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Die Karolinen

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Textdaten
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Autor: Dr. Otto Finsch
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Titel: Die Karolinen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 642–643
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Karolinen.

Von Dr. O. Finsch.

Unsre Zeit ist dem Studium der Erdkunde in ganz besondrem Maße förderlich. Täglich tauchen Namen auf von Ländern und Orten, von denen wir in der Schule kaum vorübergehend hörten und die wir mit so vielen andren seitdem längst gern vergaßen. Wer unter uns kümmerte sich bis vor kurzem viel um den entlegenen Archipel der Karolinen, wie viele hatten jemals von einer Insel Yap gehört? Und heute ist sie gar wichtig geworden, zwei Völker streiten um ihren Besitz.

Die Inselgruppe der Karolinen ist über einen gewaltigen Meeresraum verstreut, sie erstreckt sich durch 32 Längen- und 4 Breitengrade, ganz Nordfrankreich, Holland und Belgien nebst Norddeutschland ließen sich in ihm unterbringen, aber dieser Raum wird zum bei weitem größten Theile von Wasser eingenommen, nur ein verschwindend kleiner Theil kommt auf eine Anzahl von meist ganz winzigen Landbrocken, die, zum kompakten Ganzen zusammengeschweißt, das Herzogthum Sachsen-Altenburg an Größe kaum übertreffen dürften. Und von diesem Areal entfällt noch mindestens ein Drittel auf öde und unbewohnbare Korallenriffe, deren nackte, rauhe Oberfläche nur hier und dort eine Gruppe grünender Kokospalmen verschönt.

Der staunenswerthen Thätigkeit jener unermüdlichen Baumeister der Südsee, der Korallenthierchen, verdankt eine ganze Reihe der Karolinen ihre Existenz. Langsam, aber dauerhaft bauen Milliarden jener kleinen Lebwesen ihre mächtigen, dem Ungestüm des Oceans trotzenden Steinwälle von Grund des Meeres bis zu seinem Spiegel auf; da aber erlahmt ihre Thätigkeit, denn aus dem Seewasser ziehen sie ihr Baumaterial, den Madreporenkalk, und außerhalb des Meeres endet ihr Dasein. Aber der Gott der Tiefe hilft nach. Aus den Flanken der aufstrebenden Riesenmauern reißt er gewaltige Blöcke und schleudert sie auf das Riff. Da sammeln sie sich an, bis die Fläche sicher über die brandende Fluth emporragt. Nun entsendet die Tropensonne ihre glühenden Strahlen, die mächtigen Blöcke zerbersten und lösen sich endlich in weißen schimmernden Korallengries auf. Noch rollt die Fluth die Stämme herbei, welche sie anderen Gestaden entrissen, vermodernd mischen sie sich mit dem zerfallenden Gestein, und bald sprießen aus dem geschaffenen Humus die Saaten, Geschenke der Winde und Wellen, zu anmuthigen Hainen auf.

So sind Hunderte dieser kleinen Inseln entstanden, die aber dennoch in ihrer Gesammtheit nur einen kleinen Theil des ganzen Areals ausmachen, von welchem volle zwei Drittel auf fünf größere Inseln entfallen, die, durch vulkanische Thätigkeit vermuthlich bereits unter dem Meeresspiegel entstanden, ihre abgerundeten, dichtbewaldeten Kuppen jetzt hoch über die blaue Fluth erheben.

Der Anblick dieser fünf Inseln: Kuschaie, Ponape, Ruk, Yap und Palau, ist von unvergleichlicher Lieblichkeit. Eigentlich sind es nicht Inseln, vielmehr Inselgruppen, verbunden durch niedrige Korallendämme, über welche die Fluth oft hoch genug hinwegfegt. Und es ist nicht die Mannigfaltigkeit und Eigenart der Vegetation, vielmehr ihre wunderbare Mischung und Gruppirung, welche diese Inselwelt mit einem Reiz umkleiden, wie wir ihn anderswo selten antreffen.

Eine der anmuthigsten Inseln der Gruppe ist das jetzt vielgenannte Yap, bei dessen Besetzung das deutsche Schiff dem spanischen Konkurrenten zuvorkam, ein Eiland von etwa vier Quadratmeilen Umfang oder vielmehr eine durch einen schmalen Isthmus verbundene Doppelinsel, auf welcher die ursprünglichen Urwälder durch schöne Haine von Fruchtbäumen und Palmen ersetzt werden, während die über 400 Meter aufsteigenden vulkanischen Kuppen nur mit Gesträuch, Farrenkräutern und Gras bedeckt sind. Die circa 200 Quadratkilometer große Insel zählt etwa 2500 Einwohner in nicht weniger als 67 von einander unabhängigen Ortschaften, und fast immer stehen einige der kleinen Potentaten einander feindlich gegenüber. Freilich sind die Verluste durch solche Kämpfe nicht groß, vorsichtig wirft man Erdwälle auf, um aus deren sicherer Deckung die gezähnten Speere hervorzuschleudern, auch [643] verknallt man wohl, ohne viel Schaden zu thun, aus alten Schiffskanonen und rostigen Musketen viel mittelmäßiges Pulver.

Ja, selbst Mitrailleusen, und zwar die früher in der bayerischen Armee gebräuchlichen, sind durch unternehnmende Kaufleute eingeführt worden und haben unter den Königen Käufer gefunden, jedoch deren Macht und Ansehen nicht zu kräftigen vermocht.

Wochenlang dauert zuweilen die Fehde, bis der besiegte Theil, der vielleicht kaum ein halbes Dutzend Todte zu beklagen hat, sich zur Zahlung einer Kriegsentschädignng bereit erklärt. Die Zahlung wird geleistet in einem großen gelblichen Steine, bei schweren Fällen wohl auch in mehreren, die man stets als Paradestücke vor den Häusern der Häuptlinge stehen sieht. Die kleinsten Stücke dieses Steingeldes sind von der Größe eines Tellers und von Armsdicke, ihr Werth stellt schon ein kleines Vermögen dar, von dem wohl eine ganze Familie der Eingeborenen längere Zeit leben kann, während die größten, unseren Mühlsteinen vergleichbar, denn sie sind auch in der Mitte durchbohrt, einen kaum schätzbaren Werth für diese Insulaner haben. Muß man doch dies Geld aus dem 200 Meilen weiten Palau holen, wo es nach erlangter Erlaubniß des dortigen Königs aus dem Fels gehauen wird, um auf gebrechlichem Kanoe zur Heimath geführt zu werden, sobald nach Ablauf mehrerer Monate der Wechsel des Monsuns den Antritt der Rückreise gestattet. Wie mancher mühsam erarbeitete Stein verschwand aber schon mit dem Kanoe in der Tiefe! Der zunehmende Verkehr mit den Europäern und das Annehmen ihrer Sitten wird dieses Geld freilich bald verdrängen, ist es doch den amerikanischen Missionären auf Kuschaie schon gelungen, die hübschen, aber knappen Grasröckchen der dortigen Bewohner durch europäische Kleidungsstücke zu ersetzen. Die Einwohner von Kuschaie werden civilisirt; ihre bunten Tänze hören auf, dafür lernen sie viel Oberflächliches in Kirche und Schule. Stolz konnte ein fleißiger brauner Schulbesucher als Resultat seiner Studien uns versichern, daß er Merika, Jesus Christ, Million, alles wüßte! Für solche Unterweisung und Sorge für ihre Seelen läßt man die gutmüthigen Insulaner hohe Abgaben zahlen, Kalender und Traktätchen kaufen und treibt mit den Ergebnissen der Kirchensteuern einen einträglichen Handel.

Freilich wird es solchen Verbreitern des Christenthums wohl nicht mehr allzu lange vergönnt sein, ihr einträgliches Geschäft zu betreiben, denn auch diese Rasse schmilzt dahin, wie der Schnee vor der Frühlingssonne. Welche auch immer die Ursachen sein mögen, die Thatsache steht fest, daß die Bevölkerung der Inselgruppe stetig abnimmt. Man schätzt sie jetzt auf nur 22 000 Seelen. So besitzt das schöne Kuschaie, das noch zur Zeit der Blüthe des Walfischfanges in den 50er und 60er Jahren von zahlreichen Schiffen angelaufen wurde und heute vollständig christianisirt ist, kaum mehr als ein paar hundert Bewohner, während das viel größere Ponape noch etwas über 2000 besitzen mag. Auch hier haben, wie allenthalben in der Südsee, durch Weiße eingeführte Epidemien (Blattern, Masern) große Verheerungen angerichtet. Und es ist schade um dies körperlich wohlgestaltete und heitere Völkchen, das immer, wo es nicht durch Eingriffe in seine Rechte aufgereizt wurde, sich als sanft und freundlich und zutraulich gegen die Europäer bewiesen hat. Die Karolinier zählen mit zu den schönsten Stämmen des westlichen Stillen Oceans, unterscheiden sich aber als Rasse in keiner Weise von ihren östlichen Nachbarn, den Bewohnern der Marschalls- und Gilberts-Inseln. Dagegen sollen die Eingebornen Palaus sich durch dunklere Hautfärbung mehr der melanesischen Rasse nähern.

Die Karolinier sind von nicht geringer geistiger Begabung, aber sie standen ehemals unzweifelhaft auf einer höheren Stufe der Gesittung, von welcher sie im Laufe der Zeit herabgesunken sind. Schwer entschließt man sich zu dem Glauben, daß die mächtigen Steinbauten von Kuschaie, Ponape und Palau Werke eines Volkes sein können, das fortdauernd angestrengter Thätigkeit so abhold ist, wie diese Insulaner. In Kuschaie schützen hohe Mauern die Ufer gegen den Anprall der Wellen, in Ponape sehen wir großartige Ruinen, cyklopische Bauten aus mächtigen Basaltsäulen, und in Palau muß man staunen über die hohen Wälle, Straßen und Steintreppen, die langen und breiten Steindämme, mit denen man künstliche Häfen bildete. Wie man die ungeheuren Basaltblöcke von ihrem Fundorte zu dem oft weit entfernten Bauplatze quer durch den Urwald fortschaffte, bleibt ein Räthsel. Jetzt bedecken Moos und prächtige Blattpflanzen die dunklen Riesenmauern, die nach allen Richtungen laufen. Meist umschließen sie unregelmäßige Vierecke, zu welchen große, mit Geröll halb verschüttete Oeffnungnen führen. Der innere Raum ist mit gewaltigen Bäumen bestanden und der Boden häufig mit flachen Steinen gepflastert. Ohne Zweifel wurden diese Riesenbauten zu Vertheidigungszwecken angelegt, aber wir sind da nur auf Vermuthungen angewiesen, denn bei der jetzigen Generation ist alle Erinnerung an den Bau dieser Werke verschwunden, nicht einmal eine vage Tradition kann uns über ihren Zweck belehren. Doch haben die Ausgrabungen, welche der Reisende Kubary in den sogenannten Königsgräbern von Nautauatsch auf Ponape anstellte, den unzweifelhaften Nachweis geliefert, daß die Erbauer dieser Riesenbauten mit den Resten der heutigen Bevölkerung identisch waren.

Aber noch immer entwickeln die Karolinier eine bemerkenswerthe Geschicklichkeit, verbunden mit Nettigkeit und Geschmack im Bau ihrer Häuser und Boote, in der Anfertigung von allerlei Geräth und Zeugen. Charakteristisch für diese Insulaner ist die Kenntniß einer primitiven Webekunst, welche ohne eigentlichen Webestuhl doch sehr hübsche Stoffe aus der haltbaren, fast seidenähnlichen Faser der Banane liefert. Darunter die buntgemusterten Toll oder Gürtel von Kuschaie und Ponape und die breiteren Stoffe von Ruk und den Mortloks, welche leider mehr und mehr durch europäische Fabrikate verdrängt werden. Denn schon hat sich ein reger Tauschverkehr mit europäischen Schiffen entwickelt. Die Insulauer liefern Kopra und Trepang in nicht erheblicher Menge gegen Zeuge, Beile etc. Die deutsche Handels- und Plantagengesellschaft der Südsee hat auf neun Inseln Faktoreien errichtet, darunter auch auf jenem Yap, und die Firma Hernsheim besitzt auf der großen Insel Ponape zwei Faktoreien auf eigenem Grund und Boden und eine Faktorei auf den nahen Ants-Inseln. Auch Engländer treiben Handel mit dieser Gruppe.

Vergeblich aber forschen wir nach einer Thätigkeit Spaniens. Seitdem im Anfange des 18. Jahrhunderts spanische Jesuiten den Versuch, hier das Christenthum zu pfanzen, endgültig aufgaben, hat Spanien hier weder seine Flagge entfaltet, noch haben seine Angehörigen irgend ein Interesse an dieser Gruppe bekundet. Die Missionsthätigkeit wird seit mehr als 25 Jahren durch die amerikanische Missions-Gesellschaft von Honolulu aus mittelst hawaiischer Lehrer betrieben, hat aber im Ganzen keine großen Erfolge gehabt. Diese Missionsgesellschaft besitzt ein eigenes Schiff, den „Morgenstern“, der alljährlich die verschiedenen Inseln der Karolinen besucht. Der Handel ist, wie bereits erwähnt, wie aber noch besonders hervorzuheben ist, fast ausschließlich und schon seit vielen Jahren in Händen von Deutschen. Jetzt aber, da der Boden vorbereitet ist und die unter Mühen gestreute Saat ihre Ernte bringt, möchte Spanien die Frucht fremden Fleißes einheimsen. Möge es unserer Regierung gelingen, das, was Deutsche erworben, denselben auch zu erhalten! Für die Eingeborenen jener Inseln wäre eine Vertauschung deutscher mit spanischer Herrschaft ein wahres Unglück, das zeigen uns die ehemals blühenden, jetzt ins tiefste Elend versunkenen benachbarten Marianen.