Die Procession am Fridolinstage
[770] Die Procession am Fridolinstage. (Mit Abbildung, S. 759.) Joseph Victor Scheffel’s anmuthiger und naturfrischer Romanzencyklus „Der Trompeter von Säkkingen“ mit seinen gesunden und kernigen Gestalten, seinen lebensvollen Genrebildern aus Deutschland und Italien und seinen neckischen und launigen Liedern voll Humor und Witz ist längst ein Lieblingsbuch des lesenden Publicums geworden. Um so mehr darf ein Unternehmen freudig willkommen geheißen werden, welches sich die Aufgabe stellt, die trefflichen Charaktere und reizenden Gemälde, die der Dichter des „Trompeters“ uns vor die Seele führt, auch unserm sinnlichen Auge zu vermitteln. Der rühmlich bekannte Meister Anton von Werner, besonders durch seine Illustrationen zu Herder’s „Cid“ und Schiller’schen Dichtungen in weiteren Kreisen gefeiert, hat bereits früher die Scheffel’schen Poesien mit prächtigen Zeichnungen geschmückt, welche dieselben dem Verständnisse der Leserwelt um ein gut Stück näher rückten. Nunmehr tritt er mit einer illustrieren Prachtausgabe des Scheffel’schen „Trompeters von Säkkingen“ vor’s Publicum (Stuttgart, J. B. Metzler), einem Werke, in welchem Dichter und Zeichner sich zu dem denkbar schönsten Bunde die Hand reichen, so daß Wort und Bild dem Quell einer Schöpferkraft zu entstammen scheinen. Anton von Werner hat den Geist dieser Scheffel’schen Dichtung mit einer Feinheit nachempfindender Phantasie wiederzugeben gewußt, welche Bewunderung erweckt, und in diesem Gefühle haben wir geglaubt, es nicht unterlassen zu dürfen, unseren Lesern eine Probe aus dem Scheffel-Werner’schen Buche mitzutheilen.
Unser Bild stellt die Procession (Drittes Stück: Der Fridolinstag) dar. Es ist der sechste März. Jung-Werner ist eben aus dem Pfarrhof geritten, und die Stadt des heiligen Fridolin schimmert ihm in heiterem Sonnenlichte entgegen. Als er durch das Thor reitet, klingen Orgeltöne an sein Ohr – und siehe da! feierlich kommt die Procession dahergezogen. Jung und Alt, Vornehm und Gering war im Zuge vertreten; den Matronen folgten die Jungfrauen.
Ein Madonnenbildniß trugen
Sie voraus; es war geschmückt mit
Purpurschwerem Sammtgewande,
Das als Weihgeschenk zum Danke
Für des Kriegs Beendigung
Sie dem Bild einst dargebracht.
Als die Vierte in der Reihe
Schritt ein schlankes blondes Fräulein,
Veilchenstrauß im Lockenhaare,
Drüber wallt’ der weiße Schleier,
Und er deckte halb ihr Antlitz
Wie ein Winterreif, der auf der
Jungen Rosenknospe glänzet.
Mit gesenktem Blicke schritt sie
Jetzt vorüber an Jung-Werner.
Der ersah sie – war’s die Sonne,
Die sein Auge jäh geblendet?
War’s der blonden Jungfrau Anmuth?
Viele zogen noch vorüber,
Doch er schaute festgebannt nur
Nach der Vierten in der Reihe,
Schaut’ – und schaute –, als der Zug schon
In die Seitenstraße einbog,
Schaut er noch, als müßt’ die Vierte
In der Reihe er erspähn. – –
– „Den Mann hat’s!“ so nennt der Sprachbrauch
Dortlands jenen Zustand, wo der
Liebe Zauber uns gepackt hat;
Denn der Mensch nicht hat die Liebe,
Nein – er ist von ihr besessen.
Sieh Dich vor, mein junger Werner.
Freud’ und Leiden birgt das Wörtlein:
„Den Mann hat’s!“ – Nichts sag’ ich weiter.
„Nichts sag’ ich weiter!“ damit schließt der Dichter das Capitel vom Fridolinstage, und damit schließen auch wir heute. Was dann ferner kam, wie Jung-Werner und die schöne Margaretha ein Paar wurden, das möge Jeder in dem prachtvoll ausgestatteten Buche, das Victor Scheffel gedichtet und Anton von Werner mit kunstreicher Hand ausgeschmückt, selber lesen – und schauen!