Die Heimath in der neuen Welt/Dritter Band/Sechsunddreißigster Brief

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Fünfunddreißigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Dritter Band
von Fredrika Bremer
Siebenunddreißigster Brief
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Textdaten
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Autor: Fredrika Bremer
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Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band
Untertitel: Sechsunddreißigster Brief
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Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Franckh
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden. Tredje delen.
Originalsubtitel: Trettiondesjette brefvet
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
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Sechsunddreißigster Brief.


Havannah, den 15 April 1851. 

Guten Morgen, mein Herzchen! bin wieder in Havannah, gemüthlich eingewohnt in Mr. Woolcotts gutem Hotel Havannahhaus, wo es jetzt etwas billiger zu leben ist, weil der Strom der Reisenden sich zurückgezogen hat, und Zimmer genug da sind. Ich habe mein früheres Stübchen mit dem Ausgang auf das Dach, und die artige, gutmüthige Mrs. Marie, die nach mir sieht, und eine schönäugige, schwarze Rosetta, die mich bedient. Die guten Tolmes haben mir wieder ein Zimmer angeboten, aber das Haus ist voll von Kindern und Gästen, ich will ihre Gastfreundschaft nicht mißbrauchen, und überdieß befinde ich mich hier unendlich wohl in meiner Einsamkeit und Freiheit.

Es ist grüner Donnerstag, ein großer Festtag für die Katholiken, und ich habe heute Morgen ein paar Kirchen in der Stadt besucht. Es war große Parade darin. Ballmäßig gekleidete Damen, auf hübschen Teppichen knieend, in Seidenkleidern und Seidenschuhen, mit Juwelen, goldenem Geschmeide und Blumen, mit bloßen Hälsen und Armen. Ueberall diese feinen, schwarzen Mantillen und rings umher glitzernde Fächer in ewiger Bewegung. Auch ganz junge Mädchen sind so ausgestattet. Außerhalb stehen zuschauende und lorgnettirende Herrn. Der Anblick dieser geschmückten, bloß halb verschleierten Weiber von allen Farben — es waren auch sehr hübsche Mulattinnen, prächtige Gestalten unter ihnen — die schaarenweise im mittleren Gang der Kirche bis zum Altar hin auf den Knieen liegen, ist wahrhaft anziehend, zumal da die Augen und Büsten bei den Spanierinnen gewöhnlich ausgezeichnet schön sind. Aber der Mangel an Ernst in Allem, außer in der Gefallsucht und eitlem Tand, ist anstößig, zumal an einem Tag wie dieser Nachtmahlstag, dieser Tag stiller, prunkloser, feierlicher Einweihung zu dem höchsten und heiligsten Leben der Menschheit. Ich erinnerte mich eines grünen Donnerstags in der St. Jakobskirche in Stockholm; es war da ein sogenanntes Privatnachtmahl. Die Familien kamen, Väter, Mütter und Kinder, um zusammen aus dem Kelch zu trinken. Ich erinnere mich noch der Schweigsamkeit, der stillen, tiefen Andacht in der vollgedrängten Kirche.

Auf Cuba ist unter den Fremden verschiedener Nationen, die hier ansäßig sind, nur eine einzige Stimme über den gänzlichen Mangel an Religionsleben auf der Insel. Die Priester leben in offenbarem Widerspruch mit ihren Gelübden, genießen keine Achtung und verdienen größtentheils auch keine. Das sittliche Leben steht nicht höher als das Religionsleben.

„Es gibt Liebe und Leidenschaft genug auf Cuba,“ sagte ein denkender junger Mann, der hier ansäßig ist, zu mir, „aber öfter auf dem Wege des Lasters, als auf dem Pfade der Tugend.“ Der Gott des Geldes wird blind verehrt. Aeußerst selten kommt eine Ehe zu Stande, wobei er nicht vor allen Dingen um Rath gefragt würde. Die Frauenzimmer, die sich nicht verheirathen, bleiben selten tadellos in ihrem Wandel. Eine meiner älteren Freundinnen in Havannah kannte da bloß eine einzige tugendhafte unverheirathete ältere Dame. Unter den Männern dürfte man nicht Einen finden.

Der Mensch kommt zu der schönen Insel wie ein Schmarotzer, der bloß das Leben ihrer Natur aussaugen und auf ihre Kosten prassen will; die Natur rächt sich, schlingt sich mit hundert Armen um den Menschen, zieht ihn hinab, erstickt sein höheres Leben und verwandelt ihn in eine Leiche in ihrem Schooß.

Abends.  

Ich habe wieder drei bis vier Kirchen in der Stadt besucht. Sie sind heute Abend schön beleuchtet im Chor und um die Altargemälde her. Sie waren jetzt weniger voll als bei der Frühmesse und von minder elegantem Volke besucht. Mehrere die auf den Knieen lagen, schienen andächtig zu beten. In der Domkirche saßen auf jeder Seite derselben zwei stattliche spanische Damen, ganz mit Juwelen bedeckt, mit einem Tisch vor sich, auf welchem Einsammlungen für die Armen gemacht wurden. Eine einzige ihrer kostbaren Schmucksachen hätte alle Gaben, welche das geringe Volk in den Opferkasten spendete, reichlich aufgewogen. Ungehindert ging ich aus und ein, mischte mich unter die Volkshaufen in den Kirchen und auf den Straßen; Alles ging friedlich und still von Statten. Es sah aus, als ginge das Volk hin, um sich zu belustigen. Von dieser Stunde an und bis zum Ostermorgen herrscht tiefe Stille in Havannah. Keine Volante darf sich auf den Straßen zeigen. Aber morgen prangen sie bei einer großen Prozession.

Ostertag.  

Ich beschaute die Prozession vorgestern Nachmittags von der Piazza aus bei einigen americanischen Bekannten, die auf der Plaza de Armas wohnen. Ballmäßig gekleidete Damen, weiße, braungelbe und schwarze, mit ihren Cavalieren, erfüllten den Platz, wo sie schon früh am Nachmittag schwatzend und lachend lustwandelten. Besonders zeichneten sich die Mulattinnen durch ihren Putz, ihre glänzenden Blumen und ihr Geschmeide in den Haaren und am Halse aus, und paradirten darin in stolzer Pfauenweise. Man sah, daß das Volk irgend ein großes Spectakel erwartete. Es kam auch in der Dämmerung bei Licht und Fackelschein.

Das todte Christusbild wurde herumgetragen, auf dem Paradebett liegend, unter einer ungeheuern Lichtkrone, welche das bleiche, edelgeformte Wachsgesicht beleuchtete. Hinter ihm wurde die weinende Maria in goldgesticktem Sammtmantel und mit goldener Krone auf dem Kopf umhergetragen; auch die andere Maria und Maria Magdalena hatten prunkende Toiletten. Die Prozession war groß und nicht ohne Pomp und Würde. Unter den Theilnehmern bemerkte ich eine Menge Neger mit großen weißen Binden, schief über Brust und Schulter. Man sagte mir, sie gehören einer Art von Freimaurerorden an, der sich durch Ausübung von Werken der Barmherzigkeit, Krankenpflege in den Spitälern u. s. w. an die Kirche anschließe.

Tausende von Menschen drängten sich fröhlich auf Markt und Straßen, die Schwarzen besonders in alle Farben des Regenbogens gekleidet. Es war ein schöner Auftritt, aber man kann sich nichts Unpassenderes für die Gelegenheit denken. Kein Anflug von Ernst schien diese Volksmenge zu erregen. Man sah es an dieser Prozession deutlich: Die Religion ist todt auf Cuba.

Inzwischen war gestern Festtag und tiefe Stille in dem muntern Havannah. Heute früh wurde in großer Prozession das Bild des auferstandenen Christus von der Domkirche nach der St. Catalinakirche gebracht. Von St. Catalina hinwiederum zog eine andere Prozession, welche Maria Magdalena trug, die weinend Christum suchte. Als die Prozessionen sich begegneten und Maria Magdalena also Christum zu sehen bekam, wurde ein Schuß abgefeuert, und sogleich begannen alle Glocken zu läuten, die Flaggen in dem Hafen und auf dem Kirchthurm zu flaggen, Trompeten[WS 1] zu erschallen. Das Fasten war aufgehoben, die Volanten rauschten durch die Straßen, die Neger rannten ebenfalls schreiend und lachend herum, es war ein allgemeiner gedankenloser Jubel.

Inzwischen ging ich aus und nahm meinen Weg nach meiner lieben Cortina de Valdez. Es war der allerschönste Morgen. Das hellblaue Meer, vom Winde aufgeregt, warf seinen Silberschaum in hohen Brandungen um den Fuß der Morroklippe und die Flaggen im Hafen flatterten lustig in den Morgenwinden. Die Luft war voll von neugebornem Leben. Weiße Tauben ließen sich auf das weiße Marmorbassin nieder und tranken von seinem frischen Springbrunnen; grüne Eidechschen sprangen auf den Mauern umher. Ich sah sie, alle Wesen, die ganze Welt mit Liebe und Freude an. Und während ich dahin ging, regten sich in mir folgende Worte:

 Sie geht allein,
sie ist in fremdem Land,
weit getrennt von Verwandten und Freunden;
sie geht allein,
allein unter fremdem Volke;
sie kennen sie nicht,
sie kennt sie nicht;
sie sehen sie an
mit kalten, gleichgültigen Blicken.
Aber ihr Herz
ist voll von Freude,
von überwallender Seligkeit,
und das Auge ist hell
von strahlenden Freudethränen.
 Sie hat einen Freund,
und er war todt,
und er ist erstanden,
und es ist sein Auferstehungstag,
des Ostertags Morgen!
Und der lebensvolle Wind,
und die steigende Sonne,
und die schallende Glocke,
und die fliegende Fahne,
und die sich öffnende Blume,
und Trompeten und Trommeln,
und das große Meer,
und die zwitschernde Eidechs,
und die Taube, die trinkt an der Quelle Rand,
sie sprechen von ihm,
sie tragen seinen Namen,
des Geliebten Namen,
und er trägt alle Welt.




Den 20. April.  

Dein Geburtstag! Heil und Segen diesem Tag, der mir Dich, meine holde Freundin, schenkte. Keine Blumen kann ich Dir heute reichen; aber ich werde mich in Gedanken bei Dir niedersetzen und Dir die Geschichte des Tages erzählen, die für mich bunt war, aber heiter und auch Dich erheitern wird.

Zwei americanische Herrn — von diesem ritterlichen Geschlecht, von dem ich hoffe, daß der liebe Gott es mit der Männer bestem Lohn, einer guten und schönen Gattin, segnen werde — hatten sich, als ich auf der Eisenbahn von Matanzas nach Havannah kam, unaufgefordert meiner angenommen und mich nebst meinen Sachen wohlbehalten nach Havannahhaus gebracht. Der eine von ihnen, der sich lange Zeit auf Cuba, in Texas und Mexico aufgehalten und dabei einen Anstrich von der Anmuth der Spanier in Sprache und Wesen bekommen hat, ist mir seitdem ein angenehmer und interessanter Gesellschafter gewesen, dem ich eine lebendige Schilderung der Natur, der Bevölkerung und Sitten dieser südlichen Länder zu verdanken habe. Der andere, ein Kaufmann aus New-York, Mr. Faile, ernst und einfach in seinem Wesen, gehört zu denjenigen Männern, bei denen ich mich wohl befinde, und zu denen ich in einer Art von geschwisterlichem Verhältniß zu stehen meine.

Mit ächt americanischer Einfachheit und so freundlich und ruhig, als wäre er mein Bruder, hat mich dieser Herr auf mehreren kleinen Ausflügen begleitet und für mich gesorgt. So fuhren wir dieser Tage zusammen im Hafen herum und hinüber zu der von wilden armleuchterartigen Aloëpflanzen bedeckten Höhe Casa bianca, und sahen von da einen herrlichen Sonnenuntergang, fuhren sodann im Boot in dem düstern klaren Schatten des Berges auf dem Wasser umher und sahen es in silbernen und goldenen Tropfen von den Rudern fallen. Es war eine schöne Fahrt, und der einzige Schatten daran war die Gesellschaft eines deutschen Herrn, der bedeutend an jener Breimäuligkeit litt, die man noch zuweilen bei europäischen, aber selten oder nie bei americanischen Herrn findet. Sein aufgeblasenes Wesen bildete hier einen starken Contrast gegen den einfachen und in seiner Einfachheit weit überlegenen Americaner.

Was ich Dir eigentlich erzählen wollte, war, daß ich mit den beiden ritterlichen Americanern ausmachte die cabildos de negroës oder die Versammlungssäle der freien Neger in der Stadt zu besuchen. Allein hinzugehen, daran durfte ich nicht denken, da ich nicht spanisch konnte. Die beiden Herrn boten sich mir als Begleiter an, und Mr. C., der spanisch spricht wie ein Spanier, sollte uns Eintritt zu verschaffen suchen, obschon die freien Neger im Allgemeinen weißen Personen keinen Zutritt in ihre Gesellschaften gestatten und hier keineswegs so duldsam und geduckt sind, wie in den Vereinigten Staaten.

Da diese Zusammenkünfte eigentlich an den Sonntag-Nachmittagen und Abenden stattfinden, so begaben wir uns heute Nachmittag nach der Straße, wo die Cabildos der Neger liegen. Sie nehmen eine ganze Straße an einem der Zollthore der Stadt ein. Die Straße war auf der einen Seite von einer Festungsmauer eingefaßt, auf der andern von einer Mauer, worin die Säle der Neger lagen. Die ganze Straße wimmelte von Negern, die theils mit Bändern und Glöckchen aufgeputzt waren, theils auf und ab tanzten und hüpften. Es war eine wilde, aber nicht gewaltsame Regellosigkeit, und durch sie hindurch tönte von mehreren Seiten der rythmische Tact der africanischen Trommel. An den Thüren zu den verschiedenen Seiten in der Mauer standen Gruppen von Weißen, offenbar größtentheils Seeleuten, die hineinzugucken suchten, weil sie nicht eintreten durften; aber ein paar Neger standen mit Stöcken in den Händen vor der Thüre, versperrten mit gutmüthigem Ernst den Weg und gestatteten nicht, daß die Thüre anders als halb offen stand. Beim Cabildo der Luccomeer gelang es Mr. C. mit einiger Mühe den Kopf hineinzustecken und für die Sennora Erlaubniß zum Eintritt zu erbitten. Einige Negerköpfe guckten heraus, und als sie meinen weißen Hut und Schleier sahen, sowie die Blumen, mit denen ich mich hier mehr als in Schweden schmücke, da machten sie freundliche Gesichter und gestatteten Eintritt für „die gute Sennora;“ auch meine Begleiter durften herein kommen, aber mehreren Andern, die uns folgen wollten, wurde der Weg sogleich versperrt.

Man gab uns nicht weit von der Thüre Stühle zum Sitzen; wir wurden der Königin und dem König der Versammlung vorgestellt, sie machten freundliche Gesichter und verließen uns dann, so daß wir uns ruhig umschauen konnten.

Der Saal war ziemlich groß und konnte ungefähr hundert Personen enthalten. An der Wand uns gegenüber hatte man einen Thron mit Krone und Thronhimmel darüber gemalt. Da waren die Sitze für den König und die Königin der Gilde. Der eigentliche Tanz wurde vor diesem Platz abgehalten. Ein Weib tanzte allein unter einem von vier Personen getragenen Himmel. Man muß an ihrem Tanz, der nichts Anderes war als der Tanz der Negerdamen, den ich bereits beschrieben, großes Wohlgefallen gefunden haben, denn sie wurde mit mehreren Tüchlein behangen und bekam auch einen Mannshut auf den Kopf gesetzt. Die Weiber tanzten hier mit einander und ebenso die Männer, einige schlugen mit Stöcken an Thüren und Bänke, andere rasselten mit Calebassen, die mit Steinen gefüllt waren, und die Trommeln donnerten mit betäubender Macht. Man suchte offenbar so viel Lärm als möglich zu Stande zu bringen. Mitten unter diesem kam eine Figur mit scharlachrothem Hut auf dem Kopf und mit einer Menge von glitzernden Perlbändern, welche Hals, Arme und Leib bedeckten, nackt bis um die Mitte des Leibes, von wo ein scharlachrother Kinderrock herabhing. Diese Figur, vor der man sich auf zwei Seiten aufstellte, näherte sich mir unter biegenden Bewegungen, bei denen man sehen konnte, daß der ganze obere Theil des Körpers sich in schlangenartigen Falten bewegte. In dieser schlangenartigen Bewegung blieb er vor mir stehen, ohne daß ich wußte, ob er mich zum Tanz einlud, oder was er mit seinen freundlichen Mienen und Biegungen und den ausgestreckten großen, schwarzen Händen wollte. Endlich sagten er und einige Andere die Worte: „Für die gute Sennora!“ und dann begriff ich, daß die Biegungen und Krümmungen der burlesk ausstaffirten Person ein Compliment für mich bedeuteten. Ich beantwortete es dadurch, daß ich dem Mann die Hand schüttelte und eine Silbermünze hineinlegte, und dann machten wir sehr freundliche Gesichter gegen einander, worauf mein Tänzer einen schlangenartigen Rückzug antrat und auf eigene Faust zu tanzen anfing, offenbar unter großem Beifall der Umstehenden.

Auf den Bänken saßen eine Menge Neger mit ernsten und ausgezeichnet hübschen Gesichtern. Die Luccomeer haben im Allgemeinen eine schöne ovale Gesichtsbildung, gute Stirnen und Nasen, einen wohlgebildeten Mund und die schönsten Zähne. Sie sehen weniger gutmüthig und heiter aus als andere Negerstämme, haben aber offenbar mehr Charakter und Intelligenz. Die Nation wird seit ihrem großen Gewinn in der Lotterie als reich betrachtet und soll ihren Reichthum auf eine edle Art anwenden, indem sie Sklaven ihres Stammes loskauft.

Diese Cabildos werden, wie ich bereits gesagt habe, von Königinnen, einer oder zweien, regiert, welche eigentlich über die Vergnügungen verfügen und über den Ton sowie die Ausdehnung der Gesellschaft entscheiden; sie besitzen das Recht einen König zu erwählen, der die öconomischen Angelegenheiten der Gesellschaft besorgt, und einen Schreiber und Ceremonienmeister unter sich hat.

Dieser hier gab mir ein gedrucktes Kärtchen, kraft dessen ich Zutritt erhielt zu dem „Cabildo de Ntra Sennora Santa Barbara de la nacion Lucumi Alagua“.[1]

Nachdem ich dieses empfangen und wir eine kleine Abgabe in die Gesellschaftscasse entrichtet hatten, entfernten wir uns, um andere Cabildos zu besuchen, und überall war man artig genug „der guten Sennora“ und ihren Begleitern freien Eintritt zu gestatten. Ich weiß nicht, ob diese Artigkeit dem Negercharakter oder dem spanischen Einfluß auf denselben zugeschrieben werden muß, und ich bin geneigt das Letztere zu glauben.

In einem Cabildo der Gangas wurde ich von den beiden Königinnen empfangen, zwei jungen, sehr hübschen schwarzen Mädchen, die in vollkommen gutem französischem Geschmack gekleidet waren und sich in ihren hellrothen Florkleidern, mit ihren schönen Bouquets von künstlichen Rosen im Haar und an der Brust, ganz frisch ausnahmen; beide rauchten Cigarritos. Sie nahmen mich freundlich bei der Hand, setzten mich zwischen sich und fuhren fort mit spanischem Ernst zu rauchen. Eine von ihnen hatte die allerschönsten Augen, was Form und Glanz betraf. An der Wand uns gegenüber war ein großer gut gemalter Leopard, vermuthlich das Symbol dieser Nation. Es waren auch einige katholische Bilder und Symbole im Saal. Hier sah ich ganze Schaaren von Weibern sich in einer Art von Tanz bewegen wie galvanisirte Frösche, nur langsamer, wobei sie den Körper und alle Glieder bogen und schlangenartig krümmten, ohne daß ich Sinn und Zweck zu entdecken vermochte. Dieß schien der Ausdruck eines gewissen thierischen Wohlbefindens zu sein; es sah auch aus, als suchten sie Etwas in der Dunkelheit. Und von diesen armen Nachtvölkern kann man wohl sagen, sie suchen noch — ihr eigentliches Leben, ihr Leben über der Natur.

Diesem sind sie jedoch in den Staaten Nordamerikas näher gekommen. Ich dachte an die nächtliche Feldversammlung in Südcarolina bei den Flammen der Feueraltäre und den melodischen Hymnen aus dem Lager der Neger.

In einem andern Cabildo der Gangas sah ich wiederum diesen regellosen geschlängelten Tanz in Kreisen und Reihen, welche Männer und Weiber um einander bildeten. In einem Cabildo der Congos sah ich wieder einen ähnlichen Congotanz, wie in der Bohea auf St. Amalia, sowie einen Tanz, der eine Mischung des spanisch-creolischen Tanzes Yuca und des Congotanzes zu sein schien. In diesen letzteren Tänzen ist bedeutend mehr Leben als in den andern, weit mehr Kunst und poetischer Charakter. Das in diesem Zimmer an die Wand gemalte Symbol war eine große Sonne mit menschlichem Gesicht. Auch hier waren überdies einige christliche Symbole und Gemälde. Aber auch der getaufte und wirklich christliche Africaner behält hier Etwas von dem Aberglauben und den Götzenbildern seines Heimathlandes. Die Nationen der Congos und Gangas schienen mir einen ausschweifenderen Charakter und ein thierischeres Aussehen zu haben als die Luccomees. Ein paar andere Cabildos, wohin wir auch gingen, boten nichts Neues von Interesse dar, und zuletzt war ich des Getöses und Gerassels, des Geschreies, des Lärmens, des Staubes, und der chaotischen Regellosigkeit, welche die Tänze und Bewegungen in diesen Versammlungen bezeichnete, herzlich müde. Ich sehnte mich nach reiner Luft und klarem Wasser, und auf meinen Wunsch führte mich Mr. Faile in seiner Volante nach dem Hafen von Havannah.

Es war um Sonnenuntergang. Wir fragten nach unserem Freund, dem Ruderer vom ersten Abend, Rafael Hernandez. Er war bald zur Stelle und in seinem zierlichen Boot La Leonora rosita führte er uns in den Hafen hinaus. Ach wie schön an dem stillen spiegelklaren Abend den palmengeschmückten Ufern entlang zu rudern, schweigend die reine Luft zu trinken und die milden zarten Farben aller Gegenstände zu betrachten! Der Glanz der Abendröthe leuchtete über ihnen. Später wurden die Laternen auf dem Quai Alameda de Paula und andern Plätzen im Hafen angezündet. Sie beleuchteten die Ufer und das klare Wasser mit einem so wunderbar reinen und hellen Schein. Luft und Licht kommen mir hier vor, als hätten sie Klang und Ton; ich höre gleichsam ihre Reinheit, wie ich sie sehe. Jetzt hatte ich eine Empfindung, als wäre ich aus dem Chaos in die Welt des Lichtes und der Harmonie gekommen. Aber wahr ist, daß jeder Ballsaal mir dunkel, staubig und qualmig erschienen wäre neben dieser Naturrotonda unter Cubas Himmel.

Ich fragte unsern Ruderer, der außer spanisch auch englisch spricht, ob er mit seiner Lebensstellung zufrieden sei. Er schüttelte den Kopf. Die Geschäfte gingen schlecht; eines schönen Tags würde er sich genöthigt sehen sowohl sein Boot als die Stadt zu verlassen. „Sie rauchen zu viele, Cigarritos, Hernandez,“ sagte ich. — „Bloß zwanzig des Tags, Sennora,“ antwortete er achselzuckend.

Den 22 April.  

Guten Morgen, Geliebte! Mögest Du dich so wohl befinden wie ich! Ich gedeihe unendlich gut bei meinem Leben hier im Hotel. Ich besitze volle Freiheit, ich habe Alles ganz gut, und die artige Mrs. Marie läßt es mir an nichts fehlen. Schon früh am Morgen gehe ich aus auf meine liebe Cortina, sehe die Brandung an Morros Klippen sich brechen, trinke die Meerluft, halte Zwiesprach mit den Eidechsen, besuche dann ein paar Kirchen, schaue mich auf der Parade um und lausche der Musik. Sodann gehe ich heim über die Plaza de Armas, wo ich ein wenig verweile, um das Columbusdenkmal zu betrachten, das ich hierauf zu Hause in mein Buch abzeichne; aber im muß meine Beobachtungen sehr behutsam vornehmen, denn bereits beginnt das Militär auf dem Markt mich scharf ins Auge zu fassen. Man argwöhnt wohl, daß ich auf eine Invasion speculire.

Spät am Abend wandere ich auf dem Azoteon zwischen den Urnen herum und sehe den Mond und das Morrolicht (so wird der große Leuchtthurm auf der Morroküste genannt) wetteifernd über Stadt und Meer hinleuchten, und sehe das südliche Kreuz in stiller Majestät sich emporheben, jetzt hoch über dem Horizont. Dem Nordstern widme ich immer einen Liebesblick, wenn er sich außerhalb des großen Meeres zeigt, dessen Getöse mich von der Seite des Morro her erreicht, während die Militärmusik von der Plaza de Armas fröhlich herschallt. Später in der Nacht wird dieses harmonische Luft- und Tonleben durch serenos unterbrochen, d. h. durch die Feuerwächter in Havannah, welche so singen, daß man es wahrhaft betrübend finden müßte, wenn es nicht in so hohem Grad lächerlich wäre. Ich habe niemals eine solche Folge von falschen, zerhackten, tonlosen Tönen gehört. Ich kann mich darüber nicht ärgern, sondern nur lachen.

Zur Familie Tolme gehe ich gewöhnlich Vormittags auf ein Stündchen, um Mrs. Tolmes Portrait zu malen, das ich zur Erinnerung an eine der besten mütterlichsten Frauen auf Erden zu besitzen wünsche.

Dabei erzählt sie mir von den Erfahrungen, die sie über den Charakter des Negervolkes gemacht hat. Ihre Beobachtungen stimmen in der Hauptsache mit denen von Mrs. Phinney überein. Mrs. Tolme sagt gleich ihr: „Es herrscht unter den Negern eine große Ungleichheit an Charakter und Gemüthsart, gerade wie unter den Völkern der weißen Race, aber sie sind im Allgemeinen für Gefühle der Ergebenheit, Zärtlichkeit und Dankbarkeit zugänglicher als diese. Es ist ein großer Mißgriff der Weißen, wenn sie die Neger des Undanks beschuldigen. Sie machen sie zu Sklaven, fordern beständige Arbeit von ihnen und begehren dann auch noch Dank. Dank für was?! … Wer wirklich der Freund des Negers sein will, der wird ihn dankbar und edelsinnig finden … Ich habe für meine Kinder sowohl weiße als schwarze Mägde gehabt, aber nur mit den schwarzen bin ich immer vollkommen zufrieden gewesen.“

Als rührenden Beweis für die Liebe und Characterstärke der Neger erzählte sie mir die Geschichte von einem jungen Negerpaar, das sich liebte, aber nicht heirathen konnte, weil der Herr der jungen Negerin hartnäckig seine Beistimmung verweigerte. Die Liebe nahm jedoch ihren Gang und die jungen Liebenden bekamen ein Kind. Der Herr der Negerin ergrimmte darüber und verbot ihr den jungen Mann, ihm sein Kind zu sehen. Der junge Neger war im Dienst bei Mrs. Tolme. Er war ein vortrefflicher junger Mann, hatte aber einen Fehler; er liebte starke Getränke und betrank sich nicht selten. Das that er jetzt öfter, weil der Kummer darüber, daß er seine Frau und seinen kleinen Jungen nicht sollte sehen dürfen, ihn zur Verzweiflung brachte. Mrs. Tolme sagte zu ihm: „Gewöhne dir die starken Getränke ab, so werde ich dir einen Peso in der Woche geben, werde Geld für dich zusammenlegen, und damit kannst du nach einiger Zeit dein Kind loskaufen.“

Von diesem Augenblick an wurde der Neger vollkommen nüchtern. Als Mrs. Tolme nach längerer Prüfung ihm das Versprochene ausbezahlte und noch ein Geschenk dazu legte, um ihm, wie sie sagte, ihre Achtung und Zufriedenheit zu beweisen, ein Geschenk groß genug, daß er im Stande war das Kind loszukaufen, da küßte er ihr unter Thränen der Freude und Dankbarkeit die Hände und war außer sich vor Seligkeit, zumal da sich ihm die Aussicht eröffnete auch die Mutter des Jungen loskaufen und sich mit ihr verbinden zu können. Dieß war jetzt stark im Werke. Inzwischen hatten die zwei Gatten und das Kind heimliche Zusammenkünfte, und ihre Liebe war so innig, so romantisch warm und treu, wie nur irgend ein Roman das Verhältniß zwischen seinen Helden und Heldinnen beschreiben kann.

Mrs. Tolme bestätigte übrigens, was ich von der Güte der spanischen Herrn gegen ihre Haussklaven und der Pflege, die sie ihnen im Alter angedeihen lassen, gehört hatte.

Aber wenn die Haussklaven gewöhnlich gut behandelt werden, so ist dieß bei den Plantagesklaven in der Regel nicht der Fall; sie werden nicht als Menschen, sondern als Lastthiere betrachtet und härter als diese behandelt.

Doch davon habe ich bereits gesprochen.

Das Tolmesche Haus ist fortwährend voll von Liebe, Musik und Munterkeit. Die junge Louise Tolme ist jetzt verheirathet und wird, obschon noch halb ein Kind, ihre eigene Haushaltung anfangen.

Ich habe diese Zeit über große Versuchungen zu einer Reise nach Jamaica und von da nach Mexico gehabt, was durchaus nicht schwer auszuführen wäre. Aber …

Ueberdieß würde ich auf Jamaica oder in Centralamerica und Südamerica nichts wesentlich Anderes in Bezug auf Vegetation, Bevölkerung, Sitten, Bauart u. s. w. finden, als was ich auf Cuba unter dem Himmel des Wendekreises und der Herrschaft Spaniens sehe. Und dieß war mir das Wesentliche für mein Bild von der neuen Welt. Ich habe einen klaren Eindruck von dieser südlichen Atmosphäre erhalten. Bücher und Kupferstiche können mir zur Kenntniß der detaillirten Verschiedenheiten verhelfen[2].

Ich habe das Angesicht der Erde unter den wärmsten Strahlen der Sonne gesehen, da wo sie die Palme und den Caffeebusch hervorrufen; ich weiß die Verhältnisse, welche dort das Alltagsleben des Menschen, seinen Genuß und seine Plage ausmachen; ich habe diese neue Seite im Buche der Schöpfung und im Leben der Natur verstanden; ich bin zufrieden und dankbar, und nachdem ich mich noch ein paar Wochen auf Cuba aufgehalten haben werde, um Madame Carrera und die paradiesische Gegend der Caffetale östlich von Havannah zu besuchen, wende ich mich von dem Wendekreis und den Palmen zu den Vereinigten Staaten zurück und hoffe in einigen Monaten Schweden, Dich und alle meine Lieben wieder zu sehen. Glaube mir, der Fichtenwald in der Heimat ist mir lieber als die Palmenhaine hier. Hier könnte ich doch nicht leben.

  1. Die Luccomeenation theilt sich, gleich den andern africanischen Stämmen, Gangas, Congos u. s. w., in mehrere kleinere Nationen oder Gemeinden, welche verschiedene Zunamen und Versammlungssäle haben.
  2. Und das thun sie jetzt auch. Bei Mr. Tolme sehe ich Kupferstiche von Mexico und andern spanischamericanischen Städten, die mir nur Havannah wieder zeigen. Und in der vortrefflichen Geschichte des americanischen Historikers Prescott von der Eroberung Mexicos und Perus lerne ich die Hochländer in diesen Gegenden, sowie die edeln Volksstämme kennen, die einst da wohnten. Chriftliche Azteken müssen einmal über diese herrlichen Länder herrschen und auf diesen edlen heidnischen Grund einen neuen Tempel erbauen, eine neue Gesellschaft, welche diese Länder im Geist und in der Wahrheit zu Hochländern der neuen Welt machen wird.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Trompeten-
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von Fredrika Bremer
Siebenunddreißigster Brief
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