Die Heimath in der neuen Welt/Erster Band/Dreizehnter Brief

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Zwölfter Brief Die Heimath in der neuen Welt. Erster Band
von Fredrika Bremer
Vierzehnter Brief
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Textdaten
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Autor: Fredrika Bremer
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Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band
Untertitel: Dreizehnter Brief
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Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
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Verlag: Franckh
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden. Första delen.
Originalsubtitel: Trettonde brefvet
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
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Dreizehnter Brief.
Charleston, den 12. April. 1850.  

Ich sehe eine reiche südländische Schönheit, auf schwellendem Blumenbett im Schatten von Nektarinen ruhend, umgeben von dienstwilligen Sclaven, die auf ihren Wink alle köstlichen Früchte und Zierrathen der Welt herbeibringen. Aber all ihre Farbenpracht, der Glanz des Auges, die feine Röthe auf ihrer Wange, und die Pracht, die ihr Lager umgibt[WS 1], können den Mangel an Gesundheit und Kraft, den Wurm, der in ihrem Innern zehrt, nicht verdecken. Diese weiche, üppige Schönheit ist — Südcarolina.

Und gleichwohl, meine Agathe, ist sie schön, und ich habe mich unaussprechlich erfreut an ihrer eigenthümlichen Farbenpracht, die für mich so lieblich, so reich, so neu ist.

Ich verweile jetzt 14 Tage hier, und obschon es meistens Regenwetter war, was es auch jetzt ist, so habe ich doch hier Tage erlebt, wo ich gewünscht hätte, daß die ganze schwache, kränkliche Menschheit, und Du, meine Agatha, in vorderster Linie hiehergebracht werden, diese Luft einathmen, diese liebliche Pracht des Himmels und der Erde sehen könnte, auf daß sie, wie von einem Lebensbalsam, genesen und sich des Lebens von Neuem zu erfreuen vermöchte. Ich begreife, daß die Seefahrer, die sich zuerst diesen Küsten nahten und diese Hauche, diese Luft verspürten, ein Lebenselixir zu trinken glaubten und hier die Quelle ewiger Jugend zu finden hofften.

Während dieser bezaubernden Tage habe ich mit Mrs. Howland und andern freundlichen Bekannten Ausfahrten in die Umgegend der Stadt gemacht, Ueberall kommt man, nachdem man sich durch eine Strecke tiefen Sandes durchgearbeitet hat, — man beginnt aber jetzt allenthalben Dünenwege anzulegen, die sehr gut zu befahren sind — in den Wald. Und der Wald ist eine Art von paradiesischer Wildniß, reich an einer Menge Baumarten und Pflanzen, die ich nie zuvor gesehen habe. Nichts ist künstlich angelegt oder geordnet, sondern Alles wächst in wilder Ueppigkeit um einander her, Myrthen und Föhren, Magnolien und Cypressen, Ulmen und Eichen, nebst vielen Bäumen, deren Namen ich noch nicht kenne.

Am prächtigsten und zahlreichsten von allen Bäumen ist hier die Lebenseiche, ein Immergrün, ein ungeheurer Baum, von dessen Zweigen Massen langer Moospflanzen (oft 4-5 Ellen lang) „Tillandsia Usnoides" in schweren Draperieen herabhängen. Diese hängenden, graugrünen Moose an den massiven Zweigen sind von unendlich pittoresker Wirkung, und da, wo diese Bäume mit einiger Ordnung gepflanzt sind, bilden sie prachtvolle, gothische Naturkirchen mit schönen Arkaden und hochgewölbten Säulengängen. Unter diesen langbärtigen Patriarchen des Waldes blühen eine Menge kleinere Bäume, Gebüsche, Pflanzen und Ranken (insonderheit Weinranken), welche die Wälder mit Wohlgerüchen erfüllen, und zierlich in Hecken und hoch oben auf den Bäumen glänzen, wohin sie ihre wilden, blumenreichen Zweige werfen. So der wilde, gelbe Jasmin, der da und dort noch vorhanden ist; so die weiße Cherokeser-Rose, die ebenfalls wild und in größter Ueppigkeit wächst, so die zierlichen Schlingpflanzen, die sich überall um die Baumstämme ranken, von denen aber mehrere giftig sein sollen (und viele giftige Pflanzen sowohl als Thiere sollen sich in diesen Wildnissen vorfinden). Die Magnolie ist einer der herrlichsten Bäume des Waldes, ein hoher, dunkelgrüner Lorbeerbaum, dessen weiße Blumen als die schönsten des Südens geschildert werden, aber erst zu Ende Mais ausschlagen.

Die Stadt selbst steht jetzt in voller Blüthe. Die Gärten glänzen voll Rosen aller Art. Und beinahe jedes Haus hat seinen Garten. Der Duft von Orangeblumen erfüllt die Luft, und der Spottvogel, Nordamerikas Nachtigall, von den Indianern der hundertzüngige „Cencontlatolly“ genannt wegen seines Talents, alle Arten von Tönen nachzuahmen, singt im Käfig, in den offenen Fenstern oder vor denselben. Frei auf den freien Bäumen habe ich ihn noch nicht singen hören. In Mrs. Howlands Garten sehe ich Nektarinen und Feigenbäume Früchte ansetzen und den Carolina-Kolibri gleich einem kleinen Geisterwesen über die rothen Blumen des Gaisblatts sich hin und her schwingen, im Flug ihren Honig saugend. Das ist etwas Außerordentliches und ist etwas Schönes, meine Agatha, und ich preise mich glücklich hier zu sein.

Eine Menge freundlicher Einladungen und Besuche habe ich auch erhalten, und unter den ersteren muß ich vor allen eine Person nennen, der ich einige der schönsten Stunden, die ich hier verlebte, zu verdanken habe. Du kennst meine Neigung, beinahe auf den ersten Blick schon bestimmte Eindrücke von Personen und von meiner Beziehung zu ihnen zu erhalten. Diese Neigung oder Fähigkeit (denn sie hat mich noch nie getäuscht), hat sich geschärft, seit ich mich ganz allein auf meine Wikingerfahrt außerhalb des Reichs begab, und dabei mit einer großen Menge Menschen in unmittelbare, persönliche Berührung kam. Ich habe ganz besonders in den letzten Zeiten eine Art Quecksilberempfindlichkeit für verschiedene Temperamente oder Naturen, die sich mir nähern, erhalten und mein Gefühlsbarometer steigt oder fällt sogleich danach. So wie ich Mrs. Howland vom ersten Augenblick an liebte, so liebte ich, obschon auf andere Weise, Mrs. Hollbrook, die Frau des Naturalisten, Professors Hollbrook, von der ersten Sekunde an, wo ich sie sah und hörte. Ich wurde belebt und gleichsam erweckt von dem frischen, intelligenten Leben, daß aus dem schönen, lebensvollen Weibe sprach. Bei ihr fand ich nichts Alltägliches, nichts Conventionelles. Alles war klar, eigentümlich, munter und dabei gut. Ich empfand es wie einen Trank von dem verjüngenden Lebenselixir. Am nächsten Tag speiste ich bei Mrs. Hollbrook zu Mittag in ihrer schönen, eleganten Wohnung, wo die Meerwinde erfrischend durch die Fenstervorhänge hereinspielten. Ihre Mutter, eine schöne, alte Dame (Mrs. Rutlige) mit prächtigen Augen, ihre Schwester (Miß Lukas R.), drei idealisch schöne und anmuthsvolle Mädchen, ihre Nichten und drei recht angenehme Herrn bildeten die Gesellschaft. Mr. Hollbrook selbst befindet sich mit dem Schweizer Agassiz auf einer Naturforscher-Expedition in Florida bei den großen Morästen, welche „Everglades“ genannt werden. Nach einem ausgesuchten Mittagsmahle fuhren wir nach der „Batterie,“ der fashionabeln Promenade der Stadt, die jedoch in einem kahlen, beschränkten Platz am Meeresufer besteht, wo man sich immer in einem Kreis bewegt, so daß man alle Bekannte und Unbekannte, die da promeniren, immer und immer wieder zu sehen bekommt, eine Sache, die ich höchstens einmal im Jahr aushalten könnte, und gäbe es auch die beste Seeluft da einzuathmen. Auch Mrs. Hollbrook schien dieser Art von Promenade keinen sonderlichen Geschmack abzugewinnen, aber die Bevölkerung der neuen Welt liebt im allgemeinen sehr die Gesellschaftlichkeit; sie hat ihr Gefallen an einer großen Menschenmenge (crowd). Nach einem gemüthlichen Thee in guter Gesellschaft führte mich Mrs. H. nach Hause. Und dieß war ein Tag fashionabeln Lebens in Charleston. Und er war recht gut. Aber besser war ein anderer Tag auf dem Lande, den ich allein mit Mrs. H. auf ihrer Villa Belmont, einige Meilen von der Stadt, zubrachte.

Sie kam Vormittags und holte mich in einem kleinen Wagen ab. Wir waren beide den ganzen Tag miteinander allein, wir ergingen uns in den Myrthenhainen, wir botanisirten, wir lasen (Mrs. H. machte mich mit dem englischen Dichter Keats bekannt), und vor allen Dingen sprachen wir und der Tag verging wie ein goldener Traum oder wie die schönste Wirklichkeit. Du weißt, wie ich eines Gespräches müde werde, wie eine langwierige Anstrengung dabei mir zuwider ist. Und jetzt sprach ich einen ganzen Tag hindurch mit derselben Person, ohne eine Anstrengung oder Müdigkeit zu verspüren. Es war blos lieblich und angenehm, angenehm, angenehm. Die Luft war die Lieblichkeit selbst. Mrs. H. war wie eine beständig frisch sprudelnde Quellader, und jeder Gegenstand, der berührt wurde, erhielt Interesse entweder durch ihre Kritik oder durch die Ansichten, die ihre Worte eröffneten. So flogen wir zusammen über die ganze Welt, nicht immer ganz einig; aber immer in gutem Einverständniß, und dieser Tag in Belmonts duftenden Blüthenhainen am Ufer des Ashley, war einer meiner schönsten Tage in der neuen Welt, und ich vergesse ihn nie. Hier lernte ich auch den Ambrabaum und mehrere neue Baumarten und Pflanzen kennen, deren Namen und Eigenschaften Mrs. H. mir auseinandersetzte. Die Naturwissenschaft hat ihren Blick über das Erdenleben erweitert, ohne ihn vom himmlischen Leben abzuziehen. Für sie ist die Erde ein Poëm, das in seinen einzelnen Gebilden von seinem Dichter und Schöpfer zeugt; aber das höchste Zeugniß von ihm schöpft sie dennoch nicht aus dem Naturleben, sondern aus einer stillen, hohen Gestalt, die einmal aus den Wäldern des Lebens vor ihre Blicke trat und ihr das Leben lichtvoll und groß machte, Zeit und Ewigkeit verbindend. Mrs. H. ist eine platonisirende Denkerin, welche (was hier in der Welt selten ist) die Sachen im System und das Verhältniß der verschiedenen Radien zu einem gemeinsamen Mittelpunkt zu sehen vermag. Und wir kamen in unserer Kritik über die hauptsächlichen Mängel in der Erziehung der Frauen hier zu Lande, so wie in allen Ländern, wohl überein. Sie erhalten eine Menge Specialkenntnisse, aber kein System davon. So viel Latein, so viel Mathematik, so viel Physik u. s. w., aber keinen philosophischen Mittelpunkt für diese Kenntnisse, keine Anwendung des Lebens in ihnen auf das Leben selbst, und keine Gelegenheit, um nach der Schulzeit diese Kenntnisse in lebendiger Handlung anzuwenden. Darum entfallen sie aus der Seele wie wurzellose Blumen oder Bäume, die von den Zweigen des Wissensbaumes herabgerissen sind, wenn die jungen Schülerinnen aus der Schule in das Leben gehen. Oder wenn sie sich erinnern, was sie gelernt haben, so ist das blos Gedächtnißsache und dringt nicht als Saft und Wachsthum fördernde Kraft in das Leben ein. Was der Schulgelehrsamkeit im Großen wie im Kleinen fehlt, das ist ein wenig — platonische Philosophie. In andern Gegenständen kamen wir nicht so gut überein. Aber der Zauber bei Mrs. H. besteht darin, daß sie Genie hat und neue, erweckende Worte spricht, besonders in Fragen über das Leben und die Wechselbeziehungen des Geistes und der Natur.

Als die Sonne unterging in den Wogen des Flusses, hörte dieser schöne Tag für mich auf und wir kehrten nach der Stadt zurück. Aber ich werde nach Belmont zurückkommen und allda einige Tage mit seinem guten Genius verbringen. So ist es verabredet. Aber … ich weiß nicht, ob ich Zeit bekomme. Mrs. H. gehört der aristokratischen Welt in Charlestown und einer ihrer ältesten Familien (Rutlige) an, gilt aber allgemein für eine der intelligentesten und charmantesten Frauen; man spricht von ihr als von einer außergewöhnlichen Natur.

Südkarolina wird allgemein der Palmettostaat genannt; ich erwartete daher überall diese halbtropische Baumart zu finden und war verblüfft darüber, daß ich weder in noch außer Charlestown Palmettos zu sehen bekam. Man hat sie auch auf eine vandalische Art abgehauen, um sie zu Pfahlwerk und Schiffsholz zu benützen, denn ihr Holz soll wasserdicht sein. Vor einigen Tagen endlich bekam ich diesen karolinischen Staatsbaum (der Staat führt einen Palmetto im Wappen) zu Gesicht, und zwar auf der Sullivansinsel, einer großen Sandbank im Meer vor Charlestown, wo die Stadtbewohner Landhäuser haben, um die Seeluft und Bäder zu genießen, und wo man in verschiedenen Gärten noch Gruppen von Palmettos trifft. Denke Dir einen geraden, runden, kleinknotigen Stamm, von dessen Wipfel eine Menge grüner Sonnenfächer mit fingerartig getheilten Strahlen nach allen Seiten auf langen Stengeln ausgeht, und Du hast ein Bild von dem Palmetto, der Spitze und dem Vorbild der Palme.

Ich war von Mr. und Mrs. Gilman zu einem Picknick auf die Sullivaninsel eingeladen. Picknick ist hier der gebräuchliche Name für ländliche Excursionen, um in munterer Gesellschaft zu essen und sich lustig zu machen; diese Partien sind namentlich bei den jungen Leuten sehr beliebt, und mancher zärtliche ernste Bund schreibt seinen Anfang von einem muntern Picknick her. Dasjenige, dem ich jetzt anwohnte, war in großer Gesellschaft, und an jungen Leuten und einem jungen Liebespaar fehlte es auch hier nicht, aber der Tag war kühl und ich fand ihn mehr mühselig als angenehm, wie es mir oft bei Vergnügungsparthieen geht. Wirklichen Genuß dagegen hatte ich von einer Spazierfahrt, die ich mit Mrs. Gilman am Meeresstrande machte, wo man auf der festen feinen Sandbank fährt, während die Meereswogen donnernd und schäumend sich bis unter die Füße der Pferde wälzen. Es war in diesem Schauspiel eine wilde Frische gepaart mit der mildesten, lieblichsten Luft. Mr. und Mrs. Gilman sind beide poetische Naturen; sie besingt die Schönheit des stillen und frommen Lebens, er besingt vaterländische Gegenstände. Sein prächtiges patriotisches Lied:

„Väter, habt Ihr umsonst geblutet?“

das mit warmer Eingebung geschrieben worden zu einer Zeit, wo die Union durch die Bitterkeit der Parteikämpfe mit Auflösung bedroht war, ist allenthalben in den Vereinigten Staaten mit Entzücken gesungen worden und hat vielleicht mehr zur Wiederbelebung des allgemeinen Bürgersinnes beigetragen, als verschiedene staatsmännnische Maßregeln, von denen man sagt, sie haben die Union gerettet. Mr. G. ist ein hochgeachteter und geliebter Prediger in Charlestown, dessen innerer Adel und Ernst sich getreu in seinem Aeußern abspiegelt.

Gestern Abend war ich bei einer Hochzeit. Man hatte mich nämlich eingeladen, der Trauung in der Kirche anzuwohnen. Sie fand zwischen einem Katholiken und einem Mitglied der englischen Episcopalkirche statt. Sie waren übereingekommen sich von dem Prediger der unitarischen Kirche, Mr. Gilman, trauen zu lassen. Blos die Verwandten und Freunde des Brautpaars sollten der Ceremonie anwohnen. Sie wurde Abends bei Kerzenschein vollzogen. Die Braut war schön wie eine halbausgeschlagene weiße Rose, klein und fein; sie trug ein weißes Kleid, Kranz und Schleier äußerst hübsch. Der Bräutigam, ein großer magerer Herr, sah gut und ehrlich aus, soll sehr reich und in sein Rosenknöspchen gewaltig verschossen sein. Ihre Brautfahrt ist eine Lustreise nach Europa. Nach der Trauung, die würdig und schön von Mr. Gilman vollzogen wurde, ging die Gesellschaft aus den Bänken, um das Brautpaar zu beglückwünschen. Eine alte Negerin saß wie ein Schreckbild finster und schweigsam neben dem Altare. Es war die Amme und Wärterin der Braut, und sie konnte den Gedanken an eine Trennung von derselben nicht ertragen. Diese Trennung soll indeß nur für die Zeit ihrer Reise stattfinden, denn diese dunkeln Wärterinnen werden bis zu ihrem Tod in den weißen Familien mit großer Zärtlichkeit behandelt und verdienen das auch gewöhnlich vermöge ihrer Liebe und Treue.

Du kannst glauben, daß es hier an Gesprächen über die Sclaverei nicht fehlt. Ich veranlasse sie nicht; aber wenn sie, was oft geschieht, über mich kommen, so spreche ich mich so aufrichtig und sanftmüthig wie nur möglich aus. Aber eine Sache, die mich hier in Verwunderung setzt und quält, denn ich hatte sie nicht erwartet, ist der Umstand, daß ich kaum einen Mann oder eine Dame finde, welcher oder welche der Sache offen und ehrlich ins Gesicht schauen will. Man windet und schlängelt sich auf allen Seiten fort, und man bedient sich aller, zuweilen sogar der widerstreitendsten Beweismittel, um mich zu überzeugen, daß die Sclaven die glücklichsten Menschen in der Welt seien und sich keine andere Stellung, kein anderes Verhältniß wünschen können, als worin sie sich jetzt befinden. Dieß ist für Viele und in gewissen Beziehungen auch wahr und dürfte öfter eintreten, als man in den nördlichen Staaten glauben will. Aber unglückliche Verhältnisse finden sich genug vor und müssen in diesem System immer[WS 2] auftauchen, um es verhaßt zu machen. Ich habe ein paar Gespräche ungefähr folgenden Inhalts über diesen Gegenstand gehabt:

Südländer: Miß B., das Gerücht sagt, daß Sie der Abolitionistenpartei angehören!

Ich: Ja gewiß, das thue ich; aber sicherlich gehören wir Beide ihr an, Sie sowohl als ich.

(Südländer stutzt.)

Ich: Ich bin überzeugt, daß Sie die Freiheit und das Glück des Menschengeschlechts wünschen.

Südländer:J … J … Ja … a … a … a! Aber … aber —

Und jetzt kommen eine Menge Aber, welche die Schwierigkeit und Unmöglichkeit der Befreiung der Negersclaven beweisen sollen. Die Schwierigkeit will ich zugeben, die Unmöglichkeit nicht. Aber es ist klar, daß es einer Vorbereitung zur Befreiung bedarf, und daß sie lange versäumt worden ist. Und hier ist ein edler Mann in der Stadt, der wie ich in der Sache denkt und durch Einweihung der Neger ins Christenthum auf die Vorbereitung zu dieser Befreiung hinwirkt. Früher war ihr Unterricht schändlich verwahrlost oder vielmehr gehemmt worden; die Gesetze des Staats verbieten, die Sclaven schreiben und lesen zu lehren, und haben lange auch ihren Unterricht im Christenthum[WS 3] verhindert. Aber bessere Zeiten sind gekommen und scheinen zu kommen. In den Familien lehrt man oft die Sclaven lesen, und auf den Pflanzungen gehen Missionäre, meist Methodisten, umher und predigen das Evangelium.

Aber die Einseitigkeit und selbstwillige Blindheit hier in der Stadt setzt mich wahrhaftig in Erstaunen und quält mich. Und die Frauenzimmer, die Frauenzimmer, von deren moralischem Rechtsgefühl und angeborenem Sinn für das Wahre und Gute ich so viel geglaubt und gehofft hatte — die Frauenzimmer machen mir den Kummer, daß sie in dieser Beziehung stockblind, ja sogar noch reizbarer und heftiger sind, als die Männer. Gleichwohl sind es die Frauenzimmer, die durch die Unsittlichkeit und Albernheit der Einrichtung am Tiefsten verletzt werden sollten. Macht sie nicht die Familie zu nichte? Trennt sie nicht Mann und Weib, Kind und Mutter? Täglich erfüllt es mich mit Entsetzen, wenn ich die kleinen Negerkinder sehe und denken muß: diese kleinen Kinder gehören nicht ihren Eltern. Ihre Mutter, welche sie unter Schmerzen zur Welt geboren, die ihnen ihre Milch, ihre Pflege gibt, sie, deren Fleisch und Blut sie sind, hat kein Recht über sie. Sie gehören nicht ihr, sondern dem Eigenthümer, der die Mutter, somit auch alle Kinder, welche sie bekommt, gekauft hat und sie verkaufen kann, wann es ihm einfällt. Sonderbar!

Das allgemeine Gefühl, sagt man, hat sich bei Verkäufen immer mehr gegen die Trennung der Familien, sowie die Trennung kleiner Kinder von ihren Müttern gerichtet, und bei öffentlichen Sclavenauctionen soll diese nicht mehr stattfinden können. Aber sowohl in den nördlichen, als in den südlichen Staaten hört man von Ereignissen, welche bezeugen, wie viel Herzzerreißendes durch solche Trennungen vorkommt, die durch die Consequenzen des Systems unvermeidlich gemacht werden, so daß die besten Sclavenbesitzer sie nicht immer verhindern können.

Im Haus scheinen die Sclaven hier im Allgemeinen sehr gut behandelt zu werden, und ich habe Häuser gesehen, wo ihre Zimmer und was zu ihrem Comfort gehört (jeder Diener und jede Dienerin hat ihr eigenes gemüthliches Stübchen) weit besser bestellt waren, als es die freien Diener in unserem Lande gewöhnlich haben. Das Verhältniß zwischen Diener und Herrschaft scheint auch meistens ein gutes und herzliches zu sein, besonders scheinen die älteren Diener in einer Familie in dem innigen Verhältniß zu derselben zu stehen, das einen patriarchalischen Zustand auszeichnet und in guten Familien so gewöhnlich zwischen Gesinde und Herrschaft zu sehen ist, gleichwohl mit dem großen Unterschied, daß bei uns das Verhältniß ein freies, eine freie Verbindung vernünftiger Wesen mit einander ist. Hier tritt zwar oft diese freie Verbindung auch ein, aber sie ist dann ein Sieg über die Sclaverei und das sclavische Verhältniß, und ich meine, daß man hier nie so genau wissen kann, wie es damit aussieht, und ob die Ergebenheit von Seiten des Dieners wahr ist oder nicht.

Gewiß ist indeß, daß die Negerrace einen starken Instinkt der Ergebenheit und Verehrung hat, und dieß kann man den Leuten an den Augen ansehen, die einen eigenthümlich guten, getreuen und wahren Ausdruck haben, welchen ich liebe, und der mich an den schönen Ausdruck in den Augen des Hundes erinnert; gewiß ist auch, daß sie eine natürliche Neigung hat, sich unter die weiße Race zu stellen und ihrer höheren Intelligenz zu gehorchen, und weiße Mütter und schwarze Wärterinnen zeugen von der ausschließlichen Liebe der letzteren für die Kinder der Weißen. Man kann für Kinder keine besseren Pflegerinnen und Wärterinnen bekommen, als die schwarzen Weiber, und im Allgemeinen keine besseren Krankenwärter, als Schwarze, sowohl Männer als Weiber. Sie sind von der Natur gutmüthig und ergeben. Und sind nun die weißen Herrschaften auch gut, dann wird das Verhältniß zwischen Massa und Missis (so nennen die Neger die weißen Herrschaften) und „Daddy und Momo“ (so heißen die schwarzen Diener, besonders wenn sie über ein Jahr da gewesen sind) ein wirklich gutes und zärtliches. Aber an Beispielen von andern Verhältnissen fehlt es hier auch nicht, und Karolinas Gerichte und Karolinas bessere Gesellschaft haben noch frische Erinnerung an Grausamkeiten, die gegen Haussclaven begangen wurden und die mit den schlimmsten Grausamkeiten der alten Heidenzeit wetteifern. Einige der gröbsten von diesen Missethaten sind von Weibern begangen worden, von Frauen aus der höheren Societät in Charlestown! Noch ganz neulich ist ein reicher Plantagenbesitzer in Südkarolina wegen barbarischer Behandlung eines Sclaven zu zwei Jahren Zuchthaus verurtheilt worden. Und wenn man bedenkt, daß die Gerichte sich mit keinen andern Grausamkeiten gegen Sclaven befassen, als mit solchen, die allzu entsetzlich und allzu öffentlich sind, um übergangen zu werden! Wenn ich gegen Vertheidiger und Vertheidigerinnen der Sclaverei mit diesen allgemein bekannten Ereignissen hervorrücke, so antworten sie: „Auch in Ihrem Land und in allen Ländern sind die Herrschaften zuweilen hart gegen ihre Diener. Worauf ich erwiedere: „Dann können sie ziehen!“ Und darauf haben sie nichts mehr zu sagen, aber schneiden saure Gesichter.

Ach, der Fluch der Sclaverei (the curse of slavery) wie die gewöhnliche Phrase lautet, trifft nicht blos die schwarzen, sondern in diesem Augenblick noch mehr die weißen Menschen, denn er verkehrt ihr Wahrheitgefühl und erniedrigt ihre Moral. Die Behandlung und Stellung der Schwarzen verbessert sich wirklich von Jahr zu Jahr. Aber die Weißen scheinen in der Aufklärung nicht vorwärts zu gehen. Doch ich will noch mehr sehen und hören, bevor ich[WS 4] urtheile. Vielleicht daß die Freunde der Finsterniß sich hauptsächlich in Charlestown niedergelassen haben. Charlestown ist wie ein Eulennest, sagte einmal eine geistreiche Caroliner Dame.

Ich muß Dir jetzt ein wenig von dem Hause erzählen, wo ich lebe und wo ich mich so wohl und glücklich befinde, daß ich es gar nicht besser wünschen kann. Das Haus nebst seinem Gärtchen liegt frei in einer der ländlichsten Straßen der Stadt, in Lynchstreet, und hat von einer Seite freie Aussicht auf das Land und den Fluß, von wo es auch die lieblichste Luft, die frischesten Windhauche bekommt. Buschige Ranken von weißen Rosen und rothem Gaisblatt ziehen sich bis an die obere Piazza hinan und bilden die schönste Veranda. Dort ergehe ich mich oft, besonders Morgens und Abends, trinke die liebliche Luft und schaue auf die Gegend hinaus. In diesem obern Stock ist mein schönes, luftiges Zimmer. Im ersten Stock sind die eigentlichen Gesellschaftszimmer, und auf der Piazza desselben versammelt man sich und geht Abends hinaus, da hier gewöhnlich Gesellschaft stattfindet.

Mrs. Howland kennst Du bereits ein wenig, aber man kann sie nicht recht kennen oder würdigen, bevor man sie in ihrem täglichen Leben im Hause sieht. Sie gleicht darin mehr einer Schwedin, als irgend einer Frau, die ich bis jetzt noch im Lande gesehen habe, denn sie hat dieses stille, pflegende, sorgsame, mütterliche Wesen, das immer etwas zu thun findet und sich nicht scheut, mit eigenen Händen anzugreifen. (In den Sclavenstaaten betrachtet man gewöhnlich die gröbere Arbeit als etwas Erniedrigendes und läßt es durch die Sclaven besorgen). So sehe ich sie vom Morgen bis zum Abend still beschäftigt, bald mit ihren Kindern, bald mit Mahlzeiten, wo sie ihrem Diener den Tisch in Ordnung bringen oder, wenn das Essen vorüber ist, Alles wieder abräumen und aufheben hilft (was auch bei den Negern wohl nöthig ist, denn sie sind saumselig von Natur), bald beschäftigt Kleider zuzuschneiden und zu nähen, bald die kleinen Neger im Hause zu kleiden und zu putzen, bald im Garten Blumen pflanzend oder gesunkene wieder aufrichtend, verwilderte Ranken aufbindend und ordnend, bald Gäste empfangend, Boten absendend u. s. w., und dieß Alles mit dem ruhigen Verstand, mit der würdevollen Güte, die einer Hausmutter so schön läßt, welche macht, daß sie das ganze Haus trägt und seine Stütze sowohl als sein Schmuck ist. Am Abend besonders, … aber ich muß Dir meinen Tag in Ordnung erzählen.

Früh Morgens kommt Lettis, die schwarzbraune Dienerin, und bringt mir eine Tasse Kaffee. Eine Stunde später klopft der kleine Willie an meine Thüre und will mich zum Frühstück hinabführen; gestützt auf die Schulter meines kleinen Kavaliers und manchmal zwischen ihm und der kleinen Laura gehe ich in den untersten Stock hinab, wo der Speisesaal ist. Da ist dann die Familie versammelt, die gute Mrs. Howland spendet Kaffee und Thee nebst einer Menge guter Sachen, denn hier wie im Norden sind die Frühstücke nur allzureichlich. Eines der Hauptgerichte im Süden ist Reis (Carolina's Haupterzeugniß) in Wasser gekocht auf eine Art, daß die Körner unbedeutend schwellen, aber doch weich sind und sehr saftig schmecken. Ich esse dieses Reisgericht immer zum Frühstück, denn ich finde es sehr gesund. Man ißt es gewöhnlich mit frischer, kalter Butter, und Viele essen auch weichgesottene Eier dazu. Im[WS 5] Uebrigen hat man noch gebratenen Speck und Fische, süße Kartoffeln, Homuny, Maisbrode, Eier, Milch mit Eis abgekühlt u. s. w. Und eines der stehenden Gerichte bei den Frühstücken im Süden sind Buchweizen- oder Weizenkuchen, die man mit braunem Syrup ißt; es ist dieß wirklich ein Ueberfluß an guten Sachen. Während der ganzen Mahlzeit steht ein Schwarzer oder eine Schwarze da, und jagt mit einem Wedel von Pfauenfedern die Mücken fort. Nach dem Frühstück geht man ein wenig auf die Piazza hinaus, und die Kinder springen und jagen einander im Garten herum, und das ist meine Freude, die graziöse dreizehnjährige Sara, leuchtend von Jugendfrische und Fröhlichkeit, leicht wie eine Hindin, Locken und Bänder im Winde flatternd, springen zu sehen. Sie ist ein höchst anmuthsvolles Geschöpf. Ihre ältere Schwester Illione ist ebenfalls ein hübsches Mädchen von gemüthlichem und sicherem Wesen. Willie hat schöne Augen und braune Locken, und Laura ist eine kleine Rosenknospe. Zwei kleine schwarze Negermädchen, Georgia und Atilla, die Kinder der Lettis, springen und hüpfen im Haus und auf Treppen umher, so flink und lebhaft, wie man sich nur schwarze Kobolde denken könnte. Nach dem Frühstück gehe ich in mein Zimmer hinauf und darf da den ganzen Vormittag ruhig sein. Um 12 schickt Mrs. Howland mein zweites Frühstück herauf, Butter und Brod, ein Glas Milch mit Eis, Orangen und Bananas. Du siehst, mein Herzchen, daß ich keine Gefahr laufe zu verhungern. Um 3 Uhr ißt man zu Mittag und hat zuweilen den einen oder andern Gast. Nachmittags macht meine gute Wirthin Ausfahrten mit mir, die mir in jeder Beziehung angenehm sind. Der Abend ist indeß die Blume des Tages hier zu Lande (in wie manchen Häusern ist nicht der Abend der drückendste Theil des Tages ?). Da werden die Lampen in den schönen Salons angezündet, da wird man zum Thee gerufen. Da sitzt Mrs. Howland so gut und gemüthlich auf dem Sopha mit einem großen Theetisch vor sich, der voll von guten Dingen ist. Da werden kleine Theetischchen umhergestellt (ich bekomme immer mein eigenes Tischchen für mich in der Nähe des Sophas) und der kleine flinke[WS 6] Negerjunge Sam, Mr. Howlands großer Günstling, trägt die Erfrischungen umher. Da kommen beinahe immer drei bis vier junge Söhne von Freunden der Familie, auch ein Paar junge Mädchen, und die Jugend tanzt artig und vergnügt nach dem Klavier. Die Kinder im Haus sind artig mit einander und tanzen oft zusammen, wie wir an den Abenden daheim zu thun pflegten. Aber sie sind glücklicher, als wir waren. Ich spiele ihnen gewöhnlich eine Weile Walzer oder Françaises vor. Besuche kommen und gehen. Später begibt man sich auf die Piazza, wo man herumgeht oder dasitzt und plaudert. Ich gehe aber am liebsten schweigend, der balsamischen Nachtluft mich erfreuend und durch die offenen Thüren in die Zimmer hineinblickend, wo die schönen Kinder in Jugendlust umherhüpfen, Sara immer idealisch zierlich und anmuthsvoll und — ohne es zu wissen. Mr. Monefelt, Mrs. Howlands Bruder, der Herr, der am ersten Morgen kam, mich abzuholen, ist ein alltäglicher Gast am Abend, ein gemüthlicher, redseliger Mann und guter Erzähler. Aber bei Niemand befinde ich mich so wohl, wie bei meiner guten, klugen Wirthin. Und ich kann nicht beschreiben, wie vortrefflich sie gegen mich ist.

Den 13. April. 

Gestern Abend hatten wir großes Spektakel von Donnern und Blitzen, wie ich es in Europa nie gesehen hatte, obschon ich mich einer Juninacht im verflossenen Jahr in Dänemark (auf Sorö) erinnere, wo die Luft wie in hellen Flammen stand. Aber hier waren die Blitze wie glühende Lavaströme. Und das Donnergekrach war darnach. Zum erstenmal in meinem Leben fühlte ich etwas Angstähnliches vor einem Gewitter. Und gleichwohl erfreute ich mich an der wilden Scene. In ein paar Tagen reise ich von hier ab auf Besuch zu Mr. Poinsett, ehemaligem Kriegsminister der Vereinigten Staaten und Gesandten derselben in Mexiko, der jetzt als Privatmann auf seinen Pflanzungen lebt. Er soll ein außerordentlich interessanter und liebenswürdiger Mann sein, hat viel vom Leben und von der Welt gesehen, und ich nehme daher mit Vergnügen die Einladung in seine Wohnung bei Georgetown, eine Tagreise von hier, an. Ich habe diese Einladung Mr. Downing zu verdanken. Bei Mr. Poinsett verweile ich wohl einige Tage und komme dann hieher zurück, um von da nach Georgia zu reisen. Ich muß eilen, um die Zeit zu benützen, denn schon nach dem ersten Mai soll die Hitze im Süden groß werden, und um diese Zeit ziehen alle Plantagebesitzer von ihren Pflanzungen fort, um den gefährlichen Fiebern auszuweichen, die da beginnen. Während der Sommermonate eine Nacht auf einer Reisplantage zuzubringen, soll, sagt man, für einen weißen Menschen der sichere Tod sein. Die Neger dagegen sollen nur wenig oder nichts vom Klima leiden.

Ich bin jetzt beschäftigt nach einem Oelgemälde das Porträt eines Indianerhäuptlings, Namens Oseconehola[WS 7] zu malen, der an der Spitze des Seminolenstammes fünf Jahre lang tapfer gegen die Amerikaner in Florida kämpfte, als diese die Indianer daraus zu verjagen suchten, um sie westlich nach Arkansas zu verpflanzen. Die Gegend in den südlichen Theilen Floridas, welche die wilden Indianerstämme Seminoli und Creeks inne hatten, und von wo aus sie die weißen Kolonisten beständig beunruhigten, hat in ihren Wäldern hauptsächlich eine Art von Tannen, welche Lichtholz (light-wood) genannt wird wegen ihres harzhaltigen Holzes, das sich schnell entzündet und flammt. Sie ist hoch und leicht zu fällen. Arkansas, auf der westlichen Seite des Missisippi, hat meistens Eichenwaldungen, grenzt an wildes Steppenland, dermalen den hauptsächlichsten Aufenthalt der Indianer in Nordamerika, und hat ein hartes Klima. Deßhalb antwortete der Seminolenhäuptling Oseconehola auf die Anerbietungen und Drohungen, die ihm und seinem Volk von der Regierung der Vereinigten Staaten gemacht wurden: „Mein Volk ist an die warme Luft, an die fischreichen Seen und Ströme in Florida, an das Lichtholz gewöhnt, das leicht zu fällen ist und leicht brennt. Es kann nicht leben in dem kalten Lande, wo blos die Eiche wächst. Das Volk kann die großen Bäume nicht fällen; es wird da aussterben aus Mangel an Wärme.“ Und als man ihm endlich die Alternative zwischen offenem Krieg mit den Vereinigten Staaten oder Unterzeichnung des Vertrages stellte, der ihn und sein Volk aus Florida vertrieb, da stieß er seinen Dolch durch denselben und sagte: „Ich trotze ihnen auf fünf Jahre.“ Und fünf Jahre währte der Kampf zwischen den Florida-Indianern und der Armee der Vereinigten Staaten; viel Blut floß auf beiden Seiten und noch immer waren die Indianer im Besitz des Landes und sie würden es vielleicht noch jetzt sein, wenn nicht Oseconehola durch Friedensbruch und Verrath in Gefangenschaft gerathen wäre, als er unter dem Schutz der weißen Fahne kam, um mit dem spanischen General Hernandez zu parlamentiren. Die verrätherische Handlung fiel allerdings dem Spanier zur Last, aber es scheint doch, daß die amerikanischen Offiziere davon wußten oder nicht dagegen waren. Oseconehola wurde als Gefangener zuerst nach St. Augustin, sodann nach Charlestown und ins Fort Moultrie auf der Sullivaninsel gebracht. Von dieser Stunde an schien sein Muth gebrochen zu sein. Personen, die ihn in seinem Gefängniß besuchten (Mr. Monefelt war unter ihnen) sagen, sie haben niemals einen so melancholischen und düstern Blick gesehen. Er beklagte sich jedoch nie, aber er sprach oft mit Bitterkeit über die Art, wie er gefangen genommen worden, und über das Unrecht, das man seinem Volk angethan, als man es zwang von seiner Vatererde nach einem nördlichen Land zu ziehen, wo sich kein „Lichtholz“ vorfand.

Seine Schönheit, seine melodische Stimme, seine dunkeln Augen voll von düsterem Feuer, seine Tapferkeit und sein Schicksal erweckten allgemeines Interesse, und die Frauenzimmer besonders schwärmen für den schönen Seminolenchef, machten ihm Besuche und Geschenke. Aber er schien gleichgiltig gegen alles, wurde immer schweigsamer, und von dem Augenblick an, wo er ins Gefängniß gebracht wurde, nahm seine Gesundheit ab, ohne daß er jedoch krank zu sein schien. Es war klar, daß er sterben wollte. Der gefangene Adler konnte, des freien Lebens und der Luft seiner Wälder beraubt, nicht leben.

Zwei seiner Frauen, eine junge und schöne, sowie eine alte und häßliche, folgten ihm ins Gefängniß. Die alte bediente und verpflegte ihn, und sie schien er am meisten zu lieben. Immer nur mit dem einen Gedanken, dem sichern Untergang seines Volkes in dem kalten Land ohne Lichtholz beschäftigt, verbittert und schweigsam, zehrte er allmälig ab und starb einen Monat nach seiner Ankunft im Fort Moultrie, starb, weil er nicht leben konnte. Das Lichtholz in seinem Leben war abgebrannt. Eine Thränenweide beugt sich über den weißen Marmorstein, der sein Grab vor den Mauern der Festung am Meeresstrande bezeichnet. Es sind erst einige Jahre seit er starb, und sein Leben, sein Kampf ist eine abgekürzte Geschichte des Schicksals seiner Nation in diesem Welttheil. Darum und auch des Ausdrucks wegen in seinem schönen Gesicht habe ich eine Kopie seines Porträts mitnehmen wollen, so daß du es sehen kannst. Ich habe viele Personen von ihm sprechen gehört. Im Uebrigen bin ich just nicht schwach für die Indianer, trotz ihrer vereinzelten Tugenden und schönen Charaktere und trotz des Schimmers, womit der Roman sie gerne umhüllt. Sie sind sehr grausam im Krieg miteinander (die verschiedenen Stämme unter sich) und die Männer sind gewöhnlich hart gegen die Weiber, welche sie wie Lastthiere und nicht wie Ihresgleichen behandeln.

Casa Bianca, den 16. April. 

Ich schreibe dir jetzt aus einer Einsiedelei am Ufer des kleinen Flusses Pee-dee. Es ist eine einsame stille Wohnstätte, so einsam und still, daß ich mich beinahe wundere, sie in diesem lebensvollen, betriebsamen Theile der Welt, unter diesem geselligen Volke zu finden. Ein altes Ehepaar, Mr. Poinsett und seine Frau — sie erinnern mich an Philemon und Baucis — lebt hier ganz allein mitten unter Negersklaven, Reispflanzungen und wilden, sandigen Waldungen. Nicht ein einziger weißer Diener findet sich im Hause. Der Sklavenaufseher, der immer in der Nähe des Sklavendorfes wohnt, ist die einzige weiße Person, die ich hier außer dem Hause gesehen habe. Gleichwohl scheinen die alten Leutchen hier so getrost zu wohnen, wie wir in unserem Arsta, und sichs eben so wenig angelegen sein zu lassen bei Nacht die Hausthüre zu verschließen. Das Haus ist ein altes Gebäude, Notabene für dieses junge Land, mit antiken Möbeln und Zimmern, die von gutem, altaristokratischem Geschmack und Comfort zeugen. Rund um das Haus ist ein Park oder großer Baumgarten mit einem Reichthum von den schönsten Bäumen, Gebüschen und Pflanzen des Landes, von Mr. Poinsett selbst nach Downings Plan angelegt; und hier, wie unter den schneebedeckten Dächern in Concord habe ich die Freude, die Worte zu hören: Mr. Downing hat viel für dieses Land gethan. So allgemein ist Downings Einfluß auf Veredlung des Geschmackes und Schönheitsinnes im Bezug auf Bauten, Gartenkultur und ländliche Anlagen im Allgemeinen. Nordamerika hat auch die Eigenschaft, daß Bäume und Gebüsche aller andern Welttheile hieher versetzt werden können, sich naturalisiren und gedeihen, und unter den Gewächsen um Casa Bianca her sind viele aus fremden Regionen. Am meisten liebe ich jedoch die hier einheimischen großen Lebenseichen mit ihren langen hängenden Moospflanzen (zwei Prachtexemplare davon stehen vor dem Haus am Ufer des Pee-Dee und bilden mit ihren Zweigen eine ungeheure Säulenhalle, durch welche man den Fluß und die Landschaft jenseits desselben sieht) und die ernsten, hohen, dunkelgrünen Magnolien.

Vor meinem Fenster — ich wohne im obern Theil des Hauses — steht ein Cornus Floridae, ein Baum, dessen Krone jetzt wie eine Masse schneeweißer Blumen erscheint, und Morgens in der Frühe sehe und höre ich die Drossel, die im Wipfel dieses Baumes ihr herrliches Morgenlied singt; ferner sind hier die lieblich duftende Olea fragrans von Peru und noch mehrere schöne, seltene Bäume und Buscharten. In diesen singen Drosseln und Spottvögel (Amerikas Nachtigallen), und Schwärme von „schwarzen Vögeln“ (black birds) zwitschern, gackern und bauen in den großen Lebenseichen. Mrs. Poinsett will nicht, daß sie gestört werden, und jeden Morgen nach dem Frühstück kommen kleine Sperlinge und kleine Kardinäle (eine Art Vögel, wegen ihres zierlichen, rothen Anzugs so genannt) ganz vertraulich, um die Reiskörner zu picken, die sie ihnen vor der Thüre auf die Piazza streut.

Auf dem stillen Flüßchen Pee-Dee gleitet der eine und andere kleine Kahn, von einem Neger gerudert, und nur aus den Dampfschiffen, die von Zeit zu Zeit ihre Rauchschwänze über den Fluß Wackamow, weiter vor dem Pee-Dee schwingen, sowie aus den Segeln, die man hinabschwimmen sieht, um nach Cuba oder China zu gehen, ersieht man, daß man auch hier, in der handelnden und wandelnden Welt lebt.

Mr. Poinsett ist seinem Wesen und Aussehen nach ein französischer gentilhomme — er stammt auch aus einer französischen Familie — und vereinigt die Feinheit und natürliche Courtoisie der Franzosen mit der aufrichtigen Einfachheit und Rechtschaffenheit, die ich bei dem wahren Amerikaner, dem Mann der neuen Welt, so sehr liebe. Seine feine Gestalt ist noch immer geschmeidig und leicht, obwohl er an Engbrüstigkeit leidet. Er hat Vieles gesehen, Vieles mitgemacht und ist äußerst angenehm in der Unterhaltung, zumal wenn er von den innern politischen Verhältnissen der Vereinigten Staaten spricht, zu deren Ausbildung er mitgewirkt hat, und deren Geist und Ziel er mit scharfem Verstand und zugleich mit warmem Bürgersinn auffaßt. Aus einigen Abendunterredungen mit ihm nach dem Thee habe ich über diese Verhältnisse und die Stellung der einzelnen Staaten zu der Centralregierung mehr erfahren, als ich aus den Büchern hätte lernen können. Denn von dem alten, klugen Staatsmann kann ich auf eine lebendige Art lernen; ich darf Fragen und Einwendungen machen, und ich erhalte Antworten darauf. Er ist der erste Mann, den ich noch im Süden getroffen habe (mit einer einzigen Ausnahme), der recht offen und unparteiisch von der Sklaverei spricht. Er wünscht ernstlich die Befreiung seines Vaterlandes von dieser Fessel und er glaubt auch daran; aber er findet die gegenwärtigen Verhältnisse so verwickelt und die Schwierigkeiten einer Veränderung so groß, daß er die Lösung der Zukunft anheimstellt. Er glaubt an Amerikas Voranschreiten, ist aber gleichwohl mit dem Gang vieler Dinge im Lande und zumal in diesem Staat keineswegs zufrieden. Er ist ein Weiser der neuen Welt, der sich nunmehr gänzlich von der Welt zurückgezogen hat, sie ruhig aus seiner Einsiedelei betrachtet, und mit seiner guten Gattin und seinen ländlichen Arbeiten glücklich allein lebt.

Morgens, nachdem ich mit gutem Appetit mein Frühstück, bestehend aus Reis, Eiern und Kokosnuß, verzehrt habe, helfe ich Mrs. Poinsett die Vögel auf der Piazza füttern und sehe mit Entzücken den schönen, zierlichen Kardinälen zu, wie sie herabflattern, um die ausgestreuten Körner zu pflücken; und wenn ich dann in den Garten hinausstürze, um voll Inbrunst die Luft, die Gebüsche und die ganze Natur zu umfangen, da lacht die gute Alte so treuherzig. Mr. Poinsett kommt heraus und macht mich auf die schönen Lamarquerosen aufmerksam, die Mr. Downing ihm gegeben hat, und die jetzt in großen Büscheln ihre weißgelben Blumen an einem Spalier an der Wand des Hauses hinauf ausschlagen; so geht er mit mir im Garten herum und nennt mir die Pflanzen, die ich nicht kenne, und ihre Eigenschaften, denn der alte Herr ist ein geschickter Botaniker. Er hat mich auf seinen Reisfeldern herumgeführt, die jetzt demnächst eingesäet und dann unter Wasser gesetzt werden müssen. Diese Wässerungsmethode und die daraus entstehenden Dünste sind die Gründe, warum die Reispflanzungen während der heißen Zeit für die weiße Bevölkerung so ungesund werden.

Mr. Poinsetts Pflanzung ist nicht groß und scheint nicht mehr als etliche und sechzig Neger zu haben. Mehrere andere, gleichfalls nicht sonderlich große Plantagen grenzen daran, aber meine Wirthsleute scheinen mit den Eigenthümern derselben keinen Umgang zu haben. Ich streife allein und frei in der Gegend umher, durch Reisfelder und Negerdörfer, was mich sehr belustigt.

Die Sklavendörfer bestehen aus kleinen, weißangestrichenen hölzernen Häusern, meistentheils in zwei Reihen, so daß eine Straße gebildet wird, worin jedes Haus mit seinem Stückchen Ackerland oder Garten, der gewöhnlich auch ein Paar Bäume hat, vereinzelt steht. Die Häuser sind nett und sauber, und ein solches Dorf mit seinen vor jedem Häuschen stehenden Pfirsichbäumen, zumal wenn sie, wie eben jetzt, in der Blüthe sind, gewährt einen freundlichen Anblick. Das Wetter ist göttlich. „Aechte Carolinaluft!“ sagen die Bewohner Carolinas, und sie ist lieblich.

Gestern (Sonntags) war am Vormittag Gottesdienst für die Neger, in einem Wagenschoppen, der zu diesem Behuf ausgeräumt wurde. Es war da sauber und luftig, und die Sklaven versammelten sich wohlgekleidet und still. Die Predigt und der Prediger (ein weißer Missionär) waren äußerst hölzern; aber ich staunte über die schnelle und freudige Auffassung dieser Leute, so oft ein Ausdruck von einiger Schönheit und einigem Gefühl vorkam. Als z. B. der Prediger die Worte Hiobs anführte: „Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei gelobt!“ da entstand eine allgemeine Bewegung in der Versammlung; die Worte wurden wiederholt. Viele riefen Amen! Amen! und ich sah manches Auge glänzen. Später am Tag machte ich einen Spaziergang, um mich an dem schönen Abend zu erfreuen und mich umzuschauen. Ich habe oft von Freunden der Sklaverei, auch in den nördlichen Staaten, als Beweis für das Glück der Sklaven anführen gehört, wie sie Abends in den Plantagen singen und tanzen. Und ich dachte: „Vielleicht bekomme ich einen Tanz zu sehen.“ Ich kam an ein Sklavendorf. Die weißen Häuslein unter den hellrothen, blühenden Bäumen mit ihrem kleinen Gartenland sahen ganz gemüthlich aus; kleine, fette, schwarze Kinder sprangen herum, große gelbe Süßkartoffelwurzeln essend; sie lachten blos, wenn man sie ansah, und waren ungemein geneigt, ihre Hände zu reichen. Aber im Dorf war Alles schweigsam und still. Vor den Wohnungen sah man einige Neger und Negerinnen stehen. Auch sie sahen freundlich und zufrieden aus. In einem Haus hörte ich Jemand eifrig beten und rufen. Ich ging hinein und sah eine Versammlung von Negern, hauptsächlich Weibern, die mit großer Erbauung und Rührung einem Neger lauschten, der mit viel Eifer und bedeutsamen Geberden, hauptsächlich in schweren, langsamen Faustschlägen auf den Tisch bestehend, predigte. Die Summe seiner Predigt war Folgendes: „Laßt uns thun wie Christus uns geboten hat; laßt uns seinem Willen folgen, laßt uns einander lieben. Dann wird er zu uns kommen an unser Krankenbett, an unser Sterbebett, und wir werden zu ihm kommen und mit ihm sitzen in der Herrlichkeit.“ Der Vortrag konnte, trotz all seinem übertriebenen Pathos und seinen vielen Wiederholungen, in Bezug auf Zweck und Absicht gar nicht besser sein. Und es entzückte mich zu hören, wie die Lehre von der geistigen Freiheit auf diese Art von Sklaven für Sklaven gepredigt wurde. Ich habe später gehört, daß die Methodisten-Missionäre, welche die einflußreichsten Lehrer und Prediger der Neger sind, gegen ihre Liebe zu Tanz und Musik eifern und sie für sündhaft erklären. Und je mehr das Negervolk christlich wird, um so mehr kommt es vom Tanze ab, hält Predigtmeetings statt fröhlicher Feste und gebraucht seine musikalischen Gaben blos um Psalmen und Hymnen zu singen. Wie unweise erscheint mir nicht das Verfahren dieser Priester! Sind nicht alle Gaben Gottes gut, und können sie nicht alle zu seiner Ehre angewendet werden? Und dieses von Natur fröhliche und kindliche Volk, warum soll es nicht Gott in Freudigkeit verehren dürfen? Ich möchte für diese Leute heilige Tänze haben und sie dabei fröhliche Loblieder singen lassen in der schönen Luft unter den blühenden Bäumen. Tanzte nicht König David und sang er nicht in frohem Entzücken vor der Bundeslade?

Ich ging weiter in Wald und Feld in der wilden stillen Gegend. Als es zu dämmern anfing, kehrte ich um. Ich kam durch dasselbe Sklavendorf zurück. Feuer glänzten aus den kleinen Häusern, aber alles war noch schweigsamer und stiller als vorher. Unter einem Pfirsichbaum sah ich einen jungen Neger mit einem schönen, gutmüthigen Gesicht gedankenvoll an einen Baum gelehnt stehen. Ich ließ mich in ein Gespräch mit ihm ein und fragte ihn über das eine und andere. Ein anderer Sklave kam dazu, dann noch ein Dritter, und das Gespräch mit ihnen war ungefähr folgenden Inhalts:

„Wie bald steht ihr morgens auf?“

„Eh die Sonne aufgeht.“

„Wann geht ihr Abends zur Ruhe?“

„Wenn die Sonne untergegangen ist, wenn es dunkelt.“

„Aber wie bekommt ihr denn Zeit, euer Gartenland zu bauen?“

„Das dürfen wir am Sonntag thun oder bei Nacht, wenn wir nach Hause kommen, obschon wir oft so müde sind, daß wir umsinken möchten.“

„Wann bekommt ihr euer Mittagessen?“

„Wir bekommen kein Mittagessen. Es ist genug, wenn wir während der Arbeit ein Stückchen Brod und ein Paar Körner in uns hineinwerfen können.“

„Aber, meine Freunde,“ sagte ich jetzt etwas mißtrauisch, „euer Aussehen zeugt gegen eure Worte, denn ihr seht ganz wohlbehalten und munter aus.“

„Wir suchen uns so gut als möglich aufrecht zu halten,“ antwortete der Mann am Baume; „was kann man anders thun, als seinen guten Muth zu erhalten suchen? Wenn wir ihn fallen ließen, so würden wir sterben!“ — Die Andern stimmten in das Klagelied ein.

Ich sagte ihnen gute Nacht und ging in der Ueberzeugung, daß diese Angaben der Sklaven nicht ganz wahr seien. Aber dennoch konnte die Sache wahr sein. Sie war wahr, wenn auch nicht hier, so doch an andern Orten unter bösen Herrn; sie konnte immer wahr sein bei einer Institution, welche der Willkühr des Einzelnen so große Macht verleiht, und all dieses wirkliche und mögliche Elend trat vor meine Augen und machte mich niedergeschlagen. Der Abend war so schön, die Luft balsamisch, alle Blumen dufteten. Die Natur schien in ihrem Brautkleid zu prangen, der Himmel war klar, der junge Mond mit dem alten Mond in seinen Armen leuchtete am Firmament und die Sterne kamen funkelnd klar hervor. Diese Herrlichkeit der Natur und dieses arme schwarze, in Sklaverei versunkene, erniedrigte Volk — das paßte nicht wohl zusammen. All mein Genuß war vorüber. Aber ich war froh, mit einem Mann wie Mr. Poinsett sprechen zu können. Und ich vertraute ihm Abends mein Gespräch und meine Gedanken an. Mr. Poinsett behauptete, die Sklaven hätten mich belogen. Man kann niemals glauben, was sie sagen, sagte er, und fügte hinzu: „Das ist auch eines der Uebel der Sklaverei, daß sie die Leute zu Lügnern macht. Die Kinder werden von den Eltern unterwiesen, die Weißen mit Furcht zu betrachten und sie zu betrügen. Sie sind immer argwöhnisch und suchen durch ihre Klagen einige Vortheile zu gewinnen. Aber Sie können überzeugt sein, daß diese da Sie hintergangen haben. Die Sklaven in unserer Gegend arbeiten gewisse Stunden am Tag und sind um die gegenwärtige Jahreszeit meistens schon um 4—5 Uhr Nachmittags mit ihrer Aufgabe fertig. Auf jeder Plantage wird gewöhnlich ein Koch oder eine Köchin gehalten, die täglich um 1 Uhr ein Mitagessen für sie bereit hat. Ich habe einen Koch für meine Leute und ich zweifle nicht daran, daß Mr. *** auch einen für die seinigen hat. Es kann nicht anders sein. Und ich bin überzeugt, daß Sie es so finden würden, wenn Sie den Sachverhalt untersuchen könnten.“

Mr. Poinsett läugnet nicht, daß Mißbräuche und Mißhandlungen oft vorkommen und vorgekommen sind. Aber die öffentliche Meinung spricht sich immer strenger dagegen aus. Vor einigen Jahren hatte auf einer Plantage in der Nähe der seinigen ein Aufseher, während eines längeren Aufenthalts des Plantagenbesitzers in England, Grausamkeiten begangen. Die Plantagenbesitzer in dieser Gegend vereinigten sich und schrieben diesem, daß sie so etwas nicht dulden könnten und die Entlassung des Aufsehers verlangten. Dies geschah. Mr. Poinsett ist übrigens der Meinung, daß das Sklavensystem auf die Weiber noch ungünstiger wirke, als auf die Männer, und sie nicht selten zu den hartherzigsten Eigenthümern mache.


Den 18.  

Ich komme von einem einsamen Streifzug auf die Plantagen hinaus, der mir wohl gethan hat, denn ich habe mich überzeugt, daß die Sklaven unter dem Pfirsichbaum mich wirklich zum Besten hielten. Bei meinem Spaziergang sah ich auf einem Reisacker eine Menge kupferner Geschirre, 25 bis 30 stehen, mit Deckeln bedeckt, wie man bei uns die Bütten und Körbe der Taglöhner im Grase stehen sieht. Ich ging hin, hob den Deckel auf und sah, daß die Gefäße warme, rauchende Nahrung enthielten, die ausnehmend gut duftete. In den einen waren gekochte braune Bohnen, in den andern gebratene Maispfannkuchen. Jetzt sah ich die Sklaven von weither am Ackerrain entlang kommen. Ich wartete, bis sie da waren, und bat um Erlaubniß, ihre Kost versuchen zu dürfen; und ich muß sagen, daß ich selten eine bessere und schmackhaftere Nahrung gekostet habe. Die braunen Bohnen waren wie unsere Prinzessenbohnen, weich mit Speckbrühe gekocht, nur für mich etwas zu stark gepfeffert. Aber das Ding schmeckte saftig, und so auch die Maiskuchen und die übrigen Speisen. Die Leute setzten sich auf den Graswall und aßen, einige mit Löffeln, andere mit Holzstücken, jedes aus seinem kleinen Topf (piggins werden diese Geschirre genannt), der eine reichliche Portion enthielt. Sie schienen zufrieden, waren aber sehr still. Ich sagte ihnen, daß arme Arbeiter in dem Land, von wo ich komme, selten eine so gute Nahrung hätten, wie sie hier! Ich war nicht gekommen, um Aufruhr unter den Sklaven zu predigen, und das Unglück dem ich nicht abzuhelfen vermag, will ich lindern, wenn ich kann. Was ich sagte, war überdies leider wahr. Aber ich sagte nicht, was leider auch wahr ist, nämlich daß ich lieber frei mit schmaler Kost, denn als Sklave mit reichlicher Kost leben will. Auf dem Heimweg traf ich einen alten, sehr gut gekleideten Neger, der an einem Bächlein stand und fischte. Er gehörte Mr. Poinsett, war aber, seit er älter geworden, von aller Arbeit entbunden. Von diesem klugen, alten Neger hörte ich allerlei, was mich freute. An ein paar andern Orten habe ich ebenfalls Leute bei ihrem Essen, Frühstück und Mittagessen, getroffen und gesehen, daß es gut und reichlich war. An meinen Negern vom Pfirsichbaum kam ich gestern Abend vorbei und sah sie mit vielen andern ungefähr um fünf Uhr nach Hause kommen. Einer von ihnen sprang, als er mich ansichtig wurde, über eine Hecke und begehrte, mit seinen weißen Zähnen grinsend, einen halben Dollar.

Den 20. April.  

Guten Morgen, liebe Agatha! Ich habe so eben mein zweites Frühstück (um 12 Uhr) in Bananas genossen. Diese Frucht lernt man lieb gewinnen. Sie ist mild und angenehm, und wirkt förderlich auf die Gesundheit, wie die milde Luft hier, d. h. wenn sie mild ist. Aber auch hier ist das Klima sehr veränderlich. Gestern fiel der Thermometer an einem einzigen Tag um 24°, und es war so kalt, daß meine Finger starrten wie Eiszapfen. Heute schwitzt man wieder, auch wenn man ganz ruhig im Schatten sitzt.

Wir waren zwei Tage fort, und zu großen Mittagessen geladen bei Plantagebesitzern, die einige Meilen von hier wohnen; es sind freundliche und gefällige Leute; aber diese großen Mittagessen sind mir so lästig, und die Speisen, die man da hat, bekommen mir so übel, daß ich von ganzem Herzen hoffe, zu keinem weitern fahren zu müssen. Meine gute Wirthin dagegen, die eine jugendliche Seele in einem schweren und etwas lahmen Körper besitzt, freut sich so herzlich darüber, wenn sie eingeladen wird. Gestern auf dem Weg, der in dieser Gegend durch schweren Sand führt, machten wir in einem Walde Halt, um die Pferde ausschnaufen zu lassen. Tiefer im Wald sah ich ein Sklavendorf, oder Häuser, die einem solchen glichen, aber äußerst unregelmäßig und verfallen aussahen. Auf meinen Wunsch ging Mr. Poinsett mit mir dahin. Ich fand wirklich die Häuser im baufälligsten, betrübtesten Zustand, und darin alte und kranke Neger und Negerinnen. In einem Zimmer sah ich einen jungen Knaben, der sehr geschwollen war, wie wenn er die Wassersucht hätte; Regen und Wind konnten frei durch das Dach hereinkommen. Alles war kahl im Zimmer, und von Holz und Feuer keine Spur, obschon es kalt war. In einem andern armseligen Haus sahen wir ein altes Weib, das auf Lumpen wie in einer Hundehütte dalag. Dieß war also die Versorgung, welche ein Plantagebesitzer den Alten und Kranken unter seinen Dienern gab! Welchem Schicksal sind nicht diese unter solchen Umständen verfallen! Und welches erbarmungsvolle Auge sieht sie außer dem Auge Gottes!

In einem Sklavendorf neben einem Herrenhof sah ich ausgezeichnet schöne Leute, und sie wohnten in guten Häusern. Aber ich bemerkte bei den jungen Männern düstere und trotzige Blicke und keine Freundlichkeit gegen ihre Herrschaft. Das sah nicht gut aus.

Auf dem Heimweg fuhren wir durch mehrere Sklavendörfer. Es war angenehm, das Feuer aus den kleinen Häusern leuchten zu sehen (jede Familie hat ihr Haus), und mit Vergnügen überzeugte ich mich, daß die Neger so bald am Tage von ihrer Arbeit nach Hause kommen.

Die Gegend umher ist eine sandige, waldbewachsene Ebene. Der Wald besteht meistens aus einer Art gelblicher Tanne (pinus australis oder Lichtholz), mit großen Büscheln von Viertelelle langen Nadeln, die zuweilen Aehnlichkeit mit dem Palmetto haben. Er ist entsetzlich einförmig. Aber hübsche hohe Blumen, Lupinen und schöne rosenrothe Azelien wachsen zwischen den Bäumen und beglänzen den Wald. Es wurde spät und dunkel, ehe wir nach Hause kamen, und ich saß da und sah nach Lichtern, die da und dort am Wege oder im Walde funkelten, aber verschwanden, als wir näher kamen. Ich machte Mr. Poinsett darauf aufmerksam und er sagte: Es müssen Feuerfliegen sein. Sie pflegen um diese Zeit zu kommen. — Ich hoffe nähere Bekanntschaft mit diesen leuchtenden Thierchen zu machen.

Den 21.  

Heute bin ich tüchtig im Wald und Feld umhergestreift und kam dabei an einen Fluß, welcher der schwarze Fluß genannt wird. In seiner Nähe sah ich Sklaven auf dem Feld unter den Augen eines weißen Aufsehers arbeiten, und von diesem erbat ich mir und erhielt einen alten Neger, um mich über den Fluß zu setzen. Der gutmüthige alte Mann war redseliger und offener als ich gewöhnlich bei Sklaven gefunden habe. Und während er mich in einem kleinen Kahn, der aus einem ausgehöhlten Baumstamm bestand, fortruderte, beantwortete er offen meine Fragen über die Eigenthümer mehrerer Plantagen, die am Flusse lagen. Von einem hieß es: „Guter Herr! gesegneter Herr! Ma’am!“ Von einem andern: „Böser Herr, Ma’am, schlägt seine Diener; haut sie in Stücke, Ma’am,“ u. s. w.

Auf der andern Seite des Ufers kam ich an eine Plantage, und hier traf ich den Eigenthümer selbst, der ein Geistlicher war. Er führte mich selbst in dem Sklavendorf herum und hielt mir über das Glück der Negersklaven eine Rede, die mich überzeugte, daß er selbst ein Sklave des Mammons war.

Soviel steht inzwischen fest, daß sie unter einem guten Herrn durchaus nicht unglücklich und weit besser versorgt sind, als die armen Arbeiter in Europa. Aber unter einem bösen und armen Herrn sind sie einem schauerlichen und hilflosen Elend verfallen. Die Sophisten, welche das ganze System von der Sonnenseite sehen wollen, läugnen im Allgemeinen, daß es solche gebe. Dieß ist abgeschmackt, und ich habe überdieß hier bereits genug von ihnen gehört und gesehen. Was der Norden gegen den Süden zeugte, das wollte ich nicht glauben. Aber was der Süden von sich selbst zeugt, das muß ich glauben. Ueberdieß ist auch der beste Herr keine Schutzwehr für die Sklaven, denn der beste Herr stirbt früher oder später und seine Sklaven werden dann wie das liebe Vieh an den Meistbietenden verkauft.

Die Sklaven außen auf dem Ackerfeld sind eine unlustige Erscheinung, denn ihre dunkle Farbe und ihre grauen Kleider, an denen nicht ein einziges weißes und farbiges Stückchen ist, gibt ihnen ein düsteres Aussehen (nur die gestickten wollenen Mützen der männlichen Sklaven haben gewöhnlich ein Paar rothe und blaue Stückchen in dem sonst grauen Grund). Sie sehen aus wie Erdgestalten. Ganz anders sehen unsre Bauern in ihren weißen Leinwandkitteln, ihrer zierlichen Tracht aus. Das Sklavendorf dagegen hat, wie ich bereits bemerkt habe, ein angenehmes Aussehen, nur daß man höchst selten Glasfenster an den Häusern trifft. Das Fenster besteht gewöhnlich aus einer viereckigen Oeffnung, die durch eine Art von Laden verschlossen wird. Aber so soll es auch die ärmere weiße Bevölkerung (und in Carolina ist sie sehr zahlreich) in ihren Wohnungen haben. In den Stuben sieht man beinahe immer ein Paar Holzklumpen im Kamin brennen, und man findet da Hausgeschirr und kleine Speisevorräthe, wie man es bei unsern armen Bauern und Käthnern daheim findet. Im einen und andern Haus sieht man jedoch mehr Wohlstand, die eine und andere Zierrath und wohl ausgestattete Betten. Jedes Haus hat seinen Schweinstall, worin sich gewöhnlich ein ganz fettes Schwein befindet. Auf dem Gartenland wimmelt es von einer Menge Hühner und Küchlein. In diesen Gärten wachsen indianisches Korn, Bohnen und allerlei Wurzelwerk. Aber sehr gut gehalten sehen sie nicht aus. Die Sklaven verkaufen Eier und junge Hühner, wie auch um Weihnachten ihre Schweine, und verdienen sich damit etwas Geld, wofür sie braunen Syrup (Melasse, die sie sehr lieben), Zwieback und andere gute Dinge kaufen. Auch legen sie Geld auf die Seite, und ich habe von Sklaven gehört, die mehrere hundert Dollar besitzen. Diese legen sie gewöhnlich auf Zins bei dem Herrn an, welchen sie, wenn er gut ist, für ihren besten Freund ansehen, was er gewöhnlich dann auch ist. Alle Sklavendörfer, die ich gesehen habe, gleichen einander vollkommen, nur daß in einigen die Häuser besser, in einigen schlechter im Stand sind.

Die Sklaven werden außer dem Herrn noch von einem oder zweien Aufsehern beherrscht, und unter diesen steht für jede Dorfschaft ein Treiber, der sie am Morgen weckt oder zur Arbeit treibt, wenn sie faul sind. Dieser ist immer ein Neger und oft der härteste und grausamste Mann in der ganzen Plantage. Denn wenn der Neger unbarmherzig ist, so ist er es in hohem Grade. Und er ist der schlimmste Quäler der Negersklaven. Freie Neger, die Sklaven haben — und hier finden sich solche, — sind gewöhnlich die schlimmsten Herrn. So habe ich wenigstens von glaubwürdigen Personen gehört.

Den 22. 

Mein Leben geht still dahin, so still wie der kleine Fluß vor meinem Fenster; aber das ist gut. Eine ruhigere Zeit habe ich hier im Lande noch nicht gehabt, denn etliche kurze Morgenbesuche von ziemlich entfernten Nachbarn abgerechnet, lebe ich ganz einsam mit meinem alten guten Ehepaar. Jeden Morgen liegt auf dem Frühstückstisch neben meinem Couvert ein kleines Bouquet von lieblich duftenden Blumen, meist von der peruvianischen Olea fragrans (und etwas lieblicheres habe ich nicht kennen gelernt) von Mr. Poinsetts eigener Hand gepflückt. Jeden Abend sitze ich mit ihm und Mrs. Poinsett allein da, lese und plaudre mit ihm oder erzähle der guten Alten Geschichten, gebe ihr wohl auch Räthsel auf, was sie sehr belustigt. Sie sitzt am Kamin und horcht ein wenig, was Mr. P. und ich beim Lampenschein am Tisch lesen und sprechen. Ich habe ihn mit meinen Freunden, den Transscendentalisten und Idealisten im Norden ein wenig bekannt machen wollen und ihm Stücke aus Emersons Versuchen vorgelesen. Aber das geht über den Kopf des alten Staatsmannes; er nennt es unpraktisch, er kritisirt oft ungerecht und dann hadern wir. Dann lacht die Alte am Kamin, nickt uns zu und ist ungemein belustigt. Emersons glänzende Aphorismen haben gleichwohl einigen Eindruck auf Mr. P. gemacht und er sagt, er wolle sich seine Arbeiten anschaffen. Es ist merkwürdig, wie wenig oder gar nicht Schriftsteller der nördlichen Staaten, auch die besten, in den südlichen bekannt sind. Man fürchtet ihre freisinnigen Ideen in die Sklavenstaaten einzuschleppen.

Mr. P. ist viel gereist in Europa wie in Amerika und er behauptet, daß nichts, selbst die schönsten Landschaften Mexikos und Südamerikas nicht, der schweizerischen Natur an pittoresker Schönheit gleichkomme. Die Schweiz ist das einzige Land auf Erden, das P. noch einmal zu sehen wünschte und wo er seine letzten Tage verleben möchte. Am staatsmännischen Leben und an Staatsmännern scheint er mehr als genug zu haben. Karolinas großer und beinahe vergötterter Staatsmann Calhoun ist nach P.'s Ansicht nicht groß, außer in seinem Ehrgeiz. Sein ganzes Leben scheint ein Kampf im Dienste desselben gewesen zu sein und sein Tod (er ist ganz kürzlich während einer Congreßsitzung in Washington gestorben) eine Folge dieses Kampfes in seiner Brust unter den politischen Fehden, worin er beständig lebte.

Meine zwei alten Leutchen sind liebenswürdig anzusehen in ihrem alltäglichen Zusammenleben. Sie lieben einander herzlich. Einen stehenden Streit haben sie mit einander über einen alten Strohhut der Dame, der wie ein auf- und abgewendetes Boot aussieht. Mr. Poinsett ärgert sich jedesmal, wenn er ihn sieht, und droht ihn auf die Seite zu schaffen, zu verbrennen, aber sie behält ihn hartnäckig bei und vertheidigt ihn voll Angst, wenn er eine drohende Demonstration macht. Alles geht jedoch in leichtem Liebeszank vorbei, und da der Hader bereits 10 Jahre andauert, so vermuthe ich, daß er sich bis zu ihrer Todesstunde fortsetzen wird. Sie haben beide einen Husten, den sie konstitutionell nennen, und da auch ich wie gewöhnlich von Zeit zu Zeit ein wenig huste, so haben wir jetzt drei konstitutionelle Husten hier. Ich beobachte mein altes Paar mit Vergnügen in seinem gegenseitigen Verhalten, und sehe dabei wie treue Liebe bis ins späte Alter blühen und es verschönen kann. Da sind Aufmerksamkeiten, allerliebste kleine Zuvorkommenheiten und Nachgiebigkeiten, die viele Küsse werth sind und sicherlich als Liebesbeweise noch größern Reiz haben als diese.

Den größern Theil des Vormittags verbringe ich im Garten unter den Blumen, Vögeln und Schmetterlingen, diesen zierlichen, mir fremden Geschöpfen, die mich hier als anonyme Schönheiten begrüßen. Während dieser Stunden in der fremden, schönen Natur kommen mir Gedanken, die mir großes Vergnügen gewähren und mir in gewisser Beziehung auch einen großen Trost einflößen. Seit einiger Zeit habe ich nämlich bemerkt, daß ich beinahe nichts, was die geringste Gedankenanstrengung kostet, lesen oder schreiben kann. Ich bekomme da eine nervöse Angst, die unbeschreiblich ist und lange nachwirkt. Ich habe deßhalb die Hoffnung aufgeben müssen, während meines Aufenthaltes hier Bücher zu studiren und mich dadurch zu orientiren, und das hat mich eine schwere Entsagung gekostet, ich habe lange dagegen gekämpft, denn so zu studiren ist immer mein größtes Vergnügen gewesen und ich habe hier mehr als je das Bedürfniß empfunden, Bücher verschlingen zu können, um mich einigermaßen in den Verhältnissen und der Literatur des Landes heimisch zu machen. Aber während dieser schönen Morgen in dieser schönen, duftenden, stillen Pflanzenwelt ist eine Klarheit, eine Gewißheit, etwas das dem innern Licht der Quäcker gleicht, in mir aufgetaucht und hat mir gesagt, daß es am Besten für mich sei, die Bücher wegzulegen, ganz und gar mit dem lebendigen Leben ohne Sorgen für den Augenblick zu leben und zu ergreifen, was die Stunde und die Gelegenheit bietet, ohne mir durch Pläne und viele Ueberlegungen Mühe zu machen. Ich will die Sachen an mich kommen lassen, wie sie kommen wollen, will mich bestimmen, wie sie mich bestimmen wollen. Ich habe die Ueberzeugung erhalten, daß eine höhere Leitung mich führen und Alles zum Besten lenken wird, daß ich nichts zu thun habe, als mich ihren Eingebungen zu überlassen, während ich meinen Blick fest auf den Bethlehemsstern gerichtet halte, der mich hieher führte — und ich kann meinen Blick nicht von ihm abwenden — das Verlangen die Wahrheit zu finden. So werde ich das Götterkind endlich finden. Also in Gottes Namen, lebt wohl ihr Bücher, ihr alten Freunde und Waiden! Ich strecke mich dem entgegen, was vor mir liegt, und glaube an Gottes väterliche Leitung. Etwas unendlich Liebliches und Erhebendes hat mit diesem Gedanken meine Seele ergriffen und mein Herz mit Freude erfüllt. Schwach fühle ich mich stark, und an die Erde gebunden fühle ich mich beschwingt. Ich bin blos ein schwaches Weib und ich kann die Welt erobern.

Und so gehe ich und schwatze mit den Blumen und lausche den Vögeln und dem Gesäusel der großen Lebenseichen. Eichen wie diese mit langen, hängenden Moosranken müssen das Orakel in Dodona eingegeben haben. Die schwarzen Vögel, die schaarenweise darin wohnen, sind so groß wie unsere Dohlen und haben auf beiden Seiten des Halses unter dem Kopf hübsche gelbe Schilde, wie halbrunde Krägen. Die Spottvögel sind grau, groß wie unsere Kohlamseln, und ihr Gesang sehr wechselnd und oft recht schön. Es fehlt ihm jedoch die kräftige Eingebung der europäischen Nachtigall und Lerche. Es ist als ob dieser Spottvogel aus dem Gedächtniß, als ob er Reminiscenzen sänge, und dabei ahmt er eine Menge Töne von andern Vögeln und auch von andern Thieren nach. Er hat indeß schöne eigene Töne, welche denen der Nachtigall und Drossel gleichen. Man spricht davon, daß diese Vögel mit einander Menuett tanzen. Ich selbst habe sie hier gegeneinander figuriren und ganz menuettartig trippeln gesehen. Ich vermuthe, daß dieß ihre Art zu freien ist. Eine Merkwürdigkeit ist, daß man Junge von diesen Vögeln, die man gefangen hat, niemals in Käfigen auferziehen kann. Sie sterben immer bald nach der Gefangennahme. Man behauptet, die Mutter komme zu ihnen und gebe ihnen Gift. Die ausgewachsenen Vögel dagegen gedeihen in den Käfigen wohl und singen.

In meinen Vormittagsbetrachtungen werde ich von einem muntern Negermädchen, einer Magd im Hause unterbrochen, welche sagt: Missis schickt mich um Jagd auf Sie zu machen („Missis sends me to hunt for you“) und dieß geschieht dann um mich zum Mittagessen zu rufen. Schreibe ich im Zimmer Briefe, so kommt gewöhnlich um 12 die gute Dame selbst mit Bananas und einem Glas Milch zu mir herauf. Sie ist seelengut.

Nachmittags gehe ich gewöhnlich auf Entdeckungsreisen aus. Wenn ich in der Dämmerung nach Hause komme, sehe ich häufig mein altes Paar mir entgegengehen, und zwar die Dame in etwas schleppendem Gang, auf den Arm ihres Mannes und auf einen Stock gestützt.

Den 24. April. 

Gestern Abend ließ ich mich von einem alten Neger in einem kleinen Kahn den Waccamawfluß hinunter rudern, trotz der Vorstellungen von Mrs. Poinsett, welche glaubte, dieß könne nicht gut gehen. Der Mond ging auf und schien klar über den Fluß und seine Ufer, über denen verschiedene Bäume und blühende Pflanzen hingen, die ich nicht kannte. Der Neger, ein freundlicher Greis, ruderte das Boot flink vorwärts, und wo ich eine lockende Blume sah, da steuerten wir hin und pflückten sie. So fuhren wir ein paar Stunden hin im hellen Mondschein, und alles war einsam und still auf dem Fluß und den Ufern, wie in einer Wildniß. Auf den Ufern des Waccamaw hat jedoch in diesen Tagen eine große Hochzeit stattgefunden, wohin alle Nachbarn geladen waren. Aber entweder gehören meine Wirthsleute nicht zu dem Kreise derselben oder war mein Ruf als Abolitionistin Schuld, daß ich nicht eingeladen wurde. Ganz gut! ich sehe zwar gerne Bräute und Hochzeiten, aber noch mehr liebe ich doch jetzt meine Ruhe. Als ich von meiner Flußfahrt nach Hause zurückkam, war meine gute Wirthin ganz froh mich noch am Leben zu sehen, und Mr. Poinsett sagte mir die Namen der Blumen, die ich gepflückt hatte. Es war eine Magnolia glauca dabei, eine weiße Blume, die einige Aehnlichkeit mit unsern weißen Wasserlilien hat. Aber diese wächst auf einem Baum mit graulichem Laub. Des Südens Prachtblume, die Magnolia grandiflora, kommt erst am Ende Mais zum Vorschein.

In ein paar Tagen werde ich nach Charleston zurückreisen. Meine guten Wirthsleute bitten mich länger zu bleiben, aber ich sehne mich nach Savannah zu kommen, bevor die Hitze zu stark wird und ich muß mich beeilen. Viel Gutes habe ich hier genossen und von Mr. Poinsetts Gesprächen vielen Nutzen gehabt. Und ich weiß jetzt, wie das Leben in den Plantagen aussieht, weiß ungefähr, wie die Negersklaven leben und wie Reis und Mais gepflanzt werden.

Charleston, den 26. April. 

Bin wieder hier, mein Kind, in meiner guten gemüthlichen Wohnung bei Mrs. Howland. Die Seefahrt zwischen Georgetown und Charleston war rauh und kalt, aber jetzt haben wir volle Hundstagshitze hier. Den letzten Abend bei meinem alten Paar brachte ich damit zu, daß ich ihre alten Handschuhe (natürlich auf eigene Eingebung) flickte, während Philemon und Baucis in ihren Lehnstühlen am Kamin saßen und schliefen. Sie sind alt, kränklich und in der Periode des Lebens angelangt, wo des Kindes Ruhe und Stillleben das höchste Glück ist. Am nächsten Morgen reiste ich ab von dem artigen, alten Staatsmann, der mich in eigener Person nach Georgtown führen wollte, und von den bekümmerten Blicken der guten Mrs. Poinsett begleitet, welche die drohenden Wolken herabkommen sah, um uns zu ertränken. Sie kamen jedoch nicht. Und die morgenfrische Fahrt durch die wilde Gegend und den Wald mit den schönen blühenden Acazien und über den schwarzen Fluß war mir angenehm und erfrischend. In Georgetown, einer kleinen Stadt, wo eine Menge von Gänsen das Merkwürdigste zu sein schien, schied ich von meinem freundlichen Begleiter mit dem Versprechen eines neuen Besuchs. Abends bei meiner Ankunft in Charleston kam mir Mr. Monefelt mit dem Wagen entgegen. Als wir in Mrs. Howlands Haus kamen, tanzte die Jugend nach dem Klavier in dem beleuchteten Saale, und Mr. Monefelt und ich, tanzten Arm in Arm unter großem Jubel mitten unter sie hinein. Und ich befand mich hier beinahe wie in meinem eigenen Hause. Gewiß ist, daß dieses Haus mit unsern scandinavischen Häusern, nota bene, wenn sie gut und glücklich sind, mehr Aehnlichkeit darbietet, als irgend eine andere Wohnung, die ich hier zu Lande noch gesehen oder nennen gehört habe. Das Familienleben, das Tanzen, das Musiciren und die Spiele am Abend, alles das ist ganz in schwedischem Styl.

Gestern wohnte ich der Begräbnisprocession des karolinischen Senators und Staatsmannes Calhoun bei, dessen Leiche durch Charleston geführt wurde. Ueber 3000 Personen sollen sich in dem endlosen Zuge befunden haben. Der Leichenwagen war prächtig und so hoch von einem großen Katafalk, daß er für alle von Menschenhand gemachten Thüren drohend aussah. Mehrere Bürgermilitärcorps paradirten in hübschen Uniformen, und eine Menge Banner mit symbolischen Bildern und Inschriften wurden vor ihnen hergetragen; das Ganze war recht hübsch und Alles ging vollkommen gut von Statten. Parteigeist, sowie wirkliche Ergebenheit und Bewunderung vereinigten sich, um das Andenken des Verstorbenen zu feiern und sein Hinscheiden wird in den südlichen Staaten als der größte Verlust beklagt. Er saß viele Jahre im Congreß als der größte Vertheidiger der Sklaverei, nicht blos als eines nothwendigen Uebels, sondern als eines für die Sklaven sowohl, als die Besitzer guten Zustandes, und er war stets ein großer Kämpe für die Rechte der südlichen Staaten. Calhourn, Clay und Webster sind lange als ein Triumvirat der größten Staatsmänner des Landes gefeiert worden, Calhoun war der große Mann des Südens, Clay ist der große Mann des Westens und der mittleren Staaten, Webster der große Mann der Staaten von Neuengland, obschon sich in ihnen jetzt eine bedeutende Opposition gegen Webster vorfindet, namentlich in der Abolitionistenpartei. Alle drei sind gewaltige politische Streiter gewesen, bewundert und gefürchtet, geliebt und gehaßt. Zwei sind es noch jetzt. Der Dritte fiel auf dem Wahlplatz, bis in den Tod und, wie es schien, auch gegen ihn kämpfend. Seine Porträts und Büsten, von denen ich viele gesehen habe, geben mir den Eindruck eines brennenden Vulkans. Das Haar steht empor, die eingesunkenen Augen glühn, Sturmfurchen durchfliegen das scharfe, magere Gesicht. Es ist unmöglich, aus dieser Erscheinung, an welcher Leidenschaft und Krankheit gleichviel verheert zu haben scheinen, den einnehmenden Gesellschafter, den liebevollen Hausvater mit weiblicher Sittenreinheit, den vortrefflichen Freund, den guten, von seinen Sklaven und Dienern beinahe angebeteten Herrn, mit einem Wort, den liebenswürdigen Menschen zu ahnen, als welchen sogar seine Feinde ihn anerkennen.[WS 8] Politischer Ehrgeiz und Parteigeist scheinen seine Dämonen gewesen zu sein und seinen Tod beschleunigt zu haben. Clay ließ in seiner Rede, die er im Senat über ihn hielt, einige sanftwarnende Andeutungen darauf fallen. Sein Kampf für die Sklaverei war eine „politische Bravade,“ sagte eine geistreiche Dame, die nicht der Antisklaverei angehört. Schade, daß ein so guter Mann für eine so schlechte Sache leben und sterben sollte!

In Südkarolina ist die Abgötterei mit ihm aufs Aeußerste getrieben worden und man hat im Scherz gesagt: „Wenn Calhoun schnupft, so niest ganz Carolina.“[WS 9] Auch jetzt spricht und schreibt man von ihm beinahe wie wenn er eine göttliche Person gewesen wäre. Auf den Straßen sprangen während der Procession eine Menge Neger herum und sahen ganz vergnügt aus, wie sie es immer bei öffentlichen Veranstaltungen sind. Mr. G. sagte mir, er habe Neger sagen gehört: „Calhoun war ein böser Mann, denn er wollte, daß wir Sklaven bleiben sollten."

Am Abend dieses Tages hatten wir Gäste daheim und Spiele, Tanz und Musik, ganz lustig und vergnügt. Hierauf wurde bis gegen Mitternacht in der lauen, mondhellen Luft auf der Piazza herumspaziert. Von der Flußseite hörte man Gesänge der Neger, die in ihren Booten den Fluß hinauf ruderten und aus der Stadt kamen, wohin sie ihre kleinen Vorräthe an Eiern, Hühnern und Gemüsen zu Markte führen, was sie ein bis zweimal in der Woche thun dürfen.

Wenn dieser Brief Dir zukommt, hast auch Du Sommer und Blumen, meine gute Agathe, und Gott sei Dank dafür gesagt!

Morgen reise ich nach Savannah, von da nach Macon, der Hauptstadt Georgiens, und dann nach Montpellier, wohin ich von dem Bischoff der episcopalen Kirche in den südlichen Staaten, Eliott, eingeladen bin, um der Jahresprüfung in einem Frauenzimmerseminar anzuwohnen, das unter seiner Aufsicht steht. Von da schreibe ich Dir weiter.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nmgibt
  2. Vorlage: immr.
  3. Vorlage: Chrithum.
  4. Vorlage: ich ich.
  5. Vorlage: Um
  6. Vorlage: fliuke
  7. Vorlage: Oseconebola
  8. Punkt hinzugefügt
  9. Anführungszeichen ergänzt
Zwölfter Brief Die Heimath in der neuen Welt. Erster Band
von Fredrika Bremer
Vierzehnter Brief
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