Die Nachbarin des Donners

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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Die Nachbarin des Donners
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 412–416
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[412]
„Die Nachbarin des Donners.“



Geweihtes Erz! für Ewigkeit
Hat dich des Dichters „Lied“ geweiht.
Wer kann dich höher noch erheben,
Der Glockenstimme Heimathklang,
Als Friedrich Schiller’s Hochgesang?
„Hoch überm niedern Erdenleben
Soll an dem blauen Himmelszelt
Die Nachbarin des Donners schweben
Und grenzen an die Sternenwelt;
Soll eine Stimme sein von oben,
Wie der Gestirne helle Schaar,
Die ihren Schöpfer wandelnd loben
Und führen das bekränzte Jahr.
Nur ewigen und ernsten Dingen
Sei ihr metall’ner Mund geweiht,
Und stündlich mit den schnellen Schwingen
Berühr’ im Fluge sie die Zeit.
Dem Schicksal leihe sie die Zunge;
Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
begleite sie mit ihrem Schwunge
Des Lebens wechselvolles Spiel.
Und wie der Klang dem Ohr vergehet,
Der mächtig tönend ihr entschallt,
So lehre sie, daß nichts bestehet,
Daß alles Irdische verhallt.“


Als man am Begräbnißtage des Kurfürsten Johann, des Beständigen, in Wittenberg zur Trauer läutete, sprach Luther: „Die Glocken klingen viel anders denn sonst.“ Mit diesen Worten hat er die wunderbare Macht des Glockentons über unser Gemüth, unsere Stimmung fast kindlich einfach und doch so wahr bezeichnet. Wohl klangen die Glocken damals nicht anders, als immer, aber so innig ist ihr Ton mit den Gefühlssaiten unseres Herzens verbunden, daß er stets mit ihm in Harmonie bleibt, in Dur wie im Moll, von der Begeisterung, die auf Choralwogen schwebt, bis zum Heulen des Sturms, von der sanften Abendwehmuth bis zum tiefen Schmerz hinter’m Sarg der Lieben.

Diese Wirkung auf das Gemüth verleiht der Glocke den eigentümlichen Werth vor allen sonstigen Stücken des Gemeinde- Eigenthums. Sie gehört ausnahmslos Allen. Dem Aermsten wie dem Reichsten giebt ihr schallender Klang die Tageszeiten an, vom „Morgen-“ bis zum „ Abendläuten“, und ruft sie zu den Festen der Kirche wie der Familie, zum Taufstein und zum Altar; und nicht überall ist’s so schlimm, daß ihr Trauerton nur denjenigen, für welchen es bezahlt wird, auch auf dem letzten Wege begleitet. Diese enge Verknüpfung der Glocke mit dem Lebensgang jedes Menschen macht sie zu einem Schicksalsgenossen und verbindet sie mit der Geschichte des Dorfs, der Stadt, der Heimath der Bewohner. Schon die lebhafte Erinnerung an die heimische Glocke erweckt in der Ferne das Heimathsgefühl oft bis zum Heimweh.

War aber eine solche Glocke seit der Mitte des dreißigjährigen Kriegs bis auf die Gegenwart mit dem Schicksal einer Stadt, wie Leipzig, verbunden, so thut sich ein Stück Weltgeschichte vor uns auf, wenn wir hinblicken auf den vor unserm geistigen Auge vorüberwogenden Strom so vieler Völker, Fürsten und Führer, so vieler einzelnen Hervorragenden, so vieler Gewaltigen an Macht oder Geist und Kunst, und der großen Massen, der friedlichen Züge der Messen und Feste und der donnernden Heere der blutigen Schlachten! Und all’ diese Tausende und aber Tausende haben den tiefen Klängen dieser Glocke gelauscht, in Andacht und Gebet, im Siegesjubel, in Angst und Elend, in Festespracht, in Noth und Jammer, im Zittern und Toben des Sturms, beim Weinen der Geliebten auf dem Sterbepfühl und draußen im Todesröcheln auf dem kalten, nassen, zerstampften „Bette der Ehre“. Welch ein Menschengeschick ist nur zu erdenken, auf das in fast dritthalbhundert der ereignißschwersten Jahre des Vaterlandes die große Glocke vom Thurme der Nicolaikirche nicht herniedergehallt hätte! Ist es anders möglich, als daß an solch’ einem „geweihten Erz“ nicht blos das Herz des Glöckners und Thürmers hängt, sondern daß eine ganze Bewohnerschaft sie mit dem Gefühle erschallen hört und betrachtet, welches so mächtige Erinnerungen in jeder Menschenbrust erwecken müssen?

Ebendarum war es auch ein gemeinsamer Verlust, als diese alte große Glocke in jüngster Zeit zersprang, und ebenso nimmt die Herstellung eines vollständig neuen Geläutes aus dem alten Erze sämmtlicher vier Glocken des Nicolaithurms eine allgemeine Theilnahme für sich in Anspruch und hat in den letzten Wochen die Schritte vieler Leipziger nach dem großen Eckhause der Sternwarten- und Glockenstraße gelenkt, wo der alte Meister G. A. Jauck, der Rathsglockengießer von Leipzig, seine große und stattliche Werkstatt aufgeschlagen hat. Aus derselben sind bis jetzt nahe an vierhundert große Kirchenglocken, einzelne von mehr als hundert Centner Gewicht, hervorgegangen, deren mehrere ins Ausland, ja bis nach Indien kamen. Die vier alten Nicolai-Glocken hatten ein Gesammtgewicht von 158¾ Centnern, die aber in einem solchen Mißverhältniß vertheilt waren (die große Glocke 119 Centner, die drei übrigen 33¾, 4½ und 1½ Centner), daß dem Geläute alle Harmonie abging. Die vier neuen Glocken sind 80, 40, 23¾ und 10 Centner schwer und stimmen in dem Accord G, H, D, G.

Der Klang der Glocken geht ja um die ganze Erde, und so weit er zu Herzen spricht, reicht auch die Theilnahme für sie; ebendarum dürfen wir es wohl wagen, die hier gegebene Gelegenheit zum Versuch eines technologischen Commentars zu Schiller’s „Lied von der Glocke“ zu benutzen.

Merken wir uns nun vor Allem die technische Bezeichnung der einzelnen Theile jeder Glocke. Da, wo sie ihren größten Umfang hat, bei der Mündung, hat die Glocke auch ihre größte Metalldicke, den Schlagring, Schlag oder Kranz, d. i. den Umkreis, gegen welchen der Klöppelball schlägt. Von der Schlagmündung bis zur Mitte verengert sie sich nahezu um die Hälfte; der dann folgende Obersatz vollendet diese Verengerung, so daß der Durchmesser des obersten Theils der Glocke, der Haube oder Platte, nur die Hälfte von dem des Bordes beträgt, wie der schmale Rand heißt, in welchen der Schlagring nach unten ausläuft. Auf der Haube steht die gleich durch den Guß mit ihr verbundene Krone von sechs Henkeln (deren zwei von dem dritten, dem Mittelbogen, überspannt werden), welche zur Befestigung des Helms, Wolfs oder Jochs dient, eines im Verhältniß zur Schwere der Glocke starken Stückes Eichenholz, das, mit eisernen Ringen und Bändern verstärkt, mit beiden Enden cylindrisch in den eisernen Zapfen ausläuft, mit welchen die Glocke in der Messingpfanne des Glockenstuhls ruht, um geläutet werden zu können. Letzteres geschieht entweder am Glockenstrang mittels des Schwängels, also durch Ziehen von unten, oder durch Treten von oben auf das auf dem Schwängel befestigte Trittbret. Zur Befestigung des Klöppels dient das Hängeeisen, ein Oehr aus Schmiedeeisen, das in die Haube eingegossen ist, und ein starker, mehrfacher Riemen aus Rindsleder.

Unmittelbar vor dem Schmelzofen ist die Dammgrube ausgegraben, in welcher die Form aufgebaut wird. – Die Herstellung der Form ist des Glockengießers Meisterstück. Von ihr hängt Gestalt, Gewicht und Ton der Glocke ab.

[413]

Die Gießhalle von G. A. Jauck’s Glockengießerei in Leipzig. Nach der Natur aufgenommen von G. Sundblad in Leipzig.

[414] Nichts ist da der Willkür überlassen, Alles folgt strengster Berechnung, selbst die Bogenlinien des Glockenkörpers zieht nicht die freie Hand, sondern nach bestimmten Gesetzen der Cirkel oder das Lineal. Zur Grundlage dieser Berechnungen nimmt man die Glockendicke am Schlagring, die den vierzehnten Theil von der Länge des Durchmessers der Glocke am Borde derselben beträgt. Zu diesem Behufe theilt man diesen Durchmesser in vierzehn Schläge ein und bestimmt darnach alle übrigen Maße, namentlich die vom Schlagring aus abnehmende Stärke der übrigen Glockenwand. Dieser Länge entspricht zugleich die Höhe der Glocke mit der Krone.

Soll z. B. eine Glocke von 10 Centner Gewicht gegossen werden, so dient zur Berechnung der Verhältnisse der Form, damit diese genau das bestimmte Quantum des flüssigen Metallstromes in sich aufnehme, eine Normalglocke, welche erfahrungsmäßig nach Ton, Dimensionen und Gewicht bekannt sein muß. Das ist eine Glocke von 1 Centner Gewicht, welche den Ton As der einmal gestrichenen Octave und einen unteren oder Bord-Durchmesser von 19,58 Zoll sächsisch hat. Um nun die Verhältnisse der 10-Centner-Glocke zu finden, muß die Kubikwurzel aus 10 gesucht werden, das ist 2,1545, welche Zahl alsdann mit den bekannten Dimensionen der 1-Centner-Glocke multiplicirt die Größe und zugleich den Ton der 10 Centner schweren neuen Glocke auf das Genaueste bestimmt.

Was den Glockenton an sich betrifft, so ist das Größenverhältniß der in einer Octave liegenden Scala von zwölf Glocken durch Ausrechnung einer Zahlenreihe zu finden, welche genau den Schwingungen der betreffenden Töne in einem gewissen Zeitraum entspricht. Der Glockengießer, welcher nicht blos an handwerksmäßigen Erfahrungen und Ueberlieferungen festhält, arbeitet nach einer auf wissenschaftlicher Grundlage ruhenden Theorie, welche untrüglich ist. Wenn indeß doch die Herstellung eines rein harmonischen Glockengeläutes immer ein Meisterstück bleibt, so liegt dies an der Ausführung der verschiedenen Manipulationen beim Formen und Gießen, welches mit äußerster Genauigkeit erfolgen muß, weil jede, auch die kleinste Ungenauigkeit sich, wenn nicht durch Mißlingen des Gusses, so doch durch Störung der Harmonie auf das Empfindlichste rächt.

Zu diesen einzelnen Manipulationen führe uns nun unser Schiller! Er beginnt:

„Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.

Richtiger, kürzer und bestimmter konnte dies nicht ausgedrückt werden. Die Form besteht aus drei Theilen: dem Kern, welcher beim Guß die innere Seite der Glocke giebt; dann dem Hemd oder der Dicke, das heißt dem Modell der künftigen Glocke; – endlich dem Mantel, welcher die äußere Bedeckung des Modells bildet und der Glocke ihre äußere Gestalt verleiht.

Ist der Durchmesser der Glocke bestimmt, so schlägt man in der Mitte des Raumes in der Grube, auf welchem sie gegossen werden soll, einen Pfahl ein, der ungefähr bis zur Hälfte der Höhe der künftigen Glocke aufragt. Hieraus wird etwa anderthalb „Schläge“ (s. oben) über den Durchmesser der beplanten Glocke hinaus in Form eines breiten Ringes ein Fundament (der Stand) aus Back- oder Ziegelsteinen aufgemauert und auf diesem, ebenfalls von Ziegeln, ein Körper von nahezu der Größe und Form des hohlen Raumes der Glocke aufgeführt, jedoch so, daß er in der Mitte eine cylindrische Höhlung erhält, zu welcher von vier Seiten des „Standes“ niedrige Canäle führen, welche den nöthigen Luftzug unterhalten, wenn später, zur Austrocknung der Form, Feuer darin angeschürt wird. Oben auf den Pfahl wird ein langes Stück Eisen („Grenzeisen“) so gelegt, daß es auf beiden Seiten fest in’s Gestein mit eingemauert werden kann; es ist mit einer Pfanne zur späteren Aufnahme eines Eisenstiftes versehen. Ist dieser Kern bis zur Haubenhöhe der Glocke aufgemauert, so wird ihm mittels eines Lehmüberzugs die genaue innere Glockenform gegeben. Zu diesem Behufe wird in die Pfanne des Grenzeisens im Cylinder des Kerns eine eiserne Spindel gesteckt, die mit ihrem oberen Zapfen in einem mit Eisen überfütterten Loche eines starken Balkens läuft, welcher über die Dammgrube gelegt ist und die Spindel fest in senkrechter Stellung erhält. An diese Spindel sind, zwischen dem Balken und dem gemauerten Glockenkern, zwei gabelförmige Eisen (Scheeren) befestigt, zwischen deren Schenkeln ein sogenanntes Drehbret (auch Lehre oder Schablone genannt) eingeschraubt ist. Dieses Formbret ist so ausgeschnitten, daß es genau so viel Raum frei läßt, als zwischen dem Steinkern und der künftigen inneren Seite der Glocke Lehmlage Platz finden soll. Der Lehm dazu muß frei von allen fremden Körpern sein und wird, um ihm mehr Bindekraft zu geben, mit Pferdemist, Kälberhaaren, Flachs- oder auch Hanffasern untermengt. So wird nun Schicht um Schicht, jede neue nach völligem Trocknen der vorigen, aufgetragen. Entspricht endlich dieser Theil der Form der aufgestellten Berechnung, so entfernt man die Schablone aus dem Kern und unterhält nun darin ein gelindes Feuer zur soliden Austrocknung der Lehmmasse, die außerdem nun noch mit gesiebter, in Bier oder Wasser eingerührter Asche mittels Pinsels bestrichen (geäschert) wird, um eine zarte Scheidewand zwischen diesem Kernlehm und dem nun auf ihn kommenden Modelllehm zu ziehen und später die leichtere Ablösung dieses von jenem zu erwirken.

Der nächste, zweite Theil der Form muß das vollständige Modell der Glocke liefern. Die Spindel kommt wieder zwischen Grenzeisen und Balken, aber zwischen ihre Scheerenschenkel eine neue Schablone, genau nach dem Profil ausgeschnitten, welches die Glocke nach außen zeigen soll. Das Auftragen des Lehms erfordert jetzt noch mehr Aufmerksamkeit, als vorher, jede Schicht muß durch gelindes Feuer getrocknet, jeder Sprung und Riß in demselben gut zugestrichen und wieder getrocknet werden, bis endlich der letzte Ueberzug gegeben werden kann, welcher aus einer Mischung von geschmolzenem Talg und Wachs besteht. Aus dieser Mischung oder bloßem Wachs bestehen auch alle über die glatte Oberfläche des Metalls hervorragenden Glockentheile, wie Reifen, Stäbe, Gesimse, Laubwerk, Wappen, Bilder, Inschriften und sonstige Verzierungen.

Und nun kommt die Herstellung des dritten Haupttheils, des Mantels der Form. Hier kommt die Schablone (das Formbret) erst zuletzt in Anwendung. Die ersten Schichten des Mantels bestehen aus einem aus zerstoßenem und gesiebtem Lehm und feinem Ziegelmehl hergestellten Gemenge (Zierlehm), das mit Wasser in einen dünnen Brei verwandelt, ebenfalls mit Kälberhaaren und Pferdemist versetzt ist und mit einem Pinsel sorgfältig aufgestrichen wird. Mit diesem Zierlehm müssen namentlich alle Vertiefungen zwischen den Inschriften, Bildern und sonstigem Zierwerk vollständig ausgefüllt sein. Die Trocknung geschieht hier durch die Luft. Erst wenn hierauf eine Schicht Formlehm mit der Hand sorgfältig, um nicht durch Druck an den Wachsverzierungen und Inschriften zu verderben, darüber gelegt ist, beginnt wieder das Trocknen durch Feuer im Kern, alle Wachs- und Talgtheile im Innern schmelzen, ziehen sich in den Lehm und lassen nicht nur zwischen Modell und Mantel ringsum einen hohlen Raum, sondern namentlich die Eindrücke aller Verzierungen und hervorragenden Theile an der innern Seite des Mantels zurück. Der Mantel wird nun durch Auflegen und Abtrocknen immer neuer Lehmschichten und Lagen von Hanffasern bis zu einer Stärke von vier bis sechs Zoll gebracht. Nun erst wird wieder die Schablone angewendet, die nun im obersten Theil des Mantels eine kreisrunde Oeffnung ausschneidet, in welche später die Form der Krone eingesetzt wird. Ist dann der Mantel durch die Schablone gleichmäßig abgerundet, so wird er schließlich noch mit eisernen Schienen und Reifen umlegt, an welchen sich Haken zur Befestigung von Seilen befinden, an denen er nun, ohne irgendwelche Beschädigung der Kern- und Modellformtheile, mittels Krahns oder Flaschenzugs in die Höhe gezogen werden kann. Dies muß aber geschehen, damit die Arbeiter zu der noch auf dem Lehm des gemauerten Kerns ruhenden Lehmschicht des Glockenmodells gelangen können, um diese vollständig zu entfernen.

So weit sind die Arbeiten auf unserer größeren Illustration gediehen, welche das Innere der Jauck’schen Glockengießerei, zugleich mit dem alten Meister selbst, darstellt. Hart vor der Wand des Schmelzofens (im Hintergrund) ist die Dammgrube, aus welcher wir die Kernformen von drei Glocken hervorragen sehen. An der einen wird soeben die Lehmschicht des Modells vom Kern abgeschlagen. Die drei Mäntel dazu sehen wir oben, den einen zur Linken hinter dem Korb mit Hanf, der zweite ist umgelegt; dies geschieht, um etwa nöthige Nachbesserungen in dem Schrift- und Zierwerk anzubringen. Der dritte Mantel ist soeben aus der Grube emporgehoben und ruht mit auf dem Balken, dessen eisenausgelegtes Seitenloch vorher den Spindelzapfen des Schablone- oder Formbrets mit senkrecht hielt. Die Formen der drei Glockenkronen [415] stehen vorn rechts um den Meister Jauck, die durchgeschobenen Eisenstangenpaare dienen zum Tragen derselben; der obere oben offene Aufsatz ist später die Mündung für die einfließende Erzmasse. Die beiden Löcher zu Seiten der Oeffnung dienen zur Einführung der Windpfeifen, durch welche das einströmende Erz die in der Form enthaltene Luft austreibt. Links auf dem Lehmhaufen sieht der obere Theil eines Schablonebrets hervor.

Ist der Kern gereinigt und das Innere des Mantels, von dessen Zustand die künftige äußere Erscheinung der Glocke abhängt, für fertig erklärt, so wird der Kern noch einmal mit in einer Mischung von Milch und Ei zerrührter Asche überstrichen, damit sich keine Theile desselben beim Gießen mit dem Metall vereinigen können. Den Cylinder des Kerns füllt man mit Erde aus, schließt die Oeffnung desselben fest mit Lehm, gleicht diesen, der künftig den innern obersten Theil der Glocke bildet, gehörig ab und drückt in ihm den Ring des Hängeeisens (für den Klöppel) fest, damit er vom Metallfluß unberührt bleibe, während die mit Widerhaken versehenen Schenkel desselben hervorragen und so beim Guß vom Metall eingeschlossen werden.

Nun erst senkt man den Mantel wieder auf und über den Kern herab und verstreicht alle Fugen rund um seinen untern Rand mit Lehm und füllt endlich die Grube völlig, das heißt bis zum Rand des Gießlochs der Kronenform, mit Erde zu, stampft diese sogar mit Handrammen fest, um der Form, die schon ebendeshalb in ihren unteren Manteltheilen mehr Lehmstärke hat, größere Widerstandsfähigkeit gegen den Druck der einströmenden Metallmasse zu geben; und hat man endlich auch noch die Gußrinne vom „Stichloch“ des Schmelzofens bis zum Gießloch der Form angelegt, dann erst ist man da, wo unser Schiller beginnt. Gewiß nur wenige unserer Leser kannten die Fülle von Arbeit, die zu überwinden war bis zu dem Worte: „Fest gemauert in der Erde steht die Form, aus Lehm gebrannt.“

Lassen wir nun den Guß beginnen, dessen Schilderung unser Schiller seiner lyrischen Homilie von der Glocke als Text zu Grunde legte.

„Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
Doch recht trocken laßt es sein,
Daß die eingepreßte Flamme
Schlage in den Schwalch hinein!“

Der Schmelzofen zum Glockengießen ist ein sogenannter Reverberir- oder Flammenofen und besteht demnach aus einem Feuerheerd und einem Schmelzheerd, und zwar ganz aus Mauerwerk. Der Schmelzraum ist von kreisrunder oder ovaler Form, so wenig vertieft, daß das Metall in einer verhältnißmäßig großen und nur wenige Zoll dicken Schicht ausgebreitet wird, und von einem niedrigen Gewölbe überspannt. Die inneren, der Hitze am meisten ausgesetzten Theile werden von feuerfesten Ziegeln (aus Porcellankapselmasse) ohne Mörtel, blos mit Lehm verbunden, construirt. Zwei gewölbte, durch Thüren verschließbare Gänge führen die Luft über den aus gußeisernen Stäben zusammengesetzten Rost des Feuerheerdes, von dem dann die Flamme in niederwärts gehender Richtung über das Erz des Schmelzheerdes durch einen Canal geleitet wird, welcher der Schwalch heißt.

„Kocht des Kupfers Brei,
Schnell das Zinn herbei,
Daß die zähe Glockenspeise
Fließe nach der rechten Weise!“

Es gab eine Zeit, wo fromme Seelen zu manchem schönen Silberopfer für neue Kirchenglocken vermocht wurden, obwohl in die Glocken selbst derlei schwerlich je mit verwendet wurde, denn das Glockenmetall besteht, nach uralter Erfahrung, am besten nur aus Kupfer und Zinn, und zwar soll das Kupfer das Vierfache des Zinns ausmachen.

„Weiße Blasen seh’ ich springen;
Wohl, die Massen sind im Fluß.“

Ehe diese Zeichen geschehen, vergehen vier bis sechs, bei großen Metallmassen auch noch mehr Stunden der Feuerung. Auch macht es einen Unterschied, ob altes Glockengut umgeschmolzen, oder eine neue Mischung bereitet wird. In letzterm Fall kommt erst das strengflüssigere Kupfer allein in den Ofen und wenn dies völlig geschmolzen ist, wird das Zinn beigefügt. Dann

„Laßt’s mit Aschensalz durchdringen,
Das befördert schnell den Guß!“

Der Schmelzofen hat zwei Schornsteine, den einen rechts, den andern links vom Feuerheerde; ehedem zog man statt derselben einige Löcher im Ofengewölbe vor, durch deren beliebiges Oeffnen oder Schließen der Zug der Flamme nach den verschiedenen Theilen des Schmelzheerdes geregelt und eine gleichmäßige Erhitzung bewirkt wurde. Diese Löcher hießen Windpfeifen, und sie sind gemeint, wenn der Meister spricht:

„Wie sich schon die Pfeifen bräunen!
Dieses Stäbchen tauch’ ich ein,
Seh’n wir’s überglast erscheinen,
Wird’s zum Gusse zeitig sein.“

Dieses Stäbcheneintauchen geschah ehedem durch dieselbe Arbeitsöffnung („Fenster“), durch welche man überhaupt das Einbringen und das Umrühren des Metalls mit einer etwa zehn Fuß langen hölzernen Stange besorgt. Mittels eines eisernen Hakens an einer hölzernen Stange wird die Schlacke oder das Oxyd von der Oberfläche des Metalls abgezogen, denn:

„Auch von Schaume rein
Muß die Mischung sein,
Daß vom reinlichen Metalle
Rein und voll die Stimme schalle.“

Ein eiserner Löffel mit einem langen Stiel dient dazu, eine Probe des Metalls herauszunehmen und in den Sand zu gießen, um aus dem „Bruch“ die Beschaffenheit der Legirung zu entnehmen. Das ausgeflossene Stückchen Metall wird nämlich nach dem Erkalten zerschlagen. Zeigen sich dann auf der Bruchfläche grobe Zacken, so hat man zu wenig Zinn beigesetzt, ist dagegen das Bruchkorn kaum zu bemerken, so war der Zinnzusatz zu groß. Kann aber der Meister sagen:

„Schön gezacket ist der Bruch!“

so ist die Erzmasse zum Guß reif.

In der Vordermauer des Schmelzofens (vergl. unsere größere Illustration) befindet sich das Stichloch oder Auge, eine Oeffnung am Boden des Schmelzheerdes, die während des Schmelzprocesses durch einen thönernen oder eisernen Pfropf verschlossen ist. Dieser Pfropf geht nach außen verjüngt zu, so daß er durch den Druck des flüssigen Metalls fest getrieben wird; der Schmelzheerd selbst ist von beiden Seiten nach der Mitte und gegen das Stichloch hin ein wenig abhängig, so daß der Druck der Masse auf den Pfropf dadurch noch gesteigert, aber zugleich bewirkt wird, daß der Ablauf des Metalls in die Gußrinne ein rascher und vollständiger ist. Selbstverständlich werden vom Stichloch aus so viele Gußrinnen gezogen, als Glocken zu gleicher Zeit, d. h. aus der einen geschmolzenen Metallmasse, gegossen werden sollen.

Ist nun die aus Backsteinen und Lehm hergerichtete Gußrinne, die durch Kohlenfeuer in hohem Grade erhitzt wird, mittels großer Zangen, hanfener Hand- oder vielmehr Armschuhe und der Handblasbälge von Kohlen, Asche und Staub völlig gereinigt, so kann endlich der Mann mit der langen eisernen „Abstechestange“ bereit sein, den Pfropf in den Schmelzheerd hineinzustoßen. Es ist ein Moment voll banger, aufregender Erwartung.

Mit diesem Gefühl umstanden auch wir die Stätte, wie das Initialbildchen es zeigt, als die eherne Fluth fertig war zum Guß der großen und der kleinsten der neuen Nicolaiglocken. Alle Vorbereitungen für den wichtigsten und schönsten Augenblick des Werkes waren getroffen, jeder Mann stand an seinem Platz, und Schweigen herrschte im Kreise, als der alte Meister sprach: „Nun denn, in Gottes Namen, stoß auf!“ – Der Zapfen weicht dem Druck des Eisens – und hervor bricht der zischende Gluthstrom, in beide Rinnen zugleich, und

„Rauchend in des Henkels Bogen
Schießt’s mit feuerbraunen Wogen“ –

treibt aus den Windpfeifen die Luft der Form mit Feuerstrahlen empor und schäumt und sickert hinab, unsichtbar in der Tiefe die fest vorgezeichneten, neuen Gebilde schaffend.

Und bis zum erhabenen, belohnenden Ende geschieht nun Alles, wie Schiller es gesungen. Wenige Tage später wird „das Gebäude zerbrochen“, denn

„Wenn die Glock’ soll auferstehen,
Muß die Form in Stücke gehen“ –

und freudig erhoben sehen wir Alle das herrliche Werk vollendet vor uns und

„Auch des Wappens nette Schilder
Loben den erfahrnen Bilder!“

[416] Volle Wahrheit verkündet nun kommenden Geschlechtern die eherne Inschrift der neuen großen Nicolai-Glocke:

„Gegossen nach dem Bruderkriege in Dankestagen, 1452,
Ward ich von einer kaiserlichen Kugel zerschlagen, 1633.
Wieder gegossen trotz Krieg und betrübter Zeit, 1634,
Diente ich 233 Jahre in Freude und Leid.
Am Sterbetag des Herrn bin ich beim Läuten zersprungen, 1867.
Gott zu Preis und Ehre ist mein dritter Guß gelungen, 1869.“

Welcher Stadt im gesammten deutschen Vaterlande ist es aber mehr zu gönnen, als der Stadt Leipzig, die in ihrem Weichbilde mehr Schlachtfelder zählt als manches ganze Land, daß ihr und dem deutschen Volke und der Bildung und Gesittung aller Menschen zum Heil Schiller’s Weihespruch auch für diese Glocke gelte:

„Freude dieser Stadt bedeute,
Friede sei ihr erst Geläute!“

Friedrich Hofmann.