mit rothen und gelben Blumen; im Strom badend und sich tummelnd Jünglinge und Knaben; über dem Strom alte Stein- und Holzbrücken mit angestrichenen Säulen und Stacketen; über den Brücken reitende Mayorale in weißen Blousen auf weißen Pferden mit Pistolenhalftern am Sattel und Schwertern mit silbernem Gefäß an der Seite; und da und dort auf den grünen Ufern des Stroms oder unter Cocos- und Bambusbäumen, in den Gärten mit den alten Säulenhallen und verfallenen Mauern Gruppen von olivenfarbigen oder weißen Weibern, meistens jung und schön, einige von ihnen Cigarritos rauchend, andere mit weißen Blumen im Haar, freundlich den Gruß des Vorübergehenden mit einem anmuthsvollen Kopfnicken und einem melodischen buena tardi sennora beantwortend; dazwischen hinein Gruppen von halbnackten, aber gesund aussehenden Negern und Negerinnen und ganz nackten Negerkindern, die sich wie ächte kleine Wilde gebahren; weiße Männer auf Steinmauern sitzend oder gemächlich mit Cigarren im Mund herumflanirend — über all dem den milden Tropenhimmel, diesen lieblichen Wind, ein halb schlummerndes, genießendes Farniente-Leben — — und Du siehst das Panorama, das ich betrachtete, in dem ich hin und her wanderte, bis die Schatten kamen und die Sterne auf der Bühne erschienen.
In meine Fonda zurückgekehrt richtete ich mich für die Nacht ein. Ich hatte ein kleines, sauberes Zeltbett, ein reines Leintuch und eine saubere leichte Decke erhalten. Ich bekam eine Tasse Thee mit Brod und eine Nachtlampe. Mein Freund Raymundo sorgte mit gravitätischer Artigkeit für mich. Und so blieb ich allein recht vergnügt mit meinem Schicksal, und zu mir herüber schollen die Töne einer Guitarre nebst einem tremulirenden, einförmigen, aber anmuthigen melancholischen Gesang mit dem Character der spanischen Seguidillas. Beim Klang dieser Töne entschlummerte ich in einem kühlen Bett und hatte eine vortreffliche Nacht, ungestört von den einzigen blutdürstigen Räubern, die ich fürchtete, den Mücken und Flöhen.
Als ich erwachte, erblickte ich meines Freundes Raymundo ehrfurchtsvolles Gesicht vor meinem Fenster gegen den Hof zu, mit der Anfrage, ob ich Etwas befehle. Ich befahl Caffee und huevos (Eier).
Während ich frühstückte, wurde La Miranda auf eine Art angemeldet, welche bewies, daß er hier am Ort als eine Macht ersten Ranges galt.
Und bald ließ Don Ildefonso Miranda seinen Besuch anmelden, den ich in einem an das meinige stoßenden Zimmer von derselben anspruchslosen Beschaffenheit entgegennahm.
Don Ildefonso Miranda pfiff[1] den Leuten in der Posada, und sie flogen herbei, um seine Befehle zu empfangen; er winkte mit der Hand und sie flogen nach allen Seiten, um sie auszuführen.
La Miranda, wirklich ein vollendeter Caballero, war gegen mich unendlich artig in Ton und Manieren; er stellte mir seine Volante und seinen Calashero zur Verfügung, um mich zu Madame Carrera zu führen, er frühstückte mit mir, sorgte für Alles, was ich wünschte, und als ich abreisen wollte und meine Rechnung in der Posada verlangte, da hatte La Miranda bereits Alles bezahlt. Dagegen zu protestiren war nicht der Mühe wert und hätte hier auch nicht gepaßt; ich nahm also die Sache als etwas Unbedeutendes hin und dankte mit einem Kompliment über die Artigkeit der Spanier. Diese ist wirklich groß gegen die Frauenzimmer und Fremde, und sie dürfte ihre Ursache in einem gewissen Nationalstolz haben, welcher im Grunde edel und schön ist.
In Don Ildefonsos Volante und einem tropisch heißen Wind, der allen rothen Staub auf dem Weg in Wirbeln aufrührte, fuhr ich nach Madame Carreras Wohnsitz „Caffetal la Concordia.” Nur in fliegender Eile und durch Wolken von feuerrothem Staub sah ich die schönen Caffetaler Palmen und glänzende Blumen über die Steinmauern winken, welche sie auf beiden Seiten des Weges umgaben.
Madame Carrera war nicht zu Hause in ihrem Caffetal. Sie befand sich am Meeresufer auf der Südseite der Insel, um nebst ihren Söhnen und Enkeln zu baden, und sie konnte meinen und ihres Sohnes Brief erst diesen Morgen erhalten haben. Aber der Verwalter der Plantage, Don Felix, ein artiger, älterer Herr, empfängt mit spanischer Courtoisie und sagt: „Toute la maison est à votre disposition. Vous êtes chez vous. Disposez de tout. La maison est à vous. Ce n’est pas un compliment! (Das ganze Haus steht zu Ihrer Verfügung. Sie sind daheim. Verfügen Sie über Alles. Das Haus gehört Ihnen. Dieß ist kein bloßes Compliment!)“
Wir essen mit einander zu Mittag, der artige alte Herr und ich. Don Felix spricht von Madame Carrera mit einem Ausdruck von Verehrung. „Ah c'est une dame, une dame comme il y en a peu! (O, sie ist eine Dame, wie es nicht viele gibt.)
Trinidad, eine freundliche Negerin mit schönen Augen, die ein wenig französisch spricht, ist meine femme de chambre, und ich bleibe über Nacht da. Am nächsten Morgen ein Brief von Madame Carrera mit der Einladung zu ihr an die playa (Meeresküste) zu kommen, Anstalten um mich dahin zu bringen, und ein Begleiter in der Person eines allerliebsten, schönen und anmuthsvollen Jungen, Adolfo Sauval, zwölf Jahre alt, ältester Enkel der Madame Carrera.
Wir begeben uns hinweg. Beschwerliche Fahrt, zuerst in der Volante durch die Wildniß über Stock und Stein, sodann in einem von Männern gezogenen Boot in einer schmalen mit Schilf und verschiedenen Wasserpflanzen beinahe überwachsenen Rinne. Es geht schrecklich langsam und es ist schrecklich heiß. Mein dunkeläugiger kleiner Caballero, der holde Junge, ermuntert und tröstet: „Jetzt wird es bald besser; jetzt haben wir nicht mehr so weit … in einer kleinen Weile kommen wir in freieres Wasser.” Der liebenswürdige Junge war für mich eine wahre Erquickung bei der Fahrt, die drei unendliche Stunden währte, ehe die Rinne sich zu einem kleinen Fluß erweiterte und wir von einem sanften Meereswind Etwas verspürten. Hier an der Mündung des kleinen Flusses ins Meer liegen auf kahlem Grasboden einige kleine Rindenhütten, wahre Fischerbaraken. Hier wohnt die aristokratische Familie und führt auf einige Wochen ein wahres Feldleben um der guten Bäder willen.
Madame Carrera kam just aus dem Bade. Wie anmuthsvolls sie mir erschien, als sie mir in ihrem langen weißen Kleid entgegen trat, mit ihrem milden bleichen Gesichte, ihrer edlen Haltung, ihrem einnehmenden Wesen. Sie mochte zwischen fünfzig und sechzig Jahren stehen, und die edelste Weiblichkeit drückte sich in Physiognomie und Gestalt aus.
Um die sohöne Frau her erblickte ich zwei hochgewachsene schöne junge Männer, ihre beiden jüngsten Söhne, Alfred und Sidney Sauval, eine schöne Spanierin, die Frau des ältesten, und ihre sechs Kinder, vier Knaben und zwei Mädchen, sämmtlich schön, sodann Neger, Negerinnen und Hunde.
Eine Hütte auf der andern Seite des Flüßchens schief gegenüber der Hütte Madame Carreras ist für mich in Bereitschaft gesetzt. Ich kann da ganz allein schalten und walten. Die gute Frau bringt, so gut es sich machen läßt, ein Bett, einen Stuhl und einen Tisch für mich in Ordnung. Der Wind bläst durch die geflochtene Reisigwand, welche der Meerseite zugekehrt ist; aber es ist Cubas Wind. Rings umher keine Bäume, bloß sumpfiger, niedriger Boden, und da draußen das große Meer ohne Grenzen und Klippen. Wir befinden uns hier auf der Südseite der Insel; es ist eine öde Gegend, bloß von armen Fischern bewohnt, für welche Madame Carreras Aufenthalt die fröhlichsten Tage der süßen Brode im ganzen Jahre sind. Das Ganze hat den Reiz der Neuheit und kann ein paar Tage wohl angehen. Es thut mir leid, daß ich hieher gekommen bin, weil ich sehe, daß ich unwillkürlich der badenden Familie eine ganze Menge von Beschwerlichkeiten gemacht habe. Aber sie sind zu artig, um mich Etwas merken zu lassen, und ich beschließe in den Tag hinein zu leben und mit Allem zufrieden zu sein. Und in dieser Luft ist das nicht schwer. Wir soupiren reichlich und gut an kleinen Tischchen auf der Piazza, die zu Madame Carreras Palmenhütte gehört, und später am Abend plaudern wir beim Licht der Sterne draußen in dem milden Seewind, wie ich schon lange nicht mehr geplaudert habe, von interessanten Perioden in der Geschichte, auch in Schwedens Geschichte, die der seelenvollen denkenden Dame und ihren gut erzogenen Söhnen in ihren größeren Zügen wohl bekannt ist. Es ist beinahe Mitternacht, wenn ich mit Hülfe eines alten treuen Dieners über den schwachen schwankenden Steg, der über das Brücklein führt, voltigire. Es bläst stark vom Meer her und die Wogen brausen gewaltig. Das südliche Kreuz mit seiner Glorie von den Sternen des Centaurs und der prächtige Stern Canopus in dem Schiff Argo stehen klar über dem Meer am südlichen Himmel. Ich grüße sie und krieche in meine Hütte hinein. Das Licht wird vom Wind ausgeblasen. Aber die Sterne gucken durch die Fensteröffnung gegen das Meer zu herein. Die Bettvorhänge wehen und flattern im Winde. Aber es ist Cubas Wind. Ich lege mich von ihm umsaust ins Bett, kann nicht viel schlafen, genieße aber ein unnennbares Wohlbehagen, fühle mich gleichsam auf den Fittigen des Windes getragen von dem frischen weichen Geiste des Meeres. Es ist mir, als ob ich keinen Leib hätte.
Am nächsten Morgen sieht es bedenklich aus. Der Himmel ist klar. Aber der Nachtwind hat das Meer am Ufer aufgejagt und dauert fortwährend mit derselben Stärke an, der Strom schwillt und überschwemmt den Boden rund um unsere Hütten. Pfütze an Pfütze entsteht und die Pfützen laufen zu kleinen Seen zusammen. Man kann nicht mehr von der einen Hütte zu der andern gehen. Wir platschen wie Enten im Wasser. Die Familie geräth in Angst. „Wenn dieser Wind anhält, so sind wir morgen rings umfluthet.“
Der Wind währt fort. Man kann sich jetzt nur noch im Boot zwischen den Hütten hin bewegen. Das Wasser kommt bis zu Madame Carreras Piazza herauf. Man kann nicht mehr ausgehen. „Das wird unausstehlich.“ Und man faßt einen schnellen Beschluß am nächsten Morgen die Playa dem Meer zu überlassen und sammt und sonders nach der „Concordia“ zurückzureisen.
Der älteste der Söhne und alle Kinder sind unwohl; die andern von der Familie und ich bleiben beisammen und plaudern lebhaft und kurzweilig genug bis Abends halb elf Uhr, wo ich im Wind und in der Dunkelheit, theils platschend, theils voltigirend nach meiner Hütte mich zurückbegebe, und allda umsaust vom Sturm und unter Regenschauern dennoch eine ausnehmend gute Nacht zubringe.
Am nächsten Morgen Aufbruch des Lagers und Rückreise nach Caffetal auf demselben Bach, der uns nach der Playa geführt hat. Gedränge, Sonnenhitze, Unbequemlichkeiten aller Art — stille Verzweiflung meinerseits darüber, daß ich durch meine Person die Unbequemlichkeit noch vermehre, und fortwährende Bewunderung für die liebenswürdige alte Dame, die, obschon selbst sehr unwohl, dennoch so viele ihrer Enkel als sie nur kann, unter ihrem Schirm vor der Sonnenhitze zu schützen und zu gleicher Zeit meine Beine vor denen der Kleinen zu bewahren bemüht ist. Der jüngste Bambino schreit die halbe Fahrt hindurch aus vollem Hals.
Endlich Ankunft in Caffetal in abgemattetem und ziemlich betrübtem Zustand.
Aber wir erholen uns. Und am Abend sitzen wir auf der schönen Piazza, sehen Cucullos leuchtend sich in der Luft schwingen und lauschen spanischen Seguidillas, welche der romantisch schöne Alfredo Sauval mit einnehmender Stimme und höchst musikalischem Vortrag, so daß es in der Seele wohlthut ihn zu hören, zur Guitarre singt. Welch ein Unterschied ist nicht zwischen Gesang und Gesang, zwischen dem seelenvollen Gesang und dem Gesang ohne Seele? Diese spanischen Seguidillas, Spaniens eigentliche Volkslieder, haben auch die eigenthümliche Volksseele, die eine unbeschreibliche Frische und Natürlichkeit athmet. Man hört in ihren Tönen die Eingebungen eines jugendlichen, ursprünglichen Lebens. Dieß haben sie mit unsern Volksliedern gemein, so sehr sie auch an Character von ihnen verschieden sind. Unsere Melodien sind tiefer und reicher, aber in den ihrigen ist mehr Sonne, ein freudigeres, wärmeres Leben.[WS 2]
Wiederum danke ich Gott, daß er mich in der Besitzerin dieser Plantage, Madame Carrera, eine jener schönen, mütterlichen Frauen kennen lernen und lieben ließ, die in allen Ländern der Erde ein Segen sind, und die wenigstens auf Augenblicke selbst der Sklaverei ihre drückende Kette abzunehmen und die Sklaven dahin zu bringen vermögen, daß sie dieselbe vergessen.
Dieß wurde mir ganz klar und deutlich schon durch die sichtbare Freude der Neger bei ihrer Rückkehr nach der Plantage. Ich sah es an den strahlenden Gesichtern, womit sie ihr begegneten und ihre heitere, herzliche Anrede erwiederten, und ich sehe es jetzt mit jedem Tag deutlicher, indem ich den mütterlichen Sinn beobachte, welcher sie treibt die Kranken unter den Sklaven selbst zu besuchen, ihnen diejenigen Gerichte oder Erquickungen zu schicken, die sie selbst am liebsten wünschen. Ich sehe, wie täglich auf der Piazza ihr Stuhl von Duzenden kleiner Negerkinder umschmwärmt wird, die zu ihren Füßen sitzen oder herumkriechen, um sie herumspringen und spielen, sie an ihrem weißen Kleide zupfen und ihr so vertraulich klagen, als ob sie ihre eigenen Kinder wären; ich sehe es an den gegenseitigen freudigen Begrüßungen zwischen ihr und den Negern oder Negerinnen, denen wir auf unsern Spaziergängen begegnen; ich höre es auch beständig an ihren absichtslosen Aeußerungen; ich fühle es in ihrem Herzen, in der Behaglichkeit der Atmosphäre, die ihr liebliches Wesen umgibt.
Eines Abends, als sie und ich von einem Spaziergang in einen der Haine der Plantage zurückkamen, begegneten wir in der Dämmerung einer jungen Negerin. „Francisca! Francisca!” rief Madame Carrera herzlich, und richtete auf spanisch einige Fragen über ihr Befinden u. s. w. an sie. Francisca antwortete mit strahlendem Ausdruck, daß sie sich wohl befinde, daß sie glücklich sei und Ihro Gnaden bald mit einem schönen, kleinen „Negrito“ beschenken zu können hoffe. Sie sollte bald Mutter werden. Herzlicher könnten in unserem freien Land Hausfrau und Dienerin nicht mit einander sprechen. Die zukünftige junge Mutter war offenbar fest überzeugt, daß ihr Kind bei der schönen weißen Dame mütterliche Pflege finden würde.
Ein kleiner Negerjunge, der mit ihrem jüngsten Enkel spielte, sprang eines Tages sehr aufgeregt zu ihr und klagte: „Er nennt mich einen unverschämten Neger“ — „Spiele nicht weiter mit ihm,“ sagte Madame Carrera ernsthaft; „spielet jetzt nicht mehr mit ihm,“ fuhr sie gegen die andern Negerjungen um sie her fort, und der schöne kleine Eduardo erhielt eine Zurechtweisung, schlich allein seines Weges fort und ließ eine gute Weile den Kopf hängen.
Ich bewundere oft ihre Geduld, womit sie sich von dem tobenden schwarzen Völkchen umgeben und begleiten läßt, zumal auf Wegen, wo die wilden Kleinen allen möglichen Staub um ihre weiße Gestalt her aufrühren. Ich gestehe, daß ich es so wie sie nicht aushielte.
Aber oft werde ich noch im Geiste ihre sanfte Stimme so wie jetzt, wenn ich diesen Gegenstand zur Sprache bringe, äußern hören: „Diese armen Geschöpfe deren Loos so hart ist, die für uns arbeiten und so wenig Aussicht auf Freiheit und Glück haben — müssen wir nicht Alles thun, um ihr Schicksal zu mildern, müssen wir ihnen nicht auf jede mögliche Art das Leben zu versüßen suchen? Ich kann Niemand leiden sehen — nicht einmal ein Thier. Es ist mir ein Trost zu wissen, daß meine Neger mich lieben. Ich liebe sie, ich habe sie immer ergeben gefunden und voll Eifer mir zu Willen zu sein. Sie sind ganz und gar nicht schwer zu lenken, wenn sie nur sehen, daß man es wirklich wohl mit ihnen meint, daß man gerecht und billig sein will.
„Ich dulde niemals, daß auf dieser Plantage ein Peitschenschlag versetzt wird, ohne meine ausdrückliche Erlaubniß. Die Mayorale sind rohe Menschen ohne alle Erziehung; sie schlagen oft in der Hitze und aus Bosheit. Das darf nicht geschehen. Wenn ein Neger ein strafwürdiges Versehen begangen hat, so wird es mir berichtet, und ich bestimme die Strafe. Wenn die Peitsche angewandt werden muß, so muß dieß ohne Hitze geschehen, und nur dann, wenn Ermahnungen und Tadel sich als fruchtlos erwiesen haben. Meine Neger lieben mich, denn sie wissen, daß ich niemals eine Mißhandlung gegen sie dulden werde.“
„Es ist also nicht wahr, sagte ich, was man mir von der Undankbarkeit der Neger erzählt hat, und daß beim Sklavenaufruhr im Jahr 1846 gerade die sanftesten Herrn zuerst von ihren Sklaven massacrirt worden seien.“
„Ach nein, versetzte Madame Carrera, so Etwas liegt nicht in der menschlichen Natur. Gerade damals befand ich mich ganz allein unter meinen Negern, und sie waren es, die über meine Sicherheit wachten. Mein Sohn war genöthigt nach seiner Plantage auf der Südseite der Insel zu reisen, wo der Aufruhr just in voller Flamme war. Der Mayoral war auf einige Zeit weggereist. Ich rief meine Contremayorale, die sämmtlich Neger waren, und sagte zu ihnen: Ihr wißt, was in diesem Augenblick nicht weit von hier vorgeht, daß die Neger Aufruhr gemacht haben und morden und plündern.“
„Ja,“ antworteten sie.
„Nun wohl; ich stelle mich und mein Haus unter euern Schutz. Mein Sohn muß wegreisen und wird zwei bis drei Wochen ausbleiben. Es wird nicht ein einziger weißer Mann auf der Plantage sein. Ich werde auch keinen hieher rufen. Ich verlasse mich auf euch und will mich euch anvertrauen. Ihr werdet mir für das Verhalten der Neger verantwortlich sein. Sobald ihr eine Unordnung unter ihnen bemerket, so unterrichtet mich davon.
„Sie versprachen, was ich verlangte.
„Ich litt damals, wie jetzt, an Schlaflosigkeit und lag in den Nächten oft lange wachend da. Eines Nachts zwischen zwei und drei Uhr stand ich auf und sah zum Fenster hinaus. Da sah ich zu meiner Ueberraschung einen meiner Mayorale bewaffnet als Schildwache vor meinem Hause auf und abgehen. Ich rief ihn und fragte:
„Ist eine Gefahr im Anzug?“
„Nein, es ist Alles ruhig. Aber wir, ich und meine Cameraden haben gedacht, daß einige Neger von — — — herüberkommen und Ew. Gnaden beunruhigen könnten; deßhalb haben wir beschlossen, abwechselnd Nachts vor Ihrem Hause Wache zu stehen, so daß Sie ruhig Schlafen können.“
„Ich dankte ihm für diesen Beweis von Ergebenheit und fragte, wie die Neger sich aufführen, ob sie wie gewöhnlich arbeiten.“
„Besser als gewöhnlich, lautete die Antwort. Sie wissen, daß die Sennora ihnen ihr Vertrauen geschenkt hat, und sie wollen beweisen, daß sie es verdienen. Ew. Gnaden können ganz getrost sein.“
Bei diesen Erfahrungen und dem Werth des Negercharacters kann die edle Frau nur aufs Schmerzlichste berührt werden von den vielen Gewaltthätigkeiten und Ungerechtigkeiten, welche sie so manche Sklavenbesitzer an ihren Sklaven ausüben sieht und gesehen hat.
„Oft,“ sagte sie einmal, „habe ich in der Bitterkeit darüber gewünscht, sie möchten Alle frei sein können.“
Ich sehe auch oft bei ihr ein gewissermaßen schmerzliches Zucken und höre einen Seufzer, wenn man die Peitsche klatschen hört, welche die Sclaven zur Arbeit kommandirt. Denn sie hat es nie dahin bringen können, daß dieses garstige Signal geändert wurde. Ein anderes mehr musicalisches Signal hört man täglich um elf Uhr Morgens, wo in eine Muschel ein lang aushallender, melodischer Ton geblasen wird, welcher die Negerinnen, die Säuglinge haben, von der Arbeit ruft, damit die Kinder zu trinken bekommen und die Mütter vorher noch einige Zeit haben um auszuruhen.
Madame Carreras liebevoller Character gegen die Negersklaven ist so allgemein bekannt, daß sie oft von fremden Negern, die sich gegen ihren Herrn vergangen haben, um ihr Fürwort angefleht wird, damit man ihnen die Strafe erlasse. Es ist nemlich ein angenommener Brauch auf Cuba, daß der sich verfehlende Sklave unter weißen Personen einen padrino oder eine madrina als Fürsprecher bei dem erzürnten Herrn wählen darf, welcher dann auf ihre Bitten selten oder niemals die Verzeihung verweigert. Madame Carrera ist oft als Madrina angesprochen worden und niemals vergeblich. Wer könnte auch dieser edlen, anmuthsvollen Dame eine Bitte abschlagen? Ueberall, wo ihre schöne weiße Gestalt (sie geht stets in weißen Kleidern) sich zeigt, erscheint sie als ein Bote des Friedens.
Madame Carrera ist auf St. Domingo von französischen Eltern geboren, die sich zur Schreckenszeit aus Frankreich hieher retteten. Während des Blutbads auf St. Domingo wurden sie und ihre Familie durch den aufopfernden Eifer treuer Sklaven gerettet. An den schönen Abenden, die wir auf der Piazza, oder lustwandelnd in den Palmenhainen der Plantage zubringen, erzählt sie mir manche Episode aus der romantischen Geschichte ihrer Familie oder ihrer eigenen Person, und sie ahnt kaum, wie innig mich die Züge einer ungewöhnlich begabten und tief fühlenden Seele ansprechen, die zuweilen hervortreten, ohne daß sie selbst ihre Schönheit und Seltenheit begreift. Oft sprechen wir auch, und Sidney Sauval mit uns, von allgemeineren, besonders historischen Gegenständen und stellen Vergleichungen zwischen merkwürdigen Characteren und Ereignissen aus verschiedenen Ländern an, wobei ich mit meinen schwedischen Männern und Frauen gar nicht schlecht bestehe. Wir sprechen, wir denken, wir malen zusammen; wir verkürzen uns angenehm die Zeit und ich gräme mich zum Voraus darüber, daß ich so bald von hier scheiden muß. Hier könnte ich leben, ohne unter dem zu leiden, was ich zunächst um mich her sehe, und hier könnte ich lieben und hier könnte ich so viel zeichnen und malen. Madame Carrera ist eine ausgezeichnete Malerin für Blumen, Schmetterlinge und andere Naturgegenstände, welche sie ebenso naturgetreu als seelenvoll abbildet. Seit ihrem mehrfachen Unglück (sie hat ihren Mann, den Marquis Carrera, sowie ihren jüngsten Sohn an der Cholera verloren und durch die letzten Orcane große Verluste erlitten) hat sie den Sinn für diese heitern Beschäftigungen verloren, aber mein Entzücken über die Naturgegenstände und mein Zeichnungsfieber regt auch sie an, und könnte ich einige Monate hier bleiben, so würden wir zusammen ein schönes Album von Cubas Blumen und Früchten machen und — das wäre sehr angenehm, wenn nicht größere und theurere Pflichten mich verhinderten.
Die Regenzeit bleibt aus, mehrere Bäume schlagen aus und treiben ihre Blüthen; Cucullos kommen immer mehr und bilden auch hier wie auf La Industria mein Vergnügen und meine Plage. Madame Carrera kann nicht genug von der Pracht und Ueppigkeit der Vegetation während der nassen Jahrszeit sowie von der Herrlichkeit des Farbenspieles in den Wolken erzählen. Dieß könnte mir Lust machen da zu bleiben, um alles das zu sehen, — d. h. mit ihr!
Wir sind jetzt allein hier, sie, der jüngste Sohn, der riesige Sidney Sauval, und drei von den Kindern des zweiten Sohnes, nämlich mein kleiner Caballero Adolfo, ein allerliebstes, zierliches und graziöses Mädchen, Michaelita (ein Abbild der Großmutter), und ein kleiner Junge, Eduardo, ein lebendiges Seitenstück von Coreggios Amor. Madame Carrera liest Vormittags mit den Kindern, während ich auf meinem Zimmer male oder schreibe. Die Nachmittage und Abende verbringen wir zusammen. Man kann nicht behaglicher leben als ich hier, aber meine Zeichnungswuth währt fort und gönnt mir keine Ruhe. Ich male Madame Carreras Portrait, um ihr mildes Gesicht, ihre schönen seelenvollen Augen, die so getreu ihre Seele abspiegeln, mit in die Heimath zu nehmen. Ich male Sidney Sauvals schönen Römerkopf, um ihn seiner Mutter zu lassen; ich male eine Gruppe von den schönen Kindern, und während ich male, fühle ich mich entzückt von der Anmuth dieser Gesichter und von der Schönheit dieser Augen. Ich male Bäume und Blumen und Früchte und Vögel um mich her, und ich bin beständig in halber Verzweiflung darüber, daß ich in der kurzen Zeit, die ich noch hier zu bleiben habe, nur so wenig zu Stande bringen kann. Dieses Caffetal ist die zierlichste und besterhaltene Plantage, die ich bisher gesehen habe. Die ganze Gegend hier ist voll von Caffeeplantagen, und zur Zeit ihres größten Wohlstandes soll jede von ihnen ein kleines Paradies von Schönheit gewesen sein, jede mit eigenthümlicher Auswahl und verschiedener Anordnung an Bäumen und Blumen. Sie wetteiferten mit einander an Schönheit und Luxus, wie ihre Eigenthümer in prachtvollem Leben und verschwenderischer Freigebigkeit wetteifern. Sennor Carrera war einer der ausgezeichnetsten Pflanzer in Bezug auf Reichthum, grandiose Freigebigkeit und Wohlthätigkeit. Eines Tags dinirte er bei einem seiner Nachbarn. Als er abreisen wollte und seine Volante mit drei prächtigen Pferden bespannt im Hofe auffuhr, eilten die Gäste an die Fenster, um Sennor Carreras Pferde zu sehen, die durch ihre Schönheit bekannt waren. Als die prächtigen Thiere in vollem Trab herankamen, rief ein Frauenzimmer: „Ach wie glücklich wäre ich, wenn ich solche Pferde besäße!“
„Madame, sie gehören Ihnen,“ sagte der galante Spanier.
Erschrocken über diese Folge ihres unbesonnenen Ausrufs wollte die Dame ablehnen.
Es half Nichts. Sennor Carrera ließ sogleich die Pferde ausspannen und entlehnte ein Paar Pferde von seinem Wirth, um nach Hause zurück zu fahren. Die fremde Dame mußte das kostbare Geschenk behalten. Solcher Art war der Luxus und der Ton in dieser Blüthezeit der Caffeepflanzungen. Das Sinken des Caffees im Handel und zwei gewaltige Orcane haben den Zustand auf der Insel verändert. Beim letzten derselben im Jahr 1848 wurde Madame Carreras Haus dem Erdboden gleich gemacht und ihre Bibliothek sowie mehrere kostbare Sammlungen von Grund aus zerstört. Bücher und Gemälde, die man später wieder hervorgrub, waren ertränkt und verderbt durch das Salzwasser, das der Orcan auf die Insel hinaufgetrieben hatte. Noch, sagt man, sei der Boden krank von diesem schrecklichen Sturm, und Bäume und Pflanzen haben ihre frühere Kraft noch nicht wieder erhalten. Mehrere große Bäume, unter ihnen ein prächtiger Ceiba, liegen noch jetzt dem Erdboden gleich gemacht da. Aber in dem Garten blühen wieder die schönsten Pflanzen und das Vogelhaus besitzt eine Menge seltener Vögel. Das Haus, das Sidney Sauval einzig und allein mit Hülfe seiner Neger für seine Mutter erbaut hat, gehört zu den schönsten, die ich auf Cuba gesehen habe. So geschickt können die Neger als Handwerker werden. Die meisten Handwerker auf Cuba sind Neger und sie verdienen so viel, daß sie sich leicht freikaufen.
Wenn ich im Sonnenuntergang mit Madame Carrera unter Gesprächen, die mit ihr stets lebhaft werden, in den vielen Gängen Caffetals umherwandle, muß ich immer von Neuem stillestehen in Bewunderung für die Schönheit und Anmuth der Formen und Bewegungen der jungen Palmbäume, die hier wachsen. Die Zweige der Cocospalme sind in ihrer Jugend von unvergleichlicher Grazie. Regelmäßigkeit und Ungezwungenheit, Gesetz und Freiheit, Majestät und Milde offenbaren sich hier in lebendigen Symbolen. Hier ist auch eine gigantische Laube oder ein hoher gewölbter Gang von Bambusbäumen oder, wie sie auf spanisch genannt werden, canna brava, und bildet den Schluß einer prächtigen Guardarajah von Königspalmen. Wenn ich in der Tiefe dieses hellgrünen Tempelgewölbes die Sonne aufgehen und die feinen Bambuszweige luftige gothische Arcaden, deren Grazie sich nicht beschreiben läßt, gegen die hellrothen und goldenen Wolken am Abendhimmel bilden sehe, da fühle ich mit einer Mischung von Wehmuth und Freude, daß der bildende Künstler hier Feder und Pinsel fallen lassen und muthlos wie Carlo Congo beim Tanze sagen muß: „Nein, es lohnt sich doch der Mühe nicht!“ Nein, es lohnt sich der Mühe nicht die Hände zu erheben, um nachzubilden, sondern bloß um anzubeten. Aber es lohnt sich der Mühe diese Bildungen des höchsten Künstlers zu betrachten, um von ihnen Sinn und Kunst veredeln und vergeistigen zu lassen.
Ich stehe Morgens früh auf um zu malen und sehe da von meinem Fenster aus zwei große Hybiscusbüsche mit blutrothen Blumen, umsaust von einem Schwarm smaragdgrüner Colibri. Rund um sie her auf den großen Plänen ist eine Menge Federvieh, das meine Belustigung ausmacht. Zuvörderst kommen zwei hochbeinige, langhalsige, hellrothe Flamingos, die ganz jung am Meeresufer gefangen wurden und jetzt vollkommen zahm sind. Sie haben von Gestalt einige Aehnlichkeit mit Schwänen, aber bedeutend längere und schmalere Beine wie auch längere und schmalere Hälse. Sie haben kleinere Köpfe und große krumme Schnäbel und geben ein schnarchendes Getöne, ähnlich wie die Enten, nur weit stärker von sich, besonders wenn sie nicht zu rechter Zeit gefüttert worden sind, und bei dieser Gelegenheit spazieren sie, wenn sie Madame Carrera herauskommen sehen, brummend ihr nach und scheinen gleichsam zu zanken und mit großem Eifer darüber zu klagen, daß man sie vernachläßigt hat. Ihre Verachtung gegen die Hühner und Gänse ist unbeschreiblich, und die hochvornehmen Mienen, womit sie heransteigen und auf die Hühner herabsehen, gleich als fühlten sie sich beleidigt, daß diese es wagen sich auf ihrem Weg einzufinden, sind köstlich anzuschauen. Die Hühner springen gleichsam gedemüthigt durch ihre vornehme Haltung und das Bewußtsein ihrer eigenen Geringfügigkeit ihnen aus dem Weg, aber die fetten und breiten Gänse, welche Bürgerfrauen neben östreichischen Herzoginnen mit fünfzehn Ahnen gleichen, rächen sich zuweilen dadurch, daß sie ihre Hälse nach ihnen ausstrecken und ein gellendes Geschnatter von sich geben, welches die vornehmen Flamingos nicht zu beachten belieben. Solcher Art ist die Demokratie der Natur.
Die armen, vornehmen Flamingos sind übrigens jetzt sämmtlich auf dem Trockenen. Es ist zwar für sie ein steinernes Bassin vorhanden, das Wasser halten sollte, aber die beharrliche Dürre hat es beinahe ganz ausgetrocknet. Gleichwohl hält das Flamingopaar da sein Morgenbad mit großem Wesen, und wenn ihre Flügel etwas naß geworden sind, stellen sie sich auf dem Graswalle auf und breiten sie mit viel Pomp und Feierlichkeit aus, um im Wind und in der aufsteigenden Sonne zu trocknen. Sodann machen sie auf einem Beine stehend unter einem Casuarinabaum mit langen ausgestreckten Zweigen — dem Baum, welchen der Neger wählt, um sich zu hängen — ein Schläfchen und legen den langen Hals in schlangenartigen Biegungen über den Rücken zurück. Sie sind dann höchst köstlich anzusehen.
Hier wie überall auf Erden ist man mit dem Wetter, wie der liebe Gott es schickt, selten zufrieden. Wie man sich daheim bei uns oft nach Regen sehnt, so sehnt man sich jetzt auch auf Cuba darnach. Und die heiße Luft und der rothe Staub machen, daß die Sehnsucht nach Regen hier etwas brennend und qualvoll ist. Ich habe so manchmal von der Schönheit der Luft und der Vegetation auf Cuba gesprochen und mich so herzlich daran erlabt, und gleichwohl habe ich hier mitten in all dieser Herrlichkeit manchmal eine Ahnung von dem, was das Heimweh besagen will. Es gibt Momente, wo ich es nicht wage an unsere kühlen Sommerabende und die weißen Nebel zu denken, die Abends aufsteigen und sich wie Schleier über die Wiesen bei Arsta unter unsrem Hause legen, an die Nebel, in welchen die Ochsen so gemüthlich liegen, wiederkäuen und ausruhen. Es ist mir als sollte ich hier krank werden, als sollte ich gleich dem armen kleinen Lappländer Tantus Potas in Italien, als er in den letzten Zügen lag, von aller Herrlichkeit der Tropen nur das begehren, was ich nicht erhalten könnte, „ein wenig Schnee um mein Haupt darauf zu legen.“
Ein Regenschauer, ein Regenschauer! Und die Flamingos haben Badewasser bekommen und halten ein großes Bad, und die Gänse schnattern, alle Pflanzen glänzen und treiben ihre Blüthen hervor und Menschen und Pflanzen und Thiere richten ihre Häupter auf. Jetzt setzt der Kaffeebusch Bohnen an und die Palma Christi[2] reckt ihre grünen Hände ganz gestärkt im Winde empor. Der Papayabaum schüttelt die Regentropfen aus seinem Wipfel und Cucullos kommen in Menge herangeflogen.
Morgen am Sonntag dürfen die Neger unter dem großen Mandelbaum vor der Bohea tanzen. Dieß wird mein letzter Tag auf Concordia sein. Uebermorgen reise ich in Begleitung von Sidney Sauval nach Havannah.
Da ich es in frischer Erinnerung habe, muß ich Dir von einem Ereigniß erzählen, das sich vor Kurzem nicht weit von hier zugetragen hat und ein Beweis ist, wie viel die Behandlung der Negersklaven bei ihnen in Gutem oder Bösem wirken kann.
Ein französischer Plantagenbesitzer auf Cuba, Herr Chapeaud, reiste vor einigen Monaten nach Europa und hatte die Aufsicht über seine Plantage und seine Negersklaven einem Mayoral überlassen, der sein Vertrauen besaß. Dieser war ein harter und heftiger Mann, er behandelte die Sklaven streng und gewaltthätig, und es verging kein Monat, so war das ganze Arbeitspersonal auf der Pflanzung in vollem Aufruhr und das Leben des Mayorals stand in Gefahr. Madame Chapeaud — eine Dame, die ich kennen lernen möchte, nahm es auf sich diesen Mayoral zu verabschieden und selbst sein Amt zu versehen. Durch einen großen Schirm vor der Hitze der Sonnenstrahlen geschützt, gieng sie mit den Negern auf die Felder und blieb da die Arbeit überwachend; sie begleitete sie sodann wieder nach Haus und sah darauf, daß ihnen Speise und Ruhe nach Recht und Billigkeit zugemessen wurde. Von diesem Augenblick an trat vollkommene Ordnung und Ruhe auf der Plantage ein. Die Sklaven arbeiteten willig und ließen sich angelegen sein der achtungswürdigen Dame ihre Ergebenheit zu beweisen. Sie fuhr fort das Mayoralgeschäft auf der Plantage zu versehen, bis ein Mann angeschafft werden konnte, der die Plantage nach ihrem Sinn verwaltete.
Cucullos leuchten im Glase neben mir und ich könnte bei ihrem Scheine schreiben; aber ich schreibe doch bei einem von Menschenhänden gemachten Licht, weil dessen Schein, wenn auch nicht so schön, doch stärker ist. Er beleuchtet meinen letzten Abend auf Concordia. Viel Schönes an Natur und Menschen habe ich hier kennen gelernt und ich werde ewig dafür dankbar sein. Ein Gedanke macht mich besonders glücklich. Ich bin unbekannt, selbst in Beziehung auf literarischen Ruf, — denn es kommen höchst selten europäische Bücher nach Cuba — hieher gekommen, ohne irgend eine andere Empfehlung außer der Eigenschaft als Fremdling aus einem fernen Lande, „dem Lande Gustav Adolfs und der Königin Christine,“ und nach einem Aufenthalt von nicht mehr als einer Woche bin ich als Schwester und Freundin im Hause. Dieses Verhältniß, das sich in mehreren Häusern Cubas für mich erneuerte, hat mir das hohe Gefühl einer Seelenverwandtschaft gewährt, die, sobald sie sich geltend machen kann, ein stärkeres Band der Vereinigung wird, als alle äußeren Bande. Selten habe ich mich in einem fremden Haus heimischer gefühlt als in diesem. Madame Carrera ist eine von denjenigen Personen, die ich herzlich liebhaben und mit denen ich bei täglichem Umgang glücklich leben könnte. Mit ihrem Sohne könnte ich mitunter in gewissen Beziehungen recht ernstlich hadern, aber ich könnte nicht umhin ihm als einer reichbegabten jungen Riesennatur und einem Geiste, der sich von großen und edeln Gedanken befeuern läßt, Freundschaft und Interesse zu widmen. Die holden Kinder, ja, in diese bin ich geradezu verliebt, besonders in den jüngsten kleinen Amorino Eduardo. Man kann sich kein schöneres und graziöseres Kind denken. Der Abschied von ihnen allen geht mir sehr nahe.
Und dann die Blumen und die Früchte, die jetzt in immer reicherer Menge zu kommen anfangen. Ich habe hier mehrere kennen gelernt, die mir vorher unbekannt waren. Diese Inseln der Südsee, diese Lieblinge der Sonne, überfließen von reichen Früchten und Spezereien. Madame Carreras Tisch gehört auch zu den leckersten. Aber keines der leckern Gerichte dahier hat mir mehr behagt, als das Lieblingsgericht der Negersklaven, Foufou genannt, eine Art von zähem, aber höchst schmackhaftem Pudding, den sie aus zerstampften Bananas oder Platanen machen und mit einer Sauce von Tomatos, sowie mit andern grünen Dingen essen. Es ist ein ausgezeichnet gutes und gesundes Gericht, das wir mehrere Male zum Frühstück erhielten, nachdem ich mein großes Wohlbehagen erklärt hatte. Und nächst unserer Kartoffel, die auf Cuba eine Rarität ist, weiß ich keine zugleich so gute, so schmackhafte und leckere Wurzelfrucht als die edle Wurzel Yuca, die gleich der Kartoffel mit frischer Butter gegessen wird und sowohl auf dem magern Lande der Neger als in den fetten Caffetälern der reichen Pflanzer wächst. Eine so gute Mutter ist die Natur, ein so guter Vater ist der Schöpfer der Natur, daß die schmackhafteste und gesundeste Nahrung auf Erden in allen Ländern auch die zugänglichste für Alle ist. Was haben wir in unsern Ländern, was auf die Länge besser mundete und gesunder wäre, als Kartoffeln und Häringe, Milch und Brod und Roggenmehlgrütze — selbst die Excellenzen, sagtest du einmal, essen ja zuletzt eine Wassergrütze — und das Wasser, klares reines Quellenwasser, das erste, das beste von allen Getränken der Natur, ist dasjenige, das allen umsonst gegeben wird.
Ich muß jetzt einige Worte von dem letzten Negertanz sagen, den ich auf Cuba zu sehen bekam.
Er fand heute Nachmittag unter einem großen laubigen Mandelbaume ein Stück weit von der Bohea ab Statt, welche auch hier keine Festungsmauer mit Thüren und Riegeln ist, sondern eine freiliegende Wohnung, die an einen Meierhof bei uns erinnert.
Der Tanz hatte ganz denselben Character, wie die Tänze, die ich vorher beschrieben habe. Ein Ring von Singenden wiederholte eintönig und unharmonisch, aber mit rhythmischem Leben die Worte und den Ton, die ein junger Neger angab; mitten im Ring waren ein oder zwei tanzende Paare, welche umherhüpften und courbettirten, der Mann lebhaft, sie gemessener; der Tanz war eine fortgesetzte einförmige Improvisation, Eine Menge kleiner Kinder befand sich hier im Ring, und unter ihnen stand die gute weiße Dame la dame blanche, wie ich sie zu nennen liebe, mild und mütterlich.
Ich fragte hier wieder und suchte die Bedeutung der Worte zu erfahren, die zum Tanz gesungen wurden, und wiederum antwortete man mir, es sei so unbedeutend, so Nichts, daß es sich nicht der Mühe lohne es zu sagen. Es mag sein, daß dieß oft so der Fall ist. Aber daß es nicht immer so ist, das weiß ich aus vielen Erzählungen und vielen Negergesängen in den Sklavenstaaten Americas. Die Neigung der Africaner zur Improvisation ist ein auszeichnender Zug in ihrem Leben und Character und kann, wie wir wissen, der Ausdruck eines hohen Grades von einfacher Schönheit im Leben der Seele und der Handlungen sein.
Als der berühmte englische Reisende Mungo Park — so erzählt er selbst in seiner Reisebeschreibung — verirrt in den Wildnissen Africas, mit Abscheu fortgewiesen aus dem Dorf, wo er eine Nachtherberge zu bekommen gehofft hatte, einsam, hungrig, erschöpft, von aller Welt verlassen sich unter einen Baum setzte, mit keiner andern Aussicht als auf einen kläglichen Tod — denn es drohte ein Gewitter und die wilden Thiere brüllten um ihn her — da kam gegen die Dämmerung ein Weib vom Acker zurück, sah ihn und erbarmte sich seiner, nahm ihm den Zaum und den Sattel des Pferdes ab — das Pferd, selbst war ihm geraubt worden — und bat den unglücklichen Reisenden ihr zu folgen.
Sie führte ihn in ihre Hütte, zündete ihre Lampe an, breitete einen Teppich über den Boden und bat ihn da über Nacht zu ruhen. Sie brachte auch einen schönen Fisch, den sie auf Kohlen briet und ihm als Abendessen darreichte.
Einen großen Theil der Nacht hindurch spann sie mit den Weibern in der Hütte Baumwolle, und während sie spannen, sangen sie, um sich aufzumuntern, Lieder. Eines von ihnen war offenbar für die vorliegende Gelegenheit gemacht. Ein Weib sang zuerst allein; dann stimmten die andern im Chor ein. Der Ton der Melodie war lieblich und melancholisch. Die Worte waren folgende:
Der Sturm heulte und der Regen fiel, |
der arme weiße Mann, |
müde und schwach, |
setzte sich unter unsern Baum; |
er hat keine Mutter, |
die seine Milch bringen kann, |
kein Weib, das sein Korn mahlt. |
Chor. |
Habt Mittleid mit dem weißen Mann! |
Er hat keine Mutter u. s. w. |
Wenn die Weiber Africas in America und Westindien weniger schöne Lieder singen, so ist es nicht ihre Schuld; wenn ihre Improvisation gefesselt ist wie ihre Körper und ihre Seelen, so ist es die Schuld des weißen Mannes.
Seine Pflicht ist es ihn frei zu machen, ihn durch das Licht der christlichen Liebe und Bildung emporschießen zu lassen wie eine Palme, wie eine Bambusarcade aus der sonnenwarmen Erde, und die Völker der Tropen mit ihren Gesängen und Tänzen werden dereinst der reichen und schönen Naturwelt der Tropen entsprechen. — Auch sie gleicht einer fortwährenden Improvisation eines wechselnden, üppigen Sommerlebens, das in seiner ewigen Blüthe die Menschen vergessen lassen könnte, daß „der Tod in die Welt gekommen ist.“
Später an diesem schönen Abend, einem der schönsten, die ich auf Concordia zugebracht habe, denn die Luft war aufgefrischt nach dem Regenschauer und der Mond stieg schön auf über dem weißen Hauptgebäude — saßen wir draußen und sahen Cucullos in der Luft umherschwärmen und die Feuer glänzen aus der Bohea der Neger. Ohne Feuer kann dieses Volk nicht leben, selbst mitten in der größten Hitze nicht; und sie lieben es auf dem Boden mitten in ihren Zimmern anzuzünden. Ihre Betten — Bretterstücke mit oder ohne Stroh, — verwandeln sie mittelst belaubter Zweige und Lumpen so sehr als möglich in Nester, worin sie gerne zusammengekauert liegen.
Noch später spielte ich mit den holden Kindern auf der Piazza Feuerleihen, was hier tu me da la candela hieß. Es war für die Kinder etwas Neues und machte sie ausgelassen lustig.
Morgen früh reise ich nach Havannah zurück, um von da am 8. Mai mit der Isabel nach Charleston zu fahren.
Der Tanz unter dem Mandelbaum und die schöne weiße Dame da, die wie eine Mutter unter den schwarzen Kindern stand, ist ein Bild, das ich mit Vergnügen von hier fortnehme.
Aber ich nehme von hier auch die Erinnerung an die Worte mit, welche der ehrliche Don Felix eines Abends zu mir sagte und die aus seinem Munde nicht verworfen werden können:
„Ach, es ist ein Unglück Sklave zu sein!“
Die gute weiße Dame kann doch den armen schwarzen Sklaven nicht schützen.
Die Religion ist nicht ganz todt auf Cuba; sie lebt da noch in einigen schönen barmherzigen Stiftungen zum Vortheil vater- und mutterloser Kinder und unglücklicher Kranken. Sie lebt da lebendiger als in den Vereinigten Staaten Nordamericas, wenigstens in einer Beziehung, derjenigen nemlich, daß sie sowohl den schwarzen als den weißen Menschen und zwar auf vollkommen gleichem Fuß in das Spital und die Wohlthätigkeitsanstalt aufnimmt. Ich habe dieß beute gesehen und davon gehört, während ich mit dem liebenswürdigen Creolen Alfredo Sauval das große Krankenhaus zum heiligen Lazarus besuchte, worüber er die Oberaufsicht führt. Die große Anstalt ist für Unglückliche bestimmt, die mit unheilbaren Krankheiten behaftet sind, welche den tropischen Ländern und besonders der africanischen Bevölkerung angehören, z. B. Aussatz, Elephantiasis, bei welcher Beine und Füße zu unnatürlichen Dimensionen anschwellen, und die St. Antonskrankheit[WS 3], bei welcher Hände und Füße sich zusammenziehen und ohne Schmerz oder Wunde zu Nichts verschwinden. Für diese Unglücklichen hat man hier auf die schönste Art gesorgt.
Das umfassende Gebäude — wie eine große Bohea viereckig und mit einem Gatterthore versehen — lag am Meer, das mit brausenden Wogen die Felsenwände an seinem Fuß badete und die Wohnungen der Kranken mit seinem Leben und Gesundheit athmenden Wind umgab. Auf dem großen Hof waren schöne Pflanzungen von Oleanderbäumen, die jetzt in voller Blüthe standen, und deren hellrothe Blumen die Luft mit Wohlgerüchen erfüllten. Diese schönen Pflanzungen waren das Werk des jungen Intendanten. Jeder unglückliche schwarze oder weiße Mensch, der mit einer der unheilbaren Krankheiten behaftet ist, welche ich genannt, hatte hier seine eigene, abgesonderte, bequeme Wohnung. Unter den Personen, die ich besuchte, war ein alter Neger, der seit seiner Jugend an der St. Antonskrankheit litt. Seine Hände waren nur noch Fingerstumpen und die Füße nur noch Knöchel, auf welchen er jedoch stehen und mit Hülfe von Stöcken noch gehen konnte. Auch konnte er mit den Fingerstumpen sich und seinen kleinen Haushalt besorgen. Seine Wohnung bestand aus einer kleinen Stube und ditto Schlafkammer, einer kleinen Küche, bei welcher er noch ein Gärtchen hatte, wo er Ananas und Wurzelfrüchte pflanzen konnte — Alles klein, aber gut und sauber. Er sah gutmüthig und zufrieden aus. Die andern Kranken hatten ähnliche Wohnungen. Es fehlte Nichts, was ihr langsam dahinsterbendes Leben versüßen konnte. Und Christi Liebe kam hier noch zu den am meisten leidenden Menschenkindern. Sie konnten die Herrlichkeit der Natur im Meer und in den schönen Blumen sehen und genießen; sie konnten unter Gebeten und Lesung frommer Bücher ohne Unruhe und Kummer den Tag abwarten, welcher sie von ihren Körpern erlösen und sie mit einer verklärten Naturwelt vereinigen sollte. Die Hoffnungslosen können hier für die schönste Hoffnung leben.
Eine andere schöne Barmherzigkeitsanstalt in Havannah ist la Casa de beneficencia (das Wohlthätigkeithaus). Sie nimmt mehrere Hundert mutterlose Kinder auf. Sie erhalten da ihre Erziehung, und wenn sie das Haus verlassen, bekommt jedes als eine Art von Mitgift 500 Pesos, womit sie ihr Leben auf eigene Faust beginnen können.
Aus der St. Lazarusanstalt führte mich Herr Sauval nach Havannahs großem Begräbnißplatz Campo santo. Dieß ist ein großes Gebäude von schwarzem Marmor, in dessen hohen Mauern innerhalb einem ungeheuern Burghof jede Familie ihre kleine Nische oder Lade hat, wenn sie nemlich die Mittel besitzt sie zu bezahlen. Jede solche kleine Nische war mit einer Inschrift in goldenen Buchstaben versehen. Die Weite und Höhe der Mauer machte, daß diese Grabnischen sehr klein aussahen; aber jede kann doch mehrere Särge in sich fassen.
Im Spital hatte ich den Geist des Christenthums gesehen; im Campo santo fand ich den Geist des Heidenthums wieder.
Die Leichen der Reichen ruhten in den hohen Mauern mit goldenen Inschriften; die der Armen wurden ohne Gedächtnißzeichen, ohne einen grünen Rasen über ihnen, ohne eine Blume oder ein Gebüsch, um das Lichtleben über dem Grab anzudeuten, hinabgescharrt. Und es war eine große Abtheilung im Campo santo, wo man ganze Anhöhen von Beinen und Todtenschädeln auf einander warf; es war der Begräbnißplatz der Negersklaven. Es ist hier nemlich verboten einen Neger im Sarge zu begraben; die Leiche wird halb oder ganz nackt in die Erde geworfen, und auf sie werden Kalk und solche Erdarten geworfen, die den Körper rasch verzehren. Nach acht oder vierzehn Tagen wird er wieder ausgegraben, um andern Körpern Platz zu machen, und die Beine werden haufenweise aufgeworfen, um in der Sonne zu trocknen.
Während wir da standen, wurde ein unbedeutender Mensch in der Nähe des Negerplatzes begraben. Ich bemerkte, daß man dem Todten Kissen, eine Decke und etliche Kleidungsstücke ins Grab legte.
Während dieser meiner letzten Tage in Havannah habe ich auch mit meiner guten Mrs. Tolme einige schöne Privatgärten besucht, um verschiedene Blumen und Früchte besser kennen zu lernen. Ich habe mit dem Professor der Botanik, Don Felipe Poë, Bekanntschaft gemacht, und er war so artig mir einige cubanische Schmetterlinge zu schenken, worunter auch denjenigen, der für den schönsten gehalten wird und hier den Namen Urania führt. Er hat eine schöne dunkelgrüne Farbe und einen Glanz wie von Sammt.
Es thut mir leid, daß ich die Bekanntschaft des interessanten und freundlichen Alfredo Sauval nicht früher gemacht habe, denn durch ihn hätte ich in Havannah Vieles lernen können, was mir jetzt durch die knappe Zeit unerreichbar geworden ist.
Es scheint sich in Cuba während der letzten Jahre viel gebessert zu haben, besonders was die Polizei und die Sicherheit der Person, sowohl in der Stadt als auf der ganzen Insel betrifft. Vor einigen Jahren hörte man (so haben mir mehrere Leute erzählt) am späten Abend oft den Nothruf: Assassino! (Mörder!) auf den Straßen. Aber Niemand wagte es nach der Seite zu gehen, von wo der Ruf vernommen wurde; denn nicht selten war der Ruf eine Schlinge, und diejenigen, die sich hineinlocken ließen, waren selbst dem Mord ausgesetzt. Wenn Jemand einen Andern ermordet oder sterbend draußen auf dem Boden liegen sah, so konnte er es nicht wagen ihm zu Hülfe zu kommen, ohne daß er sich der Gefahr aussetzte, daß er, wenn nemlich der Verwundete starb, ohne daß mehrere Personen die Unschuld des Helfers bezeugen konnten, selbst des Mords angeklagt wurde und einen endlosen Prozeß an den Hals bekam. Der sicherere und bessere Zustand, der jetzt eingetreten ist, wird den strengen Untersuchungen und den Reformen des Gouverneurs Tacon zugeschrieben. Er war ein strenger Mann und that viel zum allgemeinen Besten, machte sich aber durch sein despotisches Wesen bei vielen Privatleuten verhaßt.
Prozesse und Advocaten stehen auf Cuba in großem Flor, und die Gewaltthätigkeiten und Plackereien der Gerichte gegen einzelne, die niemals zu ihrem Rechte kommen, wenn sie es nicht mit schwerem Geld erkaufen, sind unerhört. Aber um diesem Uebel abzuhelfen, ist eine gänzliche Umbildung sowohl der Gerichte als der Regierung auf der Insel erforderlich.
Auf meinen Wanderungen in Havannah habe ich immer mit Vergnügen die Negerbevölkerung daselbst betrachtet, die mir freier und glücklicher zu sein scheint als in den Städten der Vereinigten Staaten. Gewiß ist, daß man hier öfter als dort Neger und Mulatten Handel treiben sieht, und daß ihre Weiber in der Regel sehr gut, ja sogar hübsch gekleidet sind. Auf den prächtigen Paseos sieht man nicht selten Mulattinnen mit Blumen im Haare spazieren und ihre Familie mit ihnen. In den Tabaksläden findet man gewöhnlich Mulatten als Verkäufer; oft auch als Eigenthümer der Bude. Die schwarzen Einwohner rauchen mit den weißen um die Wette Cigarren; viele Frauenzimmer von der zweiten und dritten Classe rauchen auch gerne ihre Cigarritos, und es wird behauptet, daß von der Bevölkerung auf Cuba ein Drittel mit der Verfertigung von Cigarren beschäftigt sei, während die zwei andern sich damit beschäftigen sie zu rauchen.
Unter der weißen Bevölkerung in den Städten bemerkt man deutlich zwei verschiedene Physiognomien. Der eine Theil hat feine Züge, ein ovales Gesicht, einen stolzen und oft düstern Ausdruck; er gehört dem castilianischen Stamm an. Der andere hat ein rundes Gesicht, platte breite Züge, einen jovialen aber plebejischen Ausdruck; er gehört den Cataloniern an. Der erstere ist mager, der letztere dick. Die Castilianer findet man am häufigsten unter den Beamten, die Catalonier unter den Handelsleuten. Diese letzteren hängen zunftmäßig zusammen und stehen in minder gutem Verhältniß sowohl zu den Castilianern als zu den Creolen. Die Creolen sind gute Leute und scheinen von dem milden Clima auf der Insel einen sanften und harmlosen Character einzusaugen.
Zu meinen Versuchungen auf Cuba gehörte eine Reise nach Jamaica, die sehr leicht hätte zu Stande kommen können, und die ich gewiß ausgeführt haben würde, wenn ich nur mehr Zeit gehabt hätte. Ich hätte gewünscht auf Jamaica die Neger zu sehen, wie sie im christlichen Staat sich selbst regieren. Durch den älteren Mr. Tolme und einige seiner Bekannten aus Jamaica habe ich jedoch ein ziemlich klares Bild vom Zustande daselbst erhalten. Es scheint, daß die freien getauften Neger so ziemlich dem Character treu bleiben, den sie in Africa zeigen. Man hat ihnen große Häuser mit bequemen Zimmern, mit Küchen und Gärten gebaut, so daß sie in Bezug auf Wohnung und Arbeitsleben alle Vortheile des Privatlebens und der Association vereinigt haben. Vergebens! Die großen, bequemen, steinernen Häuser blieben leer stehen. Der Neger liebt das steinerne Haus und die Association nicht. Das höchste Streben jedes Negers geht dahin, sich ein eigenes kleines Erdestück, (a mountain wird es genannt, was vermuthlich Hügel bedeuten soll) kaufen zu können, wo er sich dann eine mit Palmblättern bedeckte Rindenhütte bauen, die Bäume seines Heimathlandes pflanzen, und einiges Land für das Zuckerrohr oder Mais und Erdfrüchte umgraben kann. Er arbeitet, um dieses irdische Paradies zu gewinnen. Dort angekommen findet er seine Lust darin, soviel als möglich zu ruhen und zu genießen und so wenig als möglich zu arbeiten. Und warum sollte er arbeiten? Der Ehrgeiz, der Wissensdrang, das Verlangen die Welt geistig oder körperlich zu erobern, solche Wünsche, die der Schöpfer der kaukasischen Rasse eingab, sind ihm nicht zu Theil geworden. Dagegen hat er das Talent zum sorgenlosen Genusse, die frohe Laune, den rhythmischen Gesang und Tanz. Der Himmelsstrich, unter welchem er geboren ist, begünstigt die ersteren Gaben und steht den letzteren entgegen.
Auch im Handel zeigt der Neger seine Neigung sich in seiner kleinen Welt zu vereinzeln und seinen Widerwillen gegen Association oder seinen Mangel an Talent dafür. Statt eines großen Handelshauses für Zucker oder Caffee werden zwanzig[WS 4] kleine Handelsbuden errichtet, wo jeder für sich Zucker oder Caffee verkauft ohne Gemeinschaft mit den andern.
In Folge dieser Neigungen lieben die Neger es nicht für größere Plantagenbesitzer zu arbeiten und verlangen dafür einen übertriebenen Taglohn. Bekommen sie nicht so viel als sie wünschen, so ziehen sie es vor nicht zu arbeiten. Sie ziehen es vor; denn sie haben so wenig Bedürfnisse und die schöne Erde ernährt sie für geringe Mühe.
Deßhalb sind auch beinahe alle größere Pflanzungen auf Jamaica in Verfall gerathen und ihre Besitzer untergegangen. Die meisten großen Plantagen stehen für geringe Preise zum Verkauf ausgesetzt.
Gleichwohl habe ich von zwei größern Plantagebesitzern auf Jamaica, einem Engländer und einem Spanier, gehört, daß sie keinen Grund gehabt haben sich zu beklagen, und daß es ihnen immer gelungen sei von den Negern die Arbeit zu erhalten, deren sie bedurften. Aber ich vermuthe da, daß sie nicht viel forderten und daß sie die Neger freundlich behandelten.
Und warum sollte die Arbeit für muntere Leute nicht munter gemacht werden? Die Neger selbst scheinen durch ihre nächtlichen Gesänge in der Zuckermühle die Art und Weise anzudeuten, wie man sie zu tüchtiger Arbeit bringen kann. Man lasse sie unter Musik und Gesang arbeiten, und vielleicht wird ihre Arbeit von Statten gehen wie ein Tanz; aber die Europäer glauben, es könne keine Arbeit ausgeführt werden außer mit Hülfe von Taglohn oder der Peitsche.
Ich habe meine letzte große Aussicht über Cuba vom Azoteon auf Alfredo Sauvals Hause genossen. Es war gestern Abend bei Sonnenuntergang. Zum letzten Mal habe ich seine schönen Palmenhaine, seine zierlichen, glitzernden Häuser, seinen milden Himmel, sein hellblaues Meer in dieser Beleuchtung, in dieser entzückenden, bezaubernden Abendluft gesehen. Heute Nachmittag gehe ich an Bord der Isabel und sage dann Cubas Palmen und Ceibas, Cucullos und Contretänzern, Guadarajahs und Sternbildern, africanischen Trommeln, Gesängen und Tänzen, seiner glücklichen und unglücklichen Bevölkerung, seinen Höllen und seinen Paradiesen auf immer Lebewohl.
Ich habe Abschied genommen von guten Freunden, habe das Columbusdenkmal auf der Plaza de armas abgezeichnet, habe heute früh zum letzten Male meine liebe Cortina de Baldez besucht und die Brandung um Morros Klippe sich brechen gesehen. Auf dem Rückweg nach Hause ging ich in eine Restauration und verlangte dos libras de dulces (zwei Pfund Zuckerwerk), um es ein paar kleinen Mädchen zu schenken. Als ich das Confect bezahlen wollte, gab mir der junge Herr, der hinter dem Ladentische stand, das Geld mit einem verbindlichen „Kostet Nichts, Sennora,” zurück. Ich glaubte, daß er mich oder ich ihn nicht verstanden habe, reichte daher mein Geld von Neuem bin, erhielt es aber mit denselben Worten wiederum zurück. Jetzt erinnerte ich mich an das, was ich von der spanischen und cubanischen Galanterie gehört hatte, ich sah mich um, und als ich am andern Ende des Zimmers neben der Thüre Herrn Sauval entdeckte, da war mir die Sache klar. „Ei, das sind wieder Ihre spanischen Schwänke,” sagte ich zu ihm; er lächelte, wollte aber offenbar keinen Dank annehmen. Eines Tags lobte ich zufällig ein Körbchen, das seine Frau in der Hand hielt. Sogleich mußte ich es als Geschenk annehmen. All mein Protestiren half Nichts. Ich könnte hier eine wahre Angst davor bekommen Etwas zu loben.
Jetzt werde ich den guten Tolmes und Schaffenbergs Lebewohl sagen und einige Briefe vollenden. Wenn ich Dir das nächste Mal schreibe, geschieht es von den Vereinigten Staaten aus. Ich habe neues Leben auf Cuba getrunken, aber ich könnte da nicht leben; das kann ich bloß, wo das Freiheitsleben vorwaltet und überhandnimmt.
- ↑ Den Dienstboten zu pfeifen, wenn man sie ruft, ist allgemeiner Brauch auf Cuba, und sie haben dieß auch unter sich im Brauch. Der Ton ist mehr ein zischender als ein pfeifender Laut, er gleicht einem scharfen St! und wird ziemlich weit gehört.
- ↑ So wird nach der Beschaffenheit der Blätter diese Pflanze genannt, aus welcher man das Ricinusöl preßt. Man hat sie in letzterer Zeit mit großen Vortheil auf Cuba und in den südlichen Staaten Americas zu bauen angefangen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: unnfreundlich
- ↑ Punkt hinzugefügt
- ↑ Antoniusfeuer
- ↑ schwedisch: „tjugu“; Vorlage: hundert
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