Die Zerstreutheit großer Geister

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Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Die Zerstreutheit großer Geister
Untertitel:
aus: Die Burg. Illustrierte Zeitschrift für die studierende Jugend, 2. Jahrgang, S. 296–297
Herausgeber: Prof. J. Hartorius und Oberlehrer K. Faustmann, Mainz.
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Verlag der Paulinus Druckerei
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Erscheinungsort: Trier
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[296] Die Zerstreutheit großer Geister.

Der Dichter Gotthold Ephraim Lessing kam eines Tages nach Hause und sann eben über ein Problem nach. Er klopfte an die Haustüre. Das Dienstmädchen öffnete das Fenster, konnte aber, da es schon dunkel war, den Ankömmling nicht erkennen und sagte: „Herr Lessing ist nicht zu Hause.“ „Schön“, erwiderte zerstreut der Angeredete, „dann komme ich ein anderes Mal wieder.“ Und der Dichter setzte seinen Spaziergang fort. –

[ws 1] Newton war ein berühmter englischer Mathematiker und Naturforscher (1642–1727), er war nur ein bißchen zerstreut. Als es ihn an einem kalten Winterabend sehr fror, zog er seinen Stuhl ganz nahe an den Kaminrost, auf dem ein tüchtiges Feuer brannte. Nach einiger Zeit wird es dem Gelehrten unerträglich heiß. Er reißt voll Heftigkeit an der Schelle. Endlich erscheint der Diener. Der sonst so liebenswürdige Philosoph, der halb gebraten ist, schreit ihn an: „Schiebe den Rost weg, du fauler Lümmel, ehe ich verbrenne!“ „Aber, mein Herr“, erwidert der Diener, „könnten Sie denn nicht leichter Ihren Stuhl etwas zurückziehen?“ „Auf mein Wort“, antwortet Newton, „daran habe ich nicht gedacht!“ – Ein anderes Mal wollte Newton, weil er im Eifer des Studiums sein Frühstück vergessen hatte, sich ein Ei kochen. Es ging aber nicht ohne Mißgeschick; denn der Gelehrte hatte das Ei in der Hand behalten und dafür die Eieruhr ins kochende Wasser geworfen.

***

Bei großen Geistern rührt diese Zerstreutheit in alltäglichen Dingen daher, weil sie zu sehr in ihre großen Aufgaben vertieft sind; bei kleineren Geistern ist die Zerstreutheit ein Zeichen von Willensschwäche. Der schwache Wille hat bei ihnen nicht die Kraft, die Gedanken zusammenzuraffen und zusammenzuhalten.

Man fragte einen weisen Mann nach einem Mittel gegen solche geistige Zerfahrenheit. Er gab dieses Elexier:

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1. Fange nicht zuviel auf einmal an! Wer überall ist, ist nirgends!
2. Tue alles zur rechten Zeit und in der rechten Ordnung! Zuerst das Notwendige, dann das Nützliche und zuletzt das Angenehme!
3. Sammle dich zu jeglichem Geschäfte, nie zersplitterte deine Kräfte! Bei dem Unterrichte, bei dem Studium, bei der Lektüre sei deine Losung: Sammlung! – Kommt die Zeit der Erholung, dann spanne den Geist aus!
4. Stelle dir selbst kleine Aufgaben; verteile sie dir auf einige Tage und Stunden. Heute willst du ein einen Brief schreiben! Morgen willst du ein Buch lesen! Rufe dir diese selbstgewählten Aufgaben am Abend und am Morgen ins Gedächtnis! Halte dir ein Merkbüchlein!

Alle Kraft will geübt sein, auch die Willenskraft. Wie ein Königstiger erfasse deine Pflicht! Wer etwas Großes leisten will, muß sich konzentrieren lernen.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Der nachfolgende Abschnitt bis zum „–“ findet sich auch im Artikel In der Zerstreutheit mit der Verfasserangabe W. K., welcher erschienen ist in: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1910, Erster Band, Seite 222–223.