Die Heimath in der neuen Welt/Erster Band/Siebenter Brief

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Sechster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Erster Band
von Fredrika Bremer
Achter Brief
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Textdaten
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Autor: Fredrika Bremer
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Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band
Untertitel: Siebenter Brief
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Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Franckh
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden. Första delen.
Originalsubtitel: Sjunde brefvet
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
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Siebenter Brief.
Harward College (Cambridge.)
Massachusetts, den 15. Dezember. 

Jetzt, mein geliebtes Kind, darf ich im Frieden ein wenig mit Dir plaudern. Jetzt mußt Du und Mama von meiner Ankunft in diesem Land und von meinem ersten Schicksal, und wie gut es mir gegangen ist und noch geht, wissen. Aber ich bin wieder so hungrig nach Briefen von daheim und gräme mich darüber, daß ich seit meiner Ankunft erst einen einzigen erhalten habe, und daß ich nicht weiß, wie Du Dich von Deiner Krankheit erholst, und wie Mama und Alles zusammen sich befindet. Ich muß jedoch bald darüber Etwas erfahren, und Gott gebe, daß es gut stehen möge! Das letzte Mal schrieb ich Dir von Boston. Ich lebte da einige Tage mit meinen Freunden Springs, in einem unaufhörlichen Douchebad von Zerstreuungen, die mir manchmal angenehm waren, manchmal aber mich halb zur Verzweiflung brachten und kaum zu Athem kommen ließen. An einige Tage und Stunden werde ich immer mit Vergnügen zurückdenken. Darunter steht in vorderster Reihe ein Vormittag, wo ich einige von Massachusetts edelsten Männern um mich erblickte: Alcott, den platonisirenden Idealisten, mit einem ausgezeichnet schönen, blassen, silberhaarigen Kopf, die Gebrüder Clarke, den Philantropen Barnard, den Dichter Longfellow, den jungen ächt amerikanischen Dichter Lowell, einen wahren Apollo von Ansehen u. s. w. W. Emerson kam auch, mit einem lichten Strahl in seinem starken Gesichte, und schönere Leute, vollkommenere Gestalten — beinahe alle hoch und wohlproportionirt — kann man nicht leicht zu sehen bekommen. An einem andern Vormittag sah ich die ausgezeichneten Juristen Wendel Philips und Charles Sumner, einen jungen Riesen von Gestalt, ferner Garrison, einen der ausgezeichnetsten Kämpen in den Reihen der Abolitionisten, der deßhalb auch bei einem Auflauf vom Pöbel in — Boston, glaube ich, mit Ketten um den Hals, wie ein Missethäter in den Straßen herumgeschleppt wurde. In seinem schönen Gesicht und seinen klaren, adlerkräftigen Augen erkannte man den muthigen Sinn, der Märtyrer macht. Ich sagte ihm aufrichtig meine Ansicht, daß die Uebertriebenheit im Verfahren der Abolitionisten, ihr Mangel an Billigkeit und der gewaltsame Ton in ihren Angriffen ihrer Sache nicht nützen könne, sondern eher schaden müsse. Er antwortete gutmüthig: „Man muß das ganze Brod verlangen, wenn man hoffen will, das halbe zu gewinnen.“ Er äußerte sich mild über die Sklavenbesitzer im Süden, sagte, er schätze viele von ihnen persönlich, aber die Sklaverei hasse er und werde sie beharrlich als den größten Feind Amerikas bekämpfen. Und ein Mann, der Mißhandlungen durch den Pöbel erlitten, Halseisen und Hohn ertragen hat, aber dennoch wie vorher feststeht, wie vorher fortkämpft, ein Mann von solchem Willen und Charakter verdient alle Achtung.

Diese Herren führten zwei neuerdings entflohene Sklaven, William und Helena Kraft, zu uns. Sie war beinahe weiß, etwas blaßgelb, hatte die Züge des weißen Volksstamms und ein nicht schönes, aber sehr intelligentes Gesicht; er war ein vollkommener Neger, aber von ungewöhnlicher Schönheit. Sie waren auf die Art entkommen, daß sie sich als Mann verkleidet und er ihren Bedienten vorgestellt hatte. Um ihren Namen nicht in die Fremdenbücher schreiben zu müssen (denn sie konnte nicht schreiben), hatte sie den rechten Arm in der Binde getragen und ein Leiden an demselben vorgeschützt. So waren sie glücklich auf die Eisenbahn aus dem Süden und in die nördlichen freien Staaten gekommen. Sie schienen sich ungemein glücklich zu fühlen. Ich fragte die Frau: „Warum entflohen Sie von Ihrem Herrn? War er hart gegen Sie?“ — „Nein,“ antwortete sie, „man hat mich immer gut behandelt. Aber ich floh, weil man mir meine Menschenrechte nicht einräumen wollte. Ich durfte nie Etwas lernen, weder lesen noch schreiben.“ — Man bemerkte bei ihr die Wißbegierde der weißen Race. „Wie ist’s,“ sagte Jemand in der Gesellschaft zu dem Neger, „man behauptet, es sei nicht wahr, was die Abolitionisten von der Behandlung der Sklaven sagen, daß sie oft gepeitscht und übel zugerichtet werden. Reisende, die aus dem Norden kamen und sich lange in den südlichen Pflanzungen aufhielten, haben nie so Etwas gesehen.“ William lächelte und sagte mit feinem Ausdruck: „Man gibt auch den Kindern in Gegenwart der Gäste die Ruthe nicht, sondern nur, wenn diese es nicht sehen.“ Diese ehemaligen Sklaven beklagten sich beide nicht über ihre Herren. Und ich, obschon ich, wie jeder denkende Christ, die Sklaverei als System und Einrichtung verdammen muß, ich warte mit einem Urtheil über amerikanische Sklavenbesitzer und die Sklaverei in Amerika, bis ich die Sache in der Nähe gesehen habe. Ich bin aus Erfahrung mißtrauisch gegen den Parteigeist und seine Blindheit, und wo ich diese wirksam sehe, kann ich nicht mit einstimmen, sondern fühle mich zum Widerspruch geneigt. Ich will wenigstens das Für und Wider in der Frage sehen und hören. Gerechtigkeit und Billigkeit vor Allem!

Zwei Abende war ich im Theater und sah Miß Charlotte Cushman, die angesehenste Schauspielerin der Vereinigten Staaten, in zwei Rollen, worin sie hier und in England großes Aufsehen gemacht hat, nämlich als Meg Merrilies und als Lady Macbeth. Miß Cushman hatte gleich bei meiner Ankunft in New-York an mich geschrieben und sich freundlich erboten, mir in Allem, was sie könnte, nützlich zu sein. Hier in Boston stellte sie mir eine Theaterloge zur Verfügung, was mir recht angenehm war, da ich auch meine Freunde dahin einladen konnte. Miß Cushman ist eine tüchtige Schauspielerin, die viel Energie, aber zu wenig weibliche Anmuth und zu wenig Farbe in ihrem Spiel, besonders zu wenig Milde besitzt. Dies gilt hauptsächlich von ihrer Meg Merrilies, die eine entsetzliche Schöpfung ist. Miß Cushman hat in ihr blos die Hexe, blos das Schreckliche in der Natur dargestellt. Aber auch die schrecklichste Natur hat Augenblicke und Züge der Schönheit; es gibt da Sonne, Ruhe, Thau, Vogelsang. Ihre Meg Merrilies ist eine wilde Klippe im Meer, beständig von Stürmen umbraust und mit Wolken und Wellen kämpfend. Als Lady Macbeth war sie auch zu hart und männlich. Blos in der Nachtscene erschien sie mir schön, und den ängstlichen klagenden Ton, den sie ausstößt, als sie das Blut nicht von ihren Händen abwaschen kann, den werde ich nie vergessen. Er ging mir durch Mark und Bein, und ich hörte ihn noch, ich höre ihn immer in trüben Stunden und Erscheinungen. Persönlich gefiel mir Miß Cushman sehr gut. Man sieht in ihr deutlich eine ehrliche, kräftige Seele, die das Leben und ihren Beruf ernst auffaßt. Sie hat sich durch große Schwierigkeiten ihren Weg zu dem Platze gebahnt, den sie jetzt in der allgemeinen Anerkennung und Achtung einnimmt. Sie gehört einer alten puritanischen Familie an und hat, nachdem ihr Vater in unglückliche Umstände geraten war, durch ihr Talent ihre Mutter und ihre jüngeren Geschwister unterhalten. Sie sieht im Zimmer beinahe besser aus als auf der Bühne; die ehrlichen blauen Augen, die verständige Stirne und der offene, redliche Ausdruck in ihrem ganzen Wesen und Gespräch, alles das macht, daß man sehr gerne um sie ist.

Viel erwärmendes Wohlwollen wurde mir in Boston zu Theil, so viel daß ich gar nicht Alles erzählen kann. Ach an Wärme fehlt es hier nicht, mein gutes Agathchen, und das jugendliche Gemüth der Bevölkerung macht, daß man dies sehr deutlich empfindet. Aber das Unglück ist, daß man blos eine einzige Person gegen viele ist, und daß die Kräfte und die Launen nicht ausreichen, um mit all diesem Wohlwollen zu kämpfen, das sich doch so schön empfindet. Meine einzigen ruhigen Stunden in Boston waren die, wo ich zu Wagen in den Straßen umherrollte, um Anstalten zu besehen oder Besuche zu machen. Gleichwohl waren diese Tage durch allerlei Dinge angenehm, besonders durch den Umgang mit meinen liebenswürdigen Freunden Springs. Auch sie erfreuten sich ihrer und waren vergnügt. Angenehme Dinge und angenehme Menschen kamen täglich und stündlich; neue Pläne zu neuen Vergnügungen, und von Tag zu Tag verschoben Springs ihre Rückreise nach New-York und ich meinen Abschied von ihnen. Meine kleine Aerztin Miß Hunt machte alle Tage Jagd auf mich, um mich in ihre Wohnung zu bekommen. Lowells kamen, um mich nach Cambridge abzuholen; aber wir, ich und meine Freunde, waren unverbesserlich, wir trotzten allen Grundsätzen persönlichen Worthaltens und üblicher Ordentlichkeit, und hatten just in Munterkeit und unschuldigem Uebermuth beschlossen in unserer Grundsatzlosigkeit fortzufahren und noch ein Paar Tage in lustigem Sichgehenlassen in Boston zusammenzubleiben, als zwei telegraphische Depeschen hintereinander, die erste an Markus, die zweite an Rebekka ankamen mit den Worten: Euer kleines Kind ist sehr krank. Jetzt war es mit allem Vergnügen aus. Rebekka schwamm in Thränen der Angst; Markus traf mit Kummer in seinem guten Gesichte sogleich alle Anstalten zur Abreise, und zum guten Glück konnten sie schon ein Paar Stunden später mit der Eisenbahn abziehen und am nächsten Morgen früh in ihrer Wohnung Rosenhütte anlangen, wo Rebekka ihren kleinen Jungen todt zu finden fürchtete. In derselben Stunde, wo sie abreisten, wurde ich von dem schwedischen Consul Benzon in sein Haus abgeholt. Er und Markus und Rebekka hatten dieß meinetwegen so veranstaltet. Ich konnte nicht ohne Thränen von ihnen scheiden. Ich hatte mich mit ihnen glücklich gefühlt; sie sind so vortreffliche Menschen und ich hegte jetzt so inniges Bedauern mit ihnen, obschon es unmöglich ist, einen Kummer schöner zu nehmen, als sie thaten. Und dann sind sie so unbeschreiblich gut gegen mich gewesen! Ich vermag nicht ohne Rührung daran zu denken und kann es in Briefen gar nicht beschreiben. Zum Schluß mußte ich mit ihnen streiten, aber vergebens, um meinen Aufenthalt in Boston bezahlen zu dürfen. Sie behaupteten, ich sei ihr Gast, und ich durfte nicht das Geringste an dem theuern und prächtigen Leben bezahlen, das ich diese Tage in Revere House geführt hatte. Und die Art, wie sie mir diese Artigkeit erwiesen, als eine Ehre und Artigkeit, die ich ihnen selbst anthue — ich habe nie so etwas gesehen.

Ich nahm es beinahe als ausgemacht an, daß Springs ihren kleinen Jungen todt antreffen würden, so heftig sollen die Zuckungen in Folge des Zahnens gewesen sein, von denen er befallen war, und Rebekka erwartete an der Thüre ihres Hauses die Worte hören zu müssen: Er ist nicht mehr hier, er ist erstanden! Aber einen Tag nach ihrer Abreise kam eine gedruckte telegraphische Depesche mit den Worten: „Liebe Freunde, freut euch mit uns, Baby ist besser; die Gefahr beinahe vorüber. Markus.“ Wie herzlich mich das freute!

Abends war ich mit Benzon und Bergfalk, sowie mit einem jungen Mr. King, einem lebhaften hübschen Mann und Freund von Springs, in einem Concert, das die Musikgesellschaft gab, und zwar war ich da auf Grund eines Billets, das mich und meine Freunde einlud, diesen Concerten den Winter über unentgeltlich anzuwohnen. Und ich hörte da Beethovens vierte Symphonie, vortrefflich ausgeführt von einem zahlreichen Orchester. Das zweite Adagio darin ergriff mich mit seltsamer Gewalt. Ach, wer hat diesen Mann gelehrt, das innerste Leben des Herzens so zu verstehen, sein Emporstreben, sein Sinken und Wiederauferstehen, seinen endlichen Kampf, seine Anstrengung und seinen Sieg! Nie hat eine Instrumentalmusik einen tiefern Eindruck auf mich gemacht, als dieses herrliche Adagio. Seine Töne waren für mich wie die Geschichte meiner eigenen Seele.

Am Sonntag war ich wieder in Mr. Parker’s Predigt. Er sprach kräftig und unumwunden sein Glaubensbekenntniß aus, und ich freute mich über seine Aufrichtigkeit und seinen Muth, obschon ich mich über das Glaubensbekenntniß nicht freuen konnte, das eine sehr unverständige Auffassung der christlichen Offenbarung war und in Christus blos einen menschlichen Morallehrer, aber als solchen das Ideal und Vorbild der Menschheit erkannte. Parker gehört der unitarischen Sekte und zwar derjenigen Fraktion derselben an, welche die Wunder und alles Wunderbare in der heligen Geschichte läugnet. Wirklich anstößig für mich war Parkers Behauptung, daß Christus selbst kein anderes Verhältniß zu Gott in Anspruch nehme, als dasjenige, das allen Menschen angehöre, daß er in der Geschichte blos als ein bescheidner junger Mann aus Galiläa dastehe. Wie kann ein wahrheitsliebender Mann die heilige Geschichte und Aussprüche wie folgende: „Wer mich siehet, der siehet Gott! Der Vater ist in mir und ich in ihm“ — und: „Mir ist verliehen alle Macht im Himmel und auf Erden“ — und mehrere ähnliche lesen und dennoch mit einer solchen Behauptung kommen?

Nach der Predigt kamen einige mir unbekannte Frauenzimmer freundlich und eifrig auf mich zu, nahmen mich bei der Hand, hießen mich willkommen und sagten: „Hoffentlich sind Sie befriedigt“ u. s. w. Ich aber antwortete: „Ganz und gar nicht,“ und lehnte es ab, mit dem Prediger bekannt gemacht zu werden; ohnehin finde ich den hier üblichen Brauch, in der Kirche gleich nach dem Gottesdienst gegenseitige Vorstellungen zu machen und Gespräche anzuknüpfen, sehr lästig und nicht an seinem Platz.

Nachmittags las Benzon Mr. King, Bergfalk und mir einen „Versuch über den amerikanischen Geist“ von einem Mr. Whipple vor, eine lebhafte und nicht ohne Genie geschriebene Abhandlung mit großen Ideen. Man sprach viel von der Schrift und auch uns gab sie viel zu reden. Abends hatte ich einen Besuch von Mr. Parker. Ich liebe allen Muth und alle rückhaltslose Aeußerung von Ansichten und Ueberzeugungen so sehr, daß ich Parker die Hand reichte und ihm aufrichtig für seine Aufrichtigkeit dankte. Aber ich sagte ihm auch offen meine Einwendungen gegen seine Christologie und wir führten eine lange, aber ganz ruhige Controverse mit einander. Ich fand Parker unendlich angenehm in der Unterhaltung, er hörte mild, ernst und herzlich alles an. Ich erklärte ihm auch meine Einwürfe gegen den unitarischen Standpunkt im Allgemeinen, weil von diesem aus viele der größten und wichtigsten Fragen über Gott, die Menschheit und das Leben ungelöst bleiben und nie gelöst werden können. Parker hörte mich sehr freundlich und ernst an und gab auch Mehreres zu, unter Anderem die Möglichkeit von Wundern, wen man sie blos als die Wirkung einer Kraft betrachte, die nicht außer, sondern in der Natur liege — die Natur im großen Maßstabe genommen. Parker hat einen Sokrateskopf, ein reines und stark moralisches Gemüth. Er ist gleich Waldo Emerson entzückt von dem sittlichen Ideal, er hält es mit kräftigen lebendigen Worten den Menschen vor und will dadurch eine höhere Liebe für Wahrheit und Recht in ihrer Brust erwecken. Aber als Theolog ist Parker nicht stark und spricht nicht gut von dem Höchsten und Herrlichsten in den Lehren der Offenbarung, denn er versteht das nicht. In seiner Polemik gegen die versteinerte Orthodoxie, die versteinerte Kirche ist er oft glücklich und wahr. Aber ich glaube, daß man von ihm dasselbe sagen kann, was Jemand von einem größere Mann, nämlich Luther, gesagt hat: „il a bien critiqué, mais pauvrement doctriné.“ (Er hat gut kritisirt, aber selbst eine armselige Lehre aufgestellt). Aber Parker forscht mit Ernst und sagt seine Gedanken ehrlich heraus, und das ist immer ein großes Verdienst. Mehr kann man von einem Menschen kaum verlangen. Dabei soll er sehr gut sein, viel Gutes thun und ich glaube das nach seinen warmen schönen Augen. Der Mann gefiel mir.

Am folgenden Tag wurde ich von Benzon nach Cambridge geführt zu Lowells, deren Haus mir eigentlich durch Downing geöffnet worden ist, welcher an Lowell geschrieben hat, wie sehr seine Poesien mir gefielen.

Hier bin ich jetzt eine Woche gewesen und dürfte noch eine Woche dableiben, denn man will mich durchaus behalten, und ich will auch gerne bleiben, weil ich mich in diesem guten angenehmen Hause ungemein wohl befinde.

Das Haus und die kleinen Besitzungen um dasselbe gehören dem Vater des Dichters, dem alten Doctor Lowell, einem schönen, allgemein verehrten und geliebten Greis und dem ältesten Geistlichen in Massachusetts. Er hat alle Bäume um das Haus her gepflanzt und es befinden sich darunter viele nordische Tannen. Um den ehrwürdigen alten Herren versammelt sich die Familie alle Tage zum Morgen- und Abendgebet, und er ist es, der jede Mahlzeit segnet. Seine stets improvisirten Gebete sind voll von wahrem und innigem Leben, und ich empfinde sie wie einen lieblich erfrischenden Thau über meinem Haupte und stehe selten trockenen Auges von ihnen auf. Bei ihm wohnt sein jüngster Sohn, der Dichter mit seiner Gattin, ein so schönes und glückliches junges Paar, wie man sich nur eines denken kann. Er ist voll von Leben und jugendlichem Feuer; sie ist mild und fein und weiß, wie eine Lilie, eine der lieblichsten Frauen, die ich noch in diesem Lande gesehen habe, denn ihre Schönheit ist voll von Seele und Anmuth, und so ist Alles, was sie thut und sagt. Die zwei jungen Gatten gehören zu denjenigen Menschen, von denen man gewiß ist, daß man nicht eine Stunde, ja nicht eine halbe Stunde mit ihnen uneins sein könnte. Sie ist gleich ihm eine poetische Natur und hat auch, aber anonym, einige Gedichte geschrieben, die sich durch tiefes und feines Gefühl, das eigentlich mütterliche Gefühl, auszeichnen. Sonderbar genug bemerke ich bei ihm nicht den tiefen und ernsten Geist, der mich in mehreren seiner Poesien bezaubert hat. Er scheint mir vorzugsweise glänzend, witzig, heiter, besonders Abends, wo er das hat, was er sein Abendfieber nennt, und seine Rede ist wie ein unaufhörliches Feuerwerk. Ich finde ihn sehr angenehm und liebenswürdig. Er soll unter den jungen Männern viele Freunde haben. Von seinen Poesien haben die satyrischen und witzigen am meisten Popularität gewonnen, so z. B. seine Fabel „für Kritiker“, worin er sich auf gutmütige Weise über Schriftsteller und Schriftstellerinnen Neuenglands lustig macht (nur eine von ihnen, Miß M. Fuller,[WS 1] ist scharf mitgenommen). So haben auch seine politischen und satyrischen periodischen Schriften viel Glück gemacht.

Zu seinen Verdiensten zähle ich, daß er von seinem Weibchen ganz bezaubert ist, denn das bin ich selbst auch. Es ist eine Spur von Schönheit und Geschmack in allem, was sie mit dem Geist oder Körper berührt, und überall verschönt sie das Leben. Unter den hübschen Sachen, die sie im Hause um sich her schafft, habe ich ein kleines Bassin voll von niedlichen Steinen und Schnecken bemerkt, die sie selbst gesammelt hat; sie liegen glänzend in kristallhellem Wasser; rund umher sind Zacken von Korallen. Nur Schade, daß diese liebliche junge Frau eine schwache Brust zu haben scheint. Ihre schwache‚ sanfte Stimme zeugt dafür. Zwei schöne kleine Mädchen Mabel und Rosa (letztere noch an der Mutter Brust), und eine ältere Schwester des Dichters, eine von den guten sorgsamen Seelen, bilden den übrigen Theil der Familie im Hause. Der heimliche Kummer darin ist die Frau des alten Vaters, die Mutter des Dichters, die in stillem Wahnsinn in ihrem Zimmer eingeschlossen lebt und für Fremde unsichtbar ist.

Ich habe hier einige Herren von der Universität gesehen, die mich interessirten, unter ihnen Mr. Everett,[WS 2] einen Mann von vieler Gelehrsamkeit und feiner Weltbildung‚ vormals Botschafter am großbritannischen Hofe; ferner den schweizerischen Professor und Naturforscher Agassiz, einen Mann von äußerst angenehmem Wesen und Umgang, und der hier seine Braut, eine hochgewachsene, blonde junge Amerikanerin, vorstellte. Endlich einen Professor der Astronomie, Holmes, glaube ich, heißt er, mit einem schönen ernsten Christuskopfe und zwei hübschen Töchtern. Ich habe auch einige Besuche gemacht.

Das Tagesgespräch ist der Mord, welchen der Chemieprofessor Webster an dem Professor Parkman verübt haben soll. Man spricht für und wider. Ein Freund des Angeklagten, ein achtungswerther Richter, F., sagte, er sei vollkommen von seiner Unschuld überzeugt. So auch eine hübsche und kluge Mrs. Ferrars, die ihn viel gesehen hat, und zuletzt noch ein paar Tage nach dem begangenen Morde, wo er den Abend bei ihr zubrachte, Whist spielte und ganz besonders heiter und angenehm war. Der junge Lowell dagegen glaubt Webster schuldig, und schließt das aus verschiedenen Dingen, die er von seinen Jugendgefährten über seinen Charakter und seine Antecedenzien gehört hat. Er soll lange über seine Mittel gelebt haben und die Ursache zum Mord war eine kleine Geldsumme, ein paar Hundert Dollars, die er von Professor Parkman entlehnt hatte, der ihm keine Ruhe ließ, bis er sie zurückbezahlt hatte. Dieser Parkman soll ein ganz besonderer Mann gewesen sein. Trotz seines Reichthums konnte er arme Leute, denen er Geld geliehen, auf’s Aeußerste verfolgen und quälen, bis sie ordentlich das Capital zurück oder die Zinsen bezahlt hatten. Dagegen konnte er am andern Tag diesen Leuten das Geld als Geschenk oder unter irgend einem Vorwand zuschicken, aber niemals als von ihm selbst, sondern als von einem andern kommend. Vor den Menschen wollte er als die schonungslose Gerechtigkeit erscheinen. So soll er Webster eine Zeit lang verfolgt haben, bis dieser ihn, unter dem Vorwand sein Geschäft mit ihm abzumachen, in das chemische Laboratorium in Boston verlockte, wo er sich seiner entledigte; auf welche Art weiß man noch nicht. Man hat blos Ueberbleibsel des Leichnams entdeckt, die Webster theils zu verbrennen, theils zu verbergen suchte. Webster läugnet die That hartnäckig, hat aber im Gefängniß einen Versuch gemacht sich zu vergiften, was den Verdacht gegen ihn verstärkt.

Am Ende der nächsten Woche verlasse ich Lowells und bleibe ein paar Tage bei meiner lieben Doctorin, die mir früher weder Rast noch Ruhe gönnte; dann bleibe ich in Benzons Haus vermuthlich bis ich Boston verlasse. Benzon hat so mit Rebekka Spring gesprochen, daß sie mich dazu überredet hat, und so wie sie die Sache vor- und angestellt haben, ist es mir gut und angenehm. Benzon ist unverheirathet, aber da die Frau seines Associé, Mrs. King, seinem Hauswesen vorsteht, so kann ich ohne Bedenken da sein, und kann mich auch, da Benzon zu Anfang Januars nach Europa reisen wird, bei ihr einakkordiren. Dieß ist für mich höchst angenehm, auch vom ökonomischen Gesichtspunkte aus betrachtet. Benzon ist ein sehr guter Mann von edlem Gemüth und feiner Bildung; fein und zartfühlend in seinem Benehmen, so daß man von ihm eine solche Artigkeit gern annehmen und sich dabei an seinem Umgang erfreuen kann. Ich werde überdieß in seinem Hause freier und ruhiger sein, als ich in irgend einem andern, das ich kenne, oder in irgend einem von denen, die sich mir freundlich geöffnet haben, sein könnte. Denn dort müßte ich Gesellschaftspflichten erfüllen, die ich hier nicht habe. Und ich glaube, daß es gar nicht besser um mich bestellt sein könnte, als es jetzt ist.

Den 18. Dezember. 

Guten Morgen, meine liebe Agathe, an diesem hellen, etwas windigen und kalten Tag. Ich sah die Sonne heute früh aufgehen und durch die Zweige vor dem Fenster in mein Bett hereinleuchten. Und Schweden und meine Lieben kamen mir ganz nahe im Sonnengruß durch die Zweige, und ich grüßte die neue Sonne für sie wie für mich, und grüßte diese neue Welt, die mir so viel Anregendes und Interessantes gegeben hat und täglich giebt. Ich habe jetzt in Cambridge einige stille Tage verlebt, die ruhigsten, die ich hatte, seit ich in dieses Land kam, und habe blos Abends Besuche angenommen und Gesellschaft gesehen. Bergfalk ist jetzt auch in Cambridge und fühlt sich glücklich in Gesellschaft einer Bibliothek von 40,000 Bänden nebst verschiedenen Rechtsgelehrten, die ihn mit Freundschaft umfassen. Mit ihm und seinem jungen Wirth besah ich dieser Tage die Universitäts-Gebäude und die Bibliothek. In der letzteren fand ich zu meiner Ueberraschung eine Rubrik, worin die schwedische Literatur nicht schlecht vertreten war. Dieß ist das Verdienst des Dichters und Professors Longfellow, der selbst in Schweden gereist ist, diese Bücher hierhergeschafft und überdieß selbst verschiedenes über Schweden geschrieben, wie auch mehreres von Tegner’s Gedichten übersetzt hat. Ich sah unter den schwedischen Büchern auch die Eddas. Bergfalk ergriff das westgothische Gesetzbuch, das er wie einen alten guten Freund behandelte, und zeigte unsern Begleitern Beispiele der Alliteration, die in früheren Zeiten in der Schrift unserer Väter so gebräuchlich war, und von welcher diese Herrn miteinander gesprochen hatten. Audebon’s großes Werk über Amerikas Vögel, ein wahres Prachtwerk und dabei ein wirklich geniales Buch, habe ich auch in der Bibliothek gesehen.

Zu den Besuchen, die mich interessirten, gehört der von einer Mrs. Russel und ihrer Tochter Ida. Ida ist in Schweden geboren, wo ihr Vater vor vielen Jahren Geschäftsträger war; sie kam noch als Kind aus dem Lande, hat aber Schweden und die Schweden lieb behalten. Sie ist eine schöne, anmuthsvolle junge Dame. Ihre Mutter sieht aus, wie die Güte selbst. „Ich kann Ihnen nicht viel Vergnügen versprechen,“ sagte sie (sie hatten mir ihre Wohnung angeboten), „aber ich will Sie verpflegen“ (I will nurse you). Ich mußte sie für ihre gute, mütterliche Absicht umarmen; aber ach! was mir Noth thut, das ist nicht, daß ich beständig von Haus zu Haus herumflattere, sondern daß ich einige Zeit Ruhe bekomme. Ich versprach jedoch, auf Weihnachten zu ihnen zu kommen (sie wohnen einige Meilen jenseits Boston auf dem Lande), und sie wollen dann ein nordisches Fest veranstalten mit Weihnachtsbäumen, Weihnachtslichter und Weihnachtsgeschenken. Ich merke schon, es soll ein großes Spektakel werden. Aber mehr als alle Weihnachtslichter und Weihnachtsgeschenke bedarf ich — ein wenig Ruhe.

Den 23. 

In dieser Woche habe ich mehreren Diners angewohnt. Das erste war ein recht gemüthliches Mahl bei Professor Longfellow und seiner schönen, gefälligen Frau, in ihrer schönen Wohnung, in Gesellschaft mit Miß Ch. Cushman und Miß Haze, einer interessanten jungen Engländerin von unabhängigem, edlem Wesen, die mit ihr reist und ihre Freundin ist, Charles Sumner und einigen andern Herrn. Longfellow war ein angenehmer Wirth und traktirte uns mit amerikanischen Weinen, Sherry und Champagner — letzterer nach meinem Dafürhalten besonders gut, aus Catabatrauben bei Cincinnati bereitet. Ferner bei einer angenehmen, gefälligen Mrs. Ferrans, deren Mann ein Märtyrer des Nervenleidens ist, das hier zu Lande manche Märtyrer hat. Ich konnte mich kaum der Thränen enthalten, als ich ihn erblickte; er sah so leidend und so vollkommen geduldig aus, wie er ganz lahm in seinem Schaukelstuhl dasaß. Ferner bei einem Professor Parsens, einem Svedenborgianer, der sich sehr freundlich gegen mich zeigte.

Ferner bin ich bei einer — Biene gewesen, und willst Du wissen, was dieses Geschöpf im Gesellschaftsleben hier bedeutet, so — merk wohl auf. Eine Familie geräth durch Krankheit oder Feuersbrunst in Armuth, die Kinder haben keine Kleider u. s. w. Sogleich treten Frauenzimmer aus dem Bezirk, die sich in guten Verhältnissen befinden, zusammen, vereinigen sich zum Ankauf von Kleiderzeug und versammeln sich dann an einem bestimmten Ort, um die Kleider zu nähen. Eine solche Zusammenkunft nennt man eine Biene. Und jetzt war eine Biene bei Mrs. Spark, der Frau des Präsidenten in Cambridge, um für eine Familie zu arbeiten, die durch eine Feuersbrunst alle ihre Kleider verloren hatte. Ich wurde eingeladen dazu zu kommen. Der Bienenkorb war gemüthlich, fleißig und munter; er hatte, wenn auch keinen Honig, doch vortreffliche Milch und Kuchen den Arbeitsbienen zu bieten, unter denen ich natürlich Platz nahm, aber ohne großen Lärm zu machen.

Ein lustiger kleiner Professor K., Däne von Geburt und ächter Däne an Naivität und Redseligkeit, hat uns mehrere Male besucht und belustigt. Er hat sich mit einem polnischen Professor zusammen geschlagen, der ebenso groß und stattlich als der Däne klein und lebhaft ist, und die Beiden sind beständig beisammen, disputiren und peroriren und singen jeder sein Lied auf eine so kontrastirende Art und Weise, daß Maria Lowell und ich neulich einmal Abends laut auflachten. Ein Professor Desor, Schweizer und Naturforscher wie Agassiz, hat mich durch seine naturgeschichtlichen Anekdoten und seine freundliche Aufmerksamkeit interessirt.

Abends spät, wenn ich und meine jungen Freunde allein sind, lesen wir einander vor — Maria ließt die Poesien ihres Mannes bezaubernd schön — oder ich erzähle ihnen Stücke aus Romanen und Liebes- oder auch Gespenstergeschichten aus Schweden, oder ich ersuche sie mir solche zu erzählen. Das thue ich gewöhnlich, so bald ich mich in einem Haus recht eingewohnt habe. Aber die neue Welt ist zu jung und hat zu wenig alte Häuser und alten Schutt, als daß Gespenster da fortkommen könnten, und die Liebesgeschichten scheinen nicht merkwürdig genug zu sein, um historisch zu werden, außer in den Häusern und Herzen, wo sie im stillen leben. Aber jedes Haus, worin ich eine Zeit lang gelebt habe, gibt mir dennoch seine Liebesgeschichte als seine beste Blume, bevor ich es verlasse, und das freut mich immer sehr, und ich bewundere die Mannichfaltigkeit der Kniffe, die der blinde (oder auch hellsehende) Gott anwendet, um aus Zweien Eins zu machen.

Ich gehe täglich aus, entweder mit meinen jungen Freunden oder allein. Mit ihnen besah ich dieser Tage Mount-Auburn, Bostons großen Begräbnißplatz, eine romantische, parkartige Gegend mit Höhen und Thälern und schönen Bäumen. Die Ulmen scheinen die Lieblingsbäume von Massachusetts zu sein. Ich habe nirgends so große und schöne Ulmen gesehen wie hier. Palmartig schießen sie mit riesenartigen Stämmen in die Höhe und breiten so ihre Kronen aus, indem sie ihre Zweige auf die weichste, graziöseste Art herabbeugen. In diesen jetzt laublosen Zweigen sehe ich oft wohlgebaute Vogelnestchen hängen, die mit ihnen im Winde umherschwanken. Es ist da ein sehr hübscher kleiner Vogel Namens Oriole, der so sein Nest zur Wiege für seine Jungen baut, und sein Gesang soll sehr lieblich sein. So hat er in den Zweigen einer ungeheuren Ulme in Cambridge gebaut, welche die Washingtonsulme heißt.

Das Wetter ist meistens schön und sonnig, und die Farbe des Himmels ist von einer wunderbaren Klarheit und Kraft. Ihre Helle und Durchsichtigkeit entzückt mich, und so bezauberte mich das Wetter gestern; es war wie ein Frühlingstag. Ich gehe oft in einer Gegend spazieren, wo der Weg bald aufhört, die Aussicht aber sich weit über grasbewachsene Felder hindehnt; rundum steht am Horizont entlang Tannenwald, und überall, nah und fern, kommen kleine Gruppen von weißen Häusern und Kirchen zum Vorschein. Das Gras ist jetzt verwelkt und gelb, aber wenn der Wind darüber fährt, so führt er einen gewissen wundersam lieblichen Wohlgeruch mit sich, der eigenthümlich auf mich wirkt. Holde, rührende Erinnerungen, geliebte Gesichter, Blicke und Stimmen kommen darin zu mir, tausend Gefühle, Gedanken und Ahnungen; das Leben wird zu voll, das Herz übervoll und — meine Augenquellen fließen über. Wie dem sein mag, ich fühle mich weniger stark als früher, und oft habe ich ein Gefühl von Fieber. Ich bedarf der Ruhe. Das sagen auch Viele; aber nicht Viele gönnen mir sie. Will sehen, will sehen, ob ich nach Miltonhill (zu Russels) fahren und die Weihnachten feiern kann. Ich möchte es gern, ich habe es auch im Sinn, aber! …


Den 25. Dezember. 

Ach nein! Es wurde nichts aus dieser Fahrt. Ich hatte bereits meinen Koffer zu packen begonnen, aber es wollte nicht gehen und der Muth entsank mir. Ich schickte Russel meinen Gegenbefehl durch einen jungen Herrn, der zum Fest fahren sollte, und so konnte ich den Weihnachtsabend ganz allein mit Maria Lowell zubringen. Ich nähte, sie las mir aus der just an diesem Tag erschienenen neuen Arbeit Lowells vor; so sprachen wir still und innig aus offenen Herzen und Seelen, so wie man nur im Himmel sprechen kann. Es war ein lieblicher, stiller Abend. Die ganze übrige Familie befand sich bei einem Familienschmaus in Boston. Im vorigen Jahr brachte ich den Weihnachtsabend in Dänemark zu, bei der schönen und guten Königin Karoline Amalie; das Jahr vorher mit dir in Arsta, mit Weihnachtsbäumen und Traktament und Tanz für unsre Landeskinder — eine lustige Genosenschaft! — Sodann am Morgen im Frühgottesdienst. Und jetzt, diesen Abend in einem andern Welttheil, allein mit dieser lieblichen jungen Frau — welch wechselreiche Lebensbilder!

Morgen werde ich dieses Haus und Cambridge verlassen. Ich habe mehrere Häuser in der Gegend besucht; alle sind sich gleich in Einrichtung, Sauberkeit, Ordnung und Comfort; bei einigen ist etwas mehr, bei andern etwas weniger Schönheit, das ist der Hauptunterschied. Longfellows Haus gehört zu den schönsten und künstlerisch interessantesten, die ich hier gesehen habe. Einen schönen Schmuck habe ich oft in den Häusern hier, wie auch in den andern kleinen Häusern Neuenglands, die ich besuchte, gesehen, nemlich große Bukette, wahre Riesenbukette von den schönen Grasgewächsen des Landes, die, nach diesen Exemplaren zu urtheilen, gleichfalls der Riesennatur angehören. Diese prangen als Zierpflanzen in den Vasen im Salon und sind auch an andern Orten angebracht. Man sieht oft kleine Kolibri — leider nicht lebendig — unter den Gräsern flatternd. Auch habe ich Gruppen von schönen Vögeln und Schnecken des Landes die Zimmer schmücken gesehen, und finde das sinnreich und im besten Geschmack. Auch wir in Schweden könnten solche Dinge haben, wenn wir näher betrachten wollten, was der liebe Gott in seiner Gnade uns geschenkt hat.

Ich kann Dir gar nicht sagen, wie freundlich Lowells gegen mich gewesen sind und noch sind; ich habe ihre Bilder in meinem Album und in meinem Herzen, und Du wirst sie an beiden Orten sehen.

Jetzt muß ich Dir Lebewohl sagen und ich küsse Dich und Mama im Geiste. Ich meine immer euch beiden zugleich zu schreiben. Und meine Lieben, möchte ich bald gute Nachrichten von euch erhalten! Das wird das beste Weihnachtsgeschenk sein, das ich bekommen kann.

Fast hätte ich vergessen — und das wäre nicht recht gewesen — Dir von dem Besuch zu erzählen, den mir an einem dieser Abende der Quäcker und Dichter Whittier machte, eine der reinsten und begabtesten Dichternaturen der nördlichen Staaten, glühend für Freiheit, Wahrheit und Recht, dafür kämpfend in seinen Gesängen und gegen ihre Feinde im Staatsleben der neuen Welt — einer jener Puritaner, die mit dem Unrecht, in welcher Form es immer erscheinen mag, keine Umstände machen und keinen Vergleich eingeben wollen. Er ist eine schlanke, hohe Gestalt, hat einen schönen Kopf, feine Züge, schwarze Augen voll Feuer, dunkle Farbe, ein freundliches Lächeln, ein lebhaftes Wesen. Aber Geist und Seele haben die Saiten der Nerven überspannt und zehren an dem Körper. Er gehört zu den Naturen, die fest und freudig dem Richtblock entgegengehen würden als Märthyrer einer großen Sache, die sich aber in einer guten Gesellschaft nicht heimlich fühlen, sondern aussehen, als wollten sie jeden Augenblick nach der Thüre springen. Er lebt mit seiner Mutter und Schwester in einem ländlichen Hause, wohin ich zu kommen versprochen habe. Ich fühle, daß ich mich bei W. wohl befinde, und daß er bei mir zur Ruhe kommen könnte. Ich weiß aus eigener Erfahrung, was diese durch übermäßige Anstrengung des Hirns verursachte nervöse Scheu besagen will, und wie Personen, die daran leiden, behandelt werden müssen.

Etwas Botanik habe ich hier auch gesprochen mit dem ausgezeichneten Professor der Botanik Asa Gray, welcher kam und mir einen duftenden Veilchenstrauß schenkte. Deßgleichen verehrte er mir aus seinem Herbarium einige Exemplare der amerikanischen Linnaea borealis, die unserer schwedischen gleicht, aber bedeutend kleiner ist und etwas verschiedene Blätter hat. Ich dachte, ich würde hier zu Lande so viel botanisiren; aber — ich weiß nicht, wie es geht.

Der artige Downing schenkte mir dieser Tage einen großen Korb, einen wahren Riesenkorb voll der allerprächtigsten Aepfel, die ebenso zierlich als gut sind, und ich hatte die Freude, meine jungen Freunde damit traktiren zu können. Downings und Springs sind ganz unvergleichlich gegen mich gewesen und sind es noch immer.

Unter meine Curiosa aus Cambridge rechne ich auch die Einladung, die ich eines Abends erhielt, auszugehen und in Gesellschaft mit Adam und Eva im Paradies zu spazieren. Der Herr, der diese Einladung, zuerst schriftlich, und dann mündlich, an mich richtete (ich glaube, er zeigt eine Art von Wachsfigurenkabinett) gab mir zu verstehen, daß verschiedene Herrn von der Akademie bei dieser Gelegenheit sich einfinden würden, um im Paradies, in Gesellschaft mit Adam und Eva, meine Bekanntschaft zu machen. Du erräthst wohl, was ich antwortete. Schöne Gesellschaft!

Schließlich muß ich Dir wohl auch ein Paar Wörtchen von Cambridge sagen. Es ist ein anmuthiges Städtchen mit kleinen weißen Häusern[1], kleinen Höfen und Gärten, und schönen hohen Bäumen — ordentlich, zierlich, aber einförmig. In die Länge könnte ich, wohl in Versuchung geraten, hier zu singen:

Stets ein und dasselbe versauert das Leben,
Der Wechsel allein nur kann Lieblichkeit geben.

Die Universität wird von ungefähr 500 Studirenden jährlich besucht. Sie ist von einem Unitarier angelegt und dotirt, und soll der unitarischen Kirche in die Hände arbeiten. Die Naturwissenschaften werden hier viel studirt. Aber jetzt sagt man, das Beispiel des Chemieprofessors Webster beweise, daß sie zur Seligkeit nicht genügen. Seine Mordgeschichte ist fortwährend das allgemeine Tagesgespräch, und immer mehr häufen sich die Beweise für seine Schuld. Aber er leugnet beharrlich. Das Ereignis ist in dieser Gesellschaftsspähre ganz beispiellos und erscheint Jedermann beinahe unglaublich.


  1. Auch hier hat man mir mehrere sehr schöne Häuser gezeigt, wovon das eine einem Maurer, das andere einem Schneider, das dritte einem Zimmermann gehört, so allgemein scheint hier die grobe Arbeit zu Ehre und Haus zu führen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: W. Fuller
  2. Vorlage: Evenett
Sechster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Erster Band
von Fredrika Bremer
Achter Brief
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