Die Rache (Lenau)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Nikolaus Lenau
Illustrator:
Titel: Die Rache
Untertitel:
aus: Nicolaus Lenau’s dichterischer Nachlaß, Seite 118–122
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Vorlage:none
Drucker:
Erscheinungsort: Stuttgart und Augsburg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[118]

Die Rache.

Der dunklen Wolke letzte schwand
Hinab am glatten Meeresrand,
Um Schatten fernem Land zu schenken
Und mit Gewittern es zu tränken.

5
Hier regt kein Hauch das durst’ge Laub,

Und ruhig liegt der feinste Staub;
Die Sommerluft ist schwül und matt,
Und auf der Wasserfläche glatt
Mag sicher hin die Spinne schreiten,

10
Sie kann in keine Furche gleiten;

Die Möwen taumeln träg und schlagen
Die schlaffe Luft mit Unbehagen.

[119]

Matrosen baden dort und singen,
Um Leben in die Luft zu bringen,

15
Denn ist der Seemann müßig auch,

Er liebt des Windes frischen Hauch.
Auf seinen Fahrten lernt’ er hassen
Das stille Meer vom Wind verlassen.
Sie singen froh ein irisch Lied,

20
Wie dem Matrosen wohlgeschieht,

Wenn er die Fahrt mit Müh vollbracht,
Die Münze rollt, die Dirne lacht,
Die Fiedel … weh! ein banger Schrei!
Den Einen biß ein Hai entzwei.

25
Dem Kameraden, der’s erblickt,

Hat Schreck und Wuth das Herz durchzückt.

Doch hat er schnell sich aufgemannt,
Sein Schreck ist in der Wuth verbrannt,
Er springt ans Land und holt sein Messer

30
Und stürzt zur Rache ins Gewässer;

Die Andern starren vom Gestade
Ihm nach, und flehen Gott um Gnade.

[120]

Wo bist? komm an! – er taucht und dreht
Die Augen rings und schwimmt und späht

35
Und sucht den grimmen Feind verwegen.

Da schießt das Unthier ihm entgegen,
Weit gähnt ihm zu der Rachenriß
Und fletscht nach ihm das Mordgebiß.
Doch denkt er nicht der eignen Sache,

40
Nur Rache, seinem Todten, Rache.

Tief in des Meeres Einsamkeit
Und Dämmerung beginnt der Streit,
Wild, athemlos, still; wer bezwungen,
Wird stiller nicht, als er gerungen;

45
Der Dolch, die Zähne sind gezückt,

Das Auge nah dem Auge rückt.

Am Strande stehn die Andern harrend,
Bang nach dem Ausgang niederstarrend.
Wohl Manchen mahnt’s: o spring hinein,

50
Laß deinen Bruder nicht allein!

Doch Schrecken hemmt die kühne That,
Und raunt ihm zu: es ist zu spat!

[121]

Da sehn sie roth das Meer sich färben,
Stets röther quillts. – Wer mußte sterben?

55
Der Hai that einen Schuß und Schnapp,

Doch am Gebiß vorüber knapp
Ist ihm der kühne Held geschwommen,
Und sucht bauchunter ihm zu kommen;
Er weicht und schießt und taucht hinab

60
Dicht unter seines Bruders Grab,

Bohrt ein den Dolch bis an die Haft,
Und zieht den Schnitt mit Lust und Kraft.
Gestachelt von des Schmerzes Feuer,
Wälzt seinen Leib das Ungeheuer,

65
Und wendet ihn, den wüthend jachen,

Dem Tapfern droht der offne Rachen,
Darin vor grimmigem Erbittern
Und Mordbegier die Zähne zittern;
Der Mann entglitt zum zweitenmal

70
Und mordend wühlt der scharfe Stahl.

Der Hai an ihm vorübersinkt,
Doch aus dem Schlund die Wuth noch blinkt;

[122]

Wie sterbend ihn das Auge mißt
Des Hais, der Seemann nie vergißt.

75
Er schwingt sich auf nach Luft und Licht,

Erschöpft sein Leib zusammenbricht;
Das Hurrah jauchzt, das Siegsgeschrei:
Der starke Held bezwang den Hai! –
Da wirft sich der verwegne Fechter

80
Ermüdet in den Ufersand,

Und schlägt ein helles Lustgelächter,
Daß er das Unthier überwand.