Die Unpolitische

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Kurt Tucholsky
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Unpolitische
Untertitel:
aus: Das Lächeln der Mona Lisa, S. 291-294
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1929
Verlag: Rowohlt
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck in: Weltbühne, 10. November 1925
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]



[291]
Die Unpolitische


„Ist Frau Zinschmann zu Hause –?“ fragte der Mann, der geklingelt hatte. Das kleine, runde Kind stand da und steckte die Faust in den Mund. „Aaaoobah –“

„Hier hängt se. Wat jibbs 'n –?“ sagte die Frau des Hauses. Der Mann an der Tür machte eine Art Verbeugung. „Komm Se man rin“, sagte die Frau. „Es is woll weejn den Jas. Ja, bester Herr…!“

„Es ist nicht des Gases wegen“, sagte der Mann und ließ das Hochdeutsch auf der Zunge zergehen. „Ich komme vom Kriegerverein aus - von Vereins wegen, sozusagen. Sie wissen ja, Frau Zinschmann, der Kriegerverein, dem Ihr Mann angehört. Ja. Es ist wegen… Wir haben beschlossen, daß wir eine Umfrage machen, wie die Frauen unsrer alten Kameraden über die Lage denken… Und auch etwaige Beschwerden zu sammeln. In betreffs der politischen Lage. So ist das.“

„Ja, also was diß anjeht,“ sagte Frau Zinschmann und jagte die Katze von der Kommode, „mit Polletik befaß ick mir ja nun jahnich. In keine Weise. So leid es mir tut. Nehm Se Platz.“

„Unrecht von Ihnen, sehr unrecht von Ihnen, liebste Frau Zinschmann. Die Politik greift auch in das Leben der Frau tief hinein.“

„Entschuldjn Se man, det ick Ihnen unterbrechen due - aber wat hier so anjebrannt riecht, det is man bloß die Milch. Es is Magermilch, aba stinken dut se…! Aber wat wollten Sie sahrn –?“

„Ich meinte: sie greift hinein. Und seit unser ehrwürdiger Präsident Hindenburg an der Spitze dieses Staatswesens steht, ists besser um uns bestellt.“

[292] „Na ja“, sagte Frau Zinschmann. „Er ist ja auch man erscht kurze Zeit da. Der ewije Wechsel – det is ja ooch nischt. Wissen Se, da, wo ick frieha reinejemacht habe, bei Hackekleins, Drekta Hackeklein, Se wern velleicht von den Mann jeheert ham – da hatten se ’n Meechen, mit der wahn se ja nu jahnich zefriedn. Erst jingt ja: Emma hinten und Emma vorn, aber denn waht doch nischt. Nu ham se doch die Lina jemiet, die, die de da bei Rejierungsrats jedient hatte. Fuffzehn Jahr wah se da – keen Mensch im Hause hätte jedacht, det se da ma wechmachen täte. Denn hatte der Olle Pech, er fiel de Treppe runta und wurde pennsioniert, da jing se, Knall und Fall jing se bei Hackekleins. Se saachte: wen se bekochte, sacht se, det wär se janz eejal. Ja, det is nu die Neie. Aber wissen Se: besser kochn dut se ooch nich.“

„Gewiß sind diese Hausangestellten in ihren Dienstobliegenheiten oft nicht recht zufriedenstellend“, sagte der Mann. „Wenngleich… immerhin ist ein Mensch wie unser Außenminister Stresemann…“

„Otto!“ schrie Frau Zinschmann durch das offene Fenster. „Wißte runta von de Schaukel! Der Limmel sitzt den janzen Tach nischt wie uff de Schaukel!“ Und, zum Gast gewendet: „Un dabei kann er nich mal richtich schaukeln –! Aba ick habe Ihn untabrochn!“

„Ich wollte sagen: die Richtlinien unsrer äußern Politik passen sich nur schwer den wirtschaftlichen Belangen an. Der Feindbund… Aber da haben wir ja unsre herrliche Reichswehr mit einem doch recht tatkräftigen Minister und einem Manne, der ihm zur Seite steht…“

Zwei brüllende Kinder brachen in das Zimmer ein. „Mutta! Mutta!“ schrie der größere Junge. „Orje haut ma imma! Er sacht, ick soll mir in Mülleima setzen un die Wacht am Rhein blasn! Wir spieln Soldatn. Ick will aba [293] nich in Mülleima sitzn, Mutta!“– „Woso laßt du dirn det jefalln, du oller Dösknochen! Oller Schlappschwanz – do!“ Der Junge zog ein kräftiges Licht hoch und sagte: „Wo er doch mein Vorjesetzta is –“

„Entschuldjen Se man“, sagte Frau Zinschmann und warf die Jöhren wieder heraus. „Son langer Lulatsch und noch so dammlich. Herrjott –! Wie meintn Se soehmt?“

„Ja, sehen Sie, Frau Zinschmann, es ist ja Vieles faul in dieser – ehimm – Republik. Aber, Gott sei Dank, unser altes preußisches Richtertum, das hält doch noch stand. Das hält stand.“

„Ah, hörn Se mal,“ sagte Frau Zinschmann, „wo Se nu doch vom Vaein sind – könn Se ma da valleicht ’n Rat jehm…? Also – da is doch det Frollein Hauschke, die von dritten Stock, newa –? Wissen Se, wat die is? Wo wir hier alleene sind, kann icks Ihnen ja sahrn: also eine janz jeweehnliche, also det is eene, die, wissen Se, wenn da eena kommt und – also so eene is det. Und nu, seit eine ßwei, drei Jahre… da tut sie so fein und tritt uff int Haus und hat sich feine Pelze anjeschafft, ick weeß nich, wovon. Na, neilich, wie se hier langjemacht kam, da haak se nachjerufn: Ham Se sich man nich so, Sie olle Vohrelscheuche! Ohm ’n Pelz und ’n Ding uffn Kopp aber unten die alten Beene kucken doch raus! Sahrn Se mal: is det strafbar –? Newa, det is doch nich strafbar? Wa? Na, wollt ’ck meen…!“

„Ihr Mann hat doch gar keine Verbindung mehr mit den Sozialdemokraten?“ nahm der Vereinsabgesandte das Gespräch wieder auf. „Diese verdammten Roten…“

„Na allemal. Nee – Hujo jeht da nich mehr hin, er saacht, et lohnt nich. Neilich, in die kleene Kneipe, wo se imma ham ihrn Zahlahmt, da ham se Zwei mächtig vahaun – det wahrn sonst anständche Jeste. Un vatobackt ham sie die! A richtich! [294] ’n nächsten Morjen ham se noch uff’n Hof jelejn. Der Wirt wollt se nich so uff de Straße raustrahrn – bei den Hundewetter… Det is ’n Jemiet, is der Mann. Ja, un wissen Se: ’n nächsten Morjn – da ham die Beedn doch von jahnischt jewußt! I! die kam ausn Mustopp. So war det.“

„Ja“, sagte der Mann und trocknete sich mit einem Taschentuch die Stirn. „Die sozialdemokratische Bewegung – das is so eine Sache. Nur gut, daß wir den ehernen Wall der Gutsbesitzer haben! Das Land, Frau Zinschmann! Die preußische, die deutsche Erde –!“

„Entschuldjn Se ’n kleen Momang!“ sagte Frau Zinschmann. „Ick heer die Katze wirjn; det Aas hat sich wieda ibafressn. Wissen Se: die frißt, bis se platzt – un denn schreit se vor Hunger! Wißtu! Husch, husch! Pusch! Wat sagten Sie doch jleich –?“

„Ja, ich meine: wir wollen zusammenhalten, bis wieder einst bessere Zeiten herankommen, herrliche Zeiten, Frau Zinschmann! Frontgeist wirds schaffen!“

„Na jewiß doch. Na allemal. Da draußen nach den Rummel missn Se jahnich nach hinheern – des sind Meßackers ihre, ’ne dolle Bande! Siehm Jungs. Aber ick kenn se: jroße Schnauze un nischt dahinter.“

„Nun, Gott befohlen, Frau Zinschmann! Eine schwarz-weiß-rote Fahne haben Sie doch im Hause?“ fragte der Mann, der schon auf der Treppe stand.

„Ja, Huro hat eene“, sagte Frau Zinschmann. „Sehn Se sich da draußen vor – det Jeländer is frisch jestrichn, un die alte Farbe kommt imma wida durch. Die neue doocht nischt – et müßte mal ibajestrichn wern! Und nischt fir unjut, Herr Sekatär, nischt für unjut –! Denn sehn Se mal, also mit Polletik – da befasse ick mir nu jahnich –!“