Sieben neu aufgefundene Jugendgedichte von Emanuel Geibel
von
Emanuel Geibel.
Frohes Erwachen.
Fahrt wohl ihr Bücher so trüb und stumm!
Fahr wohl du düsteres Haus!
Der Frühling ist kommen, der Winter ist um,
Es zieht mich ins Freie hinaus.
Das Herz ist mir frisch und gesund;
Muß lieben, muß lieben zur Blüthenzeit
Und küssen den rosigsten Mund.
Frühlingsfeier.
Frühling, Frühling ist gekommen!
Haucht mit leisem Klang der West,
Erd’ und Himmel feiern heute
Selig ihr Vermählungsfest.
Im Gelock des Mädchens blühn?
Siehst du droben nicht des Jünglings
Großes Mondesauge glühn?
Tausend Sänger, buntbefiedert,
Rothe Rosen, Liebesfackeln,
Flammen duftig durch die Nacht.
Und es rauscht und klingt und flüstert
In den Tiefen, auf den Höhn,
Und die leisen Küsse wehn.
Aber wir, durch all die Feier
Wandeln wir in stiller Lust;
Denn was Erd’ und Himmel fühlen,
Der Hirtenknabe.
Der Hirtenknabe treibt im Apennin,
Er läßt bergauf, bergab die Heerde ziehn;
Doch ruht er nicht am schattig grünen Hang,
Nicht hört er auf der Vögel Lustgesang;
Das er verlor, und seine Thräne quillt.
Doch endlich, als der blaue Tag sich neigt,
Und flammenroth die Sonne niedersteigt,
Als leise durch den feierstillen Wald
Hat Müdigkeit den schwachen Leib erfaßt
Und seine Glieder sehnen sich nach Rast.
Und wo durchschauert von des Zephyrs Wehn
Im Lorbeerhain des Tempels Trümmer stehn,
Um Marmorsäulen sich der Epheu rankt,
Da streckt er sich in’s weiche Moos zur Ruh,
Und seine müden Augen fallen zu.
Noch grüßt des Abends Gold den dunkeln Hain,
Die goldne Laute trägt er fest im Arm,
Sein Blick ist klar, sein Odem liebewarm,
Der singt in’s Saitenspiel ein leises Wort,
Und küßt des Knaben Stirn, und schreitet fort.
Durch Silberwölkchen geht des Mondes Lauf,
Der Tag erglüht in gold’ner Feuerpracht,
Noch ist vom Traum der Knabe nicht erwacht;
Er schlummert fort. Ihn weckt kein Morgenroth,
Trinklied im Sommer.
„Ei sagt mir doch, ihr Leute, wer hat euch das Trinken gelehrt,
Daß ihr den ganzen Sommer nach Weine so begehrt,
Daß ihr vom heißen Mittag im kühlen Schatten trinkt,
Bis glühendroth die Sonne in’s blaue Meer versinkt?“
Das ist die große Sonne am Himmel goldig klar,
Im Sommer ist sie durstig, da trinkt ihr Strahlenmund
Viel Bäch’ und Quellen und Seeen wohl trocken bis auf den Grund.
Wer uns das Trinken gelehrt hat, das ist das blaue Meer,
Es trinkt alle Ströme und Flüsse im raschen Wogenlauf,
Es trinkt von Morgen bis Abend, und höret nimmer auf.
Wer uns das Trinken gelehrt hat, das ist die Liebe so heiß,
Die singt und flammt im Herzen, wie jeder Verliebte weiß,
So würden wir noch verbrennen vor lauter Liebesgluth.
So haben wir’s Trinken gelernet. Drum Flaschen auf Flaschen her!
Stoßt an, es lebe die Sonne, es lebe das blaue Meer!
Stoßt an, es lebe die Liebe im Herzen glühend rein!
Der Held der Vendômesäule.
Durch die hohen Gassen brauset tausendstimmiger Gesang,
Festlich schmettern die Trompeten in der Trommeln dumpfen Klang,
Waffen blitzen, Federn wallen, und die stolzen Banner wehn,
Drauf der Freiheit junge Farben hell wie Regenbogen stehn.
Wie von blut’gen Streifen schimmert, brandet rings der Menge Fluth,
Da ertönt der Glocken Stimme von der Kathedralen Thurm,
Und die Lieder der Geschütze hallen drein, wie Donnersturm.
Und wem gilt des Volkes Jauchzen, und wen meint der Trommeln Schall?
Wessen Bildniß schimmert drohen auf der Säule stolzem Schaft,
In des Tages erstem Strahle feierlich und riesenhaft?
Ist es Memnon, der Aegypter, Eos königlicher Sohn,
Der bei ihrem Gruß die Wüste füllt mit wunderbarem Ton?
Ist’s der hohe Philippide, der zum fernsten Osten drang?
Ja, es ist ein Memnon, Brüder, von des Morgens Glanz umwallt,
Dessen Heldenruhm die Wüste feierklingend widerhallt;
Ja, es ist ein Cäsar, welcher Rom und Gallien gebot;
Aber ach! Er ist gesunken, und die Feier sieht er nicht,
Und ihn zieren nicht die Kränze, die sein Volk ihm dankbar flicht;
Nur ein stolzer Königsadler, der dem sieggewohnten Heer
Einst auf seinen Zügen folgte, bringt die Kunde über’s Meer.
Ihre trüben Schatten werfen, senkt er langsam sich herab,
Flüstert leis dem großen Todten seine Botschaft in das Ohr,
Und zu ew’gen Sonnenhöhen schwingt er rauschend sich empor.
Der Rosenstrauch.
An deinem Fenster steht ein Rosenstrauch
Voll rother Rosen,
Und täglich kommt der laue Frühlingshauch,
Damit zu kosen.
Wer mag’s verstehen?
Und grüßt und küßt die Blumen immerfort
Mit leisem Wehen.
Nimm dir ein Beispiel, du mein holdes Kind,
Und laß mich kommen, wie den Frühlingswind,
Und mit dir kosen.
Noch süßre Lieder kenn’ ich, als der Hauch,
Du sollst sie wissen,
Und weicher küssen.
Der bleiche Engel.
Der Mond scheint durch die Bäume,
Kein Vöglein singet mehr,
Die Blumen selber schlummern,
Und still ist’s weit umher.
Ueber die fernen Höhn,
Sein Aug’ ist blau und heilig,
Sein Antlitz lilienschön.
Den armen müden Menschen
Und wo er Thränen siehet,
Da bringt er süße Ruh.
Die kranken Herzen alle
Singt er in Schlummer ein,
Muß es im Himmel sein.
(Die vorstehenden Gedichte von Emanuel Geibel sind nach den uns zur Verfügung gestellten handschriftlichen Aufzeichnungen des Dichters aus dem Jahre 1833 hier zum ersten Male gedruckt. Geibel, im Jahre 1815 geboren, war also zur Zeit der Abfassung der Gedichte achtzehn Jahre alt.)