Die Heimath in der neuen Welt/Dritter Band/Fünfunddreißigster Brief

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Vierunddreißigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Dritter Band
von Fredrika Bremer
Sechsunddreißigster Brief
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Textdaten
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Autor: Fredrika Bremer
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Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band
Untertitel: Fünfunddreißigster Brief
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Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
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Verlag: Franckh
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden. Tredje delen.
Originalsubtitel: Trettiondefemte brefvet
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
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Fünfunddreißigster Brief.
Cardinas, den 19. März 1851.  

In Cardinas war es, wo im vorigen Jahr die erste kopflose Räuberexpedition gegen Cuba unter Anführung von Lopez ans Land stieg und durch die Tapferkeit der spanischen Krieger zurückgetrieben wurde. Man zeigt hier noch die Löcher von den Kugeln in den Mauern. Und man lebt jetzt hier in täglicher Erwartung und Befürchtung eines neuen Angriffes unter demselben Führer; Gerüchte davon sind beständig im Umlauf, und man ist wohl auf seiner Hut in der Stadt. Cardinas ist ein Städtchen von derselben Bauart wie Havannah und treibt starken Handel mit Zucker und Syrup. Es liegt am Meer, aber so niedrig, daß es wenig von dem Meer sieht; sein Hafen ist sehr seicht und somit für größere Schiffe unzugänglich. Ich wohne in einem kleinen Hotel, das einer Mrs W. gehört, welche die Wittwe eines Portugiesen ist und fünf Töchter hat; d. h. beinahe vier zu viel. In den Vereinigten Staaten wäre mir nicht bange, wenn ich zehn Töchter hätte; ich wüßte, daß sie alle, selbst wenn sie arm wären, ihre vollkommen menschliche Entwickelung gewinnen und sich durch ihr eigenes Verdienst Ansehen und ein gutes Auskommen verschaffen könnten. Aber auf Cuba — was soll man da mit fünf Töchtern machen? Die Ehe ist für sie der einzige Weg zu Ansehen und guter Unterkunft, aber auf Cuba geht es mit dem Heirathen nicht so leicht, denn es ist da nicht leicht, sich auf eine ehrliche Art fortzubringen. Zwei von diesen jungen Mädchen sind sehr schön; die älteste, eine vollständige Blondine, hat das allerschönste Profil. Sie ist mit einem jungen Militär verlobt. Aber auf Liebe und Verlobung folgt hier häufig die Ehe nicht.

Unter den Personen, die mich hier interessirt haben, ist ein junger spanischer Advokat, ein außerordentlich angenehmer und offener Gesellschafter. Von ihm habe ich viele Aufschlüsse erhalten über die Gesetzgebung auf der Insel und das Verhältniß der Sklaven, worüber ich ein ander Mal mehr sagen werde. Cardinas scheint mir übrigens ein uninteressantes Städtchen zu sein. Aber freundliche Menschen haben mich hier in der Nähe der Stadt Dinge sehen lassen, die von großem Interesse für mich sind. Dazu gehörte eine Caffeepflanzung in voller Blüthe. Die Caffeepflanze blüht nämlich auf der Plantage einmal im Monat, und dann auf der ganzen Plantage an einem und demselben Tag. Die Blätter schlagen Morgens vollkommen aus und verwelken am Abend. Die erste Blüthe ist im Februar, die letzte des Jahrs im November. Die Blumen, die in dicken weißen Kränzen und Büscheln auf den Zweigen sitzen, setzen kleine Fruchtknospen ab, die zuerst grün, hernach roth, endlich dunkelbraun sind und dann erst abgepflückt werden. Sie enthalten die Caffeebohne. Die Ernte währt drei bis vier Monate im Jahr beständig fort.

Die Caffeepflanzung, die ich besuchte, stand in vollster Blüthe. Sie sah aus wie Schnee auf grünen Büschen. Der Caffeebusch hat schöne, saftgrüne, glatte, lorbeerartige Blätter; die Blumen gleichen denen der einfachen weißen Hyacinthe und haben einen feinen, lieblichen, angenehmen Geruch. Diese Caffeepflanzung war auch im Uebrigen ausgezeichnet schön, sie hatte schöne Alleen, die mit Orangenbäumen und Sagopalmen abwechselten, Land mit Ananas, Alleen und Haine mit Bananas. Die Bäume standen voll von Blüthen und Früchten. Die Personen, die hier wohnten, hatten niemals auf die eigenthümliche Blüthe des Bananasbaumes Acht gegeben. Man lebt hier mitten unter den reichsten Schätzen der Natur, ohne sie zu beachten. Unter den schönen Gegenständen auf der Pflanzung muß man ihre Besitzerin und namentlich ihre schöne junge Tochter nennen. Sie beschenkten mich mit Früchten und Blumen, und ich habe einen blühenden Zweig des Caffeebusches für Mama abgezeichnet.

Ein anderes für mich interessantes Schauspiel war ein kleines zoologisches Museum, d. h. eine Sammlung von Vögeln und andern Thieren Cubas, die ein Deutscher in der Nähe von Cardinas angelegt hat. Unter den letzteren Thieren waren ein Crocodil und ein Alligator, die in einem steinernen Bassin zusammen waren. Sie hatten so große Aehnlichkeit mit einander, daß sie meinen unwissenschaftlichen Augen ganz gleich schienen. Aber man machte mich auf gewisse unterscheidende Merkmale aufmerksam. Ihr Eigenthümer hatte vergebliche Versuche gemacht sie zu zähmen. Sie schienen die seelenlosesten aller Thiere zu sein, wie sie auch von Aussehen die garstigsten sind. Alligatoren und Crocodile finden sich in den Flüssen Cubas nicht vor. Diese hier waren als Curiositäten aus America und Africa eingeführt worden.

Den 21. März.  

In dem Hof, in welchem mein Zimmer liegt, steht ein großes Hühnerhaus, das verschiedene Arten von Federvieh zum häuslichen Bedarf enthält. Der Koch hier im Hause, ein großer schöner spanischer Soldat, kam heute früh, um einige Stücke von der befiederten Gesellschaft zum Mittagsmahl der Gäste zu holen. Es war ein großer schwarzer calecuttischer Hahn, der zuerst aus dem Käfig genommen wurde. Ich mußte die Art bewundern, wie der Mann zu Werke ging; sie war so sanft, so menschlich und klug. Der calecuttische Hahn wurde eine Weile mit der Hand gestreichelt, bevor man ihn am Beine nahm, und auch dieß geschah so sachte und sanft, daß der Hahn, als er ganz bequem über den Hof getragen wurde, blos ein wenig verwundert aussah und einen kurzen Ton von sich gab, als wollte er sagen „Was solls jetzt werden?“

Bei uns habe ich, wenn eine Henne geschlachtet werden sollte, gesehen, daß der ganze Hühnerhof in Aufruhr gebracht und die Henne selbst vor Schrecken athemlos gemacht wurde, ehe sie ihren letzten Athemzug that.

Die Spanier zeichnen sich sonst keineswegs durch Menschlichkeit gegen Thiere aus, und das Landvolk kommt oft mit calecuttischen Hähnen und Hennen, die mit zusammengebundenen Füßen über dem Sattel des Pferdes liegen, so daß die Köpfe herabhängen, auf den Markt. Dieser barbarische Brauch ist von einem Gouverneur Tacon auf Cuba, der als ein harter Mann geschildert wird, aber viele Mißbräuche abgeschafft hat, verboten worden, wird aber gleichwohl fortgesetzt, und ich bin oft Monteros begegnet, die zwischen Büscheln von so dahängendem, zuweilen halbtodtem Federvieh hinritten.




Nicht weit von Cardinas liegt ein Bezirk, Havannavana genannt und beinahe gänzlich von freigewordenen Negern bewohnt, deren Zahl man auf 1000 bis 1300 angibt. Sie sind beinahe sämmtlich Ackerbauer, die den spanischen Creolen ihre kleinen Farmen gegen die Hälfte des Ertrags bearbeiten; — wie sie das machen, möchte ich unendlich gern sehen, nur um mich zu überzeugen, wie die Neger ihre Sachen auf eigene Faust betreiben. Aber man räth mir von einer Reise dahin ab, weil ich die Landessprache nicht kenne, und die Regierung ist sehr mißtrauisch gegen Fremde. Man hat den Sklavenaufruhr vom Jahre 1846, der auf diesem Theil der Insel begann, noch in frischer Erinnerung. Dieser Aufruhr, der so manche Grausamkeiten von Seiten der spanischen Regierung veranlaßte, hat auch zur Anlegung schwerer Bande an das Leben der freien Neger und zu großen Verlusten auf ihrer Seite geführt.

Früher, wird mir erzählt, konnte man jeden Abend und jede Nacht die fröhlichen Taktschläge der africanischen Trommeln von den Negertänzen nah und fern hören. Aber da sie diese Tanzclubs zur Organisirung des Aufruhrs benützten, der später ausbrach, so hat man seitdem ihre Freiheit bedeutend eingeschränkt.

In Havannah sollen die freien Neger eigene Versammlungssäle und Innungen, oder sogenannte Cabildos, jede Negernation für sich, haben, wozu sie Königinnen wählen, die hinwiederum Könige wählen, um ihnen beizustehen. Ich muß diese Cabildos de Negroes sehen.




St. Amalienhaag, den 23. März.  

Wiederum hier in meinem gemüthlichen Stübchen bei meiner anmuthsvollen Frau von Coninck auf ein paar Tage. Ich kam in einer Wirbelwolke von heißem rothem Staub hieher. Alle Erde auf Cuba ist roth wie gebrannter Lehm und stäubt schrecklich im Winde, (beim Regenwetter dagegen wird sie ein dicker Schlamm, in dem man unmöglich gehen kann. Dieß gehört zur Kehrseite der hiesigen Natur). Die Volante, die mit drei Pferden neben einander bespannt war, flog wie ein Wirbelwind durch die rothen Staubwolken, und unser Calashero Patricio schien sich an der wilden Fahrt recht zu erfreuen.

Es ist wieder Sonntag, der Sonntag, an welchem die Sklaven ein paar Freistunden haben sollten, und ich habe sowohl dem alten als dem jungen Herrn zugeredet und sie gebeten, daß sie den Sklaven das Tanzen erlauben mögen. Aber ich will sehen, wie es geht. Die Zuckermühle ist still, aber ich sehe die Sklaven in der Arbeit gehen, die Bagaza tragen, und ich höre die Peitsche knallen und treiben. Es ist schon spät am Vormittag. Ich schreibe in Erwartung und Ungeduld. Wird der Tanz zu Stande kommen oder nicht? Ich fürchte, daß man eine Entschuldigung findet, um den Tanz in Arbeit zu verwandeln. Ich gestehe, daß mir das sehr leid thun würde; denn man hat mir den Tanz versprochen und das arme Volk bedarf einer Ermunterung so sehr. Da — die africanische Trommel! — Das ist Tanz. Ich eile zum Tanze.

Später.  

Der Tanz fand dießmal nicht unter einem schattenreichen Mandelbaum Statt, sondern auf dem sonnenheißen Hof der Bohea. Die Musikanten mit ihren Trommeln waren im Schatten der einen Mauer des Küchengebäudes aufgestellt. Die Zahl der Tanzenden war nur gering. Der Tanz war von derselben Art wie auf Ariadne und bot kein Interesse der Neuheit dar, bis ein älterer Congoneger, Namens Carlo Congo, ein Mann von herculischer Brustbildung, sich dabei betheiligte. Er ließ die Trommler einen neuen Tanztakt schlagen und führte so einen Tanz aus, der sich mit seinen Biegungen, Schwingungen und Tremulirungen in einem Ballet auch im Pariser Opernhaus gut ausgenommen haben würde, nämlich in der Person eines Satyrs oder Fauns, denn einen höhern Charakter hatte der Tanz nicht, aber er war bewundernswürdig durch die Kraft, Gewandtheit, Geschmeidigkeit, durch die kühnen Uebergänge und die wildpittoreske Schönheit des Tänzers. Es war der Congotanz. Carlo Congo konnte ihn jedoch nicht in seiner ganzen Vollendung ausführen; müde von viermonatlicher Tag- und Nachtarbeit, besaß er augenscheinlich nicht Kraft genug in seinen Gliedern; er mußte mehrere Male abbrechen und ausruhen, und obschon er bald von Neuem begann, mußte er doch auch wieder bald aufhören, wobei er gutmüthig den Kopf schüttelte, als wollte er sagen: „Nein, es will nicht gehen.“ Sein Gesicht hatte den Ausdruck von Kraft und dennoch gutmüthiger Weichheit, den ich so oft bei den Negern sehe; er trug eine kleine Tuchmütze auf dem Kopf und um den Hals ein Band von blauen Glasperlen; der obere Theil des Körpers und die sehnigen Arme waren bloß; ihre Bildung und ihre Stellungen während des Tanzes waren werth von plastischen Künstlern betrachtet zu werden. Carlo Congos Dame war lebhafter in ihren Bewegungen als die Negerinnen, die ich bisher tanzen gesehen habe, und schwang sich ganz rasch und behend herum. Carlo legte einen kleinen Myrthenzweig in ihren Mund, und sie tanzte jetzt damit, indem sie ihn zwischen den Lippen hielt, wie ein Vogel in seinem Schnabel.

Allmälig wurde die Versammlung der Tanzenden größer. Auch Weiber engagirten zum Tanz, indem sie dem auserkorenen Cavalier mit dem Nastuch einen leichten Schlag versetzten, worauf dieser sich sogleich bereit zeigte. Einige Männer fielen während des Tanzes auch auf die Kniee. So in der Natur gegründet scheinen die Bewegungen zu sein, die in alten Zeiten in der verfeinerten Welt der Galanterie und der Ritterschaft das Bürgerrecht erhalten haben.

Es kamen Sklaven und Sklavinnen, die ein Solo zum Tact der Trommeln tanzten, indem sie sich auf einem Fleck drehten und dabei mit dem Körper auf und ab bogen; auch Kinder kamen, nackt wie Gott sie geschaffen, und ahmten die Tänze der Eltern vortrefflich nach. Aber es gingen auch Männer und Weiber vorbei, welche düstere, muthlose Blicke mit bitterem Ausdruck auf den Tanz warfen, nächtliche Gesichter, die von dem dunkelsten Nachtleben der Sklaverei zeugten, Gesichter, die ich niemals vergessen werde, namentlich eines, das Gesicht eines älteren Weibes! … Andere Neger kamen, beladen mit Büscheln von Bananas und Tomatos (die hier wild wachsen), sowie mit andern grünen Pflanzen, aus den Thoren der Bohea hervor. Der junge Herr fragte sie, ob sie aus ihrem Lande seien, und sie antworteten kurz „Ja”. Sie gingen an den Tanzenden vorbei, einige mit einem gleichgültigen Blick auf sie, andere mit einem halben Lächeln. Der Tanz wurde inzwischen immer lebendiger in der heißen Sonne, und es kamen noch mehr Tänzer und Tänzerinnen dazu. Aber jetzt hörte man einen starken Peitschenknall und der Tanz nahm plötzlich ein Ende. Die Tänzer zerstreuten sich, um die Arbeit in der Zuckermühle wieder zu beginnen. Und ich verließ die Bohea, nachdem ich den Trommlern, sowie Carlo Congo auf die Art gedankt hatte, von der ich wußte, daß sie ihnen die angenehmste war.

Ich befinde mich jetzt wieder in meinem stillen Stübchen. Die Zuckermühle lärmt und raucht; die Sklaven tragen die Bagaza. Ueber die Mauern der Bohea hinweg, aber weit jenseits derselben, sehe ich die stattlichen Guadarajahs von Palmen unter den Anhöhen von Camerioca. Auch diese Höhen haben tiefe Grotten und verborgene Gegenden, welche geflüchteten Sklaven als Wohnort dienen. An den Oeffnungen der Grotten legen sie Fallen zur Vertheidigung gegen ihre Verfolger. Aber man hat es aufgegeben, sie da zu verfolgen; es hat sich gezeigt, daß dieß vergebliche Mühe und mit großen Gefahren für die Verfolger verknüpft war. Manchmal kommen die Flüchtlinge bei Nacht vom Berge herab in die Plantagen und erhalten Lebensmittel von den Negern der Plantage, die an ihnen niemals zu Verräthern werden. Man sagt, daß die Neger einander außer[WS 1] unter der Folterqual der Peitsche niemals verrathen.

Den 26. März.  

Mit meiner freundlichen Wirthin habe ich einige Besuche auf Plantagen in der Nachbarschaft gemacht. Der angenehmste unter ihnen war für mich bei einem schönen jungen Paar, Herrn und Frau Belle-Chasse, französischen Creolen. In ihrem Gesichtern sprach sich eine einnehmende menschliche Güte aus. Sie sollen gegen ihre Sklaven sehr gut sein, und man sagte, Herr Belle-Chasse beabsichtige in Florida eine Zuckerpflanzung mit freier Negerarbeit anzulegen. Möge es ihm gelingen! Ein einziges solches vollkommen gelungenes Experiment würde in Amerika eine große Veränderung in der Sklavereieinrichtung hervorbringen. Der Mann, der dieß ausführte, könnte zu den größten Wohlthätern der Menschheit gezählt werden.

Ich sah bei Herrn und Frau Belle-Chasse zwei allerliebste Kinder und einen wohlgehaltenen Garten mit mehreren schönen Pflanzen. Ich sah auch einige ausgezeichnet schöne Rosen, aber ohne allen Geruch. Man sagt, die starke Sonnenhitze nehme diesen und mehreren andern Blumen ihren Geruch. Das schöne junge Paar lud mich auf einige Zeit zu sich ein. Aber ich mußte diese Einladung ablehnen, weil ich versprochen hatte, nach einer andern Plantage zu fahren, wohin ich ebenfalls freundlich eingeladen war, und an deren Besitzer, Mr. und Mrs. Phinney, der schwedische Konsul Nenninger mir ein Empfehlungsschreiben zu geben die Güte gehabt hatte. Die Pflanzer auf Cuba sind unendlich gastfrei, und da das Leben der Damen auf den Plantagen ziemlich einförmig und in den letzten Zeiten noch einsamer geworden ist, als es früher war — die Hand der spanischen Regierung ruht seit den letzten Unruhen schwer auf den Creolen Cubas und zwingt ihnen große Schätze ab — so sehen sie es nicht ungern, wenn ein europäischer Gast das Einerlei ihres Alltagslebens unterbricht.

Der Character der Zuckerplantagen und das Leben allda scheint mir überall ziemlich gleich zu sein. Die Hauptschönheit in diesen Plantagen sind die großen Alleen, besonders von Palmen — ich kann diese Guadarajahs nie ohne ein Gefühl von Verehrung und demüthiger Freude durchwandern, so schön und großartig sind sie. Die Gärten sind gewöhnlich ganz klein und oft verwahrlost. Die Zuckerrohrfelder thun allem Andern Abbruch. Das Leben der Frauenzimmer ist nicht heiter und nicht sehr thätig. Sie scheinen mir unter dem Zustand der Plantage zu leiden, der niemals frei von Furcht ist und ihnen eine Entwickelung ihrer schöneren Wirksamkeit nicht gestattet, ja auch ihre Schritte hemmt. Sie wagen es nicht allein in der Gegend auszugehen. Sie fürchten sich vor geflüchteten Sklaven. Ueberdieß fehlt den Plantagen auf Cuba bei all’ ihrer Schönheit an Bäumen und Pflanzen dennoch das, was die größte Annehmlichkeit des Landlebens ausmacht, wenn man es blos vom Gesichtspunkt des Genusses aus betrachtet — es fehlt ihnen der Grasboden, der schöne, bescheiden grünende Grasboden, wo Millionen kleine Gräser, Moose und Blumen zusammenkommen, um dem Menschen ein frisches und weiches Bett zu bereiten, damit er ausruhen, ruhend träumen, denken und genießen kann. Es fehlt an den Hainen von laubigen Gebüschen und Bäumen, in deren Schatten wir so getrost ruhen. Und ich bemerke deutlich, daß diese paradiesische Luft, diese königlichen Guadarajahs den Bewohnerinnen der Insel diese anspruchslosere Anmuth des Landes nicht ersetzen.

Ueberdieß sehen wir um uns her auf dem Lande kein Unrecht, keine Noth, ohne daß wir theilweise abhelfen könnten. Sie hingegen sehen täglich viel Noth und Unrecht und können Nichts zur Linderung beitragen. Je älter eine Frau auf Cuba ist, desto unglücklicher muß sie sein. Hätte sie auch den besten Gatten, der alles Mögliche für sie und für seine Sklaven thäte, so kann sie doch Augen und Ohr nicht vor dem verschließen, was um sie her vorgeht. Die Plantage umfaßt niemals viele Morgen Lands im Areal, und an sie stoßen andere Plantagen, die je nach der Gemüthsart ihrer Herren verwaltet werden; und wie diese manchmal ist, das wissen wir bereits. Kommt dazu noch der Zustand und die Regierung auf der Insel, die Gewaltthätigkeiten der Beamten, der Sklavenhandel, Sklavenaufruhre, die Untersuchungen und Bestrafungen der spanischen Regierung, die beständige Furcht; — — keine lieblichen Hauche von Cubas himmlischer Luft vermögen dem Leben, das unter solchen Verhältnissen geführt wird, Freude zu gewähren.

In der vorigen Woche soll ein Sklavenschiff aus Africa mit einer Ladung von nicht weniger als 750 Kindern, die ältesten nicht 18, die jüngsten 10 Jahre alt, in Havannah angekommen sein. Man hat diese Abende einmal in unserem Gesellschaftskreis davon gesprochen. „Diejenigen, die dieß thun,” sagte mit bitterem Gefühl eine Mutter in der Gesellschaft, „werden eines Tags den verdienten Lohn empfangen.“ Und gleichwohl ist es, wenn einmal Menschen aus ihrem Mutterland in fremde Sklaverei geführt werden sollen, besser, sie kommen als Kinder, als wenn sie schon herangewachsen sind. Sie empfinden es dann weniger bitter. Sie gewöhnen sich an die Bohea und die Peitsche, und sie haben keine Erinnerungen an ein Freiheitsleben, die sie zur Verzweiflung und Selbstmord führen.




Zwischen diese düsteren Gedanken und Eindrücke kommt immer wieder diese unaussprechliche Schönheit der Luft und der Pflanzen, und entzückt mich, und erregt meine Seele zu Lobgesängen und Visionen eines künftigen Paradieses.

Es ist wieder Vollmond, und die Nächte sind unaussprechlich schön. Ich kam gestern Abend spät nach Haus von einem Besuch mit meiner Wirthin. Barhäuptig fuhren wir in der offenen Volante unter dem lichterfüllten Himmelsgewölbe durch die Palmenhaine hin. Die Luft war lieblich und gut, wie die reinste menschliche Güte. Ach! …

Auf der St. Amalienplantage sind zwei stattliche Palmenalleen, wohl hundert Bäume in der Reihe, glaube ich. Viele von ihnen stehen in der besten Blüthe. Die üppigen Blüthenzweige schießen wie Flügel um den Stamm herauf, ein kleines Stück unter der Palmenkrone, im schönsten Verhältniß zu ihr und zu dem Stamm. Hier ist auch eine andere Allee von Tamarinden, die jetzt aus ihren Kronen von grünen Spitzen Bohnen herabfallen lassen, welche die kleinen Negerkinder begehrlich auffangen, um ihre angenehm säuerliche Frucht zu saugen, wie auch eine andere von Mangobäumen und einer Art von Acazienbäumen mit rothen Beeren, aus denen die Neger sich Halsbänder machen. Vor dem Hause stehen mehrere von den Bäumen mit lindenartigen Laubkronen. und dunkelfeuerrothen Blumen, wie ich sie auf der Plaza de Armas in Havannah gesehen habe. Ihr botanischer Name ist hybiscus tilliacea.

Cuba ist ein Vorhof des Paradieses, würdig von dem Naturforscher, dem Künstler und dem Dichter studirt zu werden. Die Vegetation, Formen und Farben deuten auf einen Uebergang vom irdischen Leben zu einer freieren und höheren Schönheitssphäre.




Cafetal la Industria.  

Gott sei Dank, daß der Frühling jetzt in Schweden beginnt, und daß Du anfangen kannst an Salzbäder, Sommer und Wohlbefinden zu denken, daß Du anfangen kannst zu leben, und daß Alles um Dich her zu leben anfängt, Sonnenstrahlen, Nesseln, Nesselschmetterlinge, die gelben Blümlein, und daß die Lerchen, die fröhlichen Lerchen anfangen zu trillern und zu singen: „Jetzt ist es Frühling! Jetzt ist es Frühling!“ Ah, diese sprühende Freude, welche der Frühling bei uns mit sich bringt, diese kennt man doch auf der schönen Cubainsel nicht.

Aber sie hat Schönheit genug, um das Menschenleben glücklich zu machen, wenn nur ihre Schönheit und herrliche Luft ungehindert wirken können.

Ich befinde mich jetzt seit einigen Tagen auf einer neuen Plantage (sowohl von Zucker als von Caffee) bei einer americanischen Familie Namens Phinney, bestehend aus einem älteren Herrn, seiner um Vieles jüngeren Frau, zwei jungen Söhnen und zwei Töchtern. Mr. Phinney ist ein warmer Republicaner und muthig genug, um bei jeder Gelegenheit offen vor der spanischen Gewaltherrschaft auf der Insel seine republicanischen Sympathien auszusprehen. Er würde dieß, sagt er, vor dem offenen Schlunde eines Vierundzwanzigpfünders thun, und ich glaube es ihm, dem muthigen alten Herrn, und liebe ihn darum. Mrs. Phinney ist in England geboren; mit beinahe fünfzig Jahren hat ihr Gesicht noch die ganze Anmuth und Lieblichkeit der Jugend, gepaart mit dem Ausdruck der größten mütterlichen Güte. Sie gleicht jenen Quellen süßen Wassers, welche Gott da und dort in den Sandwüsten der Tropenländer aufsprudeln läßt, um die müden Wanderer zu erfrischen; Palmen wachsen um sie her und der Grasboden grünt; die Wanderer ruhen da und trinken von der Quelle und wünschen nur verweilen zu können. Wenn ich eine dieser Naturen von vollkommen ursprünglicher Güte sehe, so frage ich unwillkürlich, warum wir nicht mehrere von ihnen sehen, da sie doch einmal auf der Erde hervorgebracht und ihr gegeben werden. Jetzt erscheinen sie wie der Hauch des Windes auf dieser Insel; sie offenbaren sich auf der Erde blos, um uns an ein Paradies zu erinnern, das — nicht hier zu finden ist.

Von der Façade des Herrenhauses ist die herrlichste Aussicht über das Land und auf das in der Ferne blauende Meer. Ich genieße sie und die Lüfte vom Meere her, indem ich an den unvergleichlich schönen Morgen und Abenden auf der breiten Piazza umherwandle. Neben der Piazza ist mein angenehmes Stübchen, wo ich eine weite Aussicht genieße, aber auch sehr oft von kleinen Negerjungen gestört werde, die an dem Eisengitter vor meinem Fenster hinaufklettern, zu mir hereingucken und rufen: „buen dies, Sennora! Good morning, Missis!“ was ungeachtet ihrer gutmüthigen fröhlichen Gesichter, ihrer glänzenden Augen und Zähne nicht immer angenehm ist, wenn man gerne Ruhe haben möchte. Aber es ist wirklich eine Lust zu sehen, wie furchtlos die Negerkinder auf dieser Pflanzung sind; die gute mütterliche Dame und ihre Töchter bewirken das, und die Kinder werden augenscheinlich wohl verpflegt, die etwas älteren auch gut gekleidet. Sie springen frei umher und folgen uns zuweilen schaarenweise auf den Promenaden. Man sieht die ältern Kinder die jüngern tragen, die rücklings auf ihren linken Hüften sitzen, während die älteren sie mit dem linken Arm emporhalten, der um den perlengeschmückten Leib des jüngeren geschlungen ist. So sehe ich sie sich herumtummeln und auch ganz frei herumspringen; besonders zeigen sich die Mädchen sehr flink, und ich muß oft ihre schönen und feinen Körperbildungen bewundern.

Die Sklaven auf dieser Pflanzung scheinen mir wohlgenährt und wohl zufrieden zu sein. Sie wohnen auch nicht in einer eingeschlossenen gefängnißartigen Bohea, sondern die Bohea liegt frei, und ich habe da Wohnzimmer gesehen, die sich mit denen der americanischen Sklavenwohnungen vollkommen vergleichen lassen. Die gute Dame liebt ihre Leute und verpflegt mütterlich die Schwachen und Kranken.

Ihren sanften Lippen schreibe ich folgende Worte nach:

„Es ist eine große Sünde die Neger böse zu nennen. Es gibt unter ihnen Gute und Böse, wie unter allen Menschenarten. Aber die Bösen sind selten und viele sind sehr gut.

„Diejenigen, welche die Peitsche nothwendig glauben, um die Neger zu dem zu treiben, was man billiger Weise von ihnen fordern darf, kennen sie nicht und machen sie oft böse. — Ich kann Ihnen nicht sagen, was ich gelitten habe — ja ich habe Wochen lang krank gelegen aus Kummer über das viele Peitschen und die vielen Grausamkeiten, wo zuweilen ein freundlich ernstes Wort genügt hätte. Die Neger sind unendlich empfänglich für Wohlwollen, wenn es mit Verstand angewendet wird. Sie können die besten und ergebensten Diener und Freunde werden.“

Ein deutscher Oberaufseher auf der ebenfalls Mr. Phinney angehörigen Plantage La Sonora, Herr D., sagte von den Negersklaven:

„Sie sind nicht schwer zu regieren, wenn man zu gleicher Zeit genau und freundlich mit ihnen ist. Sie lieben Ordnung und Bestimmtheit bei ihren Herren und sie gehorchen ohne Schwierigkeit, wenn man sie gleichmäßig und billig behandelt. Man darf nicht nachsichtig sein, aber man braucht nicht hart oder grausam zu sein.“

Dieß halte ich ebenfalls für wahr, und es wäre gut, wenn manche Herren es auch glauben und dann diesem Glauben gemäß handeln wollten. Aber despotische Laune und Hitze sind oft die Herren der Herren, und die Sklaven müssen darunter leiden.

Mein merkwürdigstes Abenteuer seit meinem letzten Brief besteht darin, daß ich das südliche Kreuz und die Cucullos gesehen habe, die cubanischen Feuerfliegen, die jetzt zu kommen anfangen, aber keine Fliegen, sondern Käfer mit Flügeldecken sind, an Gestalt und Aussehen unsern Thurmteufeln ähnlich, nur etwas länger und schmäler. Sie fliegen auf dieselbe Art, aber weniger schnell, sie fliegen auch weit höher und lassen während des Flugs einen noch stärkeren summenden Ton vernehmen. Sie geben auf zwei Arten Licht von sich wenn sie kriechen oder still sind, durch zwei kleine, runde, leuchtende Puncte unmittelbar hinter den Augen (und ich las gestern Abend ganz ungehindert bei diesem Licht, indem ich einen Cucullo wie eine kleine Lampe über die Zeilen hinführte), und wenn sie fliegen, wobei sie aus einer Oeffnung am Bauch ein starkes, helles Licht von sich geben, das nicht plötzlich glimmt und wieder erlischt, wie bei den americanischen Feuerfliegen, sondern beständig leuchtet, so lange sie fliegen. Du kannst Dir kaum vorstellen, wie schön das ist. Denke Dir, die Planeten[WS 2] Venus und Jupiter mit mehreren Ihresgleichen kämen über die Dächer zwischen Bäumen und Gebüschen hergeflogen und Du siehst — Cucullos (lies: Cucullios). Sie haben das schönste hellblaue Feuer, das man sich nur denken kann. Sie kommen zu Anfang der Regenzeit, und nachdem wir jetzt zur großen Freude unserer Caffeepflanzer ein paar Regenschauer gehabt haben, zeigen sich die Cucullos, sobald die Dämmerung eintritt. Noch sind sie nicht zahlreich, aber nach dem Eintritt der Regenzeit, im Mai, Juni und Juli sollen sie in solcher Menge erscheinen, daß zuweilen große Baumwipfel ganz von ihnen bedeckt sind und von Millionen Lichter funkeln. Man weiß hier nicht, wie und woher sie kommen. Es wird behauptet, daß sie sich während der trockenen Jahreszeit in morschen Bäumen verstecken. Jetzt ernähren sie sich von Zuckerrohr und ich habe eine ganze Gesellschaft (10 — 12) in einem Glas in meinem Zimmer, wo sie an Stückchen von Zuckerrohr saugen. Sie scheinen sich da sehr wohl zu befinden und mehr an ihre Nahrung als an die Freiheit zu denken. Sie sitzen ganz still da, saugen am Rohr, und ihr Licht scheint dabei zu verrauchen; aber wenn man ihnen ein Bad frischen Wassers gibt, so werden sie wieder klar und ganz lebhaft. Mitunter erwache ich bei Nacht, höre ein Gebrause in meinem Zimmer und sehe dann ein paar Cucullos umherfliegen, wobei sie jeden Theil des Zimmers beleuchten, dem sie sich nähern.

Heute habe ich ein paar in mein Album abgemalt; überhaupt ist eine wahre Wuth über mich gekommen, Menschen, Vögel, Bäume, Blumen, Häuser, kurz Alles, was mir in die Augen sticht, zu zeichnen und zu malen, und hier sticht mir so Vieles durch Schönheit oder Ungewöhnlichkeit in die Augen, daß ich mich in einem unaufhörlichen Zeichnungsfieber befinde. Viel wird nicht daraus, denn es fehlt sowohl an der Zeit als am künstlerischen Talent, aber einige kleine Erinnerungen werde ich Dir wohl nach Hause mitzubringen haben.

An den Abenden sehe ich das südliche Kreuz langsam in geneigter Stellung am Horizont aufsteigen. Um Mitternacht steht es gerade über der Erde. In der letzten Nacht war ich draußen, um es zu sehen. Das prächtige Sternbild stand klar und schön da in der stillen schönen Nacht. Die Sterne sind von der zweiten Ordnung und einer von ihnen von der dritten; aber das Verhältniß zwischen ihnen ist so vollkommen, daß das Bild in hohem Grad frappant ist. Dabei stand das leuchtende Kreuz so einsam am südlichen Himmel, mit seinem Fuß beinahe die Erde berührend und die Arme über sie ausstreckend. Das Bild machte hier einen feierlichen, aber melancholischen Eindruck auf mich. Ueber dem Kreuz bilden die Sterne des Centaur eine Glorie, und wie zwei Wächter auf jeder Seite von ihm stehen die großen Sterne Cercinus und Robur.

Nach Mitternacht neigt sich das Kreuz auf die rechte Seite und sinkt so allmälig wieder unter den Erdkreis herab. Später im Jahr steigt es höher und verweilt länger am Firmament. Die Nacht war sehr dunkel, aber das Dunkel war gleichsam durchsichtig; die Luft wurde nicht gespürt. Das Paradies konnte keine schönere Nacht haben. Die Schönheit unserer Mittsommernächte in dem nördlichen Schweden könnte damit wetteifern, ist aber von anderer Art.

Als ich mich von dem südlichen Kreuz und den Palmen, zwischen denen es leuchtete, hinwegwandte, sah ich am nördlichen Himmel über einem schönen Ceiba auf dem Hof den Nordstern und den großen Bären; in ihnen begrüßte ich die Heimath.

Den 3. April.  

Diesen schönen Morgen habe ich in den Bananashainen zugebracht, die sich auf Caffeeplantagen immer vorfinden, und den Baum mit meiner Lieblingsfrucht, mit seiner ganzen um den Stamm her aufwachsenden kleinen Familie abgezeichnet. Ich fand auch hier blühende Baumwollenpflanzen in ziemlich verwildertem Zustand. Der Busch hat schwankende, unregelmäßige Stämme und lappigte, grobe Blätter von dunkelgrüner, unklarer Farbe. Die Blume ist eine vielblätterige Malve von hellgelber Farbe und der feinsten, graziösesten Bildung. Die Art, wie das Samenhaus sich öffnet und die Baumwollenbüschel herausläßt, worin die Samen wie in einem Bette liegen, ist unendlich zierlich. Ich muß jetzt auch diese Geschichte malen wie das südliche Kreuz über den Palmen.

Die Palmen! Ich werde es nie müde das Schwanken ihrer Kronen im Winde und die weichen, majestätischen Biegungen der Zweige zu betrachten. Sie sind voll von Poesie und symbolischer Schönheit; sie gemahnen so stark an die Vereinigung des Edeln in Gedanken und Handlung mit dem Schönen im Ausdruck. Wohin ich mich wende, begegnen sie meinen Blicken mit neuen Bildern der Schönheit. Die Krone des Palmbaums hat gewöhnlich 14 bis 16 Zweige. Jeden oder jeden andern Monat fällt einer der untersten Zweige des Baumes ab — ich habe oft solche sechs bis sieben Ellen lang auf den Wegen liegen gesehen, wo ich fuhr — und jeden Monat schießt ein neuer auf. Dieser schießt immer mitten im Baume auf und beherrscht wie ein gerader Scepter die Krone; er rollt sich erst in der Spitze auf, und die feinen Blätter spielen dann im Wind wie eine grüne Flamme oder Flagge über dem Baum.

Man hat es hier zu Land sehr im Brauch Palmzweige in Wäldern oder auf Feldern abzuschneiden, um sie als Dachbedeckung oder zu andern Dingen zu verwenden, und man läßt zuweilen nur zwei oder drei an dem Baum, so daß man glauben könnte, er müsse all seiner Schönheit beraubt sein. Aber nein, die beraubte Palme erhebt ihre zwei übrig gebliebenen Zweige in anmuthsvoller Biegung gegen die Zweige anderer so mißhandelter Bäume, und du siehst gothische Säulenhallen und Halbbogen von den schönsten Verhältnissen auf den Feldern unter dem klaren Himmel oder in der Tiefe des Waldes. Um der Palme ihre Majestät und Schönheit zu rauben, müßte[WS 3] man ihr Leben vernichten. Die Königspalmen haben immer gerade säulenartige Stämme. Die Cocospalmen dagegen haben gebogene und geneigte Stämme, viel schmaler als die Königspalme. Ich sehe sie beinahe immer reich mit Früchten behangen. Diese sitzen in Büscheln neben und unter den Zweigen. Man liebt hier die Milch der Frucht und schreibt ihr eine blutreinigende Wirkung zu. Sie sieht aus wie milchartige Molken, und man muß sich an den Geschmack gewöhnen, um ihn zu lieben. Die Früchte der Königspalme sind Beeren und werden nicht von den Menschen gegessen, sondern als Schweinefutter gebraucht. Der Kohl der Palme, wie er genannt wird, oder das Innerste des Stammes zunächst der Krone, soll ein großer Leckerbissen sein, aber man kann ihn nicht nehmen, ohne dem Baum das Leben zu nehmen.

Auch hier auf der Pflanzung sind schöne Guadarajahs von Königspalmen, in denen ich Morgens und Abends umherspaziere.

Mit meiner guten Wirthin habe ich an den Nachmittagen Ausflüge in der Volante gemacht und einige Nachbarn besucht; gestern eine ältere französische Dame, die mich durch ihre stark ausgesprochene Individualität interessirte; es war ein Vergnügen sie erzählen zu hören und ihren Ausdrücken und Gebärden zu folgen. Ueberhaupt will es mich bedünken, als ob die Europäer in ihrem ganzen Wesen mehr Accent und Articulation (ich weiß für diese Worte keinen deutlicheren Ausdruck) hätten, als die Amerikaner oder die seit längerer Zeit aus Europa nach America verpflanzten Familien. Die ersteren sprechen lauter, betonen die Worte stärker, lachen lauter, gesticuliren mehr, scheinen kräftigere Wesen zu sein, machen mehr Lärm. Die Letztern bewegen sich und sprechen mit unbedeutendem äußerem Accent; es ist etwas Stilles und Lautloses in ihrem Leben; die Energie ist mehr eine innere; sie ist eine concentrirte Macht. Die großen Gebärden der Americaner kommen eigentlich nur in ihren allgemeinen Institutionen, in der Entwicklung des Staatslebens, im Handelsbetrieb, in der Größe ihrer allgemeinen Unternehmungen zu Tage. Die Individualität verschwindet zwar nicht, aber sie scheint mir oft auf eine höhere Art von Kundgebung hinzuzielen.

Die Spanier bilden durch ihr Wesen und ihr ganzes Gebahren den größten denkbaren Contrast gegen die Anglo-Americaner, und der Wohllaut und die Majestät der spanischen Sprache entzückt mich immer, außer jedoch wenn ich sie von ungebildeten Weibern sprechen oder schreien höre. Ich besuchte eines Abends eine Farm, wo wir 10 bis 12 Weiber von der grobarbeitenden, obschon nicht ärmsten Classe beisammen fanden. Die meisten waren mager und sehr braun; sie kreischten und verführten, obschon in aller Freundlichkeit und Munterkeit, einen Lärm, der beinahe betäubend war; — man konnte sich mitten in einer Heerde calecuttischer Hähne glauben. Dazu kamen große energische Gebärden, aber eckig und ohne Grazie. Im Munde gebildeter Frauen dagegen ist die spanische Sprache die schönste Musik. Aber zurück zu meiner Abendfahrt. Wir beschloßen sie mit der Sonora, wo wir die Negersklaven, ein munteres und wohlgenährtes Völkchen, in Prozession hinziehen sahen, um ihr Abendbrod zu empfangen; jeder erhielt ein großes Stück Stockfisch. Auf der Heimfahrt über eine Wiese, wo der Boden etwas sumpfig war, sahen wir Schwärme von leuchtenden Cucullos. Es war der lieblichste Elfentanz.

Diese schönen Thierchen bilden jedoch jetzt sowohl meine Plage als mein Vergnügen, denn ach sie sind dumm, und wenn sie ihre Flügel zusammenlegen, so sind sie die tölpischsten und unbeholfensten aller Thiere. Auf ihrem Flug stoßen sie an Alles, was ihnen in den Weg kommt, fallen dann auf die Erde hinab und kriechen da herum oder liegen so ungeschickt wie unsere Käfer mit Flügeldecken auf dem Rücken. Die kleinen Negerkinder springen ihnen, wenn sie herumfliegen, mit dem Ruf „Cuccu! Cuccu!“ nach, fangen sie leicht und quälen sie dann auf mancherlei Art. Seit ich mit ein paar kleinen Kuchen (galietas) einige der armen dummen Thiere aus den Händen ihrer kleinen Peiniger losgekauft, schwärmen Negerkinder zu Duzenden Abends auf der Piazza neben dem großen Wohnzimmer herum, strecken ihre Krausköpfe herein, recken ihre Hände mit den leuchtenden Insecten vor und rufen: „Cuccu! Cuccu!“ Einige muß man aus der Sklaverei loskaufen, aber alle, ein ganzes Magazin von galietas würde da nicht ausreichen. Macht man Miene die Kinder fortjagen zu wollen, so entfliehen sie wie ein Haufen Sperlinge mit lautem Jubel, denn sie sind voll Schalkhaftigkeit, aber gleich sind sie alle wieder da und rufen „Cuccu! Cuccu!“ Thut man als bemerke man sie nicht, so schleichen sie (wenn nemlich keine Herrn da sind) ins Zimmer herein und kommen bis ans Clavier vor, wo Miß Phinney cubanische Tänze spielt,[WS 4] oder ich schwedische Polkas, und dann reichen sie lachend und verlockend ihre Cuccus dar. Nehme ich mit drohender Geberde mein Nastuch, so sind sie wie der Wind wieder fort, aber bloß auf einen Augenblick.

Diese schönen, leuchtenden Cucullos sind wirklich die gequältesten aller Thiere. Die Neger setzen sie in Flaschen und gebrauchen sie als Laternen und Lichter in ihren Zimmern. So können sie eine Woche lang leben, bis sie zuletzt verhungern. Mögen sie ebenso gefühllos sein, wie sie gedankenlos scheinen!

Die jungen Leutchen im Hause und ich machen uns Abends oft das Vergnügen, die Cucullos, die wir aufgehoben oder befreit haben, wieder zum Fliegen zu bringen. Es hält zuweilen schwer, sie zu persuadiren; aber wenn man sie auf die Fingerspitze setzt und in die Luft emporhält, so bringt man sie oft dazu, daß sie ihre Flügel ausbreiten und summend in die Höhe steigen, ihr unvergleichlich schönes Licht entzündend.

Morgen reise ich wieder nach Matanzas, von da nach Havannah, hierauf nach San Antonio de los bannos, einem Badort, wo die Natur großartig sein soll, und dann nach einer weiter entfernten Pflanzung. Ein junger Plantagenbesitzer dahier, ein französischer Creole, Namens Sauval, wünscht mich mit seiner Mutter, die in zweiter Ehe einen spanischen Marquis Carrera geheirathet hatte und jetzt eine Wittwe ist, bekannt zu machen und hat von ihr auf eine Art gesprochen, die mir große Lust erregt, sie kennen zu lernen. Sie soll überdieß ihre Freude an Literatur und Kunst haben und ebenso an Leuten, die ihre Freude daran finden. Ich werde also länger auf Cuba bleiben, als ich gedacht hatte; aber ich komme nur ein einziges Mal in meinem Leben nach Cuba. Und Cuba ist doch eine Heimath der Schönheit und ich wundere mich, daß es noch so wenig bekannt zu sein scheint. Der Naturforscher, der Architekt, der Maler und der Dichter müßten hieher kommen und neue Kenntnisse, neue Eingebungen schöpfen. Luft und Licht, die Pflanzenwelt auf der Erde und die Grotten unter ihr, Alles ist voll von Leben und Schönheit. — Nicht weit von dieser Plantage befindet sich auch eine merkwürdige Grotte, welche wir wo möglich morgen früh besuchen werden.

Wir haben jetzt als Gesellschaft im Hause ein lebhaftes junges Mädchen, eine französische Creolin, Eudoxie Bacot, die uns durch ihr heiteres Geplauder und ihr naturfrisches graziöses Wesen ungemein viel Vergnügen macht. Junge Mädchen haben zuweilen auch hier wie in Schweden Mädchengedanken von einer Heimath, einer Art von Paradies für junge Mädchen, wohin keine Männer Zutritt finden. Eudoxiens einer Bruder soll Gedanken von einem entsprechenden Paradies für junge Männer haben, wo alle Frauenzimmer ausgeschlossen sein sollen. Ich glaube fast, daß die exclusiven jungen Leutchen eines schönen Tags sich selbst aus ihrem Paradies ausschließen werden, indem sie in das Paradies der Ehe eingehen. Ich möchte für den Nonnenberuf der schönen Eudoxia nicht gut stehen.

Ich habe das Portrait des anmuthigen jungen Mädchens in mein Album gezeichnet. Eine kleine grüne Eidechse saß dabei gewiß zwei Stunden lang auf einem Rebenzweig am Fenster und guckte herein. Eine andere, ihr Widerpart oder Gatte, saß etwas höher oben, gerade darüber, und schien ihre Bewegung zu beobachten. Diese Thierchen machen mir viel Spaß, sie sehen so klug und sinnig aus. Wenn sie artig gegen einander sein wollen, öffnen sie auf einer Seite eine Art Flügel von der schönsten rothen Farbe und fächeln damit wie mit einem Fächer.

Heute früh fand ich zu meiner Verwunderung alle meine Cucullos fort aus dem Glase, das immer auf meinem Toilettentische steht. Ich konnte nicht begreifen, wie es zugegangen war, da ich wußte, daß sie nicht Energie genug besaßen, um das Zuckerrohr zu verlassen und zu fliegen. Später am Vormittag sah ich eine große kohlschwarze Spinne — so groß wie die Hand eines kleinen Kindes — mit einem Cucullo im Mund an der Wand in meinem Zimmer sitzen. Diese häßlichen Thiere habe ich schon mehrere Male da gesehen. Sie sehen garstig aus, sollen aber den Menschen unschädlich sein. Die Menge des Ungeziefers ist doch eine große Unannehmlichkeit hier. Um Eßwaaren davor sicher zu stellen, muß man sie mit Wasser umgeben. Ich habe hier immer einen großen Zuckerkuchen auf einem gläsernen Topf in meiner Wasserschüssel stehen.

Man spricht allgemein von einem neuen Angriff auf Cuba, einem neuen Eroberungsversuch, der von americanischer Seite her im Werke sein soll. Man sagt, die Expedition rüste sich in Yucatan, sie bestehe aus einer Menge von Leuten, die den mexicanischen Kriegs mitgemacht haben, und man erwartet sie um Ostern. Mehrere Familien auf den Plantagen halten sich bereit von der Insel zu entfliehen, wenn Unruhen ausbrechen. Die Creolen sind mit der spanischen Regierung bitter unzufrieden und haben alle Ursache dazu. Sie wünschen allgemein Befreiung von dem spanischen Joch, sind aber zu schwach, um selbst einen Befreiungsversuch zu wagen. Und sie fürchten die Neger, die sich bei der ersten Gelegenheit gegen sie wenden würden. Das spanische Militär rüstet sich scharf zur Vertheidigung gegen die Americaner.

Die americanische Regierung hat sich öffentlich gegen diese Raubzüge ausgesprochen und ermahnt alle guten Bürger in den Vereinigten Staaten sich ihnen zu widersetzen. Aber die Spanier halten dennoch die americanischen Sklavenstaaten im Verdacht, daß sie ihre Hand im Spiel haben und die Sache durchzusetzen suchen, um durch Anhängung Cubas als Sklavenstaat ein Gegengewicht gegen die Vermehrung der freien Staaten im Norden zu erhalten. Den Ausgang dieser Sache erfahre ich wohl noch in den Vereinigten Staaten.

Am 22. April sage ich der schönen, aber schlangengebissenen Cubainsel Lebewohl.

Matanzas, den 6. April.  

Wieder in dem guten, behaglichen Hause von Mr. und Mrs. Baley, glücklich mit den schönen jungen Gatten, die Hauche der Luft trinkend. Kein Ort hat eine solche Luft wie Matanzas, so belebend und so lieblich: nirgends hört man so viel Musik. Den ganzen Tag hindurch hört man cubanische Contretänze auf vier bis fünf Klavieren in der Nachbarschaft spielen; Abends kommen ein paar junge Herren auf eine Piazza, schief gegenüber der unsrigen, singen spanische Lieder und accompagniren sich auf der Guitarre; ein geschickter Harfenspieler geht von Thüre zu Thüre, in die Saiten schlagend, während er die Harfe auf dem Rücken trägt, und vor den Thüren die Aragonesa spielend, diesen Tanz so voll von sprühendem Leben, daß Alles in mir zuckt und tanzt, wenn ich ihn höre, oder die Cachuca, die so voll von Anmuth ist; dazwischen hinein schallt die Militärmusik von der Plaza de Armas her, während die schöne Welt von Matanzas im Mondschein umherspaziert, unter den Pappeln die Frauenzimmer alle mit bloßen Haaren und Blumen oder andern Zierrathen, mit dünnen Schleiern und weißen Kleidern; — und da spaziere auch ich mit meiner jungen Wirthin und den Herrn im Hause, oder mit meinem freundlichen jungen Landsmann Franke an den schönen Abenden; — du siehst also, daß man Musik genug hat in Matanzas; es ist an den Abenden ein wahres Charivari, aber es hat nichts Unangenehmes, denn die Musik, die von allen Seiten herkommt, gleicht sich sehr an Takt und Geist. Es waltet ein fröhliches, spielendes, sorgloses Leben darin. Ich lasse mich davon einwiegen und bade mich in den Lufthauchen, die mich wie spielende, liebliche Zephire umtanzen, während ich außen auf der Piazza bis gegen Mitternacht das südliche Kreuz flimmernd sich emporschwingen sehe und immer höher und höher am Himmel strahlend über einem Hain dunkelgrüner, buschiger Sapotabäume. Ja, das ist ein eigenthümliches, wundersames Stillleben. Ich möchte wünschen, daß alle Menschen es kosten könnten. In Americas Prärien und oft in America wollte ich meine Arme ausstrecken und fliegen, über die ganze Erde hinfliegen. Hier will ich blos still sein, in den Kronen der Palmen sitzen, umsaust von ihren Zweigen, oder wie hier daheim in einem Schaukelstuhl, gewiegt von Musik und paradiesischen Lüften; so könnte ich, scheint mirs, in Unendlichkeit dasitzen und würde Nichts vermissen.

Heute Abend führte mich Mrs. Baley in ihrer Volante die Höhe von Combre hinauf. Zwei Pferde zogen die Volante rasch hinan, obschon es eine Fahrt von wohl zwei Stunden ist, bevor man auf die Höhe kommt. Der Weg führte zwischen hohen, armleuchterartigen Aloëpflanzen auf beiden Seiten hin. Und wenn man die Höhe des Bergrückens ereicht hat, dann zur Rechten das blaue große Meer mit Handelsschiffen, Kriegsschiffen, großen und kleinen, das ganze große Weltleben und das gränzenlose Weltmeer zu sehen, und zur Linken, zwischen Bergen eingeschlossen, das Yumorithal mit seinen grünen schönen Palmenhainen, einem stillen, friedlichen Paradiese gleich — größere und schönere Contraste lassen sich nicht denken.

Schöne Wohnungen, Landhäuser reicher Bewohner von Matanzas, lagen hier von Bäumen und Blumen umgeben da.

Wir sahen die Sonne untergehen und den Mond in ruhiger Herrlichkeit aufsteigen. Ich konnte bloß sagen: Guter Gott, wie schön sind deine Werke!

O ich möchte auf diese Höhe von Combre einen lebensmüden oder verbitterten Menschen setzen, einen Menschen, der in die finstersten Abgründe des Lebens hinabgeschaut; ich möchte ihn hier schauen, athmen und wieder Muth und Hoffnung schöpfen lassen aus diesen sprechenden Symbolen des Reichthums und der Herrlichkeit des Allgütigen. Ich möchte ihn hieher setzen und zu ihm sagen: „Sieh! Alles das ist dein — wird dein eines Tags, wenn deine Wüstenwanderung zu Ende ist und du den Sieg gewonnen hast.“

Wir fuhren im hellsten Mondschein zurück und hatten auf dem ganzen Weg offene Aussicht auf den Meerbusen, der jetzt links von uns lag. Aber Mrs. Baley und ich waren in ein Gespräch über ganz andere Gegenstände als über Naturschönheiten gekommen, deßhalb widmete ich ihnen bloß eine halbe Aufmerksamkeit und empfinde jetzt einige Gewissensqual darüber.

Den 10. April.  

Ach, wie angenehm es war einen Brief von Dir zu erhalten und zu sehen, wie es zu Hause steht! Der Brief war zwar etwas alt, denn er war im Januar geschrieben, aber er mundete mir armen Westindienfahrerin ganz delicat frisch. Und Nichts freute mich darin mehr als die Mittheilung, daß Du schon am 1. Juli mit Quidings nach Marstrand reisest. Vorsorgliche, verständige Leute, Schwager und Schwester! Und Du kannst hernach in Arsta das Bad fortsetzen.

Im Juli komme ich wohl nicht nach Hause, vielleicht nicht einmal im August. Ich habe in den Vereinigten Staaten noch so Vieles zu sehen und zu überlegen. Aber wenn die kühlen Tage eintreten, dann, meine liebe Agathe, werde ich kommen und bei Dir und Mama bleiben. Und was ich von Licht und Wärme und Gutem in Großem und Kleinem auf meinen Wanderungen geschöpft haben mag, — ich werde es nicht für mich allein behalten, darauf kannst Du Dich verlassen.

Viel habe ich auf Cuba genossen und genieße noch immer an Leib und Seele, und ich bin ordentlich fett und wieder jung geworden (NB. im Verhältniß zu dem, was ich in den Vereinigten Staaten war, wo ich mager und alt wurde), ja ich würde noch mehr zugelegt haben, wenn ich etwas mehr Ruhe haben könnte. Aber mein bildender Sinn ist so belebt oder vielmehr so aufgereizt worden, daß er mir keine Ruhe läßt, sondern mich beinahe in einem beständigen Fieber hält. Unaufhörlich kommen neue Gegenstände und Gebilde, ermahnen mich zur Nachbildung oder Composition, und treiben mich mehr zu unternehmen, als ich mit meiner Zeit und meinen Kräften leisten kann. Dieß ist beinahe lächerlich und mitunter sogar jämmerlich, denn ich habe weder Rast noch Ruhe. Aber die Arbeit macht mir doch mehr Freude als je, und ich zeichne meine Portraits besser als früher. Aber das Beste, was ich mache, lasse ich in den Heimathen zurück, wo ich geweilt habe. Ja, die guten, schönen Heimathen! Sie sind mir auf Cuba wie in den Vereinigten Staaten gut, offen, gastlich gewesen, sie haben mir Ruhe und Freunde geschenkt, sie haben mich viel von dem innern Leben und den Zuständen der Gesellschaft sehen und erfahren lassen, und sie haben mich Menschen sehen lassen, die in meinem Herzen mit der Erinnerung an Cubas liebliche Winde und schöne Palmen verknüpft bleiben werden. Zu diesen gehört Mrs. Phinney, eines der besten Herzen auf Erden, eines der sanften mütterlichen Wesen, die man innig lieben und verehren muß. Es wurde mir schwer sie und ihre freundlichen Töchter zu verlassen, die mich bis zum letzten Augenblick mit Güte und Geschenken überhäuften.

Mit den zwei jungen Gatten hier lebe ich wie mit jungen Geschwistern und gedeihe nur allzugut bei ihnen in ihrer schönen Wohnung und in der lieblichen Luft von Matanzas. Ich habe mein geliebtes Yumorithal wieder besucht und zeichne so gut als möglich seine Oeffnung auf dem Azoteon des Hauses, das eine schöne Aussicht nach dieser Seite gewährt. Ich habe mir auch vorgenommen ein cubanisches Haus abzuzeichnen; ich wählte dazu ein kleines, sehr hübsches Haus auf der Plaza de Armas, setzte mich früh am Morgen mit Feder und Buch auf eine Bank unter den Pappeln, und dachte so ganz unbemerkt Casa donna Fabiana Hernandez in mein Album einschleichen zu lassen. Am ersten Morgen ging Alles gut. Bloß ein Neger guckte aus der Hausthüre hervor und sah mich mit argwöhnischen Blicken an. Aber am nächsten Morgen guckten mehrere Köpfe aus dem Hause hervor, und ein Haufe von Jungen schaarte sich um mich und guckte in mein Album hinein. Am dritten Morgen war das Haus in augenscheinlich innerer Unruhe, und erwachsene männliche Personen schaarten sich um mich und redeten mich auf spanisch an, zwar nicht unfreundlich, aber sie stellten Fragen, die ich nicht anders beantworten konnte, als dadurch, daß ich ihnen meine Zeichnung zeigte und sagte: „hermosa casa en Matanzas (schönes Haus in Matanzas).“ Sie lächelten, wollten aber meine Arbeit sehen, und ich bekam keine Ruhe mehr. Ich verließ also den Platz, nachdem ich genug von dem Hause aufgenommen hatte, um das Gemälde auf eigene Faust ausführen zu können. Ein schönes cubanisches Haus mit seinen Frescogemälden, schönen Eisengittern, Pfeilern und Zierrathen, ist ein wahres Kleinod von Niedlichkeit und Nettigkeit. Die Hausthüre ist verhältnißmäßig zu groß. Da steht immer die schmucke Volante, welche als die Füße der Familie im Hause betrachtet werden kann, denn diese bewegen sich selten aus dem Hause, ohne von ihr geführt zu werden. Das Thor ist auch immer verschlossen, außer wenn es sich für die Volante öffnet, und ein Thürchen im Thor hat die Bestimmung die Fußgänger aus- und einzulassen

An den Nachmittagen fahre ich mit Mrs Baley aus, theils um Einkäufe in den Läden zu machen, theils auf die schönen Promenaden Paseo de Tacon oder La Plaia. Letztere, die am Meeresstrand liegt, wo wir den frischen, lieblichen Seewind trinken, während die Wogen brausend an das Ufer schlagen, gewährt mir einen unbeschreiblichen Genuß. Wir kommen manchmal erst spät nach Hause, und dann ist es hübsch die Lichter von Matanzas in den Schatten der Berge am Wasser entlang in der dunkeln, aber klaren Luft flimmern zu sehen.

Unser Handel in den Läden geht folgendermaßen zu: die Volante bleibt vor einer Bude stehen, und dann eilen sogleich ein paar junge Commis an den Wagen vor und fragen nach unserem Befehl. Wir sagen was wir wünschen, und dieß wird eiligst hergebracht; wir bekommen zur Auswahl so viel wir nur verlangen und machen unsere Einkäufe, ohne die Volante verlassen zu haben. Aber wir mögen Etwas kaufen oder Nichts, das Benehmen der jungen Kaufherrn bleibt immer gleichartig, gleich zuvorkommend und einnehmend. Ja man glaubt eher junge Pagen aus der Ritterzeit, als simple Ladendiener zu sehen, so artig und gefällig erweist sich der junge Creole gegen die kauflustigen Sennoras oder Sennoritas, wie er sie in einschmeichelndem, melodischem Tone nennt. Viele dieser jungen Handelsleute gehören auch den guten Familien auf der Insel an; denn die Creolen haben wenig Aussicht auf ein anderes Auskommen als durch Handel oder Ackerbau. Die Civil- und Militärämter werden den Spaniern übertragen.

Bei solchen Ausfahrten grüßt meine junge Wirthin die Vorbeifahrenden oder die Leute in den Häusern durch einen graziösen Wink mit der Hand und den Zuruf „adios.“ So ist es hier der Brauch und die Begrüßung mit einer anmuthsvollen freundlichen Handbewegung, die verschiedene Grade von Ausdruck und Innigkeit hat, ist allgemein sowohl bei den Damen als bei den Herrn, wogegen die in unsern Ländern übliche Begrüßungsweise der Herrn durch Hutabnehmen höchst lästig und unnöthig erscheint. Der artige Spanier fügt seinem Gruß gegen eine Dame noch ein: „Ich küsse Ihre Hände,“ oder „Zu Ihren Füßen, Sennora!“ hinzu, was zwar Nichts bedeuten will, aber doch schön klingt und auch in seinem Ausdruck anmuthsvoll aussieht. Die Spanier sind ganz gewiß die artigsten aller Männer, aber es wird behauptet, daß sie ebenso flüchtig seien.

Gestern Nachmittag sah ich das spanische Militär exerzieren. Die Soldaten manövrirten vortrefflich, waren aber sehr kleine Leute. Ihre Haltung und Disciplin auf der Insel wird als sehr gut gerühmt.

Kommt der Abend, so kommt die Musik theils in, theils außer dem Hause und das Wehen des Seewindes auf der Piazza. Mrs. Baley spielt die lebhaften spanischen und cubanischen Tanze ausgezeichnet gut; jetzt spielt sie auch schwedische Polkas, die sie von mir gelernt hat, und ich spiele ihre Tänze. Zuweilen kommen auch einige Besuche, theils Europäer, die auf der Insel ansäßig sind, theils Spanierinnen, die immer mit ihren Fächern manövriren und viel Lärm machen, denn die Pracht und Schwere der Fächer ist ein Schmuck der Spanierin. Ich habe welche gesehen, die 25 bis 100 Dollars kosten. Die theuren sind aus Elfenbein, mit Gold eingefaßt, und haben viele Zierrathen, wozu ovale Spiegelchen auf den äußern Seiten gehören. Das Manöver mit dem Fächer ist eine vollkommene kleine Wissenschaft, in welche die Spanierin oder die spanische Creolin eine ganze Zeichensprache legt, worin sie sich, wann und wie sie will, mit ihrem Herzensfreunde unterhält.

In den Empfangszimmern auf Cuba stehen zwei Reihen von Schaukelstühlen, theils von spanischer, theils von americanischer Façon — die spanischen weit grandioser, aber auch schwerer — vor dem Fenster und im Innern des Zimmers. Hier sitzt man und spricht, sich schaukelnd und fächelnd, während der Wind von den Fenstern hereinspielt. Man trinkt Thee und ißt Confituren. Die spanischen Creolinnen haben schöne, sanfte, braune Augen; sie sollen einen sehr guten natürlichen Verstand, auch Witz besitzen, aber sehr unwissend sein. Innerhalb der Häuser beschäftigen sie sich hauptsächlich mit Nähen, Toilettemachen, mit dem Empfang und Abstattung von Besuchen.

Noch einen Ausflug will ich, mit meinen freundlichen Wirthsleuten machen, nemlich den Canima hinauf, einen von Cubas schönsten Flüssen, der nicht weit von hier ist; dann aber sage ich Matanzas Lebewohl.

Den 13. April, Abends.  

Gestern Morgen vor Sonnenaufgang begaben wir uns auf den Weg, Mrs. Baley, ihr Bruder Philipp und ich, und just als die Sonne in Pracht aus dem Meer emporstieg, stießen wir vom Ufer bei Matanzas ab. Ein älterer, verwitterter Seemann, ein spanischer Creole, und seine zwei jungen Söhne waren unsere Ruderer. Das Meer war ganz ruhig, oder bewegte sich bloß in langen, glatten, schaumlosen Wogen. Es mußte so sein, wenn wir ohne Gefahr in den Canimafluß kommen wollten, denn bei rauherem Wetter brechen sich die Wogen heftig am Grund bei seiner Mündung ins Meer. Cuba hat eine Menge Flüsse, die aus den Bergen kommen, aber keine große und auf längere Strecken schiffbare.

Nachdem wir etwa eine halbe Stunde auf dem Meer gerudert, kamen wir in den Canima, ein Flüßlein, das sich zwischen hohen, steilen, mit tropischen Pflanzen bewachsenen Bergwänden hinschlängelt. Auf den Höhen winkten die Fächerpalmen in malerischen Gruppen, und an den abschüssigen Wänden[WS 5] entlang hingen an unzähligen Arten von Bäumen und Gebüschen zierliche Luftgewächse mit rothen, gelben, weißen oder purpurfarbenen Blumen, und grüne Colibri schwirrten um sie her. Zunächst dem Fluß kamen Bambus-Bäume und Gebüsche, die sich in Bewegungen von so unvergleichlicher Anmuth gegen den Fluß herabneigten, daß es mich entzückte und beinahe wehmüthig stimmte. Die Schatten der Berge lagen über dem Fluß, der ganz ruhig wie ein schönes Mysterium in seiner tropischen Welt vor uns lag. So fuhren wir ihn stundenlang hinan, und jede neue Wendung brachte neue Schönheiten zu Tag, aber immer von derselben Art, Palmen, Aloën, Bambus, Luftpflanzen, Colibri. Ein schöner, weißer Vogel mit langem Hals und einer Figur, wie ein kleiner Schwan, flog uns beständig ein Stück weit voran und setzte sich am Ufer, um auszuruhen, flog aber, wenn wir näher kamen, wieder auf, um uns von Neuem den Weg zu zeigen. Man nannte ihn gazza. Aber die Sonne stieg höher; in dem tiefen Paß war kein Windhauch. Es wurde erdrückend warm. Die Jungen, die uns ruderten, sogen aus den Röhren von thönernen Kannen Wasser ein, so daß sie das Wasser in sich aufnahmen, ohne zu schlucken, während sie den Kopf rückwärts gelehnt und den Mund offen hielten für den Wasserstrahl, der auf diese Art mehrere Secunden lang hinabrann; hierauf riefen oder stöhnten sie Ave Maria, lachten und ruderten von Neuem.

Wir stiegen an einer kleinen Biegung des Flusses ans Land und frühstückten unter einigen schönen. Bambusbäumen, während Colibri über rothen Blumen um uns herflatterten.

Ich ging ein Stück weit am Ufer entlang; der Fluß war hier sehr schmal. Einige verfallene hölzerne Häuser lagen am anderen Ufer. Die allerhübschesten Gruppen von Palmen und Bananasbäumen standen hier an den Krümmungen des Flusses. Alles sah üppig und paradiesisch wild aus. Krabben, und diejenige Art von Krebsen, die man in America fiddlers (Geiger) nennt, wegen ihrer einzigen großen Klaue, wimmelten am Ufer, wie sie es während unserer ganzen Fahrt gethan hatten.

Trotz aller Schönheit der Vegetation fühlte ich hier daß man, um in dieser eingeschlossenen Welt glücklich zu leben, entweder ein Krebs oder ein Colibri sein müßte. Ich würde hier aus Mangel an frischer Luft vergehen. Auf dem Rückweg wurden wir von einem Gewitterregen der wildesten Art überrascht, und trotz unseres gewölbten Wachstuchdaches über dem Boot wurden wir tüchtig durchnäßt, was mich um Mrs. Baleys willen, die an diesem Tag unwohl war und nicht kräftig ist, beunruhigte. Wir waren froh, als wir nach einer Fahrt von zehn Stunden nach Hause kamen. Unsere Ruderer hatten fortwährend Wasser in sich eingegossen, Ave Maria geseufzt und sich die ganze Zeit über bei guten Kräften und gutem Humor erhalten. Ich mußte ihre Ausdauer bewundern.

Wir waren sehr müde, aber wir hatten auch den Canima gesehen, und ich habe den Eindruck von seiner tropischen Scenerie neben meinem Eindruck von den Fahrten auf dem Hudson, dem Savannah, dem Missisippi, dem Ohio und andern Flüssen des Westlands.

Und jetzt ist es Abend, mein letzter Abend in Matanzas. Morgen werde ich nach Havannah reisen. Ich habe den Abend allein mit den schönen jungen Gatten zugebracht, habe zum letzten Mal Mrs. Baley die hauta Arragonesa, zum letzten Mal Mr. Baley auf der Orgel adeste fideles spielen gehört. Ich bat sie um diese Töne; ich wollte dieselben als die letzte Erinnerung an die Tage in ihrer Heimath mitnehmen, und morgen früh scheide ich von den liebenswürdigen freundlichen Menschen, von Matanzas und seinen schönen Gegenden. Es kommt mich hart an, aber ich kann nicht helfen. Nie mehr bekomme ich eine solche Luft, solche Windhauche zu spüren, nie mehr einen solchen Strom von fröhlicher Musik zu hören, nie mehr Yumori, Canima und Combre zu sehen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. schwedisch: „utom“; Vorlage: selbst
  2. Vorlage: Planeteu
  3. Vorlage: mußte
  4. Vorlage: cubaische Tänze spelt
  5. Vorlage: Wändeu
Vierunddreißigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Dritter Band
von Fredrika Bremer
Sechsunddreißigster Brief
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