Die Wahl. Zweites Blatt – Die Stimmbewerbung

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Die Wahl. Erstes Blatt – Der Wahlschmaus W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Zweite Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Die Wahl. Zweites Blatt – Die Stimmbewerbung
Die Wahl. Drittes Blatt – Die Abstimmung
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Die Wahl.


Zweites Blatt.
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DIE WAHL.
THE ELECTION.
II.

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Die Wahl.
(The Election.)




Zweites Blatt.
Die Stimmenbewerbung.
(Canvassing for votes.)

Wie schon erwähnt, macht es die Regierungspartei nicht besser, als die Opposition gegen den Hof auf dem vorhergehenden Blatte. Bestechung motivirt die freien und unabhängigen Stimmen der Freeholders zu Gunsten der von den Ministern unterstützten Candidaten. Man sieht nämlich die Absicht Hogarth’s, das Verfahren officieller Candidaten darzustellen, aus der gemalten Theateranzeige am Wirthshause zur Königseiche, einem bei Gelegenheit des Jahrmarktes von Southwark bereits erklärten Wirthshausschilde. Diese Ankündigung ist in zwei Felder getheilt. Auf dem unteren ist Herr Punch als Candidat von Guzzledown (Herunterschlemmen) aufgetreten. Sein Schiebkarren ist voll Guineas, die er unter die gierig haschenden Wähler wirft. Sein oft ihn begleitender Busenfreund, ebenfalls mit der spitzen Mütze von Hanswurst, ist sein Unterstützer, der ihn vorschlägt. Dies wird die Gegenpartei sein. Im oberen Felde sieht man dagegen eine weit größere Herrlichkeit. Dort ist die königliche Schatzkammer in Whitehallstreet sichtbar, wo kein bloßer Schiebkarren sondern ein ganzer Wagen mit Gold beladen wird. Guineas werden wie mit Schaufeln aus dem obern Stock in einen Sack geschüttet, der vorerst verpackt werden soll. Zu dieser Andeutung besaß Hogarth ein [724] vollkommenes Recht, denn die Wahlbestechung wurde in jenen Zeiten, wo Walpole behauptete, jeder Mensch habe seinen Preis, mit einer unverschämten Offenheit betrieben, die man sogar gegenwärtig kaum begreifen kann.– Nebenbei hat Hogarth über die plumpe Bauart der daneben liegenden und damals errichteten Caserne der Garde zu Pferde (horse guards) gespottet. Der Glockenthurm dieses Gebäudes gleicht einem umgekehrten Bierfaß; das Eingangsthor ist so niedrig, daß es dem Kutscher der Karosse des Königs, welche von einem Detachement Garde begleitet einfährt, nicht allein die Perrücke gestreift, sondern sogar den Kopf abgerissen hat.

Unter der Ankündigung steht ein Agent des Candidaten mit dem Namen Partytool (Parteiwerkzeug), wie man aus einem ihm überreichten Schreiben erkennt. Er versucht das geschickte Bestechungs-Manöver, wodurch der bekannte Schriftsteller und Staatsmann der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, Steele, unter der Regierung der Königin Anna in’s Parlament gewählt wurde, nämlich die Bestechung der Frauen von Wählern. Herr Partytool, Esquire, versucht dies hier in Betreff zweier Frauen auf dem Balkon durch allerlei Galanterie und Schmuck, den er von einem Juden kauft. Sollte sein Freund gewählt und die Wahl im Parlament streitig gemacht werden, so kann derselbe mit gutem Gewissen schwören, er habe die Wähler nicht bestochen oder bestechen lassen. Der Agent höheren Standes hat auch den Druck der Adressen an das Volk, der bei einer Wahl nothwendigen Anschläge u. s. w. besorgt. Vor ihm hat ein Lastträger, der ihm den erwähnten Brief übergibt, einen Ballen von Druckbogen niedergelegt[WS 1], unter denen man auch die Ankündigung der oben gemalten theatralischen Vorstellung an abgebrochenen Worten bemerkt, nämlich die Eröffnung des Theaters von Punch in der Königseiche.

Herr Partytool ist ein Gentleman, er kann sich deßhalb nicht mit den Wahlgeschäften befassen, die ihn direct mit der Masse der Freeholders, also mit dem Pöbel persönlich in Berührung bringen. Diese bleiben den unteren Agenten, Verwaltern und Kellermeistern u. s. w. oder höchstens den unglücklichen Sachwaltern ohne Praxis überlassen. Hier sind es Wirthe. Zwei dieser Agenten von entgegengesetzten Parteien haben sich an einen eben angekommenen Pachter gewandt, der als ein [725] Vierzig-Schilling-Grundbesitzer (fourty shilling freeholder) zugleich eine Stimme zu vergeben hat; beide überreichen ihm eine Einladung in ihre Wirthshäuser, wo die respectiven Candidaten die Wähler bewirthen (in die Königseiche und in die hier nicht sichtbare Krone); der eine bietet eine Guinea, der andere eine Handvoll; somit kann der ehrliche Erdhüpfer (honest Clodhopper, ein Spottname für die Bauern) durchaus nicht in Zweifel sein über die von ihm zu ergreifende Partei. Seitwärts von dieser Gruppe im Wirthshause Portobello findet eine politische Verhandlung statt. Ein Barbier (hinter dem Tische steht sein Handwerkszeug) deducirt einem Schuhmacher die Einnahme dieser Festung, wobei ihm die Bruchstücke seiner Tonpfeife als Linienschiffe dienen. Dies möchte auf folgende Weise zu erklären sein. Der Whig-Regierung wurde vor Allem Vernachläßigung und schlechte Leitung der auswärtigen Angelegenheiten, so wie kriegerischer Unternehmungen vorgeworfen. Die Partei antwortete damals immer mit einem glänzenden Erfolge, den der von den Whigs eingesetzte und zur Partei gehörende Admiral Vernon durch die Einnahme von Portobello oder spanisch Puertobello 1739 erfochten hatte, wobei eine bisher unerhörte Beute an Metallschätzen des spanischen Amerika’s den Briten in die Hände fiel. Allein bald zeigte sich die Unfähigkeit des Admirals, denn als die Spanier in Cartagena besser aufpaßten und sich besser vertheidigten, mißlang ein Angriff des Admirals vollkommen, obgleich derselbe mit weit größeren Hilfsmitteln ausgeführt wurde. Somit wurde die Einnahme von Portobello nur dem Glücke zugeschrieben, und die Einsetzung des Admirals Vernon der Regierung fortwährend zum Vorwurf gemacht. Eine ähnliche Discussion scheint der Barbier mit dem Schuster zu führen, Ersterer von der Opposition, Letzterer von der Regierungspartei. Der Sohn Crispin’s hört nicht auf die Gründe, welche sein Opponent mit einiger Hitze vorbringt, um zu beweisen, in der Einnahme von Portobello liege kein großes Verdienst, und die Whigs leiteten überhaupt die Seemacht Großbritanniens nicht auf solche Weise, wie dies der Ruhm Englands erfordere. Der Schuster hat nämlich bereits einen Haufen Guineas von den Agenten der Regierung erhalten, und bedeckt dieselben wohlgefällig mit der Hand.

[726] Die Oppositionspartei ist aber auch auf diesem Blatte nicht unthätig. Sie hat einen Pöbelauflauf erregt, der von einer anderen Seite her eingedrungen ist, und das Accise-Amt demoliren will. Jene Abgabe auf Bier, Seife etc. war nämlich von den damals herrschenden Whigs (durch Walpole) ersonnen worden und diente zum immerwährenden Cheval de bataille ihrer Gegner, die übrigens als Nachfolger im Amte eine weit größere Virtuosität in der Besteuerung erwiesen haben. Sogar der alte Cobbet hat noch 1835 den Whigs die Einführung der Accise mit großer Bitterkeit vorgehalten, indem er nach seinen Begriffen zu erläutern suchte, Whigs und Tories seien einerlei. – Natürlich vertheidigen sich auf diesem Blatte die Accisebeamten; Steine und Balken fliegen aus den Fenstern, und Einer schießt sogar eine Flinte ab. Der Pöbel scheint sich jedoch hiedurch nicht schrecken zu lassen; Einige sind mit einem Tisch, wie mit einer römischen Testudo vorgerückt, um sich gegen Wurfgeschoße zu schützen. Andere sind bemüht, das Schild abzureißen, zu dem Einer hinaufgeklettert ist, um den Balken, an welchem dasselbe befestigt ist, durchzusägen. Dieser Mann ist hiebei so hitzig, daß er nicht bemerkt, wie er selbst auf dem abzusägenden Ende sitzt, und somit in Gefahr geräth, bei dem bald zu erwartenden Sturze den Hals zu brechen, kein übles Bild von der politischen Einwirkung der Pöbelhaufen.

Die Stimmenbewerbung wäre ohne Schmausen nicht vollständig, somit erscheinen am Fenster des Wirthshauses zwei damit beschäftigte Wähler. Der eine hat einen Kapaunen auf gut englische Weise mit den Fäusten angepackt, der andere schneidet mit Wohlgefallen und Kunstverständigkeit in einen Rinderbraten. An der Thüre sitzt die Wirthin, und zählt ihre Einnahme, welche die Wahl ihr bescheert hat, einen Schatz, den ein Grenadier, zur Hälfte sichtbar, aber von ihr unbemerkt, mit besonderer Gier betrachtet. Hinter der Wirthin ragt der britische Löwe und frißt französische Lilien. Der Löwe war nämlich damals und ist auch jetzt noch bisweilen eine Ausschmückung der Kriegsschiffe; der hiesige wird von einem ausgedienten und als Brennholz verkauften stammen und zur Zier des Hauses erstanden sein.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: niederdelegt