Die Wahl. Erstes Blatt – Der Wahlschmaus

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Die Wahl. Vier Blätter – Einleitung W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Zweite Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Die Wahl. Erstes Blatt – Der Wahlschmaus
Die Wahl. Zweites Blatt – Die Stimmbewerbung
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


[Ξ]
Die Wahl.


Erstes Blatt.
[Ξ]

DIE WAHL.
THE ELECTION.
I.

[Ξ]
Die Wahl.
(The Election.)




Erstes Blatt.
Der Wahlschmaus.
(An election entertainment.)

Bekanntlich kann John Bull ohne herzhaftes Mittagessen (hearty dinner) kein Geschäft von irgend einer Wichtigkeit beginnen, und dieses durfte bei einer Wahl somit auch nicht fehlen, bis eine Parlamentsakte, gewöhnlich unter dem Namen the treating actbekannt, eine Bewirthung solcher Art untersagte. Ein Mahl wie dieses möchte deßhalb wenigstens nicht mehr allgemein sein, obgleich man das Gesetz auf verschiedene Weise umgeht, und besonders dadurch, daß der Candidat für die Tage der Wahl ein Wirthshaus miethet, und jedem Einkehrenden freie Zeche bieten läßt, wo sich ein Theil des hier dargestellten Unfugs öffentlich wiederholen kann.

Die Wahl wird in einer Landstadt gehalten, wo die Grafschaft zwei [714] Repräsentanten ernennt, denn auf dem letzten Blatte, wo der Triumph der Sieger dargestellt ist, kömmt neben dem auf den Schultern emporgehobenen Parlamentsgliede noch der Schatten eines zweiten zum Vorschein, dem dieselbe Ehre wiederfuhr. Die hier versammelte Partei ist gegen den Hof gerichtet. Man sieht dieß aus dem zerschlagenen Bildniß des Königs an der Wand und aus einigen andern Andeutungen. An der Wand befindet sich ferner ein Wappen mit drei Guineen im Felde und mit einem weit aufgerissenen Munde anstatt des Helmschmucks, nebst der Devise: Sprechen und Haben, (speak and have); also viel Geschrei und viel Geld sind die Bedingungen unter welchen der Candidat zum Gesetzgeber erhöht wird. Ein anderes Gemälde an der Wand erklärt Nichols für das Bild des Fleckens, wo die Wahl gehalten wird, weil die hier dargestellte brennende Kirche einige Aehnlichkeit mit der ruinirten auf dem dritten Blatte zeigt.

Natürlich hat der Candidat der Partei den Ehrensitz eingenommen (taken the Chair). Er ist ein vollkommener Stutzer jener Zeiten, wie man aus der zierlich gelegten Hand, dem glatten und aristokratisch gleichgültigen Gesicht und aus dem modischen Kleid erkennt. Ireland sieht mit Recht in dieser Figur die Schule Lord Chesterfield’s, des Staatsmannes jener Zeiten, welcher in seinen Briefen an seinen Sohn das Muster des Gentleman darstellte. Man sieht es dem Candidaten an, daß er gleich nach der Wahl allen Schmutz abgestreift haben wird, welcher während derselben durch Berührung mit dem Pöbel an ihm hängen blieb. Der arme Mann! Für den Augenblick muß er Manches leiden, denn bei der Wahl ist es nicht zu vermeiden, daß der vollkommenste Exclusive mit der schweinischen Menge (swinish multitude) in Berührung kommt. Mußte doch selbst die schöne Herzogin von Devonshire, die bei einer Wahl von Westminster für Charles Fox Stimmen sammelte, einen Grobschmied küssen, der unter keiner andern Bedingung dem berühmten Redner und Staatsmann seine Stimme geben wollte. Hier muß der Candidat in derselben Art ein altes zahnloses Weib küssen; ein Wähler bringt die Köpfe beider zusammen und sammelt ohnedem feurige Kohlen auf seinem Haupte, denn er überschüttet [715] die Perrücke des Herrn mit feuriger Asche aus seiner Tabakspfeife. Ein kleines Mädchen, ohne Zweifel die Tochter eines Wählers, zieht ihm ferner ohne Umstände einen Ring mit einem Edelsteine vom Finger. Bei Allem dem zeigt der Candidat eine bewunderungswürdige Ruhe; die hinter ihm sitzende Figur macht dagegen bei der Berührung mit dem Pöbel ein etwas langes Gesicht. Diese ist offenbar ein bereits bekanntes Parlamentsglied, mit dem ominösen Namen Sir Comodity Taxem, der sich mit derselben Präcision nicht in’s Deutsche übersetzen läßt[1] Der Herr ist offenbar der Unterstützer des Candidaten, und hat seinen „ehrenwerthen Freund“ in einer langen und schönen Rede als Parlamentsglied vorgeschlagen. Für den Augenblick hat er eine Bittschrift von einem Barbier annehmen müssen, der ihm den Inhalt mit einem allen Engländern verhaßten Manöver eindringlich macht, indem er ihm nämlich auf die Schultern klopft, wobei er zugleich das eine Auge des Gesetzgebers mit der Tabakspfeife beräuchert. Ein Schuhflicker nimmt sich eine ähnliche Freiheit: er drückt dem Herrn die Hand und kömmt mit seinem Glase herbei um mit ihm zu trinken. An Getränk ist natürlich kein Mangel. Im Vordergrunde wird von einem Knaben Punsch bereitet, und zwar in einem Zuber, welcher im gewöhnlichen Leben zur Mischung von Futter für das Vieh bestimmt ist (mashing tub). Der Punsch ist schon Mehreren in den Kopf gestiegen, wie es scheint auch der jungen Dame am Fenster, die sich nach dem gewöhnlichen Aufbruch der Damen bei solcher Gelegenheit etwas verspätet hat, und die offenbar mit dem Candidaten in verwandtschaftlicher Beziehung steht. Vielleicht ist sie seine Frau; alsdann ließe sich das Hirschgeweih über der Thüre erklären, denn ein junger Officier dicht vor der von Lorbern umrankten Fahne mit der Inschrift: Freiheit und Loyalität (liberty and loyalty) ist offenbar mit ihr in Unterhandlungen begriffen, denen sie mit Wohlgefallen zuhört. Den glücklichen Ausgang anticipirt ein Sohn des Gesetzes, dem der Punsch ebenfalls in den Kopf gestiegen ist. Er hebt jubelnd sein Glas über dem Haupte der jungen Dame empor, vielleicht [716] in freudiger Aussicht auf einen jener Processe, die man in England mit den Abkürzungen crim. con. (criminal conversation) bezeichnet. Vor ihm sitzt an der Tafel ein fetter und wohlgenährter Pfarrer im besten Behagen, denn vor ihm steht nebst einer Weinflasche auch eine Wildbretkeule, auf die er mit Wohlgefallen hinblickt. Ein Wärmebecken hat er ebenfalls in Beschlag genommen, um den Leckerbissen mit desto größerem gout in dem erforderlichen Wärmegrade verzehren zu können. Er ist jedoch schon früher nicht müßig gewesen; wegen der bisherigen Arbeit mit dem Kinnbacken trieft ihm der Kahlkopf von Schweiß; er hat deßhalb die Perrücke abgenommen und trocknet sein ehrwürdiges Haupt mit dem Schnupftuche. Hinter ihm steht die Tafelmusik. Der vordere Musikant ist ein Schotte, denn er spielt den Dudelsack und nebenbei die schottische Fiedel[2]. Um letzteres noch deutlicher zu geben, hat der Künstler über seinem Haupte die Figur eines alten Weibes hervorragen lassen, welches die wirkliche Fiedel spielt, und deren grinsendes Gesicht das Vergnügen andeutet, womit sie das ganze Schauspiel von ihrem erhabenen Sitze aus betrachtet. Ein dritter Musikant, der für den Augenblick sein Instrument ruhen läßt, hat von seinem Nachbar ein Glas erhalten; dieser zupft ihn an einem langen und spitzigen Kinn, uneingedenk der ähnlichen Gestalt seines eigenen. Der vierte Musikant, welcher mit genügender Würde die Baßgeige spielt, scheint ein Deutscher wegen des Phlegma, womit er ausschließlich auf sein Instrument achtet, und sich um alles Uebrige, was er ohnedem der Hauptsache nach nicht versteht, durchaus nicht bekümmert.

Am zweiten Tisch fällt zuerst eine Gruppe in die Augen, unter welcher sich ein munterer Cumpan über seinen gichtbrüchigen Nachbar lustig macht. Ersterer hat eine Serviette oder ein Schnupftuch um seine Hand gewickelt und stellt damit, nachdem Augen, Nase und Mund durch Tintenstriche angedeutet sind, das Gesicht seines Nachbars vor, wobei er, wie Trusler sagt, das englische Volkslied singt:

[717]

Ein altes Weib in grauem Rocke.
(An old woman clothed in grey).

Der Titel „altes Weib“ paßt vollkommen für die unglückliche Figur an seiner Seite. Sie ist offenbar ein Baronet oder ein ähnliches Mitglied der Aristokratie, vielleicht gar ein erblicher Gesetzgeber, welcher bei seinem Alter und bei der Gicht, dem anererbten Uebel und dem Monopol des Adels, wie Byron sagt, nicht mehr den Gleichmuth des Candidaten oder die Geduld des Unterstützers zeigen kann. Die Gesellschaft ist ihm im höchsten Grade zuwider, zugleich aber fürchtet er sich vor der Gegenpartei, die auf den Straßen und sogar im Hause selbst keinen unbedeutenden Lärm macht. Jener muntere Geist (droll genius) welcher durch sein Manöver das Lachen der in der Nähe Sitzenden erregt, ist übrigens ein Irländer, und zwar ein Sir John Parnell, ein damals berühmter Sachwalter und Paddy’s politischer und populärer Vertreter zu einer Zeit, wo Irland in Folge der Rebellion nach 1689 kein Parlament und allein die Presse sowie das Gericht als Vertheidigungsmittel besaß. Daß Sir John Parnell sich hier, bei der Oppositionspartei gegen den Hof befindet, hat seinen guten Grund, denn die damalige Whig-Regierung ist mit Irland eben so umgegangen wie die späteren Tories in den schlimmsten Zeiten. Man denke nur an Walpole’s scandalöse Maßregeln, worunter auch eine Art von Falschmünzerei begriffen war, die ein berühmter Sohn von Erin, der Dechant Swift, durch die Kraft seiner scharfen Feder vereitelte. – Neben der Gicht des verdrießlichen Herrn ist ein noch schlimmeres Uebel an einem Alderman zu schauen, nämlich der Tod. Der ehrenwerthe Alderman, dessen Leibesumfang seinem Berufe genügende Ehre macht, ist am Uebermaß genossener Austern gestorben. In der Hand hält er noch die Gabel, worauf eine letzte Auster gespießt ist, krampfhaft umklammert. Der Lebenshauch ist für immer entflohen; vergeblich hat ein Chirurg durch Aderlaß denselben wieder zu wecken gesucht; da dieß Nichts hilft, wischt er ihm mit allem Gleichmuth der Kunst den Todesschweiß von der Stirn, und hält dabei, der größeren Bequemlichkeit halber, die Lanzette im Munde. – Hinter dieser Scene treibt die Verführung des Versuchers ihr Spiel. Ein [718] methodistischer Schneider und Freeholder (Stimmberechtigter auf den Grafschaftswahlen), offenbar von der Gegenpartei, ist vielleicht durch List mit seiner Familie in diese Versammlung gelockt worden. Ein Agent des Candidaten bietet ihm für seine Stimme eine Handvoll Guineen; der arme Mann wird aber widerstehen, wenn nämlich seine Frau ihn nicht verführt, die ihm wegen seiner Gewissenhaftigkeit die geballte Faust unter das Kinn hält und mit der andern Hand auf seinen Knaben zeigt, der den Vater an seine zerrissenen Schuhe erinnert.

Fände sich keine Schlägerei auf diesem Blatte, so wären die bei einer Wahl gewöhnlichen Scenen nicht vollständig dargestellt. Somit wird von beiden Parteien ein Gefecht der Knittelmänner (Bludgeon-men) geliefert, welche sich bei dergleichen Gelegenheiten in der Regel von selbst einfinden, im Nothfall aber auch mitunter gemiethet werden. Die entgegengesetzte Partei sucht durch die Thüre einzudringen. Vor dem Hause hat nämlich eine Procession derselben stattgefunden. Sie trägt Fahnen mit der Inschrift: „Freiheit und Eigenthum“ (Liberty & property) und „verheirathet und vermehrt Euch trotz des Teufels“ (Marry and multiply in spite of the Devil), und führt die ausgestopfte Figur eines Juden mit der Inschrift no jews „keine Juden“ mit sich umher[3]. Letzteres soll offenbar ein Schimpfwort für die Partei im Wirthshause sein, welche mit den Stimmen, und deßhalb auch mit dem Gewissen der Wähler ihren Schacher getrieben hat. Wahrscheinlich haben es jedoch die Vorüberziehenden nicht besser gemacht, denn man sieht die Bestechung der Regierung auf dem andern Blatte. Für jetzt wirft die Regierungspartei allerlei Projektilen in’s Zimmer hinein, und erhält dafür einen Stuhl und den Inhalt eines Geschirr’s zurück, welches wahrscheinlich nach alter, wenn auch jetzt nicht mehr gewöhnlicher Sitte, zur Bequemlichkeit der Trinkenden nach dem Aufbruch der Damen in eine etwas entfernte Ecke gesetzt wurde. Eines jener Wurfgeschosse hat unglücklicher Weise einem Rechtsgelehrten und Agenten des Candidaten, welcher die Stimmen [719] unter die Rubriken sichere und zweifelhafte (sure votes – doubtful) registriren soll, nicht allein den Schmuck seines Standes, die Perrücke, vom Haupte gestreift, sondern dasselbe auch schwer verwundet, so daß derselbe ohnmächtig und rücklings vom Stuhle sinkt. Dafür fehlt es aber auch anderseits nicht an Siegen. Ein Bludgeon-man aus der Hefe des Volkes, wie man aus den zerrissenen Schuhen sieht, hat eine Fahne, die Ehre seiner Partei, mit Heldenmuth vertheidigt, und dabei eine große Wunde am Kopfe davon getragen, die ein neben ihm sitzender Schlächter sehr geschickt behandelt, denn er gießt Branntwein hinein, während der Kämpfer selbst ein Glas zur Linderung seiner Schmerzen leert. Die Fahne, worauf er im Selbstgefühl den Fuß setzt, trägt die Inschrift: Gebt uns unsere elf Tage (Give us our eleven days), eine weitere Andeutung, daß die hier versammelte Partei gegen die Regierung Opposition bildet. Im Jahre 1752 bewirkte nämlich die Whigregierung durch Parlamentsakte die Einführung des Gregorianischen Kalenders, so daß die elf Schalttage des alten herausgestrichen wurden; die elf Tage waren also für die Nation ein baarer Verlust! So lächerlich dieß jetzt lautet, so fand dennoch damals eine Opposition statt, freilich nicht auf die abgeschmackte Weise, die Hogarth anzudeuten scheint, sondern wegen der Störung in Geschäftsverhältnissen. – Auch der Schlächter, welcher das Geschäft eines Chirurgen versteht, hat an dem Gefecht Antheil genommen; sein Kopf hat einen Verband mit der Inschrift pro patria, wahrscheinlich dem Bruchstück einer eroberten Fahne.

Hinter dem colossalen Punschnapf ist noch ein Verkäufer von Bändern, Cokarden u. s. w., kurz von Waaren bemerkbar, die bei einer Wahl nothwendig sind. Er heißt Abel Squat, oder Able, wenn man will, ein Name, der sich nicht mit derselben Präcision in’s Deutsche übersetzen läßt (Able geschickt, Squat untersetzt). Er hält eine Anweisung auf fünfzig Pfund in der Hand, die der Candidat für Bänder und Cokarden ausgestellt hat, worin aber sicherlich die Preise einiger Stimmen auf dieselbe Weise mit inbegriffen sind, als wenn der Candidat von einem Freeholder ein Huhn für zwei Guineas kauft, und somit die Acten gegen directe Bestechung umgeht. Wie man aus dem Gesichte [720] sieht, ist Squat mit dem Handel nicht ganz zufrieden und hat also mehr erwartet. Eine Andeutung, wie die fünf oder sechs Acten gegen Bestechung eben so umgangen werden, wie vor Zeiten die zahlreichen Gesetze der Römer de ambitu, sieht man übrigens an dem Kasten mit Thonpfeifen auf dem Boden, neben der Fahne. Aus diesen Acten sind Fidibus gemacht, wie man aus dem oben liegenden Titel einer derselben schließen kann. Der Fidibus führt die Inschrift act against bribery and corruption (Bestechung durch Geld und auf andere Weise), die andere dort befindliche Inschrift bezeichnet eine Tabaksorte Kirton’s best. Kirton war nämlich ein reich gewordener Tabakshändler, welcher den aristokratischen Classen, denen er sich anschließen wollte, ohnedem lächerlich geworden, durch den Ehrgeiz, in’s Parlament zu gelangen, sich beinahe ruinirte, indem er mehre Wahlen hinter einander verlor.

Von andern Zuthaten ist noch die Scheide ohne Degen auf der Bank neben dem Punschnapf zu erwähnen. Der Degen ist wahrscheinlich von einem Bludgeon-man genommen worden, um im Gefechte zu dienen.




  1. Tax’em besteuert sie.
  2. Er kratzt sich. Die schottische Fiedel (scoth Fiddle) ist der populäre Name für eine bekannte, durch Unreinlichkeit entstandene Krankheit.
  3. Nichols erkannte in dieser Figur Aehnlichkeit mit dem Herzog von Newcastle, der wie ein Jude Handel mit Parlamentssitzen trieb.