Die Verziehung des Menschen in seinen ersten Lebensjahren

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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Die Verziehung des Menschen in seinen ersten Lebensjahren
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 74–76
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Strafpredigt für Mütter und Erzieher.

Die Verziehung des Menschen in seinen ersten Lebensjahren.


Jede Unart, die ein Kind an sich hat, ist ihm anerzogen worden, und wird der Erwachsene einst zum Verbrecher, so trägt nur die schlechte Erziehung in seiner ersten Jugend die Schuld davon. Denn Verbrecher werden ebensowenig wie edle Menschen geboren, immer nur erzogen. Deshalb wird auch jeder echt menschlich fühlende Gebildete den Verbrecher stets nur als einen Unglücklichen ansehen können, der weit weniger für sein Verbrechen verantwortlich zu machen ist, als seine ersten Erzieher. – In der Regel beurtheilt man, aber ganz mit Unrecht, die Erziehung eines Menschen erst von den Schuljahren an und nimmt auf die Behandlung des Kindes in den ersten Lebensjahren gar keine Rücksicht, obschon diese Jahre gerade für das ganze zukünftige Leben die allerwichtigsten sind und der Mensch eigentlich schon in seinem 4.–6. Lebensjahre die Grundlage der Moral für’s ganze Leben gelegt haben sollte. – Die meisten Eltern glauben leider ihrer Verpflichtung als Erzieher vollständig Genüge geleistet zu haben, wenn sie ihre Kinder nur in die Schule schicken, ohne zu bedenken, daß hier wohl der Geist gebildet wird, die wirkliche Erziehung aber schon früher im Hause vollendet sein mußte. Und diese häusliche Erziehung liegt hauptsächlich der Mutter ob; ihr gehören die frühesten und tiefsten Einwirkungen auf das Kind an, so daß die Erziehung des Menschen größtenteils aus dem Schooße der Mutter vollendet wird. Unterrichten und belehren läßt sich ein mündig gewordener Mensch wohl noch, erziehen aber nicht mehr. Also, Ihr Mütter! erziehet, so lange es noch Zeit dazu ist, und nehmt Euch Jean Paul’s Ausspruch zu Herzen: „Verächtlich ist eine Frau, die Langeweile haben kann, wenn sie Kinder hat.“ Aber freilich, um gut erziehen zu können, müßt Ihr Mütter selbst gut erzogen sein und als Erzogene leben und handeln.

Warum werden denn nun aber die meisten Kinder in den ersten Lebensjahren schon verzogen, und warum kommen sie schon, wie die Erfahrung lehrt, mehr oder weniger moralisch verkrüppelt in die Hände der Lehrer? Nur deshalb, weil die ersten Erzieher, zumal die Mütter, in dem unglückseligen Wahne befangen sind, daß, wenn beim Kinde nur erst der Verstand kommt, damit auch ohne Weiteres Folgsamkeit, sowie die Erkenntniß von Gut und Böse kommen wird. Ja, manche Mütter leben sogar in dem Aberglauben, daß einem Kinde bestimmte Untugenden ebenso wie Tugenden angeboren sein können, so daß gegen die ersteren nichts auszurichten sei und letztere auch ohne Nachhülfe sich entwickeln würden. Sie wissen zu ihrem und ihrer Kinder Unglück gar nicht, daß der Verstand nun und nimmermehr in einem bestimmten Alter in das Kind hineinfährt, sondern daß er vom ersten Augenblick des Lebens an ganz allmählich durch Sinneseindrücke im Gehirne angefacht [75] wird. Sie wissen ferner nicht, daß aus dem neugebornen Menschen, ebenso wie aus einer weichen Modellirmasse, je nachdem diese in die Hände eines Geschickten oder eines Stümpers geräth, ebensowohl etwas Gutes wie Schlechtes hervorgehen kann, und daß durch frühzeitige Gewöhnung ein Mensch, wenn er sonst nur mit gesunden Organen (besonders mit einem gesunden Gehirn) geboren wurde, in körperlicher, geistiger und moralischer Beziehung einen sehr hohen Grad von Vollkommenheit erreichen kann.

Zur Zeit überläßt man aber die erste Erziehung des Menschen größtentheils nur dem Zufalle, bei dem die Ammen, Kindermädchen und Kindermuhmen, Tanten und Großmütter eine Hauptrolle spielen, und die allermeisten Eltern, bauend auf die spätere Besserung ihrer Kinder durch die Schule, thun ihr Möglichstes in der Sitten-, Willens- und Verstandesverderbniß derselben. Macht dann aber die Schule aus solchen Rangen keine so guten und klugen Kinder, als die Eltern wünschen, dann schreiben diese den armen Lehrern, nicht aber sich selbst, die Schuld davon zu. Und solcher einfältigen Eltern giebt es sehr viele und ganz besonders auch unter den sogen. bessern Ständen.

Aber auch die guten Leistungen eines kleinen Kindes beurtheilt man in der Regel ganz falsch, indem man sie stets ohne Weiteres einem angebornen Talente (einer Anlage) zuschreibt, ohne sich darum zu kümmern, unter welchen Verhältnissen jenes Kind bis zu der Zeit lebte, als man auf seine Leistungen aufmerksam wurde. Forscht man aber genau darnach, so ergiebt sich stets, daß in den ersten Lebensjahren des Kindes solche Momente eingewirkt haben, die das sogen. Talent zur Entwickelung brachten. Ohne Zweifel hat es der Mensch in seiner Macht, aus dem Kinde ein Genie zu erziehen, nur muß er mit der Erziehung dazu gleich nach der Geburt des Kindes anfangen.

Womit beginnt denn eigentlich das Verziehen des Kindes? Mit dem Herumtragen, Schaukeln, Wiegen, Einbischen und Einsingen. Auch das kleinste Kind gewöhnt sich nämlich sehr bald so an jene Bewegungen, daß es schreit, wenn es dieselben entbehren soll. Da nun die Angehörigen das schreiende Kind sofort durch das Herumtragen u. s. f. zu beruhigen suchen, so lernt das Kind nach und nach durch Schreien seine Wünsche zu erreichen, seinen Willen durchzusetzen und wird eigensinnig, trotzig, dickköpfig. Läßt sich ein schreiender Säugling nur durch Herumtragen u. s. f. besänftigen, so ist er sicherlich schon verzogen, und es muß ihm so schnell als möglich durch Liegen- und Schreienlassen, ja sogar durch einige Klitsche auf das Gefäß, diese Unart wieder abgewöhnt werden. – Es sei hierbei den Müttern gesagt, daß sie beim Schreien eines gutgezogenen, gesunden, kleinen Kindes die Ursache des Schreiens stets nur zu suchen haben: 1) im Mangel an Nahrung, und dann hört das Kind sofort auf zu schreien, wenn es zu trinken bekommt; 2) im Naß- und Kaltliegen, und dann wird frische warme Wäsche das Schreien stillen; 3) in Luftanhäufung im Darme, und dann wird ein Klystier von warmem Wasser, sowie Reibungen des Bauches das Kind still machen. Aber die allermeisten Kinder schreien aus Ungezogenheit.

Man bedenke doch, daß der Mensch in der ersten Zeit seines Lebens, weil die Hirnthätigkeit durch Sinneseindrücke noch nicht gehörig erweckt ist, ohne alles Bewußtsein lebt und daß seine Bewegungen und sein Schreien rein automatisch (durch Nervenreflex erzeugt) sind. Nach und nach erst bildet sich durch wiederholte Eindrücke auf die Empfindungsnerven und das Gehirn, also durch Gewöhnung, das Behaglichkeits- und Unbehaglichkeitsgefühl aus. Es dauert lange, ehe das Kind die Einzeleindrücke unterscheiden lernt. Ueber die Zunge des Säuglings muß erst einige Zeit die süße Muttermilch geflossen sein, ehe er sie als angenehm schmeckt, vorher nimmt er eben so leicht die bittersten Stoffe, wie die Brust der Mutter. Gerade so verhält es sich mit allen andern Empfindungen, und man hat es deshalb in der Hand, dem Kinde durch Gewöhnung eine Menge von Empfindungen zum Bedürfnisse zu machen, die, wenn sie dann einmal nicht erregt werden, das Kind zum boshaften Schreien und Erzwingen des Gewünschten antreiben. – Die Hauptregel bei der geistigen Erziehung des jungen Menschen, und zwar schon des Säuglings, ist deshalb: Alles vom Kinde abzuhalten, an was es sich nicht gewöhnen soll, dagegen das, was ihm zur andern Natur werden soll, beharrlich immer und immer zu wiederholen. Man lasse sich gesagt sein, daß das Kind schon Eindrücke für das ganze Leben aufnimmt, noch ehe wir oft denken, daß überhaupt Etwas Eindruck auf dasselbe macht.

Ist nun dem Kinde dadurch, daß seinem Schreien zur Erreichung seines Willens von Seiten der Erzieher stets nachgegeben wurde, Eigensinn und Trotz anerzogen worden, so bildet sich bei demselben allmählich neben Willensschwäche die entschiedenste Willkür aus. Denn anstatt durch Ueberwinden von Hindernissen und durch selbstständige Anstrengungen von Seiten des Kindes demselben Willenskraft anzuerziehen, lassen sich die Eltern und Wärterinnen durch Schreien und Weinen des Kindes, ganz nach Willkür der verzogenen Krabbe, alle möglichen Hilfsleistungen abzwingen. Ja, manche Eltern sind sogar stolz auf den festen Sinn ihres Kindes, wie sie den Eigensinn desselben zu nennen belieben, und wünschen geradezu, daß diesem Eigensinne stets Folge geleistet werde. Da braucht man sich dann freilich nicht zu wundern, daß solche Kinder nur das thun und lassen, was ihnen gerade behagt, daß ihre Willenskraft sich nicht, wie es doch sein sollte, zum Wollen und Thun des Guten entwickelt, und daß von Selbstbeherrschung und Gehorsam, der Haupttugend eines Kindes, nicht die Rede sein kann. Man werfe nur einige Blicke in die Kinderstuben und man wird reichliche Gelegenheit haben, zu bemerken, welche Willkürherrschaft weinende Kinder über die Angehörigen ausüben und wie diese letztern als folgsame Sclaven unartiger Kinder von diesen Alles abzuhalten und denselben Alles zu leisten suchen, was einige Mühe oder unangenehme Empfindung machen könnte. Wie kann aber bei solcher Erziehung die Grundlage zur wahren Willensstärke, Selbständigkeit und Charakterfestigkeit gelegt werden? Den meisten Kindern wird auch dadurch, daß ihnen die Eltern und Wärterinnen Alles an den Augen absehen, nicht bloß Unselbstständigkeit, Willensschwäche und Herrschsucht anerzogen, sondern gleichzeitig der Entwickelung von Aufopferungsfähigkeit und Wohlthätigkeitssinn entgegengetreten. Das Kind werde selbst beim Spielen nicht daran gewöhnt, zu meinen: es brauche immer Jemand, der ihm spielen helfe.

Ein großer Fehler bei der Erziehung ist es auch, daß man in Bezug auf Beherrschung unangenehmer Empfindungen und Schmerzen die Kinder falsch gewöhnt, daß man ihnen Widerwillen gegen eine Menge von Dingen anerzieht und daß man sie so leicht „aus dem Häuschen kommen“ läßt. Aber freilich sind die Erzieher in dieser Hinsicht meistens selbst verzogen und gehen dem Kinde mit einem schlechten Beispiele voran, indem sie sich gleich über Alles entsetzen und ekeln, bei Ueberraschungen außer sich gerathen etc. Man bedenke doch, daß der Nachahmungstrieb beim Kinde so groß ist, daß es sich sehr schnell ebenso das Gute wie Schlechte seiner Umgebung angewöhnt. Das Beispiel, das Beispiel! ohne dieses bringt man es bei Kindern zu nichts (Rousseau). Und wenn dein Kindermädchen nascht, lügt und trügt, sollte wohl dein Kind von Allem das Gegentheil von ihr lernen? – Es ist ferner ganz falsch, bei jedem Stoße oder Falle, bei Verletzungen und Unwohlsein des Kindes in lautes Jammern und Wehklagen darüber auszubrechen, das Kind zu bemitleiden und leidenschaftlich zu liebkosen; man beachte lieber viele dieser Zufälle gar nicht oder rede höchstens dem Kinde darüber ruhig zu. Ebenso suche man die Verdrießlichkeit und Uebellaunigkeit eines gesunden Kindes ja nicht etwa durch Aufmerksamkeiten und absonderliche Beschwichtigungsmittel zu verscheuchen, wohl aber durch Beschäftigung, sowie durch Nichtbeachtung oder selbst Strafe. Man erhalte die Kinder durch Beschäftigung in guter Laune, denn Thätigkeiten (Spiele), nicht Genüsse, erhalten Kinder heiter.

Daß Kinder in ihren ersten Lebensjahren schon zu Heuchlern und Lügnern, ja sogar zu Dieben erzogen werden, läßt sich fast in allen Kinderstuben wahrnehmen, nur sieht man da diese Laster nicht als solche an, sondern findet sie ganz allerliebst und possirlich, und nennt sie pfiffige, kluge Streiche. Meistens legt Naschwerk (die Zuckerdüte) den ersten Grund zu diesen Lastern, denn um dergleichen zu erlangen, stellt sich manches Kind unwohl, während ein anderes sich auf Schmeichelei oder Stehlen verlegt, ohne daß die Eltern wegen dieser Geringfügigkeit, wie sie dieses Gebühren des Kindes zu nennen pflegen, strafend einschreiten. – „Nicht wahr, das hat unser Engelchen nicht gemacht?“ spricht die Frau Mama ihrem unartigen Kinde so lange vor, bis dieses endlich seine That wirklich ableugnet. – Nimmt das kleine Brüderchen seiner ältern Schwester heimlich Etwas weg und will diese ihr Eigenthum zurück, so entsteht eine große Heulerei und es heißt: „Du großes garstiges Mädchen, laß doch dem lieben Kleinen das Spielzeug.“ – „Wer hat das zerbrochen?“ „Ich nicht!“ schreien gleichzeitig alle Kinder und dabei beruhigt sich denn auch die Frau Mutter, anstatt den Lügner nun erst recht ausfindig zu machen und tüchtig durchzugerben [76] – „Warte, warte, Du kleiner Tausendsasa, Du Du,“ lispelt die Mutter unter Kosen dem Kindchen zu, was soeben im Umdrehen ein Zuckerplätzchen wegstibitzte und’ in’s Mäulchen steckte, während hier doch Strafe nöthig gewesen wäre. – „Iß doch, iß, sonst bekommt es die Schwester,“ oder „sonst esse ich es auf,“ oder: „sieh, wie Schönes Du hast, das hat Brüderchen gar nicht.“ Gleichgültig sieht manche Mutter es an, wie auf solche Weise Mißgunst und Eigennützen dem Kinde angebaut werden, da man doch fast jedes Kind an die entgegengesetzte Tugend, an die Freude des Gebens und Wohlthätigseins gewöhnen könnte. – Es ist sehr traurig, daß Eltern und Erzieher nicht einsehen wollen, wie schon in den ersten 3 bis 4 Lebensjahren, wo das Selbstbewußtsein noch sehr gering ist, doch dem Menschen, und zwar nur durch richtige Gewöhnung, ohne alle Ansprache an den Verstand, das Gefühl für Rechtes und Gutes für’s ganze Leben so eingeimpft werden kann, daß es bei jeder Probe besteht. Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe, die nicht zeitig genug entwickelt werden können, erzeugen sich im Kinde am besten dadurch, daß man selbst gegen dasselbe vollkommen wahr und offen ist, und niemals schlaue Lügen desselben belächelt, sondern sogar unschuldige Unwahrheiten bestraft. Achtung vor dem Eigenthume Anderer läßt sich dem Kinde dadurch beibringen, daß man ihm nicht alle Gegenstands zu nehmen erlaubt die es wünscht und die Anderen gehören; daß man dagegen aber auch sein eigenes Spielzeug ihm nicht entziehen läßt.

Der allergrößte Fehler eines Kindes ist aber der Ungehorsam, und dieser dürfte leider bei nur wenigen Kindern fehlen. Ja selbst wenn sie folgen, so geschieht dies doch meistens nur nach öfteren Befehlen oder wohl gar erst auf die Androhung einer Strafe und auf das Versprechen einer Belohnung hin. – Warum ist nun aber der Ungehorsam, welcher als das größte Hinderniß für die spätere Erziehung anzusehen ist, den allermeisten Kindern eigen? Weil die Mütter nicht von Haus aus dem Kinde durch die consequenteste und gleichförmigste Behandlung und Gewöhnung an das Gehorchen den Gehorsam anerzogen haben. Anstatt mit Ruhe, Ernst, Umsicht und wenig Worten nur das zu verbieten, was überhaupt und immer unterbleiben kann und soll, und was, wenn es dem Kinde einmal befohlen wurde, durchaus von diesem ausgeführt werden muß verbieten die Mütter oft nur nach zufälliger Laune, nicht selten im Scherze und mit Lachen, sehr oft das, was sie früher häufig übersahen und auch später nur manchmal wieder verbieten; sie dringen ferner nicht darauf, daß dem Verbote stets sofortige Folge geleistet werde, sondern lassen es ruhig hingehen, wenn das Kind den Befehl auch nicht ausführt. Nur dadurch, daß Alles, was sich das Kind nicht angewöhnen soll, aber doch thut, nicht bloß manchmal, sondern stets und so lange verboten und bestraft (aber ordentlich, nicht bloß durch ein Paar Klappse gestraft) wird, bis dasselbe das frühere Thun und Treiben völlig vergessen hat, nur dadurch läßt sich ein gutes, folgsames Kind erziehen. Man befehle und verbiete Kindern überhaupt nur da, wo es durchaus nöthig ist; man verbiete nicht eher, als bis man auch entschlossen ist, die verbotene Sache unter keiner Bedingung mehr zu gestatten, und befehle nichts, als was man durchsetzen will und kann. Man muß nicht am Verbieten Freude haben und schlage nur unerlaubte Dinge, aber bestimmt ab. Ein sehr großer Verstoß gegen die Erziehungsregeln ist es, wenn Eltern den Gehorsam des (nämlich unfolgsamen) Kindes erbitten oder erschmeicheln wollen. Ueberhaupt taugt eine Erziehung kleiner Kinder durch Belohnung (Näschereien, Spielzeug, Geld) gar nichts, ein liebevolles Benehmen der Eltern gegen das folgsame Kind muß für dasselbe die schönste Belohnung sein.

Sowie nun den meisten Kindern von Seiten ihrer Mütter Ungehorsam, Eigensinn, Trotz, Willensschwäche, Eigennutz, Neigung zum Lügen und Stehlen von frühester Kindheit an anerzogen werden, ebenso thun diese Mütter in der Regel auch nichts, um ihren Kindern Bescheidenheit, Ordnungsliebe und wahre Reinlichkeit anzugewöhnen, dafür impfen sie denselben Eitelkeit, Vormäuligkeit und Dünkelhaftigkeit ein. Daß ferner der Grund zum Muthe und zur Selbstbeherrschung durch, die Mütter gelegt würde, läßt sich ebenfalls nicht behaupten. Jedoch wollen wir auf die zuletzt genannten Fehler und Unarten nicht weiter eingehen, wir beabsichtigten nur zu zeigen, welche schlimmsten Laster Kindern schon von Geburt an allmählich anerzogen und so zur Grundlage des schlechten Charakters Erwachsener werden.

Schließlich stellen wir noch die Behauptung auf: beim Menschen muß die Hauptgrundlage zum Guten bis zum 4.-6. Lebensjahre gelegt sein; nach dieser Zeit sollte eine Bestrafung durchaus nicht mehr stattfinden dürfen, denn beim gutgezogenen, gehorsamen Kinde werden schon sanfte Ermahnungen zum Unterlassen des Unrechten und zum Thun des Rechten vollständig hinreichen. Um nun aber solche wirklich gute Kinder erziehen und dann der Schule zur weitern Ausbildung ihres Verstandes, Gemüthes und Willens übergeben zu können, dazu muß die häusliche, vorzugsweise die mütterliche Erziehung durchaus eine andere werden, als sie jetzt ist, und wir stimmen deshalb aus voller Ueberzeugung dem Ausspruche bei:

Gebt uns bessere Mütter, und wir werden bessere Menschen haben.“
Bock.