Die Heimath in der neuen Welt/Dritter Band/Vierunddreißigster Brief

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Dreiunddreißigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Dritter Band
von Fredrika Bremer
Fünfunddreißigster Brief
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Textdaten
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Autor: Fredrika Bremer
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Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band
Untertitel: Vierunddreißigster Brief
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Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
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Verlag: Franckh
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden. Tredje delen.
Originalsubtitel: Trettiondefjerde brefvet
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
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Vierunddreißigster Brief.


Matanzas, den 23. Februar 1851. 

Wie schön ist es hier, meine Agathe, wie gut ist es hier sein! In dieser herrlichen Luft, voll von balsamischen Hauchen, in dieser freundlichen, guten, auf alle Arten gemüthlichen und comfortabeln Wohnung, im Hause von Mr. und Mrs. Baley, wo ich jetzt weile, da fühle ich mich ganz neu belebt. Ich habe nunmehr eine ganze Woche hier gelebt, und sie ist wie ein einziger, klarer, schöner Tag dahingegangen.

Es that mir wohl, als ich früh am Montag, den 16. das heiße staubige Havannah verließ. Und ich ließ da auch mein Kopfweh zurück. Ich verlor es am vorhergehenden Abend, als ich zu Bette ging, und ich konnte gut schlafen. Die freundliche, herzlich gute Frau Tolme war am andern Morgen schon um fünf Uhr auf und verschaffte mir und sich Caffee aus einer Restauration, da sie ihre Sklavinnen nicht so früh wecken wollte; dann setzte ich mich nach einem herzlichen Abschied von ihr und ihrem Manne in ihre Volante, begleitet von einem der jungen Söhne des Hauses und meinem Liebling unter ihnen, Frank Tolme; der Calashero ließ seine Peitsche knallen und schnell schwankten wir dahin nach der Eisenbahnstation. Ich war froh, als ich mit Hülfe meines jungen Begleiters endlich glücklich durch alle Schwierigkeiten und Umstände an der Eisenbahn hindurchgekommen war und ruhig in dem geräumigen Wagen saß. Er war nach amerikanischer Art gebaut, denn Amerikaner haben die Eisenbahnen auf Cuba angelegt und ihre Wägen gebaut. Alle Fenster waren herabgelassen, damit die herrliche Morgenluft hereinströmen konnte, und obschon alle Herren, die im Wagen saßen, vierzig bis fünfzig an der Zahl, Cigarren oder Cigarritos rauchten, so spürte man doch keine Rauchluft und sah kaum einigen Rauch. Cubas Luft schien die Kraft zu haben den Rauch zu vernichten. Ich war das einzige reisende Frauenzimmer im Wagen und saß allein auf meinem Sopha und beinahe allein in diesem Theile des Wagens. Um so freier konnte ich mich umschauen, und — ach dieser Morgen, wo ich über die neue paradiesisch schöne Erde in paradiesischer Luft dahinflog und Scenen und Gegenstände sah, die alle neu und bezaubernd waren! Nur durch innige Dankbarkeit kann so großer Genuß geheiligt werden.

Es hatte bei Nacht geregnet und schöne Wolken wölbten sich massenweise am Horizont entlang und klumpten sich in bizarren Formen zusammen. Jetzt erhoben sie sich in schweren Draperien über die blauen Berge, um die aufsteigende Sonne heranzuführen. Sie bildeten einen prächtigen Hafen mit goldenem Rahmen, und durch ihn hindurch leuchtete ein Meer von mildem, rosenfarbigem Licht; es blitzte bis über die Wipfel der Berge hin und die Sonne stieg auf. Die kleinen phantastischen blauen und gelben Villen mit ihren prächtigen Baumgärten, die von herrlichen Blumen und wunderlichen Pflanzen wuchern, die palmbedeckten Hütten auf den Feldern, die hohen grünen Palmen über ihrem graugelben Dach, die Haine von Mangopflanzen, Orangen und Cocosbäumen, die grünen Hecken und Felder, Alles glänzte so frisch und schön in dem feuchten, milden, von der Sonne bestrahlten Morgen. Ueberall am Weg begegneten mir neue schöne Gegenstände an Blumen, Pflanzen, Gärten und Wohnungen und wünschten mir im Vorbeifliegen guten Morgen. Aber einen Kartoffelacker und ein großes Kohlfeld begrüßte ich als Landsleute und gute Freunde. Das ganze Land sah aus wie ein ungeheurer Garten, schöne Palmen standen auf allen Seiten, ihre Kronen wiegend im Morgenwind, und am Horizont entlang erhob sich eine Kette von dunkelblauen Berghügeln.

Es war mir wohl zu Muth, kein Mensch konnte sich wohler fühlen, Seele und Körper hatten Schwingen! Und ich flog dahin über das schöne prangende Land.

Allmälig verschwanden die Villen, und Pflanzungen mit Zuckerrohr und anderen Gewächsen, die ich nicht kenne, nahmen überhand. Wir fuhren durch ganze Wälder von gepflanzten Bananasbäumen. Später wurde der Boden wilder und Schmarotzerpflanzen zeigten sich an den Bäumen und auf der Erde. Bald nahmen sie überhand und schienen die Vegetation zu ersticken. Mehrere Baumkronen trugen ganze Gärten von Luftpflanzen, Orchideen und Aloen auf ihren Zweigen. Dies sieht sonderbar, aber nicht schön aus, obschon verschiedene von diesen Schmarotzern recht hübsche Blumen haben. Das hat einen erzwungenen und unnatürlichen Charakter. Auf einem Feld, nicht weit vom Weg, sah ich einen hohen, halb todten Ceibabaum, um dessen gigantischen Stamm die Schmarotzerpflanze Yaguay Embra, ein weiblicher Feigenbaum, ihre hundertfachen, schlangenartigen Arme in abscheulicher Umarmung geschlungen hat, ihn von der Wurzel bis zum Wipfel umwickelnd, bis sie beinahe das Leben des Baumes erstickt hat. Diesen Todeskampf zwischen dem Ceibabaum und der Schmarotzerin, welche heranwächst und sich von seinem Leben ernährt, bis sie es zuletzt zerstört, bekommt man auf Cuba oft zu sehen, und es ist ein höchst merkwürdiges und wirklich schreckliches Schauspiel. Es liegt eine ganze Tragödie in einem Bild, das an Hercules und Dejanira, an König Agne und Aslög erinnert.

Der erste Theil des Tages und der Reise war voll von Genüssen, unter welche ich ein paar vortreffliche Butterbrödchen mit einer Art von Sardellensauce und Käse, womit die gute Frau Tolme mich versehen hatte, und einige Bananas rechnen muß. Dabei erfreute mich der Gedanke an sie, die so mütterlich, so gut, so sorgsam für mich und Alle, die ihrer bedürfen, ist. Dankbarkeit und Freude über Menschen ist die beste Nahrung der Seele. Später wurde der Tag zu warm und der Boden gar zu sehr verdeckt von Schlingpflanzen. Dieß schläferte mich ein und bedrückte mich. Auf einer Eisenbahnstation kamen einige Frauenzimmer mit spanischen Physiognomien in den Wagen herein. Sie schienen der ländlichen Bevölkerung anzugehören, waren aber gut gekleidet und barhäuptig. Einige von ihnen waren sehr schöne, üppige, stolze Gestalten, und behandelten mit ausgezeichnetem Stolz und auffallender Ungnade einige Hofmacher, die ihnen gefolgt waren, und sie im letzten Augenblick mit Blumensträußen und Mienen umgaben, welche nicht verzweifelt, sondern eher schalkhaft aussahen, als sie sich zurückzogen, ohne einen Blick von den stolzen Schönen zu erhaschen. Dieß erweckte mich ein wenig. Und ganz hellwach wurde ich, als wir Nachmittags aus der buschreichen Gegend hervorkamen, und die Aussicht sich groß und plötzlich öffnete über die Stadt Matanzas, ihren herrlichen Meerbusen, jetzt vom allerhellsten Blau, und im Hintergrund den schönen Bergrücken „Pfanne von Matanzas“, so genannt von seiner Form, nebst der Oeffnung des Yumori-Thales.

Die frischesten, lieblichsten Windhauche umgaben mich hier. Und an der Eisenbahnstation kamen zwei Herren mit sanften, angenehmen Gesichtern und hießen mich willkommen. Es war mein junger Landsmann Franke aus Gothenburg, in Matanzas ansäßig als erster Komtorist in einem großen Handelshaus, und Mr. J. Baley, der mich in seiner Volante nach seinem Haus abholte. Dort wurde ich heiter und freundlich empfangen von seiner schönen jungen Frau, einer Creolin, aber von so nordisch heller und frischer Miene, daß sie nur eines Helmes auf dem Kopf bedürfte, um als Modell für das Bild einer Walkyre zu dienen.

Mit diesen schönen jungen Eheleuten habe ich ein angenehmes Stillleben geführt und mich an Seele und Leib erfrischt, theils in ihrer angenehmen Wohnung — meine junge Wirthin ist die Tochter einer Angloamerikanerin, und Alles im Haus trägt das Gepräge der Reinlichkeit, Ordnung und Annehmlichkeit, das die Hausmütter dieses Stammes auszeichnet — theils durch einsame Spaziergänge in der Gegend um die Stadt, obschon es ganz ungewöhnlich ist, daß ein Frauenzimmer, zumal mit einem Hut auf dem Kopf, ihre eigenen Spazierhölzer statt des Pferdes und der Volante zu einer Wanderung außer dem Hause benützt, so daß kleine Negerknaben und Mädchen mir mit Geschrei und Lachen nachspringen, große Leute stehen bleiben und gaffen, Pferde und Ochsen zuweilen scheu werden. Doch hat man sich allmählig daran gewöhnt mich so ausgehen zu sehen. Und man müßte mir viel bieten, um mich von meinen einsamen Entdeckungsreisen abzubringen.

Willst Du mir auf einer von ihnen folgen, und zwar auf der ersten und entzückendsten, die ich gemacht habe, als ich früh am Morgen ganz allein das Yumori-Thal besuchte? Daß der Morgen schön war, begreifst Du, aber wie schön, das kann Niemand begreifen, der nicht die frühe Morgenstunde, die Liebkosung des Meergeistes aus der Bucht von Matanzas genossen hat. Das Yumori-Thal liegt ungefähr 200 Schritte von Matanzas hinweg. Du siehst eine Oeffnung zwischen zwei hohen Klippen und durch die Oeffnung ein helles, klares Flüßchen, das zwischen den grünenden Ufern dahin geht, um sich mit dem Meer zu vereinen. Ich sage nicht, daß es sich hineinwirft, denn dazu ist es zu still. Es ist spiegelklar und ruhig. Laß uns diesem Flüßchen durch Bergthore hindurch folgen. Außen vor demselben ist das freie Feld und der breite, blaue Meerbusen von Matanzas, angefüllt mit Schiffen aus allen Ländern der Welt, die aus weiter Ferne einhergesegelt kommen oder vor Anker liegen.

Wir gehen am Yumori-Fluß entlang durch die Bergthore, und darinnen öffnet sich ein wunderschönes Thal voll von Palmen und grünen Büschen auf grünenden Fluren, auf beiden Seiten von hohen Bergrücken eingeschlossen. Der Schatten vom Berge liegt kühl und düster über demjenigen Theil des Thales, durch welchen unser Weg führt. Wie schön ist es hier in dem kühlen Schatten! Links ist der spiegelklare Fluß, der sich in einem niedern Wald von Mangrovebüschen unsern Blicken zu entziehen anfängt; dieß ist eine Art Buschwerk, das im Wasser wächst und sich dadurch vermehrt, daß es seine Zweige in die Tiefe hinabsendet, wo sie Wurzel schlagen und zu neuen grünen Büschen emporwachsen. Auf der andern Seite des Flusses erhebt sich mit steilen Wänden, aber weich wogenden Höhen die Pfanne von Matanzas; auf unserer Seite, am Weg entlang und etwas abhängiger sind die Höhen von Combre. Die Felsen zeigen in der Höhe kühne Colonnaden, andere öffnen Thore zu ihren Grotten, geheimnißvolle Säulenhallen und Gewölbe, welche bloß die Vögel unter dem Himmel besuchen dürfen. Palmen krönen die wogenden Höhen, und buschige Ranken von mir unbekannten Schlingpflanzen hängen über sie herab. Weiter unten zu ihren Füßen wird die Vegetation üppig. Das ist ein schwellendes Bett von schönen Bäumen, Buschpflanzen und Blumen, unter denen ich mich in Entzücken und Unwissenheit verliere. Aber einige davon kenne ich doch bei ihren Volksnamen. Da glüht die Fieberblume in Gold und Feuer, in unbeschreiblicher Pracht; da ist die wilde Heliotrope, üppig an Wachsthum, aber bescheiden an Farbe und Formen, wie unsere nordische Treibhaussonnenwende; da ist des Mangrov schöne, schneeweiße Blume mit ihrem lieblich duftenden Kelch, halb von Winde und halb von Lilie; und da, am Weg entlang zu unsern Füßen, siehst du das kleine Gebüsch voll von zierlich rothen Blümchen mit Hunderten von kleinen Munden oder Schnäbeln, die auf ihren Stielen sitzen und in die Welt hinausschauen, aufwärts so lang sie jung sind, und später abwärts zur Erde, auf welche sie zuletzt, noch ganz roth und frisch, herabfallen, wenn sie älter geworden sind; und sieh, wie kleine, sammtgrüne Colibris um sie herumflattern, als wären sie darein verliebt; wie sie uns gar nicht fürchten, wie sie auf ihren Schwingen schwebend ihre langen Schnäbel in die offenen Schnäbel der Blumen tauchen — das Thierleben und das Pflanzenleben küssen sich hier, das sieht allerliebst aus. Cupidos Thränen (lacrimas Cupido) wird die Pflanze mit den rothen, abfallenden Blumen genannt. Aber lacrimas Cupido ist keine Thräne des bleichen Schmerzes. Es sind glühende Thränen aus einem liebevollen glückseligen Herzen. Das Herz der Natur weint sie und beschwingte Liebhaber saugen ihren Saft.

Noch liegt das Thal in seiner Tiefe verborgen vor uns. Die Biegungen der Bergrücken versperren uns die Aussicht. Aber auf einmal zieht sich der Weg plötzlich rechts und jetzt öffnet sich das Thal. Vor uns zur Rechten im Schooße des Berges liegt im schönsten Palmenhain ein kleiner Hof — eine cubanische Farm mit palmlaubbedecktem Dach, und unser Weg führt durch Gruppen von Cocospalmen, die auf beiden Seiten des Weges reich mit Früchten behangen sind. Hier geht es ein wenig bergab, und auf der Seite der Anhöhe rechts, ein kleines Stück vom Weg, sind die Trümmer einer Steinmauer an einem Brunnen. Rundum wachsen in pittoresker Unordnung Cocospalmen, Sapotas, Mammai und Mangobäume, sowie die Cypresse von Ceylon nebst mehreren mir fremden Baumarten. Aber wir wollen noch nicht ruhen. Wir müssen noch etwas mehr von dem Thal sehen. Wir wandern die kleine Höhe hinab und gegen den Hof oben im Gebirge; aber unter demselben biegt der Weg links um und geht jetzt gerade ins Thal hinein. Dieses öffnet sich für uns als ein schönes großes Palmenland, umgeben von dem dichtgeschlossenen elliptischen Rahmen der Berghöhen. Wir gehen noch ein Stück weiter auf dem Weg; das Thal wird breiter mit sanft wogendem Boden, und wohin wir blicken, sehen wir nur Palmen, Palmen und Palmen; — unter solchen Bäumen, in solchen Hainen, sollten schöne, unsterbliche Wesen wandeln.

Da liegt ein kleiner Hof mit palmbedecktem Haus und Reiserhütten nicht weit vom Wege; ein großer blühender Oleanderbusch glänzt unter ihnen. Wir gehen hin, um uns umzuschauen; wir wollen einen Schluck Wasser begehren. Die Fermiera, ein mageres, dürres, braunäugiges Weib, sieht aus, als wolle sie uns Alles geben, was sie besitzt, aber sie versteht uns nicht, und wir verstehen sie nicht. Gleichwohl bekommen wir Wasser und überdieß große Bouquets von blühendem Oleander, die sie uns abbricht. Die Sonne beginnt heiß zu werden. Laß uns umkehren; wir wollen ein ander Mal hieher zurückkommen, denn das Yumori-Thal muß ich genau kennen lernen. Da kommen Monteros mit schwerbeladenen Pferden, alles Gepäck quer über den Rücken des Pferdes gelegt. Sie grüßen freundlich mit melodischen Stimmen, bleiben stehen und fragen gutmüthig, woher die Sennora komme und wohin sie wolle. Die Sennora sagt, daß sie aus Schweden sei. Die Monteros sehen unklar die Sennora und einander an. Sie kennen den Ort Schweden nicht und verstehen die Wanderin nicht. Sie sagt ihnen also, daß sie aus: „un pais soto la estrella del norte“ (einem Land unter dem Nordstern) sei. Und jetzt glauben sie, sie sage, daß sie aus dem Nordstern komme, und jetzt sagen sie Ah! und sehen einander mit bedeutungsvollem Lächeln an und rühren an ihre Stirne; jetzt haben sie eingesehen, daß es bei der Sennora unter der Haube nicht richtig ist, und mit mitleidigem Kopfschütteln treiben sie ihre Pferde weiter. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie sanft und gutmüthig sie aussehen. Wir gehen langsam hinter ihnen zurück auf dem Weg nach Matanzas. Noch wirft die hohe Bergwand ihren Schatten über den Cocoshain am Brunnen. Wir setzen uns auf die steinerne Mauer und frühstücken Bananas, die wir mitgenommen haben. Ein tadelloses Frühstück in der lieblichen Morgenluft in dem wunderschönen Thal. Milde und glückliche Menschen müssen auf dem Hof unter den Palmen droben auf dem Berge wohnen. Unter so schönen, lieblichen Gegenständen, in dieser bezaubernden Luft muß der Mensch mild und gut werden. Die Sonne steigt über dem Berge auf, und es wird zwar warm, bis wir nach Matanzas zurückkommen, aber wir haben dafür auch einen schönen Morgen im Yumori-Thal durchlebt.

In der Stadt Matanzas habe ich einige Bekanntschaften gemacht, und mittelst einer derselben konnte ich eine große Kaffee- und Zuckerpflanzung in der Nähe der Stadt besuchen. Ich sah hier Alleen von einer Menge seltener tropischer Bäume und Pflanzen, eine Art Palmbäume, die wie Korkzieher ihre riesenstarken Zweige herumschlangen und riesengroße Früchte trugen : eine Art Citronenbäume, die ungeheure citronenartige Früchte trugen, welche jedoch nicht als Citronen betrachtet werden.

Was mich am meisten interessirte, war die Bekanntschaft mit der Sagopalme, der Dattelpalme und dem Pfeilwurz, sowie mit der wunderschönen Hybiscusblume, und Nichts war für mich so entzückend, als im Baumgarten von den kleinen Colibris umflattert zu werden, welche hier auf der Insel merkwürdig unerschrocken sind und beständig die hübschen rothen Blumen umschweben, mit denen Cuba sich mehr als mit Blumen von andern Farben zu schmücken scheint. Ihr pfeilschneller Flug hin und her, ihre stille schwebende Bewegung mit den Flügeln, während sie die Blumen aussaugen, sind für mich eine beständige Ueberraschung und ein stets neues Vergnügen. Sie entsprechen nichts von dem, was ich vom Thier- oder Menschenleben gesehen habe, und sie scheinen mir nicht aus Staub von dieser Erde geformt zu sein. An einem schönen, etwas brausenden Bächlein, beschattet von dichten Laubmassen, schienen sie besonders ihre unter den Bäumen verborgenen Nester zu haben. Unter den Curiosis bemerkte ich mehrere Schmarotzerorchideen, die an den Bäumen hingen, sowie einem großen Ceibabaum, umschlungen von seiner feindlichen Geliebten Yaguay Embra und getödtet in dieser schrecklichen Umarmung.

Die Pflanzung war übrigens sehr verfallen nach den zwei letzten, dicht auf einander erfolgten Sturmwinden, die eine schreckliche Verwüstung angerichtet, sowie nach der Cholera, die einen großen Theil der Negersklaven weggerafft hat. „Der Herr straft unsere Sünden, er straft unsere Sünden,“ sagte der Herr der Plantage mit einem Ausdruck, worin halb Leichtsinn, halb Reue und Erkenntniß der Gerechtigkeit der Strafe lag. Er war ein älterer Mann von französischem Wesen und nervöser Lebhaftigkeit, im Uebrigen ein sehr artiger Herr und Wirth. Sein Gast möchte ich gerne sein, aber nicht sein Sklave. Die Sklavenbehälter in einer niedrigen Mauer oder einem dito Gebäude waren nicht besser als finstere Schweinställe bei uns. Auch ein Krankenhaus war da. Es war ein großes, finsteres Zimmer, mit einigen Bänken darin, aber keine Decken, kein Polster, kein Lichtstrahl. Er war selbst, sagte er, der einzige Arzt der Kranken; er konnte selbst Ader lassen u. s. w. Ich konnte nicht umhin, davor zu schaudern. Die Plantage erschien beinahe öde. Einen zusammengeschrumpften, gebrechlichen alten Neger sah ich mit scheuem, demüthigem Wesen an uns vorbeischleichen. Bei Tisch wartete ein kleiner Junge munter und unerschrocken auf, und schien sich über die heftigen Gebärden und Zurufe seines Herrn nicht im Mindesten zu bekümmern. Dieser Herr war ein sehr reicher Mann gewesen, hatte aber in den lezten Jähren große Verluste erlitten, die er mit vieler Standhaftigkeit ertragen soll.

Matanzas ist auf dieselbe Art erbaut wie Havannah, aber freier, freundlicher, und hat bedeutend breitere, obwohl nicht gepflasterte Straßen. Das Haus meines Wirthes hat zwei Stockwerke, und um das erstere herum gegen die Straße geht eine Piazza, wo ich Abends lustwandle und die Luft trinke, während meine junge Wirthin innen im Salon mit ausgezeichnetem Tact und sprühendem Leben cubanische Contretänze spielt. Und diese Tänze hört man von allen Seiten her aus Häusern in der Stadt ertönen. Wo man in Matanzas steht oder geht, hört man diese Tanzmusik. Tact und Rythmus stammen von den Kindern Africas; die eigentliche Musik ist von Cubas spanischen Creolen und man hört darin spanische Seguidillas und Märsche. Die Eheleute Baley sind beide musikalisch und es ist mir ein Genuß ihn auf den Orgeltönen des Piano das katholische „Adeste fideles“ spielen zu hören, und dann von ihr die spanischen Tänze Hauta Arragonesa und El Sabatheo u. s. w. Des Lebens frischester Champagner schäumt in diesen Nationaltänzen. Es ist angenehm unsere Polkas und andere Volkstänze mit ihnen zu vergleichen. An sprühendem, schäumendem, frischem Leben fehlt es auch diesen nicht, aber es fehlt an Feinheit und Grazie. Diese verschiedenen Nationaltänze verhalten sich zu einander wie Champagner zu Bier und Meth.




Matanzas, den 1. März.   

Wenn es einen Ort auf Erden gibt, wo der Geist des Lebens ein besonderes, individuelles Dasein hat, so rein, so lebensvoll und lieblich, wie zur Stunde, wo er zum ersten Mal von dem Herrn des Lebens und der Liebe ausgehaucht wurde, so ist es hier. Die Luft hier hat eine Art von belebendem Leben, das für mich ein beständiges Wunder und ein beständiges Entzücken ist. Dieses eigenthümlich wunderbare Leben entsteht besonders Nachmittags nach zwei oder drei Uhr. Es ist ein unaufhörliches, liebliches Wehen, nicht von einer gewissen Seite her, sondern von allen Seiten und auf allen Puncten, eine Erregung, die alle beweglichen leichten Dinge um Dich her wehen und gleichsam athmen und leben macht. Dieses unaussprechliche, zugleich liebliche und lebenspendende Wehen kost Deine Stirne, Deine Wangen, hebt Deine Kleider, Deine Bänder leicht, umgibt Dich, durchdringt Dich, badet Dich gleichsam in einer Atmosphäre von heilendem, wiedergebärendem Leben. Ich empfinde es an Seele und Leib; ich trinke diesen Wind, diese Luft, wie man ein verjüngendes Lebenselixir trinken könnte, und ich bin drauf und dran mich umzuschauen, ob nicht ein Engel in der Nähe ist, ob nicht irgend himmlische Wesen in den Kronen der Palmen sitzen und diesen Zauber bewirken. Ich nenne ihn Lebenshauch, wenn ich draußen auf der Piazza langsam umherspazierend oder über das Eisengitter hingelehnt mich von ihm kosen lasse und bis in die späte Nacht sein heilendes Leben trinke. O meine Agathe, er flüstert mir wundersame Gedanken und Ahnungen zu von den Reichthümern des Schöpfers, von den verborgenen Herrlichkeiten, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, kein menschlicher Sinn vernommen, die aber Gott für diejenigen bereitet hat, so ihn lieben.

Dieser Lebensodem ist für mich das vornehmste Wunder auf Cuba. Und ich kann nicht beschreiben, wie wohlthätig ich seine Kraft empfinde.

Seit meinem letzten Schreiben habe ich wiederum einige Tage hindurch ein angenehmes Stillleben in Matanzas geführt, dessen schöne, frische Lage keine stehende Hitze aufkommen läßt, und wo ich so unendlich wohl gedeihe. Morgens gehe ich auf meine einsamen Entdeckungsreisen aus, Nachmittags fahre ich in der Volante mit meiner freundlichen Wirthin aus und trinke den weichen Seewind, indem ich am Meeresstrande hinfahre. Einen ganzen Tag habe ich im Yumori-Thal zugebracht, theils um einige Bäume und Hütten abzuzeichnen, theils um zu sehen, wie das Landvolk hier lebt. Ich hatte deßhalb beschlossen mich auf dem kleinen Bauernhof mit dem Oleanderbusch niederzulassen. Die guten Baleys ließen mich in ihrer Volante dahin führen und gaben mir eine ihrer Negerinnen als Dienerin und Dolmetscherin mit. Cäcilie, die Negerin, hat die schönsten dunkeln Augen, die ich je in einem dunkeln Gesicht gesehen (obschon diese gewöhnlich schöne Augen haben), Zähne gleich orientalischen Perlen und ein stilles, sanftes, ungewöhnlich ernstes Wesen. Aber die arme Cäcilie ist schwer krank und wahrscheinlich unrettbar, denn sie hat Lungengeschwüre, und Mrs. Baley wollte, daß sie ein wenig das Landleben und die Landluft genießen sollte. Cäcilie hat sich vor Kurzem mit einem jungen Mann ihrer Farbe verheirathet; sie ist glücklich in ihrer Ehe und bei ihrer Herrschaft, und sie würde gerne noch länger leben. Im Bauernhof verdolmetschte sie der Fermiera meinen Wunsch, worauf diese mit großen, eifrigen Geberden erklärte, daß ihr ganzes Haus zu meiner Verfügung stehe. Ich richtete mich in dem luftigsten der kleinen Häuser ein, in einem solchen, das auch eine ländliche Piazza hatte, beschattet von dem palmblattbedeckten Dache. Die Zimmerböden waren bloße Erde, die Zimmer selbst aber waren ordentlich und hatten ziemlich saubere Betten. Im eigentlichen Schlafzimmer war ein kleines Bild, die Jungfrau Maria und das Jesuskind vorstellend, mit einer spanischen Inschrift an die Wand geklebt. Ich fragte die gute Frau, was dieß bedeute, und sie antwortete mit andächtiger Miene, da stehe geschrieben, daß jeder, der ein solches Gemälde kaufe, Ablaß auf vierzig Tage erhalte. Es stand auch richtig unter das Gemälde gedruckt, daß solcher Ablaß allen Gläubigen gewährt werde, welche unserer lieben Frau vom Rosenkranz ein Salve widmen würden. Unter dem Bild stand ein spanischer Vers, worin die heilige Jungfrau Maria eine süß duftende Rose im himmlischen Garten genannt wird.

Diesen Ablaß für vierzig Tage Sünden konnte man für einen Viertelspeso, ungefähr einen Reichsthaler nach unserem Geld, kaufen. Daß Menschen in einem Lande, wo solche Sündenvergebungen noch offen fabricirt, verkauft und gekauft werden, gleichwohl fromm und harmlos bleiben, ist merkwürdig. Aber es ist so. Das arme Landvolk auf Cuba soll ausgezeichnet gutmüthig und friedfertig sein. Dieß kommt gewiß von der milden Luft. Die Leute in meinem ländlichen Wohnsitz waren von den canarischen Inseln, wo es für arme Leute schwerer sein soll sich fortzubringen, als in Cuba. Es kommen deßhalb auch viele arme Bauern von dort hieher.

Ungefähr um zehn ging meine Wirthin auf eine Anhöhe in der Nähe des Hauses und blies in eine Muschel, die einen durchdringenden, lang nachhallenden, aber nicht unmelodischen Ton von sich gab. Dies war das Signal für die draußen im Thal arbeitenden Männer, daß sie sich zum Frühstück versammeln sollten. Der Tisch war für sieben bis acht Personen gedeckt auf einer Piazza unter dem Strohdach des Häuschens, welches die Küche enthielt. Ein Papagei (una cotorra) saß ebenfalls darunter in seinem Käfich von Stahldraht. Violettblaue Tauben ließen sich da und dort um uns her auf dem Dache nieder, und neben uns spazierten Hennen und Hähne mit wunderbar schiefen Hälsen, die ihnen ein krankhaftes Ansehen gaben. Die Männer, ältere und jüngere, mit dunkeln und freudlosen Gesichtern, versammelten sich zum Frühstück, das aus gesalzenen Stockfischen und Jamswurzeln, Maisbrod, gebratenen Platanos (eine gröbere Art von Bananas) und Speck bestand, wie auch aus einem gewissen hellgelben Mehl, das in einer großen Schüssel aufgetragen wurde, dessen Namen und Gebrauch ich jedoch nicht erfahren konnte, denn Cäcilie sprach unvollkommen englisch. Das Frühstück war reichlich, aber schlecht zubereitet und schlecht aufgetragen. Zum Mittagessen kam auch gekochtes Fleisch nebst braunen Bohnen und Reisgrütze, aber Alles so schlecht gekocht, so hart und unschmackhaft, daß ich Nichts von dem Teller essen konnte, welchen die wohlmeinende Fermiera mir gehäuft voll vorsetzte. Und hätte nicht Cäcilie für mich etwas Reisgrütze nebst Kartoffeln (etwas Anderes wollte ich nicht mitnehmen) gehabt, welche sie kochte und die wir dann mit frischer Butter, ebenfalls aus Matanzas mitgebracht, verzehrten, so hätte ich den ganzen Tag hungern müssen. Aber jetzt lebte ich wie eine Hirtin in der Mythe und krönte mein Mahl mit Bananas und delicatem Zuckerkuchen.

Mit Cäcilie plauderte ich allerlei. Sie war als Kind aus Africa geraubt worden; sie zählte erst acht Jahre, als man sie von ihrer Mutter nahm, und diese Mutter stand noch so lebendig vor ihren Augen. Sie erinnerte sich, wie die Mutter sie geliebt hatte, wie zärtlich sie gegen sie gewesen war. Um ihre Mutter wieder zu sehen, wünschte Cäcilie nach Africa zurückzukehren. Sie klagte nicht über ihre Herrschaft. Diese war immer gut gegen sie gewesen. Besonders fühlte sie sich jetzt glücklich in ihrer Lage, aber sie sehnte sich ihre Mutter wieder zu sehen.

Und Cäcilie darf sie gewiß bald wieder sehen, aber — im Himmel.

Zwei braune, dunkeläugige kleine Kinder, Joannito und Annita, waren meine Spielcameraden in der Stube; besonders der kleine Junge zeigte große Lust zum Spielen, aber auf eine stille angenehme Weise.

Ich zeichnete ein wenig, als ich auf der Piazza unter dem Strohdach saß, und nachdem die Hitze des Tags vorüber war, ging ich mit Cäcilie aus, um das Thal seiner ganzen Länge nach zu durchstreifen. Das führten wir auch wirklich aus, obschon die Wanderung lang war und Cäcilie so müde wurde, daß ich Angst um sie bekam. Aber dadurch, daß wir an mehreren Orten unterwegs ausruhten, gelang es uns, woblbehalten in unser Haus zurückzukommen, jedoch nicht bevor die Sonne untergegangen war und die Sterne klar ins Thal herabschauten. Wir begegneten unterwegs Niemand, sondern nur in der Dämmerung einigen Monteros, die uns mit freundlichen melodischen Stimmen ein buena tardi (guten Abend) oder adios (grüß Gott) zuriefen.

Das Thal war sich durchgängig sehr gleich; es ist eine Fortsezung von schönen Palmenhainen; da und dort lag eine kleine Gruppe von etlichen palmenbedeckten Häusern, und gegen das Ende des Thals, das hier auch von Bergen umschlossen wurde, obschon weniger hoch, als die Pfanne von Matanzas und Combre, befand sich eine Zuckerpflanzung mit Zuckermühle, Negersklaven, Sklavenhütten und dergleichen Zubehör. Auch dieses schöne Thal hatte also seinen Theil an dem alten Fluche. Unbeschreiblich schön war die Abendröthe über den grünen Höhen und des Himmels milder Glanz durch die Palmen hindurch; und als die Sterne hervortraten, schienen sie mir größer und heller zu sein, als ich sie je zuvor gesehen hatte.

Dieses schöne Thal hat jedoch keine Erinnerungen, welche der reinen Blicke des Himmels würdig wären. Seinen Namen Yumori hat es, wie man sagt, von dem Todesruf io mori erhalten, womit sich die indianischen Eingeborenen, um nicht von den Spaniern niedergemetzelt zu werden, über den Berg hinab in den Fluß warfen, der einen Theil des Thales durchschneidet. Und der kleine Hof in dem Palmenhain oben im Gebirge, dessen Zierlichkeit mich am ersten Morgen entzückte, hat blos von blutigem Familienzwist zu erzählen. Ein Vater wohnte da mit mehreren Söhnen. Sie sollten den Hof theilen; aber es entstand Streit wegen der Gränzen der Besitzungen, und jeden Morgen wurden gewisse Gränzzeichen versetzt. Eines Morgens — an einem dieser schönen tropischen Morgen! — kam es zu einer Schlägerei zwischen denjenigen, die sich um das Gränzzeichen zankten, andere Mitglieder der Familie kamen von beiden Seiten zu Hülfe, und der Ausgang des Kampfes waren — elf Leichen. So hat man mir erzählt. Dies geschah vor nicht gar langer Zeit, und der Hof gehört jetzt einem der überlebenden Söhne des Hauses. Solcher Art sind die Traditionen des Yumorithales, und Matanzas — Matanzas, wo die Hauche der Luft mit einem so eigenthümlich entzückenden, heilkräftigen Leben spielen, Matanzas ist der Name eines Blut- oder Schlachtfeldes, und heißt so nach einer blutigen Schlacht, in welcher mehrere Hundert von den ersten indianischen Bewohnern der Insel getödtet wurden. Es ist traurig nur daran zu denken. Aber nicht ohne Freude fühle ich den Odem Gottes im Winde über die einst blutigen Felder hingehen. Denn er sagt mir: Wenn alle Mordscenen und Streitigkeiten auf Erden aufgehört haben, so ist doch Er derselbe, und Sein Leben bleibt dasselbe, ewig wirkend, ewig heilend, verjüngend, und schöne Palmen, Cupidos Thränen, Colibris, alle schöne Wesen und Gestalten des Lebens kommen damit und bleiben.

Mrs. Baleys Volante holte mich und Cäcilie spät am Abend ab. Wir nahmen Zuckerrohr von der Plantage mit, denn Cäcilie wollte das den kleinen Mädchen daheim bringen, und meine artige Fermiera schenkte mir als Beweis ihres herzlichen Wohlwollens ihre indulgencia (Ablaß) für vierzigtägige Sünden, ein Document, das ich nach Schweden mitnehmen und dem Bischof F. schenken werde.

Halb gebraten von der Hitze in meinem ländlichen Wohnsitz, kam ich nach Haus und hatte drei Tage zu thun, um mich von den Schwärmen von Flöhen zu befreien, die ich von der idyllischen Fahrt mitbrachte.

Die Menge des kleinen Ungeziefers aller Art ist wirklich eine der Plagen dieser schönen Länder (ich fand diese Landplage auch in Südcarolina und Georgien). Hatte man ein Stückchen Kuchen oder Brod im Zimmer liegen, so sammelten sich sogleich Schaaren von kleinen Würmern und Insecten um dasselbe. Hier auf Cuba sind besonders die Ameisen lästig, und es gibt hier eine Art kleiner Ameisen, von denen man sagt, daß sie große Häuser untergraben. In den letzten Tagen, als ich zu meinem Zeitvertreib meine Erinnerungen aus dem Yumorithal malte und unter ihnen Cupidos Thränen, geküßt von kleinen Colibris, hatte ich einige dieser Blumen auf dem Tisch neben mir liegen — nämlich nur die kleinen abgefallenen Blumen — um ihre Adern und Bauart deutlicher zu sehen. Aber zu meiner Verwunderung bemerkte ich, daß eine der Blumen um die andere vom Tische verschwand: ich nahm neue, aber bald waren auch sie fort. Ich konnte nicht begreifen, wie dieß zuging. Zufällig warf ich meine Blicke an die Zimmerwand hinauf und sah jetzt zu meiner Ueberraschung meine Blumen in langen Reihen gegen das Dach hinaufspazieren. Ganz kleine, hellfarbige Ameisen zogen sie empor und machten ordentlich Queue vor dem Dachgiebel, wo sie meinen Blicken entschwanden. Sie waren so klein und hell, daß ich sie im Anfang nicht bemerkt hatte. Eine einzige Ameise zog so eine Blume, die zwölfmal größer war als ihr kleiner Körper, an der Wand hinauf.

Eines Abends war ich als Zuschauerin bei einem großen Ball, welchen freie Neger in Matanzas für die Wohlthätigkeitsanstalt in der Stadt gaben und wozu das weiße Publicum als bezahlender Gast eingeladen wurde. Der Ball wurde im Theater gegeben und das zuschauende Publicum füllte die Logen. Mr. Baley und mein junger, freundlicher Landsmann, Herr Franke, führten mich hin, und ein mir unbekannter Wohlthäter am Eingang, ich glaube ein Spanier, eilte das Entree für die fremde Sennora zu bezahlen. Aus dieser Veranlassung muß ich erwähnen, daß das, was ich hier von der Artigkeit der Spanier gegen Damen erzählen hörte, alle meine Erfahrungen bei andern Völkern übersteigt, und die Ritterlichkeit der Amerikaner kommt dagegen gar nicht in Betracht. Es ist wahr, daß dieß oft wie eine Uebertreibung erscheint, die sehr wohl auch ganz leer und gehaltlos sein könnte. Aber etwas Schönes und Nobles liegt doch in diesem Brauch und in diesen Formen. Dazu gehört auch, daß man für Damen (sogar für Männer, wenn sie fremd sind) ihre Aufkäufe in Galanteriebuden, Restaurationen, Conditoreien u. s. w. oder auch im Theater und auf Bällen u. s. w. bezahlt, ohne daß die Dame oder der Gast irgend eine Ahnung davon hat, von wem die Artigkeit kommt. Du gehst z. B. in einen Galanterieladen und kaufst eine Flasche Eau de rose, oder in eine Zuckerbäckerei und kaufst einige Zuckersachen (Cubaer dulces oder Süßigkeiten sind sehr berühmt) und Du willst sie bezahlen. Du rückst mit Deinem Peso heraus, aber Du erhältst ihn mit einer artigen Verbeugung und mit der Bemerkung: „Es kostet nichts, Sennora,“ zurück. Alles Protestiren hilft da nichts und ist nicht der Mühe werth. Irgend ein Dir vielleicht unbekannter, aber dem Herrn des Ladens wohlbekannter Herr ist unter den Besuchenden gewesen oder vielleicht noch da, und hat dem Herrn einen verstohlenen Wink zugeworfen, welcher bedeutet: „Ich bezahle für sie!“ Er verläßt dann den Laden oder liest seine Zeitung, und Du erfährst niemals, wem Du für die Artigkeit zu danken hast. Einige meiner weiblichen Bekannten in Havannah haben mir gesagt, sie seien zuweilen durch eine fortwährende Artigkeit in dieser Beziehung in Verlegenheit gebracht und belästigt worden, weil diese ihnen stillschweigende Verbindlichkeiten auferlege, deren sie sich nicht entledigen können, und ich begreife wohl, daß die Sache auch ihre kitzlichen Seiten haben muß, aber sehr artig ist es dennoch, und gegen Fremde ist es eine schöne und edle Artigkeit, die sich sogar die Möglichkeit entzieht Dank zu empfangen. Aber laß uns zu dem Negerbankett und dem Negerball zurückkehren.

Eine lange Tafel, bedeckt mit Blumen, Zierrathen und Lampen, nahm den Fond des Tanzsaales ein. Das Tanzpersonal mochte aus zwei- bis dreihundert Personen bestehen. Die schwarzen Damen waren größtentheils wohl gekleidet nach französischer Mode, und mehrere waren sehr hübsch. Einige Paare führten mit großer Würde und Genauigkeit einige äußerst schwierige Menuette aus. Welch ein einfältiger Tanz, wenn er nicht schön, von hübschen und liebreizenden Leuten ausgeführt wird! Die Haupttänzerin hier war so häßlich, daß sie trotz ihrer wahrhaft prächtigen Kleidung und guten Haltung an einen angekleideten Affen erinnerte, und den Bewegungen ihres Cavaliers mangelte es an natürlicher Geschmeidigkeit, die man überhaupt bei den Negern vermißt.

Aber der Haupttanz des Balles, eine Art von Kreistanz, an welchem die ganze Gesellschaft unter vielen künstlichen Verwickelungen und Entwickelungen theilnahm, indem sie sich auf mannigfache Art gruppirte und mit Ketten von künstlichen Rosen drapirte, dieser war wirklich schön und malerisch; er wurde auch ganz vortrefflich ausgeführt, und hätte er etwas weniger Regelmäßigkeit und mehr natürliches, frisches Leben gehabt, so hätte ich in ihm das Symbol des civilisirten Lebens der Negergesellschaft zu sehen geglaubt. Die schönen dunkeln Augen, die hübschen weißen Zähne, besonders bei einigen schönen jungen Mädchen, glänzten wahrhaft herzerfreuend, während ihre Köpfe sich unter den Halbbogen und Geflechten der Rosenguirlanden bald neigten, bald wieder emporrichteten.

Mehrere der Neger waren wohlhabend, und man zeigte mir einen jungen Neger in der Gesellschaft, der ein Vermögen von 20,000 Dollars besaß.

Die spanischen Gesetze für die westindischen Colonien haben einige gute und gerechte Bestimmungen zum Vortheil und zur Befreiung der Negersklaven, Bestimmungen, von denen die amerikanischen Sklavenstaaten — zu ihrer Schande sei es gesagt! — weit entfernt sind. Die Gesetze der letzteren verbieten förmlich, daß die Sklaven sich Freiheit und Unabhängigkeit erwerben können. Die spanischen Gesetze dagegen begünstigen sie. Hier kann der Sklave sich für einen gesetzlich festgestellten Preis von 500 Dollars loskaufen, und es sind Richter aufgestellt, um die Rechte der Sklaven zu wahren. Hier darf eine Mutter die Freiheit ihres Kindes vor seiner Geburt mit 15 und nach der Geburt mit der doppelten Summe erkaufen. Sie darf doch ihr Kind aus der Sklaverei befreien. Mittel um Geld zu erwerben, haben die Negersklaven hier, wenigstens in den Städten, weit mehr als in den Sklavenstaaten Amerikas, und sind sie einmal frei, so dürfen sie Handel treiben, Güter pachten, dem Ackerbau und andern Geschäften nachgehen; viele freie Neger erwerben sich hier Vermögen, besonders durch den Handel.

Dagegen ist der Zustand der Sklaven auf den Pflanzungen hier im Allgemeinen weit schlimmer als in den Vereinigten Staaten. Sie wohnen schlechter, haben schlechtere Kost, müssen härter arbeiten und entbehren allen Religionsunterricht. Sie werden ganz wie das liebe Vieh betrachtet, und der Sklavenhandel mit Africa ist hier noch in vollem Gang, obschon nur heimlich. Dieser Tage wurde in aller Stille eine Ladung von 700 Negern aus Africa nach Havannah gebracht.[1] Die Regierung der Insel bekommt für jeden Kopf 50 Dollars als Schwänzelgeld und da schweigt sie. Wie hübsch und ehrenvoll!

In den Städten sehen die Neger munter und behaglich aus. Man sieht viele schöne, wohlgewachsene und nicht selten hübsch gekleidete Mulattinnen auf Promenaden und in Kirchen. Die hellfarbigen Mulatten kommen an Farbe und Zügen den Spaniern oft so nahe, daß sie schwer zu unterscheiden sind. Die Spanier sollen im Allgemeinen gegen ihre Haussklaven sehr gut und nicht selten schwach gegen ihre Schwachheiten sein.

Den 2. März.  

Guten Morgen, mein Herzchen! Ich komme aus der Messe in der Kirche von Matanzas (denn Matanzas hat blos eine einzige Kirche, obgleich es eine Bevölkerung von etlichen und dreißigtausend Seelen zählt). Ich hörte da donnernde Musik von dem spanischen Militär in der Stadt, eine Musik, die große Aehnlichkeit mit der Tanzmusik hatte; ich sah eine große Parade der im Mittelschiff der Kirche schaarenweise auf zierlichen Teppichen knienden Damen, viele schön, alle in großer Toilette von Seide und Sammt, mit Juwelen oder Blumen, bloßen Hälsen und Armen, sämmtlich mit einem durchsichtigen schwarzen oder weißen Flor über die ballmäßige Gestalt geworfen und offenbar mehr mit ihrem Aussehen als mit ihren Gebetbüchern beschäftigt; rings um sie her Reihen von stehenden, wohlgekleideten Herren, augenscheinlich mehr mit Betrachtung der Damen, als mit irgend etwas Anderem beschäftigt; Gottesdienst und Andacht gar nicht vorhanden, außer, wenn ich dem Gesicht nach urtheilen darf, bei zwei Personen, wovon die eine ein älterer Mann und Spanier, die andere eine Mulattin war. Im Uebrigen großes Spectakel mit Priestern und Ceremonien. Der Chor der Kirche war bis ans Dach hinauf mit Palmzweigen, Fahnen und Heiligenbildern geschmückt. Palmzweige wurden gesegnet und ausgetheilt. Spanisches Militär nahm an der Feier Theil, Soldaten waren in Reih' und Glied in der Kirche aufgestellt, — die meisten schienen mir ganz junge Bursche zu sein, von geschmeidigen Gestalten und feinen schönen Zügen. Sklaven und Sklavinnen hatten sich, nachdem sie die Teppiche für ihre Gebieterinnen und deren Töchter ausgebreitet, in den Hintergrund der Kirche zurückgezogen; dort knieten sie auf steinernem Boden nieder. Eine Fremde und Protestantin kniete unter ihnen und betete — für sie, wie für sich und die Ihrigen. Aber ihr Gebet ist hier an und für sich eine Danksagung. Auch sie erhielt von den gesegneten Palmzweigen und wird dieselben zum Andenken an diese Morgenstunde in ihre Heimath weit oben im Norden mitnehmen. Es war eine schöne, warme, sonnige Morgenstunde. Das Leben sah schön und leicht aus für Alle. Ach, wenn dieses innere Leben hier dem äußeren entspräche, so wäre es leicht hier zu leben und zu lobpreisen.

Die schönen Trachten machen mir hier auch Vergnügen, obschon ich sie in der Kirche mißbilligen muß, und die spanische Mantille, die jedoch immer mehr in Abnahme kommen soll, ist von unendlich pittoresker Wirkung. Auch Negerinnen und Mulattinnen tragen sie meistens wie einen Shawl über den Kopf geworfen und von dickerem Zeug, um sich gegen die Sonne zu schützen, wenn sie mitten am Tag ausgehen müssen. Einige Male und auch heute habe ich Frauenzimmer, die offenbar nicht arm waren, in Kleidern von grober, grauer Sackleinwand und mit Shawlen von demselben Gewebe über dem Kopf gesehen. Man sagt mir, dieß geschehe in Folge eines Gelübdes, welches sie im Gebet für sich oder die Ihrigen in Noth oder Krankheit gethan haben.

Heute Mittag um zwei Uhr verlasse ich Matanzas, um mit meinen freundlichen Wirthsleuten nach einer Zuckerpflanzung, welche den Eltern der Mrs Baley gehört, in einer Gegend mit Namen Limonar, ungefähr fünfzehn Meilen von hier, zu fahren. Dort will ich Bäume und Blumen studiren und was der liebe Gott nur will. Nach mehrtägigem Aufenthalt in Limonar begebe im mich zur Frau von Coninck, die auf einer großen Zuckerpflanzung zwischen Matanzas und der Stadt Cardinas lebt. Freundliche, gastfreie Menschen lassen mirs auch hier nicht an Gelegenheit fehlen Land und Volk zu sehen. Und ich kann nicht sagen, wie dankbar ich diese Güte empfinde und erkenne.




Ariadnehaag, den 7. März.  

Hier habe ich jetzt beinahe eine Woche mitten im offenen Schooße der Sklaverei gelebt, und die ersten Tage meines Hierseins waren davon so niedergedrückt, daß ich zu nicht viel taugte. Dicht vor meinem Fenster — das Herrenhaus auf der Plantage ist einstockig — muß ich den ganzen Tag einen Trupp Negerweiber unter der Peitsche arbeiten sehen, deren Geklatsche (obwohl in bloßer Luft) über ihren Köpfen nebst des Treibers (eines Negers) wiederholtem, ungeduldigem Ruf: arrea! arrea! (tummelt euch! vorwärts!) sie in beständiger Arbeit erhält. Und des Nachts — die ganze Nacht hindurch — höre ich ihre müden Tritte, wenn sie auf den großen steinernen Böden vor meinem Fenster die zerdrückten Zuckerrohre, die sie aus der Zuckermühle tragen, zum Trocknen ausbreiten. (Bei Tag besteht ihre Arbeit darin die getrockneten Rohre (la bagaza) zusammenzurechen und in Körben nach der Zuckermühle zurückzutragen, wo sie dazu dienen die Oefen zum Zuckersieden zu heitzen.) Denn die Arbeit auf einer Zuckerpflanzung muß während der ganzen Zeit der Zuckerernte Tag und Nacht fortgehen, und diese währt auf Cuba über die ganze Zeit, welche la Seca genannt wird, d. h. ungefähr das halbe Jahr. Es ist wahr, daß ich die Weiber während ihrer anhaltenden Arbeit oft unbekümmert um das Geklatsche der Peitsche schwatzen und lachen sah, und daß ich bei Nacht oft africanische Lieder und muntere Rufe, die aber hier aller Melodie und Musik ermangeln, von der Zuckermühle herüber schallen hörte; auch wußte ich, daß die Arbeiter auf dieser Pflanzung je nach sechs Stunden wechseln, so daß sie immer beinahe sechs Stunden des Tags zur Ruhe und Erfrischung haben, und ebenso zwei Nächte in der Woche, an welchen die Zuckermühle ruht und sie ausschlafen dürfen; — aber ich konnte es dennoch nicht verschlucken. Und ich kann es auch jetzt noch nicht; aber ich kann es besser ertragen, seitdem ich die Munterkeit der Sklaven bei ihren Mahlzeiten und ihr gutes freundliches und freudiges Aussehen im Allgemeinen auf dieser Plantage gesehen habe.

Mehrere Male habe ich die Bohea der Negersklaven besucht, d. h. eine Art niedriger Festungsmauer, auf vier Seiten um einen großen Hof erbaut, mit einer großen Thüre auf der einen Seite, die bei Nacht geschlossen wird. Innerhalb des Hofes sind die Thüren zu den Wohnungen der Sklaven in der Mauer — jede Familie hat ein Zimmer. An der Außenseite der Mauer sieht man bloß eine Reihe kleiner Luftlöcher mit Eisengitter, eines für jedes Zimmer, so hoch oben an der Mauer, daß die Sklaven nicht heraussehen können. Mitten auf dem großen Hof ist ein Gebäude, das als Küche, Waschstube u. s. w. dient. In der Bohea habe ich mehr als einmal den Mahlzeiten der Sklaven angewohnt und sie ihre Kürbisschalen voll von schneeweißem Reis, der in einem ungeheuern Kessel für sie gekocht wird, und den die schwarze Köchin mit ihrem Löffel, wie mir scheint, mit rückhaltloser Freigebigkeit austheilt, holen gesehen; ich habe die weißen Zähne der Sklaven leuchten gesehen und ihr Schwatzen und Lachen gehört, während sie, gewöhnlich gehend oder stehend, die weiße Reisgrütze verzehren, welche sie sehr lieben und wobei sie sich meistens ihrer Finger bedienen; sie haben überdieß gesalzene Fische und geräuchertes Fleisch, auch sehe ich in einigen der Zimmer Büscheln von Bananas und Tomatos. Gesetzlich ist der Plantagenbesitzer verpflichtet, jedem Sklaven ein gewisses Maß trockener Fische oder gesalzenen Speckes in der Woche, nebst einer bestimmten Anzahl Bananas, zu geben. Die Sklavenhalter treiben es darin natürlich nach Wohlgefallen, denn welches Gesetz kann hierüber Ordnung führen? aber das Aussehen dieser Sklaven zeugt deutlich davon, daß sie gute Kost haben und vergnügt sind.

Ich fragte sie oft, indem ich auf ihre Speise deutete: „Ists gut?“ und ich bekam immer ein vergnügtes, offenes Lächeln und die Worte: „Ja es ist gut,“ zur Antwort.

Ich habe schon in America die Franzosen als die am verständigsten berechnenden Sklavenbesitzer schildern gehört, und mein Wirth hier, Herr Chartrain, der Franzose und auf St. Domingo geboren ist, liefert mir einen Beweis für die Wahrheit dieser Behauptung. Er hält seine Sklaven tüchtig zur Arbeit an, aber er ernährt und pflegt sie gut, und darum arbeiten sie auch munter und rasch.

Im Uebrigen habe ich hier ganz angenehm gelebt mit der freundlichen Familie. Mein Wirth, Herr Chartrain, ist ein artiger, lebhafter und gesprächiger Franzose von viel Scharfsinn und Witz, und ich habe ihm manche schätzenswerthe Aufschlüsse zu verdanken, darunter auch über die africanischen Negerstämme, ihren Character, ihr Leben und ihre Staaten auf der Küste, von wo die meisten Sklaven hieher gebracht werden, und zwar werden sie größtentheils von den africanischen Häuptlingen in Folge einer Uebereinkunft an die weißen Menschenhändler verkauft. Herr Chartrain ist selbst dort gewesen und weiß guten Bescheid. Von ihm habe ich auch die verschiedenen Stämme nach ihren Characterzügen und ihrer verschiedenen Tättowirungsart unterscheiden gelernt. So habe ich die Congos als die Franzosen Africas, ein lebhaftes, heiteres, aber leichtsinniges Volk kennen gelernt. Die Congoneger haben Gesichter mit eingedrückter Nase, breitem Munde, prächtigen Zähnen, dicken Lippen und starken Backenknochen; von Gestalt sind sie kräftig und breit, aber nicht groß. Die Gangasneger nähern sich den Congos. Die Luccomees und Mandingos dagegen sind die edelsten dieser Küstenvölker, stattliche Gestalten mit schönen, oft merkwürdig regelmäßigen und auch edlen Zügen; ihr Character ist ernsthaft. Vom Mandingostamm gehen meistens die Priester und Propheten der Neger aus. Die Luccomees sind ein stolzes und streitbares Volk; sie sind in der Sklaverei Anfangs schwer zu behandeln, sie lieben die Freiheit und lassen sich leicht zur Wildheit reizen; aber wenn man sie freundlich und gerecht behandelt, soweit man überhaupt Sklaven gegenüber das Wort Gerechtigkeit in den Mund nehmen darf, so werden sie in einigen Jahren die besten und zuverläßigsten Arbeiter in den Pflanzungen. Die Callavalis oder Caraballis sind ebenfalls gute Leute, obschon fauler und gleichgültiger. Ich habe unter ihnen einige prächtige Gestalten gesehen. Sie haben plattere Nasen und breitere Gesichter als die Luccomees, und sind weniger ernst von Gemüthsart. Alle Neger hier sind im Gesicht tättowirt, einige um die Augen, andere auf den Backenknochen u. s. w., je nach den Nationen, denen sie angehören. Die meisten, auch die Männer, tragen Halsbänder von rothen oder blauen Perlen — die rothen von corallenartigen Samen einer Baumart auf der Insel — und fast alle, Männer sowohl als Weiber, haben um den Kopf baumwollene Tüchlein geschlungen. Hier ist auch ein Neger von dem Fulahstamm, ein kleiner Mann mit feinen Zügen und schwarzem, langem, glänzendem Haar, das diesem Stamm eigen sein soll. Dieß sind die vornehmsten von den Negerstämmen und Characteren, die ich hier kennen gelernt habe.

Aber von einem Neger muß ich Dir noch erzählen, dessen Geschichte mit der Familie auf dieser Plantage eng verbunden ist. Er ist ein schönes Zeugniß für den dem Negercharacter eigenthümlichen Edelsinn, wenn er seine rechte Entwicklung erreicht. Der Mann hieß Samstag und war auf St. Domingo Diener bei den Eltern meines Wirths als die berüchtigte Mordgeschichte anfing. Er rettete mit eigener Lebensgefahr die beiden Jungen seiner Herrschaft — mein Wirth war einer von ihnen — indem er sie Nachts auf seinen Schultern aus der Stadt durch alle Fährlichkeiten hindurch bis in den Hafen trug, wo er sich eines kleinen Fahrzeugs versichert hatte, auf welchem er mit den beiden Kindern nach Charleston in Südcarolina fuhr. Hier brachte er die beiden Jungen in einer Schule unter und vermiethete sich selbst für Taglohn. Er und auch die Jungen hatten während der schauerlichen Nacht auf St. Domingo Alles verloren. Er hatte bloß ihr Leben retten können. In Charleston ernährte und kleidete er sie und sich mit seiner Arbeit. Jede Woche gab er jedem der Jungen seine drei Dollars von seinem Arbeitslohn. Damit fuhr er fort, bis die Knaben junge Männer wurden, und er selbst ein alter Mann.

Mein Wirth ging zur See und erwarb sich durch seine Thatkraft, die vom Glück begünstigt wurde, ein Vermögen.

Als er später die Pflanzung auf Cuba gekauft und sich da verheirathet hatte, nahm er den alten Samstag zu sich, verpflegte ihn jetzt seinerseits und gab ihm jede Woche drei Dollars Taschengeld als Ersatz dessen, was er in seinen Knabenjahren von ihm bekommen hatte. Der alte Samstag lebte hier lange glücklich und sorgenfrei, von Jedermann geliebt und geachtet. Er starb vor etlichen Jahren in sehr hohem Alter. Er war ein aufrichtiger Christ und sehr fromm, ein guter Christ in jeder Beziehung. Es war eine Ueberraschung für seinen Herrn, als er nach dem Tode des Alten auf seiner Brust ein africanisches Amulet fand, ein fein gedrucktes und zusammengelegtes Papierblatt mit Buchstaben und Worten einer africanischen Sprache, welchem der Neger eine übernatürliche Kraft zugeschrieben zu haben schien. Aber gutes Christenthum bekümmert sich nicht um ein bischen heidnischen Aberglauben, der wie eine Dämmerung nach der alten Nacht zurückgeblieben ist. Unsere guten christlichen Bauern in Schweden können noch jetzt nicht umhin an Elfen und Zaubergeister, an kluge Männchen und Weibchen zu glauben, und ich selbst glaube bis auf einen gewissen Grad daran. Zaubergeister finden sich wohl und regieren auch, aber „wer recht sein Vaterunser lesen kann, der fürchtet weder Teufel noch Zauber.“

Was sagst Du von diesem Negersklaven? Durfte wohl ein Volksstamm, der solche menschliche Helden aufzuweisen vermag, jemals in Sclaverei gebracht werden? Das Beispiel Samstags steht überdieß beim Blutbad auf St. Domingo nicht vereinzelt da. Mehrere Sklaven retteten mit eigener Lebensgefahr ihre Herren oder deren Kinder, und mehrere büßten ihre Versuche mit dem Leben.

Noch tröstlicher als die Besuche in der Bohea der Sklaven waren für mich einige Besuche in Hütten freier Neger im Dorf Limonar, das ein paar hundert Schritte von dieser Pflanzung entfernt liegt. Es war früh an einem schönen Morgen, als ich meine Entdeckungsreise dahin antrat. Die kleinen Häuser, zum großen Theil aus Birkenrinde, andere mit Wänden von geflochtenem Reisig und kegelartig gebaut, alle mit Palmdächern und umgeben von Cocospalmen und andern tropischen Bäumen; ja das ganze Dorf hatte ein africanisches Aussehen, dem entsprechend, was ich von africanischen Hütten und Städten gelesen und gehört hatte. Es war in Allem eine gewisse malerische Unordnung, schön durch die schönen Bäume und erfrischend nach der angloamericanischen Regelmäßigkeit. Die Hütte war so leicht, mit so wenig Mühe als möglich hingebaut, und die Bäume waren von selbst aus der warmen Erde heraufgekommen, um sie zu beschatten. Jeder kleine Feldantheil lag in der Morgensonne wie ein kleines irdisches Paradies da.

Sie waren auch irdische Paradiese, diese kleinen Höfe mit Birkenhütten und Palmen; sie waren größtentheils Wohnungen freier Neger. Das wußte ich diesen Morgen noch nicht; aber ich ahnte es, als ich durch das Dorf wandelte. Aus einem kleinen Gehege zur Rechten lockten mich einige ungewöhnliche Bäume und Früchte. Ich beschloß einen Morgenbesuch zu machen. Das kleine Gitterthor öffnete sich sogleich. Ich trat hinein und kam auf einen kleinen Sandweg, der links abbog und mich zu einer palmenbedeckten Birkenhütte unter einigen Cocospalmen führte. Etwas weiter unten lag ein buschreicher Hain von Bananas und Mangobäumen, sowie von Bäumen mit weißen runden Früchten, die an weichen Zweigen hingen; neben der Hütte standen hohe Bäume, offenbar eine Art von Palmen, die meine Aufmerksamkeit besonders gefesselt hatten; auch Cactusbüsche und Blumen waren da. Ueberhaupt gab Alles hier eine Ordnung und Sorgsamkeit zu erkennen, die in den Anlagen der Kinder Africas gewöhnlich nicht zu sehen ist. Die Hütte war gut gebaut und gut gehalten, und die vielerlei tropischen Bäume rings umher waren augenscheinlich con amore gepflanzt. Die kleine Hütte hatte auch ihre Piazza unter dem Palmendach, und auf einem Tisch lagen etliche Zuckerrohre.

Die Thüre ins Zimmer stand offen; Feuer brannte auf dem Boden — ein sicheres Zeichen, daß ein Africaner da wohnte; — die Morgensonne strahlte durch die Thüre hinein. Ich guckte auch hinein. Die Stube war geräumig, ordentlich und sauber. Links saß auf seinem niedrigen Bett ein alter Neger in blauer Blouse und mit wollener Mütze auf dem Kopf; er hielt seine Ellbogen auf die Kniee gestützt, sein Gesicht ruhte, gegen das Feuer gekehrt, in den Händen, und er schien halb zu schlummern. Er sah mich nicht und ich konnte mich also ruhig in der Stube umsehen. Ueber dem Feuer stand ein kleiner eiserner Topf mit einem Teller darüber, am Feuer saß eine goldgesprenkelte Katze, und daneben stand auf einem Bein ein weißes Küchlein. Feuer, Eisentopf, Katze, Küchlein, Alles schien halb zu schlummern im Sonnenschein, der darüber lag. Die Katze sah mich ein wenig an, schloß aber sogleich wieder ihre Augen und kehrte sich von Neuem gegen das Feuer. Es war das Bild eines ächt tropischen Stilllebens. An den braunen Wänden der Stube herum hingen einige Maisähren, Früchte und trockene Eßwaaren, auch einige Gartengeräthschaften. Nach einer Weile erhob sich der Alte, noch immer ohne mich zu bemerken, wandte sich um und begann seine Betttücher zusammenzulegen; denn das Bett hatte wirklich Etwas von der Art. Er legte also Leintuch und Decke zusammen und rollte zuletzt einen kleinen Teppich von dickem, zierlichem Flechtwerk, der auf dem Boden neben dem Bette lag, ebenfalls zusammen. Nachdem er alles Das mit vieler Ordnung weggelegt, setzte er sich wieder auf sein kleines Bett, das aus einigen wenigen Brettern bestand, und stierte von Neuem schläfrig ins Feuer. Aber jetzt schaute er auf und wurde mich gewahr; er blinzelte mich gleichsam zum Gruß freundlich an und sagte: „Caffee!“ Ich weiß nicht, ob er mich zum Caffee einlud, oder ob er solchen von mir begehrte. Die Katze und das Küchlein schienen ein Frühstück zu wittern, sie begannen sich zu regen, und da ich vermuthete, daß die Frühstückstunde nahe sei und das Frühstück über dem Feuer fertig stehe, so sagte ich zu dem Alten, zur Katze und zum Küchlein: „Buena mesa! Retornero“. (Guten Appetit! ich werde zurückkommen.) Sie mochten es verstehen, so gut sie konnten; ich ging jetzt weiter auf der kleinen Pflanzung herum.

Im Bananashain waren ein paar kleine Reiserhütten, und in jeder von ihnen wohnte ein großes Schwein, das jetzt gerade große Bananasblätter frühstückte. Schweine sind der vornehmste Reichthum der ackerbauenden Neger wie auch der Plantagensklaven. Sie mästen diese Thiere ohne Schwierigkeit mit Bananasblättern und Erdfrüchten und verkaufen sie dann zu zwölf bis fünfzehn Pesos (Dollars) das Stück. Jenseits des Haines mit den Obstbäumen und den Schweinen war einiges Ackerland mit Wurzelfrüchten und Mais, ziemlich verwahrlost. Hier traf ich an der Arbeit, aber offenbar an einer Arbeit ad libitum einen Neger und eine Negerin. Wir grüßten einander und suchten zu conversiren, aber es kam blos zu einem Gelächter. Sie lachten über meine Worte und meine Unbegreiflichkeit, und ich lachte über ihr gutes, herzliches Lachen, ein wahrhaft tropisches, seelenvergnügtes Lachen. Es wird Einem warm ums Herz, wenn man die Neger schwatzen und lachen sieht.

Das Gütchen das mir einige Morgen groß zu sein schien, war mit einer Art von Einfriedigung umgeben, die theils aus Zaunstecken, theils aus einer steinernen Mauer und theils aus einer lebendigen Hecke bestand. Nachdem ich Alles, was ich sehen wollte, gesehen, gelacht und dem Negervolk die Hände geschüttelt hatte, begab ich mich nach der Zuckerpflanzung zurück, um mein Frühstück zu verzehren.

Von Herrn Chartrain erfuhr ich, daß die hohen palmartigen Bäume, die an den Stämmen entlang mit Büscheln von Früchten, ähnlich kleinen Cocosnüssen, behangen waren, Papaya hießen und die weißen Früchte Caimetos; daß der alte Neger, den ich besucht hatte, Pedro hieß, von einer freien Mutter geboren war und sich stets als ein braver, rechtschaffener Mann erwiesen hatte. Er hatte selbst sein Haus gebaut und selbst die Bäume auf seinem Gütchen gepflanzt, das er für fünf Pesos jährlich von der Kirche in Pacht hatte. Das Dorf Limonar war, wie ich geahnt, zum großen Theil von Negersklaven, die sich losgekauft und Land gepachtet hatten, erbaut und bewohnt; aber viele, sagte man mir, seien nicht so ehrenwerth, wie der alte Pedro, viele seien faul und ernähren sich lieber damit, daß sie Zuckerrohr, Früchte u. s. w. stehlen, als daß sie dieselben produciren.

Auf meinen Wunsch begleitete mich Madame Chartrain eines Nachmittags auf einem Besuch bei den Negern in Limonar, um bei meiner Unterhaltung mit ihnen als Dolmetscherin zu fungiren. Diese Dame ist in ihrem Wesen ebenso still und mild, wie ihr Mann lärmend und lebhaft; sie ist musikalisch und hat eine Stimme, die wahre Musik ist, besonders wenn sie die schöne spanische Sprache spricht. Wir besuchten verschiedene Negerwohnungen. Die meisten waren weniger behaglich eingerichtet als die Pedros. Die Neger hatten ihre Erdantheile im Pacht gegen eine geringe jährliche Abgabe, oder bearbeiteten sie dieselbe gegen die Hälfte des Ertrags, die sie an spanische Creolen abzuliefern hatten. Ich fragte sie, ob sie nach Africa zurückzukehren wünschten, darauf antworteten sie lachend: Nein! Sie hätten es gut hier! Die Meisten waren gleichwohl noch in ihren ersten Jugendjahren aus Africa geraubt worden. Einem Weib fehlte der linke Arm. Madame Chartrain fragte sie, wie das zugegangen sei, und nun erzählte sie auf Spanisch mit lebhaften Geberden eine Geschichte, welche meine Wirthin mir nicht verdolmetschen wollte; aber aus dem wehmüthigen, bekümmerten Ausdruck in ihrem milden Gesicht ersah ich, daß ich die Erzählung nicht mißverstand, wenn ich annahm, daß es sich um irgend eine Grausamkeit handelte, die sich ein Sklavenbesitzer oder sein Agent gegen die wehrlose Sklavin erlaubt hatte. Zuletzt gingen wir zu dem alten Pedro. Ich brachte ihm Caffee mit und einige spanische Redensarten für die Leute, die ihn verpflegten, den Mann und die Frau, die ich am Morgen auf dem Feld getroffen hatte. Sie waren jetzt in der Stube und der alte Pedro saß darinnen wie vorher.

Dem Mann war sein rechter Arm in der Zuckermühle zerquetscht worden; man hatte ihn über dem Ellbogen abgenommen. Später hatte er sich für zweihundert Pesos loskaufen können; auch das Weib hatte sich losgekauft, wenn ich mich recht erinnere, für dieselbe Summe. Ich fragte sie, ob sie nach Africa zurückkehren möchten? Sie antworteten mit lautem Lachen: „Nein! Was sollten wir dort machen? Wir sind glücklich hier.“ Sie waren seelenvergnügt und ungemein munter. Ich ermahnte sie gut zu sein gegen den alten Pedro. Gott würde es ihnen vergelten. Sie antworteten laut lachend: „Ja, ja!“ Ich habe niemals gefunden, daß ich so ergötzlich sein konnte, wie da.

Es war dunkel geworden, während wir an dem Häuschen unter Cocos- und Papayabäumen standen, und die Sterne kamen sanft flimmernd hervor aus dem tiefen Blau. Von dem ziemlich hohen Platz aus, wo wir standen, sahen wir die rothen Feuer aus den irdenen Oefen in Herrn Chartrains Zuckermühle leuchten und hörten die wilden Gesänge und das Geschrei aus den Zuckermühlen rund umher. Da war Sklavenarbeit, rastloses Leben, die Herrschaft der Peitsche, der glühende Ofen der Sklaverei; hier Freiheit, Friede und Ruhe unter dem schönen Tropenhimmel, im Schooß eines reichen Fruchtgartens. Der Contrast war augenfällig.

Cuba ist zu gleicher Zeit die Hölle und das Paradies der Neger. Der Sklave hat auf der Plantage eine härtere Arbeit, aber mehr Zukunft, mehr Aussicht auf Freiheit und Glück, als der Sklave in den Vereinigten Staaten.

Der Sklave an den heißen Oefen der Zuckermühle kann zu den Höhen, wo die Palmen winken, hinüberschauen und denken: „Ich werde eines Tags unter ihnen ausruhen.“

Und wenn er es so weit gebracht hat, wenn er da lebt, wie der alte Pedro in der Hütte, die er selbst erbaut, unter den Bäumen, die er selbst gepflanzt hat, oder wie der Mann mit dem zerquetschten Arm und seine Frau — wer ist dann glücklicher als diese Leute? Die Sonne gibt ihnen Kleider, die Erde gibt ihnen gegen geringe Mühe reichliche Nahrung; die Bäume lassen ihre schönen Früchte für sie fallen, geben ihre Blätter, um ihre Wohnung zu bedecken, um ihr Vieh zu nähren; jeder Tag ist schön und sorgenfrei, jeder Tag hat seinen Genuß. — Sonne, Ruhe, Früchte, Leben in einer Luft, deren Einathmung allein schon Seligkeit ist; der Neger begehrt nicht mehr. Und wenn er am Abend und in der Nacht die rothen Feuer aus den Zuckermühlen leuchten sieht und das Geklatsche der Peitsche und das Geschrei von da hört, dann kann er zwischen den Palmen über seinem Haupte hindurch zu den milden Sternen emporschauen und den Herrn des Himmels preisen, welcher auch dem Sklaven einen Weg aus der Gefangenschaft zum Paradies noch auf Erden bereitet hat. Denn auch er war dort beim heißen Ofen in der Zuckermühle, unter der Peitsche des Treibers. Jetzt ist er hier in Freiheit und Frieden unter seinen Palmen. Auch sein bedrückter Bruder kann kommen. Was macht es ihm, daß sein Arm zerquetscht worden ist? Sein Herz ist gesund. Er ist frei und glücklich, und Niemand wird ihm seine Freiheit nehmen.

Der Neger unter spanischer Herrschaft kann eine Hoffnung besitzen und ein Dankgebet sprechen, wozu er unter der freien Flagge der amerikanischen Union nicht ermächtigt ist.

Heute ist es Sonntag, und Herr Chartrain erweist mir die Artigkeit, mich die Neger auf der Plantage sehen zu lassen, wie sie Vormittags ein Stündchen vertanzen. Sonst pflegen sie über die Zeit der Seca nicht zu tanzen. Aber sie thun es, wenn sie nur Erlaubniß dazu erhalten, gerne, ungeachtet ihrer angestrengten Arbeit bei Tag und Nacht. Schon höre ich die africanische Trommel mit ihrem eigenthümlichen, bestimmten, muntern Takt, und nachdem ein kleiner Negerjunge getauft worden, wird der Tanz beginnen.

Ich habe hier angenehm gelebt mit der freundlichen Familie, in welcher große gegenseitige Ergebenheit und viel Munterkeit vorzuwalten scheint, so wie wir es mit einander daheim hatten, als wir noch zahlreich im Hause waren. Vier Söhne und drei Töchter lärmen mit einander und necken sich freundlich beim Essen und in den Zwischenstunden, und der jüngste Knabe ist so kindlich schalkhaft, daß er auch mich verführt Spässe mit ihm zu machen. Morgens und Abends mache ich meine einsamen Ausflüge in die Gegend, meistens begleitet von drei großen Bluthunden, die ich nicht loswerden kann, die aber lammfromm sind und sich ganz still um mich her niederlegen, während ich irgend einen merkwürdigen Baum oder andern Gegenstand abzeichne; und es ist vielleicht nützlich, daß ich sie bei mir habe, denn es sollen viele entwichene Negersklaven auf der Insel umherstreifen, und die Hunde dienen mir zum Schutz vor einer Ueberrumpelung; diese Thiere sind so dressirt, daß sie gegen die Weißen ganz fromm, den Schwarzen aber sehr gefährlich sind, und die Schwarzen haben große Angst vor ihnen.

Ich habe ein paar merkwürdige Bäume abgezeichnet, einen schönen Ceiba in seiner vollen Gesundheit und Pracht — es ist ein wahrer Prachtbaum — und einen Ceiba in den Armen seiner schrecklichen Mörderin oder Geliebten, oder Beides in Einem. An diesem Baum sieht man den Schmarotzer mit riesigen Händen nach dem Stamme greifen und ihn gleichsam in seiner Umarmung ersticken. Ich habe auch hier mich sehr erlabt an der balsamischen Luft und an dem ungewöhnlichen Schauspiel, welches die Vegetation darbietet. Es sind einige schöne Alleen (auf spanisch Guadarajahs genannt) auf der Plantage, eine von Königspalmen, eine von Mangobäumen u. s. w. Abends wenn es gedunkelt hat, machen wir, da die ganze Familie musikalisch ist, Musik bei offenen Thüren, während die Hauche der Luft ins Zimmer hereinspielen.

Zucker kann ich von Anfang an bis zu Ende bereiten, wenn ich nämlich Zuckerrohr und eine Zuckermühle habe. Das Verfahren ist so einfach und so kurzweilig anzusehen, daß ich glaube, Du wirst es nicht ungerne hier auf dem Papier sehen, wie ich es in Herrn Chartrains zierlich gehaltener Zuckermühle gesehen und betrachtet habe. Aber zuerst müssen wir das Zuckerrohr abschneiden sehen. Es wogt auf dem Felde als ein dickes und hohes grünes Schilfrohr. Die Stämme, in der Dicke von tüchtigen Stöcken, sind jedoch gelb und haben theils feuerfarbene Striemen und Flecken, theils andere unterscheidende Kennzeichen, z. B. von kürzerem oder längerem Abstand zwischen den Gliedern, je nach ihrer Art, denn es sind mehrere Arten Zuckerrohr da, wie z. B das Otahaitirohr, das Bandrohr u. s. w. Das Rohr wird nahe an der Wurzel mit einer scharfen Scheere oder einer kurzen krummen Sichel abgeschnitten, ein oder zwei Rohre auf einmal; die grüne Spitze wird abgeschnitten und das Rohr auf die Seite geworfen. Die Neger bewerkstelligen diese Operation mit vieler Raschheit und Behendigkeit, wie es scheint auch con amore; man sagt, sie haben eine Freude am Zerstören, und ich möchte dieß beinahe glauben; es knarrt und knistert munter unter den Rohren; es ist eine heitere Arbeit und die schwarzen Gestalten mit ihrer breiten Brust und ihren sehnigen Armen nehmen sich hübsch aus dabei. Die abgehauenen Rohre werden auf Wagen geladen und mit Ochsen nach der Zuckermühle geführt. Gleich bei der offenen Thüre derselben werden sie von Weibern in eine breite erhöhte Rinne abgeladen, welche ins Haus hinein zu einem erhöhten Platz führt, wo zwei breite Mühlsteine sich in entgegengesetzter Richtung von einander bewegen, der eine etwas höher als der andere. An der Rinne entlang stehen Weiber, welche die Rohre zu der Höhe hinaufführen, wo die Steine stehen (ich habe da ein paar junge Weiber arbeiten sehen, die wahrhaft zierlich und schön sind, mit ihren dunkeln, leuchtenden Augen, weißen Zähnen, corallrothen Perlbändern um den Hals und hellrothen Tüchlein um den Kopf). Und hier auf einer Treppenstufe, steht ein Neger, der die Oberaufsicht führt und zusieht, daß alle Rohre richtig zwischen die Mühlsteine kommen. Da wird ihr Saft bei jeder halben Umwälzung der Steine ausgepreßt, und die Rohre die zwischen ihnen nach oben hinaufkommen, fallen ausgedrückt unter den Steinen in eine andere Rinne, auf welcher sie durch die entgegengesetzte Thüre geführt werden und da von der Rinne in ein mit Ochsen bespanntes Fuhrwerk hinabfallen, das, sobald es voll ist, einem andern Fuhrwerk Platz macht. Das gefüllte Fuhrwerk fährt mit der Bagaza fort nach den Steinplatten, und die Weiber entladen es in Körbe und tragen es auf die Steinplatten zum Trocknen, wie wir bereits gesehen haben. Auf der einen Seite des Hauses, wo das Zuckerrohr gemahlen wird, steht das Haus mit der Maschinerie, welche die Steine in Bewegung setzt. Sie wird mit Ochsen getrieben, die man herumführt, wie die Ochsen bei uns, wenn man drischt. Jedes Paar Ochsen hat einen Führer; daher das Geschrei und Gesinge, das man bei Nacht hört. Ein Neger erhebt einen Ruf und spricht ein paar Worte, und die andern antworten im Chor und wiederholen mit einiger Veränderung die angegebenen Worte, die, wie man mir gesagt hat, größtentheils keine weitere Bedeutung haben. Das Rufen und die Stimmen sind unmelodisch, aber die Neger ermuntern sich auf diese Art bei ihren nächtlichen Arbeiten.

Der Saft, der aus den gepreßten Zuckerrohren strömt, rinnt zwischen den Mühlsteinen in eine porzellanene Rinne hinab, in schiefer Richtung gegen die große Rinne zwischen den beiden Thüren, und von da in ein porzellanenes Bassin, wo er das Reinigungswerk übersteht, worauf er wiederum durch eine andere Rinne in die Zuckersiederei geleitet und hier in großen in der Erde festen Kupferkesseln in der Mauer gekocht und abgeschäumt wird. Bei jedem solchen Kessel steht ein bis um den Leib nackter Neger, der mit einem ungeheuern Löffel, so lang wie der Mann selbst, den kochenden Zuckersaft umrührt und schäumt. Wenn dieser aus dem Rohr rinnt, ist er ein hellgrünes, süßes Wasser; in den Kesseln wird er zu einem dicken, graulichten Syrup gekocht, der, wenn er fertig ist, aus den Kesseln in der Mauer in große flache Pfannen rinnt, wo man ihn erstarren läßt. Wenn der Zucker erstarrt ist, wird er in Stücke zerschlagen, in große Tonnen verpackt und in die Welt hinausgeschickt. (Es gibt auf Cuba keine Zuckerraffinerie, deshalb hat man da keinen ganz weißen Zucker.) Jeder solcher Siedkessel wird durch einen Ofen geheizt, dessen Oeffnung außerhalb der Mauer ist, und in den man beständig Bagaza einwirft, welche getrocknet einen vortrefflichen Brennstoff gibt.

Und dieß ist die Geschichte des Zuckerrohrs, bevor es in Deine Caffeetasse kommt[2].

Ach daß diese Süßigkeit unter so vieler Bitterkeit ausgepreßt wird, und daß der Genuß der Menschen so viel Menschenleiden kostet! Denn ich weiß es wohl, was ich hier sehe, ist noch nicht die düsterste Seite der Zuckerpflanzung. Es gibt eine noch weit düsterere — eine, von der ich jetzt nicht sprechen will. Jetzt will ich zum Tanze gehen.

Nach dem Tanz.  

Auf dem Grasplatze an der vordern Seite des Hauses steht ein großer Otahaitimandelbaum, dessen laubige Krone sich weit hinaus wie ein Dach über die Erde breitet, die sie beschattet. In diesem Schatten waren vierzig bis fünfzig Neger und Negerinnen in saubern Kleidern versammelt, die Männer meist in Hemden oder Blousen, die Weiber in langen, schmucklosen Kleidern. Hier sah ich Vertreter der verschiedenen Nationen, der Congos, der Mandingos, der Luccomees, der Caraballis u. s. w. auf africanische Weise tanzen, jede Nation etwas verschieden von den andern, aber Alle mit einer wesentlichen Gleichheit in den Hauptzügen des Tanzes. Dieser wird immer zwischen einem Mann und einem Weib ausgeführt und stellt immer ein Verhältniß verliebter Koketterie dar, wobei der Liebhaber seine Gefühle ausdrückt, theils dadurch, daß er an allen Gliedern zittert, während er sich um seine Schöne dreht, so daß er nahe daran scheint aus einander zu fallen, theils in kühnen Sprüngen und Schwingungen, wobei er seine Dame oft mit beiden Armen umgibt, jedoch ohne sie zu berühren. Dieß war jedoch bei den Männern verschiedener Nationen verschieden. Ein Caraballis-Neger nahm während des Tanzes seine kleine Schöne zärtlich mit dem einen Arm um den Hals, während er mit der andern Hand eine kleine Silbermünze in ihren Mund legte. Und der schwarze Treiber (ein kleiner, garstiger Bursche, derjenige, unter dessen Peitsche ich die Weiber arbeiten sehe) machte oft von seiner Amtsgewalt Gebrauch, indem er theils während des Tanzes die hübschesten unter den Damen, mit denen er tanzte, küßte, theils den Tanz anderer Männer mit den schönsten oder besten Tänzerinnen unterbrach und ihren Platz einnahm. Denn jeder von den Umstehenden konnte dadurch, daß er einen Stock oder einen Hut zwischen zwei Tanzende hielt, sie von einander trennen und die Stelle des einen von ihnen einnehmen. So konnte ein Weib manchmal mit drei oder vier Männern tanzen, ohne den Platz zu verlassen. Aber auch Weiber konnten einander vom Tanz ausschließen, wenn sie ein Halstuch zwischen die Tanzenden warfen, worauf sie die Stelle der Zurücktretenden einnahmen, und diese Tausche schienen meistens mit großer Gutherzigkeit vor sich zu gehen. Die Zurücktretende lächelte und schien gerne eine Weile auszuruhen, um hernach wieder zu kommen; die Dableibende lächelte noch herzlicher, wenn sie sich als den Gegenstand der Wahl mehrerer Männer erblickte. Der Tanz des Weibes drückt immer eine Art von Verschämtheit, vermischt mit Gefallsucht aus, während sie sich mit niedergeschlagenen Augen auf einem Fleck umdreht, durch Grazie und Manieren an eine calecutische Henne erinnernd und indem sie mit einem farbigen Halstuch oder Nastuch in der Hand, zuweilen mit einem in jeder Hand, theils den zudringlichen Liebhaber von sich hält, theils ihn halb zu sich lockt — ein Manöver, das vermöge seiner Symbolik unter allen Völkern und allen Menschenklassen wohl passen könnte, obschon, dem Himmel seis gedankt, nicht für alle Liebende. Um die Tanzenden (ein oder zwei Paare) stehen alle Zuschauer im Kreis, den Tanz mit Gesang begleitend, der aus einer lebhaften, aber eintönigen Wiederholung etlicher Worte besteht, welche von dem im Kreise stehenden, durch die Gesellschaft erwählten Chorführer, der eine Art von Improvisator zu sein scheint, angegeben werden. So oft ein neues Paar zum Tanzen kam, wurde es mit gellem Geschrei begrüßt, und dann wechselte sowohl der Ton als der Text des Gesangs. Aber der Ton war immer ohne Melodie und die Stimmen gleichfalls. Es läßt sich nicht wohl denken, daß diese Stimmen dieselbe Schönheit, dieselbe unvergleichliche melodische Reinheit entwickeln, und diese Völker dieselbe musikalische Fertigkeit erreichen werden, wie in den Sklavenstaaten Americas. Der wilde africanische Apfelbaum mit seinen sauren Früchten hat, auf die Erde Americas verpflanzt, seine Natur und seine Früchte verändert. Der Text des Gesangs wurde mir als unbedeutend geschildert, und ich konnte von keinem den Sinn herausbringen. Ich habe Worte gehört, wie sie unter den französischen Neger-Creolen bei ihrem Tanze gebräuchlich sind, die in ihrem Patois einen Sinn ausdrücken, der wohl auch für den Tanz hier passen könnte; er heißt:

Mal à tête, c'est pas maladie,
Mal aux dents, c'est pas maladie,
Mais l'amour, c'est maladie!

 

„Kopfweh, das ist keine Krankheit;
Zahnweh, das ist keine Krankheit;
Aber Liebe, das ist Krankheit!“

Der Tanz hat keine bestimmte Abtheilung, keine Entwicklung, keinen bestimmten Schluß, sondern scheint aus fortwährenden Variationen von einem und demselben Thema zu bestehen, die nach dem Gutdünken und der Eingebung der Tänzer improvisirt sind, aber sich in einem sehr beschränkten Kreis bewegen und nicht aus den zitternden Bewegungen, Biegungen und Krümmungen herausgehen, vom denen ich gesprochen habe. Tanzt Jemand gut, so treten Männer und Weiber aus dem Kreis, hängen ihm ihre Halstücher um die Schultern, oder setzen ihm einen Hut oder irgend eine Zierath auf den Kopf; und ich sah eine junge Negerin mit einem Mannshut auf dem Kopf und ganz mit Tüchlein behängt sich herumschwingen. Der tanzenden Dame eine kleine Silbermünze in den Mund zu stecken, scheint auch eine gebräuchliche, wenn auch nicht die feinste Art zu sein, um dem Tanz ein Ende zu machen. Die Musik bestand außer dem Gesang aus Trommeln. Drei Trommler standen neben dem Baumstamm, mit den Händen, Handgelenken, Daumen und hölzernen Schlägeln auf dem über ausgehöhlte Baumstämme gespannten Fell spielend. Sie machten so viel Lärm als nur möglich, aber immer mit ungemeinem Takt und Rhythmus.

Es war ein sehr warmer Tag, und ich sah das Weißzeug der zitternden und courbettirenden Cavaliere in einem Zustand, als hätte man es so eben aus der See gezogen. Nichts desto weniger tanzten sie augenscheinlich aus Herzenslust und schienen bis ins Unendliche fort tanzen und singen zu können. Aber nicht weit vom Tanzplatz ließ sich ein starkes Klatschen von einer langen Peitsche vernehmen; sogleich hielt der Tanz inne und die Tänzer eilten gehorsam zur Arbeit. Das Zuckermahlen und Sieden sollte wieder beginnen. Die Sklaven auf Cuba haben keinen Feiertag während der Seca, obschon sie auf Herrn Chartrains Pflanzungen Sonntag Vormittag einige Stunden ausruhen dürfen.

Dieser Tanz unter dem Mandelbaum, um wie viel lebendiger und bedeutungsvoller ist er nicht, als die Meisten unserer Gesellschaftstänze, den Walzer ausgenommen! Sie haben zu wenig Natürlichkeit. Dieser Tanz hat vielleicht zu viel; aber er ist lebendig und aufrichtig; auch hat er das Gute, daß alle Mitglieder der Gesellschaft sich als Tänzer, Sänger oder Bravorufer betheiligen können. Niemand ist ausgeschlossen, Niemand braucht unthätig an den Wänden zu stehen, Niemand braucht leblos zu sein oder Langeweile zu haben. Es lebe der africanische Tanz!

Einen interessanten Ausflug habe ich mit der Familie hier nach einer der merkwürdigen Grotten gemacht, die sich in großer Anzahl in Cubas Bergen vorfinden. Sie heißt la Loma (die Anhöhe) de Lorenzo de San Domingo und ist einige Meilen von Limonar entfernt. Madame Chartrain und ich fuhren in der Volante hin, die ganze Jugend des Hauses ritt auf kleinen cubanischen Pferden, den gutmüthigsten und hübschesten aller Pferdearten, welche die Reiter so leicht tragen, daß sie durchaus keine Mühe haben; sie sind klein und bewegen sich in einem kurzen, sehr gleichmäßigen Trab. John Chartrain, ein lebhafter und recht angenehmer junger Mann, ließ durch ein paar Neger Stroh und Reisig nach verschiedenen Theilen der Grotte bringen und es dann anzünden. Dieß gewährte einen schönen Anblick. Unter den hohen, dunkeln Gewölben schwärmten Millionen aufgescheuchter Fledermäuse. Und welche wunderliche Gestalten wurden nicht von den Flammen beleuchtet! Es war eine Welt der Träume, wo Alles, was die Natur bildet und was das Menschenherz träumt und ahnt, in dunkeln, chaotischen Umrissen hervorzukommen schien. Da waren Menschengestalten, gleichsam noch in ihre Windeln eingehüllt, geduldig auf Licht und Leben wartend; da waren Catheder und Throne, Flügel, die sich von den Mauern losmachen zu wollen schienen, tausend phantastische, theils hübsche, theils groteske und häßliche Figuren — ah! in diesen Schlupfwinkeln der Natur scheint die ganze dunkle Welt enthalten zu sein, welche die geheime Werkstätte des Menschenherzens in sich schließt, aber deren Gestalten wir nicht sehen, außer wenn ein düsteres Feuer in finstern Augenblicken aufflammt. Was ich hier sah, hatte ich in meiner eigenen Brust schon lange vorher gesehen. Und ich weiß, daß es noch da vorhanden ist, obschon Gott die Sonne eindringen und die Palme in den nächtlichen Räumen aufwachsen ließ; ich weiß, daß es jenseits der lichten auch noch dunkle, nächtliche, mir selbst unbekannte, oder wenigstens für das ganze irdische Leben unklare Räume gibt. Aber auch die Geheimnisse des Lebens werden blos augenblicklich und unvollkommen auf Erden aufgeklärt.

Die bestimmteste und schönste Formation in diesem Grottengewölbe war der Pfeiler. Der Tropfen sickert von der Höhe des Gewölbes durch, fällt auf die Erde und erstarrt. Aus erstarrten Tropfen wächst eine kegelförmige Erhöhung; aus erstarrten Tropfen bildet sich eine solche auch oben, und während des Falls der Tropfen wachsen diese gegen einander. Nach Jahrhunderten begegnen sie sich und bilden eine Colonne, welche das Gewölbe zu tragen scheint und nicht selten einer versteinerten Palme gleicht. Mehrere solche Palmenpfeiler standen im Gewölbe der Grotten; mehrere waren noch in ihrer Bildung begriffen. Die Macht des Tropfens ist groß.

Montag Morgen.  

Ich bin auf dem Waideland umhergegangen, habe Schmarotzerpflanzen betrachtet und Bäume abgezeichnet. Ein Wald auf Cuba ist eine Zusammenrottung von dichten und dornigen Gewächsen, die man unmöglich durchdringen kann. Man sieht auf dem Waideland einige schöne, stattliche Bäume, aber auch mehrere, die entstellt sind durch Schmarotzerpflanzen oder andere Ursachen; das Schöne und das Garstige stehen da neben einander. Mitunter sieht man auch Schmarotzerpflanzen auf Schmarotzerpflanzen wachsen. So sah ich heute eine schöne Winde mit großen, weißen Blüthen auf dem Wipfel eines abgestorbenen Baumes mit mehreren schweren Luftpflanzen behangen. Die Winden sind hier in großer Menge vorhanden und bilden mit ihren schönen Blumen die Hauptzierde der lebendigen Hecken, welche durch sie dicht und glänzend werden. Von den Passionsblumen finden sich viele Arten wild vor, theils sehr große, welche Früchte bringen, theils winzig kleine. Einer der schönsten Bäume in dieser Pflanzung ist der Pommerosabaum; er steht jetzt gerade in der Blüthe, und diese hat einen unaussprechlich lieblichen Duft. Bald verlasse ich St. Amelia, werde aber nach der Familie und meinem eigenen Wunsch hieher zurückehren. Ich wünsche meinen freundlichen Wirthsleuten eine Erinnerung an mich in einem Portrait des jüngsten Knaben, meines kleinen Spielkameraden, zu hinterlassen.




St. Amelia Inhegno (St. Amalienhaag),
den 15. März.          

Eine große Zuckerpflanzung! Ich sitze im Rauch, der von der Zuckermühle her durch die offenen Fenster in mein Zimmer dringt, ein großes, angenehmes Zimmer mit wirklichen Glasfenstern, von wo ich eine freie Aussicht auf die Hügel der Camerioca-Kette, so wie auf die Palmenhaine und die Plantagen zu ihren Füßen habe. Ich habe Alles gut hier, nur zu viel von der Zuckerfabrik, die meinem einen Fenster gegenüber liegt und hier in weit größerem Maaßstab angelegt ist, als auf der Ariadne-Plantage. Ist es nicht sonderbar, daß das Wort inhegno, das hier einen umzäunten unangebauten Platz bedeutet und allgemein zur Bezeichnung von Plantagen gebraucht wird, an Laut und Bedeutung unserem schwedischen Wort inhägnad (Gehege) so gleich kommt?

Meine Wirthin, Frau von Coninck, ist eine lebhafte und angenehme Americanerin, Wittwe mit vier Kindern, wovon drei in den Vereinigten Staaten leben, und blos eines (ein hübsches sechzehnjähriges Mädchen) hier bei ihr. Sie lebt hier bei ihrem Vater, einem alten Militär von heiterem Charakter, aber schwach auf den Beinen und die meiste Zeit an seinen Lehnstuhl gefesselt. Ein junger Mr. W., ein americanischer Creole auf Cuba, dessen Pflanzung neben dieser liegt, kommt täglich ins Haus und ist ein angenehmer Gesellschafter. Er besitzt, wie mein Wirth, das Talent einer heitern und leichten Conversation, hinter welcher ein ernster und prunkloser Grund liegt. Zur täglichen Gesellschaft beim Mittagessen und an den Abenden gehört ein junger Mann, der unter dem alten Herrn Vorsteher der Plantage war. Er ist für mich von großem Werth durch die Offenheit und Freimüthigkeit, womit er alle Aufschlüsse ertheilt, die ich nur wünschen kann.

Diese Pflanzung ist weit größer als diejenige, die ich in Limonar besuchte, und ein großer Theil der Sklaven — ein paar Hundert an Zahl — sind neuerdings erst aus Africa gekommen und sehen weit wilder aus, als diejenigen, die ich auf Ariadne gesehen hatte. Sie werden hier auch weit strenger zur Arbeit getrieben, denn hier haben sie auf 24 Stunden nur 4½ zum Ausruhen, d. h. zum Essen und Schlafen, und zwar sechs bis sieben Monate lang im Jahr. Den übrigen Theil des Jahres, die todte Jahreszeit genannt, dürfen die Sklaven die ganze Nacht hindurch schlafen. Doch es ist wahr, auch jetzt haben sie auf dieser Pflanzung eine Nacht in der Woche zum Ausschlafen, und jeden andern Sonntag sollen sie Vormittags einige Stunden haben, um auszuruhen. Sonderbar, daß das Volk ein solches Leben aushalten kann. Und gleichwohl sehe ich hier kräftige Neger, die 20, ja 30 Jahre lang auf der Plantage waren. Wenn die Neger sich einmal an die Arbeit und das Leben auf der Plantage gewöhnt haben, so scheinen sie sich darein zu finden. Aber in den ersten Jahren, wenn sie frei und wild aus Africa herüberkommen, fällt es ihnen schwer, und viele suchen sich dann durch Selbstmord der Sklaverei zu entziehen. Dieß geschieht oft unter den Luccomees, die einer der edelsten Stämme Africas zu sein scheinen, und vor nicht langer Zeit fand man elf Luccomees an den Aesten eines Guasima, eines Baumes mit langen, horizontal ausgestreckten Zweigen, hängen. Sie hatten alle ihr Frühstück in einem Gürtel um den Leib gebunden, denn die Neger glauben, daß derjenige Africaner, der hier sterbe, in seinem Vaterland sogleich zu neuem Leben auferstehe. Manche Sklavin legt deshalb auf die Leiche des Selbstmörders dasjenige Hals- oder Kopftuch, das ihr am theuersten ist; denn sie glaubt, daß es auf diese Art ihren Angehörigen im Mutterlande zukommen und einen Gruß von ihr überbringen werde. Man hat Leichname von Sklaven mit hundert solchen Tüchlein bedeckt gesehen.

Man sagt mir hier, daß nur Strenge bei der Behandlung der Sklaven Etwas tauge; daß sie immer die Peitsche über sich sehen müssen; daß sie ein undankbares Volk seien; daß beim Aufruhr im Jahr 1846 die gütigsten Herren zuerst sammt ihren Familien niedergemetzelt, die strengeren dagegen von ihren Sklaven in die Wälder getragen worden seien, um vor den Aufrührern verborgen zu werden; man sagt mir, daß man, um von den Sklaven geliebt zu werden, gefürchtet werden müsse. Ich glaube es nicht. Dieß liegt nicht in der Menschennatur. Aber es ist ein Unterschied zwischen Furcht und Furcht. Es gibt eine Furcht, welche die Liebe nicht ausschließt, und eine andere, welche Haß und Aufruhr erzeugt.

Die Sklaven hier haben im Allgemeinen ein finsteres und düsteres Aussehen und gehen schläfrig und verdrossen an ihre Arbeit auf den Zuckerrohrfeldern. Wenn sie mit den Ochsenwagen hinfahren, sehe ich sie oft am Zuckerrohr saugen, das sie sehr lieben und, wie es scheint, hier frei genießen dürfen. Das ist doch wenigstens eine Erquickung. Sie werden hier nicht mit Reis genährt, sondern hauptsächlich mit einer Art von Wurzel, genannt Malanga, welche sie lieben sollen, die aber mir nicht schmackhaft erscheint. Sie ist gelb und kartoffelähnlich, hat aber einen faden, etwas bittern Geschmack. Jeder Sklave bekommt zum Mittagessen eine Portion solcher gekochter Wurzeln und verzehrt sie mit seinem gesalzenen Fleisch. Zum Frühstück bekommen sie gekochten Mais, welchen sie zerstoßen und mit wilden Tomatos, Platanenfrüchten oder Gemüsen vermischen. Denn sie haben auf einem Strich der Pflanzung einiges Ackerland, wo sie säen und ernten dürfen. Jede Familie hat auch hier ein Schwein, das sie jährlich schlachten oder verkaufen darf.

Sonntag, den 17. März.  

Es ist Sonntag und Vormittag; aber die Zuckermühle geht und das Klatschen der Peitsche tönt arbeitgebietend. Die Sklaven müssen den ganzen Tag arbeiten, wie am Werktag. Der nächste Sonntag, heißt es, sei derjenige, an welchem die Sklaven einige Stunden ausruhen und, wenn sie wollen, auch tanzen dürfen. Aber — sie sehen so müde aus.

Es gibt auf Cuba Plantagen, wo die Sklaven 21 Stunden des Tags zur Arbeit getrieben werden; Plantagen, wo man nur Männer hat, die wie Ochsen getrieben werden, aber noch weit härter als Ochsen. Der Pflanzer rechnet aus, daß er Etwas gewinne, wenn er seine Sklaven so zur Arbeit treibt, daß sie binnen sieben Jahren sterben, in welcher Zeit er die Plantage mit frischen Sklaven besetzt, die von Africa eingeführt werden und die er für 200 — 300 Dollars das Stück kaufen kann. Der fortwährende Sklavenhandel auf Cuba macht, daß die Sklaven zu gutem Preise verkauft werden. Ich habe von Zügen von 600 männlichen Sklaven gehört, die wie Sträflinge behandelt und bei Nacht eingesperrt werden — dieß auf den Plantagen auf der Südseite der Insel.

Unter solchen Verhältnissen kann man sich in den idealen Staat des Socialismus verlieben, und Menschen wie Alcott erscheinen als Heilige und Oberpriester der Erde. Wie schön erscheinen nicht die Brüderversammlungen auf Erden, auch in ihren liebevollen Uebertreibungen, neben diesen Staaten, wo die Menschenkraft so schrecklich mißbraucht und das Menschenrecht mit Füßen getreten wird! Hier werde ich wärmer als je für die Gesellschaftslehren, die sich in den freien Staaten Nordamerikas Bahn zu brechen bestrebt sind, und wenn ich dahin zurückkehre, so werde ich mit ihnen und ihren Führern bekannter zu werden, beiden mehr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen suchen.

Aber auch hier habe ich Trost für den Zustand der Sklaven, wenigstens auf dieser. Plantage, dadurch geschöpft, daß ich ihre Bohea besuchte, hier ein sehr großes, viereckiges, niedriges Gefängniß, wo die Sklaven wie auf der Ariadneplantage wohnen und über Nacht unter Schloß und Riegel eingesperrt werden. Ich habe sie oft in den Essensstunden besucht, und es war mir immer eine Erquickung, ihr frisches Leben und ihre Munterkeit zu sehen; — doch habe ich auch hier Gesichter gesehen mit einer Düsterheit, welche aller tropische Sonnenschein nicht erheitern zu können scheint; so hoffnungslos, finster, stumm — entsetzlich! … Ich habe diesen Ausdruck auf den Gesichtern von Weibern gesehen …

Unter den Männern muß ich oft herkulische Gestalten und energische Gesichter bewundern, wo eine wilde Kraft mit mannhafter Gutmüthigkeit vermählt zu sein scheint; diese letztere drückt sich besonders in ihrer Behandlung der Kinder aus und in der Art, wie sie dieselben ansehen.

Diese Kleinen sind nicht munter, wie auf den Pflanzungen in America. Sie strecken ihre Händchen nicht zu freundlichem Gruße aus. Sie betrachten die Weißen mit argwöhnischen Blicken; sie sind scheu. Aber die ganz kleinen, die Bambinos, die ganz nackt, fett und üppig sind, dabei glänzen, wie schwarze oder schwarzbraune Seide, tanzen auf ihrer Mütter Schooße, gewöhnlich mit einem blauen oder rothen Perlband um die Lenden geschlungen und einem ditto um den Hals, und sind dann allerliebst anzuschauen; und auch die Mütter mit ihren Perlbändern um den Hals und ihren bunten, turbanartig um den Kopf geschlungenen Tüchlein, sehen ganz gut aus, wenn sie, mit entzückten Blicken und perlweißen Zähnen, lachend mit ihren üppigen Jungen herumtanzen. Eine solche junge Mutter mit ihrem kleinen Kind unter einem Bananas- oder Tamarindenbaum wäre ein würdiger Gegenstand für den Pinsel eines guten Malers.

In den dunkeln kleinen Stuben, die große Aehnlichkeit mit denen auf der Ariadnepflanzung hatten, sah ich mehr als einen Sklaven während seiner kurzen Ruhezeit damit beschäftigt kleine Körbe und Hüte aus Palmblättern zu flechten, und einer hatte sich aus bunten Lappen und Hahnenfedern einen prunkenden Kopfputz zusammengesetzt.

Die Sklaven leben übrigens in der Bohea beinahe wie das liebe Vieh. Männer und Weiber verbinden und trennen sich nach Gutdünken und Laune. Wenn ein Paar eine Zeitlang zusammengelebt hat und gegenseitiger Ueberdruß eingetreten ist, so gibt ein Theil dem andern irgend eine Veranlassung zu Mißvergnügen, und dann trennen sie sich. Entsteht irgend eine lärmende Uneinigkeit, so ist der Aufseher mit der Peitsche bei der Hand um Frieden zu stiften.

„Gibt es hier keine Paare, die beständig wie in der Ehe zusammenleben, keinen Mann und kein Weib, die sich innig genug lieben, um einander treu zu bleiben wie Gatten?“ fragte ich eines Tags meinen aufrichtigen jungen Begleiter.

„Doch,“ antwortete er, „es gibt hier wirklich einige solche Paare, die immer beisammen geblieben sind, so lange sie auf dieser Pflanzung waren.“

„Führen Sie mich zu einem dieser Paare,“ sagte ich.

Es war just Mittagszeit. Mein Begleiter führte mich in eine der Stuben in der Mauer. Die Thüre stand wie gewöhnlich offen, um Luft und Licht hereinzulassen. Der Mann war außen und in der Stube saß bloß ein Weib von ungefähr fünfzig Jahren, mit einer Arbeit beschäftigt. Sie hatte ein rundes, gesundes Gesicht ohne Schönheit, aber von sehr gutem und friedfertigem Ausdruck.

Ich fragte sie durch meinen Dolmetscher, ob sie ihren Mann liebe.

Sie antwortete, sicher und freundlich: „Ja, er ist ein guter Mann.“

Ich fragte, ob, sie ihn schon in Africa lieb gehabt habe.

„Ja in Africa.“

Ich fragte, wie viele Jahre sie mit ihrem Mann verbunden sei.

Diese Frage schien sie zu verwirren, sie lächelte und antwortete endlich, sie habe ihn immer gehabt.

Immer! Sie wußte nicht, wie groß und tief dieß Wort in ihrem Munde war. Mir ging es zu Herzen. Wochen, Monate, Jahreszeiten, Jahre, Jugend, Kraft, manche Schicksalswechsel waren unberechnet, unbemerkt, dahingegangen; Welttheil war gegen Welttheil, die Freiheit gegen die Sklaverei, die Palmhütte gegen die Bohea, das Freiheitsleben gegen das Arbeitsleben vertauscht worden — Alles hatte gewechselt, aber eines hatte festgestanden, eines war sich gleichgeblieben — ihre Liebe, ihre Treue. Sie hatte ihn immer gehabt, den Mann, den sie liebte; er hatte sie immer gehabt. Von allem Wandelbaren und Vergänglichen wußte sie Nichts, sie konnte nicht rechnen — sie wußte von der Zeit bloß, was in ihr ewig war. Sie hatte ihren Gatten immer gehabt, und sie wollte ihn immer haben. Das stand deutlich geschrieben in ihrer ruhigen Miene und in ihrer Stimme. Es konnte nicht anders sein.

„Die Liebe bedarf der Rückenlehne der Pflicht,“ sagte Geijer einmal, als er von der Ehe sprach. Es ist so. Aber schön ists diese natürliche Ehe zwischen zwei verwandten Seelen, rein und stark bloß durch das Gesetz der Liebe, inmitten der wilden Regellosigkeit der Bohea zu sehen. Und dieß zwischen zwei schwarzen Menschen, zwei wilden Kindern der Wüste! …

Dichter und Philosophen haben von Seelen gesprochen, die zu Gatten prädestinirt seien. Hier fand ich zwei solche. Sie hatten einander immer gehört. In[WS 1] der Tiefe von Gottes Wesen hatten sie einander angehört und sollten einander in aller Zeit angehören, d. h. in Ewigkeit.

Der Mann kam herein, so lang ich noch in der Stube war. Er schien von demselben Alter zu sein wie das Weib; er hatte denselben Ausdruck der Gutmüthigkeit wie sie, und in seinem Lächeln lag ein gebundener Sonnenschein, ein heiterer Lichtstrahl, der sich gern hätte Bahn brechen und von Herzens Grund leuchten mögen. Man bemerkt diesen gebundenen Sonnenstrahl häufig in den Gesichtern dieser Kinder des Gefängnisses. Sie haben ihn an sich als Mitgift aus ihrem sommerwarmen Mutterland und ihrem ersten Freiheitsleben.

Von diesem Ehepaar ging ich in die Gefängnißzelle, wohin die Sklaven, Männer sowohl als Weiber, nachdem sie eine Strafe erlitten haben, gebracht werden, so lange ihr Gemüth noch gährt nach dem erlittenen Schmerz. Sie werden da in Eisen an einen hölzernen Tisch festgemacht und sitzen so an Händen und Füßen gefesselt, Männer sowohl als Weiber, bis sie wieder ruhig werden. Man sagt, sie werden fett, so lange sie hier seien. Das Gelaß war jetzt leer und nur von Schaaren von Flöhen bewohnt.

Wie muß ich mich wundern, daß der Selbstmord unter diesem Volke nicht häufiger vorkommt! Wie stark und zähe muß nicht der Lebensinstinct sein! …

Die Zuckermühle hier bietet ein in seiner Art interessantes und pittoreskes Schauspiel dar. Die athletischen Gestalten der halbnackten Africaner, die an den Oefen oder an den siedenden Zuckerkesseln in den großen dunkeln Sälen stehen oder verschiedene Geschäfte verrichtend hin und hergehen, gewähren einen seltsamen Anblick. Und ich kann nicht ohne Bewunderung und Vergnügen die wilde, aber ruhige Majestät in ihrer Haltung und ihren Bewegungen, wie auch die düstere Energie in ihren Gesichtern sehen. Bildhauer müßten die africanischen Büsten und Schultern sehen und abbilden. Sie scheinen gemacht, um den Atlas zu tragen. Und obschon der Atlas der Sklaverei auf ihnen ruht, sind sie gleichwohl noch stark, entsetzlich stark, wenn die Stunde der Rache schlägt. Jetzt sind sie schweigsam und düster. Spanische Aufseher in weißen Blousen und mit Peitschen oder kurzen vierkantigen Stöcken in den Händen stehen oder sitzen da und dort auf den hohen Plätzen in den Sälen, um die Arbeit zu überwachen, und Morgens trinken sie dabei ihren Kaffee mit Weißbrod. Sie scheinen mir von Gestalt und Aussehen geringer und unbedeutender zu sein als viele der schwarzen Sklaven. In den Sklavenstaaten Americas bekommt man keinen Begriff von der eigenthümlichen Schönheit der africanischen Negergestalt, besonders bei gewissen Volksstämmen. Die eingebornen Sklaven daselbst sind ein schwächeres und sanfteres Geschlecht. Der wilde Körper ist zahm geworden.

Mehrere der Sklaven, die nach Cuba kommen, sind auch Fürsten und Häuptlinge in ihren Stämmen, und ihre Stammesgenossen, die ihnen in die Sklaverei auf den Plantagen folgen, widmen ihnen fortwährend tiefe Verehrung und unbedingten Gehorsam. Ein ganz junger Prinz des Luccomeerstammes, den man nebst zehn andern Luccomeern auf eine Plantage gebracht hatte, wurde verurtheilt gestraft zu werden, und die andern sollten dem Brauche gemäß bei der Strafe zusehen. Als der junge Prinz auf den Boden gelegt wurde, um gepeitscht zu werden, legten sich alle seine Begleiter gleichfalls auf die Erde und verlangten seine Strafe zu theilen. Dieser rührende Beweis von Loyalität entlockte den groben Henkersknechten nur das rohe Versprechen, daß ihnen ihr voller Antheil an der Peitsche nicht entgehen solle, sobald sich Gelegenheit dazu finde. Dieß geschah nicht auf dieser Plantage.

Die Maschinerie macht bei dieser Zuckermühle mehr Arbeit als auf Ariadne. Statt einer stehenden Rinne, in welcher das Zuckerrohr von Menschenhänden zu und von den Mühlsteinen geführt wird, ist hier eine bewegliche Rinne, die von einer Menge Räder in einer langen Reihe, eines ums andere, von einer Thüre der Zuckermühle zur andern gerollt wird, und sie führt dann die Rohre mit sich, die bloß an der Eingangsthüre von Menschenhänden dahin abgeladen werden. Und jetzt kannst Du genug haben von der Zuckermühle. Aber bevor ich die Bohea verlasse, will ich noch ein paar Worte über die Regierung dieser Bevölkerung sagen. Sie besteht außer dem Herrn in einem Oberaufseher, der Mayoral genannt wird, und einen Contramayoral unter sich hat, der zuweilen ein Neger ist. Auf größeren Pflanzungen,[WS 2] wie auf dieser, hat man mehrere weiße Untermayorale. Auf der Tüchtigkeit, Klugheit und Menschlichkeit der Mayorale beruht grosentheils der Zustand der Sklaven und ihre Stimmung auf den Plantagen. Aber nicht selten ist auf Cuba die grausame Ermordung von Mayoralen Zeuge gewesen von ihrem despotischen Verfahren und von der Raserei, zu welcher gewaltsamer Druck das von Natur geduldige und leicht darniedergebeugte Negervolk treiben kann.

So hart die Sklaverei für die Bevölkerung der Bohea ist, und obschon die Pflanzer ganz naiv die meisten der für die Freiheit der Sklaven günstigen Gesetze Spaniens ignoriren, obschon auch hier das Recht des Gesetzes erdrückt wird unter dem Recht der Willkür, so können doch die Windhauche des Freiheitslebens nicht ganz von der Bohea ausgeschlossen werden. Der Sklave weiß, daß er sich loskaufen kann, und er weiß Mittel, um Geld zu erwerben. Die Lotterie ist auf Cuba eines der hauptsächlichsten Mittel dazu für die Negersklaven, und viele verstehen dieß mit Klugheit zu benützen. So zum Beispiel treten die Mitglieder einer gewissen Nation zusammen, um eine ganze Menge von Nummern zu kaufen, die unmittelbar hinter einander kommen. Von zehn oder zwanzig Nummern in einer Reihe kommen bei jeder Ziehung gewöhnlich eine oder zwei heraus; der Gewinn fällt dann der Nation zu und wird unter die Mitglieder derselben vertheilt. So wird erzählt, daß die Nation der Luccomeer in Havannah neulich 11000 Pesos in der Lotterie gewonnen habe, und sie soll einen Theil davon zum Loskauf mehrerer Sklaven ihrer Nation anwenden. Wenn ich mich nicht täusche, so ist auch ein Luccomeeneger auf dieser Pflanzung mit Zustimmung des Eigenthümers neulich für 200 bis 300 Dollars losgekauft worden. Ja — einige werden frei, aber viele, viele werden es nie.

Was mein eigenes Leben hier betrifft, so ist es so frei und behaglich, wie ich es nur wünschen kann. Frau von Coninck ist eine äußerst angenehme und aimable Gesellschafterin, sie läßt mir alle Freiheit, die ich wünsche, und ist unendlich liebenswürdig gegen mich. Morgens gehe ich allein aus, besuche die Bohea der Sklaven oder streife auf der Pflanzung umher; ich genieße die Luft, zeichne Bäume und Blumen. Mit der armleuchterartigen Pflanze, von der ich weiter oben gesprochen, habe ich hier nähere Bekanntschaft gemacht. Sie ist ein Blumenstengel auf einem Busch der Aloëfamilie, der Peta genannt wird; sie schießt alle drei Jahre aus ihrer Wurzelpflanze (einem Busch mit steifen dornigen Blättern) auf und trägt auf ihren Armen Büschel von graugelben Blumen, welche Früchte bringen. Sie schießt fünf bis sechs Ellen hoch auf, treibt binnen zwei Monaten Blüthen und Früchte, und dann vertrocknet sie. Sie sieht seltsam und recht zierlich aus. Ich habe sie abgezeichnet. Hier sind auch ein paar merkwürdige Ceibabäume, der eine merkwürdig durch seine Schönheit, der andere durch seine Abscheulichkeit, seinen tragischen Kampf mit der Schmarotzerpflanze. An den Zuckerrohrfeldern entlang sind hohe wilde Hecken mit sauern Orangen und mehreren tropischen Baumarten.

Während der heißesten Vormittagszeit bleibe ich still in meinem freundlichen, gemüthlichen Stübchen und schreibe oder male. Kurz vor dem Mittagessen gehe ich zuweilen aus, sehe mich in der Bohea um oder stelle mich unter einen Mangobaum an einem Kreuzweg, um da im Schatten einige Windhauche aufzufangen. Nachmittags fahre ich meistens mit Frau von Coninck in ihrer Volante aus; ihre junge Tochter und Mr. W. begleiten uns zu Pferde. In der offenen Volante in dieser himmlisch milden Luft über die Erde hinzuschaukeln ist der ruhigste, lieblichste Genuß, den man sich denken kann.

Abends ist die Familie beisammen. Ich spiele dann amerikanische Märsche, auch Tänze und andere muntere Stücke nebst dem Yankee doodle für den alten Herrn, der sich dabei an die Thaten seiner Jugend erinnert und neues Leben in seinen erlahmten Beinen verspürt. Noch später gehe ich auf die Piazza, sehe die Sterne funkeln in der schwarzen Nacht und trinke Lufthauche, die hier nicht so lebensvoll wie in Matanzas, aber immerhin voll von Lieblichkeit sind.

Zu meinen Vergnügungen gehört auch die Beobachtung der Colibri in dem Gärtchen. Morgens und gleich nach Mittag kann man mit Gewißheit darauf rechnen, daß sie kommen und die Blumen, vorzugsweise die rothen, umschweben. Im Garten hier sind ein paar Büsche mit sehr zierlich rothen Blumen — man nennt den Busch la coquette — über welchen sich immer kleine Colibri halten, deren Brüste selbst zierlich roth sind wie Feuerblümchen. Sie sind die zierlichsten Geschöpfe, die man sich denken kann, und fett wie Domherrn. Sie sitzen gleichsam in der Luft, indem sie auf ihren Flügeln eine gute Weile über der rothen Blume schweben, in welche sie dann ihre Schnäbel tauchen; wie graziös dieß ist, läßt sich nicht beschreiben. Die Coquette und ihr beflügelter Liebhaber sind ein bezaubernder Anblick. Ich habe hier drei Arten von Colibri gesehen. Den mit den Farben der Morgenröthe, von dem ich jetzt gesprochen habe; einen kleinen smaragdgrünen Colibri von feinerem Körperbau, und einen grünen mit einer Haube und gelben Striemen auf dem Kopf. Mitunter setzen sie sich auf einen Zweig, und wenn sie dann auffliegen, lassen sie ein leises, feines Gezwitscher vernehmen. Sie sind bösartig gegen einander und verfolgen sich gegenseitig wie kleine Pfeile in der Luft, wenn sie sich mitunter als Rivale einer und derselben Blume nähern.

Außer diesen unaussprechlich niedlichen Geschöpfchen sehe ich hier eine Art schwarzer Vögel, ungefähr so groß wie Dohlen. Sie gleichen den amerikanischen Amseln und heißen Mazitos oder Solibios (oder Solivios, denn man läßt hier sehr häufig v in b und b in v übergehen, so sagt und schreibt man auch ebenso oft Havannah als Habannah). Ich sehe sie oft auf den Zweigen der armleuchterartigen Peta sitzen. Diese eigenthümlichen Vögel sollen eine Art von Communisten sein, in Gesellschaft leben, ihre Eier zusammenlegen, zusammen ausbrüten und ebenso auch die Jungen ätzen, ohne zwischen mein und dein zu unterscheiden.

Die Colibri haben augenscheinlich ein ganz anderes Temperament und sind heftige Anticommunisten.

Jetzt naht der Frühling im Schweden heran, und ich hoffe, daß Du zu guter Zeit Anstalten triffst, um nach Marstrand zu kommen, und daß Du wenigstens ein paar Monate dort verweilst. Geht Alles so, wie ich hoffe und es zu veranstalten suche, so komme ich im August nach Hause. Ach, wenn ich dann wie vor zwei Jahren Dein liebes freundliches Gesichtchen, Deine blauen Augen am Ufer sehen könnte, wie lieb wäre das! Und wie wollten wir dann zusammen nach Hause gehen und unsere Mama umarmen, und wie schrecklich viel wollten wir zusammen denken und plaudern!

Die Hitze beginnt jetzt hier stark zu werden, und ich fühle sie so ermüdend, daß ich glaube, ich werde schon am 8. April. von Cuba abreisen, statt am 28., wie ich Anfangs im Sinne hatte. Ich reise von hier nach Charleston und Savannah, besuche ein paar Pflanzungen auf der Küste von Georgien, gehe dann nach Virginien — the old dominion —, das ich kennen lernen muß, und gedenke da den Monat Mai zuzubringen. Hierauf reise ich nach Philadelphia und von da nach New-York in meine liebe Heimath Rosenhütte zurück; von da in die weißen Berge in New-Hampshire; ich besuche Maine und Vermont; hierauf ziehe ich im Anfang Juli nach meiner ersten schönen Heimath am Ufer des Hudson, sodann nach England und dann — nach Hause.

Jetzt fahre ich in einigen Tagen nach Cardinas, einem Städtchen am Meeresufer, komme aber dann hieher zurück. Die gefällige Frau von Coninck leiht mir ihre Volante.

  1. Diese armen Menschen werden hier nicht öffentlich verkauft, sondern unter der Hand. Sie sollen äußerst geschwächt sein und ganz elend aussehen, wenn sie nach der Reise von Africa her, die für sie ein dreiwöchiges Märtyrerthum ist, ans Land gebracht werden, und man muß sie einige Zeit gut nähren und pflegen, bevor sie Käufer anlocken können.
  2. Es wird dadurch gepflanzt, daß man es der Länge nach in die Erde legt, von wo die Schößlinge aufschießen. Die Blüthe ist eine Rispe, nicht unähnlich derjenigen, welche das Schilf bei uns trägt, und soll aus einer Menge so kleiner Blumen bestehen, daß man sie mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen vermag. Aber nur äußerst selten sieht man das Zuckerrohr blühen. Herr Chartrain hatte es noch nicht gesehen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Iu
  2. Vorlage: Pflanzungeu
Dreiunddreißigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Dritter Band
von Fredrika Bremer
Fünfunddreißigster Brief
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