Die Heimath in der neuen Welt/Erster Band/Achter Brief

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Siebenter Brief Die Heimath in der neuen Welt. Erster Band
von Fredrika Bremer
Neunter Brief
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Textdaten
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Autor: Fredrika Bremer
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Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band
Untertitel: Achter Brief
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Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
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Verlag: Franckh
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden. Första delen.
Originalsubtitel: Åttonde brefvet
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
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Achter Brief.
Boston, den 1. Januar 1850. 

Ein glückseliges neues Jahr allen Lieben daheim!

Dank, theuerstes Kind, für Deinen Brief. Er war mir eine herzliche Freude und Erquickung; denn wenn auch das Eine und Andere seine unerfreulichen Schatten hatte, so fühlte ich doch einen frischen Gruß durch den Brief wehen, der mir sagte, daß Du an Seele und Leib gesund bist. Und wie angenehm, Dich ausgehen und bei den Verwandten rechts und links zu Gast essen zu sehen! Und dann all diese Kleinigkeiten daheim (dieser neue Bediente z. B., der so beharrlich hinter Deinem Stuhl festgenagelt steht und Dir dann aus lauter Ehrfurcht und Eifer die Thüren zu öffnen in den Weg springt) ach! wie lustig so Etwas zu hören und wie spaßhaft es in einer Entfernung von etlichen tausend Meilen aussieht! Daß Mama so munter, Charlotte wieder um so Vieles besser und Hagland mit seiner Wirksamkeit auf dem Lande so zufrieden ist, das alles freut mich von ganzem Herzen.

Ich schreibe Dir jetzt wieder in Benzons Haus, in einem kleinen schönen Salon sitzend, der mit grünem Sammt möblirt und mit schönen Gemälden und Kupferstichen an den Wänden geschmückt ist, und ich kann Dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, daß ich hier wieder auf einige Zeit (wenigstens auf einen Monat) Frieden habe, denn ich bedarf der Ruhe für Seele und Leib, und ich könnte unmöglich mehr Ruhe, Freiheit und Komfort finden, als ich hier habe. Ich war eine Zeit lang nicht ganz wohl; das ewige Umherziehen und Gesellschaftsleben mit seinen unaufhörlichen Anforderungen an die körperlichen und geistigen Kräfte war mir viel zu viel, und ich war nahe daran, Schlaf und Seelengesundheit zu verlieren. Aber Gott sei Dank! beides wird jetzt nach mehrtägiger Ruhe und dem Gebrauch einer Art von Chinadekokt, was mir meine liebe Doctorin gegeben hat, mit Riesenschritten zurückkehren und — „noch lebt Hakon Jarl!“ Aber anders lebt man hier doch als in Europa. Das Klima und die Nahrung sind anders, und ich glaube nicht, daß diese letztere für das Klima paßt.

Der Abschied von Lowells wurde mir schwer. Sie sind unendlich liebenswürdig, und ich liebe sie wahrhaft schwesterlich. Miß Hunt entführte mich mit Gewalt. Ich hatte keine große Lust sie zu besuchen, aber ich habe weit mehr Freude davon gehabt als ich ahnen konnte. Fürs erste war es angenehm, diese ganz eigenthümliche Individualität näher kennen zu lernen. Man kann bessere Manieren, mehr Takt u. s. w. haben, unmöglich aber ein besseres Herz, mehr Wärme für Menschenwohl und im Ganzen mehr praktische Tauglichkeit. Sie ist aus einer Quäckerfamilie, und mit dem bestimmten Willen und der Thatkraft, die dem Charakter dieser Sekte angehört, beschloß sie für sich und ihr Geschlecht eine Bahn zu brechen, deren Betretung sie für das Weib wichtig glaubte, und zu der sie sich besonders angezogen fühlte. Sie nahm nebst einer jüngern Schwester Privatunterricht bei einem geschickten und wohlwollenden Arzt, und hat jetzt, nachdem die Schwester sich verheirathet, seit zwölf Jahren als Frauenzimmer- und Kinder-Doctorin praktizirt, sich Vertrauen und Vermögen, wie auch das zwar bescheidene aber recht angenehme Haus, das sie bewohnt, erworben und — wie ich von mehreren Seiten gehört habe — einer Menge Frauenzimmer in Krankheiten und Nöthen ihres Geschlechts Hülfe geleistet. Besonders ist sie den Weibern der größern Arbeiterklasse eine Wohlthäterin gewesen und hat auch für sie Vorlesungen über Physiologie gehalten, die von Hunderten besucht wurden. Sie las mir ihre Vorträge vor, und der erste, den ich hörte, die Einleitung, flößte mir eine so hohe Meinung von der guten Doktorin und ihrem Standpunkt ein, daß ich mich recht herzlich darüber freute und jetzt erst vollkommen einsah, wie wichtig es ist, daß auch Weiber sich an der medizinischen Wissenschaft betheiligen. Ihre Ansicht vom menschlichen Körper und seiner Verpflegung war durch und durch religiös, und wenn sie den Weibern ans Herz legte ihre eigenen und ihrer Kinder Leiber zu verpflegen, so that sie dies, weil die Bestimmung derselben eine hohe ist, weil sie Wohnungen der Seelen und ein Tempel Gottes sind. Es war in Allem ein Ernst und eine Einfachheit, eine Klarheit der Darstellung, eine Richtigkeit und Reinheit, die dem höchsten Stil angehört und auf jedes reine Menschenherz, besonders auf jedes Mutterherz wirken muß. Und wenn man bedenkt, wie wichtig die rechte Verpflegung des Weibes und Kindes für das ganze kommende Geschlecht ist, wie viel dabei auf Diät und eine Wartung ankommt, die dem Gebiet und Blick des Arztes entgeht und die nur das Weib recht zu kennen vermag — wer kann da an der Richtigkeit einer Aerztin zweifeln, bei welcher die Wissenschaft dem natürlichen Scharfblick zu Hülfe kommt, so daß sie befähigt ist die beste Helferin und Rathgeberin für Weiber und Kinder zu werden?

Daß die Weiber einen natürlichen Scharfblick und Talent zum ärztlichen Beruf besitzen, das beweisen zahllose Beispiele aus der Erfahrung aller Zeiten und Völker. Und es ist Sünde und Schande, daß man bisher eine Entwicklung dieser Gaben durch die Wissenschaft nicht gestatten wollte. Wie viel Gutes könnten nicht z. B. Hebammen, besonders auf dem Lande unter den Bauern, ausrichten, wenn sie mit den Kenntnissen, die man ihnen beibringt, um ein Kind zur Welt zu fördern, auch das nötige Wissen verbänden, um der Mutter und dem Kind zu einem gesunden Leben zu verhelfen? Aber das hat man versäumt, und man versäumt es noch immer, und diese Versäumniß rächt sich durch Tausende von kränklichen Müttern und kränklichen Kindern. Kommt jetzt dazu, daß der natürlich religiöse Sinn des Weibes und ihre Neigung, das Leben und die Dinge aus einem centralen, heiligenden Gesichtspunkt zu betrachten, sie dazu befähigt auch das Geringste als von diesem Gesichtspunkt aus wichtig anzusehen, daß sie von Natur mütterlichen Instinkt und mütterliche Liebe hat, wie gut paßt sie dann nicht zur Priesterin in dem Tempel, wo das Kind Gott, dem Gott der Gesundheit und Heiligkeit geweiht werden soll! Wie heilig ist nicht ihr Recht, sich dazu einweihen zu lassen!

In alten weisen Zeiten waren die Aerzte auch Priester und wurden zu heiligen Mysterien eingeweiht. Die Nachkommen Aeskulaps waren eine heilige Familie und unter ihnen befanden sich auch Frauen. Hygiea, eine der Töchter Aeskulaps, wurde die Göttin der Gesundheit genannt. Aus ihrer Familie stammte Hippokrates. Wir sprechen noch jetzt von Hygiea, aber wir lassen es beim Sprechen bewenden. Sie muß auf die Erde gerufen werden, man muß ihr als Weib und Priesterin Raum und Rechte gestatten, wenn sie der Erde einen neuen Hippokrates schenken soll.

Aber zurück zu meiner kleinen irdischen Doctorin, die gleichwohl nicht ohne diesen himmlischen Funken ist, welcher sie berechtigt, der Familie der Asklepiaden anzugehören. Man sieht das an ihrem Blick und hört es auch oft an ihren Worten. Bei ihr sah ich verschiedene emancipirte Damen, solche nämlich, die öffentliche Vorlesungen halten, bei Antisclavereiversammlungen als Rednerinnen auftreten u. s. w. Eine von ihnen frappirte mich durch die pittoreske Schönheit ihrer Gestalt und ihres Kopfes, mit ihrem blassen, edeln Gesicht und dem üppigen goldnen Haar, sowie durch die vollkommene Milde und Lieblichkeit in ihrem ganzen Wesen und ihrer Sprache, verbunden mit mannhafter Kraft des Willens und der Ueberzeugung. Es war Mrs. Pauline Davis von Providence. Sie hat mehrere Jahre lang mit großem Erfolg öffentliche Vorträge über Physiologie gehalten, die von den grobarbeitenden Klassen sehr besucht waren. Sie und meine liebe Doctorin sind innig befreundet. Ich sah auch ihren Mann, Mr. Davis, der ein denkender Mann und mit seiner Frau und ihrer Thätigkeit vollkommen einverstanden zu sein scheint. Ich versprach ihnen einen Besuch in Providence. Ich hörte hier Verschiedenes von der Sekte der Schäker und ihrem Staat; meine kleine Doctorin ist Aerztin in einigen solchen Familien, sie las mir ein paar Briefe von ihrem „Aeltesten“ vor, mit schönen frommen Gedanken und Ergießungen, aber von sehr beschränktem Horizont. Ich wurde auch eingeladen, die Schäkerversammlung in der Nähe Bostons, in Haward, zu besuchen, wo medicinische Baumgärten angelegt sind. Ich werde diesen wunderlichen Menschenschlag gerne näher besehen. Ich sah hier allerlei neue Leute und Gäste, denn meine kleine Doctorin scheint einen großen Gesellschaftskreis zu haben. Jeden Abend nach vollbrachter Tagsarbeit las sie aus der Bibel vor, und wir verrichteten unsere Gebete nach alter puritanischer Weise. Mein Besuch und das neue Lebensgemälde, das ich hier sah, wirkte wahrhaft erfrischend auf mich. Aber froh war ich, in Benzons Haus zur Ruhe zu kommen, wo Mrs. K.[WS 1] keine drei Worte des Tags spricht, aber freundlich und artig ist, wo eine ehrliche, gutmütige Deutsche, Christine, sowohl das Haus als mich wohl verpflegt, und wo ich einen großen Theil des Tages allein sein darf, denn Benzon ist auf seinem Comptoir außer dem Hause beschäftigt. Wenn er Abends nach Hause kommt, ist er recht gemüthlich und angenehm, liest mir vor, oder unterhält mich mit Gespräch. Ich habe bis jetzt weder Besuche, noch Einladungen angenommen, habe aber den Montag als meinen Empfangtag festgesetzt. Jetzt will ich in Ruhe Athem schöpfen, lesen und ein wenig schreiben. Aber heute werden Benzons mich zu einem Besuch bei Lowells führen, die ich mit einigen Kleinigkeiten überraschen will, von denen ich hoffe, daß sie ihnen Vergnügen machen werden. Man fühlt sich so arm, wenn man immer nur empfangen soll.


Den 8ten Januar. 

Und jetzt, mein liebes Kind, habe ich Deinen zweiten Brief erhalten. Und Deine Briefe — hörst Du — die darfst Du nicht verachten! Daß ich aus ihnen just ersehen kann, wie es daheim steht, das ist Alles was ich wünsche, es mag nun trübe oder sonnig sein, und Deine Briefe können mir nichts Angenehmeres geben, als die einfache Wahrheit, als die Wirklichkeit so wie sie ist. Und, meine liebe Agathe, bedenke stets, daß Frühling und Sommer wiederkehren werden, daß die Sonne hinter den Wolken ist und zu ihrer Zeit hervorkommt. Es ist ein altes Lied, aber ich habe seine Wahrheit so oft erprobt, und erprobe sie auch in der neuen Welt.

Wir haben jetzt hier einen vollkommen schwedischen Winter, und zwar heute so grau und kalt, wie wir es nur je in Stockholm haben können. Und ich bin just etwas vergnügt darüber, daß ich es nicht besser habe, als meine Freunde in Schweden. In Benzons Haus befinde ich mich ganz vortrefflich, aber daß ich irgend etwas für mich bezahlen dürfte, davon ist gar keine Rede. Benzon reist am Donnerstag nach Europa ab, kommt aber erst im Mai oder Juni nach Stockholm. Er besucht dann Mama und Dich und bringt Euch meine Grüße.

Gestern Vormittag hatte ich „reception“ zwischen 12 und 4 Uhr; ich sah da eine Menge Leute und erhielt eine Masse Einladungen. Eine Person, mit der ich mich wohl etwas mehr befreunden werde, ist Mrs. Bryant, eine noch junge vermögliche Wittwe mit einem einzigen Kind, einem prächtigen jungen Mädchen. Sie sieht gut aus, ist eine sehr gebildete und angenehme Dame und unendlich liebenswürdig gegen mich; sie hat, wie sie sagt, keinen andern Wunsch, als sich mir nützlich zu machen, fährt mit mir aus und sucht mir auf die angenehmste, zartsinnigste Art alles mögliche Vergnügen zu bereiten. Bei ihr bin ich gerne; nichts stößt mich von ihr ab und viel zieht mich zu ihr hin, besonders ihr stilles Wesen; es gibt mir Ruhe. Wir können schweigend neben einander im Wagen sitzen, und das gefällt mir.

Ich habe auch die „conversations“ des Transcendentalisten Alcott besucht und sogar ein wenig an der Unterhaltung Theil genommen. Es kommen vierzig bis fünfzig Personen dazu, die alle auf Bänken sitzen. Alcott sitzt der Versammlung gegenüber an einem Pult und beginnt das Gespräch damit, daß er etwas vorliest; das letztemal las er aus den Schriften des Pythagoras. Er ist ein schöner und sanfter Mann, aber — ein Träumer, dessen pythagoreische Weisheit die Menschen der Jetztzeit kaum weiser machen wird. Er selbst lebt seit vielen Jahren blos von Brod, Obst, grünen Gemüsen und Wasser. Dasselbe muthet er jetzt auch allen andern Menschen zu, und dann werden sie schöne, gute und glückliche Menschen werden. Die Sünde wird durch die Diät verjagt werden. Und die heilige Fluth des Enthusiasmus wird beständig strömen durch den mittelst der Diät geläuterten und gereinigten Menschen.

Sowohl der Vortrag als die Unterhaltung bewegten sich in den Wolken, obschon ich einige Versuche machte sie herauszuziehen. Alcott trank Wasser und wir tranken — Nebel. Er hat mich ein paarmal besucht, und er interessirt mich als eine Studie. Vorgestern brachte er den Abend mit mir und Benzon zu und traktirte uns mit verschiedenen Stücken aus seiner Lehre. Alle blonden und blauäugigen Menschen gehören zu den Lichtnaturen, zum Reich des Lichtes und der Güte (ich glaube, daß Lowell für Alcott das Ideal von einem Sohne des Lichtes ist); Alle mit dunkeln Augen und dunkeln Haaren sind von der Nacht und vom Bösen. Ich nannte Wilberforce und mehrere Kämpen des Lichts mit dunkeln Köpfen. Aber auf Einwendungen hört der gute Alcott ganz und gar nicht und seine Unterhaltung besteht darin, daß er selbst sprechen und urtheilen will. Wir tranken Thee, und ich suchte Alcott zu überreden, daß er wenigstens ein Glas Milch nehmen solle. Aber das war eine allzu thierische Nahrung. Er wollte nichts Anderes nehmen, als ein Glas Wasser und ein Stück Brod. Er ist wenigstens ein Transcendentale, der lebt wie er lehrt.

Für diese Woche habe ich einige Einladungen angenommen. Am Sonntag werde ich mit Laura Bridgeman bei ihrem zweiten Schöpfer, dem Director der Taubstummenanstalt, Doctor How, zu Mittag essen. Seine liebenswürdige Frau war hier, um mich einzuladen.

Den 9ten Januar.  

Jetzt muß ich meinen Brief schließen, denn Benzon geht auf seine Reise. Ich werde ihn sehr vermissen, denn er war unbeschreiblich freundlich und liebenswürdig gegen mich, und überdieß hat er Alles so für mich angeordnet, daß man sich gar nichts Besseres und Bequemeres denken kann. Heute werde ich über Mittag und Abend fort sein, so auch morgen, und morgen Vormittag werde ich in Gesellschaft Charles Sumners, des jungen Riesen und Juristen, verschiedene öffentliche Anstalten besehen. Ich beginne jetzt wieder herumzuvagieren. Könnte man es nur mit Maaß thun! Aber das hat seine Schwierigkeiten hier zu Land.

Bergfalk ist wieder in New-York. Wir werden vermuthlich später nicht mehr viel zusammentreffen, denn seine Wege sind nicht meine Wege, außer in unserem gemeinschaftlichen Zweck und Ziel — Schweden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Mrs. King, Vorlage: Mrs. H.
Siebenter Brief Die Heimath in der neuen Welt. Erster Band
von Fredrika Bremer
Neunter Brief
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