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Die Vorfahren unserer Weihnachts-Schauspiele

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Textdaten
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Autor: Alexander Tille
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Titel: Die Vorfahren unsere Weihnachts-Schauspiele
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 826–828
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Vorfahren unserer Weihnachts-Schauspiele.

Von Alexander Tille. Mit Illustrationen von Peter Schnorr.

Der Aufschwung, den neuerdings die Gattung der Weihnachts-Märchenspiele genommen und von welchem in der letzten Weihnachtsnummer der „Gartenlaube“ die Rede war, richtet unwillkürlich den Blick auf die früheren Zeiten, in denen der Ursprung des Brauchs, das Christfest in Bühnenbildern zu feiern, gesucht werden muß.

Wo im 9. Jahrhundert die ersten deutschen Weihnachts-Schauspiele aus dem Dunkel treten, da führen sie uns mitten hinein in die Kultusstätten der neuen Religion, die unter den rheinischen Germanen eben erst festen Boden zu gewinnen suchte. Noch ist Epiphanias der höchste kirchliche Festtag des ganzen Winters, der Gedenktag der Erscheinung des neugeborenen Gottes in göttlicher Herrlichkeit; noch weiß das Volk nichts von einer deutschen Weihnacht, noch kennt es kein Jesusgeburtsfest, kein Kinderfest um Mittwinter, kein Fest in den Tagen der Wintersonnenwende; noch steht es der fremden Religion, die aus dem römischen Süden gekommen, innerlich fremd gegenüber, wenngleich das Taufwasser die meisten Häupter befeuchtet hat und die meisten trotzigen Nacken sich vor den fremden Bischöfen gebeugt haben. Noch liegt ihnen der Gedanke fern, um Wintersmitte, wenn draußen Schnee und Eis die Fluren deckt und es kaum ein Drittel des ganzen Tages hell ist, ein Fest zu feiern. Noch wagen selbst die kühnsten Apostel der neuen Religion nicht daran zu denken, daß nach einem Jahrtausend das Jesusgeburtsfest der Kirche am 25. Dezember, dem neben dem glänzenden Erscheinungsfeste am 6. Januar nur eine ganz bescheidene Stelle zukommt, zum glänzendsten Winterfeste, zum Volksfeste, zum deutschen Kinderfeste geworden sein könnte, das so tief in der Anschauung der Lebenden wurzelt, daß die Gelehrten dasselbe nur durch die Existenz eines germanischen Wintersonnwendfestes erklären zu können meinen und ein solches ihren Vorfahren andichten. Noch gilt es vor allem, die Herzen dem neuen Glauben zu gewinnen, und dazu reicht bei einem Naturvolke, das im Sinnen und Denken noch träge ist, die reine Lehre nicht aus, dazu braucht’s Bilder und Klänge, das Wort des Dichters und die Kunst des Darstellers, ein buntes Geschehen in leuchtender Pracht, weiche einschmeichelnde Musik und wunderbare Vorgänge.

Im hellen Lichterglanze strahlt die weite Domkirche und hundertköpfig harrt die Menge, während ein leises Singen vom Chore niedertönt. Da wenden sich die Köpfe nach der Pforte am rechten Seitenaltare: in Königspracht schreitet aus ihr eine ernste Schar. Voran ein Herr mit gekröntem Haupte und langem Mantel, hinter ihm Diener, reich beladen mit Geschenken. In feierlichem Zuge geht’s nach dem Mittelgange zu. Die Köpfe wenden sich: noch prächtiger gekleidet und noch reicher ausgestattet, naht von links eine gleiche Schar, und noch ehe diese ein paar Schritte durch die Menge gemacht, taucht hinten eine dritte auf. Die Menge bestaunt den Pomp und Lichterglanz, aber ehe sie sich noch recht besinnen kann, erhebt der Führer der Mittelschar die Hand, deutet nach dem leuchtenden Stern, der über dem Altarplatz strahlt, und spricht feierlich:

„In sonnenhellem Glanze strahlt der Stern!“

Von rechts kommt Antwort:

„Der als geboren verkündigt den Herrn der Herrn!“

und von links tönt der Schluß:

„Dessen Kommen dereinst Weissagungen verkündigt.“

Indessen nahen sich die drei Scharen; vor dem Altar treffen sie sich, die sich Begegnenden küssen sich und singen:

„Laßt uns gehen, ihn suchen, und rotes Gold,
Weihrauch und Myrrhen ihm bringen als Sold.“

Da teilt sich ein Vorhang, und den erstaunten Blicken bietet sich das Bild einer Krippe dar, in der ein Kind ruht vom Glanze göttlicher Herrlichkeit umstrahlt. Die Könige knieen nieder und bringen dem Kinde ihre Geschenke. Der Chor setzt ein, und der Gottesdienst ist zu Ende.

Die Menge versteht die lateinischen Worte nicht, aber sie hat das dunkle Gefühl, daß da etwas Großes, Geheimnisvolles vorgeht, daß die Könige in den prächtigen Gewändern mit all ihrem Reichtum sich nicht umsonst vor einem Kinde beugen, sie ist sich nicht bewußt, daß sie nur ein Schauspiel sieht, sondern sie hat wirkliche Könige kommen und das Kind anbeten sehen: wie sollte sie da nicht das Gleiche thun? Und von der Macht dieses Eindrucks erregt, drängen sich die Hunderte zur Wiege, knieen nieder und spenden dem neuen Gotte, der Wuotan, Donar und Ziu entthront hat, ihre Gaben.

Das ist das älteste deutsche Weihnachtsspiel.

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*

Ein halbes Jahrtausend ist ins Land gegangen. Hat sie auch die deutsche Volksart nicht in ihr Gegenteil zu verkehren vermocht, so triumphiert die neue Religion doch äußerlich über die Reste germanischer Weltanschauung und germanischer Sitte. Ist sie auch noch nicht imstande gewesen, ihr Jesusgeburtsfest zum Volksfeste zu machen und ihm Eingang zu schaffen in die Burgen und Hütten, so hat sie doch die Freude am dramatischen Spiel richtig als das erkannt, womit man den Massen einen Tag als Festtag aus der Menge der Arbeitstage herausheben kann. Noch immer besteht die Weihnachtsfeier im wesentlichen im Weihnachts-Schauspiel; aber es ist nicht mehr das alte rein kirchliche Spiel. Die deutsche Volksart hat begonnen, es aufzusaugen und umzubilden in der Richtung ihres eigenen tiefsten Wesens. Volkstümlich, deutsch werden die Gestalten der heiligen Sage. Aus dem Zimmermann von Nazara, der vordem nur ein Typus gewesen, wird ein gebrechlicher Greis, aus der Jungfrau Maria ein blühendes, junges Weib mit rosigen Wangen, und diese Gestalten treten herein in die Verhältnisse und die Umgebung eines deutschen Fleckens, in deutsches Wetter und deutschen Winter, deutschen Volkshumor und deutsche Volksderbheit, deutschen Brauch und deutsche Anschauungen. Kaum aber begann das Weihnachtsspiel sich national zu entwickeln, indem es lustige possenhafte Scenen, deutsche Lieder und Scherze aufnahm und auch in seiner Sprache deutsch wurde, da versuchte die Kirche den Entwicklungsfaden abzuschneiden, den sie selbst angesponnen hatte, da entzog sie ihm seinen alten Schauplatz, indem sie es aus den Pforten der Kirche hinauswies. Das Weihnachts-Schauspiel aber wanderte ins Wirtshaus oder ins Rathaus, ja wenn die Wintersonne nur freundlich über Schnee und Eis glitzerte, daß die Dächer in ihren Strahlen widerschienen, auch hinaus auf den offenen Markt, auf den ebenen Plan, oder auf ein Brettergerüste.

[827] Ein einfacher Strick, wie auf dem Bilde S. 828 ersichtlich, teilt einen schmalen Streifen des Rathaussaales ab. Vor ihm sitzt und steht die Menge, Männer, Weiber und Kinder. Trotz der Mittwinterzeit ist es erdrückend heiß, aber niemand scheint die Hitze zu spüren. Jeder wickelt sich fester in seinen Mantel, und die Wangen der Kleinen erglänzen blau und rot. Eine Schelle klingt, und hinter dem Strick beginnt das Spiel. Da kommt ein seltsames Paar gezogen, das sich auf der Reise befindet und in der Winterkälte nach einer Herberge sucht, nach Unterkommen für eine einzige Nacht; die hübsche junge Frau mit den runden roten Backen, die ausschaut wie eine dralle Bäuerin, weint und klagt über die Kälte und die harten Menschen. Aber das trägt ihr von dem gebrechlichen Greis, der sie begleitet, nur Schelte ein. Obgleich er, nach seinen Schritten zu schließen, lahm scheint, thut er doch, als könne und werde er die Welt erobern. Mit einem Knüttel donnert er an die nächste Thür und schreit um ein Nachtlager. Aber da kommt er schön an. Aus der Thür kommt der Wirt und putzt ihn weidlich herunter. Er, der ehrsame Zimmermann von Nazara in Galiläa, muß sich hier einen Herumtreiber schimpfen lassen. An einer anderen Thür ergeht’s ihm nicht besser, und so bleibt ihnen nichts übrig, als ins Gemeindehaus zu gehen. Da sieht’s freilich schlimm aus. Ein Dach hat’s nicht. Unhold fährt der Wind herein, und schaurig kalt prasseln die Flocken nieder. Kaum zum Stalle taugte der Raum, und doch haben sich Ochs und Esel dahin verkrochen. In diesem Raum wird das Jesuskind geboren, und nun scheint einen Augenblick eine andere Welt sich aufzuthun. Aus unsichtbarem Munde ertönt ein kräftiger Chor: Gloria in excelsis Deo. Die Kinderaugen werden immer größer, und die Erwachsenen fühlen sich andächtig gestimmt. Aber schon wischt ein anderer Eindruck diese Stimmung wieder hinweg: in der Mitte die Wiege mit dem Säugling, rechts und links eins der Eltern auf einem Strohsessel. Mit dem Fuße den Wiegenbügel kräftig tretend, singt Maria:

„Josef, lieber Vetter mein,
Hilf mir wiegen das Kindelein,“

und noch ehe Josef antworten kann:

„Gerne, liebe Base mein,
Helf’ ich Dir wiegen das Kindelein!“

stimmt die ganze hundertköpfige Menge den ihr wohlbekannten Sang an, und es bedarf des Einschreitens der Spielhelfer, um sie zu verhindern, sich augenblicklich am Wiegen des Kindes zu beteiligen. Diese Gefahr wächst noch bei dem, was unmittelbar folgt. Dem alten Josef erstehen plötzlich mehrere Diener; eine Reihe Jungfrauen kommt, noch ein paar Engel stellen sich ein; da ist’s denn nur zu natürlich, daß sie alle sich die Hände reichen und rings um die Wiege hopsen; denn ein Tanz ist’s nicht zu nennen. Die Menge steht auf. Im Nu ist die Wiege trotz der Schranke des Strickes in die Mitte des Raumes geschleppt, und die gesamte Zuschauerschaft tanzt und tobt im Reigen darum. Während die Wiege fast gefährlich hin und her schwankt, braust ringsum der Sang: „Josef, lieber Vetter mein“, und die Beine stehen nicht eher still, als bis die allgemeine Erschöpfung dem Tosen ein Ende macht.

Die Schauspieler trennen sich wieder von den Zuschauern und nehmen die Wiege mitsamt dem Holzkinde mit; denn nun soll nach dem kleinen Zwischenspiel der zweite Akt beginnen. Ein halbes Dutzend verschlafene Gesellen, die Hirten, liegen kreuz und quer übereinander auf dem Boden und schnarchen, daß alle Wände beben. Ein Engel in langem weißen Hemd tritt auf und macht an ihnen Weckversuche. Aber er muß schon sehr handgreiflich werden, ehe er einen Erfolg erzielt. Auch dann wacht nur der Oberhirt auf. Der giebt dem Knechte Zechenbart mit seinem Stock einen tüchtigen Puff in die Seite. Da öffnet auch dieser die Augen. Das Publikum vergnügt sich über diese Art Schlaftrunkenheit köstlich. Der Engel hat weiter nicht wenig Mühe, den Schlafmützen klar zu machen, daß sie hingehen müssen, um dem neugeborenen Jesuskind ihre Verehrung zu erweisen. Endlich verstehen sie sich dazu, bitten es aber zugleich, ihnen recht reichliches Essen zu bescheren. Doch dieses hat wenig Verständnis für ihre Bitten. Es schreit und will versorgt sein. Josef bekommt es zum Warten. Das steht dem Alten freilich komisch zu Gesicht, und sein „Suße, liebe Ninne“ macht auf das Kind sichtlich wenig Eindruck. Er ruft die Mägde zum Warten. Aber denen gegenüber ist seine Autorität nicht besonders: sie geraten in Streit miteinander. Und als endlich die Versöhnung erfolgt ist, entsteht allgemeine Tanzbelustigung. Die Fiedel klingt. Die Engel, der harte Wirt, die Knechte kommen zum Tanze herbei gestürzt. Die Zuhörerschaft wird zum zweitenmal lebendig, und noch lange brausen die Weisen des Sanges und Klanges hinaus in die Nacht, während die Wiege mit dem Kinde vergessen in der Ecke steht.

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*

Jemehr sich im Laufe des 15., 16. und 17. Jahrhunderts das kirchliche Jesusgeburtsfest zur deutschen Weihnacht, zum volkstümlichen Haus- und Familienfest entwickelt, desto mehr verliert es sein ursprünglich kirchliches Gepräge und nimmt immer neue volkstümliche Züge in sich auf. Vom Martinstag und Nikolaustag wandert die Kinderbeschenkung und das Martins- und Nikolausbäumchen hin, das bereits um 1600 hier und dort zum Weihnachtsbaum geworden ist. Der volkstümliche Kalender bildet einen ganzen Kreis von Wetterglauben der Weihnachtszeit aus, und langsam rückt allerhand Volksbrauch auf den Vorabend des neuen Festes. So entsteht ein ganzer Bau volkstümlichen Weihnachtsbrauches und Weihnachtsglaubens, und derselbe wird den breiten Massen wie den führenden Schichten bald so vertraut, daß sie der Gedanke, diese Züge könnten einstens nicht am Weihnachtsfeste gehaftet haben, ja ein Weihnachtsfest habe es einstens gar nicht gegeben, ganz fremd anmutet. Dennoch verleugnet die volkstümliche Weihnachtsfeier, namentlich im Süden Deutschlands, noch in äußerlichen Zügen lange nicht ihren Ursprung und bewahrt wenigstens noch kirchliche Namen, auch wo die Sache schon längst inhaltlich modernes Volkstum geworden ist.

Das Weihnachtsspiel wendet sich jetzt vornehmlich an die Kinderwelt. Nicht mehr die Kirche, nicht der Rathaussaal liefern die Stätte der Aufführung; die ärmliche Hütte des Bauern ist an ihre Stelle getreten. Den Ersatz für die wirkliche Bühne bietet ein Mechanismus, dessen Holzfigürchen sich beim Drehen einer Walze bewegen, und wo der Mechanismus allein nicht lebendig genug ist, hilft eine Menschenstimme aus dem Hintergrunde ober ein wenig Rotfeuer nach. Wie der Schauplatz der Weltgeschichte sich langsamer verändert als die Gestalten, die über ihn hinwandeln, so wohnt auch dem Schauplatz des mittelalterlich-christlichen Weihnachtsspieles mehr Dauer inne als den Gedanken und Handlungen der kleinen hölzernen Personen, die sich auf ihm bewegen. Und der Name ist wiederum noch konservativer als der Schauplatz. „Krippel“ heißt dieser noch heute in Tirol, Nieder- und Oberösterreich, Salzburg und Bayern; aber was ist aus dem Kripplein geworden! In drei Terrassen türmt sich eine ganze weite Gegend auf. Auf der untersten Stufe dehnt sich eine Wiesenlandschaft. In keckem Sturze fällt das gläserne Wasser flimmernd nieder über Felsen aus Baumrinde, treibt eine klappernde Mühle und windet sich als frischer Spiegelbach durch die grüne Flur. An seinen Ufern weiden und liegen kauend friedliche Lämmer. Das frische Gras aus grüner, feingeschnittener Wolle scheint ihnen wohl zu behagen. In der Mitte der Gegend ein Felsen, in dem Felsen eine Grotte und in der Grotte noch immer das alte Kripplein mit dem Jesuskind. Dabei die Eltern und die Tiere, darüber der Glori-Engel in silbernen Wolken mit dem Spruchband: Gloria in excelsis Deo – Ehre sei Gott in der Höhe. Auf steilen Pfaden und Steigen eilen Hirten und Hirtinnen mit Geschenken zu der Grotte hernieder. Das ist noch das alte Bild des 16. und 17. Jahrhunderts. Aber rings herum ist so manches anders geworden.

Auf der zweiten Stufe ragt wohl auch in der Mitte ein Felsenthor bestreut mit Schneckenhäuslein und Frauenglas, aber rechts und links ist die Gegend dem Menschen noch in anderer Weise dienstbar geworden als auf der Flur da drunten. Da stehen zierliche Häuschen, in jedem wohnt ein Handwerker und sitzt oder steht bei seinen Werkzeugen an der Arbeit. Da hämmert der Schmied, da hobelt der Schreiner, da läßt der Müller die Mühle klappern und windet die Säcke auf, da behaut der Zimmermann den Balken, da rührt der Drescher den Flegel, da schnurrt der Spinnerin das Spinnrad, da nagelt der Schuster und flickt der Schneider.

Auf der obersten Stufe ein drittes Bild. Ein freundliches Städtchen mit seinem Marktplatz liegt vor den Augen. Von drei Seiten ist der Markt von stattlichen Gebäuden umschlossen. Rechts steht das Kaffeehaus, daran schließt sich das Mautamt, daneben das Stadtthor und unweit von ihm die schöne zweitürmige Kirche, daneben im Hintergrunde das Rathaus, an das sich auf der linken Seite des Platzes das Schulhaus, ein zweites altertümliches Thor und das einladende Wirtshaus zur „Sonne“ anschließen. Die [828] Kinder nennen die Stadt Bethlehem, für sie ist sie Bethlehem, und wenn sie von Bethlehem träumen, dann tritt es ihnen so vor Augen. Der Name ist geblieben, aber weiter auch nichts.

Das Glöcklein klingt, das Gekreisch des kleinen Publikums verstummt, und es spitzen sich die Ohren.

Von ferne her klingt erst leise, dann lauter und lauter der Chor der Weihnachtsengel mit seinem „Gloria! Gloria!“ Da wacht die Zenzerl, das muntere Hirtenmädel, auf, die unten am Bache geschlafen, und singt ihr Liedchen. Sie weckt die Genossen, es entspinnt sich ein Wechselgesang, und die Hirten gehen zur Krippe und bringen dem Kinde ihre Gaben dar. Damit ist der alten Weihnachtssage genug geschehen. Der Hirt schmettert ein Stück „auf der Blas’n“ und dieses Stück weckt das profane Leben. Allenthalben regt sichs auf der mittleren Etage. Singend schwingen die Drescher in der Hütte ihre Flegel, die Schmiede hämmern, die Schreiner hobeln, die Zimmerleute hauen auf die Balken los, in der Spinnstube schnurren die Rädchen und spinnen die Mädchen. Der Schuster gesteht seine heimlichen Schwächen ein:

„I bi der Schuasta Nazl
Dö Arwat is’ mein Greu’l;
I öffat liabar a Bradl
Und schmierat ma mein Mäul.“

In der Mitte steigt aus Schachtestiefe ein Bergknappe mit einem Lichtlein und klagt über die nutzlose Plage in der Tiefe. Da steigt in rötlichem Schein ein Berggeist auf, der Knappe sinkt auf die Knie, der Berggeist spricht ihm Mut zu und führt ihn in den Berg, um ihm reiche Metalladern zu zeigen.

Da steht die Mühle still, die bisher klapperte. Mit der Zipfelmütze guckt der Müller aus dem Fenster, horcht und schimpft darüber, daß der Müllerbub’ eingeschlafen sei. Dann macht er sich auf, kommt herunter und öffnet das Thürchen; da liegt der Faulenzer auf der Bank und schnarcht. Ungeduldig zerrt der Müller an dem Hansl herum; der Bub’ will nicht aufwachen. Eine tüchtige Ohrfeige – bei deren Klatschen sich die kleinen Mädchen im Zuschauerraum nach der Backe fassen – bringt endlich das Wunder fertig. Der Müller entfernt sich voll Befriedigung, und die Mühle klappert wieder.

Weihnachtsspiel im Rathaussaal: Der Engel weckt die Hirten.

Und nun welch Leben auch droben in Bethlehem auf dem Berge. Am Ende der Stadt steht ein hoher Baum. Diesem nahen sich zwei Buben – die „Baumkraxler“. Der eine klettert empor und singt nach der Weise ‚z’ Lauterbach hab’ i mein Strumpf verlor’n‘:

„Sitzt a kloans Vögel au’m Tanabam,
Thuat nix als singa und schrein.“

Kaum ist der Baumkraxler droben, da purzelt er kopfüber herunter und verzieht sich heulend mit seinem Freunde.

Eine immer größere Fülle von Gestalten erscheint, der Bärentreiber mit Freund Braun und Publikum, der Salamimann und der Uhrenhändler aus dem Schwarzwald, die Milchfrau, die sich mit dem Zolleinnehmer zankt, der Postillon und die Kutsche, die dem Sonnenwirt einen Gast bringt. Der Rastelbinder (Pfannenflicker) ist der eigentliche Randalierer. Ueberall fängt er Zank an, und im Kaffeehaus bekommt er endlich Arbeit. Er hämmert und rasselt. Da gerät er in Streit mit der Kaffeehauswirtin. Er will gar zu viel haben, und sie will gar zu wenig geben. Als sie den Rücken wendet, steckt er das Haus an und entflieht. Das Kaffeehaus brennt lichterloh. Die Kindergesichter röten sich und bekommen einen ängstlichen Zug. Aber die Feuerwehr von Bethlehem ist ausgezeichnet organisiert. Im Nu läutet es Sturm von beiden Kirchtürmen. Zwei Essenkehrer nahen mit der Spritze, und das Feuer, dessen Raum sorgfältig durch Eisenblech begrenzt ist, wird bewältigt. Als aber der eine Essenkehrer aus dem Rauchfang in eine auf dem Herde stehende Milchschüssel patscht, beginnt die Hausfrau zu schimpfen. Er antwortet. Sie ergreift einen weißen Besen, er faßt seinen schwarzen. So geht’s auf die Straße heraus, hier setzt es wechselseitig färbende Hiebe, bis die beiden Kämpfer, der schwarze Mann und die Walküre, noch immer erbittert dreinschlagend, im nächsten Thor verschwinden.

Inzwischen hat die Polizei den Rastelbinder gefangen und aufs Mautamt gebracht. Rasch wird er verhört und abgeurteilt, und die Strafe folgt auf dem Fuße. Im Strafgesetzbuch zu Bethlehem stehen auf derlei Dingen einfach Fünfundzwanzig auf die Rückseite; der Polizist hat sie auszuzahlen. Während der Rastelbinder heult und schreit, saust der strafende Arm der Gerechtigkeit die vorgeschriebene Anzahl Male auf ihn nieder, und das kleine Publikum mit den wenig mitleidigen Herzen zählt gewissenhaft die Fünfundzwanzig nach. Ehrfurcht vor Gerechtigkeit und Gericht beseelt die kleinen Gewissen.

Es kann wohl die Frage sein, ob eine andere Weihnachtsaufführung diesen tiroler und oberösterreicher Dorfkindern denselben Genuß zu bieten vermöchte. Was sie dort auf der wunderbaren dreiteiligen Bühne sehen, das ist ihrer Welt entnommen und greift ihnen darum ans Herz. Kein Wunderland öffnet sich ihren erstaunten Blicken; aber aus der Wirklichkeit auf die kleine saubere Landschaft mit ihrer schimmernden Helle übertragen, scheinen all diese Züge aus dem Leben doch einer anderen Welt anzugehören.

Damit sind wir der Gegenwart bereits sehr nahe gekommen, und wenn wir den Blick zurücklenken auf das moderne Weihnachtsspiel der Großstädte, von dem wir ausgingen, seien es nun die „Sieben Zwerge“ oder „Hänsel und Gretel“, da tritt uns die innere Verwandtschaft des Alten und Neuen deutlich entgegen. Auf der Luxusbühne der Weihnachtstage heißen der Schuster Nazl und der Rastelbinder „der faule Königssohn“ und „Pechmarie“, aber der Grundgedanke des Weihnachtsmärchenspieles ist derselbe wie der des halbverschollenen „Krüppels“. Dieselbe naive Kindermoral von Artigsein und Lohn, Unartigsein und Strafe herrscht in ihm, und sie beide sind Denkmale des unbewußten Verständnisses der Großen für die künstlerischen Bedürfnisse der Kleinen, das den germanischen Stämmen erst in den letzten drei Jahrhunderten aufgegangen ist.

In jüngster Zeit hat der tiroler Dichter Rudolf Greinz ein „Krippenspiel von der glorreichen Geburt unseres Heilands“ im alten Sinn neu geschaffen, welches von der Bühne des Münchener Gärtnertheaters aus, wo es fortwährend unter großem Andrang gegeben wird, seinen Umzug durch Deutschland wohl bald halten dürfte. In sehr glücklichem Gegensatz wechseln darin die weihevollen Scenen: Verkündigung, Geburt, Anbetung des Heilandes u. s. f. mit allerhand drolligen Volksbildern, wo Dialekt geredet wird und namhafte Anachronismen niemand stören. Die Musik dazu rührt von dem bekannten Komponisten Zenger her, sie giebt einen vortrefflichen Rahmen für die ernsten sowohl als für die heiteren Scenen dieses auf die alte deutsche Anschauung zurückgreifenden Krippenspiels.