Die Lorelei

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Autor: Heinrich Pröhle
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Titel: Die Lorelei
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aus: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten, S. 112–115
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Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Tonger & Greven
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Scans eines Exemplares der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung Berlin, Signatur 19 H 104 auf Commons; E-Text nach Deutsche Märchen und Sagen
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[112]
Die Lorelei.

Nördlich von Oberwesel liegt St. Goar und St. Goarshausen. St. Goar ist von Freiligrath in dem Gedichte „ein Flecken am Rhein“ beschrieben worden.

Welch ein prächtig Nest! ruft Freiligrath aus; wie schlank ist sein Mauerturm, wie schartig seine Burg und wie seltsam sind seine Thore mit Moos bewachsen. Wenn irgendwo am Rhein, so wohnt hier noch die Romantik im schlichten Nonnenkleide. Zitternd birgt sich die wunderbare Frau in kleinen, morschen Uferfesten. Sie kniet am Altare in den öden Kirchen, den sie in der Erinnerung an eine vergangene frömmere Zeit mit brünstigem Weinen umklammert hat. Durch die düstern Bogen des Kreuzganges schaut ein rankiges und verwildertes Gärtlein. Leise zittern die wolkigen Schatten seiner wilden Gebüsche an dem alten Gemäuer. Stellt sich schon die Stadt St. Goar so poetisch dar, so regt die nahe Lorelei noch seltsamere Träume in uns an.

Den Namen Lorelei oder Lurlei führt zunächst ein Felsen im Süden von Goarshausen.

Er steigt senkrecht aus dem Rheine auf, hat ein berühmtes Echo und ist den Schiffern gefährlich.

Lei heißt eigentlich der Fels.

Die Sage hat diesen aus dem Rheine aufsteigenden Felsen zum [113] Wohnsitze einer schönen Wasserfrau gemacht. Alles andere werden vielleicht die Dichter zu der Sage hinzugefügt haben.

So wird denn auch von der Lorelei wie von den griechischen Sirenen erzählt, daß sie die Vorüberfahrenden durch ihren zauberischen Gesang anlocke, bis sie an dem Felsen scheitern und versinken.

Im 13. Jahrhundert glaubte man, daß bei dem Lorelei-Felsen der Nibelungenhort versenkt sei. Aus dem 16. und 17. Jahrhundert wird berichtet, daß man meinte, er sei von Geistern bewohnt.

Folgendermaßen erzählt Clemens Brentano die Sage von der Lorelei in einem Gedichte:

Es wohnte eine Zauberin zu Bacharach am Rheine. Sie war so schön, daß sie alle Herzen bezauberte.

Viele Männer brachte sie rings umher ins Verderben. Niemals war Rettung aus ihren Liebesbanden.

Der Bischof ließ sie vor sein geistliches Gericht fordern. Aber er war gezwungen sie zu begnadigen, so schön war ihre Gestalt.

Gerührt sprach er zu ihr: „Du arme Lore! Wer hat doch Dich nur zur bösen Zauberin gemacht?“

Sie sagte: „Herr Bischof, laßt mich nur sterben, denn ich bin meines Lebens müde, weil jeder verderben muß, der mir in’s Auge blickt.

Meine Augen sind zwei Flammen, und ein Zauberstab ist mein Arm. Darum verurteilt mich zum Tode und laßt mich in’s Feuer werfen.“

Der Bischof erwiderte: „Ich kann Dich nicht verdammen, Du müßtest mir denn gestehen, weswegen mein eigenes Herz schon in diesen Flammen brennt.

Nein, nein, Du schöne Lorelei, ich kann Dir den Stab nicht brechen, weil sonst mein eigenes Herz mit zerbrechen würde.“

Lorelei sprach: „Herr Bischof, treibt nicht so bösen Spott mit mir und bittet lieber unsern himmlischen Vater um Erbarmen für mich.

Ich liebe niemand mehr und kann nicht länger leben. Ich bin zu Euch gekommen, um den Tod zu empfangen.

So wisset denn, mein Schatz hat mich betrogen und sich von mir gewandt. Er hat mich verlassen und ist in die Fremde gegangen.

Wollet Ihr aber erfahren, wie es sich mit meiner Zauberei verhält, [114] so wisset denn: Rote Wangen und milde Worte, das ist mein ganzer Zauberkreis.

Ich selbst muß darin untergehen. Mir thut das Herz so wehe. Ich möchte vor Schmerzen sterben, wenn ich mein Bildnis erblicke.

Darum verschaffet mir mein Recht und lasset mich sterben wie eine Christin. Denn es muß alles verschwinden, weil mein Geliebter nicht mehr bei mir ist.“

Da ließ der Bischof drei Ritter herbeikommen und befahl ihnen: „Bringt sie in ein Kloster! Geh, Lore, und befiehl Deine bethörten Sinne dem Herrn im Himmel.

Bereite Dich immerhin zu Deiner Todesreise. Aber am Leben bleibst Du doch, der Weg geht nur in’s Kloster, nicht in’s Grab, Du sollst nur ein schwarzes und weißes Nönnchen werden.“

Alle die drei Ritter ritten nun zum Kloster und hatten die schöne Lore zwischen sich.

Aber die bat: „O Ritter, laßt mich auf diesen großen Felsen steigen. Ich will nur noch einmal nach meines Geliebten Schlosse hinschauen.

Nur noch einmal will ich blicken in den tiefen Rhein, dann will ich gern in’s Kloster gehen, um Gottes Jungfrau zu werden.“

Der Felsen ist so jäh, die Wand so steil, aber doch klomm sie empor, bis sie oben war.

„Da geht ein Schifflein auf dem Rhein,“ rief sie aus, „der in dem Schiff steht, der soll mein Liebster werden.

So fröhlich wird mir das Herz, mein Liebster muß er werden!“ Mit diesen Worten lehnt sie sich hinab und stürzt in den Rhein. – –

Wunderbar schön ist Heine’s Gedicht Lorelei. Sein Inhalt läßt sich nicht erzählen, die Worte verwandeln sich in Musik, nicht allein auf den Lippen des Sängers, sondern auch auf denen des Vorlesers.

So möge das Gedicht, das eine Sage kaum genannt werden kann, hier wörtlich Platz finden:

Ich weiß nicht, was soll das bedeuten,
Daß ich so traurig bin.
Ein Märchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

[114a]

Lorelei.

[115]

Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar;
Ihr goldnes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr goldenes Haar.

Sie kämmt es mit goldnem Kamme,
Und singt ein Lied dabei,
Das hat eine wundersame,
Gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Höh’.

Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lorelei gethan.