Die Wahl. Viertes Blatt – Der Triumphzug nach der Wahl
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Endlich ist der Poll (die Abstimmung) geschlossen. Die Opposition, wie bereits zu erwarten war, hat gesiegt, und die Regierung ist geschlagen. Der Jubel ist groß, und die Fahne mit der Inschrift: True Blue (das treue Blau), womit sich auch jetzt die Tories schmücken, wird mit dem Freiheitshut im Triumphzug hinter dem Parlamentsglied einhergetragen. Die Opposition war auf den beiden vorhergehenden Blättern zu gut weggekommen; der Künstler hat also hier Einiges nachzuholen.
Zwei Parlamentsglieder sind ernannt worden. Beide werden von einer Procession der Wähler ihrer Partei unter dem schönsten Loose der Ehrenbahn, dem Volks-Beifall, auf Sessel erhöht und im Triumph einhergetragen. Von dem einen ist allein der Schatten sichtbar, desto [736] mehr aber fällt der andere Gesetzgeber in die Augen, wohlgenährt, ehrenwerth und weise. Leider passirt ihm ein Unglück. Ein invalider Matrose mit einem Stelzfuß führt einen Tanzbären und zu munteren Darstellungen einen Affen, der als Soldat mit einem Karabiner ausgerüstet auf seinem Kameraden reitet. Braun hat sich über einen Korb mit Süßigkeiten gemacht, der auf einem Esel hängt. Dieser, auch sonst noch beladen, gehört zwei Bauern, wovon der eine auf den Bären losschlägt; der andere ist vernünftiger, er hält sich an den Herrn und holt mit dem Dreschflegel aus. Jack Tar führt seinen Knittel mit einer Energie, welche der britischen Flotte Ehre macht; er ist ohnedem glücklich, denn der ihm zugedachte Schlag von Clodhopper kömmt nicht an seine Bestimmung; der Dreschflegel trifft unglücklicherweise die Schläfe eines der Träger, worauf der Gesetzgeber ruht. Der Träger taumelt bei dem unerwarteten Gruß; seine Hände versagen ihm den Dienst. Der Gesetzgeber erschrickt, wie er den Boden unter sich wanken fühlt; sein Hut fliegt in die Lüfte, seine Perrücke wird folgen, und er selbst schneidet, im Vorgefühl, von seiner Herrlichkeit in den Koth zu sinken, ein solches Gesicht, wie er es während der Debatten unter keinen Umständen brauchen könnte. Ueber dem Haupte dieses Theiles von der Collectiv-Weisheit des Volkes schwebt eine durch den Lärm der heiteren Procession aufgescheuchte Gans. Hogarth soll auf diesen bezeichnenden Einfall durch ein Gemälde Lebrün’s von der Schlacht am Granicus gerathen sein, worin über Alexanders Helmbusch ein Adler schwebt. – Unter dem Parlamentsgliede streckt ein umgeworfenes Weib die Beine in die Höhe; eine Familie von Ferkeln mit ihrer Mama, durch den Lärm aufgescheucht, hat den Fall verursacht, und stürzt selbst, als ob die ganze Heerde vom Teufel besessen wäre, auf den Teich unten zu. Hierauf ist jedoch das Unheil, welches den Gesetzgeber umringt, noch nicht beschränkt. Seine Gemahlin auf der andern Seite einer Kirchhofmauer sinkt in Ohnmacht; während eine alte Dienerin mit der Riechflasche bereit ist, umfängt eine Negerin die Fallende mit ihren Armen, welche ohne diesen Beistand von einem Gerüste stürzen würde. Ueber dieser Gruppe wird sogleich ein Schornsteinfeger-Junge, der in bester Laune [737] dem Todtenkopf über der Thür des Kirchhofes eine Brille aus Honigkuchen aufgesetzt hat, getödtet zu Boden sinken. Der Karabiner des Affen ist durch des Bären plötzliche Aufregung oder durch die Furcht des Affen vor dem Knittel des Bauern losgegangen, und der Schuß nimmt gerade die Richtung zum Schornsteinfeger-Jungen. Dies war eine Anspielung auf einen Vorfall der allgemeinen Wahl von 1754, die Hogarth, wie erwähnt, im Auge hatte. Nachdem die Grafschaftswahl von Oxfordshire beendet war, zog die gewinnende Partei in Procession durch die Stadt, und wurde von einem Pöbelhaufen der entgegengesetzten Partei unterwegs angegriffen, der die Kutschen der beiden Parlamentsglieder in die Themse werfen wollte. Eines derselben, ein Capitän, hier in der Figur des Affen als Soldat dargestellt, schoß aus seiner Kutsche heraus, und tödtete mit dem Schuß den vordersten der Angreifer, einen Schornsteinfeger. Dieser Vorfall erhöhete die Partei-Aufregung; der Capitän ward vor Gericht gestellt, aber von der Jury freigesprochen. –
Eine Figur in der Nähe des Gesetzgebers wird jedoch von dem Unheil nicht berührt, womit derselbe seine siebenjährige Laufbahn eröffnet. Dies ist der Fiedler, wahrscheinlich Kamerad und Freund von Jack Tar und das Orchester zur Bären- und Affen-Comödie. Er ist tanzend über seine eigene Musik so sehr entzückt, daß er den Lärm für den Augenblick nicht bemerkt.
Die Figur des Gesetzgebers ist übrigens das Porträt eines gewissen Doddington, eines 1754 gewählten Parlamentsgliedes, welcher später als Lord Melcombe in das Oberhaus trat. Die Gans ist ein genügendes Zeichen hinsichtlich seines Geistes. Auch blieb er bis an sein Ende einer derjenigen Gesetzgeber, die sich bei den Debatten entfernen, und allein zur Zeit der Abstimmung von einem Parteiagenten, welcher den bezeichnenden Namen des Eintreibers oder Einpeitschers [Whipper in][1] führt, aus den verschiedenen Caffee- und Clubbhäusern zusammengeholt und in eine Phalanx vereinigt werden, eine Classe, die bei dem früheren Wahlsystem mit den verfaulten Flecken wenigstens an Zahl nicht unbedeutend war.
[738] Unter der Procession wird neben dem Freiheitshute und der blauen Parteifahne auch ein aus Holz geschnitzter Kopf des durchgefallenen Candidaten einhergetragen. Die Metzger machen hinter demselben mit politischem Wohlwollen ihre schön klingende Musik des Beils[2] und Markknochens. – Vor der Fahne ist ein Schneider sichtbar, an der Scheere kennbar. Er bedeckt voll Angst sein Gesicht, denn hinter ihm steht seine Frau und bearbeitet ihm Kopf und Rücken mit einem Knittel, weil er sich in der Siegesfreude betrunken hat. – Daß es auch hier noch nicht an Stoff zur Berauschung fehlt, sieht man aus einem Faß Bier, welches herbeigetragen wird. Ferner untersucht ein Küfer ein geleertes Faß, ob dasselbe vielleicht während des Wahltumults den einen oder andern Leck erhalten hat. Es soll wahrscheinlich, um den Tag zu beschließen, auf’s Neue gefüllt werden.
Der Kirchhofmauer gegenüber stehen zwei Häuser; das eine gehört einem Sachwalter (Attorney). Im obern Stock wird nämlich ein Contract (inventure) unterzeichnet, dessen Zettel mit dem Siegel aus dem Fenster hängt. Das andere Haus ist ruinirt. Nichols meint, Hogarth habe damit andeuten wollen, in der Nähe jenes Geschmeißes (in the neighbourhood of such vermin) könne Nichts gedeihen. Besser scheint die Erklärung, daß jenes Haus von einem Pöbelhaufen während der Wahlaufregung demolirt worden sei. – In dem Hause des Sachwalters hat sich übrigens die geschlagene Partei versammelt. Drei Gesichter blicken lachend aus einem Nebenfenster, und trösten sich über ihre Niederlage mit den schlimmen Vorbedeutungen, womit H. Doddington’s parlamentarische Laufbahn eröffnet wird. Eine durchaus verschiedene Stimmung zeigt der geschlagene Candidat am Hauptfenster. Der Herzog von Newcastle[3], an dem breiten Ordensbande kennbar, sucht ihn zu trösten, und verspricht ihm wahrscheinlich, als erster [739] Krämer mit verfaulten Flecken (first borough monger) des Königreichs, den ersten vacanten Parlamentssitz, über den er verfügen kann. Der durchgefallene Candidat scheint übrigens bei diesem Troste traurig in die Tasche zu greifen. Einen besseren Trost erhält der Candidat am zweiten Nebenfenster, von welchem das Publikum den Rücken und den Haarbeutel bemerkt. Der Mann mit dem weisen Gesichts welcher dein Candidaten die Hand auf die Schulter legt, scheint zu sagen: „Sie waren ein großer Narr, sich um diesen Parlamentssitz zu bewerben!“
Uebrigens hat der Herzog von Newcastle für ein gutes Mittagessen gesorgt, wobei von der Regierungspartei mancher Toast auf die Minister, die Mehrheit im Parlamente, und auf den Erfolg der nächsten Wahl nach sieben Jahren getrunken werden kann. Ein magerer französischer, ein fetter englischer Lord und eine noch fettere englische Köchin tragen in Procession einige Schüsseln des ersten Ganges auf die Tafeln. – Nicht weit davon steht ein englischer Soldat, an einem Meilensteine, welcher die Entfernung von London auf neunzehn (englische) Meilen anzeigt. Dieser Soldat hat sich unglücklicherweise in eine Angelegenheit eingelassen, womit er Nachts zu thun hatte. (Das Militär muß nach Parlamentsacte, mit Ausnahme der Garde, auf zehn (englische) Meilen von Orten entfernt werden, wo eine Wahl gehalten wird.) Die Uniform hat ihm sicherlich Prügel von beiden Parteien eingetragen. Der Kopf ist ihm verbunden, der Rücken ist ihm zerfleischt, der Säbel liegt zerbrochen neben ihm. Wegen des letzteren ruinirten Waffenstücks wird ihm ein neues Unglück begegnen, eine bestimmte Anzahl Hiebe mit der neunschwänzigen Katze. Uebrigens hat er sich wenigstens tapfer geschlagen, denn er ist im Begriff, nach einem Faustkampf in allen Regeln sich wieder anzukleiden. Für’s Erste tröstet er sich mit dem schon erwähnten Tabackshändler Kirton; er will von dessen bestem Fabricate eine Hand voll in den Mund stecken, um dieselbe zu kauen, oder er nimmt nach dem englischen Ausdruck ein Quid.
Noch ist an der Kirche über dem Schornsteinfeger-Jungen eine Sonnenuhr zu erklären mit der Inschrift: We must (wir müssen). Hier findet sich nämlich die unglücklichste Art von Witz, ein bloßes [740] Wortspiel. Die Sonnenuhr heißt englisch Dial, in der Aussprache etwas Aehnliches, wie die all (alle sterben). Also: Wir müssen Alle sterben. Ob Hogarth hier wirklich hat witzig sein wollen, oder ob er die Absicht hegte, jene Wortspiele lächerlich zu machen, wie einige Ausleger meinen, bleibt dahingestellt. Von Hogarth stammt wenigstens ein Wortspiel, welches eben so abgeschmackt ist, wie das hiesige. Er übersendete einem seiner Freunde als Einladung zum Mittagessen eine Karte, worauf, neben Messer und Gabeln, Eta beta pi stand, ähnlich ausgesprochen, wie: Eat a bit o’pea (Eß’t ein wenig Erbsen).
Schließlich ist noch zu bemerken, daß sich die Original-Gemälde der Wahl, welche auf Garricks Bestellung gemalt waren, gegenwärtig nebst dem Weg des Liederlichen in der auch sonst sehr werthvollen Gallerie des Architecten John Soane befinden, welcher, der sonst in England üblichen Sitte entgegen, diese Privatsammlung dem Publikum an gewissen Tagen eröffnet hat. Vielleicht möchte diese Notiz mehreren Deutschen, die London besuchen, nicht unwichtig sein.