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Die Lachsfischereien am Columbia in Oregon

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Autor: Theodor Kirchhoff
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Titel: Die Lachsfischereien am Columbia in Oregon
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46–47, S. 768, 770–771; 776–779
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: industrielle Lachsfischerei am Columbia River bei Astoria
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[768]

Die Lachsfischereien am Columbia in Oregon.

Von Theodor Kirchhoff.

Es sind gerade siebenzehn Jahre vergangen seit jener Zeit, da ich den Lesern dieser Blätter zum ersten Male von den Lachsfischereien am Columbia, jenem gewaltigen Strome im Nordwesten der Union, erzählte.[1] Damals waren es Indianer, welche der Jagd dieses Bewohners der salzigen Tiefe bei seinen jährlich wiederkehrenden Massenwanderungen in die Flüsse jener Küstengebiete an den Stromschnellen der Dalles oblagen. Die Wildnisse des fernen Oregon haben sich seitdem in einen blühenden Culturstaat verwandelt, und meine vor mehr als anderthalb Decennien gemachten Andeutungen, daß der Lachsfischerei am Columbia im Laufe der Jahre eine großartige Entwickelung bevorstände, haben sich in einem Grade bewahrheitet, wie ich es mir damals nicht habe träumen lassen.

Als ich bei einer sich für mich alljährlich wiederholenden Geschäftsreise nach Oregon und dem Territorium Washington am Ostersonntage vorigen Jahres in Astoria, dem Emporium der Lachsfischereien am unteren Columbia, einen unfreiwilligen Aufenthalt nehmen mußte, benutzte ich die mir gegebene Mußezeit, um dort den Salmenfang und den Proceß des Präservirens der Lachse in den Lachspackereien gründlich kennen zu lernen, und will ich jetzt den Lesern dieser Blätter das Ergebniß meiner nicht uninteressanten Aufzeichnungen in möglichst klarer Weise vorlegen.

Astoria ist das Namenskind unseres weltberühmten Landsmannes, des New-Yorker Millionärs Jacob Astor. Dieses weitschauende kaufmännische Genie erkannte bereits beim Beginne unseres Jahrhunderts die Wichtigkeit des fernen nordamerikanischen Nordwestens und beschloß – es war im Jahre 1810 – an der Mündung des Columbia eine Handelsstation zu gründen, welche der damals allmächtigen Hudsonsbai-Pelzcompagnie in jenem entlegenen Lande Concurrenz machen sollte. Der Platz, den man zuerst für die Gründung des Handelsemporiums im Nordwesten bestimmte, wurde etwa 20 englische Meilen von der Mündung des Columbia an seinem linken Ufer gewählt, wo eine weitgeschweifte Bucht den über die gefährliche Barre einlaufenden Seeschiffen einen sicheren Ankergrund gewährte. Die Hoffnung des Gründers von Astoria, dort eine bedeutende Handelsstadt entstehen zu sehen, hat sich aber nicht erfüllt; es war vielmehr der 106 englische Meilen oberhalb Astoria am Willamette, einem Nebenflusse des Columbia, im Jahre 1845 gegründeten Stadt Portland vorbehalten, das Handelscentrum des Nordwestens zu werden. Könnte der alte Astor heute sein Namenskind besuchen, so würde er sich wahrscheinlich über dessen äußeren Anblick bitter enttäuscht fühlen. Aber er würde dort in der Nähe ein ganz neues Element der Größe finden, an welches er nie gedacht: eine Industrie, welche nach wenigen Jahren ihres Bestehens bereits mit Millionen rechnet und die in Astoria ihr natürliches Centrum findet: – ich meine eben die weltberühmten Lachsfischereien am unteren Columbia.

Die Stadt Astoria, welche etwa 3500 ständige Einwohner zählt, beherbergt zur Zeit des Lachsfanges fast die doppelte Zahl von Bewohnern und ist dann einer der lebhaftesten Plätze in Oregon. Im vergangenen Jahre wurde von den bei Astoria liegenden Lachspackereien (Canneries) etwas über eine Million Dollars an Fischerleute, Arbeiter etc. ausbezahlt, welche Summen [770] dem Kleinverkehr in jener Stadt größtentheils zu Gute kommen; denn die Einwohnerschaft Astorias, aus den verschiedenartigsten Nationalitäten zusammen gewürfelt, gehört durchaus nicht zu dem Geschlechte der Philister, sondern läßt ihre schwer erworbenen Dollars auf noble Weise in den 40 Kneipen, in den Handelshäusern, den Austerstuben und anderen civilisatorischen Etablissements des auf eine große Zukunft aspirirenden Millionärstädtchens wieder unter die Leute kommen. Daß Raufereien, Schießaffairen und Stechereien in Astoria zu den Seltenheiten gehören, scheint bei einer so gemischten Bevölkerung fast unbegreiflich zu sein, ist aber dennoch der Fall, und es freut mich, dem lustigen Astoria in dieser Beziehung ein so gutes Zeugniß in diesem Weltblatte ausstellen zu können.

Ein prächtiges Schauspiel bot sich mir dar, als ich am Abend jenes Ostersonntags bei dem herrlichsten Wetter den Blick von den hinter Astoria gelegenen bewaldeten Höhen über den mächtigen Columbia schweifen ließ: ein etwa sieben englische Meilen breites Gewässer dehnte sich vor meinen Augen aus, und diese ungeheure Wasserfläche war mit mehr als 500 Segelböten bedeckt, die alle der Mündung des Stromes zustrebten, um dort bei einbrechender Nacht ihre Netze zum Fangen eines Theils der Avantgarde der diesjährigen Salmenarmee auszuwerfen. Unter mir lag Astoria mit seinen zahlreichen, auf Pfeilern in den Strom hinausgebauten Holzquais, und zu beiden Seiten der Stadt, von der unteren Bucht bis nach dem sich im Osten als dichtbewaldete Höhe in den Strom hinausschiebenden „Tongue Point“, zog sich in großen Bogen eine lange Reihe von „Canneries“ hin, d. h. von fabrikartig angelegten Anstalten zum Verpacken der Salmen. Am gegenüberliegenden Ufer des breiten Columbia erstreckten sich die malerischen, mit dichtem Waldstande bekleideten Höhenzüge im Territorium Washington und fanden in weiter Ferne ihren Abschluß in einem sich kühn aufbauenden grünen Vorgebirge, dessen Fuß der große Ocean bespült. Ich habe ein gutes Stück dieser schönen Erde gesehen, aber ich muß gestehen, daß ich kein Flußpanorama kenne, welches sich, wenn der Himmel seinen in diesen Breiten alltäglichen grauen Wolkenanzug einmal mit einem sonnigen blauen Festgewande vertauscht, an Großartigkeit mit dem des unteren Columbia messen kann.

Den Lesern soll hier jedoch keineswegs eine landschaftliche Studie geboten werden; es soll sich vor ihren Augen nur ein Bild des industriellen Treibens an den Ufern des Columbiastromes entrollen. Begleiten wir also die Armada der Segelböte auf ihrer Fahrt nach den Fischereigründen an der Strommündung! Nur vier Monate im Jahre – vom 1. April bis zum 31. Juli – ist den Lachsfischern ihr Handwerk nach den Gesetzen des Staates Oregon und des Territoriums Washington, deren Grenzscheide der Columbia bildet, gestattet. Früher und später und am Tage des Herrn können die Salmen ihre Wanderung 1000 Meilen stromaufwärts nach ihren Laichplätzen unter polizeilichem Schutze unternehmen; sie haben dann nur noch die Rothhäute an den Dallesfällen zu fürchten, welche über dem Gesetze stehen und die vorbeiflüchtenden Lachsgeschwader zu jeder Zeit mit Netz und Speer attaquiren. Wer sich für diese Art indianischen Fischfangs besonders interessirt, der möge den oben erwähnten Artikel in den früheren Jahrgängen der „Gartenlaube“ nachschlagen. Hier haben wir dagegen nur die Ausrüstung und die Thätigkeit der civilisirten weißen Lachsfischer in’s Auge zu fassen.

Jedes der Fischerböte, welche an der Mündung des Columbia auf den Lachsfang ausgehen, hat eine Besatzung von zwei Mann, einen Fischer und dessen Gehülfen. Es ist ein außerordentlich gefährliches Handwerk, welchem diese Fischerleute obliegen. Da die Salmen dort am delicatesten sind, wo sie aus dem Salzwasser in die Strommündung gelangen, so streben alle Böte darnach, ihre Netze so nahe dem Meere wie möglich auszuwerfen und dort die in den Fluß hineinschwimmenden Lachse zu fangen. Die Mündung des Columbia bildet nun aber eines der gefahrvollsten Gewässer der Welt, und die Barre des Stromes (Columbia river bar) ist das Schreckgespenst aller Seefahrer an dieser Küste. Selbst bei stillem Wetter ist es dort nichts weniger als gemüthlich, wüthet aber ein Südweststurm, so ist die Brandung auf der Barre grauenhaft.

Die Böte, welche auf den Salmenfang ziehen, benutzen stets die Nacht zur Ausübung ihres gefährlichen Handwerks, da diese die passendste Zeit für einen ergiebigen Lachsfang bildet. Einige Meilen oberhalb der Strommündung werfen die Fischer ein gewaltiges Netz aus, das eine Länge von etwa 1500 Fuß und eine Tiefe von 30 Fuß hat. Das Netz ist aber kein geschlossenes, sondern nur ein riesiger Maschenvorhang, der von circa 100 Pfund schweren Bleigewichten in senkrechter Stellung im Wasser gehalten und oben durch eine Menge von schwimmenden Holzklöpfeln getragen wird. Mit der Ebbe treibt dieser Maschenvorhang, dessen eine Seite am Boote hängt, langsam stromab. Das Netz hat eine bräunliche Färbung, sodaß die Salmen es im Dunklen vom Wasser nicht unterscheiden können. Die unglaublich schnell stromauf schwimmenden Lachse rennen nun kopfüber in die Maschen. Die kleineren dagegen zwängen sich durch die Maschen, welche einen gesetzlich vorgeschriebenen Durchmesser von 8 1/[4?][WS 1] Zoll haben – die größeren bleiben darin hängen. Verstricken sie sich mit den Kiemen in den Maschen, so können sie nicht mehr athmen und ersticken buchstäblich im Wasser, so paradox dies auch klingen mag. Gelangen aber die Fische mit dem halben Körper in die Maschen, so werden sie lebendig an’s Boot gezogen und dort – grausam genug! – mit einem Knüppel vom Leben zum Tode befördert.

Die armen Salmen sind aber noch der Verfolgung durch andere Todfeinde ausgesetzt, vor Allem durch die an der Mündung des Columbia sehr zahlreichen Seehunde und Seelöwen. Diese Thiere, denen ein fetter Lachs bekanntlich ein lucullisches Mahl dünkt (vergl. Jahrg. 1881, Nr. 37), stellen sich oft in den Fischereigründen ein und fressen als Feinschmecker den in den Netzen festgerannten Fischen die Kiemen ab, oder reißen sogar einen gefangenen Salm ganz aus dem Netze heraus und verschlingen ihn als guten Bissen. 11 Lachse von je 30 Pfund Gewicht sind ein Mahl für einen ausgewachsenen Seelöwen. Die Fischer haben daher eine erklärliche Wuth auf die Seelöwen, welche die erbeuteten Lachse wie zum Hohn über dem Wasser hin und her schleudern, ehe sie dieselben verschlingen. Aber dieser Spaß kommt manchem dieser lustigen Flußpiraten theuer zu stehen; denn oft muß er ihn mit einer Büchsen- oder Revolverkugel büßen. Nicht besser ergeht es ihm, wenn er, nach gefangenen Lachsen recognoscirend, das Netz entlang ruhig hin und her schwimmt und dabei unvorsichtig den Kopf über das Wasser hebt.

Die Böte treiben, wie gesagt, mit der Ebbe langsam der Barre zu und mit eintretender Fluth wieder stromaufwärts. Gerathen sie aber in stockfinsterer Nacht und bei stürmischem Wetter in die Brandung, so sind sie meistens verloren; denn bevor die Fischer ihre mit Salmen beschwerten Netze von dieser großen Last befreien können, werden sie von den Wogen fortgerissen; die Böte schlagen um, und an Rettung ist nicht zu denken. Sollen doch im letzten Jahre 190 Fischerleute daselbst um’s Leben gekommen sein, ja in einer Nacht kenterten dort 25 Böte, und am nächsten Morgen fand man einige derselben, das Unterste nach oben gekehrt, am Strande; die Insassen der Fahrzeuge hatten sich, um nicht von den Wogen fortgespült zu werden, an den Sitzbrettern festgebunden, waren aber in dieser Lage elendiglich umgekommen. Oefters kommt es auch vor, daß die Böte in Folge der Masse der eingeladenen Fische umwerfen, und die Fischer können von Glück sagen, wenn sie bei einer solchen Katastrophe nur die Salmen und Netze, nicht aber auch noch das Leben einbüßen. Daß eine Ladung von 150 bis 200 Lachsen, die von 20 bis 60 Pfund das Stück wiegen, die Widerstandskraft eines mittelgroßen Fischerbootes bei stürmischem Wetter auf das Aeußerste in Anspruch nimmt, ist wahrlich kein Wunder. Aber die Aussicht auf einen reichen Fang ist für diese waghalsigen Seeleute zu verlockend, als daß da noch die Furcht vor der Gefahr bei ihnen aufkommen könnte.

Die Besatzung der 1200 Fischerböte, welche gegenwärtig den Lachsfang am unteren Columbia betreiben, recrutirt sich aus den kühnsten Seeleuten der Welt. Fast alle seefahrenden Nationen sind unter ihnen vertreten, namentlich Griechen, Dalmatiner, Italiener, Skandinavier, Briten, Amerikaner, Portugiesen, Finnländer und Deutsche. Die Spanier zeichnen sich unter den Fischerleuten durch Heimtücke besonders aus und berauben nicht selten die fremden Netze; oder sie wissen es so einzurichten, daß ihr Netz in dunkler Nacht einige hundert Ellen vor einem anderen stromab treibt, um die Salme zuerst abzufangen, – was man mit dem technischen Namen „corking“ bezeichnet. Chinesen giebt es nicht unter den Fischern; denn die Söhne des Himmlischen Reiches sind zu vorsichtig, um ihre kostbaren Existenzen den oben beschriebenen Gefahren auszusetzen.

Die Böte sind theils das Eigenthum der Fischerleute; theils [771] gehören sie den Besitzern der „Canneries“. Besorgen die Fischer ihre eigene Ausrüstung, sowohl die der Böte, welche durchschnittlich 250 Dollars kosten, wie die der Netze, deren Herstellung an 400 Dollars Auslagen erfordert, so erhalten sie den vereinbarten Preis von 60 Cents pro Fisch. Hiervon bezahlt der Eigenthümer des Bootes und des Netzes seinem Gehülfen 15 Cents pro Fisch. Liefert dagegen eine „Cannerie“ die Ausrüstung, so werden für jeden abgelieferten Fisch 50 Cents berechnet, von welcher Summe noch ein Drittel für den Gebrauch des Bootes und des Netzes an die „Cannerie“ zurückerstattet wird. Auf die Größe der Fische kommt es dabei nicht an. Der Fischer erhält denselben Preis für jeden Fisch, den er abliefert, einerlei ob derselbe 15 oder 50 Pfund wiegt.

Die kostspieligen Netze sind unter der ganzen Ausrüstung das riskanteste Eigenthum; denn sie gehen nicht selten bei stürmischem Wetter verloren, oder werden von riesigen Stören und boshaften Seelöwen zerrissen. Mitunter kommt es auch vor, daß sie sich in mächtige, den Strom herabschwimmende Baumstämme verwickeln und zerschnitten werden müssen, damit man sie wieder loslösen kann. Im günstigsten Falle halten sie nicht länger als eine Saison aus, müssen also in jedem Jahre durch neue ersetzt werden.

Der Nutzen, welchen der Lachsfang bietet, entspricht jedoch vollkommen der Capitalanlage und den Ansprüchen der Fischerleute. Das leuchtet ein, wenn wir bedenken, daß bei warmem Wetter die Salmen zuweilen in Schaaren, welche nach Millionen zählen, in den Fluß kommen, sodaß die Fischer in kurzer Zeit eine volle Bootladung fangen. In diesem Falle sind die Leute sogar mitunter gezwungen, einen Theil der Beute wieder fahren zu lassen, um nicht zu riskiren, daß die Böte in Folge der Last untersinken oder bei schwerem Wetter kentern – Vorfälle, die durchaus nicht zu den Seltenheiten gehören.

Das Einbringen von 2000 Lachsen wird für ein Boot als der geringste Ertrag während der Saison angesehen, obgleich es schon oft vorgekommen ist, daß ein einzelnes Boot während der Fangzeit 5000 bis 6000 Fische eingeheimst hat. Unter diesen günstigen Umständen erwirbt ein gewandter Bootführer sich 600 bis 700 Dollars in der Saison, und wenn nur Wenige von diesen Leuten ihr Erworbenes wirklich capitalisiren, so liegt die Ursache davon in den Verhältnissen des lebensgefährlichen Handwerks, welches die rohen Naturen verführt, durch Schlemmen und Zechen die flüchtigen Stunden nach Kräften auszunutzen, ohne für die Zukunft zu sorgen.

Die Böte fahren, wie bereits erwähnt, stets gegen Abend nach der Strommündung und kehren bei Tagesanbruch wieder zurück; selten bleiben sie länger als zwei Nächte aus, da die Netze nothwendiger Weise wieder ausgebessert werden müssen. Bei Tage auf den Fang auszugehen, würde ganz zwecklos sein, weil die Fische alsdann die Netze sehen können und zu schlau sind, um in’s Garn zu laufen. Wenn die Lachse, die das kalte Flußwasser scheuen, bei eintretender warmer Witterung in ungeheueren Schwärmen vom Meere in den Columbia ziehen, dann pflegen die in einer Entfernung von dreißig bis vierzig englischen Meilen stromaufwärts liegenden „Canneries“ ihre Böte Abends in großer Zahl durch kleine Dampfer stromabwärts bugsiren zu lassen und dieselben Morgens, mit Fischen beladen, ebenso zurück zu befördern, um die gute Zeit auszunutzen und sowohl den Fang wie den Geschäftsgang in den Packanstalten möglichst zu beschleunigen. Die Fischerböte der in der Nähe von Astoria liegenden „Canneries“ segeln dagegen in der Regel nach der „Bar“.

Da die größeren „Canneries“ im Besitze von dreißig bis fünfzig und noch mehr Böten sind, die alle auf einmal von einem Dampfer in’s Schlepptau genommen werden, so ist das Schauspiel der den breiten Columbia in langen Reihen auf- und abziehenden Böte ganz einzig in seiner Art und höchst interessant.

[776] Um das Verpacken der Salmen nach eigener Anschauung kennen zu lernen, wollen wir jetzt eine der großen „Canneries“ besuchen, welche die Bucht von Astoria in meilenlanger Reihe umkränzen. (Vergl. unsere nebenstehende Abbildung.)

Ich muß zunächst das freundliche Entgegenkommen dankend anerkennen, das mir durch den Besitzer der Anstalt zu Theil wurde. Ein mir wildfremder, mit dem Lachsgeschäft wohlvertrauter Amerikaner, gegen den ich den Wunsch äußerte, ich möchte mir einige möglichst genaue Notizen über den Proceß des Lachspräservirens machen, um dieselben zu einem Berichte für ein deutsches Weltblatt zu verwenden, das von mindestens drei Millionen Deutschen in allen Theilen der Erde gelesen würde, setzte sich sofort hin und schrieb mir einen ausführlichen Bericht über das Gewünschte nieder.

Die „Canneries“ sind alle wie nach der Schablone angelegt: sie gleichen einander, wie ein Ei dem andern. Es sind große, auf Pfeilern in den Columbia hineingebaute, aus Holz aufgeführte Gebäude, meistens einstöckig und im geräumigen Innern mit nur wenigen Nebenabtheilungen versehen. An der dem Flusse zugewendeten Seite, wo die Fischerböte an Treppen anlegen, befindet sich eine überdachte breite Gallerie. Die Gebäude sind so schmucklos wie nur denkbar, was dem praktischen Zwecke dieser Anstalten auch vollkommen entspricht.

Die Arbeiter, welche in den „Canneries“ Beschäftigung finden, sind ihrer großen Mehrzahl nach Chinesen. Die kleineren Packanstalten beschäftigen 50 bis 60, die größeren 120 bis 150 Zopfträger und dabei nur 5 bis höchstens 10 Weiße, welche als Aufseher, Maschinisten etc. Verwendung finden. Man versuchte es früher, weiße Knaben in den „Canneries“ zu beschäftigen, mußte den Plan aber wieder aufgeben, weil kein Verlaß auf sie war und es mitunter vorkam, daß sie ihren Posten in Momenten verließen, wo sie am wenigsten zu entbehren waren. Wie unangenehm muß es für den Besitzer einer großen Salmenpackerei sein, wenn ihm seine Arbeiter gerade zu der Zeit fortlaufen, wo die Lachse ihre Hauptgeschwader stromaufwärts entsenden, und die Fischerböte täglich 3000 bis 5000 Fische abliefern, die sofort verpackt werden müssen! Erwachsene Weiße aber sind als Arbeiter in den „Canneries“ schwer zu erlangen, da die Saison nur vier Monate dauert und sich nur Wenige von jenen für eine so kurze Zeit verpflichten mögen.

Daß die Besitzer der Packanstalten unter diesen schwierigen Verhältnissen den Chinesen als Arbeitern vor den Weißen den Vorzug geben, ist selbstverständlich; denn jene sind durchaus zuverlässig und arbeiten, sobald sie einmal eingelernt sind, wie die Maschinen. Die Abneigung der Oregonier und Californier gegen die bezopften Asiaten, welche ihnen durch ihr knauseriges, heimtückisches Wesen und ihre fremdartigen Manieren besonders zuwider sind, kann bei einem Geschäftsgange, wie er in den Lachspackereien unumgänglich nothwendig ist, nicht in Betracht kommen.

Was die Lohnverhältnisse betrifft, so beziehen die Chinesen einen Dollar und zehn Cents pro Tag und erhalten einen Platz zum Schlafen, müssen aber für ihre Verpflegung selbst sorgen.

[777]

Die „Canneries“ (Lachspackereien) von Astoria in Oregon.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von H. Heubner.

[778] Die wenigen weißen Knaben, welche noch in den „Canneries“ Beschäftigung finden, empfangen fünfzehn Dollars per Monat und Beköstigung, erwachsene weiße Arbeiter fünfunddreißig Dollars per Monat nebst Verpflegung, während die weißen Aufseher einen Gehalt von zweihundert Dollars per Monat beziehen, falls sie nicht, was nicht selten vorkommt, einen Antheil im Geschäft haben.

Die „Cannery“, welche ich zuerst besuchte – Kinney’s Cannery, eine der größten und in unmittelbarer Nähe von Astoria gelegen – ist, wie viele andere am Columbia, das Besitzthum eines englischen Hauses. Die Engländer haben fast das Monopol des Lachshandels. Das zum Anfertigen der Büchsen nöthige gewalzte Blech, das Garn für die Netze etc., alles dies wird direct von England importirt, und auch der weitaus größte Theil von präservirtem Lachs wird nach Liverpool verschifft, theils auf Segelschiffen direct, theils auf Dampfern über San Francisco. Columbialachs ist in allen kleinen englischen Landstädten eine beliebte Hausmannskost, und was von Columbialachs nach Australien und dem europäischen Continent gelangt, geht fast ausschließlich durch englische Hände.

Die von mir besuchte Packerei hatte auch ein oberes Stockwerk, wo eine Fabrik für das Anfertigen von Blechbüchsen eingerichtet war. Der Geschäftsführer bot sich mir sofort als Führer an und geleitete mich durch das ganze bedeutende Anwesen. Wie er mir mittheilte, beschäftigt diese „Cannery“ zur Zeit hundertvierzig Chinesen und verpackte im letzten Jahre dreißigtausend Kisten Lachs, jede Kiste zu vier Dutzend Blechbüchsen à ein Pfund. Fünfzig Böte, die der Anstalt gehören, besorgen das Herbeischaffen des Rohmaterials in Gestalt von frisch gefangenem Salm.

In dem weiten und hohen inneren Raume des weitläufigen Gebäudes waren ganze Berge von Holzkisten und Blechbüchsen aufgespeichert, in welchen der präservirte Lachs in’s Ausland verschifft wird. Ein Schwarm von Chinesen war emsig bei der Arbeit, theils an langen Holztischen, wo die Lachse geköpft, ausgeweidet, zerschnitten und verpackt werden, theils an großen Wannen mit kochend heißem Wasser, in denen die mit Lachs gefüllten Blechbüchsen den Proceß des Siedens durchzumachen haben. Alles war im großen Fabrikstil eingerichtet und ging schnell und maschinenmäßig von Hand zu Hand.

Zunächst führte mich mein freundlicher Begleiter nach der am Fluß gelegenen Veranda, wo gerade – es war am frühen Morgen – einige Segelböte ihre Fracht von frisch gefangenen Salmen abluden. Eine Freude war es, die prächtigen Fische zu betrachten, von denen manche fünfzig bis sechszig Pfund schwer sein mochten und nur wenige unter zwanzig Pfund wogen.

Unser nächster Gang führte uns zu einem langen Tische, wo die Salmen ausgeweidet wurden. Ein Sohn des himmlischen Reiches besorgte mit staunenswerther Geschicklichkeit das Amt des Zuschneiders an den ihm von einem Gehülfen in schneller Reihenfolge hingelegten Lachsen. Mit einem Schnitt seines riesigen Handmessers köpfte er den Fisch, mit zwei weiteren Schnitten wurden die Eingeweide bloßgelegt und entfernt. Kopf und Eingeweide fielen in einen Trog. Aus diesen Abfällen wird in einem Kochapparat ein Oel gewonnen, welches einen namhaften Handelsartikel bildet, wie auch in einigen Lachspackereien der Rogen aufbewahrt wird, um als Material zu einem vorzüglichen Caviar zu dienen.

Der Chinese, dessen Specialität im Köpfen und Ausweiden der Lachse besteht, wirft die Fische in einen großen mit Süßwasser gefüllten Kübel, damit sich Schleim und Blut von ihnen loslösen. Hierauf werden die Schuppen von den Salmen mit einem großen Messer entfernt und diese dann in einen andern Kübel voll Salzwasser geworfen, wo sie einen weiteren Proceß des Reinigens durchzumachen haben. Sauber und von allem Blut und Schleim gereinigt, gelangen die Lachse nun an das Zerlegemesser, welches mit acht breiten Klingen versehen ist, die sich um ihre eigene Achse drehen. Mit einem einzigen Schnitt wird der vor das Messer gelegte Salm in acht Stücke von gleicher Größe getheilt, von denen jedes eine Blechbüchse ungefähr füllt. Die zerschnittenen Lachstheile werden auf einen anderen langen Tisch gelegt, wo ein Schwarm von Chinesen dieselben in Blechkapseln verpackt.

Während die Zopfträger ihrem Geschäfte emsig oblagen, musterten sie mich öfters mit ängstlichen Seitenblicken, und so oft ich meine Beobachtungen in mein Notizbuch eintrug, sahen sie meinem Schreiben mit mißtrauischer Miene zu.

Mein Begleiter erklärte mir das seltsame Gebahren der Chinesen dahin, daß diese mich für einen Angestellten im Abgabenbureau hielten, der sie für das Eintreiben von Taxen notire. Die Versicherung, welche ich einem der Herren Zopfträger gab: ich sei bei meiner Ehre kein „tax collector“, schien ihn aber durchaus nicht zu beruhigen; denn die geängstigten Leute verfolgten mich unausgesetzt mit häßlichen Blicken, als ich von Tisch zu Tisch ging und, das Notizbuch in der Hand, mit dem verdächtigen Geschreibsel fortfuhr.

Die Blechbüchsen, welche mit der nöthigen Menge Lachsfleisch gefüllt worden sind, gelangen in schneller Reihenfolge an einen anderen Tisch, wo zunächst Deckel aufgesetzt und festgelöthet werden. Von hier aus werden sie auf hölzernen Gestellen, welche etwa 120 Büchsen fassen, in das „Bad“ gebracht, eine lange mit lauwarmem Wasser gefüllte Wanne. Hier müssen sie eine Probe auf die luftdichte Festigkeit ihres Verschlusses bestehen. Die in den Büchsen enthaltene Luft wird nämlich durch die Wärme des Bades ausgedehnt, entweicht durch die Oeffnungen eines etwa mangelhaften Verschlusses und gelangt in Gestalt von Bläschen an die Oberfläche des Wassers. Die defecten Exemplare werden gleich wieder aus dem Bade herausgenommen und der nöthigen Reparatur unterworfen.

Nun werden die Büchsen stockweise über einander gestellt und in große mit Süßwasser gefüllte Kübel gesetzt, an deren Boden sich eine in Schlangenwindungen gelegte Röhre befindet. Durch einen Druck von neunzig Pfund auf den Zoll wird das über den Dampfröhren liegende Wasser in zwölf Minuten zum Sieden gebracht. In dem kochenden Wasser bleiben die Büchsen eine volle Stunde lang, worauf sie herausgenommen und nach einander punktirt, d. h. fein durchlöchert werden, damit der Dampf aus ihnen entweichen kann. Die kleinen Oeffnungen werden sofort wieder verlöthet, und hierauf gelangen die Büchsen in andere mit kochendem Salzwasser gefüllte Kübel oder in große mit Dampf erhitzte Kessel, worin sie weitere anderthalb Stunden verbleiben.

Nachdem die Lachsbüchsen diesen ziemlich langwierigen Proceß des Siedens etc. durchgemacht haben, werden sie in das Verpackungszimmer gestellt, wo sie zwei Wochen hindurch unangerührt bleiben. Sie werden alsdann der Reihe nach genau geprüft, und zwar in der Weise, daß ein Sachverständiger mit einem Stabe auf den Deckel der Büchsen schlägt; er entdeckt mittelst dieses Experiments sofort, ob die Büchsen in gutem Zustande sind. Diejenigen, welche die Prüfung bestanden haben, werden schließlich mit Firniß überzogen und mit hübschen Etiquetten versehen, worauf sie zu je vier Dutzend in hölzerne Kisten verpackt werden und zum Versenden fertig sind.

Der große Raum der „Cannery“ bietet während der Hauptfangzeit der Salmen ein außerordentlich bewegtes Bild. Die vielen Chinesen liegen ihren verschiedenen Pflichten beim Reinigen, Zerschneiden und Verpacken der Lachse mit einer Anstelligkeit und einem Eifer ob, die staunenswerth sind. Jeder weiß genau, was er zu thun hat, und Alles greift maschinenmäßig in einander. Eine Dampfmaschine producirt den zum Sieden nöthigen Dampf. Hier stehen die großen Kübel, in denen die mit Lachs gefüllten Blechbüchsen „gebadet“ werden, in langer Reihe neben einander, während die mächtigen eisernen Cylinder, welche die Weite von großen Dampfkesseln haben, ihre Mäuler aufthun, um die Büchsen zu empfangen und ihren saftigen Inhalt für den Gaumen der Bewohner des fernen Albions lecker herzurichten. Tausende von nagelneuen Holzkisten bilden wahre Chimborazzos, und die hoch in Reihen über einander geschichteten Blechbüchsen machen den Eindruck, als ob eine belagerte Festung auf ein Jahr mit Lachs verproviantirt werden sollte. Im oberen Raume befindet sich eine Fabrik zum Anfertigen von Blechbüchsen. Das Ausschneiden des Blechs, das Verlöthen der Kapseln etc. wird ebenfalls von Chinesen besorgt, und Alles greift dort mit rasender Schnelligkeit in einander.

Der erste Versuch, präservirten Lachs vom Columbia zu exportiren, wurde im Jahre 1867 mit 7000 bis 8000 Kisten gemacht. Seit 1871 hat sich diese Industrie in’s Riesige vergrößert, und im Jahre 1882 belief sich der Ertrag der Lachsfischereien am Columbia auf 530,851 Kisten im Vollwerthe von 2,813,510 Dollars. Wenn ich sage, daß seit 1867 ungefähr 15 Millionen Lachse im Columbia gefangen worden sind und der Export von 32 am Columbia etablirten „Canneries“ gegenwärtig mehr als 2 Millionen Dollars pro Jahr repräsentirt, so [779] wird sich der Leser einen Begriff von der Größe und Wichtigkeit dieser Industrie machen können.

Gegen das Ende der siebenziger Jahre fand eine bedenkliche Verminderung in den Heerschaaren der Salmen statt, welche, aus dem Meere kommend, zur Frühlingszeit den Columbia hinaufziehen, sodaß die Besitzer der „Canneries“ zusammentraten und eine Lachszucht-Anstalt an dem in den Willamette fallenden Clackamasfluß in’s Leben riefen, um der Vermehrung dieser Fische systematisch nachzuhelfen; es wurden während der letzten drei Jahre von dieser Anstalt jährlich an fünf Millionen junger Salmen ausgesetzt. Leider ist die Lage jener „hatching Station“ keine besonders günstige, da sie achtzehn englische Meilen oberhalb Portland angelegt wurde, sodaß die jungen Fische zuerst durch das Gewässer des Willamette, welches durch den Unrath einer großen Stadt inficirt ist, schwimmen müssen, ehe sie in den Columbia gelangen. Welchen Einfluß diese junge Brut auf die künftige Einwanderung der Lachse haben wird, läßt sich noch nicht bestimmt sagen. Da aber im Jahre 1880 etwa anderthalb Millionen Salmen im Columbia gefangen wurden, so scheint es mit dem Aussterben der Lachse daselbst vorläufig noch gute Wege zu haben.




  1. Die Indianer beim Lachsfang“. Jahrgang 1865, Nr. 48.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Bruch ist unleserlich gedruckt, wahrscheinlich: 1/4.