Die Segnung der Alpen

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Autor: Karl Stieler
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Titel: Die Segnung der Alpen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 450–453
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Segnung der Alpen.

Eine blaue, stumme Weite wölbt sich uns zu Häupten. Nur die zerklüfteten Felsengipfel, aus denen selbst in Sommertagen kühle Schneeluft weht, ragen reglos in dies Blau, stundenweit hört man den Flug des Windes, das Rauschen des Bergbachs und jenen Lebensstrom, der durch die tiefgelegenen Wälder zieht. Dann wird es wieder stille – minutenlang, stundenlang und tagelang. Droben aber auf den herben, steinigen Halden blüht das Gras zwischen den verwitterten Blöcken, kurze blaue Blumen nicken darin, und die Bergbienen summen darüber und tauchen in die süßen Kelche.

Es kommt die Nacht mit ihrem unermeßlichen Sternengefunkel, es kommt der Morgen mit seiner sieghaften Sonnenpracht, aber stumm und ungesehen zieht das eine und das andere vorbei in unwandelbarer Ruhe. Denn drunten, unter dem Schutz des Felsvorsprunges, liegen wohl ein paar braune Hütten, und durch den nahen Wiesenhang klingt das Geläute der Alpenheerde, aber die Menschen, die hier weilen, haben ihr hartes Tagewerk, das Sinn und Kräfte ganz in Anspruch nimmt, und das keine Zeit gewährt, um träumend dieser Welt zu lauschen.

Das ist die Natur und das Leben unserer Hochalpen, wie es seit tausend Jahren war und wie es noch heute fortbesteht in feierlicher Einsamkeit.

Es kann nur natürlich scheinen, daß in dieser geheimnißvollen Welt auch die alten Lebensgeister der Natur zäher und tiefer haften, als auf jeder anderen Scholle, daß diese riesige elementare Gewalt eine heimliche Scheu über das Herz der Menschen breitet, obschon es die muthigsten Menschen sind, die hier wohnen.

Und so bevölkert denn eine Schaar von Elben, Kobolden und Dämonen und – von verklingenden Erinnerungen unseres Volkes jene Felsenklüfte; die Sage, die von den Pforten der Paläste längst verstoßen ist, wohnt und nistet noch heimlich in den verwitterten Hütten, wo nur die Mäher der Alpen das Wildheu bergen. Dort sprühen die Funken von der Sense des finsteren „Almgeists“; dort tönt im Morgengrauen das gellende Jauchzen unsichtbarer Stimmen, und um das mitternächtige Feuer drängen sich verzauberte Gestalten mit feurigen Augen und gespenstigen Formen.

Wilhelm Riefstahl.

Auch die alten Götter, die nicht weichen wollten aus der bergenden und nährenden Phantasie des Volkes, zeigen in jenen Höhen noch die Spur ihrer tausendjährigen Vergangenheit. Der Alpenfürst „Woaden“, der über alle Schätze im Bergesinnern gebietet, ist nur der Schatten des alten Wodan, und wo sein Fuß hintritt, nennt man’s „die Straße der saligen Fräulein“; noch heute flüstert die Sage von „Wendel“, dem Hirtengott und vom Bergkönig Oswald, dem mächtigen „Wetterherrn“. So blühen tausende von stillen Erinnerungen weiter, aber die verschüchterte Liebe des Volkes hat sich in Furcht verwandelt, und mit einer heimlichen Scheu blickt das Bergvolk unserer Tage in die wilde Kraft der Elemente, in denen es nur mehr den Zorn der Entthronten spürt.

In diesem Bangen, das freilich nur der Naturmensch, nicht der Gebildete begreift, das kein Wort hat und das doch wortlos durch die Tiefen der Volksseele strömt, sehnt die Gemeinde dann sich doppelt nach der schirmenden Kraft, welche der Himmel des Christenthums ihr bietet. Und so greift der gewaltige Arm der Kirche auch in diese stille einsame Bergeswelt und prägt das Zeichen seiner Macht auf das ungeheure Walten ungebändigter Mächte.

Das ist kein Wort von kleinlicher Tendenz, sondern wir weisen nur auf jenen großen welthistorischen Proceß, der sich damit vollzog, auf den Ausgleich zwischen dem Christenthum und der germanischen Heidenwelt. Unvermerkt und leise trat die eine Form an die Stelle der andern, und wer unbefangen in die Welt blickt, der muß sich gestehen, daß diese Cultusformen des christlichen und speciell des katholischen Glaubens vielleicht nirgends ergreifender, tiefsinniger und künstlerisch schöner zu Tage treten, als wo sie sich mit den Sitten und Bräuchen der Bergwelt verknüpfen, als da, wo sie im Rahmen der großen Natur stehen.

Solche Feste sind z. B. die herrlichen Bittgänge um den Erntesegen, so glänzt die Leonhards-Fahrt[1] als ein farbenglühender Tag noch durch den Novembernebel, so tritt uns, in ernsteren Tönen, die Segnung der Alpen entgegen, jene stille Feier, die wohl zu dem Ergreifendsten gehört, was unserem Volksleben übrig blieb.

Vor allem ist die Sitte noch in Voralberg und Montafon zu Hause. Die sogenannten Niederalpen oder „Niederleger“, die man im Frühsommer zuerst bezieht, sind dort „Maiensässe“ geheißen, und wenn diese eingesegnet werden, dann drängt sich natürlich eine bunte Menge fröhlichen Volkes herzu. Man ist noch drunten in bewohnter Gegend, und die ganze Feier hat einen Zug von lebensfroher Zuversicht.

Viel ernster und großartiger aber ist das Bild, wenn es dann im August in die einsamen mächtigen Hochalpen geht. Da wird der kleine Kreis, der sich ehrfürchtig um den Priester drängt, fast nur von wenigen Sennerinnen und Hirten gebildet; mit scheuer Andacht umgeben sie das Feuer, in das die geweihten Kräuter geworfen werden, und mit dem ganzen Ernste, den oft das Antlitz unbewußter Menschen ausprägt, lauschen sie den fremdartigen Worten. Der Priester aber sprengt mit einem grünen Zweig das Weihwasser in die Lüfte; durch das Gestrüpp der Kiefern und der Alpenrosen zieht der niedere blaue Rauch – und kein Laut erklingt in der Runde, als das Rieseln der Bäche und das Rauschen der Wälder. So steigen die stillen Bitten empor in die Ferne des Himmels, dann bekreuzen sich die Männer und Frauen und sind sicher – ihrer Erhörung.

Dies ist der Stoff des herrlichen Bildes, welches der gefeierte Maler Wilhelm Riefstahl uns hier vor Augen führt und in dem die ganze originale Kraft seines Schaffens uns entgegentritt. Der Grundgedanke seiner Kunst ist in demselben verkörpert: die Landschaft in ihrer ganzen Größe und Unmittelbarkeit realistisch darzustellen und zugleich in dieselbe Gestalten hineinzutragen, die nicht blos als Staffage am Wege stehen, sondern die einen bedeutsamen culturgeschichtlichen Vorgang tragen.

Das feine künstlerische Verhältniß zwischen diesen beiden Elementen, zwischen Natur und Menschenwelt, zu erfassen und es in vollendete Harmonie zu setzen, das hat noch keiner so vermocht, wie er. Darin war er bahnbrechend in Deutschland und mit Recht konnte der gewaltige Menzel in seiner kurzen, aber absoluten Weise vor einem dieser Bilder sagen: „Das ist ein Stück Welt.“ Der Weg zu solcher Meisterschaft war freilich auch für Riefstahl lang und mühevoll genug, wenn auch sein Leben keine besonderen Stürme und Unfälle aufweist. Daß er Maler werden wollte, wußte er von Anbeginn, aber Maler zu werden, war damals [451] noch ein kärgliches Brod, und seine Eltern hatten wenig übrig, um diesen Träumen zur Wirklichkeit zu verhelfen. So schien der – Dekorationsmaler vorläufig der geeignetste Mittelweg.

Als halbgewachsener Junge zog er denn von Neustrelitz in Mecklenburg, wo er am 15. August 1828 geboren wurde, nach Berlin und trotz aller guten Vorsätze zum goldenen Handwerk kam es schließlich doch dahin, wohin es kommen mußte, daß er eines Tages statt der Werkstatt die Akademie besuchte. Sein Lehrer war Schirmer, auch Schnaase nahm den liebenswürdigsten und förderndsten Einfluß auf seine Entwickelung, doch war das Ziel, das er sich damals gestellt, nur die einfache Landschaft. Vor allem waren es Bilder aus Rügen und Westphalen, die ihn beschäftigten, denn er verstand den Zauber der Haide, den so wenige begreifen; daneben aber ward er durch eine Arbeit, die er für Kugler’s Kunstgeschichte übernommen hatte, in die großartigste Architectur geführt. Noch heute blüht diese Vorliebe ja hier und dort in seinem Schaffen auf.

Da endlich kam auch für ihn die große Stunde eines entscheidenden Werkes. Es war eine „Strandpredigt“ auf Rügen, die er etwa um die Mitte der fünfziger Jahre gemalt hat und die alsbald gewaltiges Aufsehen hervorrief, denn hier zum ersten Male war jener Versuch gemacht, in eine bedeutsame Landschaft einen ebenbürtigen bedeutsamen Vorgang hineinzustellen – Figuren, die nicht im Atelier nach dem Modell gezeichnet waren, sondern die der Künstler draußen in der Natur im freien Licht gemalt, als die leibhaftigen körperlichen Originale dessen, was er schildern wollte.

Und in dieser Richtung hat sich seitdem seine Kunst zu ihrer reichsten Blüthe entwickelt, mit immer steigender Betonung und immer glänzenderer Durchbildung des figürlichen Moments. Ganz besondere Nahrung aber erfuhr dies Bestreben, als er in den sechsziger Jahren zuerst in’s Hochgebirge kam, nach Tirol und in die Schweiz, aus denen eine Reihe seiner vollendetsten Bilder entnommen sind. So vor allem jene „Feldandacht von Passeyrer Hirten“, die auf der Münchener Ausstellung von 1869 den tiefsten Eindruck machte und die sich jetzt in der Nationalgallerie zu Berlin befindet, oder jenes „Begräbniß in Appenzell“, das der Karlsruher Sammlung gehört.

Ueberall tritt uns hier eine Wahrheit und Unmittelbarkeit der Handlung entgegen, daß wir jedes Gefühl absichtlicher Darstellung verlieren; wir sind selber mitten unter den Menschen, die dies thun oder leiden. Es ist der eigene mächtige Eindruck, der uns gegeben wird, und darum wirkt dieser Eindruck auch so mächtig weiter; dazu aber kommt ein Feingefühl, eine Ehrfurcht für die stumme Größe der Natur, die den Bildern Riefstahl’s neben ihrer Schönheit fast einen Zug von Weihe giebt.

Das kann freilich nur der, in dem der Mensch dem Künstler ebenbürtig ist, und gerade dieser Zug macht Riefstahl’s Persönlichkeit so würdevoll, so fesselnd und sympathisch. Er hat das Gesetz der alten Meister verstanden, daß der Künstler vor allem ein hochgebildeter Mann sein müsse, daß sich nur aus der Vielseitigkeit des Verstehens und der Anschauung die Einheit des eigenen Wesens und ein selbstständiger Stil gewinnen lasse. Sonst wird die Einheit zur Einseitigkeit und der Stil zur Manier.

In diesem Sinne ist es vielleicht zu beklagen, daß Riefstahl die Lehrthätigkeit wieder aufgab, die er fast ein Jahrzehnt an der Kunstschule in Karlsruhe geübt hat; seitdem ist sein Wohnsitz in München, wo er unter dem reichen vielgestaltigen Künstlerleben eine durchaus selbstständige, scharfgezeichnete Erscheinung darstellt.

Still, gemessen und anspruchslos in seinem äußeren Dasein, durch warmes Empfinden Allen verbunden, mit denen sich sein Leben berührt, ist Riefstahl doch innerlich vielleicht eine der vornehmsten Künstlernaturen, denen man begegnen kann. Aber auch sein Leben und Schaffen steht unter dem Worte: Noblesse oblige.
Karl Stieler. 

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Die Segnung der Alpen.
Nach dem Oelgemälde von Prof. W. Riefstahl.


  1. Die Leonhards-Fahrt ist der uralte auf germanischen Gottesdienst zurückgreifende Umritt, der am 6. November oder in den Julitagen bei den dem Heiligen geweihten Capellen gehalten wird.