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Die Seefahrt von Troja nach Carthago

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Autor: Vergil
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Titel: Die Seefahrt von Troja nach Carthago
Untertitel: Im dritten Buch der Aeneide
aus: Neue Thalia. 1792–93.
1792, Zweyter Band,
S. 298–323
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1792
Verlag: G. J. Göschen'sche Verlagsbuchhandlung
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
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[298]
II.
Die Seefahrt von Troja
nach
Carthago.
Im dritten Buch der Aeneide [1].

1.

So war nun Asiens Gebieterin
von ihrer Herrlichkeit herabgesunken,
was Troja war, flog auf in Rauch und Funken,
und Priams ganzer Stamm fiel schuldlos hin.

5
Die Götter wollten so. Zu öden Küsten

des Auslands trieb uns ihre Warnung fort.
Noch lieh Antandrum, diese Fahrt zu rüsten,
am Fuß des Ida uns den Port.

[299]
2.

Wir sammlen uns, und alle wissen nimmer

10
wo nun das Schicksal hin uns reißt.

Kaum glänzt des Frühlings erster Schimmer,
als uns auf Glück Anchises segeln heißt.
Man schifft sich ein, und Abschiedszähren fließen
dem Boden – Troja stand sonst hier!

15
Ich nahm, mit Sohn und Volk ins Meer verwiesen,

des Hauses alte Götter noch mit mir.

3.

Weit lag vor uns ein kriegerisches Land
von Thraciern bewohnt, das, als Lykurg es zähmte,
zu gleichen Götterdienst, zum Gastrechtsband

20
mit Troja sich zur Zeit des Glücks bequemte.

Dorthin trug uns zuerst des Unglücks Lauf;
an seinen schlängelnden Gestaden
führt’ ich zum neuen Sitz die Mauern auf,
nach mir nennt’ ich sie Aeneaden.

[300]
4.

25
Für meinen Bau die Götter anzuflehen

weiht’ ich ein Opfer Dionäen;
am Ufer mußt’ ein weisser fetter Stier
dem Himmels Könige den Nacken beugen,
und von dem Hügel, nahe hier

30
bekränzt mit dichten Myrtensträuchen,

wollt’ ich mir nehmen, was zu decken den Altar
an grünen Zweigen nöthig war.

5.

Nicht ohn’ Entsetzen ist davon zu sprechen,
was ich itzt sah. Ich konnte kaum

35
den ersten Stamm aus seinen Wurzeln brechen,

so blutete der ausgerißene Baum,
und schwarze Tropfen fallen nieder
und blutig feuchten sie den Boden an.
Mir bebt’ ein kalter Schauer durch die Glieder,

40
indem mein Blut für Furcht gerann.

[301]
6.

Noch einmal faßt’ ich Reiß, was hier sich schlang –
ich wollte dieß Geheimniß doch ergründen –
und ziehe einen Stamm heraus – da drang
auch diesmal schwarzes Blut durch seine Rinden.

45
Nun wend’ ich an die Nymphen dieser Flur,

an Mars, den Schutzgott, ahndungsvoll mein Flehen.
Ich möge dieses Wunder nur
nicht als ein Unglückszeichen sehen.

7.

Zum drittenmal stemmt’ ich das Knie mit an

50
und zog noch stärker an den Zweigen;

da stieg – soll ichs erzählen oder schweigen?
ein tiefes Aechzen dumpf zu mir heran.
Die Worte hört’ ich aus des Hügels Boden:
Vergreife nicht, Aeneas, dich an mir!

55
Zerfleische nicht den hier begrabnen Todten!

beflecke nicht die reinen Hände dir!

[302]
8.

Aus deinem Troja selbst entsprossen,
bin ich dir näher wohl verwandt,
und nicht aus Holz ist jenes Blut geflossen.

60
O, flieh das gierige, grausame Land!

Denn ich bin Polydor. In tausend Wunden
durchbohrte eine Saat von Spießen mich;
du hast sie hier noch itzt gefunden,
denn hierher pflanzten ihre Schäfte sich.

9.

65
Ergriffen zweyfach von Entsetzen

graußt mir – der Athem stockt, zu Berge steigt das Haar!
Ach! der betrogne Priam war
so ehrlich, ins geheim mit goldnen Schätzen
einst seinen Polydorus zum Erziehn

70
dem Fürsten dieses Landes zu vertrauen.

Er mochte nicht auf Waffenglück mehr bauen,
und die Belagrung schreckte ihn.

[303]
10.

Der Thracier sah kaum entwichen
das Waffenglück, erloschen Trojas Glanz,

75
so schlug er sich zum Siegertheil der Griechen,

brach Treue nun und Glauben ganz.
Das Gold war nicht so leicht dem Bösewicht
wie Polydors Ermordung zu verschmerzen –
O, was erzwingst du von den Herzen

80
der Sterblichen, verfluchter Gelddurst, nicht!


11.

Kaum war ich zu mir selbst gekommen,
so weiß Anchises bald, was ich gelehrt, gehört,
ich sag’ es auch dem Volk, und bald hab’ ich vernommen,
was dieses Wunder für Entschlüsse lehrt –

85
Einhellig ward so fort beschlossen,

itzt, nach gebrochnem Gastrechtsband
zu fliehn das trügerische Land,
und mit dem ersten Winde abzustoßen.

[304]
12.

Die Todtenfeyer bleibt doch unvergessen,

90
ein Hügel wird gethürmt, und ein Altar

umfaßt mit schwarzer Bind’ und traurenden Cypressen,
Trojanerinnen stehn mit aufgelöstem Haar –
Wir gießen Milch und Blut aus heil’ger Schale
dem Todten hin, und fördern seine Ruh,

95
und rufen dann zum leztenmale

dem Geist mit lauter Stimme zu.

13.

Als itzt vom Sturm verlassen, wogenfrey
der Ocean Vertrauen sich erregte,
nur sanfte Luft sich noch bewegte

100
lief alles thätig an den Strand herbey.

Das Volk wird von Begier ergriffen
sich aus dem Hafen weg zu ziehn.
Bald sahn wir uns im Offnen schiffen
das Land, die Städte vor uns fliehn.

[305]
14.

105
Wir sahn im Schooß des Meeres Delos liegen,

dies heilge Eyland dient’ einmal
der Nereiden Mutter zum Vergnügen,
mit Gott Neptun, der dankbar ihm befahl,
sich zwischen Gyarus und Mykon hin zu setzen;

110
denn bis dahin schwamm Delos frey herum;

nun ists ein festes Heiligthum,
das keine Stürme mehr verletzen.

15.

Wir landen ruhig hier; auf unsern Wegen
nach Phöbus Sitz kommt Anius entgegen;

115
er dient dem Gott, wie er das Volk regiert,

die Binde ehrt sein Haupt, wie es der Lorbeer ziert,
Anchises wird vom alten Freund erkannt,
zur Wohnung geh’n die Gäste Hand in Hand.
Ich seh’ den Tempel, eine Felsenmasse,

120
wo ich mich flehentlich vernehmen lasse:

[306]
16.

O, gieb uns Müden eine feste Stätte,
uns eine Nachwelt, eine Heimath ihr!
erhalt, Apoll, das zweyte Troja! rette
den Rest, entflohn Achilles Rachbegier!

125
Wo ist ein Platz für uns? wer kann es lehren?

wo geht der Weg, befiehl ihn uns, wohin?
Laß, Vater, deinen Ausspruch hören,
Begeist’re unsern Muth und Sinn.

17.

Kaum hatt’ ich so mein Bitten vorgelegt,

130
als auf einmal des Tempels Grund erzittert,

und sichtbarlich der Lorbeerhain sich regt,
und das Gebirg umher erschüttert.
Des Heiligthumes Inn’res thut sich auf,
ein Brüllen aus dem Dreyfuß hallet wieder;

135
demüthig werfen wir uns nieder,

zu unserm Ohr dringt diese Stimm, herauf:

[307]
19.

Dardanier, Geprüfte! euer Glück
wird sich nur in der Ahnen Ursitz bauen;
dorthin begebet euch zurück,

140
denn euch erwarten seine Auen.

Dies alte Mutterland erforschet doch;
es wird Aeneas Stamm mit Kronen
der allgemeinen Herrschung lohnen
in Kindeskindern, selbst in deren Nachwelt noch.

20.

145
So Phöbus. Ein Geschrey der Freude füllt die Luft:

Wo liegt die Stadt? man will es hören
wohin der Gott die Irrenden beruft,
wohin sie sollen wiederkehren.
Itzt sann Anchises tiefer nach

150
des Alterthumes Urgeschichten;

er rief des Volkes Häupter auf und sprach:
laßt euch von dieser Aussicht unterrichten!

[308]
20.

Ihr schifft zu Jovis Insel fort;
dort lieget Ida’s Berg, der Stammort eurer Ahnen;

155
die reichsten Fluren blühen dort

in hundert Städten wohnen Unterthanen.
Selbst unserm Ahnherrn, Teucer, irret mich
nicht das Gedächtniß, ließen sich
Rhöteum’s Küsten hier zum ersten finden,

160
hier wünschte er sein Reich zu gründen.


21.

Hier wohnte man als noch kein Troja war,
in tiefen Thälern nur beysammen;
hier ist’s, woher uns Cybele sogar
und ihre Korybanten stammen.

165
Hier Ida’s Hain, des Fests verschwiegne Feyer,

das zahme Löwenpaar, womit die Göttin fährt –
Wohlan, wenn ihr des Gottes Ausspruch ehrt,
versönt die Winde! Gnossus Reich ist euer.

[309]
22.

Auch trägt die Fahrt dahin nicht weit;

170
habt ihr nur sonst bey Jupiter noch Gnade,

so treffet ihr von Kreta die Gestade
gewiß in dreyer Tage Zeit –
Drauf ordnet er, daß man zum Opfer schlachte,
zwey Stiere, die Neptun, Apoll bekam,

175
indeß man auch dem Sturm ein schwarzes Lamm,

ein weisses nur dem sanften Zephyr brachte.

23.

Idomeneus soll itzt sein Erbreich fliehn –
das sagt uns ein Gerücht; die Küste
von Kreta sey vom Feind geräumt und wüste,

180
man könne leere Wohnungen beziehn –

Wir laufen also aus und fliegen mit den Winden.
Das luft’ge Noxos legen wir zurück,
Olearos, das weisse Paros schwinden,
das grünende Donys, vor unserm Blick.

[310]
24.

185
Wir sehn vorüberseegelnd die Cycladen

zerstreuet in dem Ocean umher
und schiffen hin an mancherley Gestaden,
und sehn beengt durch sie das Meer.
Ein Schiffsgeschrey erfrischte die Gefährten:

190
Fort, immer fort, nach unsrer Väter Land!

Der Wind begann noch günstiger zu werden,
und endlich traten wir auf Kreta’s alten Strand.

25.

Ich lege nun begierig hier den Grund
zur neuen Stadt, nach der das Volk verlangte;

195
der Name, Pergamus, mit dem sie prangte,

macht meinen Wunsch, hier zu verweilen kund,
und eine neue Burg hier zu erhöhen –
Die Schiffe werden schnell den Ufer anvertraut.
Man greift zum Pflug der Acker wird bebaut,

200
die Lieb’ erwacht und stiftet Ehen.

[311]
26.

Ich theilte Häußer aus, und gab’ im neuen Reiche
Gesetze schon – doch plötzlich sank herab
aus fauler Luft die fürchterlichste Seuche,
und zehrte Menschen, Bäum’ und Saaten ab.

205
Ein Sterbejahr für manches frohe Leben!

was blieb, trug jener Krankheit Spur,
der Hundsstern sengte weit umher die Flur
und Wies’ und Feld versagten Frucht zu geben.

27.

Zu dem Orakel, rieth Anchises an,

210
hin zu Apoll nach Delos umzukehren,

zu nessen abermals die Flutenbahn,
zu bitten sühnend, doch uns zu belehren:
was wohl noch sey der Leiden Ende
für uns Ermüdete! wie nur

215
zu ahnden unsrer Rettung Spur?

wo man itzt hin das Steuer wende?

[312]
28.

Um Mitternacht, wo alles Erdenleben
der Schlaf umfieng, lag ich noch wachend hier.
Da sah ich heil’ge Götterbilder mir

220
wie ich aus Troja’s Brand sie riß, vor Augen schweben.

Es blieben bey dem Glanz, der sie umfloß,
die Schützer Phrygiens mir unverborgen,
zumal umher sich Mondenlicht ergoß.
Sie redeten mich an, zur Linderung der Sorgen:

29.

225
Was dir, wenn du nach Delos schiffst, nur immer

Apollo sagen kann, verkündigen auch wir.
Er sandt’ uns her nach deinem Zimmer;
wir folgten selbst aus Troja’s Flammen dir
durch manche Fluth, geschwellt von Winden –

230
Noch hebt sich dein Geschlecht den Sternen gleich;

denn eine Hauptstadt sollst du gründen
und ein durch sie beherrschtes Reich.

[313]
30.

Für Große ziemet großes Unternehmen –
Nicht hier auf Kreta zu bestehn

235
winkt dir Apoll, er heißt dich weiter gehn,

zur längern Walfahrt dich bequemen.
Es giebt ein altes Land, in Waffen unbesieget,
Hesperien nennt es der Grieche nur;
dort haben einst die fette Flur

240
Oenotrier zuerst gepflüget.


31.

Italien wird es nach seinem Fürst benannt;
hier wird sich uns ein fester Wohnort zeigen.
Er war einst Dardanus schon eigen;
der ist für unsern Stammherrn anerkannt.

245
Wohlan, laß dies Anchises wissen;

du wirst Ausonien nun suchen müssen
und Kocytus; kein Zweifel sey gewagt,
Dikte’s Gefilde hat dir Jupiter versagt.

[314]
32.

Betäubt war ich von dem Gesicht

250
und von dem Götterwort; ein Traum war’s nicht.

Ich sah vor mir die göttlichen Gestalten,
mit ihren Binden, die das Haupthaar halten.
Ich riß mich von dem Lager auf,
und fühlte kalten Schweiß mich übergießen.

255
Die Hände streckt’ ich flehend himmelauf,

ließ ächten Wein dem Opferheerde fließen.

33.

Das Opfer war vollbracht, als ich sogleich
froh dem Anchises, meinen Fall erzählte;
er merkte bald, wie sehr er im Vergleich

260
des Neuen mit dem Alterthume fehlte,

so wie in unsrer Herkunft Doppelsinn –
O, sprach er, Sohn, den Troja’s Fall belehrte,
Cassandra war davon, was mich bethörte,
die einzige Wahrsagerin.

[315]
34.

265
Nun merk’ ich wohl, was unser Stamm,

in ihrem Munde oft zum Theil bekam,
und wie sie nur Hesperien verstanden.
Doch, wem fiel’ ein, daß Trojer da noch landen.
Wer mochte damals, was Cassandra sprach,

270
beherzigen! wer die Prophetin hören!

Doch jetzt laßt uns Apollo’s Warnung hören;
itzt geht der rechten Deutung nach.

35.

Mit Jauchzen folgen wir dem Wort,
verlassen nun auch diesen Landungsort;

275
es bleiben wenige zurück; die Segel schwellen,

das hohle Balkenhaus schweift in den Wellen;
man sieht kein Land, nur Himmel noch und Meer.
Doch schnell treibt über uns ein dunkles Wetter her,
und schreckhaft werden bald die Wogen

280
mit Finsternissen überzogen.

[316]
36.

Vom Sturm gegeisselt runzeln sich die Wellen,
die ungeheuren Waßer schwellen
der Tag zieht vor dem Wetter sich zurück,
die Regennacht verhüllt den Himmelsblick.

285
Der Wolken aufgerißner Rachen

gießt Feuerströme aus, verscheucht aus ihrer Bahn
verirren sich die ungewißen Nachen
im grenzenlosen Ocean.

37.

Selbst Palinurus glaubt sich zu verwirren

290
in Nacht und Tag, weiß wo er steuert nicht.

So müssen wir drey düstre Tage irren,
drey Nächte ohne Sternenlicht.
Am vierten sehn wir Land sich heben,
sich uns enthüllen ein Gebirge dort,

295
und Rauch von weitem in die Höhe schweben –

Wir ziehn die Segel ein, wir rudern emsig fort.

[317]
38.

Das Volk schlägt tiefgebükt die blauen Wellen,
man sieht den Schaum herauf am Ruder schwellen.
Da fassen wir mit Angst, die uns noch retten muß,

300
am Ufer der Strophaden Fuß –

Im weiten Meere Joniens bekamen
die Inseln von den Griechen jenen Namen;
die gräßliche Celäpo wohnet hier
und mehrere Harpyjen noch mit ihr.

39.

305
Vorher schloß Piereus sie aus seinem Hauß;

sie ließen nur aus Furcht der Tafeln Vorrath liegen –
Kein Ungeheuer ist vor solchem Grauß
den Styx im Götterzorn entstiegen,
und Pesten ziehn dorther so giftig nicht –

310
Von Art sind’s Vögel, Mädchen von Gesicht,

die Hand gekrallt, der Leib von Unflat überzogen,
die Wangen bleich, von Hunger ausgesogen.

[318]
40.

Als wir hier landen, sahen wir ganz nah
im Graß die schönste Opferheerde.

315
Ein Ziegenvolk liegt ohne Hirten da,

wir schlachten ab mit strengem Schwerdte.
Selbst Zevs, geloben wir, soll seinen Antheil haben –
und richten uns zu beßrer Ruh
am Ufer Rasenbänke zu,

320
um uns am fetten Mahl zu laben.


41.

Auf einmal stürzen schauerlich
sich die Harpyjen vom Gebirg hernieder,
sie schwingen sausend ihr Gefieder
und nehmen unser Mahl vor sich.

325
Was ihre ekelhaften Krallen

davon berühren, wird befleckt,
indem, von ihrem Pesthauch angesteckt
ihr gräßliches Geheul die Lüfte wiederhallen.

[319]
42.

Wir bringen nun in holem Raum,

330
einsamer Felsen weit hinweg die Tische,

und sind gedekt von manchem Baum,
von dichtverwachsenem Gebüsche;
schon lodert wieder ein Altar –
Doch bald auch rauschet der Harpyjen Schaar

335
mit Klauenfüßen her aus düstern Ecken,

um unser Mahl von neuem zu beflecken.

43.

Itzt ruf’ ich auf zu Schild und Schwerdt,
die Ungeheuer zu besiegen.
Das Volk hält sich gefaßt, wie ich’s begehrt,

340
die Waffen bleiben still im Grase liegen.

Kaum hört Misenus an dem Strand umher
der rauschenden Harpyjen Schwingen,
so läßt er uns, von hoher Warte her,
des holen Erzes Ton erklingen.

[320]
44.

345
Da fängt sich eine neue Art zu kämpfen,

mit dieser schlimmen Vogelgattung an.
Das Schwerdt soll ihren Anfall dämpfen,
was sie doch nicht verwunden kann.
Es prallt vom Flügel ab, vom Rücken.

350
Gen Himmel eilt der Ungeheuer Flug –

ihr Nachlaß war uns ekelhaft genug
mit ihrer Beute abgenagten Stücken.

45.

Celäno setzt sich ganz allein
auf einen hohen Fels, preßt in Prophetengrimme

355
den Busen, um mit heller Stimme

die Unglücksworte auszuschreyn:
Was Teukrier? Erst würgt ihr unsre Heerde,
und jetzt, bethört von diesem leichten Sieg,
droht ihr uns selbst mit ungerechtem Krieg?

360
Mißgönnt uns gar die väterliche Erde?

[321]
46.

Vernehmet denn, und prägt es in die Seele,
was Jupiter dem Phöbus, dieser mir
entdekte, was ich wieder euch erzähle;
Der Furien Größre höret ihr!

365
Ihr sucht Italien jetzt auf,

und werdet bey gewognen Winden
auch bald Italien wohl finden;
selbst in den Hafen trägt euch euer Lauf.

47.

Doch wird die euch verheißne Stadt

370
mit Mauern nicht umzogen werden,

bis selbst die Gier, womit ihr unsre Heerden
erlegtet, sich an euch gerächet hat.
Erst soll euch heißer Hunger plagen;
die leeren Tische selbst beißt euer Zahn

375
aus Mangel nothgedrungen an;

ihr werdet gierig sie benagen.

[322]
48.

So schreyt Celäno. Mit erhobnen Schwingen
eilt sie zurück in Wald. Erstarrt ist unser Blut,
und hingesunken aller Muth;

380
Wir wollen nichts mehr durch die Waffen zwingen,

wir wünschen bittend, mit Gelübden schon
die Schuld des Angrifs auszusöhnen,
sey es, daß schlimme Vögel nur uns höhnen,
sey es, daß Götter uns bedrohn.

49.

385
Anchises streckte vom Gestade

jetzt zu dem Himmel seine Händ’ empor:
„Entfernt die Drohung, Götter, beuget vor
dem Unfall, schenkt den Frommen Gnade!“
Von Ufer reißt man nun des Schiffes Seil,

390
gelößte Taue werden angezogen.

Die Seegel wölbt der Süd; uns lenkt mit Eil
der Steuermann hin über Schaum der Woogen.

[323]
50.

Schon schwimmet vor uns mitten in dem Meer
das waldige Zacynth, und neben

395
den felsichten Neritos schweben

Dulichium und Same hoch einher.
Wir mußten nur die Klippen fliehen,
den Kreis um Ithaka, Läertes Thron,
bestimmt den grausamen Ulysses aufzuziehen,

400
nahm Ithaka hier unsern Fluch zum Lohn.


51.

Nun blickt Leukate’s Wolkengipfel vor
und furchtbar für den Seemann steigen
Apollo’s Berge aus der Flut empor;
ermüdet streben wir sie zu erreichen,

405
und grüßen bald die kleine Stadt.

Denn als der Anker, ledig seiner Bande,
am Vordertheil den Grund ersunken hat
steht fest das Hinterschiff am Strande.


  1. Die in den vorhergehenden Stücken abgedrukte Uebersetzung einiger Bücher der Aeneide haben folgende von einer andern Feder veranlaßt, und man glaubt, dem Publikum durch den Abdruk derselben einen um so angenehmeren Dienst zu erzeigen, da sie dazu dienen kann, das zweyte und vierte Buch der Aeneide zu verbinden.
    der Herausgeb.