Gallettiana (Tucholsky)

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Textdaten
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Autor: Kurt Tucholsky
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Titel: Gallettiana
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aus: Das Lächeln der Mona Lisa, S. 295-299
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1929
Verlag: Rowohlt
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Erscheinungsort: Berlin
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Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Aufsatz über die Kathederblüten von Johann Georg August Galletti.
Erstdruck in: Weltbühne, 3. August 1922
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[295]
Gallettiana
Südamerika ist krumm.
Joh. Aug. Galletti 1750–1828


Beschäftigt mit meinem Werk: „Die Hämorrhoiden in der Geschichte des preußischen Königshauses“, blätterte ich neulich versonnen in einem Katalog der Staatsbibliothek. Das ist eine freundliche Arbeit. Schon nach vier Seiten hat mein geübtes Philologengehirn vergessen, wozu ich eigentlich hergekommen bin, und strahlend versenke ich mich in das Meer von Geschreibsel. Einmal bin ich auch auf mich selber gestoßen – Es gibt den Ausspruch eines hannoverschen Bauern, der den dummen Streichen der Studiker zusieht: „Wat se all maket, die Studenten!“ Wat se wirklich all maket … Wenn die Deutschen keine Geschäftsordnungsdebatten abhalten, scheinen sie Bücher geschrieben zu haben. Hier ist es schön still, in der Bibliothek. Draußen klingeln die Bahnen: hier muffeln kurzsichtige Professoren in dicken Wälzern, freundliche, wenn auch großfüßige Mädchen laufen hin und her, die Bibliothekare sehen sauer aus, als wollten sie alle Studenten, die nicht Bescheid wissen, auffressen – eine Insel der Seligen.

Und wie ich da so blättere, stoße ich auf „Gallettiana“. Was ist das? Wer ist Galletti? Ein Druckfehler für Valetti? Ich bat um das Buch.

Das Buch heißt so: „Gallettiana. Unfreiwillige Komik in Aussprüchen des Professors Joh. G. Aug. Galletti. Mit einem Bildnis Gallettis.“

Dieser Galletti war Professor am Gothaer Gymnasium, und seine bei ihm geblüht habenden Kathederblüten sind in dem Büchelchen gesammelt. Es ist herrlich.

Wissen Sie noch? Wir saßen da, ließen langsam, aber sorgfältig eine lange Bahn Tinte die Bank herunterlaufen [296] und bohrten zwischendurch ernsthaft in der Nase. Es war zum Sterben langweilig. Anstandshalber konnte man nicht immerzu nach der Uhr sehen. Fünf Minuten vor halb – das war ein Schicksalswort. Bring die ältesten deutschen Männer auf ihre Schulzeit zu sprechen, und du wirst in den meisten Fällen ein Wachsfigurenkabinett verschrullter Tröpfe vorgeführt bekommen, die übrigens jetzt so sachte aussterben; die von heute sind farbloser. Aber wir wollen nicht vom deutschen Schulmeister sprechen – sondern von Galletti. Von Galletti, den wir alle gekannt haben, weil in jeder Schule einer gewesen ist. Dieser war so:

Er liebte die überraschenden Dicta. „Gotha ist säbelförmig gebaut.“ Bumm. Da weiß man doch. Und man sieht ordentlich das Surren, das durch die Klasse geht, wenn das Gehirn da vorn überlief und folgendes zutage förderte: „Als Humboldt den Chimborasso bestieg, war die Luft so dünn, daß er nicht mehr ohne Brille lesen konnte.“ Das sind gar keine Witze mehr - das ist wirklich die Luft dieser Schulstuben, die übrigens am besten in jener deutschen Humoreske „Der Besuch im Karzer“ eingefangen ist – neben der „Meyerias“ ein Meisterstück dieses Genres. Und darauf wieder Galletti: „Die Afghanen sind ein sehr gebirgiges Volk.“

Er macht nicht nur die üblichen Schwupper - es sind mitunter geradezu nestroyhafte Sätze, die jener von sich gegeben hat. „Die Zimbern und Teutonen stammen eigentlich voneinander ab.“ Mit Recht. Und besonders hübsch, wenn sich Papierdeutsch mit einer falschen Vorstellung mischt: „Karlmann verwechselte das Zeitliche mit dem Geistlichen und starb.“ Man kann es nicht kürzer sagen. Und sollte dieses hier Ironie sein: „Maria Theresia hatte bei ihrer Thronbesteigung viele Feinde: die Preußen, die Russen und die Österreicher“? Nein, [297] er ist sicherlich ein unpolitischer Untertan gewesen, der Professor Galletti, so, wie ihn die Regierung brauchte, und nichts wird ihm ferner gelegen haben als ein Spaß, den er sich niemals mit so ernsthaften Dingen zu machen erlaubt hätte. Hier gehts bei weitem nicht so tief wie bei dem, was die Lehrer an dem einzigen Schulvormittag Hanno Buddenbrooks sagen, jenem Vormittag, darin die ganze deutsche Schule eingefangen ist – hier schlägt nur einer Kobolz. Und da hörten sicherlich die frechsten Ruhestörer auf, Klamauk zu machen. Weil sie lachen mußten.

„Maximilian der Erste hatte die Hoffnung, den Tron auf seinem Haupt zu sehen.“ Er wollte natürlich sagen: sich auf die Krone zu setzen; aber man kann sich irren. „Sie kriegten den Grumbach her, rissen ihm das Herz aus dem Leibe, schlugen es ihm um den Kopf und ließen ihn laufen.“ Und das wird nur noch von der unbestreitbaren Weisheit übertroffen: „Wäre Cäsar nicht über den Rubikon gegangen, so läßt sich gar nicht absehen, wohin er noch gekommen wäre.“ Bei Gott: so war es.

Und abgesehen davon, daß es manchmal etwas wild hergeht: „Erst tötete Julianus sich, dann seinen Vater und dann sich“ und: „Richard der Dritte ließ alle seine Nachfolger hinrichten“ – am schönsten strahlt doch der „gewaltige Leuhrer“ (so nannte sich unser Professor Michaelis immer und wir ihn auch, und Gott segne ihn, wenn er dieses hier liest!), am stärksten manifestiert sich das Gestirn Galletti, wenn er persönlich wird. Das ist gar nicht zu übertreffen.

„Der Lehrer hat immer recht, auch wenn er unrecht hat.“ Lachen Sie nicht: das glaubt jeder preußische Schulrat – und so sieht er auch aus. „Als ich Sie von fern sah, Herr Hofrat Ettinger, glaubte ich, Sie wären Ihr Herr Bruder, der Buchhändler Ettinger, als Sie jedoch näherkamen, sah ich, [298] daß Sie es selbst sind – und jetzt sehe ich nun, daß Sie doch Ihr Herr Bruder sind!“ Na, Onkel Shakespeare? „Ich bin so müde, daß ein Bein das andere nicht sieht.“ Na, Onkel Nestroy? Und dann, ganz Pallenbergisch: „Ich statuiere mit Kant nicht mehr als zwei Kategorien unseres Denkvermögens, nämlich Zaum und Reit – ich wollte sagen: Raut und Zeim.“ Und wenn dann die Klasse nur noch röchelte, dann fügte er hinzu: „Ich, der Herr Professor Uckert und ich – wir drei machten eine Reise“, und dann prustete wohl selbst der Primus seine Bank voll. Bis der Lehrer aufstand, sagte: „Nächsten Dienstag ist Äquator“ und das Lokal verließ.

Gewiß blühten in dem Tintengärtlein auch Kathederblüten. „Bei den Israeliten waren die Heuschrecken, was bei uns der Hafer ist“ – das ist eine. Auch: „In Nürnberg werden viele Spielsachen verfertigt, unter andern auch Juden“ – eine tiefe Weisheit. Aber er war doch ein Philosoph, der Herr Professor Galletti. „Das Schwein führt seinen Namen mit Recht – denn es ist ein sehr unreinliches Tier.“ Heiliger Mauthner, was sagst du nun? Daß das schon bei dem großen Lichtenberg steht –? Und wirklich erledigend ist dieser Ausspruch: „Die Gans ist das dümmste Tier; denn sie frißt nur so lange, als sie etwas findet.“

Ja, so war das. Natürlich hat das mit den richtigen Büchern von der Schule nichts zu tun: nichts mit meinem Lieblingsbuch Philippe Monniers: „Blaise, der Gymnasiast“, nichts mit jener Schulgeschichte Heinrich Manns, nichts mit Freund Hein, nichts mit Hermann Hesse – dieser Galetti ist nur ein Stückchen Menschen-Original gewesen.

Entschuldigen Sie, daß ich Sie aufgehalten habe. Sie werden zu tun haben – nein, bitte, lassen Sie sich nicht stören. „Die Berliner“, habe ich neulich zu meiner größten [299] Freude bei Alfred Polgar gelesen, „sind alle intensiv mit ihrer Beschäftigung beschäftigt“. Sie sicherlich desgleichen.

Und auch ich muß gehen. Ich werde schleunigst von diesen „fremden Dingen“, von diesen Allotriis abstehen und zu meiner ernsthaften Arbeit zurückkehren. Zu den Hämorrhoiden und ihren Hohenzollern. Ein Thema, wert, daß es behandelt werde. Denn wohinein steckt der deutsche Historiker am liebsten seine Nase –?

Auf Wiedersehn.